Verbreitung Und Kontakte Der Kugelamphorenkultur: Ein Blick Auf Die Polykulturellen Peripherien
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Verbreitung und Kontakte der Kugelamphorenkultur 401 Verbreitung und Kontakte der Kugelamphorenkultur: Ein Blick auf die polykulturellen Peripherien Von Marzena Szmyt Schlagwörter: Kugelamphorenkulturª/ªBesiedlungsgeschichteª/ªFremdeinflüsseª/ªSozialordnungª/ªTheorie Keywords: Globular Amphora Cultureª/ªHistory of settlementª/ªForeign influencesª/ªSocial orderª/ Theory Mots-clé: Culture des Amphores Globulairesª/ªHistoire de l’occupationª/ªInfluences étrangèresª/ªOrdre socialª/ªThéorie Einleitung Wenn wir uns mit einer archäologischen Kultur beschäftigen, schließen wir unvermeid- lich einen Kreis ähnlicher oder synchroner Erscheinungen in unsere Betrachtungen ein. Wir befassen uns mit ähnlichen Gegenständen, Relikten von Ritualen, Besiedlungs- und Wirtschaftsformen. Relativ selten erscheint eine archäologische Kultur in unterschied- lichen oder sogar völlig anderen kulturellen Milieus. Das beste Beispiel dafür stellt die Glockenbecherkultur im Endneolithikum dar (neuerdings: Nicolis 2001). Nicht we- niger interessant ist die Kugelamphorenkultur (KAK). Der vorliegende Artikel bietet eine Übersicht über die Situation an der Peripherie dieser Kultureinheit. Diese Studie zu den peripheren Verhaltensmustern innerhalb der KAK verfolgt drei Grundziele: Das erste ist die Veranschaulichung der besonderen Vielfalt jener kulturellen Kontexte, in denen Relikte der KAK auftreten. Das zweite Ziel besteht darin, verschiedene Inter- pretationen der konkreten Quellen (hier: der KAK) abhängig von dem jeweiligen kul- turellen Kontext zu skizzieren. Es ist wichtig zu betonen, dass ähnliche archäologische Quellen unterschiedliche kulturelle Bedeutungen haben können und ihre Ausbreitung in Folge verschiedener soziokultureller Prozesse erfolgt sein kann. Unter diesem Aspekt schließt die vorliegende Arbeit an die endlose Diskussion über den Status und die Be- deutung dessen an, was wir als archäologische Kultur bezeichnen. Das dritte Ziel ist die Untersuchung des Kulturwandels anhand ausgewählter Aspekte von Kulturkon- takten. Die hier vorgeschlagenen Interpretationen entspringen der Überzeugung, dass solche Schlussfolgerungen – allerdings innerhalb angemessener Grenzen – zu den so- ziokulturellen Prozessen auf Grundlage der archäologischen Quellenkategorien mög- lich sind. Ich halte hier die kontextuelle Interpretation von I. Hodder (1986), der die aktive Rolle der materiellen Kultur in den urgeschichtlichen Gesellschaften betont, für die ergiebigste. Die Fundstellen, an denen die KAK auftritt, sind über ein sehr großes Gebiet ver- breitet. Dieses erstreckt sich über weite Areale Mittel- und Osteuropas, von den Ge- bieten zwischen Elbe und Weser im Westen bis zum Dnjepr im Osten, von der Ostsee im Norden etwa dem Karpatenbogen folgend bis zur Moldau, zur oberen Weichsel und zum mittleren Prut im Süden (Abb.