Aufsatz

Marc Frey

Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Nieder- landen im Ersten Weltkrieg*

Wohl kein Bereich der Forschung zur Geschichte Deutschlands im Ersten Weltkrieg ist so unterrepräsentiert wie die Analyse der deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen in den Jahren 1914—1918. Darstellungen der deutschen Kriegswirtschaft betonen die wachsende Rohstoff- und Nahrungsmittelknappheit, deren Ausmaß kaum noch lösbare Anforderun- gen an die deutsche Wirtschaft stellten1. Besonders die aus dem anglo-amerikanischen Raum stammende Forschung zum Wirtschaftskrieg übte nachhaltigen Einfluß auf das Ver- ständnis der deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen im Krieg aus. Danach gelang es Groß- britannien, Deutschland mit Hilfe der Blockade bald nach Kriegsausbruch vom Weltmarkt zu verdrängen und den Handel mit dem Ausland im weiteren Verlauf des Krieges ganz zum Erliegen zu bringen2. Schon vor zwanzig Jahren zog Gerd Hardach in seiner inter- nationalen Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs den Erfolg der alliierten Wirtschafts- blockade gegen Deutschland in Zweifel und verwies auf die Rolle der Neutralen als be- deutende Handelspartner Deutschlands3. Bis heute wurden seine Thesen weder aufgenom: men noch einer genauen Uberprüfung unterzogen. So stellte auch die neuere Forschung zu verschiedenen Aspekten der deutschen Kriegswirtschaft die Wirkung der alliierten Blockade gerade im Hinblick auf die deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen nicht in Frage4. Angesichts der großen Bedeutung der neutralen Staaten für die deutsche Kriegs- wirtschaft ist es jedoch erstaunlich, daß die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen Deutsch- lands zu Dänemark, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, der Schweiz und den Ver- einigten Staaten von der Forschung bislang unberücksichtigt blieben. Studien, die sich mit

* Ich möchte mich bei Herrn Prof. Dr. Jürgen Heideking, Frau Dr. Ragnhild Fiebig-v. Hase und Frau Dr. Vera Nünning von der Anglo-Amerikanischen Abteilung des Historischen Seminars der Universität zu Köln sehr herzlich für Rat und Kritik bedanken. Der Artikel ist Teil eines Promotionsprojekts zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Niederlande für die Kriegs- gegner Deutschland, Großbritannien und Vereinigte Staaten. 1 Vgl. z.B. die grundlegenden Darstellungen bei Karl Dietrich Erdmann, Der Erste Weltkrieg, 1973 (= Gebhard Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd 4), § 19; Hans Herzfeld, Der Erste Weltkrieg (dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts), München 71985 (1. Aufl. 1968), S. 179-195; Peter Graf Kielmannsegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, 2. durchges. Aufl. Frankfurt a.M. 1980, S. 162—204. Dort auch weiterführende Literatur. 2 Archibald C. Bell, The Blockade of the Central Empires 1914—1918. (For official purposes only, London 1937), London 1961; Marion C. Siney, The Allied Blockade of , 1914—1916, Ann Arbor, MI 1957; Arthur Marsdon, The Blockade, in: British Foreign Policy under Sir Ed- ward Grey, ed. by F.H. Hinsley, Cambridge 1977, S. 488-515. 3 Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg, München 1973 (= Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahr- hundert, Bd 2), S. 43, 160. 4 Vgl. z. B. Hans Gotthard Ehlert, Die wirtschaftliche Zentralbehörde des Deutschen Reiches 1914—1919. Das Problem der »Gemeinwirtschaft« in Krieg und Frieden, Wiesbaden 1982, S. 34—38; Avner Offer, The First World War. An Agrarian Interpretation, Oxford 1989; Anne Roerkohl, Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Lebensmittelversorgung in Westfalen wäh- rend des Ersten Weltkrieges, Stuttgart 1991, S. 15—19.

Militärgeschichtliche Mitteilungen 53 (1994), S. 327—353 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 328 MGM 53 (1994) Marc Frey der Rolle der europäischen Neutralen befassen, beschränken sich in der Regel auf die poli- tischen Beziehungen5. Ziel dieses Artikels ist es, anhand einer Auswertung unveröffentlichter Quellen aus deut- schen Archiven ein differenzierteres Bild der deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen zu zeichnen. Beispielhaft werden hier die deutschen Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden beleuchtet. Der amerikanische Kapitalmarkt war bis zum Kriegs- eintritt der Vereinigten Staaten im April 1917 der bei weitem größte und kapitalkräftigste neutrale Markt. Besonders im ersten Kriegsjahr spielten die USA für die Beschaffung von Devisen eine herausragende Rolle. Die Niederlande dagegen wurden im Ersten Weltkrieg der wichtigste neutrale Außenwirtschaftspartner Deutschlands. Sie rückten im Novem- ber 1915, als die Finanzbeziehungen Deutschlands mit den Vereinigten Staaten zunehmend erschwert wurden, in den Mittelpunkt der deutschen Auslandsfinanzierung. Die Quellenlage zu den Finanzbeziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bzw. den Niederlanden ist höchst unterschiedlich. Schon 1917 stellten deutsche Behörden fest, daß ein Uberblick über die Geschäfte Deutschlands mit Amerika »unmög- lich war, zumal infolge des schwierigen Kabelverkehrs und des ebenso schwierigen Brief- verkehrs eine ausführliche Korrespondenz nicht geführt werden konnte«6. Dennoch ge- lang es, in groben Linien die Entwicklung der deutsch-amerikanischen Finanzbeziehun- gen nachzuzeichnen. Dagegen sind die deutsch-niederländischen Finanzbeziehungen ausführlicher dokumentiert7.

I. Ausgangslage und Rahmenbedingungen

Deutschland war in der Vorkriegszeit auf die Einfuhr zahlreicher Rohstoffe angewiesen, rund 20 Prozent aller Nahrungsmittel mußten importiert werden. Mit einem Import vo- lumen von 34,83 Milliarden Mark in den Jahren 1908 bis 1911, dem Exporte von rund 28,572 Milliarden gegenüberstanden, war Deutschland eine der führenden Industrie- und Handelsnationen der Welt. Die veränderten Bedürfnisse und Anforderungen der Wirtschaft trugen während des Krieges zu einem dramatischen Rückgang des Außenhandels der Ex-

5 W. M. Carlgren, Neutralität oder Allianz. Deutschlands Beziehungen zu Schweden in den Anfangs- jahren des Ersten Weltkrieges, Stockholm 1962; Steven Koblik, The Neutral Victor. Sweden and the Western Powers 1917—1918, Lund 1972; Brian J. C. McKercher and Keith E. Neilson, The Tri- umph of Unarmed Forces. Sweden and the Allied Blockade of Germany, 1914—1917, in: Journal of Strategic Studies, 7(1984), S. 179—199; Olaf Riste, The Neutral Ally. Norway's Relations with Belligerent Powers in the First World War, Oslo 1965; Tage Kaarsted, Great Britain and Denmark 1914—1920, Odense 1979; Wilhelm E. Winterhager, Mission für den Frieden. Europäische Macht- politik und Dänische Friedensvermittlung im Ersten Weltkrieg. Vom August 1914 bis zum Italie- nischen Kriegseintritt 1915, Stuttgart 1984; Cornells Smit, Nederland in de Eerste Wereldoorlog, 1898—1919, 3 Bde, Groningen 1971—1973. Eine Ausnahme bildet die wirtschaftsgeschichtlich de- tailreiche Studie zur Lage der Schweiz von Heinz Ochsenbein, Die verlorene Wirtschaftsfreiheit 1914—1918. Methoden ausländischer Wirtschaftskontrolle über die Schweiz, Bern 1971. 6 Bundesarchiv-Zwischenarchiv, Dahlwitz-Hoppegarten (BA-DH), Zentral-Einkaufs-Gesellschaft (ZEG) 1370, Die Tätigkeit des Geheimen Oberregierungsrat Albert nach Büchern der ZEG, oh- ne Datum (April/Mai 1917). 7 Als übergeordneter Begriff für die deutschen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen wurde die Be- zeichnung »Außenwirtschaft« gewählt. Diese gliedert sich in »Außenhandelsbeziehungen« und »Auslandsfinanzierung«. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt im folgenden auf der Auslands- finanzierung. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 329 porte bei. Neben den kriegsbedingten Umstellungsprozessen war die alliierte Wirtschafts- blockade gegen Deutschland maßgeblich verantwortlich für das Sinken der Im- und Ex- porte. Doch konnte Deutschland während der gesamten Kriegsdauer immerhin Waren im Wert von 22,8 Milliarden Goldmark importieren, die Exporte beliefen sich auf 11,7 Mil- liarden8. Der Warenverkehr Deutschlands mit dem Ausland beschränkte sich im Krieg vorwiegend auf den Austausch mit den benachbarten neutralen Anrainerstaaten. Diese lieferten bis zum Ende der Kampfhandlungen im November 1918 kriegswichtige Güter wie Nahrungsmittel (Dänemark, Niederlande), metallhaltige Erze wie Eisen, Nickel, Zinn und andere Rohstoffe (Norwegen, Schweden) sowie Maschinen (Schweiz). Die Finanzie- rung dieser Importe stellte angesichts der unausgeglichenen Zahlungsbilanz Deutschlands gegenüber den neutralen Nachbarstaaten ein immer größer werdendes Problem dar. Das Reich, während des Krieges mehrfach an der Grenze der Zahlungsfähigkeit, beglich die ausländischen Forderungen gerade in der Anfangsphase des Krieges zu einem großen Teil in Mark. Der unaufhaltsam sinkende Kurs der deutschen Währung an den neutralen De- visenmärkten zwang die jedoch zur Abgabe von Goldbeträgen in einem Um- fang von 800 Millionen, deutsche und ausländische Wertpapiere wurden in Milliardenhö- he veräußert9. Trotz der britischen Blockademaßnahmen gegenüber der neutralen Finanz- welt gelang es der Reichsregierung im Verlauf des Krieges, Kreditforderungen in Milliar- denhöhe im neutralen Ausland anzuhäufen. Deutschland ging im August 1914 wirtschaftlich und finanziell unvorbereitet in den Krieg10. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt war allgemein bekannt, doch hielt man eine lange Kriegsdauer für unwahrscheinlich. Weder die politische noch die militärische Lei- tung des Reiches war sich bei Kriegsbeginn darüber im klaren, welche wirtschaftlichen und finanziellen Implikationen der Krieg haben würde und welche Aufgaben auf die nach und nach ausschließlich in den Dienst des Krieges gestellte Volkswirtschaft zukamen11. Obwohl die Admiralität mit einem englischen Handelskrieg gerechnet hatte, entzogen sich doch die kriegswirtschaftlichen Möglichkeiten, über welche Großbritannien als bedeu- tendste Kolonial- und Seemacht verfügte, jeder Spekulation12.

8 Für die Vorkriegszeit vgl. Statistisches Reichsamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für das Deut- sche Reich 43 (1912), 1913, S. 254f. Angaben über den Außenhandel der Kriegsjahre wur- den nie veröffentlicht. Vgl. daher Kleine-Natrop, Devisenpolitik in Deutschland vor dem Kriege und in der Kriegs- und Nachkriegszeit, Berlin 1922, S. 10. 9 Heinz Habedank, Die Reichsbank in der Weimarer Republik, Berlin(Ost) 1981, S. 31—34. 10 Lothar Burchardt, Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge. Deutschlands wirtschaftliche Rüstungs- bestrebungen vor 1914, Boppard 1968, S. 239 und passim; Alfred Schröter, Krieg — Staat — Mo- nopol 1914—1918, Berlm (Ost) 1965, S. 36—44; Konrad Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, Berlin 1967, S. 31 f.; Reinhold Zilch, Die Reichsbank und die finan- zielle Kriegsvorbereitung 1907—1914, Berlin (Ost) 1987, S. 127 u. passim. Dagegen Habedank, Reichsbank (wie Anm. 9), S. 27. Seiner Einschätzung nach ging das Reich »sorgfältig« vorberei- tet in den Krieg. 11 Clemens v. Delbrück, Die wirtschaftliche Mobilmachung in Deutschland 1914, München 1924, S. 63 f., 70, und passim; Karl Helfferich, Der Weltkrieg, 3 Bde, Berlin 1919, Bd 2, S. 34-47; vgl. auch Lothar Burchardt, Walther Rathenau und die Anfänge der deutschen Rohstoffbewirtschaf- tung im Ersten Weltkrieg, in: Tradition, 15(1970), S. 169—196. 12 Walther Hubatsch, Der Admiralstab und die Obersten Marinebehörden in Deutschland, 1848-1945, Frankfurt a.M. 1958, S. 145, 152, 163 f. 330 MGM 53 (1994) Marc Frey

II. Deutschland und der amerikanische Kapitalmarkt

Das erste Kriegsjahr

Bei Kriegsausbruch richtete die Reichsleitung ihre Hoffnungen, Deutschland mit Roh- stoffen und Nahrungsmitteln zu versorgen, auf den riesigen amerikanischen Markt. Man ging davon aus, die seit langem bestehenden intensiven Geschäftsverbindungen mit dem wichtigsten deutschen Außenhandelspartner der Vorkriegszeit nutzen zu können. Hun- derte von großen und kleinen Firmen besaßen Tochtergesellschaften oder Filialen in den USA, die deutschen Investitionen beliefen sich auf insgesamt $ 1,1 Milliarden13. Mit Hil- fe der neutralen Schiffahrt, so nahm man an, würde es gelingen, genügend kriegswichtige Güter von Amerika nach Deutschland zu bringen. Dementsprechend beauftragte der deut- sche Konsul in Rotterdam, Carl Gneist, im Auftrag der Reichsregierung schon am 31. Juli 1914 den niederländischen Industriellen und Großhandelskaufmann Anthony George Kröl- ler, zur Versorgung der Bevölkerung 100000 Tonnen Getreide in Amerika anzukaufen und nach Deutschland zu liefern14. Mit dem gleichen Ziel wurden Anfang August der Geheime Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern, Heinrich Albert, und Bernhard Dernburg, Ex-Bankier und ehemaliger Staatssekretär im Reichskolonialamt, in geheimer Mission nach New York geschickt, um in den Vereinigten Staaten den Ankauf von Waren und den Verkauf von Wertpapieren zu organisieren. Unter anderem sollte Albert auf Dol- lar ausgestellte Reichsschatzanweisungen im Wert von $ 25 Millionen veräußern, um da- für eine »größere Menge Lebensmittel, besonders Getreide« aufzukaufen und nach Deutsch- land zu verschiffen. Falls dies gelingen sollte, wollte man Schatzanweisungen über weitere $ 150 Millionen aufwenden15. Da es sich bei dem Vorhaben um große Einkäufe im Auftrag der deutschen Regierung handelte, deren Finanzierung mit Hilfe von Staatspapieren erfolgen sollte, erschien die Entsendung hoher Regierungsvertreter notwendig. Außerdem war Deutschland seit Kriegs- beginn der sonst übliche Weg im weltweiten Zahlungsverkehr verschlossen. Der Finanz- platz London, über den in der Vorkriegszeit internationale Finanztransaktionen abgewickelt worden waren, kam seit August 1914 für deutsche Interessen nicht mehr in Betracht. Um den Anschluß an die weltweiten Kapitalmärkte nicht zu verlieren, wichen deutsche Ban- ken in die neutralen Staaten aus. Das Hamburger Bankhaus M.M. Warburg & Co. bei- spielsweise verlegte seine Londoner Filiale nach Amsterdam16. Die persönliche Anwesen-

