70 Jahre . 22. April

Dokumentarische Aufarbeitung zu den Geschehnissen des 22. April 1945 im Großraum . Cottbus war in allen Bereichen Teil Cottbus der Vernichtungsmaschinerie des 3. Reiches. Vorgestellt werden die Kriegsindustrie der Stadt, die Tä- ter und Opfer des 3. Reiches, aber auch der Widerstand. befreit!

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 1 Cottbus befreit! Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich von Daniel Häfner und Bernd Müller

Inhaltsverzeichnis

1 // Einleitung 2 // 15. Februar 1945 – der Bombenkrieg kehrt zurück 3 // April 1945 – die Befreiung der Lausitz

Kriegsproduktion 7 // Kettenfahrzeuge für die Front – die Mechanischen Werke Cottbus 8 // Flugplatz und Flugzeugproduktion – die Focke-Wulf-Werke in Cottbus

Täter 9 // Die Täter 12 // „Unternehmen Cottbus“ – ein Kriegsverbrechen

Opfer 13 // Inhaftiert im Frauenzuchthaus Cottbus: Frauen im Widerstand (Herta Venther) 15 // „Jüdisches“ Leben und Sterben 17 // Gedanken zum Jahrestag der Befreiung aus sorbischer/wendischer Sicht (Peter Schurmann) 19 // Zwangsarbeiter

Widerstand 21 // Widerstand in und aus Cottbus

25 // Anmerkungen, Quellen & Impressum

Cottbus befreit! Einleitung

Die Bombardierung des Bahnhofs am sind auch andere zu finden, wie bspw. 15. Februar 1945 wird häufig als - Er der Gaueiter Michael Kube, der erst eignis dargestellt, das quasi wie eine wegen Korruption abgesetzt wurde, Naturkatastrophe über Cottbus kam als Generalkommissar in Weißrußland – und ohne Grund. Doch Cottbus war ab 1941 dann aber an der Ermordung Teil des Systems des Nationationalso- zehntausender Zivilisten beteiligt war. zialismus und des totalen Krieges. In In diesem Teil wird auch kurz auf die Cottbus wurden Kriegsgüter in großen „Aktion Cottbus“ in Weißrußland ein- Mengen produziert: tausende Panzer- gegangen, bei der im Rahmen angebli- kettenfahrzeuge und tausende Flug- cher Partisanenbekämpfung tausende zeuge, darunter auch Bomber. Und der Zivilisten ermordet wurden. Wie die Bahnhof wurde immer wichtiger als Operation zu diesem Namen kam war Verkehrsknotenpunkt zur herannah- nicht zu recherchieren. Klar ist aber, enden Front. dass die SS-Einheit Dirlewanger, die u.a. dort und beim Warschauer Auf- In der folgenden Broschüre wollen wir stand zahlreiche Kriegsverbrechen ein Schlaglicht auf verschiedene Berei- beging und zehntausende Zivilisten che des Lebens in Cottbus werfen und tötete zuletzt bei Guben eingesetzt deutlich machen, dass es im System war. Befehlshaber der Einheit in War- des 3. Reichs kein „ruhiges Hinterland“ schau war Heinz Reinefarth, der eine gab. Überall finden sich Täter, Opfer Die Befreiung von Häftlingen in einem Außenlager Anwaltskanzlei in Cottbus hatte. und Widerstand. Cottbus ragt dabei des KZ Dachau am 30. April nicht heraus. Es zeigt die Normalität Im Bereich der Opfer stellen wir zu- der Menschenverachtung des Systems, Überblick über die Broschüre nächst das Frauengefängnis in Cottbus gerade auch als Rädchen in einer Ma- vor, hier waren viele politische Wider- schinerie, die ganz Europa überrollen In dieser Broschüre wollen wir zu- standskämpferinnen inhaftiert. Von wollte – militärisch und ideologisch. nächst die Ereignisse des 15. Februars, den wirklichen oder angeblichen jüdi- also des Bombenangriffs auf den Cott- schen Mitbürgern konnten viele in das Die regionale Besonderheit in der Lau- buser Bahnhof, darstellen und dann Ausland fliehen. Wer aber zu arm war sitz stellt der Umgang mit den Sorben/ auf die wichtigsten Tage der Befreiung oder keine Kontakte hatte, oder beides, Wenden dar. Diese sollten entweder der Lausitz bis zum 22. April eingehen. wurde diskriminiert, in sogenannten germanisiert werden oder als führer- Dass in Cottbus nicht nur Textilien Judenhäusern zusammengepfercht loses Arbeitsvolk in den neuen „Ostge- und Schokoladen hergestellt wurden und dann später deportiert und ermor- bieten“ dienen – nach dem gewonne- wollen wir im darauf folgenden Kapi- det. Darüber hinaus berichten wir über nen Krieg. Insofern war das Ende des tel darstellen. In den Mechanischen den Umgang mit den Sorben/Wenden Krieges insbesondere eine Befreiung Werkstätten Cottbus, die fast in Ver- und den Zwangsarbeitern in der Regi- auch der Sorben/Wenden – die bis gessenheit gerieten, wurden tausende on. heute andauert. Fahrzeuge für den Fronteinsatz herge- stellt und in den Focke-Wulf-Werken Die Broschüre schließt mit verschie- Auch am Beispiel von Erna Stahl, die wurden hunderte Flugzeuge endmon- denen Beispielen aus den Widerstand im Frauenzuchthaus in Cottbus inhaf- tiert. Darunter auch die legendäre Fw und mahnt: Nie wieder Krieg, nie wie- tiert wurde, wird der Moment der Be- 200 „Condor“ – eigentlich ein Passa- der Faschismus! freiung deutlich: sie hatte ihre Schüler gierflugzeug, dass aber im Krieg als mit Autoren wie Hugo von Hofmanns- Aufklärungs- und Transportflugzeug Ergänzung thal und Thomas Mann bekannt ge- genutzt wurde. Und gerade dieses macht und gehörte zu weiteren Um- Flugzeug wurde auch zur Bombardie- Für eine vertiefende Lektüre empfehlen wir fol- feld der Weißen Rose in Hamburg. Vor rung von Schiffen im Atlantik einge- gende Literatur, wobei der SPIEGEL-Artikel auch der herannahenden Front wurde sie setzt, weshalb Churchill es als „Geißel online verfügbar ist: nach Bayreuth gebracht und dort am des Atlantik“ bezeichnete. Mettke, Jörg (1985): 1945: Absturz ins Bodenlose. 14. April 1945 befreit. Noch am 17. Ap- SPIEGEL-Redakteur Jörg R. Mettke über Kapitu- ril fand in Hamburg der Prozess gegen Die Industrie war aber auch auf ande- lation und Besatzung (V): Cottbus, DER SPIEGEL sie statt: es drohte die Todesstrafe. ren Ebenen tief in die Kriegsindustrie 19/1985, 05.05.1985, S. 152 - 173. verstrickt – der Cottbuser Textilun- Petzold, Heinz (2005): Als für Cottbus der 2. Welt- Auch wenn die Befreiung zu Freiheit ternehmer und IHK-Präsident Hans krieg endete, Regia-Verlag, Cottbus (6 Euro). und Gleichheit bis heute nicht voll ver- Kehrl war in den letzten Kriegsjahren Pilop, Max (1990): Die Befreiung der Lausitz. Mili- wirklicht ist, machen diese Beispiele in zur rechten Hand Albert Speers aufge- tärhistorischer Abriß der Kämpfe im Jahre 1945, 3. Bezug auf das Kriegsende doch deut- stiegen. Über ihn wird im Teil „Täter“ Auflage, Domowina-Verlag, Bautzen lich: Befreiung – was sonst. dieser Broschüre berichtet. Und dort

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 1 15. Februar 1945 – Der Bombenkrieg kehrt zurück

„Wir werden ihre Städte ausradie- platz aber noch und bombardierten fe gewonnen wurden. Doch das Hy- ren!“ verkündete Hitler am 4. Sep- ein Postlager. Beim zweiten An- drierwerk Ruhland-Schwarzheide tember 1940 nachdem 100 englische griff trafen sie zahlreiche Produk- konnte wegen einer dichten Wolken- Flugzeuge als Vergeltungs- tionshallen der Focke-Wulf-Werke decke nicht angeflogen werden und schlag für einen Angriff auf London und zerstörten rund 50 Flugzeuge. so drehten die Bomber auf den Cott- bombardierten. „Wir werden ihre buser Bahnhof ab – das Ausweichziel. Städte ausradieren!“ – diese 5 Wor- Der Angriff auf den Cottbuser BBC London warnte bereits am Mor- te beschreiben die Vorgeschichte Bahnhof gen die Stadt zu verlassen – wurde des Luftkrieges und der Bombenan- allerdings kaum gehört, weil das Hö- griffe in Nazideutschland treffend. Der Cottbuser Bahnhof war zunächst ren von Feindsendern unter Strafe Allein von September bis Dezember ein Umsteige-, Güter- und Verla- stand. In der Stadt gab es um 10.00 1940 wurden in London 14.000 Men- debahnhof für Züge von und nach Uhr und 11.05 Uhr Voralarm und um schen durch Bombenangriffe getötet Berlin, Leipzig, Dresden, Frankfurt/ 11.35 Uhr Fliegeralarm. und 250.000 Menschen verloren ihre Oder, Guben und Forst. Darüber hi- Wohnung. naus stellte er aber auch einen Ei- Rund 450 Flugzeuge vom Typ „B-17“ senbahnknotenpunkt für Transporte näherten sich Cottbus von Süden in Die Feindnachrichtenabteilung riet aus den Industriegebieten in Schle- rund 7.000 bis 8.000 Metern Höhe. der Luftwaffe aber auch besonders sien und Sachsen dar. Im südlichen Da die Sicht auch hier behindert war, zur Bombardierung von Coventry, Umfeld des Bahnhofes war zahlrei- gingen die sogenannten Masterflug- denn dort würde „die Wirkung auf che Leichtindustrie angesiedelt. Be- zeuge auf das Radarzielen über, vi- die Industrie noch dadurch beson- sondere Bedeutung hatten auch die sierten das Ziel zu kurz an – und ver- ders gesteigert, weil die unmittel- Reichsbahn-Reparaturwerke (Rail- fehlten den Bahnhof. Ihre Bomben bar in Werksnähe wohnende Arbei- way Repair Shops). detonierten überwiegend südlich des terschaft stark in Mitleidenschaft Bahnhofs und leiteten den kommen- gezogen wird. Infolge der leichten Noch im August 1944 führten die den Angriff somit fehl. Bauweise von Fabrik- und Wohnge- Listen des Bomber-Command den bäuden unter enger Zusammendrän- Bahnhof aber nicht als Ziel, weil die gung des bebauten Raumes ist hier Bedeutung zunächst als vergleichs- eine besonders starke Wirkung bei weise gering angesehen wurde. Dies Brandbombeneinsatz zu erwarten“. änderte sich jedoch mit dem Heran- Zeitungen bezeichneten den verhee- nahen der Front von Osten. Denn die renden Bombenangriff als englisches deutsche Wehrmacht versuchte nun Guernica – eine baskische Stadt, die schnellstmöglich Verteidigungsstel- bereits im April 1937 durch die Deut- lungen entlang der Oder/Neiße zu sche Luftwaffe zerstört wurde, um errichten, was zu verstärkten Trup- General Franko im Spanischen Bür- penbewegungen über den Bahnhof gerkrieg zu unterstützen. Aufgrund führte. des hohen Zerstörungsgrades wurde B 17 in Formation über Nazideutsch- der Begriff „Coventrieren“ für die Am 08. Februar 1945 verfügte das land bei einem Angriff völlige Zerstörung von Städten ver- britische Luftfahrtministerium mit wendet, den der Propagandaminis- dem Befehl 207, dass der Bahnhof Der Angriff begann um 11.51 Uhr ter Joseph Goebbels erfunden haben und die „Railway Repair Shops“ nun und mehr als 1.000 Tonnen Bomben soll. als Angriffsziel geführt wurden. In wurden abgeworfen. Die Spreng- und den darauf folgenden Tagen führte Brandbomben fielen überwiegend Mit dem Kriegseintritt der USA im die britische Luftaufklärung weitere am Bahnhof, sowie in den südlichen Jahr 1942 wendete sich das Blatt und Beobachtungsflüge über der Stadt und östlichen Gebieten davon. Um auf der Casablanca-Konferenz einig- durch und bestätigte die „verkehrs- 12.08 Uhr traf eine Bombe einen Mu- ten sich die Alliierten darauf, eine mäßige Bedeutung für den Auf- nitionszug im Bahnhof. Eine gewal- kombinierte Bomberoffensive durch- marsch faschistischer Truppen.“ tige Detonation zerstört viele Züge zuführen – die Briten würden fortan und Gebäude, die Splitter flogen nachts und die Amerikaner tagsüber Am Morgen des 15. Februar sammel- hunderte Meter weit und töten auch angreifen. ten sich amerikanische Flugzeuge viele Verletzte in Sanitätszügen auf über der Nordsee um in einer „Of- dem Bahnhof. Um 12.25 Uhr war der Im April und Mai 1944 flogen die fensive gegen das Öl“ Produktions- Angriff beendet, doch noch Stunden amerikanischen Luftstreitkräf- anlagen, z.B. von Flugbenzin, anzu- später detonierte Blindgänger und te erste Angriffe auf den Cottbu- greifen. Ziel waren die Hydrierwerke Teile der Munition des Zuges. ser Flughafen. Beim ersten Angriff bei Magdeburg, Böhlen und Ruhland, Die schwersten Zerstörungen kon- verfehlten sie den getarnten Flug- in denen aus Braunkohle Kraftstof- zentrierten sich auf die Südstadt,

Seite 2 Cottbus befreit! April 1945 – Die Befreiung der Lausitz

hier wurden zahlreiche Wohnhäuser Bereits seit den Schlachten um Sta- griff der Roten Armee an Oder und und 14 Betriebe zerstört oder be- lingrad und am Kursker Bogen im Neiße. In der Lausitz gelang ihr zwi- schädigt. Getroffen wurden Teile des Jahr 1943 befand sich das deutsche schen Muskau und Forst ein schnel- Klinikums und des Gefängnisses – Militär an der Ostfront überwiegend ler Durchbruch auf rund 35 Kilome- die Lutherkirche wurde zerstört. in der Defensive. Im Westen hatten tern Breite und 30 Kilometern Tiefe. die alliierten Streitkräfte den Rhein Bereits in der Nacht zum 18. April Die Zahl der im Februar 1945 überschritten und hatten die ersten sowjetischen Pan- Opfer des Mitte April kapitulierten die deut- zer die Spree rund 15 Kilometer süd- Angriffes schen Einheiten im Ruhrgebiet. Die lich von Cottbus überschritten. Die wurde mit Alliierten fürchteten das Entstehen deutschen Truppen hatten bereits rund 1.000 einer „Alpenfestung“, in der deut- alle verfügbaren Reserven an den angegeben, sche Einheiten noch Jahre operieren Verteidigungslinien eingesetzt und darunter befanden sich auch ein Chi- könnten – die sich jedoch als reine waren nicht in der Lage, die sowje- rurg und 9 Krankenschwestern sowie Propaganda herausstellte. Im Süd- tischen Truppen aufzuhalten. Mar- 39 Inhaftierte des Frauengefängnis- osten befreiten die 2. und 3. Ukra- schall Konew fasste die Situation wie ses. Mehr als 2.500 Menschen waren inische Front zunächst Ungarn und folgt zusammen: „Was jetzt noch zu verwundet worden. Rund 3.600 Woh- eroberten dann Wien. tun blieb, bildete für unsere gereif- nungen in Cottbus wurden zerstört te, von Angriffsgeist beseelte Armee, oder beschädigt (ca. 20%) – 13.000 Langsam und unregelmäßig näherte die fest entschlossen war, ein für alle Menschen wurden obdachlos. Die sich die Front auch von Osten und Mal mit dem Faschismus Schluss Aufräumarbeiten wurden überwie- Mitte März erreichten die sowjeti- zu machen, keine unüberwindliche gend von hunderten Zwangsarbei- schen Truppen der 1. Ukrainischen Schwierigkeit mehr.“ tern und Kriegsgefangenen durchge- Front die Neiße, konnten diese aber führt. nicht sofort überwinden. Die deut- sche Wehrmacht erwartete eine so- Noch am 17. März 1945 wurde der wjetische Offensive und wollte diese Flughafen bei Cottbus erneut bom- in „Ermüdungsschlachten“ abbrem- bardiert und ab dann überahmen die sen – wie es den eigenen Truppen sowjetischen Flieger die Lufthoheit – vor Moskau erging. Deshalb errich- die Front näherte sich von Osten und tete sie mit Hilfe des Volkssturms stand bereits an der Neiße. Häufig eine tief gestaffelte Verteidigungsli- waren nun sowjetische Jagflugzeuge nie an Oder und Neiße. Diese reichte am Himmel zu sehen. Am 16. April weit ins Hinterland und wurde dort wurde der Bahnhof erneut zwei Mal als „Mathilde Linie“ bezeichnet. Die bombardiert – die letzte sowjetische erste Verteidigungslinie in der Lau- Ein T 34-Panzer überschreitet die Spree am 18. Offensive hatte begonnen.Die Bom- sitz lag an der Neiße, die zweite am April südlich von Cottbus bardierung des Bahnhofs am 15. Fe- Tranitz-Fließ und die dritte folgte in bruar 1945 wird häufig als Ereignis etwa dem Verlauf der Spree. Auf ihrem Weg befreite die Rote Ar- dargestellt, das quasi wie eine Natur- mee in der Lausitz auch zahlreiche katastrophe über Cottbus kam – und Die sogenannte „Berliner Operation“ Häftlinge und Kriegsgefangene, die ohne Grund. Doch Cottbus war Teil – die Überschreitung von Oder und in Kolonnen von der SS nach Westen des Systems des Nazinationalsozi- Neiße mit dem Ziel der Eroberung gebracht werden sollten. Vielerorts alismus und des totalen Krieges. In – wurde durch die Rote Ar- wurden diese Kolonnen von Voraus- Cottbus wurden Kriegsgüter in gro- mee intensiv vorbereitet. So standen truppenteilen der roten Armee über- ßen Mengen produziert: tausende bspw. insgesamt mehr als 7.000.000 rollt, z.B. wurden in der Oberlausitz Panzerkettenfahrzeuge und tausen- Artilleriegeschosse für 22.000 Ge- sowjetische und polnische Kriegsge- de Flugzeuge, darunter auch Bomber. schütze zur Verfügung und an den fangene bei Naußlitz befreit und KZ- Und der Bahnhof wurde immer wich- Hauptstellen des Kampfes waren Häftlinge bei Deutschbaselitz (beides tiger als Verkehrsknotenpunkt zur durchschnittlich 270 Geschütze pro bei Kamenz). Ebenso befreiten pol- herannahenden Front. Kilometer aufgestellt. Die sowjeti- nische Truppen das KZ Wiesengrund schen Truppen hatten ab dem 14. bei Niesky, in dem sich russische, Quellen: April mehrere „gewaltsame Aufklä- polnische, tschechoslowakische und rungsmissionen“ durchgeführt mit belgische Häftlinge befanden. Viele der Informationen und weitere Augen- denen sie die Lage der deutschen zeugenberichte zum Angriff auf den Cottbuser Stellungen erkundeten und den Geg- Die Stimmung in der deutschen Bahnhof gibt es bei: Petzold, Heinz (2005): Als ner zwangen, seine Reserven an den Bevölkerung schwankte zwischen für Cottbus der 2. Weltkrieg endete, Regia-Verlag, Verteidigungslinien einzusetzen. Durchhaltewillen, Resignation und Cottbus (6 Euro). Am 16. April begann der massive An- Selbstmord sowie Erwartung des

