Ausgrenzung und Vereinnahmung : Auseinandersetzung um die Schweizer Avantgarde zwischen 1936 und 1946

Autor(en): Müller, Franz

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Kunst + Architektur in der Schweiz = Art + architecture en Suisse = Arte + architettura in Svizzera

Band (Jahr): 57 (2006)

Heft 3: Klassische Avantgarde = Courants classiques de l'avant-garde = Correnti classiche dell'avanguardia

PDF erstellt am: 04.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-394339

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http://www.e-periodica.ch Franz Müller

Ausgrenzung und Vereinnahmung

Auseinandersetzung um die Schweizer Avantgarde zwischen 1936 und 1946

1936 standen sich die Repräsentanten Leistungsschau der nationalen Tradition der «offiziellen» Kunst und die Avantgardisten, Die XIX. Nationale Kunstausstellung fand vom 17. Mai bis zum das heisst die Vertreter abstrakter und 12. Juli 1936 im neuen Erweiterungsbau des Kunstmuseums surrealistischerTendenzen noch unversöhnlich sowie im ehemaligen Naturhistorischen Museum in Bern statt. Sie gegenüber. DieXIX. Nationale Kunstausstellung war Teil der «Berner Kunstwochen» mit Konzerten, Opern, Thea- und die Schau Zeitprobleme in der Schweizer teraufführungen und einer umfangreichen Hocller-Ausstellung Malerei und Plastik markierten die zwei Pole. und wurde unmissverständlich als Event von nationaler Bedeutung Sie fallen im Werk von Hans Emi auf eigentümliche inszeniert. Wenige Tage zuvor hatte Bundesrat Philipp Etter Weise zusammen. Zehn Jahre später, an der an einer Rede in der ETH Zürich den Begriff der «Geistigen XXI. Nationalen Kunstausstellung, setzten sich Landesverteidigung» propagiert: «Unsere geistige Landesverteidigung die «Konkreten» schliesslich durch und erlangten verstehe ich zunächst einmal als ruhige, gewissenhafte ihrerseits den Status von «offiziellen» Besinnung darauf, was als eigenständige schweizerische Kultur Schweizer Künstlern. oder wenigstens als Umprägung allgemeiner Kulturwerte im schweizerischen Kulturgut angesprochen werden kann.»- An dor In der Vielfalt von Kunstausstellungen in der Schweiz um 1936 Berner Vernissage unterstrich er denn auch die patriotische meinte Peter Meyer, Redaktor der Zeitschrift Das Werk und somit Aufgabe der Kunst. Fast 1000 Künstlerinnen und Künstler sandten eine entscheidende kunstkritische Instanz, eine deutliche Manifestation Werke ein, von denen die Jurys für Malerei und Grafik (Präsident

der «tief'ejnj Unruhe und Ratlosigkeit unserer Zeit in Sigismund Righini) und für Bildhauerei und Architektur (Präsident

Kunstdingen» zu erkennen. Neben der Ausstellung Peintres naïfs und Luc Jaggi) aus Platzgründen rund zwei Drittel zurückweisen einer Cézanne-Schau in zählte er auch «repräsentative, mussten. Schliesslich konnten knapp 500 Kunstschaffende gut mehr oder weniger naturalistische Kunst in Bern» sowie 900 Arbeiten zeigen. In einer «retrospectiven Abteilung» wurden «Abstrakte und Surrealisten in Zürich» auf.1 Mit den letzten beiden 28 verstorbene Künstler geehrt, unter anderen die heutigen Stars sind die XIX. Nationale Kunstausstellung und die erste grössere der Schweizer Kunst Albert Anker, Arnold Böcklin, Frank Buchser, Präsentation der Schweizer Avantgarde, die Ausstellung Alexandre Calarne, François Diday, Otto Frölicher, Charles Gleyre, Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik gemeint. Die Ferdinand Hodler, Rodo von Niederhäusern, Giovanni Segantini, Protagonisten von 1936 empfanden diese zwei grundverschiedenen Albert Welti und Robert Zünd. Von der riesigen Zahl der übrigen Ausstellungen wohl nicht als Ausdruck von Ratlosigkeit, aber als seien hier stellvertretend bloss diejenigen aufgeführt, die im Katalog klaren Stellungsbezug antagonistischer Lager: auf der einen Seite mit einer Werkabbildung vertreten sind und als repräsentative die strikt gegenständliche «art officiel» und aul'der anderen Seite Auswahl der qualitätvolleren Teilnehmer gelten können: Fausto die unterschiedlichen Positionen ungegenständlicher und Agnelli, Cunoa^miet, Otto Baumberger, Max Birrer, Albert Chavaz, surrealistischer Kunst. In dieser polarisierenden Sicht wurden die Berner Charles Clement, Rodolphe Dunki, Hans Erich Fischer, Cornelia und die Zürcher Schau 1981 auch vom Aargauer Kunsthaus Forster-Fischer, Max Gubler, Richard Hartmann, Adrien Holy, Aarau in der Ausstellung 1936 - eine Konfrontation sowie im Herold I lowald, Martin Lauterburg, Louis de Meuron, Ernst Morgenthaler, gleichnamigen Katalog im Rahmen der AusstelTungstrilogie Dreissiger Albert Neuenschwander, Albert Schnyder, Hans Schoell- Jahre Schweiz kunsthistorisch aufgearbeitet. horn, Johann von Tscharner, Jean Vordier, Heinrich Danioth, Pierre Blanc, Ernst Gubler, Milo Martin, Hans Jakob Meyer, Peter Walter,