13 Deutschland bezog im Jahre 1912 Waren im Wert von fast 1,6 Mrd. Mark von den Vereinigten Staaten (14,9% der Gesamtimporte). Angaben nach Statistisches Reichsamt (wie Anm. 8), S. 241. Zu den Wirtschaftsbeziehungen der Vorkriegszeit vgl. Ragnhild Fiebig-v. Hase, Die deutsch-ame- rikanischen Wirtschaftsbeziehungen, 1890—1914, im Zeichen von Protektionismus und interna- tionaler Integration, in: Amerikastudien, 33 (1989), S. 329—357; Thomas R. Kabusch, Deutsches Kapital in den USA. Von der Reichsgründung bis zur Sequestierung (1917) und Freigabe, Stutt- gart 1982; Mira Wilkins, The History of Foreign Investment in the United States to 1914, Cam- bridge, Mass./London 1989, S. 171. 14 Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam (BArch P), Auswärtiges Amt, Handelspolitische Abteilung (AA II), 3625, Bl. 21—26, Aufzeichnung über die am 16. August 1914 im Reichsamt des Innern stattgefundene Sitzung betreffend Fragen der wirtschaftlichen Mobilmachung. 15 Politisches Archiv, Auswärtiges Amt, Bonn (PA/AA), R 20925, Hermann Kühn, Staatssekretär des Reichsschatzamts, an Gottlieb v. Jagow, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, 9. August 1914. 16 Alfred Vagts, M.M. Warburg & Co. Ein Bankhaus in der deutschen Weltpolitik 1905—1933, in: Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 331 heit des zum »Referenten für wirtschaftliche Fragen während der Mobilmachung und wäh- rend des Krieges« ernannten Heinrich Albert in Amerika und die Mitarbeit einer im Trans- atlantikgeschäft versierten Bank waren angesichts des sensiblen Auftrags von großer Wichtigkeit17. Aus diesem Grund vereinbarte die Reichsregierung mit M.M. Warburg, die Geschäftskorrespondenz zwischen Albert und Dernburg in New York und dem Reichs- amt des Innern über Max Warburgs Vertrauten Pieter Vuyk in zu erledigen18. Dies sollte verhindern, daß die britische Regierung, die sowohl den Kabelverkehr wie auch die funktelegraphische Übermittlung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten überwachen konnte, von Geschäftsinterna erfuhr. Da es aber die amerikanischen Telegra- phengesellschaften ablehnten, verschlüsselte oder nur ungenügend adressierte Kabel nach Amsterdam weiterzuleiten, sahen sich Albert und Warburg gezwungen, das Auswärtige Amt um Hilfe zu bitten. So wurde letztlich die Kommunikation zwischen New York und Deutschland über die dem Auswärtigen Amt in Berlin zur Verfügung stehenden schwe- dischen Verbindungen durchgeführt19. Schon im August wurde deutlich, daß Verschiffungen von Amerika nach Deutschland und die damit zusammenhängende verbundenen finanziellen Transaktionen mit großen Problemen verbunden sein würden. Die englische Marine brachte Kröllers Schiffe auf, das Urteil eines englischen Prisengerichts gab die Ladungen größtenteils zum Verkauf in Groß- britannien frei, da nachgewiesen werden konnte, daß ihre Endbestimmung Deutschland war20. Auch Albert gelang ein Geschäftsabschluß zunächst nicht. Die Schatzanweisungen waren nicht absetzbar, da die amerikanische Regierung während der ersten Wochen des Krieges ein Kreditmoratorium verfügt hatte. Sie betrachtete den Verkauf von Staatsanlei- hen kriegführender Staaten als »unvereinbar mit dem wahren Geist der Neutralität«21. Un- ter dem Eindruck rasch wachsender Einkäufe der Entente in den USA wurde das Morato- rium auf Drängen der amerikanischen Großbank J. P. Morgan & Co. bald wieder aufge- hoben; ein erster Kredit an die britische Regierung kam im Januar 1915 zustande. Bei diesem zwischen Morgan & Co. und der britischen Regierung abgeschlossenen Vertrag handelte

Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 45 (1958), S. 289—388, hier S. 354. Ron Chernow, The Warburgs, New York 1993, S. 152-156, 196-203. Die englischen Filialen deut- scher Banken wurden bei Kriegsausbruch in ihrer Geschäftstätigkeit stark eingeschränkt; der Ge- schäftsverkehr mit Kunden innerhalb Großbritanniens wurde jedoch erst im weiteren Verlauf des Krieges verboten. Panakos Panayi, German Business Interests in Britain during the First World War, in: Business History, 32 (1990), S. 244-256. 17 Bundarchiv, Koblenz (BA), Personalakte Heinrich Albert, R43 1/2755, Clemens v. Delbrück, Staatssekretär im Reichsamt des Innern, an das Generalkommando des III. Armeekorps, 2. August 1914. 18 PA/AA, R 20925, Carl Gneist, deutscher Konsul in Rotterdam, an Reichskanzler Theobald v. Beth- mann Hollweg, 15. August 1914. 19 Bundesarchiv-Militärchiv, Freiburg (BA-MA), Admiralstab der Marine (RM 5), 1746, Bestimmungen für die funktelegraphische Beförderung von Privattelegrammen nach Amerika, 14. Juli 1915. Rein- hard R. Doerries, Washington — Berlin 1908/1917. Die Tätigkeit des Botschafters Johann Hein- rich Graf von Bernstorff in Washington vor dem Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1975, S. 57, Anm. 13. 20 John W. Coogan, The End of Neutrality. The United States, Britain, and Maritime Rights, 1899—1915, Ithaca, NY/London 1981, S. 162 f. Abzüglich der in Großbritannien verkauften La- dungen überwies die Reichsregierung Kröller 1,4 Mill. Mark. BA-DH, ZEG 324, Zentral-Ein- kaufs-Gesellschaft in Liquidation an Reichsbankdirektorium, 25. April 1923. 21 Ron Chernow, The House of Morgan. An American Banking Dynasty and the Rise of Modern Finance, New York 1990, S. 186; Arthur S. Link, Wilson. The Struggle for Neutrality, 1914-1915, Princeton, NJ 1960, S. 62-64. 332 MGM 53 (1994) Marc Frey

es sich um $ 12 Millionen, einen Betrag, der angesichts der $ 3 Milliarden, die sich die britische Regierung über Morgan & Co. bis 1917 auf dem amerikanischen Kapitalmarkt besorgte, noch sehr bescheiden war22. Nach der Aufkündigung des Moratoriums konnte auch Albert den Verkauf der Schat- zanweisungen wieder vorantreiben. Dies war allerdings mit »erheblichen Schwierigkeiten« verbunden. Nur das kleine und unbedeutende Bankhaus Chandler & Co., Philadelphia & New York, fand sich nach langen Verhandlungen bereit, Schatzanweisungen im Wert von 10 Millionen $ anzunehmen23. In einem ausführlichen Bericht über seine bisherigen Bemühungen um Kredite faßte Albert die Lage in Amerika zusammen: Unter dem Druck von Morgan & Co. hatten sich die großen New Yorker Banken geweigert, mit den Deut- schen Geschäfte zu machen. Kuhn, Loeb & Co., verwandtschaftlich und geschäftlich eng mit Max Warburg verbunden, seien »die Hände gebunden« gewesen. Der englische Staats- bürger Otto Kahn, einer der Teilhaber von Kuhn, Loeb & Co., hätte seine Regierung über die Transaktion unterrichten und das Bankhaus dadurch in Schwierigkeiten mit der engli- schen Regierung bringen können. Albert fügte hinzu: »In der gleichen Lage befinden sich mehr oder weniger alle andern deutsch-amerikani- schen Bankhäuser, wie Hallgarten & Co., Goldman, Sachs & Co., Ladenburg, Thalmann & Co., Speyer & Co., Knauth, Nachod & Kuehne, Mueller & Schall, J.W. Seligmann & Co., usw. Diese Häuser haben entweder englische Teilhaber oder sind geschäftlich so eng mit England verbunden, daß ein englisches Vorgehen gegen sie ihre Existenz in Frage stellen würde24.« Aber nicht nur die Kreditschöpfung war mit großen Problemen behaftet. Systematisch erschwerte die britische Regierung den deutsch-amerikanischen Handel. Sie erweiterte zügig ihre Konterbandebestimmungen, und auch wenn Ausnahmen wie Baumwolle aus Rück- sicht auf die Interessen der amerikanischen Südstaaten erst im Herbst 1915 auf die Kon- terbandeliste gesetzt wurden, war der Warenaustausch zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland schon im Frühjahr 1915 nahezu unmöglich geworden25. Geschäfte über Drittländer brachten ebenfalls viele Hindernisse mit sich. Ausfuhrverbote der neutralen Staaten, Drohungen der englischen Regierung gegenüber neutralen Schiffahrtslinien, Ver- träge der britischen Regierung mit Wirtschaftsverbänden aus den neutralen Staaten, ge- stiegene Frachtraten, explodierende Versicherungsprämien und nicht zuletzt die umständ- lichen und unsicheren Kommunikationsverbindungen machten auch den indirekten Wa- renaustausch zu einem hohen Risiko26. Die britische Order in Council vom 11. März 1915

22 Chernow, House of Morgan (wie Anm. 21), S. 187 f. Zur Geschichte der britisch-amerikanischen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen vgl. Kathleen Burk, Britain, America, and the Sinews of War, 1914—1918, Boston/London 1985; George-Henri Soutou, L'or et le sang. Les buts de guerre économique de la Premiere Guerre mondiale, Paris 1989, S. 117—140. 23 PA/AA, R 20929, Johann Heinrich Graf v. Bernstorff, deutscher Botschafter in Washington, an AA, 6. April 1915. Doerries, Washington — Berlin (wie Anm. 19), S. 74, Anm. 102.' 24 PA/AA, R 20929, Bernstorff an AA mit Aufzeichnung Alberts über die $ 10 Millionen-Anleihe, 6. April 1915. Zu den Beziehungen zwischen M.M. Warburg und Kuhn, Loeb & Co. vgl. Vagts, M.M. Warburg & Co (wie Anm. 16), S. 289 f. 25 Während der amerikanische Export nach Deutschland noch 1914 einen Umfang von $ 345 Mil- lionen hatte, sank er 1915 auf $ 29 Millionen und betrug 1916 nur noch $ 2 Millionen. United States Bureau of the Census, Statistical History of the United States. From Colonial Times to the Present, New York 1976, S. 903. 26 Bekanntestes Beispiel der Vereinbarungen zwischen der britischen Regierung und neutralen Wirt- schaftsverbänden ist die Netherlands Oversea Trust Company (N.O.T.), zu der sich führende nie- Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 333 lief dann de facto auf eine völlige Blockade Deutschlands hinaus, der sich die neutrale Schiff- fahrt im Hinblick auf die weltweite Kontrolle der Schiffahrtswege und Kohlenstationen durch Großbritannien weitestgehend beugen mußte. Ohne Zweifel gelang es deutschen Handelshäusern auch noch bis zum Februar 1917, amerikanische Waren über Firmen in den neutralen Staaten anzukaufen. Zum Beweis der Verschiebungen verwies die britische Regierung in diesem Zusammenhang immer wieder auf die enorm ansteigenden skandi- navischen Importe amerikanischer Waren und forderte die Regierungen Dänemarks und Schwedens zu entschlossenem Handeln auf. Deutsche Akten bestätigen jedoch die dama- lige britische Argumentation nur in eingeschränktem Maße. Von einem skandinavischen Zwischenhandel im großen Stil kann keine Rede sein27. Vielmehr spiegeln die hohen skandinavischen Importziffern komplexere Zusammenhänge wider. Wurde vor dem Krieg ein erheblicher Teil des transatlantischen Frachtgeschäftes von deutschen Linien durchge- führt, die ihre für Skandinavien bestimmten Waren in Hamburg umluden (und daher nur teilweise in den Statistiken als amerikanisch-skandinavischer Handel erschienen), so über- nahmen nun skandinavische Linien das Frachtgeschäft. Hinzu kam der kriegsbedingte Aus- fall wichtiger Rohstoff- und Lebensmittelmärkte wie Rumänien oder Rußland und die veränderten Exportbedingungen in allen kriegführenden Staaten überhaupt. Die Schreiben Alberts über seine Bemühungen um Verschiffungen von amerikanischen Waren nach Europa zeigen deutlich die viefältigen Probleme. Zwar gelang es ihm und sei- nen Mitarbeitern bis in den Spätherbst 1916 hinein, mit Blockadebrechern, fingierten Schiff- fahrtslinien, Schein- und Tarnfirmen einige Waren nach Skandinavien zu verschiffen, doch mußten die meisten Ladungen, erreichten sie überhaupt ihre Bestimmung, in dortigen Häfen verkauft werden. Während Alberts Geschäfte in dieser Hinsicht nicht von Erfolg gekrönt waren, gelang es ihm bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland im Februar 1917 immerhin, mit Warentermingeschäften einen Gewinn von $ 400000 zu erwirtschaften28.

derländische Handelshäuser und Schiffahrtslinien unter Mitwirkung der englischen Regierung im November 1914 zusammenschlossen. Die N.O.T. garantierte ab Januar 1915 gegenüber Groß- britannien, daß die von Ubersee nach den Niederlanden verschifften Waren nicht in die Hände Deutschlands fallen würden. Im Gegenzug erklärte sich Großbritannien bereit, die ausschließ- lich für den niederländischen Bedarf nötigen überseeischen Importe nicht zu behindern. Ferdi- nand Tönnies, Die niederländische Ubersee-Trust-Gesellschaft, Jena 1915; Charlotte A. van Ma- nen, De Nederlandsche Overzee Trustmaatschappij, 6 Bde 's-Gravenhage 1935. In Dänemark wur- den ähnliche, jedoch bei weitem nicht so umfassende Abkommen mit der Wirtschaft ausgehandelt. Mit der Schweiz wurde in Anlehnung an die Ν. Ο. Τ ein vergleichbares Kontrollsystem in Ge- stalt der Société Suisse de Surveillance économique (S. S. S.) eingerichtet (Herbst 1915). Ochsenbein, Die verlorene Wirtschaftsfreiheit (wie Anm. 5), S. 210—246. 27 BArch Ρ, AA II, Akten der Gruppe 6 (Handel, Generalia), ζ. B. Kupfer- und Erzbeschaffung wäh- rend des Krieges (3670—3674) oder Baumwollbeschaffung während des Krieges (3676—3680). Aus den Bänden Die Versorgung Deutschlands mit Lebens- und Futtermitteln aus Ameñka während des Krieges (3695 und 3696) geht hervor, daß nach dem März 1915 nur noch geringe Importe aus Amerika über in Schweden ansässige Tarnfirmen nach Deutschland verschoben wurden. Der Um- fang dieser Verschiebungen stand in keinem Verhältnis zum organisatorischen und finanziellen Aufwand. 28 BA-DH, 2EG 1370, Die Tätigkeit des Geheimen Regierungsrat Albert nach Büchern der Zen- tral-Einkaufs-Gesellschaft, ohne Datum (April/Mai 1917). Die Warentermingeschäfte wurden vor- wiegend auf dem Rohstoffmark t (Baumwolle und Gummi) getätigt. Auch ließ Albert bedeuten- de Mengen an Rohstoffen, die erst nach Kriegsende zur Verschiffung gelangen sollten, einlagern. Diese wurden vor Kriegseintritt der Vereinigten Staaten verkauft. Vgl. ebd, 1375, Niederschrift über die Besprechung mit Vorstandsmitglied Wolf v. Igel am 13. April 1917. 334 MGM 53 (1994) Marc Frey

