208 BRJ 02/2014 Lakenberg, Rückkehr ins Bonner Bundesviertel Rückkehr ins Bonner Bundesviertel Rechtsanwalt Dr. Thomas Lakenberg, M.Jur. (Oxon), Bonn* Fährt man von Nordwesten kommend über die Reuterbrü- auch etwas über das Selbstverständnis jener Länder und cke in Richtung Bundeskanzlerplatz, schaut man auf drei den Zustand der jeweiligen Gesellschaft.3 Die „Grande Na- hoch in den Himmel ragende Gebäude: Den Hotelturm tion“ Frankreich hat sich nach dem Übergang von der Mo- des World Conference Center Bonn (WCCB), entworfen narchie zur Demokratie in den alten königlichen Palästen von Ruth Berktold und Marion Wicher, das Hochhaus von eingerichtet, sei es im Elysée-Palast (Staatspräsident), dem Egon Eiermann, das alle nur „Langer Eugen“ nennen, und Hôtel Bourbon (Nationalversammlung) oder dem Palais du schließlich den Post Tower von Helmut Jahn, an dessen Luxembourg (Senat). In England übernahmen Unter- und Fassade je nach Anlass und Jahreszeit der WM-Pokal oder Oberhaus schon früh selbstbewusst den Palast von West- ein Weihnachtsbaum als Lichtinstallation die Nacht er- minster, den die meisten seitdem nur noch als „Houses of leuchtet. Alle drei Gebäude stehen für tiefe Einschnitte in Parliament“ kennen. In den USA baute man vor zweihun- der (Bau-)Geschichte jenes Viertels, von dem aus fünfzig dert Jahren eine ganze Stadt von vornherein als Hauptstadt Jahre lang, von 1949 bis 1999, zunächst nur der Westen mit dem Kapitol und dem Weißen Haus als repräsentativen Deutschlands, dann das ganze Land regiert wurde: das Staatsbauten, denen der Staatsapparat bis heute treu geblie- Bonner Regierungs- oder Bundesviertel. ben ist. Fast, so scheint es, wird die Hauptstadt zum zusätz- lichen Staatssymbol, das neben Hymne, Fahne und Wappen Bis heute wird die Gegend am Rhein zwischen Südstadt, tritt, das Land und seine Staatsform repräsentiert und dem Rheinaue und der B9 so genannt, in der Bundespräsident Besucher eindrucksvoll das gar nicht geringe staatliche und Bundeskanzler sowie Bundestag und Bundesrat ihren Selbstbewusstsein demonstriert. Selbst das Regierungsvier- Sitz hatten.1 Wer nicht mehr miterlebt hat, wie Staatsgäste tel in Berlin lässt sich in diese Reihe einsortieren: Bundes- eskortiert von „Weißen Mäusen“ durch Bonn brausten, Bun- tag und Bundesrat treten in althergebrachten Parlaments- destagsabgeordnete mit der Fähre über den Rhein zur Ar- häusern zusammen, dem Reichstagsgebäude von 1894 und beit übersetzten oder die bulligen Hubschrauber des damals dem Preußischen Herrenhaus von 1904; Ministerien wie noch so heißenden Bundesgrenzschutzes in Bonn ein- und das Auswärtige Amt und das Finanzministerium sind in ausfl ogen, kann sich kaum vorstellen, dass hier einmal das die nationalsozialisitischen Renommierbauten des Reichts- politische Herz einer der größten Volkswirtschaften der Welt luftfahrtministeriums und der Reichsbank eingezogen, in schlug. Heute haben das Gebäudeensemble des WCCB in un- denen zwischen 1949 und 1990 wichtige Regierungsein- mittelbarer Nähe des Behnisch-Plenarsaals und die Bürobau- richtungen der DDR untergebracht waren (Haus der Minis- ten des „Deutsche Post DHL Campus“ zwischen Heussallee, terien, Zentralkommittee der SED); Neubauten entstanden