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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Nachrichten des Naturwissenschaftlichen Museums der Stadt Aschaffenburg

Jahr/Year: 1996

Band/Volume: 103_1996

Autor(en)/Author(s): Kirsch Herbert, Bennert Wilfried

Artikel/Article: Erstnachweis von Gametophyten des Hautfarns Trichomanes speciosum Willd. (Hymenophyllaceae) in Bayern 119-133 119

Nachr. naturwiss. Mus. Aschaffenburg, 103:119-133, Aschaffenburg, Aprt.1996 ISSN 0518-8512 Manuskript-Eingang: 09.12.1995

Erstnachweis von Gametophyten des Hautfarns Trichomanes speciosum Willd. (Hymenophyllaceae) in Bayern

von H e r b e r t K ir s c h & H . W ilf r ie d B e n n e r t

Inhaltsübersicht

Abstract 1.0. Zusammenfassung...... 120 2.0. Einleitung...... 120 3.0. Das Untersuchungsgebiet...... 121 4.0. Material und M ethode...... 122 5.0. Morphologie der Gametophyten...... 124 6.0. Fundorte von Trichomanes spedaywm-Gametophyten im ...... 124 6.1. Silberlochschlucht...... 124 6.2. Klingengraben...... 126 6.3. Gaibachgraben...... 126 6.4. Ökologie der W uchsorte...... 127 6.5. Schutz...... 127 7.0. Allgemeine Verbreitung von Trichomanes speciosum...... 129 8.0. Danksagung...... 130 9.0. Zitierte Literatur...... 131

Abstract

The filmy fern Trichomanes speciosum has an extremely oceanic distribution. Only recently, it was discovered that gametophytes of this species also occur in Central Europe where they reproduce asexually without producing sporophytes. We report on three records of such “independent” gametophytes of Trichomanes speciosum in the Spessart representing the first records in . The sites are characterized by special geological features (cut layers of the “Mittlerer Buntsand- stein”) and a combination of particular ecological factors (deeply shaded caves with water slowly penetrating through the rocks, permanently high air humidity in densely wooded stream gorge habitats). Aspects of general distribution, reproduction biology and historical phytogeography of this species are discussed. 120

1.0. Zusammenfassung

Der Hautfam Trichomanes speciosum ist eine rein atlantisch verbreitete Art, von der erst seit weni­ gen Jahren bekannt ist, daß sie in Mitteleuropa in Form sich vegetativ vermehrender Gametophyten vorkommt, die keine Sporophyten mehr erzeugen. Es wird über drei Neufunde von solchen “selbständigen” Gametophyten von Trichomanes speciosum im Spessart berichtet, bei denen es sich gleichzeitig um die ersten Nachweise für Bayern handelt. Die Vorkommen sind an spezielle geologische Gegebenheiten (angeschnittene Schichtungen des Mittleren Buntsandstein) und eine Kombination besonderer Standortfaktoren (tiefschattige Felsspalten in wasserzügigem Gestein, gleichbleibend hohe Luftfeuchte in dicht bewaldeten Bachtallagen) gebunden. Aspekte der allge­ meinen Verbreitung, der Reproduktionsbiologie und der Florengeschichte dieser Art werden disku­ tiert.

2.0. Einleitung

Vegetative Vermehrung ist im Pflanzenreich eine häufige Erscheinung. Sie ist auch bei Fampflanzen weit verbreitet, wie beispielsweise Massenbestände des Acker-Schachtelhalms ( Equisetum arvense), oder Straußfam-Vorkommen (Matteuccia struthiopteris), die den Aspekt ganzer Auwaldbereiche bestimmen, eindrucksvoll belegen. Bei der einheimischen Pteridophyten-Flora erfolgt die vegetative Fortpflanzung fast ausnahmslos durch Rhizome, die vom Sporo­ phyten als horizontal ausgerichtete, ober- oder unterirdisch wachsende Organe ausgebildet werden.