Doch zurück zur Lage im Frühjahr 1915. Zahlreiche Schilderungen deutscher Händler und die Berichte Alberts über die erfolglos verlaufenen Verschiffungen ließen bei der Reichs- leitung keine Zweifel offen: der amerikanische Markt würde zur Versorgung Deutschlands mit kriegswichtigen Gütern nicht zur Verfügung stehen29. Den mit dem Außenhandel betrauten Regierungsbehörden wie dem Reichsamt des Innern, dem Auswärtigen Amt und der Zentral-Einkaufs-Gesellschaft30 war klar, daß dies nur in eingeschränktem Maße für den amerikanischen Kapitalmarkt galt. Wenn auch amerikanische Kredite nicht zu be- schaffen waren, so würde man wenigstens Wertpapiere zur Beschaffung dringend benötig- ter Devisen verkaufen können. Neben die Bemühung um Kapitalbeschaffung auf dem amerikanischen Markt trat im ersten Jahr des Krieges auch die Absicht, amerikanische Kredite an die Entente zu verhin- dern. Um Gelder abzuziehen, wurden neutrale Banken daher von deutscher Seite zur Inanspruchnahme des amerikanischen Kapitalmarkts ermuntert. Jedes Geschäft einer neu- tralen Bank reduzierte die Möglichkeiten der Entente, Kredite am New Yorker Finanz- platz aufzunehmen. So konnte im Februar 1915 Max Warburg mit Hilfe seines nieder- ländischen Verbindungsmannes Pieter Vuyk die befreundete Javasche Bank in Batavia/ Amsterdam dazu überreden, eine 100-Millionen Gulden Anleihe nicht wie üblich am nie- derländischen Kapitalmarkt, sondern bei Kuhn, Loeb & Co. in New York zu piazieren. Zwar konnte nicht geklärt werden, ob das Geschäft letztlich zustande kam, aber auch oh- ne einen erfolgreichen Abschluß war eine solche Geschäftsanbahnung für Max Warburg wichtig, denn »so haben sie jedenfalls durch uns die Möglichkeit gehabt, sich in Amerika Geld zu verschaffen, und ich möchte glauben, daß Ihnen dieses Anerbieten jedenfalls konveniert, gleichgültig, ob ein Abschluß zu Stande kommt oder nicht«31. Unabhängig davon, ob das Geschäft nun zustande kam oder nicht, erschienen Transak- tionen dieser Art sinnvoll. Sie dienten »der Ausschaltung der England-freundlichen Mor- gans« und intensivierten Geschäftsverbindungen, die sich in den Kriegsjahren positiv aus- wirken sollten32. So konnten zahlreiche kleinere Bankgeschäfte deutscher Firmen in Ost- und Südostasien im Verlauf des Krieges mit der Javaschen Bank getätigt werden, die auch den Verkauf deutscher Kriegsanleihen in Niederländisch-Indien organisierte33.

29 PA/AA, R 20930, Bernstorff an AA, 7. Mai 1915. 30 Schon am 1. August 1914 hatte der Hamburger Reeder Albert Ballin, Chef der HAPAG, in Ber- lin die Einrichtung einer Gesellschaft gefordert, die für das Reich Lebensmittel einkaufen sollte. Die am 26. August unter Beteiligung des Reichsamt des Innern gegründete Reichseinkaufs-Gesell- schaft wurde im Januar 1915 nach Berlin verlegt und fungierte bis zu ihrer Liquidierung 1923 als Zentral-Einkaufs-Gesellschaft. Ihre Aufgaben gingen weit über den eigentlichen Einkauf hinaus und umfaßten auch Lagerung und Distribution der Waren. Im Aufsichtsrat der Gesellschaft wa- ren führende Reeder, Bankiers und hohe Beamte der Ministerien vertreten. Vgl. die Ausführun- gen weiter unten und Lamar Cecil, Albert Ballin. Wirtschaft und Politik im deutschen Kaiser- reich, 1888—1918, Hamburg 1969, S. 188f.; Roerkohl, Hungerblockade und Heimatfront (wie Anm. 4), S. 72-89. 31 PA/AA, R 8255, Warburg an Arthur Zimmermann, Unterstaatssekretär im AA, 15. März 1915. Warburg erwähnte in diesem Schreiben auch ein Geschäft zwischen Kuhn, Loeb & Co. mit einer schwedischen Bank über $ 5 Millionen, das unter seiner Vermittlung zustande gekommen war. 32 Ebd., War bürg an Ernst Langwerth, v. Simmern AA, 8. Februar 1915. 33 BArch P, AA II, 3691, Bl. 147, an AA, 5. Januar 1920. Aus Schreiben des deut- schen Generalkonsuls in Batavia, Erich Windeis, an das AA geht hervor, daß Warburg und die Deutsche Bank mit der Javaschen Bank während des Krieges rege Geschäfte tätigten. Auch kaufte die Javasche Bank deutsche Kriegsanleihen für mehrere Millionen Mark, ebd., Bl. 162. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 335

Bis November 1915 entwickelte Deutschland eine rege Verkaufstätigkeit auf dem ame- rikanischen Kapitalmarkt. Mit vorwiegend amerikanischen Wertpapieren konnte das Reich einen Erlös von rund einer Milliarde Goldmark erzielen. Hauptabnehmer der Aktien waren südamerikanische Banken und Investoren. Die Dollarerlöse wurden zum größten Teil über neutrale Banken nach Europa transferiert, wo sie zur Bezahlung von Importen aus den benachbarten neutralen Staaten verwendet wurden34.

Deutschland und der amerikanische Kapitalmarkt vom November 1915 bis Januar 1917

Im November 1915 kamen weitere Schwierigkeiten für die deutschen Bemühungen um Kapitalbeschaffung in den Vereinigten Staaten hinzu. Zwei Faktoren trugen dazu bei: Zum einen erschütterte der stetig fallende Kurs der Mark besonders an den europäischen Devi- senmärkten das Vertrauen in die deutsche Währung. Waren davon ausländische Wertpa- piere nicht betroffen, so beeinflußte die Markschwäche den Absatz deutscher Kriegsanlei- hen in den Vereinigten Staaten entscheidend. Nach der Auflage der dritten deutschen Kriegs- anleihe vom September 1915 war der Verkauf der Papiere bei den ungefähr acht Millionen deutschstämmigen Amerikanern mit rund 50 Millionen Mark anfänglich recht gut ver- laufen. Aber schon im November brach das Geschäft ein35. Das Generalkonsulat in New York machte denn auch die Schwäche der Mark an den europäischen Börsen und die dar- aus resultierende Verunsicherung der Käufer für den stark zurückgegangenen Verkauf deut- scher Kriegsanleihen verantwortlich36. Zum anderen ging die britische Regierung nun da- zu über, die bis dahin nur sporadisch ausgeübte Kontrolle der auf neutralen Schiffen trans- portierten Post konsequent durchzuführen. Dadurch konnten Dokumente wie Schuldver- schreibungen oder Wertpapiere nur noch mit Hilfe neutraler Mittelsmänner über den At- lantik gebracht werden, und auch das war schwierig genug, mußte doch der deutsche Ur- sprung der Papiere verschleiert werden. Besorgt schrieb das Direktorium der Reichsbank, der New Yorker Wertpapiermarkt sei dadurch »verschlossen«, Dollarguthaben nur noch schwer aufzutreiben37. Nachdem sich schon im Frühjahr 1915 eine Reihe deutsch-ameri- kanischer Banken geweigert hatte, auf deutsche Rechnung zu arbeiten, beschränkten sich die deutschen Geschäfte im Zuge dieser Entwicklung letztlich auf drei große amerikani- sche Institute, die National City Bank of New York, die Equitable Trust Company und

34 BArch P, Reichsamt des Innern (RAI) 18538, Bl. 91—96, Reichsbankpräsident Rudolf v. Raven- stein an Delbrück, 14. Dezember 1915. Warburg wies in einem Schreiben an Havenstein vom 15. September 1915 auf die südamerikanischen Interessenten hin, ebd., Bl. 9. Der Erlös wurde exakt mit 1,033 Mrd. Mark angegeben. Ein geringer Teil des Betrages entfiel auf den schwedi- schen Markt. Zur Provenienz der Wertpapiere PA/AA, R 21523, Karl Helfferich, Staatssekretär im Reichsschatzamt, an Bethmann Hollweg, 14. Januar 1916. 35 PA/AA, R 20931, Bernstorff an Bethmann Hollweg, 29. November 1915. Nennenswerte Beträge sind danach auch nicht mehr realisiert worden. 36 BArch P, RAI 18538, Bl. 236, Generalkonsulat New York an AA, 8. Januar 1916. Während an der New Yorker Börse 100 Mark im September 1914 23,93 kosteten, stand der Kurs im Novem- ber 1915 bei 20,22 Mark, mit sinkender Tendenz. Roesler, Finanzpolitik (wie Anm. 10), S. 229. In Amsterdam war die Notierung der Mark weit stärker gefallen, nämlich um rund 30%. Die Einbrüche im Verkauf der deutschen Kriegsanleihe in den USA hingen vermutlich auch mit den damals gerade bekannt gewordenen Sabotagevorhaben und sonstigen Machenschaften deutscher Botschaftsangehöriger zusammen, die eine regelrechte Hysterie in den Vereinigten Staaten auslö- sten. Doerries, Washington — Berlin (wie Anm. 19), S. 54—91. 37 BA, DH, ZEG 1380, Reichsbank-Direktorium an ZEG, 22. Februar 1916. 336 MGM 53 (1994) Marc Frey

die Guaranty Trust Co., sowie auf die Repräsentanten der Deutschen Bank und der Dis- konto-Gesellschaft38. Ab Beginn des Jahres 1916 verschärfte die britische Regierung ein weiteres Mal die Blocka- debestimmungen. Sie drohte neutralen Schiffahrtslinien Repressalien an, und erstmals hielt sie Goldsendungen auf, die aus den Vereinigten Staaten nach Europa geschickt worden waren, um an den neutralen Devisenmärkten den unter Druck geratenen Dollarkurs zu stabilisieren. Der Grund für die Goldtransfers stand, wie der kaiserliche Konsul in Rot- terdam erklärte, in direktem Zusammenhang mit deutschen Finanzgeschäften: »In letzter Zeit sind nun aus den Vereinigten Staaten Goldsendungen nach den Nieder- landen gelangt. In den Zeiten normalen Handelsverkehrs kostet der Dollar in den Nie- derlanden etwa 2,47 bis 2,49 Gulden. Der heutige Guldenkurs des amerikanischen Dol- lars schwankt je nach Angebot und Nachfrage zwischen 2,18 und 2,30. Ahnlich wie der Kurs der Reichsmark ist auch der Kurs des amerikanischen Dollars in den Nieder- landen längere Zeit zurückgegangen, wenn auch der Sturz des Kurses des amerikani- schen Dollars bei weitem nicht so groß ist wie der Kurssturz der Reichsmark. Um den Rückgang des amerikanischen Wechselkurses im Interesse ihres namentlich als Vermitt- ler für Deutschland großen Bankgeschäftes aufzuhalten, haben holländische Banken aus den Vereinigten Staaten Gold bezogen39.« Die Befürchtungen der Reichsbank vom November 1915, der amerikanische Kapitalmarkt könne für deutsche Interessen nicht mehr genutzt werden, waren also verfrüht gewesen. Ab der Jahreswende 1915/16 gingen offensichtlich die Verkäufe von Wertpapieren über neutra- le Banken weiter. Die Höhe der in den Vereinigten Staaten realisierten Erlöse entzieht sich leider einer genauen Kenntnis. Man kann jedoch davon ausgehen, daß ein beträchtlicher Teil der im Jahr 1916 von Deutschland verkauften Wertpapiere in den Vereinigten Staaten abgestoßen wurde; insgesamt flöß dem Reich dadurch eine weitere Milliarde Mark zu40. Bekanntlich waren die deutschen Verkäufe von Wertpapieren bereits im November 1915 erheblich erschwert worden und seitdem mit erhöhten Risiken verbunden. Das Ende der deutschen Nutzung des amerikanischen Kapitalmarkts kam dann im Herbst 1916. Die britische Regierung drohte denjenigen neutralen Banken, die noch für deutsche Rechnung arbeiteten, sie auf die sogenannte black list zu setzen. Daraufhin bat die National City Bank ihre Berliner Geschäftspartner, die Konten auszugleichen und jegliche Beziehungen ruhen zu lassen. Die Bank befürchtete eine schwere Schädigung ihrer Geschäftsinteressen, wenn sie sich den britischen Forderungen nicht beugte41. Den niederländischen Banken wurde verboten, weiterhin über ihre Londoner Vertretungen mit deutschen Kapitalien zu arbeiten. Außerdem drohte die britische Regierung auch ihnen, sie auf die black list zu setzen42. Die niederländische Regierung bat auf deutsches Drängen hin Großbritan-

38 Daneben tätigten eine Reihe von kleineren Privatbanken Geschäfte mit den Deutschen. So un- terhielt beispielsweise die Berliner Handels-Gesellschaft enge Kontakte zur New Yorker Bank J. & W. Seligman & Co. Angesichts der unsicheren Kommunikationsverbindungen waren trans- atlantische Geschäfte jedoch immer mit hohen Risiken verbunden. 39 Heinrich Alfred v. Bosenick an Bethmann-Hollweg, 10. Januar 1916, in: Bescheiden betreffende de buitenlandse politiek van Nederland (BPNL), Derde periode, 1899—1919, hrsg. von Cornells Smit, 8 Bde, VGravenhage 1961—1973, Bd 7, Nr. 32. Zum Zeitpunkt des Schreibens waren gera- de $ 1,6 Millionen, in Gold von den Briten angehalten worden. 40 Vgl. auch Habedank, Die Reichsbank (wie Anm. 9), S. 32. 41 BA-MA, RM 5, 1746, Schreiben der Kanzlei des Admiralstabs an das AA, 15. Dezember 1916. 42 BArch P, RAI 18835, Bl. 6—9, Pieter Vuyk an Max Warburg, 5. September 1916, mit Beilage ei- ner N. O. T.-Verpflichtungserklärung. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 337

nien, von einer solchen Maßnahme abzusehen, und obwohl die Intervention erfolgreich war, trugen die allgemeine Verunsicherung innerhalb der neutralen Bankkreise und die Tatsache, daß der Finanzplatz London für Vermittlungsgeschäfte ausfiel, dazu bei, daß Transaktionen über neutrale Banken stark abnahmen bzw. ganz eingestellt wurden43. Schon im Dezember 1915 hatte der Admiralstab im Zusammenhang mit der Devisen- krise und den Warnungen der Reichsbank, der amerikanische Kapitalmarkt sei nicht mehr zugänglich, Auswege aus der prekären Situation angeboten. Er versprach Erleichterungen bei der drahtlosen Übermittlung privater Telegramme von den zwei deutschen Stationen Nauen und Eilvese an die amerikanische Ostküste (Sayville und Tuckerton). Die bislang vom Admiralstab gehandhabte Zensur sollte gelockert werden, so daß Unternehmen und Banken nun zumindest von deutscher Seite aus mehr oder minder verschlüsselte Telegramme senden durften44. Darüber hinaus konnten mit der dänischen und schwedischen Post Ab- machungen getroffen werden, wonach der Telegraphenverkehr aus diesen Ländern über Nauen direkt möglich wurde. Eine wirkliche Abhilfe im Kommunikationsverkehr mit den Vereinigten Staaten stellten diese Maßnahmen jedoch nicht dar, denn atmosphärische Störungen behinderten bei ungefähr fünfzig Prozent aller Telegramme eine einwandfreie Übermittlung45. Wie schwierig es geworden war, Finanztransaktionen mit den Vereinig- ten Staaten zu tätigen, belegt eindrucksvoll ein Geschäft aus dem Herbst 1916. Hierbei ging es um den Umtausch alter Obligationen der St. Louis & San Francisco Railroad Co. in neue im Wert von $ 19 Millionen. Die für den Verkauf in den USA benötigten Doku- mente mußten vom Auswärtigen Amt mit einem offiziellen Siegel versehen werden, be- vor sie der diplomatischen Post beigegeben wurden, die von amerikanischem Botschafts- personal nach Amerika gebracht wurde46. Die amerikanische Regierung unter Präsident Woodrow Wilson hatte bislang die briti- schen Blockadebestimmungen gerade im Hinblick auf die Kontrolle der Außenwirtschafts- beziehungen zwischen den neutralen Staaten nur sehr widerwillig und unter großem Pro- test hingenommen. Angesichts der Spannungen in den amerikanisch-britischen Beziehungen im Herbst 1916 war sie sogar zu einer wirtschaftlich und finanziell bedeutenden Koope- ration mit Deutschland bereit47. Sie bot dem deutschen Botschafter in Washington an, daß deutsche Banken und Unternehmen ganz offiziell verschlüsselte Geschäftstelegram- me senden durften. Dafür sollten die Deutschen der amerikanischen Zensur Codelisten zur Verfügung stellen48. Der deutsche Botschafter in Washington, Johann Heinrich Graf

