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Rückkehr ins Bonner Bundesviertel

Rechtsanwalt Dr. Thomas Lakenberg, M.Jur. (Oxon), *

Fährt man von Nordwesten kommend über die Reuterbrü- auch etwas über das Selbstverständnis jener Länder und cke in Richtung Bundeskanzlerplatz, schaut man auf drei den Zustand der jeweiligen Gesellschaft.3 Die „Grande Na- hoch in den Himmel ragende Gebäude: Den Hotelturm tion“ Frankreich hat sich nach dem Übergang von der Mo- des World Conference Center Bonn (WCCB), entworfen narchie zur Demokratie in den alten königlichen Palästen von Ruth Berktold und Marion Wicher, das Hochhaus von eingerichtet, sei es im Elysée-Palast (Staatspräsident), dem , das alle nur „Langer Eugen“ nennen, und Hôtel Bourbon (Nationalversammlung) oder dem Palais du schließlich den Post Tower von Helmut Jahn, an dessen Luxembourg (Senat). In England übernahmen Unter- und Fassade je nach Anlass und Jahreszeit der WM-Pokal oder Oberhaus schon früh selbstbewusst den Palast von West- ein Weihnachtsbaum als Lichtinstallation die Nacht er- minster, den die meisten seitdem nur noch als „Houses of leuchtet. Alle drei Gebäude stehen für tiefe Einschnitte in Parliament“ kennen. In den USA baute man vor zweihun- der (Bau-)Geschichte jenes Viertels, von dem aus fünfzig dert Jahren eine ganze Stadt von vornherein als Hauptstadt Jahre lang, von 1949 bis 1999, zunächst nur der Westen mit dem Kapitol und dem Weißen Haus als repräsentativen Deutschlands, dann das ganze Land regiert wurde: das Staatsbauten, denen der Staatsapparat bis heute treu geblie- Bonner Regierungs- oder Bundesviertel. ben ist. Fast, so scheint es, wird die Hauptstadt zum zusätz- lichen Staatssymbol, das neben Hymne, Fahne und Wappen Bis heute wird die Gegend am Rhein zwischen Südstadt, tritt, das Land und seine Staatsform repräsentiert und dem Rheinaue und der B9 so genannt, in der Bundespräsident Besucher eindrucksvoll das gar nicht geringe staatliche und Bundeskanzler sowie und Bundesrat ihren Selbstbewusstsein demonstriert. Selbst das Regierungsvier- Sitz hatten.1 Wer nicht mehr miterlebt hat, wie Staatsgäste tel in lässt sich in diese Reihe einsortieren: Bundes- eskortiert von „Weißen Mäusen“ durch Bonn brausten, Bun- tag und Bundesrat treten in althergebrachten Parlaments- destagsabgeordnete mit der Fähre über den Rhein zur Ar- häusern zusammen, dem Reichstagsgebäude von 1894 und beit übersetzten oder die bulligen Hubschrauber des damals dem Preußischen Herrenhaus von 1904; Ministerien wie noch so heißenden Bundesgrenzschutzes in Bonn ein- und das Auswärtige Amt und das Finanzministerium sind in ausfl ogen, kann sich kaum vorstellen, dass hier einmal das die nationalsozialisitischen Renommierbauten des Reichts- politische Herz einer der größten Volkswirtschaften der Welt luftfahrtministeriums und der Reichsbank eingezogen, in schlug. Heute haben das Gebäudeensemble des WCCB in un- denen zwischen 1949 und 1990 wichtige Regierungsein- mittelbarer