Kurt-Schumacher-Straße, Franz-Josef-Straße-Allee und B9 und entstehen wie das Bundeskanzleramt oder ab 2015 das die ursprüngliche Anmutung des Bundesviertels deutlich ver- Bundesinnenministerium, die beide im Spreebogen ange- ändert. Bis zum Bau des Post Towers 2002 lagen jedoch die siedelt sind und einen starken Kontrast etwa zu dem Ge- Regierungsgebäude – sieht man einmal von der „Bürostadt“ bäudeensemble des Bundeswirtschaftsministeriums bilden, im Tulpenfeld ab – ähnlich wie das Haus der Geschichte west- das in Teilen sogar noch aus preußisch-friderizianischer lich der B9 in einer „kleinteilige(n) Umgebung aus Villen der Zeit stammt; mittendrin schließlich das Holocaustdenkmal dreißiger und einfachen Häusern der fünfziger Jahre“.2 zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz, die To- pographie des Terrors an der Wilhelmstraße, der Mauerweg Wenn man sich die Regierungs- und Parlamentsgebäude und der Checkpoint Charlie. Neu gefundenes Selbstbe- anderer Staaten vor Augen führt, so verraten diese immer wusstsein und Demut vor der eigenen Geschichte treffen hier aufeinander und spiegeln so in gewisser Weise das am- * Der Autor ist Rechtsanwalt im Bereich Gesellschaftsrecht und bivalente Selbstbild wider, das Deutschland 100 Jahre nach Assoziierter Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg PartGmbB. dem Beginn des Ersten Weltkriegs von sich hat. Bei dem Artikel handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung des Beitrags „Das Bonner Bundesviertel – Baugeschichte als Abbild der Gesellschaft“, der erstmals in Schmoeckel/Schloßmacher Was aber verrät uns der Blick auf das Bonner Bundesvier- (Hrsg.), Stätten des Rechts in Bonn, 2004, veröffentlicht wurde. tel? Neben zwei älteren Stadthäusern, der Villa Hammer- 1 Natürlich gab und gibt es noch weitere Ministerien- und Be- schmidt und dem Palais Schaumburg, fi nden sich das niedrig hördenstandorte, etwa an der Adenauerallee, im Bonner Norden, in gehaltene Kanzleramt im „Sparkassenstil“,4 das Bundes- Duisdorf, Bad Godesberg und auf der Hardthöhe, doch haben diese haus, dessen Bauhausarchitektur durch zahlreiche Um- und Gebäude nicht in gleichem Maße das Bild Bonns als Hauptstadt ge- prägt. Sie bleiben deshalb an dieser Stelle unberücksichtigt. 2 Flagge, „Ein Haus als Straße durch die Geschichte“, in: In- 3 Brandys, zitiert bei Ingeborg Flagge/Wolfgang Jean Stock, geborg Flagge/Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik (Hrsg.), Architektur und Demokratie, Stuttgart 1992, S. 231. Deutschlad (Hrsg.), Haus der Geschichte. Architektur des neuen Mu- 4 So ein oft wiederholter Vorwurf seiner Kritiker, vgl. Flagge: Ar- seums für Zeitgeschichte, Bergisch-Gladbach 1994, S. 82 (85). chitektur in Bonn nach 1945, Bonn 1984, S. 18. F AKULTÄT Lakenberg, Rückkehr ins Bonner Bundesviertel BRJ 02/2014 209 Erweiterungsbauten stark verändert wurde und das dem- passen sollten, ein Hochhaus, das weder den Vorstellungen nächst in Teilen saniert werden muss, der „Lange Eugen“,5 des Bundes, noch des Architekten entsprach.11 Verfügte der der wie ein gestreckter Finger in die Luft ragt, und der „Lange Eugen“ aber unbestreitbar über eine hohe architek- langgezogene „Schürmannbau“,6 der durch Lage, Gestalt tonische