43 BArch P, AA II, 3688, Bl. 269, Richard v. Kühlmann, deutscher Gesandter in Den Haag, an Beth- mann Holl weg, 8. Oktober 1916. Es ist auffallend, daß in Kühlmanns Memoiren, die ansonsten detailliert seine politische Laufbahn dokumentieren, ein Kapitel über seine Tätigkeit als Gesand- ter in Den Haag 1915/16 fehlt. Dagegen ist seine Zeit als dortiger Legationsrat in der Vorkriegs- zeit ausführlich beschrieben. Richard v. Kühlmann, Erinnerungen, Heidelberg 1948. 44 BA-MA, RM 5,1746, Ganz geheime Niederschrift über die Besprechung am 14. Dezember 1915, betreffend Funk-Telegraphen-Verkehr mit dem Ausland. 45 Vgl. verschiedene Dokumente und Listen ebd., 1747. Dort findet sich beispielsweise auch eine Aufstellung der vom Kalisyndikat benutzten Codes. 46 BArch P, AA II, 3693, der Direktor der Berliner Handels-Gesellschaft, Otto Jeidels, an den Lega- tionsrat im AA, Grunewald, 27. November 1916. 47 Ragnhild Fiebig-v. Hase und Maria Sturm, Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen in der Nachkriegsplanung Deutschlands, der alliierten Westmächte und der USA, 1914—1917, in: MGM, 52 (1993), S. 1-34, bes. 26ff. 48 BA-MA, RM 5, 1746, Reichspostverwaltung an den Chef des Ad-miralstabs, Henning v. Holt- zendorff, 18. August 1916; Holtzendorff an AA, 30. November 1916, ebd. Von der Möglich- keit der verschlüsselten Telegraphenübermittlung sollten in erster Linie die deutschen Banken 338 MGM 53 (1994) Marc Frey

v. Bernstorff, berichtete dem Auswärtigen Amt am 2. Januar 1917, daß die darüber geführten Gespräche mit der amerikanischen Regierung abgeschlossen waren49. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland im Februar 1917 machte die Nutzung die- ser Möglichkeit jedoch zunichte. Die bei Kriegsausbruch gehegten Hoffnungen der Reichsleitung, den amerikanischen Markt zum Zweck der Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung in Anspruch nehmen zu können, hatten sich nicht erfüllt. Aber für die Beschaffung von Devisen spielten die Vereinigten Staaten in den Anfangs)ahren des Ersten Weltkriegs eine herausragende Rolle. Bis zum November 1915 gelang es der Reichsbank, immerhin für rund eine Milliarde Mark Wertpapiere auf dem amerikanischen Kapitalmarkt abzusetzen. Auch danach gingen die Finanzbeziehungen über neutrale Banken weiter und verschafften der Reichsleitung De- visenguthaben in großer Höhe. Die Erlöse aus diesen Geschäften flössen einmal in die vielfältigen Propagandageschäfte der Deutschen in den Vereinigten Staaten selbst. Der weit- aus größte Teil der Devisen wurde über neutrale Banken nach Europa transferiert, wo sie zur Bezahlung dringend benötigter Importe aus den neutralen Nachbarstaaten Deutschlands eingesetzt wurden. Ab November 1915 mußten die Wertpapiergeschäfte auf dem ameri- kanischen Markt infolge der behinderten Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkt werden, Transaktionen waren in der Folgezeit im wesentlichen nur noch über neutrale Ban- ken möglich. Die erhöhten Risiken im Transatlantikgeschäft führten nun dazu, daß der Amsterdamer Kapitalmarkt in verstärktem Maße in den Mittelpunkt der deutschen Aus- landsfinanzierung rückte. Folgerichtig schrieb der in Wirtschafts- und Finanzfragen aus- gewiesene deutsche Gesandte in Den Haag, Richard v. Kühlmann, dem Reichskanzler: »Ich glaube, daß eine weit blickende deutsche Bankpolitik noch jetzt im Kriege Hol- land mehr Aufmerksamkeit zuwenden müßte, als dies bisher geschehen ist50.«

III. Deutschland und der niederländische Kapitalmarkt

Vom Kriegsausbruch bis zum Januar 1916

Die Außenhandelsbeziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden waren tra- ditionell eng geknüpft. Bei der Vermittlung von Im- und Exporten des rheinisch-westfäli- schen Industriegebiets spielten die Niederlande mit ihrem Hafen Rotterdam eine heraus- ragende Rolle. Niederländische Agrarerzeugnisse und Lebensmittel wurden jedoch aufgrund der protektionistischen Zollpolitik des Deutschen Reiches überwiegend nach Großbri- tannien exportiert. Wegen der geringen Bedeutung der Banken innerhalb der niederländi- schen Finanzwirtschaft wandten deutsche Geldinstitute den Niederlanden in der Vorkriegs- zeit nur eine geringe Aufmerksamkeit zu51. Im Krieg erfuhren die deutschen Außenwirt-

profitieren, darunter die Reichsbank, die Deutsche Bank, die Diskonto-Gesellschaft und M. M. War- burg & Co. 49 Ebd., Bernstorff an AA, 2. Januar 1917. 50 BArch Ρ, AAII, 3687, Bl. 97, Kühlmann an Bethmann Hollweg, 1. Dezember 1915. 51 Neuere deutschsprachige Einführungen zur Entwicklung der niederländischen Wirtschaft im 19. Jahrhundert und zu den niederländisch-deutschen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen sind nicht vorhanden. Vgl. daher Ernst Baasch, Holländische Wirtschaftsgeschichte, Jena 1927 (= Handbuch der Wirtschaftsgeschichte, Bd 4), S. 420—591; Curt Eisfeld, Das Niederländische Bankwesen, 2 Bde, Den Haag 1916. Eine gründliche Einführung mit weiterführender Literatur findet sich in: Geschiede- nis van het moderne Nederland, ed. by J. C. Boogman et al., Houten 1988, S. 179—192 und 245—276. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 339 schaftsbeziehungen zu den Niederlanden eine grundlegende Wandlung. Nachdem die Reichsregierung bei Kriegsausbruch die Zölle für Agrareinfuhren aufhob, nahmen die Nah- rungsmittellieferungen nach Großbritannien erheblich ab, und die niederländischen Land- wirte exportierten nun fast ausschließlich nach Deutschland. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die niederländische Finanzwelt zu einem bedeutenden Faktor der deutschen Au- ßenhandelsfinanzierung: Die Niederlande stiegen im Krieg zum wichtigsten Wirtschafts- partner Deutschlands auf. Der Kriegsausbruch im August 1914 löste eine regelrechte Invasion deutscher Einkäufer auf dem niederländischen Markt aus. Die Regierung in Den Haag erließ zahlreiche Aus- fuhrverbote für Nahrungsmittel, doch genehmigte Landwirtschafts- und Handelsminister Folkert E. Posthuma unter Berücksichtigung seiner Klientel vielfach Ausnahmen52. Ne- ben eher geringen Rohstoffmengen wie Zinn oder Kautschuk waren es vorwiegend Kolo- nialprodukte aus Niederländisch-Indien (Reis, Tabak, Kaffee, Kakao und Chinarinde, Grundstoff bei der Produktion von Chinin) sowie niederländische Agrarprodukte wie Fleisch, tierische und pflanzliche Fette, Käse, Butter, Fisch, Gemüse und Obst, die wegen der hohen Preise, die deutsche Händler zu zahlen bereit waren, reißenden Absatz fanden. Eine Produktpalette, so der Staatssekretär im Reichsamt des Innern, Clemens v. Delbrück, im Januar 1916, »die wir für unsere Volksernährung kaum entbehren können und deren Ausfall insbe- sondere in dem benachbarten rheinisch-westfälischen Industriegebiet zu schweren Stö- rungen der Versorgung und politisch zu sehr unerwünschten Vorkommnissen führen würde«53. In den ersten elf Monaten des Jahres 1915 beliefen sich die Agrareinfuhren der Zentral- Einkaufs-Gesellschaft (ZEG) aus den Niederlanden auf 684,5 Millionen Mark. Bei einem Gesamtvolumen der ZEG-Agrarimporte von 1,63 Mrd. Goldmark in diesem Zeitraum ent- fielen damit auf die Niederlande 50 Prozent der Menge und 42 Prozent des Wertes54. Von Beginn des Jahres 1916 bis in den Herbst sollten diese Lieferungen saisonbedingt auf hun- dert bis zweihundert Millionen Goldmark monatlich steigen. Allein das Kriegsministeri- um importierte Mitte 1916 für fünf Millionen Mark täglich Lebensmittel aus den Nieder- landen und deckte damit den Gesamtbedarf des Westheeres an Käse und Butter. Daneben traten die Aufwendungen für Kaffee, Kakao und Tabak. Weitere Kosten entstanden durch die Nutzung von Hunderten von Schiffen (Hochsee- und Binnenschiffe), die beim Trans- port schwedischer und norwegischer Erze über Rotterdam ins Ruhrgebiet eingesetzt wur- den, sowie für die Lieferung und den Transport von Baumaterialien, die im Stellungskrieg in Belgien und Nordfrankreich benötigt wurden. Schließlich mußte man erhebliche Be- träge an die niederländischen Eisenbahnen und die Post (die bis Ende 1915 den intensiven Paket ver kehr zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten abwickelte) überweisen. Alles in allem eine Summe, die 1916 die Milliardengrenze bei weitem überstieg55. Teil-

52 Zur Politik der Niederlande im Ersten Weltkrieg vgl. Smit, Nederland (wie Anm. 5), Bde 2 und 3. Smit beschränkt sich auf die politischen und völkerrechtlichen Aspekte. 53 PA/AA, R 21523, Delbrück an Bethmann Hollweg, 18. Januar 1916. 54 Ebd., Notiz im Auswärtigen Amt, undatiert, Januar/Februar 1916. Nach Herzfeld beliefen sich die Nahrungsmittelimporte in der Friedenszeit auf 1,6 Mrd. Mark. Herzfeld, Weltkrieg (wie Anm. 1), S. 180. 55 Helfferich bezifferte die Gesamtimporte im Jahre 1915 auf 7,127 Milliarden Mark. Dem standen Exporte von 3,051 Milliarden Mark gegenüber. Die Einfuhren im ersten Halbjahr 1916 betrugen 4,1 Milliarden Mark. Davon entfielen 2,5 Milliarden Mark auf Nahrungsmittelimporte (ZEG und privater Handel zusammen). Rund die Hälfte davon kamen aus den Niederlanden. Vgl. den 340 MGM 53 (1994) Marc Frey

weise konnten über den Export deutscher Produkte Gulden erwirtschaftet werden, aber angesichts des dringenden Bedarfs gerade an Kohle, Eisen, Stahl und Maschinen für Ar- mee und Kriegswirtschaft waren hier die Möglichkeiten begrenzt. Es ist daher kaum verwunderlich, daß schon im Dezember 1914 der niederländische Kapitalmarkt mit deutscher Währung übersättigt war und der Kurs der Mark sich rapide ver- schlechterte. Noch aber war die Reichsregierung nicht bereit, eine staatliche Intervention in Erwägung zu ziehen. Statt dessen wollte man von Fall zu Fall entscheiden, ob man den vom Kursverlust betroffenen Firmen eine Unterstützung zukommen ließ oder nicht56. Eine vorübergehende Lösung der Probleme wurde zum einen in bedeutenden Goldtrans- fers der Reichsbank an die Nederlandsche Bank gefunden, zum anderen in der Zentralisie- rung der Importe. Nach und nach monopolisierte die Zentral-Einkaufs-Gesellschaft die Agrareinfuhren aus den Niederlanden. Zur besseren Erfassung des Marktes gründete sie im Dezember 1915 unter Beteiligung deutscher Großbanken eine Niederlassung in Den Haag, die sogenannte N.V Algemeene Import en Export Maatschappij (Algimex). Im Zuge der Zentralisierung expandierte das Unternehmen rasch und beschäftigte im Januar 1917 bereits 208 Mitarbeiter57. Allmählich konnte so die Konkurrenz zwischen den zahlreichen deutschen Einkäufern eingeschränkt und die Abnahmepreise etwas gedrückt werden. Auf diese Weise ließ sich auch der Devisenbedarf besser prognostizieren und kontrollieren. Dies war dringend nötig, denn im Zuge der enorm steigenden deutschen Nachfrage auf dem niederländischen Markt geriet der Kurs der Mark unaufhaltsam ins Rutschen. Auf- rufe der Reichsbank an die deutschen Exporteure, Lieferverträge nur noch in Gulden ab- zuschließen, hatten nur bedingt Erfolg58. Im Gegensatz zu den drei für deutsche Rech- nung arbeitenden amerikanischen Großbanken (National City Bank, Guaranty Trust Co., Equitable Trust Co.) lehnten es niederländische Banken bis auf unbedeutende Ausnah- men ab, ihren Kunden deutsche Kriegsanleihen zu verkaufen. Sehr viel stärker als ameri- kanische Unternehmen hatten sie britische Pressionen zu fürchten59. Auf Wunsch der Reichsbank schlossen sich im Sommer 1915 die Deutsche Bank, die Dis- konto-Gesellschaft und M. M. Warburg & Co. zu einem Konsortium zusammen, das die im Zuge der Zentralisierung der Lebensmittelimporte rasch wachsenden Einkäufe der ZEG finanzierte und sich dafür bei niederländischen und schwedischen Banken langfristige Kre-