Nähe des Behnisch-Plenarsaals und die Bürobau- richtungen der DDR untergebracht waren (Haus der Minis- ten des „Deutsche Post DHL Campus“ zwischen Heussallee, terien, Zentralkommittee der SED); Neubauten entstanden Kurt-Schumacher-Straße, Franz-Josef-Straße-Allee und B9 und entstehen wie das Bundeskanzleramt oder ab 2015 das die ursprüngliche Anmutung des Bundesviertels deutlich ver- Bundesinnenministerium, die beide im Spreebogen ange- ändert. Bis zum Bau des Post Towers 2002 lagen jedoch die siedelt sind und einen starken Kontrast etwa zu dem Ge- Regierungsgebäude – sieht man einmal von der „Bürostadt“ bäudeensemble des Bundeswirtschaftsministeriums bilden, im Tulpenfeld ab – ähnlich wie das Haus der Geschichte west- das in Teilen sogar noch aus preußisch-friderizianischer lich der B9 in einer „kleinteilige(n) Umgebung aus Villen der Zeit stammt; mittendrin schließlich das Holocaustdenkmal dreißiger und einfachen Häusern der fünfziger Jahre“.2 zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz, die To- pographie des Terrors an der Wilhelmstraße, der Mauerweg Wenn man sich die Regierungs- und Parlamentsgebäude und der Checkpoint Charlie. Neu gefundenes Selbstbe- anderer Staaten vor Augen führt, so verraten diese immer wusstsein und Demut vor der eigenen Geschichte treffen hier aufeinander und spiegeln so in gewisser Weise das am- * Der Autor ist Rechtsanwalt im Bereich Gesellschaftsrecht und bivalente Selbstbild wider, das Deutschland 100 Jahre nach Assoziierter Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg PartGmbB. dem Beginn des Ersten Weltkriegs von sich hat. Bei dem Artikel handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung des Beitrags „Das Bonner Bundesviertel – Baugeschichte als Abbild der Gesellschaft“, der erstmals in Schmoeckel/Schloßmacher Was aber verrät uns der Blick auf das Bonner Bundesvier- (Hrsg.), Stätten des Rechts in Bonn, 2004, veröffentlicht wurde. tel? Neben zwei älteren Stadthäusern, der Villa Hammer- 1 Natürlich gab und gibt es noch weitere Ministerien- und Be- schmidt und dem Palais Schaumburg, fi nden sich das niedrig hördenstandorte, etwa an der Adenauerallee, im Bonner Norden, in gehaltene Kanzleramt im „Sparkassenstil“,4 das Bundes- Duisdorf, Bad Godesberg und auf der Hardthöhe, doch haben diese haus, dessen Bauhausarchitektur durch zahlreiche Um- und Gebäude nicht in gleichem Maße das Bild Bonns als Hauptstadt ge- prägt. Sie bleiben deshalb an dieser Stelle unberücksichtigt. 2 Flagge, „Ein Haus als Straße durch die Geschichte“, in: In- 3 Brandys, zitiert bei Ingeborg Flagge/Wolfgang Jean Stock, geborg Flagge/Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik (Hrsg.), Architektur und Demokratie, Stuttgart 1992, S. 231. Deutschlad (Hrsg.), Haus der Geschichte. Architektur des neuen Mu- 4 So ein oft wiederholter Vorwurf seiner Kritiker, vgl. Flagge: Ar- seums für Zeitgeschichte, Bergisch-Gladbach 1994, S. 82 (85). chitektur in Bonn nach 1945, Bonn 1984, S. 18.