K+A A+A 2006.3 Der Salon MaUrci an dar XIX, Nationalen Kunstausstallung In Bern M. Q. Die Beschäftigung mit den 530 In Born Entwürfen für da» Schwyzer Bundesbriefarchiv Gründe die bewogen haben, diese aufgestellten Gemälden und Wandbildern Ist keine und mögen Jury H*n» Stocker, dessen Fresken für die tristen Machwerke anzunehmen? Der Artikel 28, leichte Aufgabe. Das einfachste wäre natürlich Kirche St. Karl in Luzern zu den besten, öffentlichen nach welchem Künstler die an minderten» 10 Sa- das eine oder andere, ungewöhnliche aus der StücJ< Arbeiten der letrten Zelt gehören. Ions ausgestellt da» Recht erhalten, ein FUllo herauszunehmen, es ohne Rücksicht In hatten, aul einer dritten Gruppe möchte Ich zwölf Künstler oder zwei Werke aufzuhängen, kann hier nicht »eine Umgebung zu betrachten und eine so Reihe vereinigen, die, ohne noch die Reife der eben entschuldigend vorgeschoben werdenl unzusammenhängender Einzeleindrücke zu gewinnen. Genannten erlangt zu haben, doch eine starke Was Übrigens diesen famosen aArtikel 29» Aber der Salon mochte ein einiges Ganzes Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und darum die anbetrifft, so hat er zwei Scheussllchkolten dieses »ein, ein komplizierter und geordneter zugleich streng Salons auf dem Gewissen, die allein »eine Abschaffung Bau, ein Block. Und da es Ihm In einem Ici. meine U. W. frO I gewissen Grade diesen rechtfertigen. r - gelingt, Eindruck zu erwek oh «Niketempel» und die beiden Berner ken, so fällt dem Kritiker dio die er's Aufgabe zu, Stadtbilder von Auch Linien dieses Gebäudes Adolf Tische. grossen nachzuziehen und William Katalog, Jeden Röthlisberger profitiert, laut wichtigen Punkt mit einem Namen zu n diesem Aber kleren. Mit andern von Ausnahmeparagraphen. lei- Worten: es gilt, eine Rangliste derliess man's nicht dabei bewenden, sondern lud aufzustellen, auf welcher Bedeutung und Wert diesen Kitschfabrikanten, zusammen mit 13 aller irgend wesentlichen Aussteller vermerkt »in andern Malern (Max Gubler, P. B. Barth zum Dieso Aufgabe wird durch zwei Umstände « Beispiel!) ausdrücklich ein, «eine Gruppe von höchstens achwert, wenn nicht verunmögllcht. Vor allem el 5 Bildern» einzusenden! mal fehlt mir der Raum, um auch nur die Nam. Steck, Tièche, Züricher und Röthlisberger, ein derer anzuführen, die In Irgend einer Hinsicht an übles Kleeblatt! Es wird Indessen noch übertroffen fallen. Sodann begegnete Ich vielen Ausstelle: von einem andern, ebenfalls vierblättrigen hier zum erstenmal, das heisst: mein Urteil stutzt und dank städtischer und staatlicher Unterstützung sich lediglich auf eine oder zwei Proben ihres üppig wuchernden Unkraut: Boss, Huber, Könnens, während bei andern das Vorhandene kaum Baumberger und Giacometti. Giacometti Ist, mehr als die Funktion einer Gedächtnisstütze zu so lange man Ihm keine öffentlichen Gebäude erfüllen hat. ausliefert, bei weitem der harmloseste. Er amüsiert Ich werde mich trotzdem bemühen, nur auf dia das Publikum vom Land und inspiriert die Klel- In Bern sichtbaren Bilder einzugehen und die sterpapier- und Krawattenfabrikanten, Eduard Erinnerung an Bekanntes, früher Gesehene«, nach Boss hingegen Ist entschieden gefährlich. Der Möglichkeit