Frankreich Und Das Ende Der Reparationen. Das Scheitern Der
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
PHILIPP HEYDE FRANKREICH UND DAS ENDE DER REPARATIONEN Das Scheitern der französischen Stabilisierungskonzepte in der Weltwirtschaftskrise 1930-1932 On ne fait pas la paix sans la confiance. (Aristide Briand am 8. November 1929)1 I. Im August 1931 schrieb der Generalsekretär des französischen Außenministeriums, Philippe Berthelot, an einen Freund, er sei „zufrieden damit, was in Frankreich und im Ausland geschieht: Niemals waren wir in einer stärkeren Situation"2. Doch kaum ein Jahr später mußte die Dritte Republik eine schwere diplomatische Nieder lage hinnehmen: Im Juli 1932 willigte Ministerpräsident Edouard Herriot auf der Konferenz von Lausanne in das faktische Ende der deutschen Reparationszahlungen ein. Ein zentraler Bestandteil des Versailler Vertrags ging verloren, weitere tiefgrei fende Revisionen auf Frankreichs Kosten sollten folgen. Diese erstaunliche Niederlage des mächtigen Frankreich wird gemeinhin mit der Weltwirtschaftskrise erklärt, die seine internationale Stellung geschwächt und Deutschlands Befreiung von den Reparationsverpflichtungen erzwungen habe3. Doch die Depression war kein rein ökonomisches Phänomen. Spätestens seit dem 1 Annales de la Chambre des Députés, Débats parlementaires, Session Extraordinaire (künftig: Ann. Chambre, Sess. Extr.), 1929, S. 87. 2 Auguste Bréal, Philippe Berthelot, Paris 1937, S. 223; ähnlich, wenngleich weniger erfreut, formu lierte der Staatssekretär im deutschen Finanzministerium, Hans Schäffer, am 23. 12. 1932: „Frank reich ist phantastisch stark. England, Italien und [.. .] Belgien versuchen immer wieder, eine selb ständige Politik zu machen, und scheitern immer wieder daran, daß sie finanziell auf die Franzo sen angewiesen sind [.. .] oder sich vor ihnen fürchten", in: Archiv Institut für Zeitgeschichte, München (künftig: IfZ), ED 93/16, Bl. 1235; vgl. aber Stephen A. Schuker, The End of French Predominance in Europe. The Financial Crisis of 1924 and the Adoption of the Dawes Plan, Cha- pel Hill 1976, der das Ende der französischen Vorherrschaft bereits auf 1924 datiert. 3 Vgl. Haim Shamir, Economic Crisis and French Foreign Policy 1930-1936, Leiden 1989; ähnlich Dominique Borne/Henri Dubief, La crise des années 30 1929-1938, Paris 21989: „Die Krise liqui diert die Reparationen", S. 47. VfZ 48 (2000) © Oldenbourg 2000 38 Philipp Heyde Frühjahr 1931 wurde die internationale Politik durch eine allgemeine Vertrauenskrise belastet, die die internationalen Finanzmärkte wiederholt zu panikartigen Kreditab zugswellen veranlaßte4. Die Vertrauenskrise hatte ihre Ursache nicht zuletzt in der Sorge um die politische Stabilität in Europa, die wiederum durch das Mißtrauen der Finanzmärkte vertieft wurde. Ökonomische und politische Destabilisierung ver stärkten einander wechselseitig, so daß man von einer einzigen „Weltkrise von Wirt schaft und Politik" sprechen muß5. Mithin darf das Ende der Reparationen nicht le diglich auf die ökonomischen Rahmenbedingungen zurückgeführt werden. Es war vielmehr auch politisch bedingt: Frankreich gelang es nicht, seine Konzepte zur Sta bilisierung des internationalen Systems durchzusetzen. Gleichzeitig wehrte sich Paris lange gegen die Stabilisierungskonzepte der anderen Großmächte, vertiefte dadurch die Vertrauenskrise, verschärfte die wirtschaftliche Depression und behinderte die Zahlungsfähigkeit des Deutschen Reichs. Um diese Hypothese zu untermauern, soll im folgenden untersucht werden, welche Stabilisierungskonzepte Frankreich von 1930 bis 1932 verfolgte und warum es ihm nicht gelang, sich mit seinen Verhand lungspartnern auf eine gemeinsame Strategie zu einigen6. II. Zunächst sind jedoch einige Bemerkungen zur Rechtsgrundlage der Reparationspoli tik in den Jahren 1930 bis 1932 vorauszuschicken: dem Youngplan. Das nach dem provisorischen Dawesplan vermeintlich endgültige Reparationskonzept war im Frühjahr 1929 von einem internationalen Expertenkomitee erstellt worden. Obwohl das Gremium eigentlich unabhängig sein sollte, hatte die Regierung den französi schen Sachverständigen Jean Parmentier in einer ausführlichen Instruktion auf Ziel- 4 Zum Begriff der Vertrauenskrise, der bei Zeitgenossen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte, vgl. z. B. die Ansprache des britischen Premierministers Ramsay MacDonald vom 20. 7. 1931, in: Documents of British Foreign Policy 1919-1939 (künftig: DBFP), 2/II, S. 436-442; anonyme Note aus dem französischen Finanzministerium vom 18. 9. 1931, in: Archives économiques et fi- nancières, Paris (künftig: AEF), B 31 716; Temps vom 26. 9. 