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 3 Kriegsendes. Nach dem Beginn der mit der Roten Armee wurden mit bspw. bei Spremberg und Drebkau Offensive der Roten Armee wurde in dem Tode bestraft. Und so überga- folgten jeweils rund 200 Soldaten weiten Teilen der Lausitz der Eva- ben Kommandanten die Stadt nicht, den Aufrufen. Insgesamt versuchten kuierungsbefehl gegeben, was dazu wenn Feldjäger oder SS-Einheiten aber viele deutsche Einheiten ten- führte, dass eine große Anzahl an anwesend waren oder erwartet wur- denziell nach Westen in Richtung Flüchtlingen gen Westen strömte. den – wie bspw. in Lübben. Und auch der amerikanisch besetzten Gebiete Ende April 1945 hatten rund zwei die Familien der Soldaten wurde in zu gelangen. Drittel der Bevölkerung ihre Wohn- Sippenhaft genommen, in einem Be- orte in der Lausitz verlassen. fehl vom 5. März heißt es: „Wer in Auch größere (erfolgreiche) Aktio- Gefangenschaft gerät, ohne verwun- nen des sogenannten Volkssturms Die Behörden und Nazifunktionäre det zu sein oder nachweisbar bis zum oder der Wehrwölfe (deutscher aus- übten sich in Durchhalteparolen, be- äußersten Ende gekämpft zu haben, gebildeter Partisanen) sind in der reiteten häufig aber gleichzeitig ihre hat seine Ehre verwirkt… Seine An- Lausitz nicht bekannt. In der Region Flucht vor oder begingen Selbstmord gehörigen haften für ihn. “ lieferten sich lediglich versprengte bei Eintreffen der sowjetischen Sol- Truppenteile und überrollte Grup- daten. Insgesamt folgten sie einer Trotz alledem wurden Soldaten pen noch kleinere Scharmützel, Politik der „verbrannten Erde“. Im durch Antifaschisten des Komitees bspw. nach der Eroberung von Nies- sogenannten „Nerobefehl“ von Hit- „Freies Deutschland“ immer wieder ky, zogen aber häufig nach wenigen ler hieß es: „Alle militärischen Ver- aufgefordert, sich zu ergeben – und Tagen in Richtung Westen ab. kehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwer- te innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind zur Fortsetzung sei- nes Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören.“ Umzu- setzen war dies durch militärische Kommandobehörden, Gauleiter und Reichsverteidigungskommissare. Für Senftenberg und Großräschen befahl der Gauleiter darauf hin, alle Trinkwasseranlagen und Wasserre- servoirs mit Zyankali zu vergiften, sobald die sowjetischen Truppen einmarschieren würden. Der Mas- senmord an tausenden Einwohnern wurde aber verhindert, weil selbst Nazifunktionäre diesen Befehl nicht ausführen wollten. Auch die Braun- kohlekraftwerke der Region wurden nicht gesprengt, aber die Tagebaue (teilweise unbeabsichtigt) geflutet. Insgesamt wurden zahlreiche Orte trotz Verbotes kampflos übergeben, bspw. wurde in rund 60 Orten der Oberlausitz die weiße Fahne gehisst. Doch solche Vorhaben waren gefähr- lich und so wurde in Peitz noch am Tag der Befreiung ein Antifaschist von SS-Truppen erschossen, weil er die weiße Fahne am Festungsturm angebracht hatte.

In einem ähnlichen Zwiespalt stan- den auch die deutschen Soldaten, die erbitterten Widerstand leisteten und auch leisten mussten. Schon Verhandlungen von Kommandanten

Seite 4 Cottbus befreit! Kampf um Cottbus und Berlin

Während bei Frankfurt/Oder noch starke Kämpfe stattfanden, hatte die Rote Armee bereits am 18. April die Spree zwischen Cottbus und Sprem- berg überschritten. Am selben Tag erteilte Joseph Stalin deshalb den Befehl, dass diese Truppen der 1. Uk- rainischen Armee nach Norden auf Zossen (bei Berlin) abdrehen sollten. Dort befand sich das Hauptquartier des Deutschen Generalsstabs. Die sowjetischen Truppen sollten Berlin am 20. April erreichen und größere Städte bei ihrem Vormarsch meiden, da hier mit starkem Widerstand ge- rechnet wurde.

Der Vormarsch von Süden auf Berlin (westlich von Cottbus) wurde den Die Stadt Cottbus am 21. April. Daraufhin zogen sich sowjetischen Truppen insofern er- die deutschen Truppen, darunter leichtert, weil sich westlich der Spree Die Region um Cottbus hatte nun auch SS-Einheiten, aus dem Vorfeld weder größere organisierte deutsche eine entscheidende strategische Re- der Stadt in Richtung Cottbus zu- Verbände noch ausgebaute Verteidi- levanz: über die Bedeutung als Ver- rück und versuchten den „rettenden gungslinien befanden. Die Situation kehrsknotenpunkt hinaus war sie der Spreewald“ zu erreichen. Die letzten hatte eine solche Dynamik entwi- letzte Eckpfeiler der Verteidigung SS-Panzer verließen die Stadt um ckelt, dass der Wehrmacht für die der Truppen östlich von Berlin nach 22 Uhr nach Norden und Teile des Errichtung von Verteidigungslinien Süden. Größere Einheiten wurde Volkssturms folgten. In derselben keine Zeit blieb. daraufhin in den Raum Cottbus ver- Nacht entließ der Festungskomman- legt, insbesondere in die Dörfer Dis- dant seine verbliebenen Offiziere in Die Wehrmacht zog im Raum Cott- senchen und Merzdorf, nachdem bei die Flucht nach Westen. bus größere Einheiten zusammen, Kahren 2 Panzerangriffe stattfanden. um den Vormarsch der Roten Armee In der Stadt Cottbus selbst, die zur Am Morgen des 22. April begann zumindest aus der Flanke zu behin- „Festung“ erklärt worden war, wur- die Rote Armee von Süden – über dern. Daraufhin wurde der 3. Gar- den aber keine zusätzlichen Einhei- Sachsendorf – in die Stadt einzu- dearmee wiederum befohlen, diese ten stationiert. Und so meldete der marschieren. Gegen 9.00 Uhr hatten Truppenverbände zu zerschlagen. Festungskommandant von Cottbus, die Sowjetsoldaten das Klinikum Generalleutnant Ralf Sodan, schon erreicht. Einzelne Feuergefechte In den Morgenstunden des 20. April am Vormittag des 19. April, dass gab es am Güterbahnhof und dem begannen sowjetische Panzerver- er die Stadt ohne reguläre Truppen Reichsbahnausbesserungswerk und bände auf Vetschau zuzumarschie- nicht verteidigen könne. Ihm stan- fast alle Brücken und Teile des Bahn- ren. Bei Drebkau gab es dabei eine den lediglich 5 schlecht bewaffnete hofes wurden von deutschen Trup- sogenannte Panzerdurchbruchs- Volkssturmbataillone zur Verfügung, pen gesprengt. Lediglich die „Blaue schlacht, bei der mehr als einhundert die überwiegend aus Hitlerjungen Brücke“, das Staatstheater und das gepanzerte Fahrzeuge beider Seiten und alten Männern bestanden. Elektrizitätswerk wurden von An- zerstört wurden. Doch bereits in den tifaschisten gerettet. Bereits gegen Nachmittagsstunden wurde die Stadt Auf sowjetischer Seite wurden zur Mittag fielen in der Stadtmitte keine Vetschau eingenommen. Dort mach- Vorbereitung der Eroberung von Schüsse mehr. te die Rote Armee rund 600 Gefange- Cottbus größere Verbände zusam- ne, von denen sie rund 450 Mitglie- mengezogen, da mit erbittertem Zivilisten, Soldaten und Mitglieder der des Volkssturms sofort wieder Widerstand gerechnet wurde. Dar- des Volkssturms flüchteten über die nach Hause schickte. Am Ende des unter befanden sich auch 10 Flieger- Schmellwitzer Straße nach Norden. Tages stand diese Abteilung kurz divisionen mit insgesamt rund 1.000 Unter den Flüchtenden war auch der vor Lübbenau – damit war Cottbus Flugzeugen. Nach verschiedenen NS-Kreisleiter Willi Andro, der noch von Osten, Süden und Westen einge- schweren Angriffen der Flugzeuge am Vortag zum Endkampf aufrief schlossen. und starkem Artilleriefeuer begann und in der Gegend von Burg das letz- der Angriff auf den „Raum Cottbus“ te Mal gesehen wurde. Der Festungs-

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 5 kommandant Ralf Sodan erschoss Der Kommunist Max Döring (und Konew, dass jedes Haus und jeder Block einzeln sich am 23. April in Drachhausen spätere Bürgermeister) begrüßte die eingenommen werden mussten, insgesamt war (nördlich von Cottbus). Lediglich am Sowjetsoldaten mit einem kleinen der Kampf aber schon nach wenigen Stunden Flughafen und im Norden der Stadt Leninbild in der Hand. Der Oberme- abgeschlossen. Belegt sind verschiedenen Wi- fanden noch einzelne Gefechte statt, dizinalrat Dr. Steinhäuser aus der derstandsnester (mit MG) und Panzersperren wobei es sich meist um Truppen Klinik fasste den Moment so zusam- bspw. auf der Bahnhofsstraße, insbesondere der handelte, die verzweifelt ihren eige- men: „Wir atmeten alle auf. Wenn SS und des Volkssturms. Der Angriff auf die Stadt nen Rückzug nach Norden sichern man den Krieg als Arzt einmal ge- war aber relativ kurz. Nach einer ruhigen Nacht wollten – und doch in die kommende sehen hat, will man wirklich keinen begann der Angriff am 22. April im Morgengrau- Kesselschlacht bei Halbe zogen. Die Krieg mehr.“ en aus Süden – bereits gegen 9.00 Uhr war die Rote Armee eroberte im „Raum Cott- Höhe des Klinikums erreicht und gegen Mittag bus“ rund 100 Panzer sowie 2.000 In der Stadt selbst waren noch rund waren keine Schüsse in der Innenstadt mehr Kraftfahrzeuge und machte 1.700 4.000 Einheimische und 5.000 zu hören. Die Darstellungen von Heinz Petzold Gefangene. Auf beiden Seiten fielen ZwangsarbeiterInnen und Kriegsge- und Jörg Mettke legen nahe, dass sich wesent- 2.500 Soldaten. fangene verblieben. Und zu allererst liche Teile der Wehrmacht und der SS-Truppen, für diese war der 22. April ein Tag der insbesondere die Panzer und die wesentlichen Die Stunde null Befreiung. Offiziere bereits in der Nacht zum 22. April abge- setzt hatten und Teile des Volkssturms einfach nach Hause gingen. Auch wenn in der Stadt Cottbus Anmerkungen: lediglich relativ geringe Kampf- An dieser Stelle soll auch darauf verwiesen wer- handlungen stattfanden, waren die Die Zusammenstellung der Daten her beruht im den, dass es im Zuge der Besetzung der Gebiete Zerstörungen insgesamt doch be- Wesentlichen auf den zahlreichen Darstellungen der Lausitz zu Vergewaltigungen und Plünde- trächtlich. Rund 60% der Industrie- der „Operation Berlin“. Zu beachten ist, dass es rungen durch sowjetische Soldaten kam. Eine anlagen und 60% der Wohnungen leicht abweichende Darstellungen der Situation Aufrechnung der Gräueltaten soll an dieser Stel- waren beschädigt oder zerstört. Die im Raum Cottbus von Marshall Shukow und Mar- le nicht vorgenommen werden und wäre auch deutschen Truppen hatten Brücken schall Konew gibt. Dies kann darauf zurück zu unethisch. Mettke verweist insbesondere darauf, und andere Infrastruktur gesprengt, führen sein, dass beide nach Ende des Kriegs für dass Einheiten der Division „Brandenburg“ z.B. Plünderer setzten zahlreiche Häuser sich die entscheidende Rolle bei der Eroberung am Massaker von Lemberg (Lwiw, Ukraine) teil- in Brand und sowjetische Soldaten Berlins in Anspruch nehmen wollten. Im Groß- genommen hätten und es sich deshalb um Ra- zündeten Häuser an, in denen sie raum Cottbus fanden auch Feuergefechte statt, cheakte gehandelt haben soll. Der Schauspieler Nazisymbole fanden. Eine Feuerwehr zumal hier verschiedene SS-Einheiten kämpf- des Staatstheaters Michael Becker schrieb dazu: gab es nicht und so brannten häufig ten. Für die Stadt selbst sind solche heftigen „Kein sowjetischer Soldat hätte je deutschen auch die benachbarten Häuser aus. Gefechte nicht belegt. Zwar schreibt Marshall Boden betreten, keine Frau wäre jemals von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt wor- den, es hätte keine sowjetischen Internierungs- lager in Buchenwald, in Jamlitz gegeben, wie es auch keine anglo-amerikanischen Bomben auf Dresden und Cottbus gegeben hätte. Nichts von dem wäre passiert, hätten nicht Deutsche Nichtangriffsverträge gebrochen, Menschen versklavt, verschleppt, interniert, hätten nicht Deutsche planmäßig Menschen vernichtet und sogar vergast.“

Quellen:

Mettke, Jörg (1985): 1945: Absturz ins Bodenlo- se. SPIEGEL-Redakteur Jörg R. Mettke über Kapi- tulation und Besatzung (V): Cottbus, DER SPIE- GEL 19/1985, 05.05.1985, S. 152 - 173. Petzold, Heinz (2005): Als für Cottbus der 2. Weltkrieg endete, Regia-Verlag, Cottbus (6 Euro). Pilop, Max (1990): Die Befreiung der Lausitz. Militärhistorischer Abriß der Kämpfe im Jahre 1945, 3. Auflage, Domowina-Verlag, Bautzen Shukow, G.K. (1969): Erinnerungen und Gedan- ken, Bd. 2, Deutscher Militärverlag, Berlin. Die von Wehrmachtseinheiten gesprengte Sandower Brücke

Seite 6 Cottbus befreit! Kettenfahrzeuge für die Front – die Mechanischen Werke Cottbus

Es war ein Zufall, durch den die Cott- die Aufbauten am Fließband gefer- ersetzt. Während des Krieges wurden buser in der DDR auf die Mechani- tigt. Notwendige Werkzeugmaschinen dort französische, polnische, russische schen Werke Cottbus (MWC) wieder wurden ebenso im Werk gebaut, und und italienische Zwangsarbeiter aus- aufmerksam wurden. Bei Bauarbei- bevor die Bauteile auf das Fließband gebeutet. In den Jahren des höchsten ten wurden eingemauerte Akten ei- kamen, wurden sie von einer eigen- Produktionsausstoßes waren ca. 2.000 ner Industrieproduktion in der Stadt ständigen Heeresabteilung geprüft Menschen im Werk beschäftigt, von entdeckt, von der kaum noch etwas und entsprechend der Güte mit einem denen nur noch 30% „Deutsche“ wa- bekannt war. Durch Auswertung der Heeresstempel versehen. ren. Die Zwangsarbeiter kamen aus Akten und durch Befragung der Ein- wohner gelang es aber, Details zu re- konstruieren.

In den Jahren 1937/38 wurden am Merzdorfer Weg die MWC errichtet. Sie waren ein Tochterunternehmen der Phänomen-Werke Zittau und pro- duzierten ab 1938 Kettenfahrzeuge – zuerst getarnt. Nach außen hin sol- len Anlagen zunächst als Fahrradwerk dargestellt worden sein. Ab 1939 be- gann die Produktion offiziell.