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Erweiterungsbauten stark verändert wurde und das dem- passen sollten, ein Hochhaus, das weder den Vorstellungen nächst in Teilen saniert werden muss, der „Lange Eugen“,5 des Bundes, noch des Architekten entsprach.11 Verfügte der der wie ein gestreckter Finger in die Luft ragt, und der „Lange Eugen“ aber unbestreitbar über eine hohe architek- langgezogene „Schürmannbau“,6 der durch Lage, Gestalt tonische Qualität,12 so schuf der Bund mit den Kreuzbau- und Farbe bewusst an das alte anknüpft. Et- ten (ab 1967) in Nord-Godesberg Gebäude von „Behörden was weiter südlich, außerhalb des engeren Bundesviertels für Behörden“,13 die ganz zutreffend als Auswüchse einer im Norden Godesbergs, stehen zwei schmucklose Kreuz- „Kafkaesken Megalomanie des Bürokratismus“14 beschrie- bauten inmitten weiterer Ministeriengebäude, die von der ben wurden und nicht mehr den Eindruck erweckten, als umliegenden Stadt gänzlich isoliert zu sein scheinen. Lässt seien sie „diskret provisorisch aus Achtung vor dem Traum, sich daran das Selbstverständnis der Bundesrepublik in der diskret permenant aus Achtung vor der Wirklichkeit“ 15 Zeit von 1949 bis 19897 ablesen? errichtet worden. Der „Schein der Bescheidenheit“ wich einem Quantitätsdenken, und Zurückhaltung wurde mit Auch wenn der Bund mit dem Hochhaus und den Kreuz- Einfallslosigkeit verwechselt.16 Nur das Bundeskanzleramt bauten durchaus überdimensionierte Gebäude hervorge- (geplant 1969, gebaut 1973-76) konnte in jener Zeit für bracht hat, die den Rahmen der Umgebung sprengen, wird sich in Anspruch nehmen, ganz bewusst unter Verzicht auf doch sofort deutlich, dass sich die Architektur im Bundes- städtebauliche Dominanz geplant und ausgeführt worden viertel jeder Form des Monumentalen enthält. Aber war zu sein.17 Der fl ache Bau passt sich unauffällig dem Ge- diese Bescheidenheit gewollt? Hat damit die junge Re- ländeverlauf in Rheinnähe an und zeigte sich im Ehrenhof publik bewusst einen demokratischen Gegenentwurf zum wenigstens den Staatsgästen von einer repräsentativen Sei- Prunk des Kaiserreichs und dem Pathos der Nationalsozia- te. Gleichwohl ist nicht der Bau selbst, sondern die im Eh- listen geschaffen, vor dem sich die „erwachsene“ Bundes- renhof aufgestellte Skulptur „Large Two Forms“ von Henry republik nicht mehr zu fürchten scheint? Moore zu einer „Ikone der Bonner Republik“18 geworden.

Die Antwort darauf fällt nicht leicht. Denn zu kei- Als 1969 Teile des Amts Duisdorf und die Städte Bonn, ner Zeit geschah überhaupt ein planvoller „Ausbau der Bad Godesberg und Beuel zur neuen Stadt Bonn zusam- Bundeshauptstadt“8 auf der Grundlage eines städtebauli- mengefasst wurden, folgte ein Planungsboom, an dessen chen Gesamtkonzepts. In den ersten fünfzehn Jahren be- Ende 1972 ein in seinen Ausmaßen gigantisches Vorhaben schränkte sich der Bund darauf, den Platzmangel zu be- stand. 800.000 qm Bürofl äche zum Preis von 13 Milliar- heben, der sich schon nach kurzer Zeit in Bonn einstellte.9 den DM beidseits des Rheins auf Höhe des Bundesviertels Erst nach dem Mauerbau 1961 begann die Bundesregie- konnten aber weder gestalterisch, noch städtebaulich be- rung, heimlich10 einen Ausbau Bonns zu planen. Es blieb wältigt werden,19 und so beschränkte man sich von 1972 aber bei vereinzelten Bauten, die nicht aufeinander abge- bis 1980 auf die Planung neuer Gebäude für Bundestag stimmt waren, denn die Grundstücke des Bundes lagen zu und Bundesrat sowie kultureller und sportlicher Ergän- jener Zeit auf einem Gebiet, das