In aller Regel ist die Fähigkeit zur ungeschlechtlichen Vermehrung auf die sporophytische Generation beschränkt, kommt aber auch bei Gametophyten als eine seltene Ausnahmeerscheinung vor. Unter den einheimischen Vertretern wird für den KönigsfamOsmunda ( regalis) angegeben, daß die Prothallien ausdauernd sind und Knospen zur vegetativen Fortpflanzung(K ram bilden er 1984). Einige überwiegend tropische Verwandtschaftskreise, so vor allem die Grammitidaceae , Hymenophyllaceae undVittariaceae , zeichnen sich durch die Ausbildung von Gemmen oder Brutknöllchen, die der ungeschlechtlichen Fort­ pflanzung dienen, auf dem Prothallium (R ausa g h a v a n 1989, Kr a m e r et al. 1995). Da die Gametophtyen ungünstigere, vor allem kühlere Klimabedingun­ gen ertragen als die Sporophyten, können Prothallien in Regionen Vorkommen, in denen eine Weiterentwicklung zum Sporophyten nicht möglich ist. Hier ver­ mehren sie sich rein vegetativ, sind also nicht mehr gebunden an die Existenz einer sporophytischen Generation und werden daher als unabhängige Gameto­ phyten (“independent gametophytes”) bezeichnet. Das Gesamtareal der Art wird hierdurch beträchtlich erweitert. Im Extremfall kann die Fähigkeit zur Bil­ dung des Sporophyten vollständig verlorengehen, und es entstehen Formen, 121 von denen überhaupt nur Gametophyten bekannt sind. In Nordamerika sind zwei solcher ausschließlich gametophytisch lebenden Farne als eigene Arten beschrieben worden:Vittaria appalachiana (Vittariaceae; F a r r a r & M ic k e l 1991) und Trichomanes intricatum (Hymenophyllaceae\ F a r r a r 1992).

In Europa sind zwar solche “sporophytenlosen” Arten bislang nicht bekannt, unabhängige Gametophyten wurden aber für den HautfamTrichomanes spe- ciosum nachgewiesen, wobei die Prothallien ein viel größeres Areal besiedeln als die ökologisch streng spezialisierten Sporophyten. Während letztere eine ausgeprägt atlantische Verbreitung zeigen, konnten Prothallien inzwischen an zahlreichen Stellen in Mitteleuropa(R a s b a c h et al. 1993, 1995; V o g e l et al. 1993) beobachtet werden. Sie besiedeln tiefe, schattige Felsspalten und -höhlen in wasserzügigem Silikatgestein mit einem speziellen Mikroklima, das sich vor allem durch eine äußerst geringe Lichtintensität und eine gleichmäßig hohe Luftfeuchtigkeit auszeichnet.

Der Erstnachweis vonTrichomanes speciosum-?io\hallitn für Deutschland gelang erst vor wenigen Jahren, und zwar in den Bundesländern Rheinland- Pfalz (R a s b a c h et al. 1993) und Sachsen(V o g e l et al. 1993). Inzwischen sind weitere Funde in Rheinland-Pfalz(B u jn o c h & K o t t k e 1994) sowie in Nord­ rhein-Westfalen (B e n n e r t et al. 1994) hinzugekommen. Auf einer von H. Kirsch für die “Schweizerische Vereinigung der Famfreunde” organisierten Exkursion in den Spessart wurden im Oktober 1995 Prothallien vonTrichoma­ nes speciosum erstmalig für Bayern nachgewiesen. Inzwischen war die Suche von H. Kirsch im Spessart auch an zwei weiteren Stellen erfolgreich. Damit sind für den Spessart, dessen Flora durch zahlreiche atlantische Elemente berei­ chert wird (A d e 1937), insgesamt 26 Famarten nachgewiesen, und er kann als famreiches Mittelgebirge bezeichnet werden(M a l k m u s 1993).

