Marine Und Öffentlichkeit 1919—1939
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Walter Schwengler Marine und Öffentlichkeit 1919—1939 Der Flottenbau der Kaiserlichen Marine vom ersten Flottengesetz (1898) bis zum Be- ginn des Ersten Weltkriegs wurde von einer Propaganda begleitet, deren Ausmaß alles bis dahin Bekannte bei weitem übertraf. Das Besondere daran war die Tatsache, daß sie von dem 1897 gebildeten Nachrichtenbureau im Reichsmarineamt, mithin einem Organ der staatlichen Exekutive, gestaltet und gelenkt wurde. Mit großem Erfolg setz- ten einige wenige Marineoffiziere alle an der Jahrhundertwende zur Verfügung ste- henden Informations-und Propagandamittel ein, um die Flottenpolitik von Staatsse- kretär Alfred v. Tirpitz gegenüber der Öffentlichkeit zu erläutern und für ihre Unter- stützung zu werben. Die mittelbaren Wirkungen der Tätigkeit des Nachrichtenbu- reaus im Reichsmarineamt gingen über den Bereich der Marinepolitik, die ja für einige Jahre durchaus die Gesamtpolitik des Deutschen Reiches bestimmte, sogar noch weit hinaus: Durch das Einbeziehen der Öffentlichkeit in die Auseinandersetzungen über die Rüstung wurden sowohl nationalistisch-plebiszitäre Kräfte — vornehmlich im »Deutschen Flotten-Verein« zum Ausdruck kommend — geweckt als auch parlamen- tarisch-demokratische Kräfte gestärkt. Letztere durch den Umstand, daß der Reichs- tag aufgrund seines Budgetrechts an öffentlicher Beachtung gewann, obgleich die Tir- pitzsche Politik der Flottengesetze und -novellen auf das Aternat und damit auf eine einschneidende Beschränkung der parlamentarischen Mitsprache zielte. Nicht zuletzt förderte das ständige Messen an England und seiner See- und Kolonialpolitik die im deutschen Volk latent vorhandene Anglophobie. Die Zusammenhänge zwischen Flottenpolitik und Flottenpropaganda in der Ära Tir- pitz erforscht zu haben, gehört zu den Verdiensten von Wilhelm Deist. In seiner be- achtenswerten Monographie gleichen Titels1 hat er die Rolle und Bedeutung des Nachrichtenbureaus des Reichsmarineamts beschrieben sowie die Ziele, Methoden und Wirkungen der marineamtlichen Informations- und Propagandapolitik umfassend dargelegt und eingehend analysiert. Unter dem Eindruck von Deists Arbeit ist verschiedentlich, besonders von historisch in- teressierten Marineoffizieren, der Wunsch geäußert worden, eine ähnliche Untersu- chung auch für die Zeit der Reichs- und Kriegsmarine zu besitzen. Ein solches Desiderat ist natürlich leichter ausgesprochen als befriedigt. Eine einfache Fortschreibung des Vor- bildes ist jedenfalls nicht möglich. Denn die Marine verlor 1919 ihre Selbständigkeit als ein oberstes Staatsorgan und wurde zu einem Teil der Reichswehr. Darüber hinaus wur- de die Öffentlichkeitsarbeit in einer dem Minister direkt unterstehenden Abteilung auf Reichswehrebene zentralisiert. Dabei blieb es auch zur Zeit der Wehrmacht. Doch auch die Öffentlichkeitsarbeit der Reichswehr und der Wehrmacht, ihre Metho- den, Inhalte und Ziele, haben in der Wissenschaft bisher nur geringe Beachtung gefun- den. Das liegt zweifellos zuvorderst an dem Umstand, daß nur verschwindend wenige Sachakten erhalten geblieben sind. Dennoch lassen sich aus den Aktensplittern und verstreuten Aktenstücken in diversen Beständen die Organisation der Öffentlichkeits- arbeit, ihre Ziele und Inhalte in den wesentlichsten Umrissen rekonstruieren. In dieser Hinsicht Kärrnerarbeit geleistet zu haben, ist Manfred Messerschmidt zu danken. In seiner 1969 für das Bundesministerium der Verteidigung angefertigten, unveröffent- lichten Studie »Organisation und Entwicklung der >Öffentlichkeitsarbeit< in Reichs- wehr und Wehrmacht«2 hat er vornehmlich die Evolution der Organisation aufge- zeigt, aber auch eine erste überzeugende Einordnung der Öffentlichkeitsarbeit der be- waffneten Macht in die Militärgeschichte der Zwischenkriegszeit vorgenommen. Bei 35 MGM 2/89 diesem Schwerpunkt ist nur zu verständlich, daß Messerschmidt »der Marine« bzw. der Öffentlichkeitsarbeit in Marinefragen kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat. Doch finden sich hierzu wertvolle Aussagen in den einschlägigen Arbeiten von Jost Dülffer3. Beiden Autoren verdankt der Verfasser viel für die nachfolgende Skizze der Organisa- tion der Öffentlichkeitsarbeit der Reichs- und Kriegsmarine, ihren Zielen und Inhalten sowie ihren hauptsächlichen Adressaten. Ergänzend sei auf Arbeiten hingewiesen, welche das erschreckende Ziel der regie- rungsamtlichen — einschließlich der militärischen — Öffentlichkeitsarbeit nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten offenlegen: die Vorbereitung des deutschen Volkes auf den Krieg — einen Krieg, der sich aufgrund der maßlosen Ziele Adolf Hit- lers zwangsläufig zum Zweiten Weltkrieg entwickeln mußte. Jutta Sywottek hat diese Intention mit der Darstellung des Propagandaapparats und der Propagandaaktionen