zu verschiedenen selb- zungsbauten. Stadt, Land und Bund beriefen Anfang der ständigen Kommunen gehörte. Der „Lange Eugen“ (1966- Siebziger eigene Ausschüsse, einen Gemeinsamen Aus- 1969) wurde auf dem Gebiet der Stadt Bonn gebaut, und schuss und ein Expertenkolloquium, und einigten sich in aus Rücksicht auf Bauservitute, einen kommunalen Sport- der Hauptstadtvereinbarung von 1975 auf eine engere Zu- platz und den Denkmalschutz wurde aus mehreren fl achen sammenarbeit und die Verteilung der Finanzierungslast.20 Gebäuden, die sich behutsam der Rheinuferlandschaft an- Ein Bebauungsplan kam lange nicht zustande, weil sich Stadt und Bund nicht auf ein städtebauliches Konzept ei- 5 Das Bundesabgeordnetenhochhaus, das sehr schnell jenen ein- nigen konnten. In der Öffentlichkeit erfuhren die dann be- gängigeren Namen in Anlehnung an den eher kurzgewachsenen Bun- schlossenen Pläne mehr Widerspruch als Fürsprache, und destagspräsidenten erhielt. nach 1980 entschied sich der Bundestag nochmals für eine 6 Der nach seinem Architekten benannte Erweiterungsbau für die Reduzierung der Bauvorhaben, unter anderem aus Kosten- Abgeordneten des Bundestages. 7 Sämtliche neueren Regierungsbauten einschließlich des 2002 11 Thorn-Prikker in Flagge/Stock, aaO, S. 256. Es ist eine Ironie der fertiggestellten „Schürmannbaus“ wurden noch in den achtziger Jah- Baugeschichte, dass dem Bund, der nur aus Rücksicht auf die Belange ren geplant und zu bauen begonnen. der Stadt die Form des Hochhauses wählte, anschließend die Verschan- 8 So der Titel einer interessanten Zusammenstellung von Planungs- delung Bonns durch den „Langen Eugen“ vorgeworfen wurde. geschichte, Modellen und Zukunftsentwürfen auf dem Stand von 1985: 12 FAZ vom 24.12.1997, S. 33, „Turm der Vernunft“. Karl-Heinz van Kaldenkerken (Hrsg.), Ausbau der Bundeshauptstadt. 13 Flagge in Flagge/Stock, S. 231. Zehn Jahre Hauptstadtvereinbarung 1975 – 1985, Bonn 1985. 14 FAZ vom 24.12.1997, S. 33, „Turm der Vernunft“. 9 Dabei war Bonn u.a. deshalb Frankfurt als provisorische Haupt- 15 le Carré, Eine kleine Stadt in Deutschland, List: Berlin 2005, S. stadt vorgezogen worden, weil man geglaubt hatte, dass die Stadt auch 20 f. Die englische Originalausgabe stammt aus dem Jahr 1968. ohne Neubauten genügend Platz für die Bediensteten des Bundes bot, 16 Flagge in Flagge/Stock, aaO, S. 232. Van Kaldenkerken, aaO, S. 98; Ennen/ Höroldt, Kleine Geschichte der 17 Denk, Flagge, Architekturführer Bonn, Berlin 1997, S. 86. Stadt Bonn, 2. Aufl age, Bonn 1968, S. 278f. Allerdings handelte es sich 18 FAZ vom 04.06.1999, S. 51, „Wegfahrsperre“. mehr um eine Fiktion, die errichtet worden war, um die Rivalin aus- 19 Van Kaldenkerken, aaO, S. 12. zustechen, Vogt, „Der Herr Minister wohnt in einem Dienstwagen auf 20 In diesem Zusammenhang kommt der Regierungserklärung Gleis 4“, Bonn 1999, S. 121ff., 279. Willy Brandts vom 18. Januar 1973 entscheidende Bedeutung zu: „... 10 Flagge in Flagge/Stock, aaO, S. 230. es [bedarf] einer engen Kooperation von Stadt, Land und Bund (...),