Gefertigt wurde ein leichtes und schnelles Halbkettenfahrzeug vom Rückzug deutscher Truppen auf Breslau mit PaK, den umliegenden Lagern, z.B. dem Ar- Typ Demag 7 (D7) in Lizenzproduk- Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-H26408 beitslager am Merzdorfer Weg 16 (Me- tion. Dieses war ein Zugmittel für chanische Werke 1) mit 594 Insassen Artilleriegeschütze wie der 2-cm- Mit einem der Fahrzeuge zeigte sich (davon 233 weiblich) und dem zweiten Flugabwehrkanone 30, dem 7,5-cm 1944 der Reichsleiter der Hitlerjugend Lager der Werke „An den Weinbergen“ leichtes Infanteriegeschütz 18 oder Baldur von Schirach, als er von diesem mit 80 Italienern. der 3,7-cm-Panzerabwehrkanone 36. Fahrzeug eine Ansprache an die Frei- In den Jahren 1944/45 war das Werk Das Fahrzeug sollte ebenfalls dazu willigen der Panzergrenadierdivision mehrmals Ziel alliierter Bombenan- dienen, die Geschützmannschaft zu Großdeutschland auf dem heutigen griffe, doch es wurde stets verfehlt. transportieren, und erreichte eine Ge- Schillerplatz hielt. Ein Foto dieser Noch kurz vor der Befreiung von Cott- schwindigkeit von bis zu 65 km/h. Propagandaveranstaltung findet sich bus am 22. April 1945 wurde das Werk im Cottbuser Anzeiger vom 8. August von SS-Einheiten besetzt, die das Werk 1944. halten sollten – was ihnen allerdings nicht gelang. Das Werk hatte Gleisanschluss an Nach dem Krieg wurde das Werk in die Strecke Cottbus – Frankfurt/Oder die Liste der Betriebe aufgenommen, und bestand aus einem Bürogebäu- die zur Leistung von Reparationszah- de (25x87 Meter), daran angelehnt lungen abgebaut werden sollten. Die ein Kohleheizhaus, vier Montagehal- sowjetischen Besatzungstruppen lie- len (ab 1941 fünf Hallen) und einer ßen das Werk bis auf die Grundmauern Frankreich: Zugmaschine mit FlaK, Quelle: Bun- Waschanlage. Produktionsausstoß soll demontieren. Die Arbeiten dazu wur- desarchiv Bild 101I-055-1572-30 bis in das Jahr 1941 hinein gut 24 Fahr- den 1947 einer Berliner Firma über- zeuge pro Tag betragen haben. Nach tragen. Ehemalige Parteimitglieder Weil das D7 auf den Straßen zu viel Errichtung der fünften Montagehal- der NSDAP, die auf dem Sportplatz an Lärm erzeugte, wurde es in den MWC le soll er sich sogar auf etwa 35 Stück der Peitzer Chaussee interniert waren, zum Typ D7P weiterentwickelt. Diese pro Tag erhöht haben. Für den Ab- durften die Arbeiten tatkräftig unter- Fahrzeuge waren für unwegsames Ge- transport zur Komplettierung standen stützen. lände ebenfalls mit Ketten ausgerüs- täglich Züge bereit. Insgesamt kann tet, hatten eine lenkbare Vorderachse die Gesamtproduktion auf 15.000 bis Quelle: und waren ebenfalls für den Transport 30.000 Fahrzeuge geschätzt werden von Mannschaften und Lafetten kon- (nach unterschiedlichen Quellenan- Ladusch, Wolfgang; Pfeifer, Jens (1997): „Die Me- struiert. In den MWC wurden diese gaben). Anfangs bestand das Personal chanischen Werke in Cottbus (MCW)“ in: Cottbuser Fahrzeuge entwickelt, die Einzelteile gänzlich aus Einheimischen. Später Blätter, Jahrgang 1997, „Baugeschichte, Logenbrüder – außer Motor, Schaltgetriebe, Räder wurden sie nach ihrer Einberufung und Gymnasium“, Regia Verlag, Cottbus, S. 91-94. und Ketten – hergestellt und bis auf durch ausländische Zwangsarbeiter

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 7 Flugplatz und Flugzeugproduktion – die Focke-Wulf-Werke in Cottbus

Cottbus spielte vor dem Zweiten Welt- zur Verfügung. Ab 1942 wurden dann ten Angriff wurden die Produktions- krieg eine große Rolle beim Aufbau das Fernaufklärer, -bomber und Trans- anlagen dagegen zu 50 Prozent und 50 der Luftwaffe und nachdem der Krieg portflugzeug Fw 200C „Condor“- ge 50 Flugzeuge zerstört. Die Produktion entfesselt war, wurde Cottbus zu ei- baut (wahrscheinlich ca. 100) und ab konnte allerdings binnen kurzer Zeit nem Standort des Flugzeugbaus. Auf 1944 das Jagdflugzeug Fw 190 (Anzahl wieder auf 60 Prozent des Anfangsni- dem Gelände des Flughafens entstand unbekannt) und dessen Nachfolgemo- veaus gesteigert werden. ab 1942 eine Fabrik der Focke-Wulf- dell Ta 152 (144 Stück) gefertigt. Die Flugzeugbau GmbH. ausgeführten Arbeiten der Endmon- Das Flugzeugwerk beschäftigte etwa tage reichten vom Zusammenbau der 4.000 Menschen – darunter zahlreiche Bereits im Mai 1933 entstanden ers- Innenflügel und des Rumpfes über die Zwangsarbeiter. In den Jahren 1944/45 te Pläne, den Flughafen militärisch Sattlerei und Malerei bis zur Trieb- umfasste die Belegschaft des Wer- zu nutzen. Nachdem Ende September werksmontage und der sogenannten kes 4.656 Personen, davon waren 643 1933 der zivile Flugverkehr eingestellt Einfliegerei, also dem Test der - Flug Angestellte. Zahlreiche Firmen mit wurde, wurden im nördlichen Teil ers- zeuge. Sitz im Stadtgebiet dienten als Zulie- te Unterkünfte und Wartungshallen ferer von Bauteilen. Im Februar 1945 errichtet. Obwohl Deutschland zu dem wurde die Produktion wegen des na- damaligen Zeitpunkt der Besitz einer hen Frontverlaufs eingestellt, und das Luftwaffe verboten war, begann schon Werk sollte wiederum nach Bremen ab 1934 am Standort die Ausbildung verlagert werden, wurde dort aber nie von Piloten – getarnt als zivile Ver- wieder errichtet. kehrsfliegerschule. Der Flughafen wurde mit dem Heran- Ab 1938 waren verschiedene Einheiten nahen der Roten Armee ab Januar 1945 der Luftwaffe in Cottbus stationiert, zum Frontflugplatz und von verschie- und von November 1939 bis Oktober Montagehalle auf dem Flugplatz in Cottbus mit Fw denen Einheiten genutzt. Teile des 1941 lag das Fluganwärterregiment 200 „Condor“, Foto: privat aus dem Flughafenmu- Schlachtgeschwaders 77 flog von hier 82 am Platz und bildete Piloten aus. In seum aus Einsätze gegen die sowjetischen der Vorbereitungsphase des Überfalls Truppen. Das unterirdische Tanklager auf die Sowjetunion diente der Flug- Die Fw 200 „Condor“ wurde durch des Flugplatzes wurde am 21. April platz als Zwischenstation verschiede- Churchill auch als „Geißel des Atlan- 1945 gesprengt. Während der Befrei- ner Sturzkampfbomber-Einheiten. tik“ bezeichnet, denn das Flugzeug ung von Cottbus am 22. April gab es hatte eine relativ große Reichwei- insbesondere am Flughafen verstärkt Im Jahr 1941 erhielt die Focke-Wulf- te. Leichte Bomber vom Typ “Con- Feuergefechte, die von Nachmittag Flugzeugbau GmbH den Befehl des dor“ konnten so Schiffe im Atlantik bis Abend andauerten. Nach Ende des Reichsluftfahrtministeriums (RLM), überraschend angreifen. Als schwerer Krieges wurden auf dem Flughafen die Flugzeugproduktion zu dezentra- Bomber war das Flugzeug konstruk- alle deutschen Maschinen der Region lisieren und nach Osten zu verlegen. tionsbedingt aber ungeeignet, denn gesammelt und verschrottet. Bremen war der ursprüngliche Fir- die hohe Reichweite basierte gerade menstandort, doch die Stadt war seit auf der relativ leichten Konstruktion. 1940 Ziel alliierter Bombenangriffe Das Flugzeug wurde häufig als Trans- und der Flugzeugbau dort war deshalb portflugzeug eingesetzt, bspw. wurden akut bedroht. neun der Maschinen bei Stalingrad ab- geschossen. Darüber hinaus waren die Maschinen dieses Typs die Standard- flugzeuge der Führung des 3. Reiches, u.a. für Adolf Hitler. Insgesamt wurden 263 dieser Flugzeuge gebaut und mili- FW 200 abgeschossen im Atlantik tärisch genutzt. Anmerkungen Auf Befehl des RLM vom 15. Oktober 1942 verlegte auch die Luftfahrtin- Die hier zusammengetragenen Angaben stammen dustrieberufsschule, Abteilung Focke- aus online-Quellen, dem Stadtarchiv und Angaben Focke-Wulf Fw 190 – mit rund 20.000 Stück eines Wulf, aus Gründen der „Luftgefahr“ des Flughafenmuseums. Eine umfassende Doku- das meistgebaute Jagdflugzeug der Luftwaffe ihre Ausbildungsstätten nach Cottbus. mentation über den Flughafen und insbesondere Am 11. April sowie am 25. April 1944 die Focke-Wulf-Werke in Cottbus existiert (noch) Einer der neuen Standorte war Cott- wurde das Werk Ziel US-amerikani- nicht. Darüber hinaus: bus. Das RLM stellte für die Produk- scher Luftangriffe. Beim ersten Angriff Thiel, Reinhold (2011): „Focke-Wulf Flugzeugbau“, tion den Fliegerhorst und die Hallen wurde es kaum beschädigt, beim zwei- Verlag H.M. Hausschild GmbH, Bremen, S. 300 ff.

Seite 8 Cottbus befreit! Die Täter

Heinz Reinefarth – der „Henker von teiligt war und Großteils aus rehabili- Kommandos wurden nach Beendigung Warschau“ tierten Verbrechern bestand. Was nun der Arbeiten etwa Mitte September geschah, wurde später das „Massaker 1944 weitgehend liquidiert. Heinz Reinefarth wurde 1903 in Gne- von Wola“ genannt. sen (Gniezno, 50 km östlich von Po- Nach der Kapitulation der Wehrmacht sen) geboren. Er studierte Rechts- Am ersten Tag rückten die Dirlewan- war Reinefarth in britischer Kriegsge- wissenschaft in Jena und war nach ger-Einheiten rund 2 Kilometer in fangenschaft, entging aber einem Pro- der Promotion als Richter tätig. 1932 Warschau vor, verloren dabei 6 Sol- zess wegen der Verbrechen seiner Ein- wurde er Mitglied der NSDAP und der daten und töten 60 Kämpfer der pol- heiten. Von Dezember 1951 bis 1964 SS. Zwischen 1932 und 1939 war er als nischen Heimatarmee. Daraufhin war er Bürgermeister der Stadt Wes- Rechtsanwalt und Notar in Cottbus trieben die SS-Mannschaften auf ei- terland auf der Nordseeinsel Sylt und tätig. Seine Kanzlei befand sich in der nem Kilometer Straßenlänge alle Zi- wurde 1958 für den Gesamtdeutscher Berliner Straße 124. Er war zugleich vilisten auf die Straße und erschossen Block/Bund der Heimatvertriebenen Vorsitzender des NSDAP-Rechtswahr- sie teilweise sofort – mehr als 10.000 und Entrechteten in den Schleswig- erbundes in Cottbus mit Sitz Berliner Zivilisten wurden an diesem ersten Holsteiner Landtag gewählt. Nach sei- Str. 158. Tag ermordet. Außerdem drangen nem durch Ermittlungen der Staats- Dirlewangers Männer in zwei Kran- anwaltschaft wegen Kriegsverbrechen Mit Kriegsbeginn wurde Reinefarth kenhäuser ein und ermordeten rund erzwungenen Rückzug aus der Politik eingezogen und während des West- 1.100 Kranke und deren Pflegeperso- war Reinefarth ab 1967 beruflich als feldzuges gegen Frankreich wurde ihm nal. Weitere Verbrechen wurden durch Rechtsanwalt in Westerland tätig. Die als Zugführer das Ritterkreuz des Ei- eine (auf deutscher Seite kämpfende) Ermittlungen gegen ihn wurden ohne sernen Kreuzes verliehen. Mitte 1942 russische Brigade unternommen, dazu Anklage eingestellt. Reinefarth starb wurde er aufgrund schwerer, an der gehörten Plünderungen, Vergewalti- am 7. Mai 1979 auf Sylt. Ostfront erlittener Erfrierungen wehr- gungen, Folter, Mord an Zivilisten – dienstuntauglich. Im April 1944 wurde ebenfalls in Krankenhäusern. Wilhelm Kube – korrupter, schwan- er zum Höheren SS- und Polizeiführer kender Holocaust-Täter Warthe berufen. Richard Paul Wilhelm Kube, Jahrgang Am 1. August 1944 brach der Aufstand 1887, war von 1928 bis 1936 Gauleiter im besetzten Warschau aus. Hitler be- der NSDAP in Brandenburg, genannt auftragte die SS mit der Niederschla- auch der „Preußenführer“. Der Gaulei- gung und Reinefahrt wurde eine ei- ter initiierte 1932 unter anderem die gene Kampfgruppe unterstellt. Seinen „Glaubensbewegung Deutsche Chris- späteren Kommandeur informierte er ten“. Die Glaubensbewegung erklärte über die Befehle Himmlers: „Das erste, in ihren Programmen, dass die Ver- was er mir sagte, war, daß man keine wirklichung der NS-Weltanschauung Gefangenen nehmen dürfe und jeden Zivilisten als Opfer des Wola-Massakers im 3. Reich Gottes Schöpferwille, die Einwohner Warschaus totschlagen Rassenpolitik Gottes Gebot und als sollte. Ich fragte: Frauen und Kinder Reinefarth beschwerte sich unterdes- wahre Obrigkeit ein autoritärer Staat auch? Worauf er antwortete: Ja, Frau- sen bei seinem Vorgesetzten, dass die gewollt sei. en und Kinder auch.“ ihm zugeteilte Munition nicht aus- reiche, um alle gefangenen Zivilisten zu erschießen. Aufgrund der höhe- ren Verluste am nächsten Tag setzten Reinefarths Einheiten zunehmend gefangene Zivilisten als menschliche Schutzschilde ein. Am Tag darauf ge- wannen die deutschen Einheiten die Oberhand im Stadtteil Wola.

Die Zahl der in diesen drei Tagen er- Reinefarth in Warschau mit russischen Hilfstruppn mordeten polnischen Zivilisten wird Wilhelm Kube, Foto: Bundesarchiv Bild F051633- auf etwa 30.000 geschätzt. Aus ver- 0017 Der „Kampfgruppe Reinefarth“ ge- hafteten Polen wurde ein zwangsre- hörten im wesentlichen Einheiten der krutiertes Verbrennungskommando Kube war überzeugter Antisemit und Ordnungspolizei und die berüchtigte gebildet, dass die zu Leichenbergen schrieb 1934: „Der Pestträger muss SS-Sondereinheit Dirlewanger an, die gestapelten Ermordeten verbrennen ausgemerzt werden.“ In Cottbus an zahlreichen Kriegsverbrechen be- musste – rund 100 Mitglieder des sprach Kube im selben Jahr auf einer