3.0. Das Untersuchungsgebiet

Zusammen mit dem Odenwald bildet der Spessart landschaftlich die Buntsand­ steinstufe des süddeutschen Schichtstufenlandes. Politisch gehört der weitaus größte Teil zum Bundesland Bayern. Im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Mittelgebirgen finden sich im Spessart nur selten Felsgruppen, Fels­ wände oder Schluchtgräben, in denen das Gestein offen zutage tritt. Bedeuten­ dere geologische Aufschlüsse befinden sich lediglich dort, wo die Sandsteinta­ fel, wie im Bereich von TK 6023 (Lohr a. ) und TK 6123 (Marktheiden­ feld), zum Maintal hin abbricht. 122

Durch Bachrisse, die steil zu den tief eingegrabenen Tälern von Main, Wagen- und Haslochbach abfallen, wird hier der Mittlere Buntsandstein (sm) erschlos­ sen. “Die Gesteinsfolge besteht aus fein- bis grobkörnigen, teils quarzitisch gebundenen und schräg geschichteten Sandsteinen, in die in einigen Abschnit­ ten häufiger geringmächtige Tonsteinlagen eingeschlatet sind”(S chwarzmeier 1979,1980).

Das Klima des Spessarts ist subatlantisch getönt und durch kühle Sommer und relativ milde Winter mit gleichmäßig hohen Niederschlägen gekennzeichnet und wird vornehmlich von Winden aus südwestlicher bis westlicher Richtung geprägt. Der mittlere Jahresniederschlag steigt im Hochspessart mit Höhen von über 500 m NN auf Werte von bis zu 1100 mm an. Zum Ostspessart hin fallen die Niederschläge ab, erreichen aber noch Werte von 650 bis 900 mm. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt im Hochspessart 6 bis 7,5 °C, im Ostspessart 7 bis 8 °C und im Maintal zwischen Lohr und Marktheidenfeld 8 bis 9 °C (K n o c h 1952).

Auf dem Mittleren Buntsandstein des Ostspessarts stocken ausgedehnte Laub­ und Mischwälder(S chwarzmeier 1979,1980).

4.0. Material und Methode

In den Topographischen Karten (TK 1 : 25.000) 6023 (Lohr a. Main) und 6123 (Marktheidenfeld) des Bayerischen Landesvermessungsamtes München finden sich keine Felssignaturen. Es war daher nur durch entsprechende Ortskenntnis­ se möglich, Felsstandorte gezielt aufzusuchen. Weitere Hinweise gaben eine Veröffentlichung vonM a l k m u s (1976) über Felsgruppen, Blockfelder und Schluchten im Spessart sowie die Erläuterungen zu den jeweiligen Geologi­ schen Karten(S chwarzmeier 1979,1980).

Für die Suche nach Gametophyten war eine Taschenlampe erforderlich. An Ort und Stelle wurden die Proben mit einer Handlupe bei lOfacher Vergrößerung bzw. mit einem Geländemikroskop (bei 100- und 300facher Vergrößerung) untersucht. Für eingehendere Studien wurden von größeren Rasen kleine Pro­ ben entnommen und in Schraubdeckelgläschen mitgenommen. Wenige Trop­ fen Wasser wurden zugesetzt, um die erforderliche Luftfeuchtigkeit im Glas zu garantieren. Die Proben waren so vor Austrocknung geschützt und konnten zur weiteren Beobachtung an einem schattigen Fensterbrett bei Zimmertemperatur aufbewahrt werden. 123

Abb. 1: Prothallien von Trichomanes speciosum in der Silberlochschlucht (obere Bildhälfte, etwa natürliche Größe)

Abb. 2: Fädiges Prothallium von Trichomanes speciosum mit Rhizoid (bräunlich). 124