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gründen. Kein eigenständiger Neubau, sondern ein neuer tages mit seiner kreisrunden Sitzanordnung und den ho- Plenarsaal anstelle des alten sollte entstehen. Das „geistig- hen Glasfassaden, die von einem Gerüst aus Stahl gehalten kulturelle Zentrum“ wurde beibehalten, großzügige Sport- werden, vermittelt den Eindruck von Offenheit und Trans- stätten mussten entfallen.21 Noch 1985 gab es andererseits parenz und ist im besten Sinne des Wortes eine „Werk- Pläne, aus der B9 zwischen Bonn und Godesberg eine halle der Demokratie“.29 Alleine durch die Kreisform des „Regierungsallee“ zu machen, einen baumbestandenen Plenums bildet der Saal das stark auf Konsens ausgerich- Boulevard mit unterirdischer Stadtbahn und repräsenta- tete deutsche Gesellschaftssystem viel besser ab, als das tiven Plätzen.22 Diese wurden jedoch bis heute nicht ver- frontale Gegenüber von Regierungsbank und Plenum, zu wirklicht, auch wenn der Stadtbahntunnel inzwischen tat- dem man im Reichstag leider wieder – wenn auch in abge- sächlich verlängert wurde: An einen Kreisverkehr, wie er schwächter Form – zurückgekehrt ist. So scheint ganz zum seit 2013 südlich des Tulpenfelds und der Museumsbauten Schluss der Bonner Zeit einmal nicht die Bundesbaudirek- besteht, hatten die Planer der „Regierungsallee“ noch nicht tion, sondern die „Demokratie als Bauherr“30 aufgetreten gedacht.23 zu sein. Der Umzug nach Berlin hat jedoch dazu geführt, dass letztlich auch dieses Gebäude in der Öffentlichkeit Erst Anfang der neunziger Jahre wurde Bonn mit den Mu- nicht zu einem Symbol der erwachsenen Bundesrepublik seumsneubauten, dem neuen Plenarsaal und später dann wurde. dem „Schürmannbau“ endlich echte Baukunst und große Architektur beschert, die dem Bund ein Gesicht hätte ge- Die Gründe für diese Bau- und Planungsgeschichte sind ben können, das auch nach internationalen Maßstäben be- vielfältig. Sicher hat man auch deshalb auf groß angelegte, eindruckend ist, ohne überheblich zu wirken24. Das Kunst- repräsentative Bauten verzichtet, weil das Monumentale museum, das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik seiner Bauten so kennzeichnend war für die Zeit des Na- Deutschland“ und die „Kunst- und Ausstellungshalle der tionalsozialismus.31 Andererseits befürworteten viele Bun- Bundesrepublik Deutschland“ entlang der B9 erwecken mit destagsabgeordnete die bauliche Zurückhaltung vor allem ihren großen Freifl ächen und Dächern sowie dem Veran- deshalb, weil ein gezielter Ausbau Bonns die Abkehr von staltungsplatz „zwischen den Museen“ den Eindruck einer dem Bekenntnis zu Berlin als wahrer Hauptstadt Deutsch- urbanen, großstädtisch geprägten Hauptstadtarchitektur,25 lands bedeutet hätte.32 Solange Bonn aber nur als Platz- ohne den Betrachter mit Masse oder baulichem Pathos halter und Standort einer Art Notverwaltung galt, konnte zu erdrücken.26 Der „Schürmannbau“ mit seinen langge- hier keine Architektur als Demonstration des staatlichen streckten weißen Gebäuden und den unterschiedlich hohen Selbstverständnisses entstehen. Ende der sechziger Jahre Fensterreihen verbindet raumgreifende Größe mit den zu- verblasste der provisorische Charakter, und die Bauvorha- rückhaltenden Formen des Bauhausstils und wurde zurecht ben wurden sofort größer, wenngleich nicht monumentaler. für seine Architektur gefeiert.27 Ihre Verwirklichung scheiterte an unterschiedlichen Vor- Den Höhepunkt aber und den unfreiwilligen Abschluss28 stellungen der beteiligten Akteure und zunehmend auch bildet jener Bau, der noch stärker durch sein Innenleben, am fehlenden politischen Willen, die fi nanziellen Mittel als durch sein Äußeres den Eindruck von demokratischer für neue Staatsbauten einzusetzen. So ist die Gesamtge- Staatsarchitektur macht. Der neue Plenarsaal des Bundes- stalt des Bundesviertels letztlich nicht das Ergebnis einer zielgerichteten Planung, die bewusst auf Bescheidenheit damit Bonn seine Funktion als Bundeshauptstadt gut erfüllen kann.