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 9 Tagung aller Kreispropagandaleiter mit Adolf Hitler noch Ehrenbürger und Bäche verschwinden und durch der Kurmark über den “menschenlee- der Städte war. Die Ehrenbürgerschaft rein deutsche Namen und Bezeich- ren Raum im Osten”, der gefüllt wer- wurden daraufhin durch die Stadtver- nungen ersetzt werden“ Daraufhin den müsse. 1936 wurde Kube wegen ordnetenversammlungen entzogen. wurde bspw. der Ort Rogosna in Rogo- seiner Korruptheit aller staatlichen sen umbenannt. und Parteiämter enthoben und nach mehreren Zwischenstationen wurde Ab dem Jahr 1943 setzte er sich per- er 1940 Aufseher und SS-Rottenführer sönlich auch für die Einrichtung des im KZ Dachau. SS-Truppenübungsplatzes in der Lie- beroser Heide bei Jamlitz ein. Dort Auch wenn Kube innerhalb des Reiches wurde eine Außenstelle des KZ Sach- politisch nicht mehr tragbar schien, senhausen errichtet und insgesamt war dies außerhalb der Reichsgren- rund 11.000 Häftlinge sollen beim zen möglich – am 17. Juli 1941 wur- Bau eingesetzt worden sein. Darunter de er zum Generalkommissar für den befanden sich auch rund 4.000 Häft- Generalbezirk Weißruthenien (Weiß- linge aus Auschwitz Birkenau, die ab russland) ernannt. Hier lobte er 1943 Sommer 1944 zur „Vernichtung“ nach einen Untergebenen, dass es diesem Auschwitz gebracht wurden. Es gibt gelungen sei, „allein in den letzten 10 Hinweise darauf, dass der Kranken- Wochen 55.000 Juden zu liquidieren. stand und die Sterblichkeit in keinem Im Gebiet Minsk-Land ist das Juden- Außenlager des KZ Sachsenhausen so tum völlig ausgemerzt...“ Er kritisierte hoch waren, wie im „Arbeitslager Lie- die brutalen Methoden teilweise aber berose“. auch immer wieder als „eines deut- schen Menschen und eines Deutsch- Emil Stütz arbeitete bis auch in den lands Kants und Goethes unwürdig.“ letzten Kriegstagen am „Endsieg“, Wilhelm Kube schien selbst vor den so nahm er im Oktober 1944 den Ap- Konsequenzen seines Antisemitismus Die weißrussische Partisanin Jelena Grigorievna pell von Hitlerjungen anlässlich der zurückzuschrecken, denn „Schädlin- Masanik Meldung von Freiwilligen im Hof des ge“ müssten auch ausgemerzt werden Stadtschlosses ab. Als Gaulei- – kritisierte aber selbst das Vorgehen Emil Stürtz ter war er in der Endphase des Krieges insbesondere gegen „deutsche“ Juden. u.a. auch für den Volkssturm in Bran- So schrieb Kube 1941: „Ich bin gewiss Emil Stürtz war denburg zuständig. Er gilt seit dem 21. hart und bereit, die Judenfrage mit von 1930 bis April 1945 in Berlin als vermisst. lösen zu helfen, aber Menschen, die 1938 Mitglied aus unserem Kulturkreis kommen, des Reichtages Henricius Haltenhoff – Oberbürger- sind doch etwas anderes, als die bo- für die NSDAP meister von Cottbus denständigen, vertierten Horden.“ Bei und wurde am 7. russischen Juden hatte er also weniger August 1936 als Durch Verhaftungswellen und das Ver- Probleme und blieb insgesamt in den Nachfolger von bot der Parteien von KPD und SPD im Holocaust verwickelt. Er erhob keinen Wilhelm Kube Jahr 1933 wurden auch die ordentlich Einspruch gegen die Tötung arbeitsun- zum Leiter des Gaues Kurmark er- gewählten Stadtverordneten der Par- fähiger deutscher Juden, führte einer nannt. Dem folgte 1937 die Ernennung teien entfernt. Der Oberbürgermeister Delegation italienischer Faschisten zum Oberpräsidenten der Provinz Dr. Kreutz wurde beurlaubt und Bür- eine Gaskammer vor und bereicherte Brandenburg und am 1. September germeister Dr. Varnhagen zur vorzeiti- sich persönlich an jüdischem Besitz. 1939 wurde er zum Reichsverteidi- gen Pensionierung gezwungen. Am 28. gungskommissar (RVK) für den Wehr- März 1933 wurde Dr. Henricus Halten- Am 22. September 1943 wurde Kube kreis III ernannt, der im Wesentlichen hoff, seit 1926 Bürgermeister in Frank- in Minsk getötet. Die weißrussische das heutige Brandenburg umfasste. furt/Oder, „getragen vom Vertrauen Partisanin Jelena Grigorievna Masanik der Regierung und der nationalen Re- hatte, als Dienstmädchen verkleidet, 1937 instruierte Gauleiter Emil Stürtz volution“ (Cottbuser Anzeiger 29.3.33) eine Bombe mit Zeitzünder unter dem die ihm nachgeordneten Instanzen kommissarisch als Oberbürgermeister Bett versteckt. Aus Rache tötete die SS darüber, dass „es aus nationalpoliti- nach Cottbus beordert. Am 1. April in Minsk 1.000 männliche Zivilisten. schen Gründen dringend erwünscht 1933, dem Tag des Boykotts jüdischer ist, dass soweit irgendwie vertretbar, Geschäfte, trat er in die NSDAP ein. Es war rechtlich unklar, ob Wilhelm bestehende slawische (polnische und Kube auch in den Jahren 2009 (Forst) wendische) Namen und Bezeichnun- Auf Grund zweier Dringlichkeitsan- und 2014 (Spremberg) gemeinsam gen für Ortschaften, Ortsteile, Flüsse träge des NSDAP-Kreisleiters Gustav

Seite 10 Cottbus befreit! Konrad wählen die Stadtverordneten die Zurückdrängung des Einflusses bus an der Höheren Fachschule für am 14. Juli 1933 Dr. Haltenhoff auf der Arbeiterbewegung in einem künf- Textilindustrie die Kunstfaser Zellwol- 12 Jahre zum Oberbürgermeister. In tigen autoritären Staat. le entwickeln und gewann die mittel- die Amtszeit von OB Dr. Haltenhoff ständische Industrie als Abnehmer fallen die Verhaftung von Sozialdemo- des neuen Rohstoffs. Er setzte den Bau kraten, Gewerkschaftern und Kommu- von 4 neuen Werken auf der grünen nisten, die Verfolgung von jüdischen Wiese durch und schuf damit in struk- Geschäftsinhabern, die Einstellung turschwachen Regionen die politisch der zivilen Luftfahrt in Cottbus zu- dringend gewünschten Arbeitsplätze, gunsten der Umrüstung zum Luftwaf- bis diese wenig später zu Orten der fenflugplatz, der Bau der Reichsbank Ausplünderung von Kolonnen auslän- 1933 und Sparkasse, der Abriss eines discher Zwangsarbeiter wurden. Häuserkarrees mit dem Geburtshaus Carl Blechens zugunsten des Rathaus- 1938 übernahm er die Textilabteilung neubaus und die Rekonstruktion der im Reichswirtschaftsministerium, ab Stadtmauer durch die Deutsche Ar- November 1943 leitete er das Roh- beitsfront. Im Oktober 1937 wechselte stoffamt im Reichswirtschaftsminis- er als OB nach Hannover, wurde 1938 terium, später wurde er Präsident des SA-Standartenführer. Dort war Hal- Rüstungsamtes beim Generalbevoll- tenhoff maßgeblich beteiligt an der mächtigten für Rüstungsaufgaben Aneignung jüdischen Grundbesitzes Albert Speer. Nach Kriegsbeginn war und von Wert- und Kunstgegenstän- er verantwortlich für die Nutzung der den. Diese wurden dem Hannover- Rohstoffe in den besetzten Gebieten schen Ratssilber zugeordnet, mit neu- und an verbrecherischen Vermögen- en Besitzmonogrammen versehen Hans Kehrl, Foto: Bundesarchiv Bild stransaktionen im Rahmen der Um- und an Nazigrößen verschenkt. Beim 183-1998-0525-500 siedlungspolitik beteiligt. Ab 30. Ja- Entnazifizierungsverfahren am 14. nuar 1944 wurde er SS-Brigadeführer August 1949 wurde er in die Gruppe Während sich andere Unternehmer beim Stab des SS-Hauptamtes. IV (Mitläufer) eingestuft. Von 1954-55 auf die Förderung und Unterstützung war er Abgeordneter des Niedersächsi- beschränkten, verschrieb sich Kehrl In der letzten Kriegsphase war er qua- schen Landtages. dem Nationalsozialismus „mit Haut si der „Generalstabschef“ Speers und und Haar“. Er erklärte am 1. Mai 1933 der eigentliche Organisator der deut- offiziell seinen Beitritt zur NSDAP, als schen Kriegswirtschaft und Rüstung. Hans Kehrl, IHK und Organisator die Machtübernahme als gesichert Nach einem „Endsieg“ wäre er wohl der deutschen Kriegswirtschaft anzusehen war, weiterhin zum NS- Wirtschaftsminister eines „Großger- DAP-Kraftfahrerkorps, zur Deutschen manischen Reiches“ geworden. Als Hans Kehrl wurde 1900 als Sohn des Arbeitsfront, zum NS-Volkswohlbund Unternehmer war er in höchste staat- Cottbuser Tuchmachers Rudolf Kehrl und Reichsluftschutzbund. liche Machtposition des Naziregimes geboren – die Tuchfabriken befan- gelangt und wurde im Nürnberger den sich in der Parzellenstr. 10 und In Cottbus boten sich ihm günstige Kriegsverbrecherprozeß verurteilt. Pücklerstr. 55 (heute Franz-Mehring- Voraussetzungen für den Start einer Str.55). Er wurde zunächst familiäres politischen Karriere, wegen des Feh- 1951 wurde er aus der Haft entlassen durch ein bürgerlich-liberales Milieu lens erstarrter politischer Strukturen – ein Wiederaufstieg im westdeut- geprägt und musste durch den Tod des und mächtiger Industriebosse in der schen Wirtschaftswunder blieb ihm Vaters bereits 1926 die Firma überneh- mittelständisch geprägten Industrie- verwehrt. men. Durch die Weltwirtschaftskrise region. Auf Veranlassung der NSDAP verlor er das Vertrauen in das Krisen- wurde er 1933 zum Industrie und Han- (SA) management der Präsidialregierung delskammer-Präsidenten berufen und und wandte sich den Nationalsozialis- verdrängte seinen jüdischen Vorgän- Wie alle anderen Organisationen der ten zu. Zu dieser Zeit mühte sich Hitler ger. Bereits 1933 wurde er von Gau- NSDAP war auch die die paramilitäri- um Zustimmung in den bürgerlichen leiter Kube zu seinem Gauwirtschafts- sche Kampforganisation der NSDAP, Kreisen, bekannte sich im Düssel- berater mit weitgehend freier Hand die Sturmabteilung (SA) in Cottbus dorfer Industrie-Club zur Privatwirt- ernannt. 1935/ 36 wurde er engster vertreten. Sie ging – insbesondere schaft, versprach in seinem alternati- Mitarbeiter von Wilhelm Keppler, dem nach der Machtübernahme – hart ge- ven Wirtschaftsprogramm staatliche Wirtschaftsbeauftragten Hitlers. gen politische Gegner vor und verhaf- Konjunkturmaßnahmen und aktive tete und folterte diese. Ebenso wurde Arbeitsmarktpolitik, die Schaffung ei- Um Rohstoffmangel in der Textilin- die Reichspogromnacht durch die SA ner autarken Großraumwirtschaft und dustrie auszuweichen ließ er in Cott- in Cottbus durchgeführt.

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 11 „Unternehmen Cottbus“ – ein Kriegsverbrechen

Über ein Vorkommnis berichtet im Zu Zeiten des Dritten Reiches muss- Zivilisten sterben, als sie von den SS- „Cottbuser Anzeiger“ am 28. Janu- te die Stadt Cottbus als Namensgeber Kommandos über Minenfelder getrie- ar 1933: „Von der SS-Veranstaltung für eine Aktion gegen weißrussische ben werden – Minensuchgerät wurde „Appell der alten Garde“ im Lokal Partisanen herhalten. „Unternehmen dies genannt. Das reichte Dirlewanger „Neu Helgoland“ grölten angetrunken Cottbus“ nannte sich das, was sich von offenbar nicht, denn der einstige Wirt- heimgehende 30 -35 SS-Leute in der 20. Mai 1943 bis 30. Mai 1943 hinein schaftsprüfer Dirlewanger meldete al- Dresdner Str. „Deutschland erwache“. zugetragen hat. Die deutschen Okku- lein 14.000 Tote für die blutige Bilanz Ihnen begegnende Gewerkschafter panten versuchten dabei ein Gebiet ca. von „Unternehmen Cottbus“ beigetra- riefen von der anderen Straßenseite 140 Kilometer nördlich von Minsk von gen zu haben. „Freiheit“, worauf sie durch SS-Leute Partisanen zu säubern – in einem Ge- in eine Prügelei mit schweren Kopfver- biet, wo Wilhelm Kube (Ex-Gauleiter Letztendlich kam der SS-Offizier im letzungen verwickelt wurden. Der Ge- Brandenburg) Generalkommissar war. Juni 1945 in französischer Kriegs- werkschaftssekretär Brähmig erlitt ei- gefangenschaft ums Leben. Ehema- nen lebensgefährlichen Lungenstich.“ Am 31. Juli 1942 erließ der SS- Reichs- lige polnische Zwangsarbeiter sol- führer Heinrich Himmler einen Son- len ihn zuvor schwer misshandelt Am 1. April 1933 setzte die SA den Boy- derbefehl, wonach, aus „psychologi- haben. Noch ein Jahr davor war Dir- kott gegen jüdische Geschäfte durch schen Gründen“ das Wort „Partisan“ lewangers Soldateska an der Ermor- und ließ Kunden und „arische“ Ange- nicht mehr zu gebrauchen sei. So dung tausender Zivilisten bei der stellte nicht in die Geschäfte. An den wurden Partisanen zu Banditen und Niederschlagung des Aufstandes Schaufenstern der jüdischen Geschäf- zu kriminellen Verbrechern. Somit im Warschauer Ghetto beteiligt. te klebten leuchtend-gelbe Plakate mit begannen faschistisches Heer und schwarzer Aufschrift „Wer beim Juden Luftwaffe, gemeinsam mit Einheiten Zurück zum „Unternehmen Cottbus“ kauft, ist ein Verräter am deutschen von SS und Polizei mit ihrem „Un- selbst: Danach waren in Weißrußland Volk“ und das so dicht, dass die Ware ternehmen Cottbus“. Bei der „Ban- ganze Landstriche entvölkert. Soge- nicht mehr sichtbar war. Die Plakate denbekämpfung“ zeichneten sich nannte „tote Zonen“ blieben zurück. klebten auch an Häuserwänden, wo insbesondere SS-Einheiten durch ein Menschen wurden in Scheunen getrie- man glaubte, dass dort jüdische Bürger radikalisiertes Vorgehen aus. Eine die- ben und lebendig verbrannt. 113 Ort- wohnten. ser SS-Truppen war das Sonderbatail- schaften wurden zerstört. lon von Oskar Dirlewanger. Von ihnen Ende Juni bis Ende Juli 1933 setzte berichtete sein Mittäter in der Sache eine große Verhaftungswelle in Cott- „Unternehmen Cottbus“, SS-Brigade- bus und den Nachbarorten ein. Die führer Curt von Gottberg in seinem Verhafteten wurden zunächst in die Einsatzbericht u.a.: „[…] Wenn bei SA-Kaserne am Ostrower Damm ge- 4.500 Feindtoten nur 492 Gewehre er- bracht. Sie wurden dort mit Stock- beutet wurden, dann zeigt dieser Un- schlägen und Stiefeltritten traktiert, terschied, dass sich auch unter diesen um Geständnisse zu erpressen. (Zwei Feindtoten zahlreiche Bauern des Lan- der Schläger, ein SS-Mann und ein des befinden. Besonders das Bataillon Quellen: SA-Angehöriger, konnten 1945 gefasst Dirlewanger ist dafür bekannt, dass es Bei den Biografien handelt es sich im Wesentli- werden und wurden zu hohen Gefäng- zahlreiche Menschenleben vernichtet. chen um Zusammenstellungen aus verschiedenen nisstrafen verurteilt) Unter den 5.000 Bandenverdächtigen, online-Quellen, darunter (belegte) Wikipedia–Ar- die erschossen wurden, befinden sich tikel und diverse digitalisierte Veröffentlichungen, Die SA-Sturmabteilungen befanden zahlreiche Frauen und Kinder. […]“. bspw. die „Vierteljahreshefte zur Zeitgeschichte“ (für sich in Cottbus: Gerichtsplatz 3, Müh- Kube: www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1956_1. lenstraße 46, Lieberoser Straße 26, Zudem haben die Nazis mit Dirle- pdf), der Teil des „Unternehmens Cottbus“ stammt Thiemstraße 140 und Amalienstraße wanger tatsächlich jemanden mit von René Lindenau. Darüber hinaus wurde u.a. fol- 10. Die Geschäftsstelle der SS-Stan- einer kriminellen Vergangenheit in gende Literatur verwendet: darte 27, III. Sturmbann (Ehrenführer den Krieg geschickt. Sein Vorstrafen- Weiß, Hermann (Hrsg.): Biographisches Lexikon Wilhelm Kube), war in der Vetschauer register wies Einträge über Landfrie- zum Dritten Reich, Frankfurt am Main, 1998 Str. 7-8. densbruch und über die Verführung Müller, Rolf-Dieter: Hans Kehrl - Ein Parteibuch- einer Minderjährigen aus, seinen Industrieller im „Dritten Reich“?, in: Jahrbuch für Doktortitel verlor er dadurch auch. Wirtschaftsgeschichte 1999/2, Akademie Verlag, Berlin 1999 Offiziellen Zählungen zufolge - sol len im „Unternehmen Cottbus“ 9.796 Menschen ermordet worden sein, 6.053 Einwohner wurden zur Zwangs- arbeit verschleppt und 2.000-3.000

Seite 12 Cottbus befreit! Inhaftiert im Frauenzuchthaus Cottbus: Frauen im Widerstand von Hertha Venter