5.0. Morphologie der Gametophyten

Im Gegensatz zu den meisten leptosporangiaten Famen, die ein flächiges, herz­ förmig gestaltetes Prothallium besitzen, sind die Prothallien vonTrichomanes speciosum fädig und fallen im Gelände kaum auf. Nur der geübte Kenner ver­ mag die winzigen, grünen Rasen (Abb. 1), die einem Polster eines kleinwüchsi­ gen Mooses ähneln, als Famprothallium zu identifizieren. Im mikroskopischen Bild fällt die Diagnose leichter. Die grünen, reich verzweigten Zellfäden besit­ zen, im Gegensatz zu Moosprotonemen, ausschließlich rechtwinklig verlaufen­ de und keine schräg gestellten Zellwände (Abb. 2). Von Luftalgen unterschei­ det sich dasTrichomanes-Frothallium durch die in der Regel reichlich vor­ kommenden braunen Rhizoiden. Ganz eindeutig ist die Diagnose dann, wenn kleine, flaschenförmige Gemmenträger-Zellen (Gemmiphoren, engl.: gemmi- fers) ausgebildet sind, an deren Spitze ein schräg gestelltes, wenigzeiliges Fadenstück, die eigentliche Gemme, erzeugt wird (Abb. 3). Diese fallen leicht ab (Abb. 4) und wachsen zu einem neuen filamentösen Prothalliumpolster her­ an. Antheridien und Archegonien oder gar junge Sporophyten, wie sie von Rasbach et al. (1995) ganz vereinzelt in den Vogesen, aber auch in anderen Teilen Mitteleuropas beobachtet wurden, konnten nicht nachgewiesen werden.

6.0. Fundorte von Trichomanes speciosum-Gametophyten im Spessart

6.1. Silberlochschlucht

Der Erstfund für den Spessart und für Bayern insgesamt erfolgte am 15. Okto­ ber 1995 in der Silberlochschlucht nordwestlich von Neustadt a. Main (TK 6023, Lohr a. Main). Der Silberlochbach hat sich hier tief in den anstehenden Mittleren Buntsandstein eingegraben und in seinem Oberlauf eine imponieren­ de Felskulisse freigelegt (Abb. 5). Versteckt unter Überhängen und in senkrechten Klüften findet sich hier das bisher größte bekannte Vorkommen vonTrichomanes speciosum-Gametophyten im Spessart. Die hoch aufragende Felswand befindet sich auf 310 m NN, ist nach NNO ausgerichtet und besteht aus verschiedenen Schichtungen, die der Detfurther Wechselfolge (smDW) und dem Hardegsener Grobsandstein (smHW) zuzuordnen(S sindchwarzmeier 1980). Direkt darüber stockt Fichtenwald, der nach oben hin bald in einen aus­ gedehnten Mischwald mit sehr hohem Laubholzanteil übergeht, welcher sich bis auf Höhenlagen von 500 m NN erstreckt. Bachabwärts entspringen auf der gleichen Hangseite in einer Höhe von 295 bzw. 290 m NN zwei perennierende Quellen, die auf einen Stauhorizont in der Detfurther Wechselfolge hinweisen 125

Abb. 3: Fädiges Prothallium von Trichomanes speciosum mit 2 Gemmenträgerzellen (Gemmiphor) und je einer querstehenden einzelligen und zweizeiligen Gemme. Durchmesser einer Zelle etwa 0,033 mm

Abb. 4: Abgefallene mehr zelüge Gemme von Trichomanes speciosum, Bruchstelle rechts in Bildmitte (siehe auch Abb. 3). 126

(Schwarzmeier 1980, Beilage 3). Die hohen Niederschläge im Einzugsgebiet, die Wasserzügigkeit des Mittleren Buntsandsteins und das Vorhandensein von Stauhorizonten schaffen in dem Schluchtgraben ein luftfeuchtes Klima, wel­ ches das Wachstum der Gametophyten in idealer Weise begünstigt. In der Regel gedeihen die Prothallienrasen, die eine Fläche von mehreren dm2 bedecken können, an sehr lichtarmen Stellen, wo sie kaum von Konkurrenten bedrängt werden. Mischbestände zusammen mit Moosen sind nur selten zu beobachten. An einer Stelle waren die Gametophyten mit kleinen Pflanzen des Leuchtmooses (Schistostega pennata) vergesellschaftet. Die übrigen, in der Nähe vorkommenden Moosarten wurden nicht bestimmt.

Am 30. Dezember 1995 konnten in der Silberlochschlucht an zwei weiteren Stellen Gametophyten nachgewiesen werden.