“ und Nüchternheit als Leitbilder der deutschen Nachkriegs- (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Be- richte 7/7, S. 133). demokratie angelegt war. Es ist schlicht kein Ausdruck 21 Zur Planungsgeschichte des Bundesviertels von 1972 an siehe von Bescheidenheit, eher von Kurzsichtigkeit, wenn man Van Kaldenkerken, aaO, S. 48ff. Gebäude plant und baut, die noch nicht einmal den ge- 22 Van Kaldenkerken, aaO, S. 72. schätzten Raumbedarf decken, wie es sowohl beim „Lan- 23 Vgl. Kleinfeld in General-Anzeiger v. 29.12.2011, „Achtspurig gen Eugen“,33 als auch beim „Schürmannbau“34 geschah. in den Trajektknoten: Mächtiger Kreisverkehr auf der B9 geplant“, abrufbar unter http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/bonn/gro- nau/maechtiger-kreisverkehr-auf-der-b9-geplant-article590810.html. 24 Flagge in Flagge/Stock, aaO, S. 225. 29 Stock in Flagge/Stock, aaO, S. 287. 25 Denk/Flagge, aaO, S. 88. Bezeichnenderweise war dies eines der 30 So das Thema eines wegweisenden Vortrags des Bundestagsab- wenigen gemeinsamen Vorhaben von Bund und Stadt. geordneten Arndt in der Akademie der Künste 1960, abgedruckt bei 26 So auch die Vorstellung der Architekten des Hauses der Ge- Flagge/Stock, aaO, S. 52. schichte, die „ein Haus bauen [wollten], keinen Tempel (...); einen 31 Allerdings nutzte der Bund mit dem kurfürstlich-barocken Bau, der auf jede traditionelle Monumentalität, wie sie Geschichts- Schloss Augustusburg in Brühl und dem Hotel Petersberg auch zwei museen der Vergangenheit aufweisen, verzichtet“, Flagge, „Ein Haus auf ganz unterschiedliche Weise imposante und höchst repräsentative als Straße durch die Geschichte“, in: Flagge/Stiftung Haus der Ge- Gästehäuser für die Darstellung nach außen. schichte der Bundesrepublik Deutschlad (Hrsg.), aaO, S. 82 (88). 32 1956 wurde deshalb ein Baustop beschlossen. Außerdem begann 27 Stüwe in FAZ vom 27.06.2002, S. 4, „Feuchtbiotop und Millio- die Bundesregierung ab Mitte der fünfziger Jahre den Wiederauf- nengrab“, hält den Schürmannbau z.B. für „architektonisch überaus bau des Reichstagsgebäudes und die Einrichtung eines Plenarsaals, gelungen“. um die Rückkehr nach Berlin vorzubereiten, dazu Cullen in Flagge/ 28 Im Gegensatz zum Plenarsaal ist der „Schürmannbau“, der 2002 Stock, aaO, S. 163ff. der Deutschen Welle übergeben wurde, nie mehr vom Bundestag ge- 33 Thorn-Prikker in Flagge/Stock, aaO, S. 256. nutzt worden. 34 Van Kaldenkerken, aaO, S. 58.

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Anders als die eingangs genannten Regierungsviertel ist das Ein anderes Hochhaus wurde dagegen gebaut: Der Hotelbau Bonner Bundesviertel also nicht Ausdruck eines bestimm- des WCCB ergänzt seit 2009 die Skyline des Bundesvier- ten Selbstbildes des Staates, oder besser der Regierenden. tels. Das WCCB vereint den Plenarsaal von 1992 mit einem Dennoch lässt sich anhand des Bundesviertels eine Aussa- neuen Konferenzgebäude und einem Hotel zu einem Kon- ge über den Zustand des deutschen Staats- und Gemeinwe- ferenzzentrum, das auch künftig internationale Konferenzen sens in der Zeit von 1949 bis zur Wiedervereinigung ma- nach Bonn locken soll. Für die Neubauten des WCCB wur- chen: Die Entstehungsgeschichte der Bundesbauten ist das de nahezu das gesamte Carré zwischen Heussallee, Bundes- anschauliche Abbild der oft langwierigen, komplizierten haus und Bundeskanzleramt niedergelegt, nur einige wenige und auf Kompromisse zielenden Entscheidungsprozesse in der Bungalows, die den Abgeordneten als Bonner Zweit- einer Demokratie, zumal in einem föderalen System wie wohnung dienten, mussten nicht weichen.38 