Der 70. Jahrestag der Befreiung ist Durch Erlass des Generalstaatsanwal- Verurteilten wurden nach Waldheim auch Anlass der Frauen zu gedenken, tes beim Kammergericht Berlin vom oder Bayreuth verlegt. die im Dritten Reich Widerstand ge- 13. Januar 1939 wurde das Frauenge- gen den Nationalsozialismus leiste- fängnis Cottbus in der Bautzner Stra- Drei Frauen, die als Widerstands- ten und im Frauenzuchthaus Cott- ße in ein Frauenzuchthaus umgewan- kämpferinnen selbständig handelten bus inhaftiert waren. Zwar wurde delt. Eine Hauptbestimmung war die und denen zu Recht ein Ehrenplatz häufig von „Männern und Frauen im strenge Isolierung politischer Gefan- in der Geschichte des deutschen Wi- Widerstand“ gesprochen, dennoch gener von der Außenwelt. Es betraf derstandes gebührt, waren im Frau- wurden Frauen lange Zeit nicht als Frauen und Mädchen aus Deutsch- enzuchthaus Cottbus inhaftiert und Widerstandskämpferinnen wahrge- land und mehreren europäischen sollen hier – stellvertretend – vorge- nommen. Aktives politisches Handeln Ländern. stellt werden. wurde mit Männlichkeit gleichgesetzt und Frauen waren somit nur Helferin- Ab 1942 war das Frauenzuchthaus nen der Männer und nicht selbststän- ein Durchgangslager für Frauen aus dig Handelnde. Frankreich, Belgien, Holland, Norwe- gen und Dänemark, die Widerstand Neuere Forschungen haben ergeben: gegen die Nazis und die Besetzung ih- Im Dritten Reich widersetzten sich rer Länder geleistet haben. Durch den Frauen aus allen sozialen, kulturel- sogenannte Nacht-und Nebel-Erlass len und politischen Schichten dem wurden sie von Wehrmachtsangehö- Führungsanspruch der Nazis. Zuerst rigen gefangen genommen und nach waren es politisch organisierte Frau- Deutschland deportiert. Im Novem- en aus der Arbeiterbewegung, die sich ber 1942 waren im Frauenzuchthaus gegen das faschistische Regime wehr- Cottbus 693 Frauen inhaftiert. ten. Christinnen gehörten dazu und Frauen, die aus ihrer humanistischen Deutsche Konzerne industrialisier- Überzeugung heraus die Herrschaft ten die Zuchthausarbeit. Zunächst der Unmenschlichkeit bekämpften. konzentrierte sich die Produktion auf Mit der Ausweitung von Terror, Ver- die Aufarbeitung von Häftlings- und folgung und Mord erfasste der Wider- Wehrmachtskleidung. Später wurden stand weitere Teile der Bevölkerung. Produktionsabteilungen geschaffen Frauen beteiligten sich an allen Akti- zur Herstellung von Matratzen und Johanna Kirchner, geb. Strunz (* 24. onen des Widerstandes. Diese Frauen Gasmaskenfiltern. April 1889 in Frankfurt am Main; † 9. hatten nicht die Möglichkeit das Re- Juni 1944 in Berlin-Plötzensee ) war gime zu stürzen, den Krieg zu verhin- Im letzten Kriegsjahr, vor der na- eine deutsche Widerstandskämpferin dern oder zu beenden, dennoch sahen henden Front, wurden politische Ge- in der Résistance. die Nationalsozialisten in ihnen eine fangene aus dem Frauenzuchthaus ernsthafte Bedrohung der „Volksge- verlegt: z.B. polnische politische Johanna Kirchner kam aus einer so- meinschaft“. Deshalb wurden Frauen Gefangene in das Vernichtungslager zialdemokratischen Familie. Mit ebenso wie männliche Widerstands- Auschwitz und rund 200 westeuro- 14 Jahren schloss sie sich der Sozia- kämpfer verfolgt, inhaftiert und er- päische Gefangene in das KZ Ravens- listischen Arbeiter-Jugend an und mit mordet. brück. 18 trat sie in die SPD ein. Sie war in Frankfurt am Main befreundet mit Am 21. März 1933 wurden reichsweit Am 15. Februar 1945 wurde Cottbus Eleonore (Lore) Wolf, die einen ähn- Sondergerichte eingeführt. Diese bombardiert. Das Frauenzuchthaus lichen Lebensweg nahm. Sondergerichte waren Gerichte au- wurde getroffen, vermutlich sind da- ßerhalb der ordentlichen Gerichts- bei rund 100 Frauen aus dem Gefäng- Kurz nach der Geburt ihrer Tochter barkeit. Bekannt wurden sie vor allem nis ums Leben gekommen. Es wird Lotte heiratete sie 1913 den Sozial- als Teil der NS-Justizverbrechen, wo davon ausgegangen, dass zu diesem demokraten Karl Kirchner. Während sie durch die massenhafte Verhän- Zeitpunkt 1.100 Gefangene im Frau- des Ersten Weltkriegs engagierte sich gung von Todesstrafen bzw. langjäh- enzuchthaus inhaftiert waren. Nach die Mutter von zwei Töchtern in der rigen Zuchthausstrafen oder Inhaftie- der teilweisen Zerstörung des Zucht- kommunalen Wohlfahrtspflege und rung in Konzentrationslagern wegen hauses wurden etwa 250 Gefangene, danach beim Aufbau der 1919 ge- meist geringfügiger Delikte hervor- die nur noch kurze Strafreste abzu- gründeten Arbeiterwohlfahrt. traten. Fast 10.000 Menschen ließ das sitzen hatten, freigelassen und 200 NS-Regime wegen geringer Delikte Häftlinge in Außenarbeitsstellen un- 1933 musste die engagierte Antifa- hinrichten - mit Hilfe willfähriger Ju- tergebracht. schistin untertauchen, da der Gestapo risten an Sondergerichten. Die zu langjährigen Zuchthausstrafen ihre Mithilfe bei der Befreiung eines

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 13 Nazigegners bekannt wurde und sie sowie Mitglied der Bezirksleitung im 1933 erschien ein „Führer durch die verhaftet werden sollte. Sie flüchtete Ruhrgebiet, ab 1930 war sie dann auch Ausstellung Entartete Kunst“, in der nach Saarbrücken, das damals noch Mitglied der Bezirksleitung Erfurt. Maler wie Paul Klee, Emil Nolde, Otto französisch besetzt war. Dort leite- Wegen illegaler Tätigkeiten in Dort- Dix geächtet wurden. Die Ausstellung te sie das Saarflüchtlingskomitee, mund/Ruhrgebiet während des Jah- sollte den „Kunstbolschewismus“ be- schrieb Pläne und Berichte für den res 1933 erfolgte ihre Verhaftung am enden. Erna Stahl antwortete darauf, SPD-Exilvorstand und produzierte 26. August 1934. Im Jahr 1935 wurde indem sie den Schülern auch die Bil- und verbreitete illegale Flugblätter. sie im anschließenden Prozess zu 15 der der Expressionisten, den „Blau- Nachdem 1935 das Saargebiet an Hit- Jahren Zuchthaus wegen Vorberei- en Reiter“ und die „Brücke“ nahe lerdeutschland angeschlossen wor- tung zum Hochverrat verurteilt. Von brachte. Als sie Ostern 1935 gar eine den war, floh Johanna Kirchner weiter 1939 bis 1944 war Johanna Melzer im Klassenreise nach Berlin organisierte, nach Forbach, Metz und schließlich Frauenzuchthaus Cottbus inhaftiert um den Schülern die Originale in den Paris. Auch von hier aus unterstützte und bekam den Namen „Eiserne Jo- dortigen Museen zeigen zu können, sie den Widerstand in Deutschland. hanna“, da sie beharrlich schwieg und musste sie die Lichtwark-Schule ver- keine belastenden Aussagen machte, lassen. Obwohl Johanna Kirchner der SPD an- obwohl sie Wochen in Handfesseln 1943 wurde Erna Stahl zum ersten Mal gehörte und ihre langjährige Freundin gehalten wurde. verhaftet, 1944 zum zweiten Mal und Lore Wolf illegale Arbeit für die KPD ins Gefängnis Hamburg Fuhlsbüttel leistete, arbeiteten sie im Saargebiet Nach ihrer Befreiung durch die Alli- verbracht und weiter in das Frauen- eng zusammen als sie die Emigration ierten kehrte sie nach Dortmund zu- zuchthaus Cottbus transportiert, wo vieler Funktionsträger der Arbeiter- rück und wurde dort Mitglied der Be- der Volksgerichtshof tagen sollte. bewegung aus dem Reich organisier- zirksleitung der KPD Ruhr. Von 1947 Vor der herannahenden Roten Armee ten. Damit verwirklichten sie nach bis 1950 war Johanna Melzer Mitglied wurde Erna Stahl Anfang 1945 weiter Ansicht von Wolfgang Abendroth „die des Landtages Nordrhein-Westfa- nach Bayreuth verlegt. Hier wurde Einheit der Arbeiterbewegung in der len. Sie war zudem Mitbegründerin ihr die Anklageschrift vom 23. Feb- antifaschistischen Arbeit“. des Demokratischen Frauenbunds ruar 1945 zugestellt. Diese enthielt Deutschlands (DFD) in der Bundes- die Anklagepunkte: Vorbereitung Die Gestapo verlangte von den fran- republik und Mitglied des Bundesvor- zum Hochverrat, Feindbegünstigung, zösischen Behörden die Auslieferung, standes. Wegen ihres Engagements Wehrkraftzersetzung, Rundfunkver- die im Juni 1942 erfolgte. gegen die Re-Militarisierung der brechen, planmäßige Verseuchung Im Mai 1943 wurde Johanna Kirchner BRD hatte sich Johanna Melzer 1952 der Jugend. Angesichts dessen musste vom Volksgerichtshof in Berlin wegen erneut einem Gerichtsverfahren zu Erna Stahl mit der Todesstrafe rech- Landesverrats zu 10 Jahren Zucht- stellen. Sie wurde beschuldigt, Flug- nen. Am 14. April 1945 wurde sie je- haus verurteilt und wurde ins Frauen- blätter mit der Überschrift „Alliierter doch zusammen mit anderen Häft- zuchthaus Cottbus eingeliefert. Plan für Wehrmacht fertig“ gedruckt lingen von amerikanischen Truppen zu haben, in denen zur Durchführung befreit, während am 17. April 1945 in Nach der von ihr verlangten Aufhe- einer Volksbefragung aufgerufen wur- dem noch nicht befreiten Hamburg bung der Haftstrafe verurteilte sie de. 1953 entzog sie sich einem erneu- der Prozess vor dem dort tagenden der Volksgerichtshof nach einem ten Haftbefehl, bevor sie 1956 in die Volksgerichtshof stattfand, allerdings halbstündigen Verfahren am 21. Ap- DDR übersiedelte. in Abwesenheit der Angeklagten. ril 1944 zum Tode – das Urteil wurde nach 49 Tagen Haft in Plötzensee am Erna Stahl, (* 15. Februar 1900 in 9. Juni 1944 vollstreckt. Hamburg; † 13. Juni 1980 in Ham- burg) war eine deutsche Reformpäda- Johanna Melzer, (* gogin, lehrte an der Lichtwark-Schule 7. August 1904 in in Hamburg Deutsch und Geschichte Oberwaldenburg; † und gehörte zum Umfeld der Weißen 3. Oktober 1960 in Rose Hamburg. Berlin) war Arbei- terin und Abgeord- Erna Stahl hatte den Mut, den Schü- nete, Mitglied der KPD und Wider- lern Inhalte zu vermitteln, die damals standskämpferin im Ruhrgebiet. auf dem Index standen. Auf privaten Leseabenden machte sie die Schüler 1918 besuchte Melzer die Han- mit verbotenen Dichtern wie Hugo delsschule, im Jahr 1923 wurde sie von Hoffmannsthal oder Thomas Mitglied des Kommunistischen Ju- Mann bekannt, deren Bücher am 10. gendverbands Deutschland. Ein Jahr Mai 1933 von den Nazis verboten und darauf wurde sie Mitglied der KPD verbrannt wurden.

Seite 14 Cottbus befreit! „Jüdisches“ Leben und Sterben

Der älteste Nachweis von Juden in 1902 wurde die Synagoge in Cottbus felt nach China zu emigrieren, wurde Cottbus stammt aus dem Jahr 1448 für 300 Gottesdienstbesucher an der aber 1942 in das Warschauer Ghetto und danach lassen sich Menschen mit heutigen Karl-Liebknecht-Straße 132 deportiert, von wo er weiter in das To- jüdischem Glauben durch alle Zeiten eingeweiht – in den Pogromen der deslager Treblinka gebracht wurde. nachweisen. Ab 1814 war es durch Reichskristallnacht wurde sie zer- die Regierung untersagt, Verstorbene stört. Nach Verabschiedung der Nürnber- über weite Strecken zu transportie- ger Rassegesetze verschärfte sich die ren. Somit war es nicht mehr möglich Verfolgung und Entrechtung Lage erneut. Und in Cottbus erfolgte Cottbuser Juden auf dem Friedhof im am 14. Dezember 1936 die Polizeiver- etwa 50 km entfernten Friedland zu Bereits im Jahr 1933 begannen die ordnung über die „Feststellung der beerdigen. So wurde 1814 ein eige- systematische Ausbeutung, Diskrimi- Wahlberechtigten“ aller ansässigen ner jüdischer Friedhof in Cottbus an nierung, Verfolgung und Vernichtung „reichsdeutschen Nichtarier“ und der Straße der Jugend angelegt (alter jüdischer BürgerInnen in Deutsch- sog. „Mischlinge“. Daraufhin wurde jüdischer Friedhof). Eine jüdische Ge- land durch die Nationalsozialisten. der damalige Vorsteher der Synago- meinde gründete sich in Cottbus je- Auswirkungen dieser Verfolgung und gengemeinde, Georg Schlesinger von doch erst im Jahr 1858 und umfasste Diskriminierung waren bis ins kleins- der Ortspolizeibehörde aufgefordert, die Gebiete Cottbus, Luckau, Calau te Dorf zu spüren. Allein in diesem eine Liste mit sämtlichen Mitgliedern und Spremberg. 1866 gehörten der Jahr wurden 315 Gesetze und Ver- der Gemeinde und ihrer Verwandten Gemeinde 31 Personen an. ordnungen zu ihrer Entrechtung er- zu erstellen. Laut dieser Liste lebten lassen. Bei der Ortspolizeibehörde zum damaligen Zeitpunkt 334 jüdi- 1902 wurde die Synagoge für 300 Got- Cottbus wurde die Abteilung VI ge- sche BürgerInnen in Cottbus, 87 Kin- tesdienstbesucher an der heutigen gründet, die nur für sogenannte „Ju- der, 128 Frauen, 119 Männer und 98 Karl-Liebknecht-Straße 132 (früher denangelegenheiten“ zuständig war. Menschen ohne deutschen Pass. Jahrstraße) eingeweiht. Die Gemein- de hatte zu diesem Zeitpunkt 90 Mit- Am 31. März 1933 erschien im „Cott- In der „Reichskristallnacht“ am 9. glieder. Insgesamt lebten um die Jahr- buser Anzeiger“ ein Boykottaufruf November 1938 wurde auch in Cott- hundertwende rund 350 Menschen „Wer beim Juden kauft, ist ein Verrä- bus die Synagoge niedergebrannt und mit jüdischen Wurzeln in Cottbus. ter am deutschen Volke“, der ab dem der alte jüdische Friedhof geschändet. Im Jahr 1917 wurde an der Dresdener 1. April gelten sollte. Der Aufruf galt Darüber hinaus wurden Geschäfte Straße ein neuer Jüdischer Friedhof neben Läden auch Anwälten sowie geplündert und abgebrannt. So wur- angelegt, denn der bisherige Friedhof Ärzten. Der Boykott wurde von SA- den die Haushaltswaren-, Leder- und an der Straße der Jugend hatte seine Männern kontrolliert, die vor den Schuhgeschäfte in der Burgstraße, Kapazitätsgrenzen erreicht. Die Fei- Geschäften vor „dem Judem“ warnten Wallstraße (heute Friedrich-Ebert- erhalle des Friedhofs wurde 1929 im und auch „arische“ Angestellte nicht Straße), Bahnhofsstraße, der Lausit- Stil der neuen Sachlichkeit errichtet. durchließen. Die Zahl der Kunden zer Straße und der Bismarckstraße und Klienten ging drastisch zurück. (heute Wernerstraße) überfallen. Ebenso wurde verfügt, dass beinahe Auch Büros und Arztpraxen wurden alle jüdischen Anwälte nicht mehr durch die SA verwüstet, beispiels- arbeiten durften. Darüber hinaus weise die Anwaltskanzlei Hammer- wurden Staatsdiener, Angestellte etc. schmidt in der Bahnhofsstraße. Vor gekündigt sowie Fabriken und Häuser allem wohlhabende Männer wurden zunehmend enteignet und „arisiert“. verhaftet und rund 30 von ihnen in das KZ Sachsenhausen deportiert. Da- Vielen jüdischen Menschen wurde so runter waren auch der Rechtsanwalt die materielle Lebensgrundlage ent- Hammerschmidt, der aus dem Bett zogen. Gleichzeitig wurde die Aus- heraus verhaftet wurde, oder der – ei- wanderung forciert. Und viele Juden gentlich mittellose – Siegfried Bern- versuchten dem Druck zu folgen und stein, die beide aber zunächst wieder aus der Naziherrschaft zu entkom- nach Cottbus zurückkehrten. Andere men. So emigrierten am 1. Oktober Gefangene wurde freigelassen, nach- 1936 34 Juden aus Cottbus, haupt- dem ihre Familien Teile ihres Besit- sächlich nach Südafrika und Brasilien. zes überschrieben hatten. Dies war mit einem hohen bürokrati- schen Aufwand verbunden und nicht Deportation selten wurden auswanderungswillige Menschen vor Aushändigung ihres Nach Selbstmorden, Verhaftungen Visums deportiert. So versuchte der und Emigration lebten im Juni 1939 Pianist Siegfried Bernstein verzwei- noch 162 Juden in der Stadt. Die jü-