6.2. Klingengraben

Der Klingenbach durchschneidet auf seinem kurzen Weg von Michelrieth zum Haslochbach, in den er oberhalb der Nickelsmühle mündet (TK 6123, Markt­ heidenfeld), den Mittleren Buntsandstein und bildet auf einer Strecke von 200 m einen typischen Schluchtgraben, in dem sich reiche Vorkommen von Klei­ nem WintergrünPyrola ( minor), Efeu (.Hedera helix), Eichen (Quercus spec.), Linden Tilia( spec.), Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) und ErlenAinus ( glu- tinosa) befinden. Kaskadenartig ergießt sich der Bach mit einem beidseitigen felsigen Ufer von Schichtstufe zu Schichtstufe. In einigen Bereichen tritt Sickerwasser aus der Uferböschung aus. Am 21. Februar 1996 konnten hier an insgesamt 4 Stellen Kolonien vonTrichomanes speciosum nachgewiesen wer­ den. Die Gametophyten wachsen auf beiden Seiten des Bachbettes unter den reichlich vorhandenen Überhängen und in waagerechten Spalten oberhalb der Hochwasserlinie. Die Wuchsstellen befinden sich auf Höhenlagen zwischen 190 und 210 m NN. Die unmittelbare Gewässemähe und der im Sommer dicht geschlossene Schluchtwald sorgen für die erforderliche Luftfeuchtigkeit, die das Wachstum der Gametophyten auf dem wasserdurchlässigen Buntsandstein begünstigen.

6.3. Gaibachgraben

Zwischen Neustadt a. Main und Rothenfels sucht sich der Gaibach zwischen teilweise mächtigen Sandsteinblöcken seinen Weg zum Main (TK 6023, Lohr 127 a. Main). Die steilen Hänge sind fast vollständig von Verwitterungsschutt bedeckt, auf dem hin und wieder größere Felsblöcke aufliegen. Nur an wenigen Stellen ragen einzelne Steinquader aus dem Hangschutt heraus. An der Decke eines derart auskragenden und eine tiefe Spalte bildenden Felsblocks konnte am 23. Februar 1996 eine ca. 0,5 m2 große Kolonie vonTrichomanes specio­ sum- Gametophyten nachgewiesen werden. Unter einem Fels in unmittelbarer Nähe fand sich ein weiteres, kleineres Vorkommen. Der Fundort liegt im Mitt­ leren Buntsandstein (smDW) auf 210 m NN und befindet sich in einem geschlossenen Laubmischwaldbestand.

6.4. Ökologie der Wuchsorte

Die bisher im Spessart entdeckten Vorkommen der Gametophyten vonTricho­ manes speciosum stimmen in einer Reihe wesentlicher Standortfaktoren übe­ rein: Gesteinsunterlage ist stets sauer verwitterndes Material des Mittleren Buntsandsteins; Kalkeinfluß ist nirgends erkennbar. Die unterschiedlich harten Buntsandsteinschichten ermöglichen vielfältige Verwitterungsformen und besitzen durch eingelagerte, verschiedenmächtige Tonsteinlagen wasserstauen­ de oder auch wasserleitende Eigenschaften. Alle Wuchsorte zeichnen sich durch eine gleichmäßig hohe Luftfeuchtigkeit aus, die durch die naheliegenden Bäche und Quellen gespeist wird. Im Sommer gewährleistet das dicht geschlossene Kronendach der Laub- bzw. Mischwaldbestände ein ständig luft­ feuchtes Binnenklima. Auffällig ist auch die Nähe zum Maintal. So sind die Wuchsplätze in der Silberlochschlucht 1,60 km, im Klingengraben 4,35 km und im Gaibachgraben lediglich 0,75 km Luftlinie vom Mainufer entfernt.

Die Felsformationen, an denen Prothallien Vorkommen, können sehr unter­ schiedlich gestaltet sein, sofern die notwendigen ökologischen Bedingungen erfüllt sind. Im Gebiet lassen sich folgende drei Formationstypen abgrenzen:

- größere Felswand (Silberlochschlucht), - bachbegleitende Felsen (Silberlochschlucht und Klingengraben), - Einzelfelsen (Silberlochschlucht und Gaibachgraben).

6.5. Schutz

Wir schließen uns dem Vorschlag vonRasbach et al. (1995) an und fordern, Trichomanes speciosum in die Liste der vollkommen geschützten Arten aufzu 128

Abb. 5: Wuchsort von Trichomanes speciosum-Yiothallien in der Silberlochschlucht.

nehmen, auch wenn die deutschen Vorkommen lediglich aus Gametophyten bestehen. In Frankreich und Großbritannien gehörtT. speciosum bereits zu den geschützten Arten.