Das „Bundes- der Bundesrepublik Deutschland. Die Ergebnisse stellen büdchen“, der Kiosk mitten im Regierungsviertel, wurde keineswegs immer alle zufrieden, aber das demokratische zunächst abtransportiert und soll nun wieder im Bundesvier- Verfahren verhindert zuverlässig jeden Anfl ug von Über- tel aufgestellt werden.39 Damit dürfte das WCCB deutlich heblichkeit und überzogenem Machtanspruch. Und we- mehr alte Bausubstanz des Bundesviertels vernichtet haben nigstens insoweit war dann das Bundesviertel mit seiner als der Post Tower und der Deutsche Post DHL Campus zu- Entwicklung auch ein Spiegel jener Bescheidenheit und sammen. Außerdem hat das WCCB viel mehr öffentliche Zurückhaltung, die das Auftreten der Bundesrepublik nach Gelder verschlungen als geplant und der Stadt Bonn einen dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat. fi lmreifen Bauskandal beschert:40 Der ursprüngliche Inves- tor wurde 2013 wegen Betruges in Zusammenhang mit dem Die Baugeschichte des Bundesviertels endet natürlich nicht Bau des WCCB zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.41 Die mit dem Jahr 1993, nur ist sie nicht mehr die Baugeschichte von der Stadt Bonn zu tragenden vorläufi gen Mehrkosten des Parlaments- und Regierungsviertels. Zwar befi ndet sich scheinen die Dimensionen des Berliner Flughafens und der der erste Sitz des Bundesministierums für wirtschaftliche Hamburger Elbphilharmonie zu erreichen, wenn man sie Entwicklung und Zusammenarbeit im ehemaligen Bun- auf Einwohnerzahl der Stadt bezieht,42 und die Eröffnung deskanzleramt (der „Sparkasse“) und also mitten im alten des WCCB, die zwischenzeitlich im August 2014 erfolgen 43 „Haupt-Dorf“35, doch die übrigen Standorte der Ministerien sollte, wurde nun für Mai 2015 angekündigt. und auch der nach Bonn gewechselten Bundesbehörden lie- gen meist am Rand wie Bundesrechnungshof und Bundes- Zugleich hat das Bundesviertel seine politische Funktion kartellamt oder in mehr oder weniger weiter Entfernung, nicht völlig verloren: Der „Lange Eugen“ ist seit 2006 of- sei es im Norden Bad Godesbergs, in Bonn-Castell oder fi zieller Dienstsitz der Vereinten Nationen in Bonn. Er be- Duisdorf. Eine Ausnahme bildet die Bundesnetzagentur, herbergt verschiedene UN-Einrichtungen und bildet heute die aus dem Hochhaus „Am Tulpenfeld“ in Sichtweite der zusammen mit dem alten Abgeordnetenhochhaus, das un- Konzernzentralen über Post und Telekom wacht, jene bei- mittelbar an den neuen Plenarsaal von 1992 grenzt, dem den Unternehmen, die maßgeblich das neue Gesicht des Wasserwerk, in dem der Bundestag von 1986 bis 1992 sei- Bundesviertels und seiner Peripherie beeinfl usst haben. ne Sitzungen abhielt, und einem derzeit noch in Planung befi ndlichen weiteren Hochhaus den UN-Campus.44 Seine Die Bürogebäude des Deutsche Post DHL-Konzerns prä- bald“, abrufbar unter http://www.ksta.de/region/telekom-city- gen den Süden des Bundesviertels: Der Post Tower als kommt-bald,15189102,13876024.html. „Symbol des neuen Bonn“36 ist auch 12 Jahre nach seiner 38 Inhoffen in General-Anzeiger v. 23.08.2014, „WCCB: Zeugnis ei- Eröffnung noch das höchste Bürogebäude in Nordrhein- nes Provisoriums“, abrufbar unter http://www.general-anzeiger-bonn.de/ bonn/themen/wccb/Zeugnis-eines-Provisoriums-article1432345.html. Westfalen und außerhalb von Frankfurt am Main; die „To- 39 Burger in FAZ v. 08.01.2014, „Rückkehr des Kiosk-Klassikers: wer Parc Offi ces“, deutlich niedrigere, aber ebenfalls sehr Bonner Budenzauber“. dominante Bürogebäude, zu denen immerhin auch ein paar 40 