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 15 dische Bevölkerung wurde ab Herbst In Cottbus erlebten lediglich 12 jü- Lublin. Seinem Bruder Richard Gold- zunehmend gezwungen, in soge- dische Menschen die Befreiung – so- stein (Bahnhofstraße 7, Inhaber der nannten „Judenhäusern“ zusammen- genannte „Mischehen“ hatten sie Speditionsfirma Franz Dehnicke) wird zuleben. Dort sollten sie „durch das vor der Deportation geschützt. Es ist im Februar 1941 die Staatsbürger- wachsame Auge der gesamten Bevöl- nicht bekannt, dass es im Untergrund schaft aberkannt und sein Vermögen kerung“ (Reinhard Heydrich, Leiter Überlebende gab. Lediglich Wolf- eingezogen. Er stirbt am 10. Januar des Reichssicherheitshauptamtes) gang Hammerschmidt, „Mischling“ 1943 in einem Internierungslager in kontrolliert werden. In Cottbus befan- und Sohn des Rechtsanwalts Her- Italien, während er auf seine Geneh- den sich diese in der Münzstraße 42, mann Hammerschmidt, floh aus der migung zur Einreise nach Palästina Rossstraße 27, Kaiserstraße 5 (aus- Zwangsarbeit in Frankreich, versteck- wartet. Seine Frau Else Goldstein er- schließlich für alte Menschen), Müh- te sich monatelang und erlebte das reicht nach zwei Jahren Irrfahrt Pa- lenstraße 37, Dresdener Str. 55 und Kriegsende in Berlin als Befreiung. lästina. Wallstraße 9. Der Zustand der Häuser war meist schlecht, so war das alte Das Tragen des Anmerkungen: Haus in der Münzstraße 42 vorher für Judensterns „Sittendirnen“ als nicht geeignet be- wurde ab 1941 Ein Dank gebührt den Menschen, die die Erinne- funden worden. Pflicht. rung an Vertreibung und Mord so lange aufrecht- Foto: erhalten und immer wieder recherchiert haben. Die Zusammenfassung der Juden in Daniel Ullrich Wesentliche Daten und Fakten dieses Artikels Judenhäusern erleichterte auch die sind der „Jüdischen Geschichte in Cottbus - Teil II“ Deportationen, die ab 1940 verstärkt Einzelschicksale auf www.mybrandenburg.net/node/69 (creative stattfanden. Im April 1942 wurde eine commons) entnommen, die so scheinbar auch auf größere Gruppe jüdischer BürgerIn- 1933 nahm sich der jüdische Kinder- der Internetseite www.juedische-gemeinde-cott- nen ins Warschauer Ghetto gebracht. arzt Gustaf Matzdorf gemeinsam mit bus.de Verwendung fanden. Die Daten wurden Der letzte Deportationszug verließ seiner Frau das Leben. Die Häuser in ergänzt durch verschiedene Artikel der Lausitzer Cottbus am 24. August 1942 nach denen sie zur Miete wohnten bzw. Rundschau zu den Stolpersteinen, die ihrerseits Theresienstadt. Mit ihm wurden Sy- ihre Praxis hatten, und die ebenfalls auf verschiedenen Recherchen im Cottbuser nagogenvorsteher Georg Schlesinger in jüdischem Besitz waren, gingen Stadtarchiv basieren. Darüber hinaus wurden on- sowie alle BewohnerInnen der Ross- Ende der 30er Jahre in städtischen line-Quellen und folgende Literatur verwendet: straße 27 und der Münzstrasse 42 Besitz über. Hammerschmidt, Wolfgang (1995): Spurensuche. deportiert. In den Waggons des Zuges Zur Geschichte der Familie Hammerschmidt in waren insgesamt 764 Menschen zu- Nach den Pogromen am 09. Novem- Cottbus, Psychosozial-Verlag. sammen gepfercht – von ihnen haben ber 1938 werden Alfred und Bruno Geschichte und Gegenwart des Bezirkes Cottbus, nur 31 den Holocaust überlebt. Unter Konschewski verhaftet. Sie starben in: Niederlausitzer Studien, Heft 22/1988, Cottbus den Deportierten befand sich auch die in KZ–Haft am 19.12.1939 und am 1988, S. 123 f. 91jährige Johanna Blankenstein, die 24.12.1938. am 24. Oktober 1942 in Theresien- stadt starb. Am 26. Oktober 1942 fuhr Arthur Israeliski wird gezwungen, der erste Transport aus Theresien- die Wohnung in der Bismarckstraße stadt nach Auschwitz. Es waren 1.866 2 aufzugeben und in das Judenhaus Personen, davon 105 Kinder. 1.619 Mühlenstr. 37 zu ziehen. Herr Israeli- wurden vergast. Auschwitz ist nun ski und seine Frau Elfriede werden am das Ziel aller künftigen Transporte. 24. August 1942 in das Ghetto There- sienstadt deportiert. Arthur Israelski starb dort am 16. Mai 1944. Seine Frau wurde im Oktober 1944 ins Vernich- tungslager Auschwitz transportiert. Auch der Sohn Horst ist in Auschwitz verschollen.

Die Schülerin Anni Fuchs, wohnhaft am Altmarkt 29 wird nach Schweden geschickt und später in ein Inter- nat nach England. Ihre Mutter, Rosa Fuchs, wird am 27. Februar 1943 in Theresienstadt ermordet. Ihr ge- schiedener Mann, Arthur Goldstein, stirbt Ende 1942 im Ghetto Piasti bei Zerstörte Synagoge

Seite 16 Cottbus befreit! Gedanken zum Jahrestag der Befreiung aus sorbischer/wendischer Sicht1

Mysli k wulichowanju w maju 1945 Ein Ergebnis war, dass Menschen, die Als Weiteres legte im Mai 1940 der ze serbskeje perspektiwy dies kritisierten, scharfe Sanktionen Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, erlitten. Die in Cottbus tätige Trach- der auch Reichskommissar für die Um es kurz zu machen: das Ziel der tenstickerin Pawlina Krawcowa (Pau- Festigung deutschen Volkstums war, Vorgänge zwischen 1933 und 1945 line Krautz) hatte bereits durch die eine Denkschrift unter dem Titel „Ei- in ihrer Gesamtheit war, das Wendi- Teilnahme an Ausstellungen in der nige Gedanken über die Behandlung sche aus den Köpfen der Menschen in Tschechoslowakei für Unruhe bei NS- der Fremdvölkischen im Osten“ vor. der Ober- und Niederlausitz gänzlich Behörden gesorgt. In einem Bericht Diese beinhaltete – mit ausdrückli- zu verdrängen. So sollte bspw. eine der Gestapo von 1937 wurde sie „als cher Zustimmung Hitlers – u.a. Fol- möglichst flächendeckende Auslö- frühere eifrige Anhängerin der wen- gendes: schung slawischer Orts-(teil-), Flur- dischen Sonderbestrebungen“ cha- „Aber auch innerhalb der Völker- und Fließnamen in der Lausitz statt- rakterisiert, „die heute in geschickter schaften [im nun größeren Reich – P. finden.2 Bestandteil dessen war in Weise den wendischen Gedanken in Sch.] selbst haben wir nicht das Inte- der Stadt Cottbus im Jahre 1937 der Form kleinerer Ausstellungen und resse, diese zu Einheit und Größe zu Vorschlag, annähernd 20 slawische Vorträge propagiert“. Ihre Verhaf- führen, ihnen vielleicht allmählich bzw. slawisch klingende Straßenbe- tung und Überstellung ins Cottbuser Nationalbewusstsein und nationale zeichnungen umzubenennen. Dass Frauengefängnis im August 1938 war Kultur beizubringen, sondern sie in diese Vorhaben nicht überall umge- jedoch maßgeblich Ergebnis der Kri- unzählige kleine Splitter und Parti- setzt und Letzteres gänzlich fallen- tik an obigen Umbenennungen. Nach kel aufzulösen. [...] Die Bevölkerung gelassen wurde, hatte maßgeblich ihrer Freilassung hatte sie mit Lie- des Generalgouvernements setzt mit dem selbst auferlegten Zeitdruck fer- und Vertriebsbehinderungen zu sich dann zwangsläufig [...] aus einer der NS-Führung in Vorbereitung auf kämpfen, die schließlich die Aufgabe verbleibenden minderwertigen Be- einen Krieg zu tun. ihres Geschäfts zur Folge hatten. Im völkerung, die noch durch abgescho- September 1941 verstarb sie 51-jäh- bene Bevölkerung der Ostprovinzen Doch was waren die Folgen? rig an den Nachwirkungen von Haft sowie all der Teile des deutschen Rei- und Gestapo-Gewahrsam. ches [vermehrt werden], die dieselbe rassische und menschliche Art haben (Teile, z.B. der Sorben und Wenden), zusammen. Diese Bevölkerung wird als führerloses Arbeitsvolk zur Verfü- gung stehen und Deutschland jähr- lich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Stra- ßen, Steinbrüche, Bauten) stellen.“

Vier Monate später nahm der daran anknüpfende Plan, eine „rege Kul- turarbeit“ unter den Wenden in der Lausitz nicht nur zu unterbinden, sondern für dauerhaft auszuschal- ten, konkrete Gestalt an. Nach Auf- fassung des Chefs der Sicherheits- polizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, zählten Lehrer und Pfarrer zu den „aktiven Förde- rern des Wendentums“, die „eine endgültige Lösung des Wendenpro- blems“ verhindern würden. Trotz- dem jene größtenteils Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen waren, sollten sie aus der zweispra- chigen Lausitz ausgewiesen werden. Eine erste Liste vom November 1940 zur Versetzung – möglichst sogar ins Ruhrgebiet – zählte insgesamt In Cottbus in der Sandower Straße, wo das Wohn- und Geschäftshaus von Pawlina Krawcowa stand 25 Lehrer, 16 davon aus der Nie- (heute: Suppenbar), erinnern ein Stolperstein und eine Gedenktafel an die Volkskünstlerin, Foto: Sor- derlausitz. Anfang 1942 zog Hitler bisches Institut Cottbus jedoch die teils bereits umgesetzte

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 17 Anweisung maßgeblich wegen des z. B. ´wendische Tracht´, aus dem beitsvolk“ zu erleichtern. Die Folgen für Nazideutschland enttäuschenden Sprachgebrauch zu verdrängen und der Verächtlichmachung und der ins- Kriegsverlaufs im Osten persönlich dafür nur noch von der ´Spreewälder besondere auf Austilgung der wendi- zurück. Die Politik der Versetzung Tracht´ zu sprechen. Der Kriegsver- schen Sprache, Kultur und slawischen von Personen, die die „wendisch-na- lauf unterbrach die Umsetzung der Herkunft ausgerichteten Aktivitäten tionale Grundrichtung der Wenden Pläne zur „endgültigen Lösung des der NS-Behörden saßen derart tief, bestimmen“, sollte erst nach dem Wendenproblems“, wenngleich sich dass von einer Selbstverwirklichung Krieg weiterverfolgt werden. der Begriff der „Spreewaldkultur“ in als Volk unter neuen gesellschaftli- chen Verhältnissen nach dem 8. Mai 1945 – sozusagen als zweiter Pha- se der Befreiung – jahrelang nicht gesprochen werden konnte. Dieser Prozess ist – trotz aller Regelungen und praktischen Fortschritte in den vergangenen sieben Jahrzehnten – für die Sorben/Wenden noch nicht abgeschlossen.

Dr. Peter Schurmann (= dr. Pětš Šurman) Historiker am Sorbischen Institut Cottbus/Chóśebuz

Anmerkungen: 1Historiker des Sorbischen Instituts Bautzen mit der Zweigstelle Cottbus befassen sich u.a. mit Fragen, die die Geschichte des Nationalsozia- Beleg für die Integration der Sorben/Wenden in das Bewusstsein der Menschen ein- lismus betreffen. Für diesen Zeitabschnitt gibt das NS-System war nicht nur die Mitgliedschaft zubrennen schien. es Forschungsbedarf, der insbesondere daraus insbesondere von Lehrern und Pfarrern in der resultiert, historische Vorgänge auch mit Hilfe NSDAP, sondern auch der Dienst in der Wehr- einer verflechtungsgeschichtlichen Sichtweise macht – im Unterschied zu Juden oder auch Sinti zu beschreiben. & Roma. Das Regime begrüßte anfangs die öf- 2Diese Ergebnisse liegen uns Dank der For- fentliche Zur-Schau-Stellung der sogenannten schungen von Udo Bauer und Gero Lietz vor. Trachtenmädchen aus dem Spreewald, darun- ter auch zu offiziellen Anlässen (Reichsernte- dankfest). Spätestens 1940 wurden die Pflege des wendischen Brauchtums und insbesondere das öffentliche Zeigen der Festtagstracht zu Be- triebsfeiern o.ä. untersagt. Abb.: Frauen in wen- Auf der Postkarte von 1940 steht: „Spreewald- discher Tracht gemeinsam mit einem Soldaten mädel fahren zum Tanz“ – nichts soll mehr auf der Wehrmacht, 1938, Foto: Alfred Roggan slawische Wurzeln hinweisen, später wurde das Tragen der Tracht insgesamt unerwünscht Diese Beispiele zeigen: Am Ende der 1930er Jahre wurde die Situation für Das Ende des Zweiten Weltkriegs bekennende Wenden oder auch Sor- wurde aber auch deshalb von Sor- ben lebensbedrohend. Dazu zähl- ben/Wenden als Befreiung empfun- te auch die Domowina mit allen ihr den, weil ihnen als „minderwertige“ als Dachverband angeschlossenen Bevölkerung prophezeit worden war, wendischen Vereinen, die bis zum „in langsamem natürlichen Ver- Betätigungsverbot im März 1937 die schmelzungsprozeß mehr und mehr kulturellen und politischen Inter- in einer höheren Einheit“ aufzuge- essen der „Lausitzer Sorben“ ver- hen (Rudolf Lehmann). Die ihnen treten hatte. Der Fokus auf die Ei- ebenso unterstellte „Geschichtslo- genbezeichnung ´Sorben´ war auch sigkeit“ (Rudolf Kötzschke) hatte es eine Reaktion auf Anweisungen der erleichtert, Pläne zur Ausschaltung Behörden gewesen, die ursprüngli- ihrer geistigen Köpfe zu schmieden, che Fremdbezeichnung ´Wenden´, um den Einsatz als „führerloses Ar-

Seite 18 Cottbus befreit! Zwangsarbeiter

Während des Zweiten Weltkrieges der Arbeiter aus der Sowjetunion, Leben der Kriegsgefangenen und war die deutsche Wirtschaft dar- sogenannter „Ostarbeiter“, war deut- Zwangsarbeiter immer stärker ein- auf angewiesen, Zwangsarbeiter im lich härter, während die Arbeiter aus schränkten. So sollte die Unterkünfte großen Stil auszubeuten, um das Westeuropa deutlich besser behan- für Arbeiter aus den „altrussischen“ gewohnte Leben der Deutschen delt wurden. Gebieten besonders beaufsichtigt aufrecht zu erhalten und den Krieg werden können: Unterkünfte sollten weiterführen zu können. Im Jahr Im Oktober 1939 gab es in den La- verschließbar und gut zu überwa- 1944 waren rund 46 Prozent der in gern der Niederlausitz bereits 7.000 chen sein. Weil Fahrräder und Käh- der Landwirtschaft und 36 Prozent Gefangene, die in der Landwirtschaft ne mehrmals zur Flucht eingesetzt der im Bergbau Beschäftigten aus- eingesetzt wurden. Es waren vor al- worden seien, weil sie für jedermann ländische Zwangsarbeiter. Einzelne lem Tschechen, die sich gegen die zugänglich gewesen seien, müssten Industriebetriebe, mit einem be- Okkupation gewehrt hatten und pol- diese stärker gesichert werden. In sonders hohen Anteil von Arbeiten nische Kriegsgefangene. Jagdhütten, Schützenhäusern und für Ungelernte oder Hilfsarbeiter, ähnlichen alleinstehenden Häusern wiesen einen Anteil von 80 Prozent Ab Januar 1940 galten die sogenann- durften keine Waffen und Munition, Zwangsarbeiter auf. ten „Polenerlasse“, die ein umfas- aber auch keine Lebensmittel und sendes System der Überwachung und Kleidung aufbewahrt werden. Schon Ende 1938 gab es einen Fehl- Unterdrückung schufen. Ab April bedarf von einer Million Arbeitskräf- desselben Jahres galt eine Arbeits- Ab Januar 1941 wurde den Deut- ten in Deutschland. Aus ideologi- pflicht für die Polen aller Jahrgänge schen Umgang und Gespräche mit schen Gründen sah man davon ab, in Deutschland und ab Juli 1940 wur- Kriegsgefangenen verboten und sie reguläre Arbeit von Frauen einzu- den die polnischen Kriegsgefange- durften samt ihren Unterkünften führen. So beschloss man, „Fremd- nen zu „Zivilarbeitern“, um in den nicht mehr fotografiert werden. Es arbeiter“ im großen Stil einzusetzen. Lagern Platz für französische Kriegs- war untersagt, den Kriegsgefangenen In Cottbus waren die Nutznießer vor gefangene zu schaffen. für besonderen Fleiß zu belohnen allem die Reichsbahn, die Mechani- oder ihnen Briefpapier und –marken schen Werke und die Focke-Wulf- Hauptgrund für diese Erlasse war, zu besorgen. Deutsches Geld in Form Flugzeugwerke. dass die ausländischen Arbeitskräfte von Trinkgeldern oder des Lohnes besser ausgebeutet, eine Verbrüde- galt als Fluchtmittel, und wer es ih- Zwangsarbeiter wurden anfangs rung zwischen Deutschen und Polen nen dennoch gab, wurde des Landes- noch in anderen Ländern angewor- aber verhindert werden sollten. Dazu verrats bezichtigt. ben – auch den von der Wehrmacht wurde auch der Druck auf die deut- besetzten Gebieten. Sie kamen aus sche Bevölkerung erhöht, die mit Im Juli 1942 erschien dann das Merk- Polen, Italien, Jugoslawien, Ungarn, den Zwangsarbeitern zu tun hatten. blatt „Pflichten der Zivilarbeiter und Bulgarien und den Niederlanden. Ih- 1940 gab es in der Niederlausitz die –arbeiterinnen polnischen Volks- nen wurden gute Verdienstmöglich- ersten Verurteilungen von Personen tums während des Aufenthaltes im keiten versprochen. In den späteren wegen des verbotenen Umgangs mit Reich“. Darin wurden sie zu Sklaven Kriegsjahren wurde die Bevölkerung Kriegsgefangenen. Das waren vor degradiert: Das Verlassen des Auf- in weiten Teilen zwangsrekrutiert. allem Bauern und Arbeiter, die mit enthaltsortes wurde ihnen streng Schon ab 1939 wurden Gesetze erlas- den Gefangenen zusammen gear- verboten; wenn die Polizei ein Aus- sen, die ein Sonderrecht für Auslän- beitet hatten und aus „allgemein- gehverbot verfügte, durften sie ihre der einführte, sowie Lebens- und Ar- menschlichen“ Erwägungen gegen Unterkünfte nicht mehr verlassen; beitsbedingungen der ausländischen Bestimmungen verstoßen hatten. öffentliche Verkehrsmittel durften Arbeitskräfte drastisch veränderten. Polnischen Kriegsgefangenen war es nur mit besonderer Genehmigung Zwangsarbeiter konnten aber auch beispielsweise verboten, einen un- genutzt werden; alle Polen mussten Kriegsgefangene sein, die freigelas- gehinderten Briefwechsel mit ihren sichtbar und fest aufgenäht auf der sen und nach einer gewissen Zeit von Verwandten zu führen. Deutsche be- rechten Brustseite das Nationalitä- der zivilen Verwaltung überwacht tätigten sich deshalb sehr oft als Ver- tenabzeichen tragen. wurden. In Cottbus waren dies bei- mittler des Briefwechsels. spielsweise französische Offiziere, Wer „lässig“ arbeitete oder die Ar- die auf Ehrenwort entlassen wurden Der Oberbürgermeister von Cottbus beit niederlegte wurde mit Zwangs- und als Straßenbahnfahrer arbeite- und andere Verwaltungseinrich- arbeit im KZ bestraft. Jeder gesellige ten. tungen wie die Staatspolizeistelle Verkehr und der Besuch des Gottes- Frankfurt an der Oder erarbeiteten dienstes gemeinsam mit Deutschen Hier soll die Situation der polnischen zahlreiche Verordnungen, Befehle, war verboten. Annäherung oder gar Zwangsarbeiter in der Lausitz vorge- Erlasse und Richtlinien aus, welche sexueller Umgang mit „Deutschen“ stellt werden. Ihr Schicksal war hart, die Rechte der Wachmänner und wurde mit dem Tode bestraft. aber die Lebenssituation vor allem Lagerführer erweiterten und das