ª1). Man unterscheidet drei räumlich getrennte Grup- pen der KAK: eine westliche, eine zentrale und eine östliche. Die westliche Gruppe GERMANIA 81, 2003 402 Marzena Szmyt (Priebe 1938; Nagel 1985; Beier 1988; Kirsch 1993; Müller 2001) ist im Elbe-, Oder- und Moldaugebiet verbreitet; die zentrale Gruppe (Wi|laŒski 1966; 1970; 1979; Nosek 1967; Szmyt 1996) konzentriert sich in den Einzugsgebieten von Weichsel, Warthe, Netze und Bug; die östliche Gruppe (Levickij 1929; Sve™nikov 1983; Szmyt 1999) reicht von der Pripe» bis zu den Gebieten von Seret und Prut und vom Bug zum mittleren Dnjepr. Einzelne Funde der KAK überschreiten die skizzierten Grenzen, z.ªB. am oberen Dnjepr (Shmidtª/ªSzmyt 1996), im Einzugsgebiet der mittleren Donau (Stroh 1938; Ruttkay 2001), am Rhein (Eich 1933) oder in Jütland und auf Lolland (Ebbesen 1975; Davidsen 1978). Die größten Konzentrationen von Fundplätzen der KAK finden sich in Kujawien, dem Kerngebiet der zentralen Gruppe, im Mittelelbe-Saale-Gebiet, dem Zentrum der westlichen Gruppe, sowie in Wolhynien und Podolien, dem Zentrum der östlichen Grup- pe. Für die genannten Gebiete wurden in den letzten Jahren regionale Ansätze zur Perio- disierung der KAK und zur absoluten Chronologie erarbeitet (Müller 2001; Szmyt 1996; 1999). Für einige andere Regionen verfügen wir über mehr oder weniger zahlrei- che 14C-Daten (z.ªB. Rassmann 2001; Zápotock4ª/ªDobe™ 2000; Szmyt 2001). Sie zei- gen, dass die KAK maximal den Zeitabschnitt von etwa 3500 bis 2200 v.ªChr. (Kuja- wien) einnimmt, wobei die Hauptstufe der Entwicklung in den meisten Gebieten in der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v.ªChr. liegt (Müller 2001, 248ªf.; Szmyt 2000ªa; 2001). In der vorliegenden Arbeit werden einige ausgewählte Gebiete an der Peripherie der KAK untersucht. Die Auswahl erfolgte im Hinblick auf die Rekonstruktions- möglichkeiten der jeweilig vorherrschenden kulturellen Situation und richtete sich nach der Vielfalt der möglichen Interpretationen. Zusätzlich konzentrierte sich das Interes- se auf Gebiete und Probleme, die bislang wenig erforscht wurden. Deswegen wurde, unabhängig vom weiteren Diskussionsbedarf (z.ªB. ‹cibior 1991), auf eine Beschäfti- gung mit der bereits ausführlich behandelten Problematik der Z}ota-Kultur (Krzak 1976) verzichtet. Das Gebiet an der südöstlichen Ostseeküste (Abb.ª2) Quellen Die Gebiete an der südöstlichen Küste der Ostsee im heutigen Litauen, Lettland, nörd- lichen Weißrussland und nordwestlichen Russland wurden in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v.ªChr. von den Gesellschaften der Narva-Kultur besiedelt, deren An- fänge in das 4. Jahrtausend v.ªChr. zurückreichen (Loze 1988, 100–105; Rimantienè 1994, 76ªf.). In der hier zu behandelnden Zeit haben wir es mit einer späten Entwick- lungsphase der Narva-Kultur zu tun, die stellenweise mindestens bis etwa 2500 v.ªChr. andauerte (Szmyt 1999, 91). Die Narva-Kultur bildet in dieser Phase eine Reihe räum- lich unterscheidbarer Einheiten (sog. Kulturtypen) aus, die manchmal als selbständige Gruppen behandelt werden (Timofeev 1991; Miklajev 1992). Die Siedlungen der Narva-Kultur lagen hauptsächlich an Flussufern und Küsten. Dank der günstigen Um- weltverhältnisse, die sowohl ergiebigen Fischfang als auch ertragreiches Sammeln ermög- lichten, war eine relative Stabilisierung des Besiedlungsnetzes – zumindest in manchen GERMANIA 81,2003 Verbreitung undKontaktederKugelamphorenkultur Verbreitung Abb.ª1. Verbreitung der Kugelamphorenkultur (KAK). Nach Wi|laŒski 1970, verändert. 