1931, in: Bundesarchiv Berlin (künf tig: BA Berlin) R 2501/2823; Der Basler Reparationsbericht: Das Gutachten des Beneduce-Aus- schusses. Bericht des Beratenden Sonderausschusses Dezember 1931, Frankfurt a. M. 1932, S. 26f. 5 Theo Balderston, The Origins and Course of the German Economic Crisis, November 1923 to May 1932, Berlin 1993, S. 129, 172 f. und 182; Otto Büsch/Peter-Christian Witt, Krise der Welt wirtschaft - Weltkrise von Wirtschaft und Politik, in: Dies. (Hrsg.), Internationale Zusammen hänge der Weltwirtschaftskrise, Berlin 1994, S. 15 (Zitat) - 26. 6 Dieser Aufsatz behandelt hauptsächlich die Stabilisierungskonzepte, die sich auf das Reparations problem bezogen; zu ähnlichen Ergebnissen kann man auch bezüglich der Abrüstungsfrage und zur Stabilisierung der Staaten Südosteuropas gelangen, vgl. z. B. Jacques Bariéty, Der Tardieu- Plan zur Sanierung des Donauraums, Februar-Mai 1932, in: Josef Becker/Klaus Hildebrand (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929-1933, München 1980, S. 361-387; Maurice Vaisse, Sécurité d'abord. La politique francaise en matière de désarmement, 9 décembre 1930-17 avril 1934, Paris 1981. Frankreich und das Ende der Reparationen 39 vorgaben festgelegt, über die sich Ministerpräsident Raymond Poincaré bereits im Herbst 1928 mit dem britischen Schatzkanzler Winston Churchill verständigt hatte7. Die Deutschen fügten sich den Vorstellungen ihrer Gläubiger, weil man ihnen dafür den vorzeitigen Abzug der Besatzungstruppen aus dem Rheinland versprach und weil zum anderen im Falle einer Ablehnung schwere Finanzprobleme drohten: Während einer Krise der Expertenberatungen hatte das Reich durch Kapitalflucht und Kreditkündigungen Devisen im Wert von über 600 Mio. RM verloren. Nach län geren Verhandlungen auf zwei Konferenzen in Den Haag im August 1929 und im Ja nuar 1930 trat der Youngplan am 17. Mai 1930 in Kraft8. Er sah vor, daß Deutschland bis 1988 Reparationen in einer jährlichen Durchschnittshöhe von rund zwei Milliar den RM leistete. Diese teils in Sachlieferungen, zumeist aber in Gold oder Devisen zu zahlende Summe war zweigeteilt: Die sog. ungeschützte Annuität von etwas mehr als einem Drittel diente zur Wiedergutmachung der - hauptsächlich französi schen - Kriegsschäden und mußte unter allen Umständen bezahlt werden; die übri gen zwei Drittel verwandten die Gläubigermächte zur Rückzahlung der interalliier ten Kriegsschulden, die sie im Weltkrieg vor allem bei der amerikanischen Regierung aufgenommen hatten. Dieser Teil der Reparationen sollte bei einer Senkung der Kriegsschulden vermindert werden, und bei Zahlungsschwierigkeiten war vorgese hen, seinen Transfer in Devisen für zwei Jahre aufzuschieben. In diesem Fall hatte Frankreich einen Garantiefonds einzurichten, mit dem etwaige Finanzschwierigkei ten kleinerer Reparationsgläubiger überwunden werden sollten. Außerdem bestand die Absicht, einen Beratenden Sonderausschuß internationaler Experten einzube rufen, der Möglichkeiten zur Überwindung der Krise vorzuschlagen hatte9. Das wichtigste Ziel, das die Franzosen mit dem Youngplan verfolgten, war finan zielle Sicherheit. Deshalb hatten sie jede Revisionsmöglichkeit ausgeschlossen und großen Wert darauf gelegt, daß die Reparationen mobilisierbar gemacht wurden. Das heißt, Reparationsbonds konnten wie eine normale Reichsanleihe auf den Markt gegeben werden. Im Mai 1930 wurden in der sog. Younganleihe Reparationen im Wert von 840 Mio. RM kommerzialisiert. Ein Mitarbeiter im französischen Finanz ministerium stellte zufrieden fest, die Reparationen seien nun mit den interalliierten 7 Aufzeichnung über Poincarés Verhandlungen mit Churchill vom Oktober 1928 und „Indications données aux futurs experts francais sur les vues du gouvernement" vom 27. 12. 1928, in: AEF, B 32 210; DBFP, la/V, Dok. Nr. 182, Anm.2; Martin Gilbert (Hrsg.), Companion, Teil 1, zu: Ders., Winston S. Churchill, Bd. 5, London 1979, S. 1358ff. 8 Zur Entstehung des Youngplans aus deutscher Sicht vgl. Martin Vogt (Hrsg.), Die Entstehung des Youngplans dargestellt vom Reichsarchiv 1931-1933, Boppard 1970; Peter Krüger, Die Außenpo litik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, S. 428-507; Franz Knipping, Deutschland, Frankreich und das Ende der Locarno-Ära 1928-1931, München 1987, S. 34-84 und 96-124; zur Kreditkrise vom Frühjahr 1929 vgl. Gerd Hardach, Weltmarktorientierung und relative Stagna tion. Währungspolitik in Deutschland 1924-1931, Berlin 1976, S. 112f.; Balderston, Economic Crisis, S.139 und 157 f. 9 Vgl. Eduard Heilfron/Paul Nassen (Hrsg.), Der Neue Plan, Berlin 1931; zum Problem der interal liierten Schulden vgl. Denise Artaud, La question des dettes interalliées et la réconstruction de l'Europe, 2 Bde., Paris 1978. 40 Philipp Heyde Schulden verkoppelt, was die Amerikaner bislang stets abgelehnt hatten. Wichtiger noch, durch die Mobilisierungsmöglichkeit seien die Reparationen auch mit den Pri vatschulden rechtlich gleichgeordnet und das Vertrauen der internationalen Kapital märkte in Deutschlands Fähigkeit,