Qualität,12 so schuf der Bund mit den Kreuzbau- und Farbe bewusst an das alte Bundeshaus anknüpft. Et- ten (ab 1967) in Nord-Godesberg Gebäude von „Behörden was weiter südlich, außerhalb des engeren Bundesviertels für Behörden“,13 die ganz zutreffend als Auswüchse einer im Norden Godesbergs, stehen zwei schmucklose Kreuz- „Kafkaesken Megalomanie des Bürokratismus“14 beschrie- bauten inmitten weiterer Ministeriengebäude, die von der ben wurden und nicht mehr den Eindruck erweckten, als umliegenden Stadt gänzlich isoliert zu sein scheinen. Lässt seien sie „diskret provisorisch aus Achtung vor dem Traum, sich daran das Selbstverständnis der Bundesrepublik in der diskret permenant aus Achtung vor der Wirklichkeit“ 15 Zeit von 1949 bis 19897 ablesen? errichtet worden. Der „Schein der Bescheidenheit“ wich einem Quantitätsdenken, und Zurückhaltung wurde mit Auch wenn der Bund mit dem Hochhaus und den Kreuz- Einfallslosigkeit verwechselt.16 Nur das Bundeskanzleramt bauten durchaus überdimensionierte Gebäude hervorge- (geplant 1969, gebaut 1973-76) konnte in jener Zeit für bracht hat, die den Rahmen der Umgebung sprengen, wird sich in Anspruch nehmen, ganz bewusst unter Verzicht auf doch sofort deutlich, dass sich die Architektur im Bundes- städtebauliche Dominanz geplant und ausgeführt worden viertel jeder Form des Monumentalen enthält. Aber war zu sein.17 Der fl ache Bau passt sich unauffällig dem Ge- diese Bescheidenheit gewollt? Hat damit die junge Re- ländeverlauf in Rheinnähe an und zeigte sich im Ehrenhof publik bewusst einen demokratischen Gegenentwurf zum wenigstens den Staatsgästen von einer repräsentativen Sei- Prunk des Kaiserreichs und dem Pathos der Nationalsozia- te. Gleichwohl ist nicht der Bau selbst, sondern die im Eh- listen geschaffen, vor dem sich die „erwachsene“ Bundes- renhof aufgestellte Skulptur „Large Two Forms“ von Henry republik nicht mehr zu fürchten scheint? Moore zu einer „Ikone der Bonner Republik“18 geworden. Die Antwort darauf fällt nicht leicht. Denn zu kei- Als 1969 Teile des Amts Duisdorf und die Städte Bonn, ner Zeit geschah überhaupt ein planvoller „Ausbau der Bad Godesberg und Beuel zur neuen Stadt Bonn zusam- Bundeshauptstadt“8 auf der Grundlage eines städtebauli- mengefasst wurden, folgte ein Planungsboom, an dessen chen Gesamtkonzepts. In den ersten fünfzehn Jahren be- Ende 1972 ein in seinen Ausmaßen gigantisches Vorhaben schränkte sich der Bund darauf, den Platzmangel zu be- stand. 800.000 qm Bürofl äche zum Preis von 13 Milliar- heben, der sich schon nach kurzer Zeit in Bonn einstellte.9 den DM beidseits des Rheins auf Höhe des Bundesviertels Erst nach dem Mauerbau 1961 begann die Bundesregie- konnten aber weder gestalterisch, noch städtebaulich be- rung, heimlich10 einen Ausbau Bonns zu planen. Es blieb wältigt werden,19 und so beschränkte man sich von 1972 aber bei vereinzelten Bauten, die nicht aufeinander abge- bis 1980 auf die Planung neuer Gebäude für Bundestag stimmt waren, denn die Grundstücke des Bundes lagen zu und Bundesrat sowie kultureller und sportlicher Ergän- jener Zeit auf einem Gebiet, das zu verschiedenen selb- zungsbauten. Stadt, Land und Bund beriefen Anfang
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