1 westliche Gruppe der KAK, 2 zentrale Gruppe der KAK, 3 östli- che Gruppe der KAK, 4 Gräberfeld der KAK am oberen Dnjepr (Turin™+ina bei Smolensk), 5 einzelne Funde der KAK und Elemente der KAK in fremden 403 Kontexten, 6 Einflussrichtungen der KAK, 7 analysierte Gebiete: I südöstliche Ostseeküste, II oberer Dnjepr, III zwischen Seret und Prut, IV obere Elbe, V mittlere Donau, VI Bodensee, VII Weser. – M. 1ª:ª8ª000ª000. 404 Marzena Szmyt Abb.ª2. Kulturelle Situation an der südöstlichen Ostseeküste zu Beginn des 3. Jahrtausends v.ªChr. Nach Wi|laŒski 1979; Rimantienè 1994; GumiŒski 1997; Szmyt 1999, ergänzt. 1 Fundstellen der KAK; 2 Kom- plex in 1ventoji; 3 Verbreitung der Narva-Kultur; 4 Verbreitung der Memel-Kultur. – M. 1ª:ª3ª500ª000.ª Regionen (z.ªB. 1ventoji: Rimantienè 1994) – möglich. Dies zeigt sich in der relativ beständigen Siedlungsform und der langanhaltenden Nutzung solcher Mikroregionen, die reiche Möglichkeiten zum Nahrungserwerb boten. Besonders entwickelt war die Fischerei, wovon die Menge und Vielfalt der erhaltenen Ausrüstung, darunter Netze und Kahnbruchteile, zeugen (Rimantienè 1994; 1996ªa; 1996ªb). Man ging aber auch der Jagd nach (Rimantienè 1992, 108ªf.; Daugnoraª/ªGirininkas 1995; Loze 1998). Andere Wirtschaftsformen waren für die Narva-Kultur von marginaler Bedeutung (Daugnoraª/ªGirininkas 1995, 44ªf.), wobei die zeitliche Einordung (mit Ausnahme des unten behandelten Beispiels aus 1ventoji) zu diskutieren bleibt. Holz- und Bernstein- bearbeitung sind jedenfalls nachgewiesen (z.ªB. Loze 1975; Rimantienè 1994, 91–97; 1996ªa; 1996ªb). Die von der Bevölkerung der Narva-Kultur verwendeten irdenen Ge- fäße zeigen zum größten Teil die für die Waldzone in Osteuropa typischen Merkmale, wie etwa Spitzböden (z.ªB. Rimantienè 1996ªa, Abb.ª46). In diesem Zusammenhang treten an einigen Fundstellen entlang der Küste (insbe- sondere im 1ventoji-Komplex; Rimantienè 1994) am Anfang des 3. Jahrtausends v.ªChr. Verbindungen zur KAK auf. Am umfassensten wurden sie an zwei Fundplätzen er- forscht: 1ventoji 4 und 6 (Abb.ª3). In 1ventoji 4 konnten zwei Kulturschichten unter- schieden werden (Rimantienè 1996ªa), was sich in den letzten Jahren bestätigt hat (Juodagalvisª/ªSimpson 2000, 146–149). Die untere Schicht (Niveau B) erbrachte aus- schließlich Relikte der späten Narva-Kultur, in der oberen Schicht (Niveau A) fanden sich neben solchen auch Reste, die R. Rimantienè als der KAK zugehörig bezeichnet (Rimantienè 1994, 69). Auf Grundlage der Publikationen und der Autopsie eines Verbreitung und Kontakte der Kugelamphorenkultur 405 Abb.ª3. Keramikauswahl aus Schicht A von 1ventoji 4 und Grabungsplan (Keramik mit KAK-Elemen- ten schwarz markiert). Nach Rimantienè 1996ªa; 1996ªb. – Keramik 1.4.5.9.11–15 M. 1ª:ª5; 2.3.6–8.10. 16.17 M. 1ª:ª10; Plan M. 1ª:ª1000. GERMANIA 81, 2003 406 Marzena Szmyt Teiles der Funde meine ich jedoch, dass wir es hier in Wirklichkeit mit vermischten Funden zu tun haben, in denen ein Anteil an KAK zu finden ist. Die Merkmale der späten Narva-Kultur sind aber eindeutig ausgeprägt. Die KAK-Elemente werden z.ªB. durch völlig fremde Gefäßformen mit flachem Boden und Ziermustern (Abb.ª3) und durch Gesteinsmagerung repräsentiert. Aus Niveau B stammen allerdings Keramikfrag- mente