Siehe hierzu etwa die im Jahr 2009 begonnene Dokumentation sanierte Stadtvillen zählen, haben das Bild des Bundes- von Inhoffen u.a., General-Anzeiger, Themenseite „Die Millionen- viertels im Umfeld des Post Towers nachhaltig verändert. falle“, abrufbar unter http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/ themen/wccb/millionenfalle/. Noch weiter südlich, wo einst die CDU im Konrad-Ade- 41 Burger in FAZ v. 10.05.2013, „Kongresszentrum in Bonn: Susie, nauer-Haus residierte, knüpfen seit 2006 vier U-förmige Mimie, Kim und das Geschenk“. Gebäudekomplexe der Deutsche Telekom AG entlang der 42 Inhoffen, Klein, Ludwig, Wiedlich in General-Anzeiger v. B9 an die großstädtische Architektur der Museumsbauten 13.08.2014, „WCCB-Aufklärung: Ein Wegweiser durch das Laby- an; das Gelände der ebenfalls abgerissenen Britischen Bot- rinth“, abrufbar unter http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/ themen/wccb/Ein-Wegweiser-durch-das-Labyrinth-article1432364. schaft ist allerdings weiterhin verwaist, denn das Telekom- html. Hochhaus, an dem es noch im Jahr 2005 angeblich „starkes 43 Inhoffen in General-Anzeiger v. 22.08.2014, „WCCB in Bonn: Interesse“ gab, ist bis heute nicht realisiert worden.37 Im Saal New York geht es zügig voran“, abrufbar unter http://www. general-anzeiger-bonn.de/bonn/themen/wccb/Im-Saal-New-York- 35 le Carré, aaO, S. 20. geht-es-zuegig-voran-article1432371.html. 36 Stüwe in FAZ vom 15.12.2003, S. 9, „Städtebau: Staub über der 44 Vgl. Stadt Bonn, Vorhabenbezogener Bebauungsplan Nr. 6720-1 Bonner Republik“, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/gesell- ‘Erweiterung UN Campus’, abrufbar unter http://www.bonn.de/um- schaft/staedtebau-staub-ueber-der-bonner-republik-1132630.html. welt_gesundheit_planen_bauen_wohnen/stadtplanungsamt/projek- 37 Kölner Stadtanzeiger v. 18.05.2005, „Telekom-City kommt te_staedtebau/6720-1/index.html?lang=de.

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neue Rolle als UN-Stadt verdankt Bonn in ganz erhebli- chem Maße dieser Infrastruktur des Bundesviertels, wel- che die Stadt der Organisation vergleichsweise kurzfristig zur Verfügung stellen konnte.

Als „Abbild der Gesellschaft“ taugte die Baugeschichte des Bundesviertels spätestens seit dem Wegzug der zen- tralen Organe des Bundes im Jahr 1999 nicht mehr. Sie scheint sich seither in gewisser Weise normalisiert zu ha- ben, auch wenn „normal“ kaum das richtige Wort für ein Viertel ist, das zugleich im Zeichen von UN-Logo und Posthorn steht: Der Bund, der den Neubau auf dem UN- Campus verantwortet, ist nur noch ein Bauherr unter vie- len. Die politisch motivierte bauliche Zurückhaltung, die das Bonner Bundesviertel lange Zeit geprägt hatte, ist mit dem Bau des WCCB – man mag dies bedauern oder be- grüßen – endgültig vorüber. Der Skandal rund um jenes Bauvorhaben erscheint wie eine beinahe unausweichliche Begleiterscheinung moderner Großbauprojekte, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Die hohe Schlagzahl an Inverstoren-Neubauten schließlich birgt wie in boomenden Geschäftsvierteln anderer Städte die Gefahr einer wenig aufregenden Einheitsarchitektur und stellt erhöhte Anfor- derungen an Stadtplaner und Stadtentwickler. Hoffentlich gelingt es ihnen, dass dieses Viertel auch in Zukunft span- nende Gebäude hervorbringt, damit das Bonner Bundes- viertel nicht nur aufgrund seiner Vergangenheit ein beson- deres Viertel bleibt und es sich lohnen mag, in zehn Jahren erneut hierhin zurückzukehren.

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