zur Unterstützung der deutschen Expansionspolitik in der unmittelbaren Vorkriegs- zeit nachgewiesen4. Eine noch umfassendere Schau bietet Wolfram Wette, der in sei- nem Beitrag zu »Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik« intensi- ver als Sywottek die politisch-geistigen Wurzeln der auf den Krieg vorbereitenden Propaganda, nämlich die deutschen militärischen Ideologien, herausgearbeitet und in- nenpolitische Aspekte der Kriegsvorbereitung einbezogen hat5. I. Öffentlichkeitsarbeit der Reichsmarine 1919—1933 1. Organisation und Aufgaben Für die Öffentlichkeitsarbeit der Marine nach 1919 war bestimmend, daß die Stellung der Reichs- und Kriegsmarine im Staatsgefüge eine andere war als die der Kaiserlichen Marine. In dieser war das Reichsmarineamt de jure ein Staatssekretariat, de facto ein Marineministerium, und die obersten Kommandobehörden der Marine unterstanden dem Kaiser als Oberbefehlshaber unmittelbar. Dagegen war die »Vorläufige Reichs- marine«, gebildet durch Gesetz vom 16. April 1919, von Beginn an dem Reichswehrmi- nister unterstellt. Als am 1. Oktober 1919 das Reichswehrministerium aufgrund der Reichsverfassung vom 11. August 1919 und der Verordnung des Reichspräsidenten betreffend die Übertragung des Oberbefehls über die Wehrmacht des Deutschen Reichs vom 20. August d. J. als nunmehr einzige für die Landesverteidigung zuständi- ge Kommando- und Verwaltungsbehörde seine Arbeit aufnahm, verlor die Reichsma- rine ihre Selbständigkeit; sie wurde Teil der Reichswehr. Das Wehrgesetz vom 23. März 1921 bestätigte den neuen Status mit den Worten: »Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr. Sie wird gebildet aus dem Reichsheer und der Reichsmarine.« Der militärische Oberbefehl über die Reichswehr lag in der Hand des Reichspräsiden- ten. Unter ihm übte der Reichswehrminister Befehlsgewalt über die gesamte Wehr- macht aus. Darüber hinaus besagte § 8 des Wehrgesetzes zur Befehlsführung: »An der Spitze des Reichsheers steht ein General als Chef der Heeresleitung, an der Spitze der Reichsmarine ein Admiral als Chef der Marineleitung.« Dies wurde dahingehend ver- standen, daß die beiden Chefs ihren jeweiligen Wehrmachtteil selbständig leiteten und den Reichswehrminister in der Ausübung der Kommandogewalt vertraten6. a. Nachrichtenstelle des Reichswehrministeriums (1919—1926) Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Reichsheer und Reichsmarine lag trotz der beiden klar voneinander getrennten Verantwortungsbereiche »Heeresleitung« und »Marineleitung« nicht bei diesen, sondern bei der dem Minister direkt unterstellten »Nachrichtenstelle des Reichswehrministeriums«7. Diese Besonderheit erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte des Reichswehrministeriums. Gustav Noske, Reichswehr- minister ab Februar 1919, und Oberst Walther Reinhardt, der demokratisch gesinnte letzte preußische Kriegsminister und erste Chef der Heeresleitung, gaben ihm eine Or- ganisation, die der Stellung des Ministers als dem eigentlichen, weil parlamentarisch verantwortlichen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Reichswehr Rechnung tragen sollte. Darüber hinaus waren sie der Auffassung, daß »der völlig neue Charakter der Wehrmacht und ihre veränderten Aufgaben« — dabei ist etwa an die Stichworte »Berufsarmee« und »Armee in der Demokratie« zu denken — »eine umfas- sende Fürsorgetätigkeit« für die Angehörigen der Reichswehr notwendig mache. Diese sollte nicht nur die allgemeine und berufliche Weiterbildung der Soldaten fördern, sondern zugleich auch eine »um Vertrauen und Verständnis für die neue Wehrmacht« bemühte Öffentlichkeitsarbeit beinhalten. Um die »Einheitlichkeit der für Heer und Flotte gemeinsamen Arbeit« und eine ständige Zusammenarbeit mit der Presse sicher- zustellen, wurde im Reichswehrministerium eine dem Minister direkt unterstellte »Fürsorgeabteilung« gebildet. Diese gliederte sich in die Gruppen »Militärische Für- sorge«, »Pressegruppe« (wohl bald in »Nachrichtenstelle« umbenannt) und »Wirt- schaftliche Fürsorge«8. Mit der Fürsorgeabteilung unter der Leitung von Oberstleutnant Ernst van den Bergh stand Noske eine Einrichtung zur Verfügung, mit der er nicht nur zur allgemeinen Zu- friedenheit der Soldaten beitragen, sondern unmittelbar auf den Geist der Truppe ein- wirken konnte. Als Generalmajor Hans v. Seeckt nach dem Rücktritt Noskes vom Amt des Reichswehrministers infolge des Kapp-Lüttwitz-Putsches (März 1920) die Mög- lichkeit hatte, seine Vorstellungen von der Führung der Reichswehr durchzusetzen, wurde die Fürsorgeabteilung aufgelöst und der Aufgabenbereich der Fürsorge der Heeres- bzw. Marineleitung zugeordnet9. Nur die Nachrichtenstelle blieb als eine die beiden Wehrmachtteile übergreifende und dem Minister direkt unterstehende Einrich- tung erhalten. In ihr arbeiteten ständig Heeres- und Marineoffiziere zusammen. Diese »Integration«