Vortrag Helfferichs während der 87. Sitzung des Hauptausschusses des Reichstages vom 30. Sep- tember 1916, in: Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Er- ste Reihe. Im Auftrag der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien herausgegeben von Erich Matthias und Rudolf Morsey. Der Hauptausschuß des deut- schen Reichstages 1915—1918. Eingel. von Reinhard Schiffers. Bearb. von Reinhard Schiffers und Manfred Koch in Verb, mit Hans Boldt, 4Bde, Düsseldorf 1981—1983, Bd2, S. 746 f. 56 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Geheimes Staatsarchiv, MA 97826, Hugo Graf v. Ler- chenfeld, bayerischer Gesandter in Berlin, an den bayerischen Staatsminister Georg Graf Hert- ling, 14. Dezember 1914. 57 Zu Jahresbeginn 1917 unterhielten 13 Kriegsgesellschaften Niederlassungen in Den Haag, neben der Algimex u. a. die Kriegsmetallgesellschaft, der Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Öle und Fette, das Kriegsamt — Abteilung Ein- und Ausfuhr, etc. BArch P, RAI 18837, Bl. 23—26, Liste der holländischen Vertretungen deutscher Kriegsorganisationen (undatiert), Januar 1917, und Angestelltenliste der Algimex, 7. März 1917, ebd., Bl. 385—402. 58 BArch P, RAI, 18538, Bl. 63 f., Zahlungen in ausländischer Währung bei Verkäufen nach Hol- land, Skandinavien und der Schweiz, 29. September 1915, und Havenstein an den Verein Deut- scher Eisen- und Stahl-Industrieller in Berlin, 6. Oktober 1915. 59 BArch P, Reichswirtschafts-Amt (RWA) 660, Bl. 63, Konsulat Amsterdam an Bethmann Holl- weg, 3. Dezember 1915. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 341 dite im Wert von 100 Millionen Mark besorgte60. Ein gemeinsames Auftreten gegenüber den niederländischen Banken sollte die Verschlechterung der Kreditbedingungen bremsen und sicherstellen, daß die niederländischen Partner nicht den einen Kreditnehmer gegen den anderen ausspielten, um so die Gewinne zu steigern. Außerdem erhöhten sich mit einem Konsortium die Sicherheiten und damit die Aussichten auf umfangreichere Kredite61. Diese Maßnahmen konnten eine krisenhafte Zuspitzung der Lage jedoch nicht verhin- dern. Neben den aus Deutschland täglich in die Niederlande abfließenden Markbeträgen nutzten auch Österreich-Ungarn und Bulgarien den Finanzplatz Amsterdam, um Geschäfte in Mark zu tätigen. Schon im November 1915 (also zu einem Zeitpunkt, an dem der ame- rikanische Markt für deutsche Auslandsgeschäfte nur noch eingeschränkt zugänglich war) stellte die ZEG in einer Prognose des Devisenbedarfs fest, daß die verfügbaren Bestände bei weitem nicht mehr ausreichen würden. Die Banken sollten versuchen, weitere »Arran- gements« zu treffen, um den Kursverfall aufzuhalten und neue Vorschußgeschäfte zu er- möglichen. Dabei sollte der Devisenbedarf der ZEG, geschätzte 15 Millionen Gulden (rund 25,3 Mill. Mark) monatlich, vor deutschen und niederländischen Banken geheim gehal- ten werden62. Die Geheimhaltung der finanziellen Probleme Deutschlands erfolgte aus mehreren Grün- den. Zum einen sollte sowohl deutschen wie niederländischen Banken die immer bedroh- licher werdende Finanzkrise des Reiches verborgen bleiben. Zum anderen wollte man Groß- britannien über die wichtigen wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen Deutschlands zu den Niederlanden im unklaren lassen. Daher durfte nur ein enger Kreis, der sich auf die oberen Ebenen der mit dem Außenhandel betrauten Ministerien und der ZEG be- schränkte, vom wahren Ausmaß der niederländischen Importe nach Deutschland und den dafür benötigten finanziellen Aufwendungen erfahren. Die geforderten 15 Millionen Gulden monatlich waren natürlich ein bedeutender Einzelposten. Angesichts der auf Rechnung der ZEG eingeführten Agrarprodukte aus den Niederlanden von über 700 Millionen Mark im Jahre 1915 stellte der Betrag aber eine bescheidene Summe dar63. Zur gleichen Zeit signalisierte die Amsterdamsche Bank, sie könne zur Zeit keine neuen Kredite vergeben, da sie bereits »voll« davon sei; auch weigerten sich die niederländischen Banken, weiterhin deutsche Vorkriegsanleihen als Sicherheiten anzunehmen64. Die Bedeutung der deutsch-niederländischen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen hat- te seit dem Kriegsausbruch im August 1914 stetig zugenommen. Angesichts der hohen nie- derländischen Importe war die Zahlungsbilanz immer weiter zuungunsten Deutschlands verschoben worden. Die Handels- und Kapitalwelt reagierte darauf mit einer verstärkten

60 BA-DH, ZEG 335, Warburg an Georg Melchior, Mitarbeiter der ZEG und Bruder Carl Melchiors, Teilhaber von Warburg, 10. Dezember 1915; BArch P, RAI 18538, Havenstein an Delbrück, 14. Dezember 1915, Bl. 91-96. 61 BArch P, RAI 18538, Bl. 14-16, ZEG an RAI, 15. November 1915. 62 BA-DH, ZEG 344, Notiz der ZEG für Direktor Walther Frisch im Reichsamt des Innern, 19. November 1915. Frisch war leitender Beamter der mit dem Außenhandel betrauten Abtei- lung im Reichsamt des Innern. 63 PA/AA, R 21523, Notiz im Auswärtigen Amt, undatiert, Januar/Februar 1916. Vgl. auch Wal- ther Lötz, Die deutsche Staatsfinanzwirtschaft im Kriege, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1927, S. 86—88. Seine Aussagen zu den deutschen Bemühungen um ausländische Kredite beruhen wegen der Ge- heimhaltung auf unrichtigen Angaben. 64 BArch P, AA II 1788, Bl. 48, Mitteilung des Direktors der Amsterdamschen Bank Herrn Dr. van Nierop, 25. November 1915; BArch P, RAI 18538, Bl. 91—96, Havenstein an Delbrück, 14. De- zember 1915. 342 MGM 53 (1994) Marc Frey

Kreditschöpfung im benachbarten neutralen Ausland. Durch den Verkauf von Wertpa- pieren auf dem amerikanischen Markt konnten die Zahlungsprobleme des Deutschen Rei- ches jedoch in Grenzen gehalten werden. Die schon seit Kriegsausbruch angelegte Ent- wicklung machte ab der Jahreswende 1915/16 staatliche Interventionen in einem bis da- hin ungekannten Umfang nötig.

Die deutsch-niederländischen Finanzbeziehungen vom Januar 1916 bis Juli 1917

Bis Jahresbeginn 1916 war der Kurs der Mark gegenüber dem Gulden um 32 Prozent ge- fallen. Der deutsche Gesandte in Den Haag, Richard v. Kühlmann, forderte umgehend eine Steigerung der deutschen Exporte. Während die Niederlande Waren im Wert von drei- ßig bis vierzig Millionen Mark monatlich von Deutschland bezogen, waren es umgekehrt über hundert Millionen. Dieses Mißverhältnis habe, so Kühlmann, schwerwiegende Folgen: »Die feindliche Presse jubelt über den finanziellen Zusammenbruch Deutschlands. [...] Ein Abschluß größerer Anleihe in Holland scheint wegen Mißtrauens gegen Deutsch- lands Zahlungsfähigkeit zur Zeit unmöglich. Bei weiterer Verfolgung bisheriger Han- delspolitik ist Zusammenbruch deutschen Kredits unvermeidlich65.« Nicht nur die Einkäufe der ZEG waren gefährdet; besonders drückend wurde die Situa- tion im deutsch-niederländischen Grenzgebiet empfunden, wo zahlreiche kleinere Firmen vom Handel mit den Niederlanden lebten. Sie konnten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen, und so häuften sich die Klagen dort ansässiger Handelskam- mern und Betriebe. Hilfesuchend wandte sich beispielsweise die Handelskammer Wesel an die Reichsbank: »Eine große Anzahl von Handel- und Gewerbetreibenden unseres Bezirkes Emmerich hat zum Zwecke leichterer Abwicklung ihrer Geschäfte mit holländischen Handel- und Gewerbetreibenden bei deutschen Banken zum Teil erhebliche Summen hinterlegt, wo- gegen diese bei holländischen Banken entsprechende Crédité eröffnet haben. [...] Durch das weitere erhebliche Steigen des holländischen Kurses sind nun dementsprechend gro- ße Differenzen entstanden, daß ganzen Existenzen durch die notwendig gewordenen Nachzahlungen die Gefahr des Unterganges droht, wenn hier nicht Wandel geschaffen wird66.« Außerdem konnten, wie der einflußreiche Verein Deutscher Eisen- und Stahl-Industriel- ler feststellte, Niederländer beim Kauf deutscher Reichsanleihen durch den Kursverlust ganz erhebliche Gewinne machen67. Um diesem Mißstand abzuhelfen, verabschiedete der Bundesrat am 20. Januar 1916 die Verordnung über den Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln68. Erstmals wurde der De- visenhandel in die Hände ausgewählter Banken gelegt. Künftig durften nur noch 24 Ban- ken, darunter die drei sogenannten D-Banken, M.M. Warburg & Co., Bleichröder & Sohn, Mendelssohn & Co., etc., im Auftrag der Reichsbank Devisen an- und verkaufen. Außer- dem wurden die Industrie- und Handelsverbände zum wiederholten Male eindringlich dazu aufgefordert, Exportgeschäfte nur noch in der jeweiligen Landeswährung abzuschlie-

65 BArch P, RAI 18835, Bl. 121, Kühlmann an Bethmann Hollweg, 10. Januar 1916. 66 Ebd., Bl. 86f., Handelskammer Wesel an Direktorium der Reichsbank, 15. Dezember 1915. 67 Ebd., Bl. 150f., Verein dt. Eisen- und Stahl-Industrieller an RAI, 19. Januar 1916. 68 Reichsgesetzblatt 1916, S.49ff. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 343

ßen. Der Erlös mußte dann vom betreffenden Unternehmen bei einer dieser Banken in Mark umgetauscht werden; die Banken wiederum meldeten den Devisenbestand bei der Reichsbank an. Neben dem Verbot der Goldausfuhr, welches schon Ende November 1915 erlassen worden war, bildete dieses Gesetz das Rückgrat der deutschen Devisenbewirtschaf- tung, die bis Kriegsende mit insgesamt 27 Gesetzen und Verordnungen immer weiter re- glementiert und kontrolliert wurde69. Schuf die Devisenverordnung vom Januar 1916 zeitweilig eine Linderung der Devisen- probleme, indem sie Spekulationen weitgehend Einhalt gebot, so verschlechterte sich die Lage ab August 1916 wieder erheblich. Die deutsche Exportoffensive war hinter den Er- wartungen zurückgeblieben, dagegen stiegen die Importe niederländischer Produkte sai- sonbedingt auf 200 Mill. Mark pro Monat an70. In einer kritischen Stellungnahme für die Reichsregierung zog Kühlmann eine Bilanz der deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen: »Die Entwertung der Reichsmark hat das Vertrauen des Auslandes in die Zahlungsfä- higkeit Deutschlands schwer erschüttert. Der deutsche Weltkredit kann erst dann wie- der erstarken, wenn der Kurs der Reichsmark sich hebt. [...] Nur zu oft muß die Forde- rung gesteigerter Ausfuhr hinter Bedenken militärischer, politischer oder wirtschaftli- cher Art zurücktreten. [...] Oft auch liegt der Entscheidung in Ausfuhrfragen der Gedanke zu Grunde, daß man mit der Lieferung der deutschen Ware dem Ausland ein Entgegen- kommen beweise oder daß man daraus ein Druckmittel für entsprechende Gegenlei- stungen machen müsse. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands, das dem Ausland schwer verschuldet und auf dessen Lieferung in großem Maße angewiesen ist, darf die deutsche Ausfuhr von keinem anderen Gesichtspunkte aus betrachtet wer- den, als dem, daß sie dazu bestimmt ist, Deutschland wieder kreditfähig zu machen. Angesichts dieses einen großen Ziels müssen alle Nebenzwecke zurücktreten71.« Private Kredite waren kaum noch zu beschaffen, Vorschußgeschäfte stießen auf immer stär- keren Widerstand seitens der niederländischen Firmen. Auf Wunsch der ZEG entschloß sich daher Mitte August 1916 der Direktor der Dresdner Bank, Samuel Ritscher, nach Amster- dam zu reisen, um dort über einen Kredit mit einem Volumen von 100 Millionen Gulden zu verhandeln. Diese Summe würde neben den Einkünften der Exportindustrie ausreichen, um den Devisenbedarf für die nächsten Monate zu decken. Ritscher war sich bewußt, daß die Verhandlungen nicht leicht sein würden. Bei seinen Gesprächen mit niederländischen

69 BArch P, Reichsbank (RB) 6430, Auflistung über die Verordnungen über den Devisenverkehr, (ohne Datum) Mitte 1920. Nur am Rande kann hier die Tatsache gestreift werden, daß all diese Verordnungen es nicht verhindern konnten, daß besonders ab der zweiten Kriegshälfte die illega- len Vermögensübertragungen ins Ausland zunahmen. Dies betraf einmal den Schmuggel von Mark- beträgen nach Amsterdam, wo sie dann in Gulden umgetauscht und bei einer niederländischen Bank hinterlegt wurden, zum anderen aber auch deutsche Wertpapiere, die in Amsterdam ver- kauft und deren Erlöse dann in Mark umgetauscht wurden, ohne dies bei der Reichsbank anzu- melden. Hier konnten durch den Kursverfall hohe Gewinne erzielt werden. So nahm der deut- sche Handelsattaché in den Niederlanden, Carl Gneist, Mitte 1916 an, daß mit diesen Geschäf- ten täglich eine halbe Million Mark umgesetzt wurden. BArch P, RAI 18539, Bl. 251, Gneist an AA, 14. Juni 1916; PA/AA, R 8325, Oberstleutnant Martin Renner, deutscher Militärattache in den Niederlanden, an den Generalstab, 24. Februar 1917. 70 In das Jahr 1916 fällt auch der große Wirtschaftsaufschwung in den Niederlanden. M .J. van der Flier, War Finances in the Netherlands up to 1918, Oxford 1923, S. 104 und passim; Léon Nemry, Les Pays-Bas Après la Guerre. Essai sur la Répercussion de la Guerre et de l'Après-Guerre sur la Situation économique des Pay-Bas et de leurs Colonies, Bruxelles 1924, S. 233—243, und passim. 71 BArch P, RAI 18539, Bl. 406—408, Aufzeichnung von Kühlmann im Auswärtigen Amt, 4. Au- gust 1916. 344 MGM 53 (1994) Marc Frey

Bankiers verwies er denn auch darauf, daß »wir mit Rücksicht auf die großen Käufe jeden- falls größere Zahlungsfacilitäten zu fordern berechtigt seien«72. Doch nicht einmal der Di- rektor der Rotterdamschen Bank, Willem Westermann, über dessen Institut die Algimex ihre Einkäufe im Wert von rund 30 Millionen Gulden pro Monat abwickelte, war zu weite- ren Krediten bereit — zum gegenwärtigen Zeitpunkt war ein Geschäft ausgeschlossen73. Hintergrund der ablehnenden Haltung war aber nicht etwa eine Kapitalknappheit der niederländischen Banken oder gar schlichtes Desinteresse. Wie bereits erwähnt übte die Londoner Regierung massiven Druck auf die niederländische Regierung und Bankwelt aus. Sie verlangte nicht nur die Einstellung aller Vermittlungstätigkeit, die den amerikani- schen Markt betraf, sondern auch eine drastische Reduzierung der niederländischen Ex- porte nach Deutschland. Zu diesem Zweck hatte sie erst im Juni ein Lebensmittelabkom- men mit der Organisation der niederländischen Landwirte abgeschlossen, das sich aber als unpraktikabel erwies, weil die Landwirte dem Abkommen wegen der von Deutsch- land gezahlten höheren Preise nicht nachkamen. In weiteren Verhandlungen zwischen Groß- britannien und der niederländischen Landwirteorganisation, die seitens der englischen Re- gierung von erheblichem politischen Druck begleitet waren, wurden nun die britischen Interessen stärker berücksichtigt. Außerdem drohte Großbritannien an, es werde einen niederländischen Vertragsbruch mit der Sperrung des Schiffsverkehrs beantworten74. Nachdem die Spannungen zwischen Großbritannien und den Niederlanden vorerst bei- gelegt waren, nahm man die im September unterbrochenen deutsch-niederländischen Ver- handlungen wieder auf. Eine Verknüpfung der deutschen Kreditwünsche mit dem ohne- hin anstehenden Wirtschaftsabkommen zwischen Deutschland und den Niederlanden über die Lieferung von Kohle und Stahl gegen Lebensmittel machten den Weg frei für ein gro- ßes Kreditgeschäft75. Auf deutscher Seite wurde das Abkommen von den 24 zum Devi- senhandel berechtigten Banken gezeichnet, auf niederländischer Seite von der »Vereinigung für den niederländischen Geldhandel«, der sämtliche größeren Geldinstitute angehörten. Der Kreditrahmen von 6 Millionen Gulden monatlich über eine Laufzeit von einem hal- ben Jahr blieb deutlich hinter den deutschen Erwartungen zurück, und auch die Bedin- gungen waren nicht eben günstig: Obwohl die fünfprozentige Verzinsung durchaus im Rahmen des damals üblichen lag, war die einmalige zweiprozentige Provision doch schon recht beachtlich. Zur Deckung wurden deutsche Schatzwechsel gefordert, die zu einem Kurs von 94 angenommen wurden76. Parallel zu diesem Vertrag war es dem seit geraumer Zeit in den Niederlanden tätigen Vertreter der Reichsbank, Dr. Fritz Mannheimer, gelungen, einige kleinere Kredite der Pferdevereinigung oder der Tabakinteressenten zu erlangen77.