zurückzudrängen. Denn dieser, nichtbernische Leser nämlich wird mit Erstaunen vorzüglich auf die Nennung von Namen sich vernehmen, dass dieser selchte «Hodler für» Volk» beschränkende Artikel, will kein Gesamtüberblick stellenweise hohes Ansehen genlesrt und In den über die Schweizer Kunst, sondern lediglich eine Museen zur Schau gestellt wird. Umgekehrt wird Einladung zum Besuch de» Salon» und eine es den Bernern kaum glaubhaft erscheinen, dass Aufforderung zu eigenem, vorurteilslosem Eingehen der um kein Haar bessere Hermann Huber auf das dargebotene Material sein. seine Dürftigkeiten an ein Zürcher Amt»hau» malen darf und obendrein noch 'dafür bezahlt wlrdl ^¦^^^ Otto Baumberger ist ein Sonderfall. Ein Sonder- den sündenfall Baumberger Beginnen wir mit ausserordentlichen volle Aufmerksamkeit der Besucher verdienen: gewissermassen. Wir schätzen Werken, mit Jenen Bildern, die durch Innere als tüchtigen Graphiker. Wir haben, trotzdem Fausto Agnelli (PaesaggloTlclnese) ; Alfred Bern- Haltung, Erfindungsgabe und Beherrschung der wir In der «Weltwoche» nicht viel Raum egger (Porträt; eines der stärksten Bildnisse des für Mittel, den mannigfachsten Ansprüchen genügen solche Dinge haben, mehr als einmal spontan auf Salonsl); Albert Chavaz (Portrait de jeune fille) ; und überdies Jene Sicherheit und Reife aufweisen, seine Plakate hingewiesen. Aber gerade, well wir Charles Chlnet (Le vin rouge; L'hiver) ; Raoul Do- die sie nicht einem Genuss den Ihn als Graphiker schätzen, können wir sein» nur zu für menjox (Paysage de la Rochelle); Ignaz Epper; Kunstfreund, sondern darüber geschmacklosen Breughel-Imitationen nicht hinaus zu Vorbildern für Max Gelser (Dunkel Ried); Paul (Allee In mit die und Hurt Stlllschwe'gen übergehen. Jugend zu Zeugnissen unserer geistigen der Stadt); Eugène Martin (Les Pitons); Paul Situation werden lassen. Diese eines flankieren Zu dieser Gruppe ge- Stöckli (Landschaft); Paul Tschabold (Vorfrühling Verirrungen Graphikers die beiden Landschaften E. G. bei Steffisburg); Robert Wchrlln (Atciierfen- Rüegg'». Damit kommen wir zur letzten Ungeheuerlichkeit de« Paul Bodmers «Grosser Carton für Bter) ; Rudolf Zehnder (Banlieu). Wandmalerei», Salons: zur wie die Bilder gehängt wurden. eines der schönsten Beispiele heutiger Damit wären siebenundzwanzig Namen aufgezählt, Art, Man stelle »ich zwei Rüegg und r-aohta und Kunst, doppelt köstlich darum, weil e» zwei, und der geneigte Leser wird finden, dieser vor: links ein von typisch schweizerische Wesenszüge, den Hang zu Salonbericht bedenklich der eines Orlginalölgemälds Baumberger. fange Rangliste Oden zwei Cardinaux nebeneinander und r-echta Träumen und hohen Gedanken und den Sinn für Velorenncns zu gleichen an. Aber selbst auf diese und links ein Clénin. Aus Gründen der die lebendige Welt, gleichzeitig und völlig Gefahr hin seien noch sechs Aussenseiter Symmetrie. ausgeglichen Aus Gründen einer unverständlichen, unbelehrbaren wiedergibt. Karl Walsers'» rein genannt, die den Rahmen des Künstler, Irgendwie Starrköpfigkeit! dekorative, aber wundervoll geistreiche, elegante Gewohnten durchbrechen und dadurch willkommene Wer hat die Bilder des Berner Salons gehängt? Wandbilder, »Venedig