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 19 Was von Baselli meinte, dürfte der wurden beim Bombenangriff auf den Sogenanntes unter Zwangsarbeitern verbreite- Flugplatz am 11. April 1944 getötet; Polenabzei- te Hunger gewesen sein. So ist eine sieben sowjetische Gefangene star- chen, Foto: Beschwerde des Stadtbaurats aus ben beim Angriff am 29. Mai 1944. Jocian, Wiki- dem Jahre 1944 bekannt. Dieser kri- commons tisierte, dass die Zwangsarbeiter im Im März und April 1945 erfolgten Nordosten der Stadt, auf den Rie- ständig Aufrufe an die Bevölkerung, selfeldern, das unreife Obst von den Befestigungsanlagen auszubauen. Am 8. März 1943 berieten im Neuen Bäumen und die Feldfrüchte aus dem Doch den Stadtkommandanten be- Rathaus Vertreter der Schutzpolizei, Boden reißen und sofort verzehren friedigte das Ergebnis nicht. Darauf- der Geheimen Staatspolizei, des Si- würden. Auch der „Cottbuser Anzei- hin wurden die noch in der Stadt be- cherheitsdienstes, der Kriminal- und ger“ vom 17. August 1944 berichtete, findlichen 4.385 Zwangsarbeiter und Verwaltungspolizei über eine effek- dass ausländische Arbeitskräfte in Kriegsgefangenen für den 2. April tivere Kontrolle der Kriegsgefange- den Lebensmittelläden betteln wür- 1945 zum Schanzen befohlen. 2.000 nen und Zwangsarbeiter in Cottbus. den. von ihnen kamen, empfingen das Ar- Es wurden dabei Pläne für ein Bara- beitsgerät und gingen wieder in ihre ckenlager für 5.000 Personen entwi- Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Unterkünfte. Den Anweisungen der ckelt. mussten 1944 mindestens 60 Stun- Bewachungskräfte folgten sie nicht den pro Woche arbeiten – in der Re- mehr. Davon versprachen sich die Verant- gel, besonders bei Focke-Wulf, noch wortlichen nicht nur eine bessere länger. Die Tagesschicht dauerte von Anmerkungen und Quellen: Kontrolle der Zwangsarbeiter son- 6.30 bis 20.30 Uhr. Sperrstunde für dern auch eine Verbesserung auf Ausländer war im Sommer zwischen Als wichtigste Quelle wurde hier der Text von dem Wohnungsmarkt. So sollten 22 Uhr und 5 Uhr morgens, im Win- Jutta und Otto Rückert verwendet, die viele Fak- vermehrt möblierte Zimmer frei wer- ter zwischen 21 Uhr und 6 Uhr. Für ten zu Zwangsarbeitern in Cottbus zusammen den, die Mietpreise sollten gedämpft „Ostarbeiter“ und Polen begann die getragen haben. werden, aber es sollte auch verhin- Sperrstunde eine Stunde früher. Kulturlandschaft Dahme-Spreewald e.V. (Hg.) dert werden, dass deutsche Frauen (2002): So war es. Zwangsarbeiter in Deutsch- gemeinsam mit Ausländern in den land, Zeuthen. Geschäften anstanden. Rückert, Jutta und Otto (1997): Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Cottbus (1939-1945) in: Der Cottbuser Oberbürgermeister Niederlausitzer Studien, Heft 28, Cottbus 1997. von Baselli trat kaum einen Monat o.A. (2002): Zwangsarbeiter auf Spurensuche in später für eine schärfere Gangart der Lausitz, Lausitzer Rundschau (Elbe-Elster- gegenüber den polnischen Zwangs- Rundschau), 18. April 2002, S. 4. arbeiter ein. Er plädierte für ihre Ein- weisung in ein Lager. So wurden im Juli und August 1943 etwa 170 Polen aus Privatquartieren ausgewiesen Der Brief oben ist gestempelt vom Lagerführer und in das Lager der Firma Schwanert der Focke-Wulf-Werke. Der Briefumschlag ist eingewiesen. Für den Platz im Lager gestempelt (nicht abgebildet) vom Oberbür- mussten sie pro Kalendertag 1,50 RM germeister der Stadt und dem Russenlager in Miete zahlen und pro Arbeitstag 0,50 der Straße der SA 10. Inhalt: Der Pole XX, geb. RM für Verwaltungsarbeiten an die 22.7.16. in Strellnow/Posen wohnt im Cyriak-La- Stadtverwaltung entrichten. ger ist bei der Reichsbahn beschäftigt. 11.04.45 Cyriak-Lager Forster Straße Zwangsarbeiter sollten nach von Ba- selli von der Öffentlichkeit ausge- In Cottbus sind mindestens 160 schlossen werden. So sagte er: „Au- Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter ßerdem bleibt zu bedenken, ob es in und deren Kinder umgekommen. Die der jetzigen Zeit, wo es in Deutsch- Todesursache reichte von Mord bis land von Ausländern geradezu wim- Krankheit. Im Lager geborene Kinder melt, ratsam ist, ausländische Zi- hatten kaum eine Chance, die ersten vilgefangene, die obendrein noch Tage zu überleben. durch ihr P-Abzeichen für jedermann kenntlich sind, in einem derartigen Beim Bombenangriff am 15. Februar körperlichen Zustande der Öffent- wurden auch einige Lager zerstört. lichkeit vorzuführen.“ Zwei italienische Kriegsgefangene

Seite 20 Cottbus befreit! Widerstand in und aus Cottbus

Zum Kriegsende die Niederlande wurden Aufzeich- Als erstes bauten sie die „Rote Hilfe“ nungen von ihm bei verhafteten in Cottbus wieder auf. Sie sammelten „Hitler das Schwein; alle Nazis müs- Emigranten gefunden. Geld, Kleidung und Lebensmittel, or- sen sterben!“ war im Oktober 1944 ganisierten Solidaritätsaktionen an in Cottbus auf die Straßen und an Am 14. Juni 1940 wurde er in Cott- denen auch parteilose Hitlergegner Hauswände gemalt worden. „Laß bus verhaftet und wegen Hochverrat und Sozialdemokraten teilnahmen. dir deine Lebenskraft nicht aussau- zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie stellten Materialien zusammen, gen…“ stand auf Plakaten, die an Seine Spur verliert sich im Zucht- in denen sie über Verhaftungen, Fol- Häuserwände geklebt waren. Darauf- haus Brandenburg-Göhrde. Die Nazis ter und Verurteilungen der Mitglie- hin wurde die Hitlerjugend-Streifen- rächten sich auch an seinem Sohn: der in der Cottbuser Widerstands- dienstgefolgschaft aufgefordert, sich Dieser wurde in ein Strafbataillon gruppe um Helene Kirsch und Walter zum „Kriegseinsatz“ zu versammeln an die vorderste Front versetzt und Wagner aufklärten. Den Cottbusern – und die Täter mit Streifen zu stel- kam ums Leben. In der Dissenchener sollte auf diese Wege das wahre Ge- len. So sah er also aus, der Einsatz Straße 98 erinnert ein Stolperstein sicht des Hitlerfaschismus vorge- an der Heimatfront. Ob die Täter ge- an ihn. führt werden. stellt wurden, ist nicht überliefert. Willy Jannasch – Leiter einer Wi- Bis 1935 gelang es der Gruppe um Am 20. April sollen Cottbuser Antifa- derstandsgruppe Jannasch Berichte aus Cottbuser Be- schisten mit einer Volksturmeinheit trieben in die Tschechoslowakai zu „gefeiert“ haben – wahrscheinlich Willy Jannasch wurde am 3. Septem- bringen und illegale Zeitungen nach Hitlers Geburtstag. Nach der Feier ber 1905 als ältester Sohn der Ehe- Deutschland zu schmuggeln. Darun- entfernte sie die Schlösser aus den leute Marianne und Robert Jannasch ter waren Zeitungen wie „Der Tex- Gewehren und die Volkssturmsol- geboren. Er besuchte die Gemein- tilarbeiter“, „Inprekorr“, „Die Rote daten machten sich auf und davon, deschule 3 in Cottbus und trat mit Fahne“ und „Die junge Garde“. Bis um dem Standgericht wegen „unsol- 14 Jahren dem „Arbeiter-Turn und Januar 1936 wurden diese Zeitungen datischem Verhalten“ zu entgehen. Sportbund Cottbus 93“ bei. 1920 be- in Cottbus verteilt. Am Tag der Befreiung am 22. April gann er eine Lehre als Modelltisch- konnten die „Blaue Brücke“ und das ler. Während seiner Ausbildungszeit Dann wurden die Nazis erstmals auf Elektrizitätswerk vor der Sprengung organisierte er sich gewerkschaftlich die Gruppe aufmerksam. Einige Cott- gerettet werden. im Holzarbeiterverband und in der buser, die Zeitungen in ihrem Brief- Sozialistischen Arbeiterjugend. kasten fanden, meldeten dies bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). 1926 wurde die Firma COMAG, bei Durch Verrat wurde der aktive Kern der er und andere Familienangehöri- der Widerstandsgruppe im Januar gen arbeiteten, aufgelöst und Arbeit 1936 verhaftet. Bis März waren Wil- war auch in anderen Firmen nicht zu ly Jannasch und seine Genossen in finden. So sicherte er sich ein kleines Cottbus und anschließend bis Mai Einkommen mit dem Austragen von in Berlin in Gerichtsgefängnissen Werbematerialien und dem Vertrieb inhaftiert. Bei den Verhören wurden von Versicherungszeitschriften. Die- sie regelmäßig gefoltert. se schwere Zeit änderte nichts an seinem politischen Engagement. So Die Hauptverhandlung fand im Juni war er Mitglied der Roten Hilfe und 1936 im Berliner Kammergericht vor half seinen Weggefährten in juristi- dem 5. Strafsenat statt. Die Ankla- schen Auseinandersetzungen. ge lautete auf „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“. Wilhelm Bode – stiller Widerstand Nach der Machtübergabe an Hitler Nach nur zwei Verhandlungstagen wurden die beiden Arbeiterparteien wurde das Urteil verkündet: Vier Jah- Wilhelm Bode wurde am 23. April KPD und SPD, verboten. Willy Jan- re und sechs Monate Zuchthaus für 1886 in Mühlhausen geboren und nasch baute gemeinsam mit ande- Willy Jannasch. war seit 1919 Schlosser in den Zent- ren eine antifaschistische Gruppe in ralen Eisenbahnwerkstätten Cottbus. Cottbus auf. Viele von ihnen kannten Am 30. September 1938 starb Willy Dort arbeitete er in der Eisenbah- sich aus dem Arbeitsleben oder aus Jannasch im Zuchthaus Branden- nergewerkschaft wurde Mitglied des dem Arbeiterwanderbund „Natur- burg-Görden an den Folgen schwerer Hauptvorstandes der IG Eisenbahn freunde – Rotes N“. Jannasch war Misshandlungen durch die Gesta- gewählt. Nach 1933 hielt er Kontakt Leiter der Gruppe, der zeitweise 28 po. Der Leichnam wurde von Willy’s zu geflohenen Gewerkschaftern. Personen angehörten. Vater nach Cottbus überführt und Beim Einmarsch der Wehrmacht in auf dem Südfriedhof beigesetzt. Ein

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 21 Stolperstein für Willy Jannasch be- Neben ihnen war auch Willy Budich Machtübergabe an Hitler wird er ver- findet sich in der Gartenstraße 73. Mitglied des Spartakusbundes. haftet und von SA- und SS-Truppen zum Krüppel gefoltert. Mit Hilfe von Freunden gelang ihm dennoch die Flucht in die Sowjetunion, wo er in einem Genesungsheim gepflegt wur- de. 1936 wird er in der Sowjetunion unter falschen Anschuldigungen inhaftiert. Am 22. März 1938 wurde Willi Budich in Moskau zum Tode verurteilt und am gleichen Tag er- schossen. Im Jahre 1955 wurde er vom Obersten Gericht der UdSSR re- halilitiert.

Paul Hornick – über Spanien und die Willy Budich – Geflohen vor den Sowjetunion zurück in die Lausitz Nazis – von Sowjets ermordet

Willy Budich wurde am 16. April 1890 in Cottbus als Sohn der Wirts- Budich wurde während der Novem- leute Christian und Anna-Pauline berrevolution die Agitationsarbeit Budich geboren. Cottbus war damals unter den Soldaten übertragen. Als eine aufstrebende Stadt und begann sich die SPD-Führung gegen die Re- sich wirtschaftlich gut zu entwickeln. volution stellte, schuf der Spartakus- Besonders die Tuch- und Braunkoh- bund den Roten Soldatenbund (RGB) lenindustrie wuchsen rasch und im- und Willy Budich wurde dessen Lei- mer mehr Menschen kamen auf der ter. Um Blutvergießen während der Suche nach Arbeit. Willy Budichs Revolution zu verhindern, organsier- Eltern gehörten dazu. Sie stammten te er verstärkt Versammlungen unter aus sorbisch-bäuerlichen Verhält- den Soldaten, um mit ihnen in Dis- nissen und erwarben in der Bahn- kussion zu kommen. hofstraße eine Schankwirtschaft, das Café Victoria. Während Budich mit rund 2.000 Frontsoldaten durch die Berliner Bildung spielte im Hause Budich eine Innenstadt demonstriert, wird die große Rolle. So wurde der junge Wil- Menge beschossen. 14 Demoteilneh- Paul Hornick wurde am 18. Septem- ly an der Städtischen Realschule im mer werden getötet und 30 schwer ber 1898 in Forst (Lausitz) als Sohn damaligen Kaiser-Wilhelm-Gymna- verletzt – unter ihnen Willy Budich. einer Textilarbeiterin geboren. sium unterrichtet. Nach Abschluss Es dauerte Wochen bis er wieder der Tertia begann er eine Maschinen- halbwegs genesen war. Im Jahr 1916 beendete er eine Leh- schlosserlehre in der Maschinenfab- re zum Stuckateur und in dieser Zeit rik Emil Pauna & August Knorkstedt. Als die Revolution in Deutschland hatte er erste Kontakte zur sozialis- Nach seinem 19. Geburtstag im April niedergeschlagen wurde, ging Bu- tischen Jugendbewegung. Nach Ab- 1909 schrieb er sich für ein Studium dich ins Ausland. Er wurde Mitar- schluss seiner Ausbildung wurde er am Technikum für Maschinenbau in beiter des Exekutivkomitees der zum Militärdienst eingezogen und an Mittweida ein. Kommunistischen Internationale, die Westfront geschickt. Wie bei vie- Mitglied der KPdSU und Leiter der len anderen verstärkten sich durch Nach dem Tod seines Vaters zog er Handelsvertretung der jungen Sow- die Kriegserlebnisse seine Sympathi- mit seiner Mutter nach Berlin, wo jetmacht in Wien. 1929 kehrt er nach en für die revolutionäre Arbeiterbe- beide eine Arbeit aufnahmen. Es Deutschland zurück, übernimmt ver- wegung. dauerte nicht lange, bis er sich der schiedene Aufgaben innerhalb der revolutionären Arbeiterbewegung KPD und 1932 wird er Reichstagsab- Nach einer Verwundung flüchtete er anschloss. Sein Kampf gegen den geordneter. im Juli 1918 aus dem Lazarett. Auf deutschen Imperialismus und für dem Weg nach Wilhelmshaven, wo den proletarischen Internationalis- Im letzten Jahr der Weimarer Re- er sich den revolutionären Matrosen mus führte ihn an die Seite von Rosa publik widmet er sich dem Kampf anschließen wollte, wurde er aller- Luxemburg und Karl Liebknecht. gegen den Faschismus. Nach der dings entdeckt und in ein Berliner