72 BA-DH, ZEG 87, Ritscher an ZEG-Vorstand, 7. September 1916. 73 BArch P, RAI 18835, Bl. 16, Havenstein an Helfferich, 25. September 1916; BA-DH, ZEG 788, Niederschrift über die Valutaverhandlungen in Holland (Ritscher), 29. September 1916. 74 Der Text des am 1. November 1916 unterzeichneten Abkommens ist abgedruckt in BPNL (wie Anm. 39), Bd7, Nr. 233. 75 BA-DH, ZEG 788, Ritscher an ZEG-Vorstand, 27. Oktober 1916. Das Wirtschaftsabkommen wurde am 16. Dezember 1916 unterzeichnet. Das sogenannte »Provisorium«, das trotz weiterer Abkom- men erst im Herbst 1918 gekündigt wurde, sah analog zum englisch-niederländischen Abkommen Quoten bei den zum Export bestimmten Produkten vor, so ζ. B. 75 % der Butter, 66 % bei Käse, 50% des Schweinefleischs usw. BArch P, RAI 18835, Bl. 358, Gneist an AA, 16. Dezember 1916. 76 Während Schatzanweisungen unverzinsliche Überbrückungskredite darstellten, wurden Schatz- scheine wie übliche Handelswechsel verwendet. Diese wurden von den niederländischen Banken bevorzugt, weil sie beim Publikum besser unterzubringen waren. 77 BA-DH, ZEG 318, Reichsbankdirektorium an ZEG-Vorstand, 27. und 30. Oktober 1916. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 345

Kröller, ein Mann mit vielfältigen Kontakten zur Reichsleitung und guten Verbindungen zu Generalquartiermeister Erich Ludendorff, der bei diesen wie auch bei späteren Wirt- schafts- und Finanzverhandlungen federführend beteiligt war, schätzte die Höhe der nie- derländischen Kredite an Deutschland zu diesem Zeitpunkt (Oktober 1916) auf vier- bis fünfhundert Millionen Gulden (zwischen 670 und 850 Millionen Goldmark)78. Eine Entspannung der Lage war aber auch durch die neuen Kredite nicht in Sicht. Der Staatssekretär im Reichsschatzamt, Siegfried Graf v. Roedern, faßte die Situation am 6. Dezember 1916 folgendermaßen zusammen: »Zur Zeit hat das deutsche Geld im Ausland ein volles Drittel seiner normalen Kauf- kraft eingebüßt und ist als Zahlungsmittel für die Einfuhr in größerem Umfang kaum noch verwendbar, wenn man es nicht durch fortgesetztes Angebot einer völligen Ent- wertung preisgeben will. Andererseits hat sich die Reichsbank außerstande erklärt, die für den dringenden deutschen Einfuhrbedarf an Lebens- und Futtermitteln benötigten fremden Zahlungsmittel (Devisen) zu beschaffen. Damit ist die Frage entstanden, ob es in Ermangelung von Zahlungsmitteln demnächst unvermeidlich sein wird, die deut- schen Grenzen gegen jede Einfuhr zu schließen. Daß durch eine solche Sperre unsere Kriegführung und Versorgung aufs Schwerste geschädigt würde, bedarf keiner Erörte- rung. Die Zahlungsschwierigkeiten dem Ausland gegenüber lassen sich weder durch Gold- ausfuhr noch im Wege der Kreditbeschaffung beheben. Die deutschen Einkäufe im Aus- land belaufen sich auch jetzt noch auf Hunderte von Millionen Mark im Monat, und es kann keine Rede davon sein, der Reichsbank fortlaufend derartige Goldbeträge zu entziehen. Abgesehen davon haben Schweden und die Schweiz sich schon geweigert, deutsches Gold für ihre Waren in Zahlung zu nehmen. Die deutschen Kreditvermögen im Ausland sind erschöpft. Zwar ist es in Holland nach langen Verhandlungen gelun- gen, für die Käufe der ZEG noch einen erheblichen Kredit aufzunehmen. Hierfür aber wurden bereits die demütigsten Bedingungen gefordert, welche praktisch auf eine ge- meinsame Schuldverpflichtung des Reichs und der Reichsbank unter solidarischer Ga- rantie der Berliner Großbanken hinauslaufen79.« Daher wurde die Zusammenstellung der Zentral-Einkaufs-Gesellschaft, wonach sich ihre Nahrungsmittelimporte 1916 auf fast 200000 Tonnen (davon rund 135000 Tonnen »hoch- wertige«, d.h. eiweißhaltige Nahrungsmittel wie Fisch, Fleisch, Käse usw.) mit einem Ge- samtwert von 2,1 Mrd. Goldmark belaufen hatten, mit gemischten Gefühlen aufgenom- men80. Zwar war man auf die Importe dringend angewiesen, doch stellte deren Bezahlung ein kaum noch zu bewältigendes Problem dar. Die Vorschläge, die von verschiedenen Seiten zur Linderung der Zahlungsschwierigkei- ten gemacht wurden, liefen auf folgende Punkte hinaus: 1. Unnachsichtige Einforderung aller im Exportgeschäft erwirtschafteten Devisen; 2. Uneingeschränkte Nutzung der in Privatbesitz befindlichen ausländischen Wertpapiere zugunsten des Reiches; 3. Vollständige Zentralisierung der Importe; 4. Beschlagnahmung aller noch verfügbaren Goldvorräte;

78 BArch P, RAI 18835, Bl. 26, Arthur Goldschmidt, Leiter der Vertretung Auslandsbutter der ZEG, an ZEG-Vorstand, 2. Oktober 1916. 79 BArch P, RWA 16, Bl. 1-3, Roedern an Vizekanzler Helfferich, 6. Dezember 1916. 80 BArch Ρ, AAII 3854, Bl. 2-8, ZEG-Vorstand an AA, 24. Januar 1917. Vgl. auch August Skal- weit, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1927, S. 24. Seine Zah- len zur Einfuhr der ZEG weisen ζ. T. erhebliche Unterschiede zu den in den Quellen aufgeführ- ten Beträgen auf. Da Skalweit die Herkunft seiner Angaben nicht nennt, sind die hier verwende- ten Zahlen wegen ihrer Nachweisbarkeit als zuverlässiger anzusehen. 346 MGM 53 (1994) Marc Frey

5. Exportsteigerung; 6. Druck auf die Verbündeten mit dem Ziel, Markgeschäfte ganz zu unterbinden81. In der Tat gelang es in den folgenden Wochen, mit Hilfe einer weitgehenden Zentralisie- rung im Bereich der Außenwirtschaft die Zahlungsfähigkeit des Deutschen Reiches auf- rechtzuerhalten. Neben der ZEG, die ohnehin schon den größten Teil der Lebensmittel- importe abwickelte, wurde ein Reichskommissariat für Aus- und Einfuhrbewilligungen eingerichtet. Durch die kontrollierte Abgabe von Gold und den Verkauf von Wertpapie- ren gelang es, den Fall der Mark für eine Weile aufzuhalten und den Kurs erheblich zu bessern. Markgeschäfte Österreich-Ungarns konnten unterbunden, Geschäfte Neutraler mit deutscher Währung eingeschränkt werden. Doch sollte man den Erfolg dieser Maß- nahmen nicht überschätzen82. Das grundsätzliche Problem, die mangelnde Exportfähig- keit der deutschen Wirtschaft, wurde durch die gesteigerten wirtschaftlichen Kriegsanstren- gungen, die mit dem sogenannten Hindenburg-Programm vom Herbst 1916 verbunden waren, nur noch verschärft83. Die große Wertpapierbestandsaufnähme vom August 1916 stand ebenfalls im Zusam- menhang mit der Zentralisierung der deutschen Außenwirtschaft. Verschiedene Verord- nungen erlaubten es nun der Reichsbank, ausländische, vorwiegend neutrale Wertpapiere gegen Entschädigung der Besitzer in die Hände des Staates zu überführen. Dieses zwangs- wirtschaftliche Instrument der Devisenbeschaffung bedeutete eine weitere Abkehr vom liberalen Kapitalismus der Vorkriegszeit. Zwar ergaben die Nachforschungen der Reichs- bank, daß Deutschland noch immer über Auslandsanlagen im Wert von über 15 Milliar- den Mark verfügte84. »Greifbar« waren jedoch nur 2,148 Milliarden. Davon entfielen 1,334 Millarden Mark auf verkäufliche Wertpapiere der neutralen Staaten (ohne die USA) oder der Verbündeten. Doch die in diesem Betrag enthaltenen österreichisch-ungarischen Wer- te von rund 700 Millionen Mark waren angesichts des wirtschaftlichen Zustands des Ver- bündeten praktisch wertlos. Dem Reich verblieb somit nur die relativ kleine Differenz, nämlich 634 Millionen Mark, an leicht verkäuflichen neutralen Wertpapieren85. Der Reichsleitung war durchaus bekannt, daß der im Oktober 1916 abgeschlossene Kredit mit den niederländischen Banken nicht ausreichen würde. Man hoffte aber, über die Wert- papierbestandsaufnahme und die Möglichkeit der zwangsweisen Einziehung der Papiere zu einer Entspannung der prekären Finanzlage des Reiches zu kommen. Zudem boten sich durchaus weitere Möglichkeiten der Kreditaufnahme. Natürlich erkannte man, daß die intensiven Handels- und Finanzbeziehungen auch Abhängigkeiten schufen. Einerseits war Deutschland auf die niederländischen Importe dringend angewiesen, andererseits aber brauchten die Niederländer ihren Absatzmarkt. Ganz besonders galt dies für leicht ver- derbliche Produkte.

81 BArch P, RAI 18540, Bl. 178, Deutsche Gesandtschaft Stockholm, Marineattaché, an Helfferich, 23. November 1916; ebd., Bl. 180—184, Warburg an Helfferich, 9. Dezember 1916; ebd., Bl. 279-85, Gneist an Bethmann Holl weg, 12. Dezember 1916. 82 Vgl. dagegen die positive Einschätzung bei Roesler, Finanzpolitik (wie Anm. 10), S. 139 f. 83 Gerald D. Feldman, Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914—1918 (Amerika- nische Originalausgabe Princeton, NJ, 1966), Berlin, Bonn 1985, S. 209—242. 84 Der Waffenstillstand 1918—1919. Hrsg. im Auftrage der Deutschen Waffenstillstands-Kommis- sion, 3Bde Berlin 1928, Bd2, S. 52f. Der Betrag wurde auf der Grundlage des Bestands vom 30. November 1918 errechnet. 85 BArch P, RB6430, Bl. 39ff., Geheimes Gesamtergebnis der Wertpapierbestandaufnahme vom 30. September 1916. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 347

Stärker als bisher zog die deutsche Regierung nun die gegenseitigen Abhängigkeiten in ihr Kalkül. Auf einer Sitzung im Reichswirtschaftsamt Anfang März 1917, an der Vertre- ter des Reichsamts des Innern, des Reichswirtschaftsamts, des Auswärtigen Amts, des Schatz- amts, der Reichsbank und der ZEG teilnahmen, wurden weitere Finanzierungsmodelle diskutiert. Man beschloß, bereits begonnene Verhandlungen zwischen deutschen Kom- munen und niederländischen Banken zu unterstützen und auch andere Städte wie Berlin, Frankfurt oder München für neue Kredite zu gewinnen. Niederländische Banken würden städtische Hypotheken übernehmen und darauf Pfandbriefe ausgeben. Außerdem könn- ten große Firmen wie die AEG, Siemens oder Unternehmen der rheinischen Schwerin- dustrie gegen Abgabe von Firmenpapieren Kredite erlangen. Im Gegenzug wurde den Kom- munen wie auch den Unternehmen zugesichert, daß ihnen dafür »besondere Vorteile in der Lebensmittelbeschaffung« gewährt würden86. Auf einer weiteren Sitzung verständig- ten sich die Ressorts darüber, für die verschiedenen Interessengruppen getrennt verhan- deln zu lassen. Davon versprach man sich größere Einflußmöglichkeiten gegenüber den Gläubigern87. Nach dem Beginn des unbeschränkten U-Bootkrieges im Februar 1917, den die Reichs- leitung als das letzte Mittel zu einer siegreichen Beendigung des Krieges ansah, kam es nun ganz entscheidend darauf an, daß wahrend der Monate April bis Juni, also der Zeit bis zum Beginn der nächsten Ernte, die niederländischen Importe nicht ins Stocken ge- rieten. Die Erlöse aus dem Exportgeschäft reichten zur Begleichung der Importkosten al- lemal nicht aus. Die im Zuge des Hindenburg-Programms reduzierten Kohlelieferungen deckten gerade noch die Zahlungsverpflichtungen der Reichspostverwaltung gegenüber der niederländischen Post. Außerdem sank der Kurs der Mark nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten auf ein historisches Tief: während bei Ausbruch des Krieges 100 Gulden 169 Mark wert waren, war der Kurs nun auf 100 zu 268,10 gefallen88. Wie schon in der Vergangenheit wurde daher verstärkt versucht, auf deutsche Rechnung in den Nie- derlanden gekaufte und wegen der Ausfuhrverbote nicht ausführbare Waren zu beleihen; entgegen früherer Ablehnungen waren nun einige niederländische Firmen und Banken dazu bereit. Dabei handelte es sich um größere Posten an Rohstoffen wie Baumwolle oder Gummi89. Auf den Abschluß eines größeren Kredits waren niederländische Bankiers jedoch nicht gut zu sprechen. Die Banken seien übersättigt mit Krediten für Deutschland, man müsse nun darüber nachdenken, auf welche Weise die Ablösung der Forderungen bei Kriegsen- de zu bewerkstelligen sei. Allgemein rechnete man in den Niederlanden im Hinblick auf die Nachkriegszeit mit einer erhöhten Nachfrage von Waren und Dienstleistungen im all- gemeinen und von Deutschland im besonderen90. Noch einmal überwies die Reichsbank Ende Juni 1917 fünfzig Millionen Mark in Gold an die Niederlande, um den Kurs zu stützen und die Baissespekulation zu beenden. Dem