Zusätzlich sollten die bayerischen Wuchsplätze unter Schutz gestellt werden. Für die Silberlochschlucht fordert der Arbeitskreis Arten- und Biotopschutz in der Kreisgruppe Main-Spessart des Bundes Naturschutz Bayern e.V. schon seit geraumer Zeit die Unterschutzstellung. Durch verantwortungsvolles Handeln können alle dazu beitragen, daßTrichomanes speciosum geschont wird und nicht das Schicksal anderer atlantischer Arten erleidet, die, wie z. B. das Sumpf-Johanniskraut(Hypericum elodes) durch Zerstörung seiner Wuchsplätze (W o l f s t e t t e r 1980, H e m m & M ü h l e n h o f f (1995) oder der Königsfam (Osmunda regalis) durch Plünderung seines einzigen bekannten Vorkommens (A d e 1941), im Spessart ausgerottet worden sind. 129

7.0. Allgemeine Verbreitung von Trichomanes speciosum

Die sporophytische Generation vonTrichomanes speciosum ist weitgehend auf den euatlantischen Raum beschränkt(Ja l a s & S u o m in e n 1972). Selbst hier in seinem angestammten Areal ist die Art aber keineswegs überall häufig. Außer­ dem sind viele ehemalige Bestände durch Eingriffe des Menschen erloschen oder stark dezimiert. So ist der Hautfam heutzutage in Großbritannien eine Rarität, die durch Gesetz streng geschützt ist(P a g e 1982). Wie spezialisiert seine ökologischen Ansprüche sind, zeigt die Tatsache, daß er selbst auf den Makaronesischen Inseln, deren Nordküsten ständigen Passatwinden mit häufi­ ger Wolkenbildung ausgesetzt sind, durchaus nicht allgemein verbreitet ist. Weitreichende Eingriffe vor allem in den Wasserhaushalt der Inselökosysteme haben auch hier zu einem dramatischen Rückgang geführt, so daß auf Teneriffa von der “bewunderungswürdigen Üppigkeit” des vorigen Jahrhunderts nur noch dürftige Reste übrig geblieben sind(B e n l 1967, B e n l & S v e n t e n iu s 1970). Auf Madeira und auf den Azoren ist die Art in den verbliebenen Lor­ beerwald-Resten noch regelmäßig anzutreffen(B e n l 1971, W a r d 1970, W il m - a n n s & R a s b a c h 1973).

Im Mittelmeergebiet, wo die trocken-heißen Sommer einer weiteren Ausbrei­ tung entgegenstehen, kommt der Farn nur sporadisch in niederschlagsreicheren Regionen und im Bereich schattiger, ständig wasserführender Gebirgsbäche vor, so etwa in Südspanien(N ie s c h a l k & N ie s c h a l k 1965) und in den Apua- nischen Alpen(P ig n a t t i 1982). Überall dort, wo der Farn bis zur Sporenreife gelangt, durchläuft er den voll­ ständigen Reproduktionszyklus, der Sporenkeimung, Entwicklung von Prothal­ lien mit Antheridien und Archegonien sowie anschließende Befruchtung und Bildung eines neuen Sporophyten umfaßt. Gemeinsame Vorkommen von Sporophyten und Gametophyten wurden auf den Kanaren-Inseln La Palma und Teneriffa (R a s b a c h et al. 1995), in Großbritannien(R u m s e y et al. 1992) sowie in den Apuanischen Alpen (Italien) nachgewiesen.