Id und die beiden kleineren Abwechslung in die etwas monotone Schau Sollten wir keines bessern belehrt werden, so nehmen Entwürfe. (Schade, dass auf dem grossen Mittel-» tragen. Da ist eine phantastische, sehr poetische an, ein ehemaliger Schaufensterdekorateur biid ein Stier figuriert, der mit diesem edlen Tier «Landschaft bei Paris» von Eduard eine wir Gubier, sei da am Werk gcwesenl keinerlei Aehnlichkeit hat.) Ernst Morgenthal äusserst »ehenswürdige, liebenswürdige ' e r s Landschaften und kleinere Flgurenbil- Angelegenheit. Da Ist Ernst Schäublln's «Barmherziger der. (Die fünf Wandbilder weisen bedenkliche Samariter», der In wilder Panoptikumsbeleuchtung Nach diesen notwendigen Einschränkungen Verzeichnungen auf; man beachte zum Beispiel die das fade Grüngemüse der Durchschnittsland- gehört es sich, ein Wort über den Gesamteindruck, Hände!). Walter Clénln's aKomposition für echafterei durchbricht. Da sind: Rosetta Leins, den der Salon hinterlässt, zu sagen. Wandmalerei», wohl eine der stärksten und schönsten ungewöhnlich, schwärmerisch, romantisierend; Dieser Gesamteindruck Ist ein guter. der Ueberraschungen Ausstellung. Max Otto Abt, der Über zierlichen Humor verfügt und es sind viele da. Aber die I • Zugegeben: zu Bilder G u b e r s «Paolo» und aFrauenbildnlSD, vor Willy Guggenheim, vor dessen «Stockerstrasse» allem Fülle sichert auch Ueberraschungen. Wäre die aber die «Studie» einer sitzenden Frau, eine man nicht recht klug wird: Ist's Bluff oder mehr. hätten vielleicht Vorarbeit Zahl beschränkter gewesen, wir für sein letztes, grösseres Gemälde, Da Ist endlich, um die Reihe mit einem guten weder Alfred Bernegger, noch Eduard Gubler, Nach diesen fünf Ausserordentlichen seien die Namen zu beschilessen, mit noch irgend eines der jungen Profile entdeckt. Und Folgenden genannt: Hans Berger («Jean et einer geistreich gemalten «Frau im Gewächshaus». dieses Suchen nach neuen Kräften (da» allerdings Baio») ; E. G. R ü e g g («Winteranfang in Otelfln- Sol durch die Gegenwart der grossen Könner gen»); Albert Schnyder («In den Freibergen») Jetzt verzeihe man mir, Amiet, P. B. Barth, erschwert wird), zählt doch zu den schönsten ; Fred Stauffar (aSelbstblldnls») ; Lauterburg, Holy, Tscharner und Bfanchet einfach Aufgaben de« Kritikers und de» Publikum«. Maurice Barraud («L'été»; besonder» die übergangen zu haben und gestalte, das» Ich Des Publikums, dem nicht eindringlich genug linke Blldhälfte); J. P. F I U c k («Seltenblld aus unverzüglich zu den dunkeln Flecken des Salons und empfohlen werden kann, dem Salon Aufmerksamkeit dem I Triptychon Gethsemane») ; R e n h o I d s schweizerischen Kunstlebens übergehe. und vor allem Zelt entgegen zu bringen und Kündifl («Acker» und «Garten»); Herold In unmittelbarer Nachbarschaft von Bodmer allen, den Jungen sowohl wie den anerkannten Howald {«Selbstbildnis»). Ebenfalls zu dieser und Clénln hangt Leo Steck, Was hat dieser Grössen, mit gutem Willen, Vorsicht und gänzU- i Manuel Gassers Rezension derXIX, Gruppe gehören Heinrich Danioth mit den »chauerllohe Kitsch Im Salon zu auchen7 Was für cher Vorurteilslosigkeit zu begegnen. Nationalen Kunstausstellung in Bern, in: Weltwoche, 22.5.1936.