86 BArch P, RWA 7629, Aufzeichnung über die Besprechung am 1. März 1917. Eine Kreditvereinba- rung mit einem Volumen von 10 Millionen Mark war schon zwischen der Stadt Hamburg und einer Schweizer Bank getroffen worden, ebd., Adolf T. Freiherr v. Batocki, Präsident des Kriegs- ernährungsamts, an ZEG, 8. März 1917. 87 BA-DH, ZEG 792, Aufzeichnung über das Ergebnis der Besprechung vom 31. März 1917. 88 BArch P, RAI 18541, Bl. 120 f., Reichsbankdirektorium an Arthur Zimmer mann, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, 16. April 1917. 89 BArch P, RWA 172, Bl. 9, Reichsbankdirektorium an Helfferich, 27. April 1917. 90 BArch P, AA II 3984, Bl. 13-15, Gneist an Bethmann Hollweg, 9. Juni 1917. 348 MGM 53 (1994) Marc Frey

waren alarmierende Zeitungsberichte aus der Schweiz und den Niederlanden vorausgegan- gen91. Bankiers wie Max Warburg warnten eindringlich vor der Devisenkrise: »Dauert der Krieg länger, so bedeutet der schlechte Stand unserer Valuta nicht nur ei- nen großen Verlust von Hunderten von Millionen, sondern auch einen großen Verlust an Ansehen, die Unmöglichkeit, unsere bereits eingegangenen Vorschußverpflichtun- gen zu prolongieren, sowie überhaupt noch etwas im Auslande einzukaufen92.« Woran es nach Jahren der Kriegswirtschaft und zunehmender Zentralisierung immer noch mangelte, war eine einheitliche Leitung der Kreditgeschäfte. Neben die Kreditbemühun- gen von Unternehmen, Reichsbank, ZEG und Kriegsministerium traten nun auch noch die Kommunen, die mit ihren im Auslandsgeschäft völlig unerfahrenen Vertretern Ab- schlüsse tätigten, bei denen die Zinsen weit über den handelsüblichen Sätzen lagen. Nicht umsonst erschienen in niederländischen Zeitungen wie dem Handelsblad Anzeigen von Finanzmaklern, in denen mit einem Zins von 11 Prozent gelockt wurde93.

Deutsch-niederländische Finanzbeziehungen bis zum Waffenstillstand

Nachdem alle Bemühungen, weitere Finanzierungsmodelle zur Anwendung zu bringen, nicht ausgereicht hatten, wählte man als letzte gangbare Möglichkeit politische und wirt- schaftliche Druckmittel. Mitte Juli 1917 machte der deutsche Gesandte in Den Haag, Fried- rich v. Rosen, der niederländischen Regierung in einer Verbalnote deutlich, daß der Ab- schluß eines neuen Wirtschaftsabkommens von der Unterzeichnung eines hinreichenden Kredits abhängig gemacht werde. Das Kreditvolumen sollte sich nun unbedingt am tat- sächlichen Bedarf orientieren. Von der Deutschen Handelsstelle im Haag (DHH), einer aus Vertretern verschiedener Ministerien und Kriegsgesellschaften gebildeten Dachorganisa- tion, die für die Algimex alle Wirtschaftsverhandlungen führte, wurde dabei ein Betrag von 12 Millionen Gulden monatlich als nötig erachtet94. In Erwartung schärferer Blocka- demaßnahmen der Entente nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten rechnete man bei der DHH mit einem erheblichen Sinken der Einfuhren. Diese Einschätzung sollte sich als richtig erweisen. Im Juli 1917 verkündete Präsident Wilson ein erstes Ausfuhrverbot für Nahrungs- und Futtermittel gegenüber den Neutralen, das sehr bald auf sämtliche Produkte ausgedehnt wurde95. In der Konsequenz liefen die Anordnungen auf ein Embargo gegen die Niederlande hinaus, über dessen Aufhebung man bei Kriegsende noch immer verhandelte. Die Niederlande waren daher ebenso wie Deutsch- land gezwungen, ein Rationierungssystem einzuführen und die Ausfuhr zu drosseln. Daß jedoch auch die geforderte Summe von 12 Millionen Gulden pro Monat wohl kaum ausgereicht hätte, geht aus einer Aufzeichnung des Direktors der Rechtsabteilung im Aus- wärtigen Amt, Dr. Johannes Kriege, hervor. Er bezifferte die Wareneinfuhr aus den Nie- derlanden für den Zeitraum April bis Juni auf 88,8 Millionen Gulden (150 Mill. Gold-

91 BArch P, RAI 18541, Bl. 132f., 153, Berliner Börsen Courier vom 25. Juni 1917, Berner Bund vom 26. Juni 1917, Berliner Börsenzeitung vom 2. Juli 1917. 92 BA-DH, ZEG 344, Warburg an Havenstein, 25. Juni 1917. 93 BArch P, RWA 7926, Gneist an Bethmann Hollweg, 26. Juni 1917. 94 BA-DH, ZEG 745, Carl Melchior an Helfferich, 21. Juli und 2. August 1917. 95 Proclamation No. 1385, July 9,1917, Restricting Exports, in: Papers relating to the Foreign Rela- tions of the United States 1917, Suppl. 2, Bd2, Washington 1933, S. 903 ff., und Memorandum des Exports Council, 24. Juli 1917, ebd., S. 908 ff. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 349 mark), den Export dagegen auf nur 17,3 Millionen (29,24 Mill. Mark). Zur Deckung des Fehlbetrages waren belgische Noten im Wert von 9,6 Millionen Gulden sowie Wertpapie- re für 9,2 Millionen Gulden verkauft worden. Den Rest von 52,7 Millionen Gulden hatte man größtenteils durch Kredite über 35,4 Millionen Gulden finanziert, die von den nie- derländischen Interessenverbänden aufgebracht worden waren, sowie durch die Ausfuhr von Gold. Kriege mahnte an, daß der verfügbare Bestand an Wertpapieren erschöpft und an eine weitere Goldausfuhr nicht zu denken sei. Man müsse eventuell sogar mit einem Abnahmestop oder einer Kohlensperre drohen, auch wenn Deutschland daraus schwere Nachteile erwachsen sollten. »Da wir die Importe aus Holland ganz unbedingt brauchen«, empfahl Kriege jedoch zunächst die Inaussichtstellung von Erleichterungen auf »marine- politischem Gebiet«. Der Admiralstab sollte den niederländischen Reedern erweiterte Mög- lichkeiten der sicheren Schiffahrt im Verkehr mit Großbritannien zusagen96. Nachdem in der Vergangenheit auf niederländischer Seite die Privatbanken (allerdings mit Rückendeckung der Nederlandsche Bank) mit den Kreditvereinbarungen betraut waren, schaltete sich nun die besorgte niederländische Regierung ein. Finanzminister Marie Wil- lem F. Treub befürchtete, daß weitere Kredite die ohnehin schon bestehende Abhängig- keit zu Deutschland weiter vertiefen würde. Die Tatsache, daß deutsche Aktien im Wert von weit über hundert Millionen Gulden ins Land geflossen waren, beunruhigte ihn sehr. Letztlich stehe sogar die Souveränität der Niederlande auf dem Spiel97. Wie schon bei frü- heren Auseinandersetzungen innerhalb der niederländischen Regierung konnte sich jedoch auch diesmal der deutschfreundliche Handels- und Landwirtschaftsminister Posthuma im Kabinett durchsetzen98. So einigte sich der Ministerrat darauf, den deutschen Kreditwün- schen zu entsprechen. Mehrere Erwägungen führten zu der für Deutschland positiven Ent- scheidung. Zunächst hätte die Kohlesperre gerade im Herbst zu einer ernsten Verknap- pung der Brennstoffe geführt und Unruhen in der Bevölkerung auslösen können. Von den Alliierten, die die Niederlande mit einem Embargo belegt hatten, war wenig Hilfe zu erwarten99. Außerdem entwickelte sich die Kriegslage für Deutschland im Herbst 1917

96 PA-AA, R 21507, Das Kreditabkommen mit Holland, Aufzeichnung von Kriege, 18. September 1917. 97 BArch P, RWA 8019, Bl. 49f., Melchior an Helfferich, 26. September 1917. M.W.E Treub, De Eco- nomische Toekomst van Nederland, Haarlem, Amsterdam 1917, S. 41. Obwohl das tatsächliche Ausmaß der deutschen Kredite der niederländischen Öffentlichkeit nicht bekannt war, mehrten sich warnende Stimmen. Da aber auch hier die Abhängigkeit der beiden Staaten anerkannt wurde, ver- fielen aufmerksame Beobachter in einen regelrechten Zweckoptimismus. So schrieb beispielsweise das Handelsblad am 22. September 1917: »Die Zahlungsfähigkeit [Deutschlands] beruht nicht auf Geldreserven, nicht auf gefüllten Warenlagern, sondern auf der Arbeitskraft, der Geisteskraft und dem Unternehmenssinn des deutschen Volkes. Und darin haben wir ein uneingeschränktes Ver- trauen. Wir wollen nur andeuten, daß die Schwierigkeiten, die Deutschland vorfinden wird, wenn es in absehbarer Zeit den Goldwert der Mark wieder zur Wirklichkeit machen will, so groß sind, daß die Vorsicht der niederländischen Finanziers in Hinsicht auf die Wertsicherheit der deut- schen Mark in jeder Weise gerechtfertigt ist, und daß eine Anlage eines ansehnlichen Teils nie- derländischen Kapitals in Markschulden an das Deutsche Reich die Liquidität und die allgemei- ne Brauchbarkeit des niederländischen Kapitals nach dem Krieg stark vermindern würde.« 98 Wie so viele Aspekte der niederländischen Geschichte im Ersten Weltkrieg ist auch Posthumas Rolle und Einfluß noch ungeklärt. Posthumas Deutschfreundlichkeit ging so weit, daß er sich nach dem Uberfall Hitler-Deutschlands auf die Niederlande im Mai 1940 den niederländischen Nationalsozialisten anschloß. Er wurde 1942 von Widerstandskämpfern erschossen. 99 Kröller hatte zudem schon im August die deutsche Regierung vertraulich wissen lassen, daß die niederländische Regierung an einem baldigen Abkommen mit Deutschland interessiert war. Den Haag wollte die Alliierten und die Vereinigten Staaten bei den in London beginnenden Wirt- schaftsverhandlungen über eine umfassende Kontingentierung der niederländischen Wirtschaft 350 MGM 53 (1994) Marc Frey außerordentlich günstig. Die russische Armee befand sich im Auflösungsprozeß, ein Sieg Deutschlands an der Ostfront war abzusehen. Die kurz darauf ausbrechende bolschewi- stische Revolution und die nachfolgenden Waffenstillstandsverhandlungen wendeten das Kriegsgeschehen vorübergehend entscheidend zugunsten Deutschlands. Im Herbst 1917 war daher nicht abzusehen, welche Seite den endgültigen Sieg davontragen würde. Nach zähen Verhandlungen kam es am 23. Oktober 1917 zu einem neuen Kreditabkom- men, dessen Volumen sich auf 13,75 Millionen Gulden monatlich bei einer Laufzeit von einem halben Jahr belief. Von deutscher Seite als »sehr günstig« bezeichnet, glichen die Bedingungen dem des Abkommens vom Herbst 1916. Zwar handelte es sich bei dem Ver- trag nun eindeutig um ein regierungsseitig ausgehandeltes Abkommen, doch wurde es aus neutralitätspolitischen Gründen wiederum von der »Vereinigung« und vom deutschen Kon- sortium unter Führung der Diskonto-Gesellschaft gezeichnet100. Bis zum Oktober 1917 hatte allein die Reichsbank unter Mitarbeit in- und ausländi- scher Banken Kredite im Wert von über 1,1 Millarden Goldmark in Skandinavien, der Schweiz und den Niederlanden aufgenommen101. Diese Summe berücksichtigte aber we- der den gerade abgeschlossenen Vertrag über insgesamt 82,5 Millionen Gulden (140 Mil- lionen Goldmark) mit den niederländischen Banken noch die weit höheren Forderungen an Unternehmen und Privatpersonen. Kurz darauf kam es noch zu einem Markversiche- rungsgeschäft in Höhe von rund 20 Millionen Gulden102. Mit Hilfe dieser Beträge konn- te der Kurs der Mark ganz erheblich gestützt werden. Zwar hatte die ZEG im Jahre 1917 noch einmal Lebensmittel für fast 1,7 Millarden Mark eingeführt (davon 590 Millionen aus den Niederlanden), doch nahm seit dem Herbst 1917 die Einfuhr an allen Grenzen des Reiches ab103. Dennoch überquerten im Februar 1918 wöchentlich über 60000 Personen in beiden Richtungen die deutsch-niederländische Grenze, darunter zahlreiche Handelsreisende, noch immer wurden über 650 mit Lebensmitteln beladene Eisenbahnwaggons pro Woche abgefertigt104.

vor ein fait accompli stellen. BArch P, RAI 18839, Bl. 270 f., Gneist und Carl Melchior, Finanz- sachverständiger der ZEG und Mitinhaber von M.M. Warburg, an AA, 3. August 1917. Melchior hatte die Finanzabteilung der ZEG aufgebaut und 1915/16 die wichtigen Finanzierungsgeschäfte mit Bulgarien und Rumänien (über den Ankauf von Getreide) geleitet. Seit Sommer 1917 war er in den Niederlanden tätig. Vgl. eine Notiz der ZEG vom 26. November 1917, BA-DH, ZEG 35. 100 BArch P, RWA 8332, Melchior an RWA, 23. Oktober 1917. Paralell zu den Finanzverträgen wurden Abkommen über die Lieferung von Kohle und Stahl sowie über Lebensmittel abgeschlossen. BArch P, RWA 8019, Bl. 78 f., Gneist und Melchior an RWA, 6. Oktober 1917. 101 BArch P, RAI 18541, Bl. 379ff., Reichsbankdirektorium an Helfferich, 5. Oktober 1917. Im ein- zelnen beliefen sich die Kredite auf 147558 Mill. Gulden (rund 251 Mill. Goldmark) in den Nie- derlanden, 411577 Mill. Fr. (rund 335 Mill. Mark) in der Schweiz, 259051 SKr. (rund 285 Mill. Mark) in Schweden, 164047 Kr. (rund 180 Mill. Mark) in Dänemark, 62 Mill. Kr. (rund 70 Mill. Mark) in Norwegen, und auf 715000 $ (ca. 2,5 Mill. Mark) in den Vereinigten Staaten, insgesamt rund 1,12 Mrd. Goldmark. Die dem Schreiben beigelegte Auflistung der Kreditforde- rungen an die Reichsbank enthält auch die Namen der neutralen Geldinstitute. 102 BA-DH, ZEG 799, Reichsbankdirektorium an ZEG, 16. Februar 1918. 103 BArch Ρ, AAH 3855, Streng vertrauliche Beilage zum Bericht der ZEG über die 10. Woche, 10. März 1918. Mit der Rationierung in den Niederlanden und den Zahlungsschwierigkeiten Deutschlands nahm der Schmuggel von Lebensmitteln ungeahnte Ausmaße an. Die Reichsregie- rung duldete dies. Einige Kriegsgesellschaften wie die Kriegsgetreidestelle oder der Kriegsaus- schuß für Öle und Fette beteiligten sich sogar daran. Eine Erörterung dieses Problems sprengt jedoch den Rahmen dieses Artikels. 104 BA-MA, RM 5, 2757, VII. Armeekorps, Stellvertretendes Generalkommando, an Admiralstab der Marine mit einem Bericht der Postüberwachungsstelle Emmerich vom 13. Februar 1918. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 351