Unabhängige Gametophyten-Kolonien (also solche ohne Sporophyten) sind in Mitteleuropa bislang in folgenden Ländern gefunden worden: Frankreich, Luxemburg, Belgien, Deutschland und Tschechische Republik(R a s b a c h et al. 1993, 1995; V o g e l et al. 1993). Innerhalb Deutschlands hegen Funde aus fol­ genden Bundesländern vor: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen(R a s b a c h et al. 1993, 1995; V o g e l et al. 1993; B u j n o c h & K o t t k e 1994; B e n n e r t et al. 1995). Nirgends in Deutschland ist eine solche Häufung von Vorkommen bekannt oder zu erwar- 130 ten wie in den Vogesen, wo bislang 215 Kolonien gezählt wurden(Rasbach et al. 1995). Hier steht der Buntsandstein großflächig an und bietet eine besonders reiche Fülle von teilweise spektakulären Erosionsformen(R asbach et al. 1995). Auf der Grundlage der bisher publizierten Daten deutet sich eine Häu­ fung von Funden im Südwesten Deutschlands an, die mit den reicheren Bunts- andsteinVorkommen im Pfälzer Wald, Saargebiet und in der SüdwesteifelZu­ sammenhängen. Andere Gesteine, wie Quarzite und devonische Schiefer, bie­ ten wegen ihrer ungünstigeren Verwitterungsformen und geringeren Wasserzü­ gigkeit lediglich suboptimale Bedingungen, und die Gametophyten-Kolonien bleiben teilweise winzig und sind oft mit Moosen vergesellschaftet.

Da auch in bestimmten Gebieten von Hessen, Niedersachsen und Thüringen Buntsandstein zutage tritt, sind hier weitere ProthalhenVorkommen zu erwar­ ten. Das Gesamtareal vonTrichomanes ¿pedo^m-Gametophyten in Deutsch­ land wäre dann weniger zerstückelt, als es derzeit erscheint.

Über die Herkunft der Gametophyten kann nur spekuliert werden. Sicher scheint zu sein, daß sie nicht aus Sporenanflug in jüngerer Zeit entstanden sind. Dafür sind die Kolonien zu zahlreich und die Wuchsorte zu ausgefallen. Auch ein Langstreckentransport von Gemmen oder anderen Prothallienteilen ist aus­ zuschließen. Damit bleibt nur die Möglichkeit, daß es sich um reliktische Vor­ kommen handelt, die sich dort erhalten haben, wo in klimatisch günstigeren Epochen Sporophyten gedeihen konnten. Mit zunehmender Klimaverschlechte­ rung starben die Sporophyten aus, während die Prothalhen dank ihrer vegetati­ ven Vermehrungsfähigkeit überleben konnten.V ogel et al. (1993) ziehen als mögliche Perioden der Einwanderung das Atlanticum (5800 bis 3000 v. Chr.) bzw. das Subatlanticum (500 v. Chr. bis 700 n. Chr.) in Erwägung.A de (1937) nennt als einen möglichen Zeitraum für die Einwanderung atlantischer Pflanzen in den Spessart die “subatlantische Zeit” zwischen 2000 v. Chr. und Beginn unserer Zeitrechnung.

8.0. Danksagung

Herr W. Malkmus (Partenstein) ermunterte und unterstütze den Erstautor bei seinen ersten Schritten auf dem Gebiet der Famkunde. Frau Dipl.-Biol. H. und Herr Dr. K. Rasbach (Glottertal) stellten Mikrofotografien für morphologische Vergleiche zur Verfügung. Herr Prof. Dr.B. Büdel (Rostock und Frammers- bach/Spess.) erstellte kurzfristig Mikrofotografien von Gametophyten aus dem Spessart. Herr Dr. D. Mollenhauer (Biebergemünd) ermöglichte dem Erstau­ 131 tor die Benutzung der Bibliothek der Außenstation des Senckenberg-For- schungsinstituts “Lochmühle” bei Biebergemünd. Herr H.-J.M ü h l i g (Aschaffenburg) ermöglichte die Benutzung der Bibliothek des Naturwissen­ schaftlichen Museums der Stadt Aschaffenburg und machte durch seine Geduld die kurzfristige Veröffentlichung dieser Arbeit erst möglich. Allen Genannten möchten wir herzlich danken.

9.0. Zitierte Literatur

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Anschriften der Verfasser: Herbert Kirsch Waldschloßstraße 42 97833 Frammersbach

Prof. Dr. H. Wilfried Bennert Spezielle Botanik Ruhr-Universität Bochum 44780 Bochum