Seite 22 Cottbus befreit! Militärgefängnis gebracht. Die No- entlassen wurde, emigrierte er nach In die DDR zurückgekehrt, übernahm vemberrevolution brachte ihm die Belgien und arbeitete von dort im er Aufgaben in Politik und Wirt- Freiheit, und er schloss sich sofort Widerstand gegen die Nazis. schaft. Als das Kraftwerk Schwarze der Volksmarinedivision an, die auf Pumpe errichtet wurde, war er in der der Seite der revolutionären Arbeiter Als am 18. Juli 1936 Teile der spani- Werkleitung tätig. 1958 wurde er in stand. schen Armee unter General Franco die Bezirksleitung der SED gewählt. gegen die demokratische Regierung Im Dezember 1918 kehrte er wieder putschte und die Hitlerregierung die- Am 8. September 1964 verstarb Hor- in seine Heimatstadt zurück, wo sich sen offen unterstützte, rief die KPD- nick an den Folgen einer schweren ein Arbeiter- und Soldatenrat gebil- Führung auf, die legitime Regierung Krankheit. In Cottbus wurde eine det hatte. Wieder nach Forst zurück- von Spanien auch mit militärischen Straße nach ihm benannt. Nach der gekehrt, baute er dort eine Gruppe Mittel beizustehen. Im Juli 1937 reis- Wende 1989/90 wurde die Straße der Freien Sozialistischen Jugend. Im te Hornick nach Spanien und kämpf- 1991 umbenannt. Sie trägt seitdem Juni 1919 schloss sich diese Organi- te bei der Internationalen Brigade. den Namen des Dichters Hermann sation der Ende 1918 gegründeten Von Januar bis März 1938 übernahm Löns, der sich vor allem antisemi- Kommunistischen Partei Deutsch- er das Kommando über das Bataillon tisch und völkisch-nationalistisch lands (KPD) an. Als im Jahr 1920 der „Ernst Thälmann“. geäußert hatte. General Walther von Lüttwitz mit der „Nationalen Vereinigung“ von Adolphe Low – letzter Spanien- Wolfgang Kapp einen Putsch gegen kämpfer aus Cottbus die Reichsregierung anzettelten, half Paul Hornick als Mitglied des Arbei- Am 21. Juli 1915 als Adolf Löw in tervollzugsrats in Forst, dass die de- Cottbus geboren, wuchs Adolphe mokratischen Errungenschaften der Low in einem jüdischen Elternhaus Novemberrevolution gesichert wer- mit fünf älteren Geschwistern in den konnten. Berlin auf. Er kam sehr früh mit der jüdischen antifaschistischen Jugend- Als sich in der Weimarer Republik die bewegung in Kontakt und trat dem nationalistischen Kräfte sammelten Kommunistischen Jugendverband und immer offener ihre politischen Deutschlands, der Jugendorgani- Gegner verfolgten, beschloss die sation der KPD bei. Im Alter von 16 Führung der KPD, den Roten Front- Jahren wurde Adolphe Low das ers- kämpferbund (RFB) zu gründen. te Mal im Polizeigefängnis am Alex Dieser Organisation gehörten Kom- inhaftiert, weil er an einer illegalen munisten, Parteilose und Mitglieder Versammlung jüdischer Antifaschis- anderer Parteien an. Hornick erhielt ten aus Polen teilgenommen hatte. 1925 den Auftrag, beim Aufbau des Nach dreijährigem Kampf gegen die RFB in Berlin und Brandenburg zu Franco-Faschisten mussten die Interb- Er entschloss sich, Hitlerdeutsch- helfen. 1927 wurde Hornick in die rigadisten Spanien verlassen. Von den land zu verlassen, als sein Elternhaus Bundesführung des RFB gewählt. 5.000 Deutschen, die in Spanien für durchsucht wurde und er erneut ver- die Demokratie kämpften, ließen über haftet werden sollte. Seine Eltern Bei den Reichstagswahlen im Sep- 3.000 ihr Leben. Paul Hornick, der im und auch eine Schwester wurden tember 1930 wurde Hornick in das Februar 1939 das Land verließ, wurde später nach Auschwitz deportiert oberste Parlament gewählt. In seiner anschließend in verschiedenen fran- und dort ermordet. Funktion als Abgeordneter trat er für zösischen Lagern interniert – bis 1943. die Einheitsfront von Kommunisten Von französischen Soldaten wurde er In Frankreich wurde er als illegaler und Sozialdemokraten ein, um der mit seinen Mitgefangenen in das fran- Emigrant von der französischen Po- stärker werdenden faschistischen zösische Konzentrationslager Djelfa in lizei und Behörden verfolgt, kam er Bewegung Widerstand entgegen zu Nordafrika verschifft, wo er dann von mit seinem letzten Geld nach Paris stellen. englischen Soldaten befreit wurde. und fand Aufnahme in einem jüdi- schen Asyl. Er wurde einige Male von Nach der Machtübergabe an Hitler Sein weiterer Weg führte ihn in die So- der Polizei verhaftet und des Landes war auch Hornick gezwungen, in die wjetunion – über Ägypten, Palästina, verwiesen, kehrte jedoch immer wie- Illegalität zu gehen. Doch der Verfol- Irak und Iran. Als gelernter Bauarbei- der nach Paris zurück und fand An- gungsdruck war zu groß, und so wur- ter beteiligte er sich dort am Wieder- stellung in einer jüdischen Kantine. de er im Juli 1933 verhaftet. Er saß aufbau des zerstörten Landes. Erst im zwei Jahre im KZ Columbia-Haus in Sommer 1956 kehrte er nach Deutsch- 1936 hörte der junge, deutsche An- Berlin ein. Nachdem er aus der Haft land zurück. tifaschist in Paris die Rede von Do-

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 23 lores Ibarurri vor 50.000 Menschen, nach Paris entkommen. 1940 wurde Georg Dix – geehrt und vergessen eine flammende Rede (bekannt auch er in die Fremdenlegion nach Algeri- als „La Passionaria“), in der sie zur en eingeschifft. Georg Dix wurde am 17. Januar 1897 Verteidigung der Spanischen Repu- in Drebkau geboren. Der Vater arbei- blik aufrief. Dies beeindruckte den Ab 1943 kämpfte er in der Résistance. tete als Schneidergeselle. Nach sei- 21-jährigen Adolphe Low so sehr, Adolphe Low flüchtete in das franzö- ner Lehre zum Tischler absolvierte dass er sich den Internationalen Bri- sische Guéret (Département Creuse) Georg Dix seinen Militärdienst im I. gaden anschloss. und war einer der ersten Kämpfer der Weltkrieg bei der Marine. Begeistert Partisanen dort. Seine militärischen von der Oktoberrevolution engagier- Im Oktober desselben Jahres setze er Kenntnisse und Leistungen befähig- te er sich 1918 für die Revolution in auf einem alten Kohlendampfer nach ten ihn sehr schnell, zum Offizier Deutschland und wurde in den Sol- Alicante über und kämpfte in der XI. und später auch zum Kommandan- datenrat der Stadt Emden von 1918 Internationalen Brigade. Sein Kom- ten einer Kompanie in der Résistance bis Juni 1919 gewählt. In diesem Jahr panieführer war Heinz Hoffmann, der befördert zu werden. Adolphe Low trat er der USPD bei und nahm an spätere Verteidigungsminister der war beispielsweise an der Sprengung den bewaffneten Kämpfen teil. 1920 DDR. In der Nacht begann der erste der deutschen Kommandantur in wurde er Gewerkschaftsmitglied im Angriff der Franquisten, bei dem der Creuse beteiligt und hatte auch eine „Einheitsverband der Eisenbahner“. junge Belgier, mit dem sich Adolphe entscheidende Rolle bei der Befrei- Mehrere Jahre wirkte er als Betriebs- bei der Überfahrt angefreundet hat- ung von Guéret am 7. Juni 1944. ratsvorsitzender. Im Jahr 1923 trat er te und der in der gleichen Einheit in die KPD ein. Er gründete mit an- wie er kämpfte, einen Bauchschuss Am 8. Mai 1945 erhielt der staaten- deren Genossen die Ortsgruppe der erlitt und in den Armen Adolphe lose Adolphe Low die französische KPD in Cottbus-Ströbitz. Als Mit- Lows verstarb. Von den 600 Interb- Staatsbürgerschaft durch einen per- glied der Gemeindeverwaltung und rigadisten, mit denen Adolphe nach sönlichen Erlass von General Charles der Unterbezirksleitung der KPD ent- Alicante eingeschifft wurde, überleb- de Gaulle. Adolphe Low kehrte wickelte Georg Dix vielfältige Initia- ten nur 20. nach dem Krieg, auf Einladung des tiven in der politischen Arbeit. 1926 bis 1930 gehörte er dem Betriebsrat der Eisenbahndirektion Halle an. 1933 verschleppten ihn die Nazis in das KZ Sonnenburg (heute Słosk, Polen). Wieder entlassen suchte er unter Polizeiaufsicht dennoch Kon- takt zu Genossen und beteiligte sich in der Gruppe um Willy Jannasch am Widerstandskampf. Im Januar 1936 flog die Gruppe auf. Georg Dix wur- de im Juni 1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Zuchthaus Brandenburg-Görden musste er aber acht Jahre Haft durchleiden. Am 1. Februar 1944 zogen ihn die Faschis- ten in das Strafbataillon 999 ein. Im März 1945 kam er in sowjetische Ge- fangenschaft.

Am 10. Oktober desselben Jahres konnte er nach Cottbus zurückkeh- ren. Er wurde von den sowjetischen Behörden als Kreisrat beim Rat des Adolphe Low (stehend) bei den Inter- Verbands der Verfolgten des Nazire- Kreises Cottbus-Land eingesetzt. Er brigadisten gimes, nur einmal in das Nachkriegs- starb am 13. Dezember 1967. 1969 deutschland zurück – genauer Berlin. wurde eine neue Straße in Sandow Nach dem Ende des Spanischen Bür- Er verstarb am 11. November 2012 in nach ihm benannt, die 1991 nach gerkrieges wurde er nicht in einem Strasbourg. dem alten Straßenzug Sanzeberg- Lager interniert, sondern konnte straße umbenannt wurde. aufgrund seiner guten französischen Sprachkenntnisse als „Franzose“

Seite 24 Cottbus befreit! Ergänzungen Weitere Quellen: Impressum:

Nachtrag zu Heinz Reinefarth: Ebert, Rolf (2005): Die Ereignisse im Cottbus befreit! April 1945 in Lübben in den Erinne- Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich 2013 erhielt laut NDR-Fernsehen der rungen von Zeitzeugen, Lübbener vom 22. April 2015 SPD-Mann Ernst-Wilhelm Stojan auf Reihe Nr. 1, Regia Verlag, Cottbus. seine Nachfrage, wie es sein konnte, Autoren: dass der „Henker von Warschau“ Bür- Eichholtz, Dieter (1993): Branden- Daniel Häfner und Bernd Müller germeister werden konnten den Rat, burg in der NS-Zeit, Brandenburgi- die alten Geschichten endlich ruhen sche Zentrale für politische Bildung, Auflage: zu lassen. Die Inselhistorikerin Silke Volk und Feld, Potsdam. 1.500 Stück, Selbstverlag von Bremen sah das Anfang Mai 2014 in einer Sitzung des Kulturausschus- Kasper, M., Scholta, J. (1960): Aus Der Druck wurde durch die ses anders. Sie initiierte eine tiefer den Akten nazistischer Wendenpoli- Rosa-Luxemburg-Stiftung gehende öffentliche Auseinander- tik, Domowina Verlag, Bautzen. unterstützt. setzung der Westerländer mit den Lehman, Herbert (2007): Am Kreuze Taten Reinefarths, mit der Geschich- scheiden sich die Geister, Cottbuser Wir danken den Menschen, die uns bei te und mit der gescheiterten Entna- Blätter, Sonderheft 2008, Regia Ver- dieser Broschüre unterstützt haben zifizierung in Schleswig-Holstein lag, Cottbus durch Recherche, Ideen, Ausdauer, in den 50er Jahren. Der Landtag hat grafische Gestaltung, Geduld, Kontak- dafür 300.000 Euro bereitgestellt und Neitmann, Klaus (2002): Zwangsar- te und Finanzen. Und wir danken den rechnet mit einem Ergebnis in 2017. beit während der NS- Zeit in Berlin Menschen, die die Erinnerung wach Anlässlich des 70. Jahrestages des und Brandenburg. Formen, Funktion halten durch Recherchen, Stolperstei- Warschauer Aufstandes im August und Rezeption, Verlag Berlin Bran- ne, Ausstellungen und Demonstratio- 2014 gedachte der Sylter Landtag denburg. nen. Niemals wieder! Nie wieder Krieg, einstimmig der Opfer und benannte nie wieder Faschismus! Heinz Reinefarth erstmals als Kriegs- Posner, Dr. Rabbi (1908): Geschichte verbrecher wegen seiner Mordbren- der Juden in Cottbus, Verlag Albert nerei bei der Niederschlagung des Heine, Cottbus. Aufstands. Am Sylter Rathaus hängt Stadtarchiv Cottbus: StA Cottbus All, seitdem eine Gedenktafel, die diese 7.1., Nr. 13 Zusammenhänge offenbart. Stadtgeschichtliche Sammlungen Ergänzung Unternehmen Cottbus: (2003): Chronik zur Geschichte der Stadt Cottbus, Cottbuser Blätter, Das Bundesarchiv-Militärarchiv teil- Sonderheft 2002, Regia Verlag, Cott- te auf Nachfrage mit: Decknamen bus. wurden nicht nur für militärische Operationen verwendet sondern Weiß, Hermann (2002): Personenle- auch für staatliche Behörden des xikon 1933-1945, tosa Verlag, Frank- Dritten Reiches einschließlich Poli- furt am Main zei und Reichsarbeitsdienst. Sie wur- den willkürlich festgesetzt und dem Wierick, Conny (2008): Skalpell und zeitgenössischen Schriftgut entnom- Vaterunser. Der Cottbuser Orthopäde men, um einerseits kurze Bezeich- Dr. Steinhäuser, Regia Verlag, Cott- nungen zu verwenden und anderer- bus. seits Operationen und Dienststellen ausreichend gegenüber dem Geg- ner und Außenstehende zu tarnen. Gleichwohl gibt es auch Tarnnamen, die eine Affinität zur Realität aufwei- sen wie z.B. „Bananen“ für den SS- Einsatzstab für Westafrika (1942). Für das „Unternehmen Cottbus“ sind in der mir vorliegenden Literatur kei- ne Zusammenhänge mit dem Ort als solchen erkennbar.

Täter, Opfer, Widerstand im 3. Reich Seite 25 70 Jahre . 22. April 1945 . Cottbus befreit!

Wir wollen auf den 22. April 1945 Tausende Zwangsarbeiter waren in für Cottbus hinweisen und die Er- zahlreichen Lagern in und um Cott- innerung daran wachhalten. An bus untergebracht, und sie arbeite- diesem Tag gelang es der Roten ten neben Deutschen in der Cott- Armee, Truppen der Wehrmacht, buser Rüstungsindustrie. Auch ihr des Volkssturms und der SS aus der Schicksal darf nicht in Vergessen- Stadt zu drängen. Für die verblie- heit geraten. Viele starben hier und benen Bewohner von Cottbus, aber andere warten auch heute noch auf auch für die vielen Zwangsarbeiter, ihre Entschädigung. die damals in Cottbus gefangen ge- halten wurden, war damit der Krieg Am 22. April 1945 war der Krieg in vorbei. Und mehr: Es war für sie Cottbus aus und gut zwei Wochen eine Befreiung! später – am 8. Mai – kapitulier- te die Wehrmacht bedingungslos. Das Bündnis „Cottbus befreit“ setzt Seitdem gilt der 8. Mai als Tag der sich zusammen aus verschiedenen Befreiung, worauf auch der ehema- Gruppen, Parteien und Einzelper- lige Bundespräsident Richard von sonen. Mit verschiedenen Aktionen Weizsäcker hinwies. zwischen dem 22. April und dem 08. Mai will das Bündnis darauf hin- Natürlich ist dieser Begriff schwie- weisen, dass es in Cottbus – wie in rig, denn diese „Befreiung“ führte jeder anderen Stadt Deutschlands ja nicht zu einem Leben in voll- auch – Täter, Opfer und auch Wi- ständiger Freiheit und Gleichheit. derstand gab. Dennoch ist das der richtige Be- griff, weil „Kriegsende“ zu schwach Juden, Kommunisten und andere, klingt, um den Umbruch zu be- die mit dem faschistischen Regime schreiben, der geschah – und das nicht konform gingen, wurden auch Ende des Leidens von Millionen. in Cottbus verfolgt. Die Täter hat- ten hier ihren Dienstsitz, und die Die Menschen wurden befreit von meisten von ihnen wohnten auch einem unmenschlichen und verbre- hier. Was in den Jahren von 1933 cherischen System. Dafür starben bis 1945 in Cottbus geschehen ist, Millionen Menschen – das Bündnis soll nicht vergessen werden. Als „Cottbus befreit“ will sie ehren und Bündnis wollen wir auf Schicksale ihr Opfer in Erinnerung halten. hinweisen: Täter und Opfer hatten Namen und Adressen. Wir wollen darauf hinweisen, was aus diesen Menschen wurde.

cottbusbefreit.blogsport.de . facebook.com/cottbusbefreit Seite 26 Cottbus befreit!