Bei Ablauf des im Oktober 1917 für die Dauer eines halben Jahres abgeschlossenen Kredit- und Wirtschaftsabkommen hatten sich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbe- dingungen wesentlich verändert. Aufgrund der deutschen Erfolge im U-Bootkrieg und der damit eintretenden Probleme bei der Bewältigung der alliierten Transporte beschlagnahmten die Vereinigten Staaten und Großbritannien im März 1918 einen Großteil der niederlän- dischen Handelsflotte105. Die Oberste Heeresleitung betrachtete den erzwungenen Uber- gang der Handelsflotte als einen Akt niederländischer »Kriegsbeihilfe« zugunsten der En- tente. Sie verlangte nun Gegenleistungen in Form einer freien Durchfuhr militärischer Güter durch das zwischen Belgien und Deutschland gelegene niederländische Süd-Lim- burg. Mit diesen für einen neutralen Staat unerfüllbaren Forderungen steuerte die Ober- ste Heeresleitung bewußt auf einen Krieg mit den Niederlanden zu. Nur auf nachhaltiges Drängen der politischen Führung erließ der Kaiser den Befehl, den »Bruch mit Holland unter allen Umständen« zu vermeiden. Ein bereits ausgearbeitetes Ultimatum, in dem »Ge- waltmaßnahmen« angedroht worden waren, wurde zurückgezogen106. Ausschlaggebend für diese Entscheidung zugunsten der politischen Führung dürfte die Intervention des ehe- maligen Gesandten in Den Haag, Richard v. Kühlmann, gewesen sein, der mittlerweile zum Staatssekretär des Auswärtigen Amts aufgestiegen war. Er kannte wie kaum ein an- derer innerhalb der Reichsleitung die Vorteile der niederländischen Neutralität, insbeson- dere in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht107. In den Niederlanden selbst machte sich eine deutliche Lebensmittelknappheit bemerk- bar108. Lieferschwierigkeiten der Niederländer führten nun tatsächlich zu einer Kohlesper- re, so daß der Kurs der Mark, der noch im April 1918 bei erfreulichen 2,12 Mark pro Gulden gelegen hatte, aufgrund der ausgefallenen Einnahmen aus dem Exportgeschäft im Juli auf 2,80 fiel. Der »wohlgefügte Bau«, den die Reichsbank seit der Gewährung des Kre- dits vom Oktober 1917 zusammengefügt hatte, war zusammengebrochen, die »finanzielle Katastrophe« kaum noch aufzuhalten109. Daß es angesichts des von verschiedenen Seiten als »Wirtschaftskrieg« bezeichneten Zustands im August 1918, zu einem Zeitpunkt also, an dem die Niederlage des deutschen Westheeres nur noch eine Frage von Wochen war, noch einmal zu einem Kreditabkommen über rund 14 Millionen Gulden zwischen dem

105 Thomas A. Bailey, The Policy of the United States toward the Northern Neutrals, 1917—1918, New York 1942 (Neudruck 1979), S. 194-238; J. A. Salter, Allied Shipping Control. An Experi- ment in International Administration, Oxford 1921, S. 106—108. 106 Denkschrift über die Schwierigkeiten im Schiffahrtsverkehr mit Holland, 15. April 1918, in: BPNL (wie Anm. 39), Bd 5, S. 444-455; PA/AA, R 8328, AA an Rosen, undatiert (24. April 1918). 107 PA/AA, R 22226, Kühlmann an den Vertreter des AA bei der Obersten Heeresleitung, Kurt Frei- herr v. Lersner, 22. April 1918. Vgl. auch Smit, Nederland (wie Anm. 5), Bd 3, S. 70—86. Smit verschweigt allerdings, daß der niederländische Außenminister John Loudon zu diesem Zeit- punkt bereit war, die Niederlande auf selten der Entente in den Krieg zu führen. Vgl. ein diesbe- zügliches Telegramm an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom 23. April 1918, National Archives, Washington, DC, State Department Files, Record Group 59, Political Rela- tions between Austria and Serbia, The European War, 763.72/9682. Die amerikanische Füh- rung sah sich außerstande, den Niederlanden zu Hilfe zu kommen und riet daher von einem solchen Schritt ab. General Newton D. Baker an Wilson, 27. April 1918, in: The Papers of Woo- drow Wilson, ed. by Arthur S. Link et al., Bd47, Princeton, NJ 1984, S. 261-266. 108 Friedrich Rosen, Aus einem diplomatischen Wanderleben. Aus dem Nachlaß hrsg. und eingeh von Herbert Müller-Werth, Bd 3/4, Wiesbaden 1959, S. 154-169. 109 BArch P, RWA 42, Bl. 277-283, Roedern an RWA, 12. Juli 1917; ebd., Bl. 275f., Reichsbank- direktorium an RWA, 16. Juli 1918; BArch P, RWA 7620, Bl. 192-195, Notiz im RWA vom 19. Juli 1918. 352 MGM 53 (1994) Marc Frey deutschen Bankenkonsortium und dem niederländischen Staat kam, ist erstaunlich, un- terstreicht aber den Grad der gegenseitigen Abhängigkeiten beider Länder110.

Die Rückkehr zur Normalität

Wie bereits erwähnt, hatten sich deutsche und niederländische Finanzkreise im letzten Kriegsjahr mit der Frage der Konsolidierung und Ablösung der von den Niederlanden vergebenen Kredite befaßt. Angesichts der Niederlage Deutschlands im November 1918 und den nachfolgenden Revolutionswirren war an neue Kredite, mit denen man dringend benötigte Lebensmitteleinfuhren hätte finanzieren können, nicht zu denken. Die Gesprä- che, die der Direktor der Diskonto-Gesellschaft, Franz Urbig, wegen neuer Kreditangele- genheiten mit der niederländischen Regierung geführt hatte, endeten im »größten Fiasko«. Der Vertreter der Reichsbank, Dr. Fritz Mannheimer, faßte die Lage um die Jahreswende 1918/19 folgendermaßen zusammen: »Die holländische Regierung ist ein so schwerfälliges und vorsichtiges Gebilde, daß es noch viel eher gelingen wird, Verlängerungen der Kredite zu erreichen, wenn ich versu- che, bei den privaten Kreditgebern privat vorstellig zu werden, als wenn hier mit gro- ßem Tramtram und mit Milliarden-Gulden-Zahlen die hiesige Finanzwelt eingeschüch- tert wird und obendrein noch unsere Feinde auf unsere Hilflosigkeit aufmerksam ge- macht werden111.« Die alliierte Forderung nach einem umfassenden Sieg über Deutschland wich der Einsicht, daß eine Gesundung der europäischen Volkswirtschaften ohne den deutschen Beitrag nicht möglich sein würde. Allmählich konnten sich die Niederlande daher vom Odium der Kol- laboration befreien, wie unbegründet dieser Vorwurf angesichts der politischen Verhält- nisse im Krieg auch immer gewesen sein mag. Die ungeordneten Handelsbeziehungen zwi- schen Deutschland und den Niederlanden — hier ist in erster Linie an den im großen Stil stattfindenden Schmuggel zu denken — schädigten letztlich die Interessen beider Sei- ten. So kam es bereits im Oktober 1919 zu einem neuen Warenkreditgeschäft, nachdem die Reichsregierung unter Übertretung der Waffenstillstandsvereinbarung alles daran ge- setzt hatte, die Forderungen der kleineren niederländischen Geldinstitute wenigstens teil- weise zu erfüllen112. Der Vertragsentwurf einer großen niederländischen Staatsanleihe für Deutschland im Wert von 200 Millionen Gulden konnte im Januar 1920 fertiggestellt wer- den. Nachdem während des Ratifizierungsprozesses noch einige Hürden übersprungen wer- den mußten, wurde der Vertrag am 20. Mai 1920 unterzeichnet113. Die Forderungen aus der Kriegszeit wurden konsolidiert, und die deutsche Regierung erhielt die Möglichkeit, große Mengen an Lebensmitteln und Rohstoffen aus den Niederlanden zu importieren. Damit waren die Niederlande das erste Land, daß nach dem Krieg die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu Deutschland in vollem Umfang wieder aufnahm. Reichskanzler Constantin Fehrenbach würdigte das Zustandekommen des Vertrages in einem Brief an den niederländischen Außenminister Hermann van Karnebeek mit den Worten:

110 BA-DH, ZEG 789, Vertrag zwischen der Nederlandsche Uitvoer Maatschappij und dem deutschen Bankenkonsortium, 24. August 1918. 111 BArch Ρ, AAII 4252, Mannheimer an Rosen, 17. Januar 1919. 112 BA, R43 1/2432, Havenstein ans Reichsfinanzministerium, 31. Dezember 1919. Ausstehende Beträge wurden in Form von Wertpapieren zurückgezahlt. 113 BA, R 43 1/88, Aufzeichnung der Reichskanzlei (undatiert), Ende Mai 1920. Deutsche Finanzinteressen an den Vereinigten Staaten und den Niederlanden 353

»Das befreundete Holland trägt in hervorragender Weise zu dem Wiederaufbau des deut- schen Wirtschaftslebens bei. Wir werden stets dessen eingedenk sein, daß Holland mit der Einleitung dieser Kreditaktion vorausgegangen ist zu einer Zeit, wo diese Vertrauenskund- gebung und nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft an Deutschland vollkommen allein stand. Holland leistet nicht nur einen erheblichen wirtschaftlichen, sondern auch politischen und moralischen Dienst und Deutschland wird es umso mehr als eine selbstverständli- che Pflicht ansehen, seine Vertragsverpflichtungen gegenüber Holland zu erfüllen114.«

IV. Zusammenfassung

Die Erwartung der Reichsleitung, die deutsche Kriegswirtschaft mit amerikanischen Rohstof- fen und Nahrungsmitteln versorgen zu können, erfüllte sich nicht. Wenn auch die britische Blockade den deutschen Transatlantikhandel sehr bald zum Stillstand bringen konnte, hatte sie in finanzwirtschaftlicher Hinsicht nur bedingt Erfolg. Besonders im ersten Kriegsjahr stellte der amerikanische Kapitalmarkt die wichtigste Quelle zur Bildung von Devisengut- haben dar. Obwohl Großbritannien seit November 1915 die deutschen Finanztransaktionen auf dem amerikanischen Markt zunehmend behinderte, gelang es dem Reich bis zum Herbst 1916, die Geschäfte durch Vermittlung neutraler Banken fortzusetzen. Die in den Vereinigten Staaten durch den Verkauf von Wertpapieren erzielten Dollarbeträge wurden vorwiegend zur Bezahlung kriegswichtiger Importe aus den neutralen Nachbarstaaten Deutschlands ver- wendet. Seit November 1915, als der amerikanische Kapitalmarkt nur noch in eingeschränk- tem Maße zur Verfügung stand, rückten die neutralen Nachbarstaaten verstärkt in den Mittelpunkt der deutschen Bemühungen um Devisenguthaben und Auslandskredite. Den Niederlanden als dem wichtigsten neutralen Außenwirtschaftspartner Deutschlands im Ersten Weltkrieg kam dabei eine herausragende Bedeutung zu. Am Ende des Krieges war Deutschland im neutralen Ausland tief verschuldet. Die niederländischen Forderun- gen an die deutsche Wirtschaft und den Staat beliefen sich laut Angaben der Reichsbank auf über 1,6 Milliarden Goldmark. Die Gesamtforderungen des neutralen Auslands wur- den auf drei bis vier Milliarden Goldmark geschätzt. Daneben hatte Deutschland auslän- dische Wertpapiere für mindestens drei Milliarden Mark auf den neutralen Märkten abge- setzt und eine weitere Milliarde durch den Verkauf deutscher Aktien realisiert. Zur Stüt- zung der Wechselkurse hatte das Reich eine Milliarde Mark an Gold an das neutrale Ausland abgegeben115. Schon in der Kriegszeit wurden die engen wirtschaftlichen und finanziellen Beziehun- gen Deutschlands zu den neutralen Nachbarstaaten wie ein Staatsgeheimnis behandelt, und auch in der von den Siegermächten dominierten Nachkriegswelt hätte eine öffentli- che Diskussion um die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten nur politischen Scha- den anrichten können. In gewisser Weise hatten sich nämlich wesentliche Aspekte der »Mitteleuropa-Vorstellungen« der staatsstragenden Eliten des Reiches — wenn auch unter anderen als den erhofften und geplanten Vorzeichen — verwirklicht: Während des Krie- ges wurden die neutralen Volkswirtschaften trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Blockade in hohem Maße in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft gestellt.

114 BA, R43 1/88, Fehrenbach an Karnebeek, 21. Juli 1920. 115 BArch P, RB 6430, Erläuterungen zur deutschen Zahlungsbilanz, 2. Januar 1919; Aufzeichnung des Vizedirektors der Reichsbank, Otto v. Glasenapp, zur deutschen Zahlungsbilanz (ohne Da- tum) 1921. Der Rathenaumord Rekonstruktion einer Verschwörung

Martin S abro w Dennoch gelang es Die hierbei gewonne- Der Rathenaumord nie, die Hintergründe nen Ergebnisse lassen Rekonstruktion einer des Anschlags angemes- erkennen, daß der Verschwörung gegen sen zu erhellen. Rathenaumord Teil die Republik von Insbesondere blieb einer gegenrevolutio- Weimar ungeklärt, ob das Atten- nären Verschwörung tat auf Rathenau mit zum Sturz der Repu- den weiteren Mordan- blik gewesen war. Sie Der Rathenaumord schlägen der Zeit auf beleuchten die Schwä- zählt zu den aufwüh- Matthias Erzberger, che des Weimarer lendsten Ereignissen Philipp Scheidemann Staates, der gegenüber der Weimarer Repu- und Maximilian Harden dieser terroristischen blik, und die Reaktio- in Verbindung stand Bedrohung von rechts nen, die das Attentat und ob es von der juristisch und politisch hervorrief, drohten rechtsradikalen Unter- hilflos war. zeitweilig das Land an grundorganisation den Rand des Bürger- „Consul" gesteuert 1994. Ca. 230 S., Br. kriegs zu bringen. worden war. DM/sFr 31,-/öS 242,- Während die Haupt- ISBN 3-486-64569-2 täter vor ihrer Ergrei- Gestützt auf eine Fül- Schriftenreihe der fung den Tod fanden, le von Quellenzeugnis- Vierteljahrshefte für wurden ihre Mitver- sen unterschiedlichster Zeitgeschichte, Bd. 69 schwörer - soweit man Provenienz rekonstru- ihrer habhaft wurde - iert Martin Sabrow von dem neu errichte- minuziös Hergang ten Staatsgerichtshof und Vorbereitung des zum Schutz der Repu- Rathenaumordes und blik mit zum Teil drako- geht der Verantwor- nischen Strafen belegt. tung der Organisation „Consul" für die ein- zelnen Morde nach. Oldenbourg