Jakob Probst, Casimir Reymond, Otto Teucher, Luigi Zanini, aAlbert (GSMBA) ein, welche die Verunglimpfung einiger ihrer verdienten Schilling. Trotz der bedrückenden Quantität der Exponate waren Mitglieder nicht auf sich beruhen lassen wollte. Letztlich blieb es

sich die meisten Kritiker einig, dass der Anspruch des repräsentativen dann bei einer Korrespondenz zwischen dem Rechtsanwalt der Überblicks über das gesamte zeitgenössische Schweizer GSMBA und Gasser, die Ende 1936 in der Schweizer Kunst, dem Kunstschaffen nicht erfüllt worden sein. Peter Meyer äusserte Vereinsorgan der Künstlorvereinigung, abgedruckt wurde."' Die Skepsis gegenüber solchen Grossveranstaltungen, in denen er Causa GSMBA-Gasser wäre nichts weiter als ein unfreiwillig keine künstlerischen Ereignisse sehen konnte, er akzeptierte sie komisches Beispiel verletzten Künstlerstolzes beziehungsweise jedoch als wirtschaftliche und soziale Anlässe für die Künstler der fragilen Zwcckgemcinschaft von Künstlern und Kritikern, und somit als «notwendiges Übel».3 Der allgemeine Tenor der wenn in ihr darüber hinaus nicht der kunstpolitische und Besprechungen war dennoch positiv. Selbst Manuel Gasser, wirtschaftliche Machtanspruch der GSMBA zum Ausdruck käme - Kunstkritiker der Weltwoche, sprach in seiner Rezension abschliessend und indirekt eine Erklärung für die unüberbrückbare Distanz von einem guten Gesamteindruck4 (Abb. t). Seine klaren Voten zu den Vertretern der Avantgarde. Die starke Position erlaubte es gegen einige cler Ausstellenden, unter ihnen so prominente Künstler cler GSMBA nämlich, Jurierungen für Kunst am Bau und wie Augusto Giacometti, Eduard Boss, Hermann Huber und Otto Ausstellungsteilnahmen fast nach Belieben für ihre Mitglieder zu monopolisieren. baumberger, die er mit dem Furor des jungen Kritikers als «übles Den Avantgardisten, die kaum Aufnahme in die GSMBA Kleeblatt» und «üppig wucherndels] Unkraut» betitelte, brachten fanden, blieben somit nicht nur lukrative Aufträge, sondern vor 'hm aber beinahe eine Anklage wegen Ehrverletzung durch die allem auch die öffentliche Aufmerksamkeit weit gehend versagt. Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten So waren nur gerade vier Künstler zugleich bei der Nationalen und

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Der große Saal Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik 2 Seite 3 des Ausstellungskataloges •»Wenn Alters her zwei von große Prinzipien, «Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und das der Nachahmung und das der Umwandlung der Wirklichkeit, um das Recht gestritten Plastik», Kunsthaus Zürich, 1936, mit haben, der wahre Ausdruck des Wesens dem Giedion und dem der künstlerischen Tätigkeit zu sein, so scheint Artikel von Sigfried eine Schlichtung des Streites nur dadurch einführenden Zitat von Conrad Fiedler.- möglich, daß an die Stelle dieser beulen Prinzipien ein drittes gesetzt wird: das Prin- Die Abbildung zeigt den «grossen Saal» mit zipder Produktion der Wirklich- Werken von Le Corbusier, lean Arp, k ei t. Denn nichts anderes ist die Kunst, als eines der Mittel, durch die der Mensch Walter Bodmer, Paul Klee, allererst die Wirklichkeit gewinnt.« und Alberto Giacometti. Conrad Fiedler. 1881. 3 Der «Saal der Abstrakten» in der In der Juniausstellung des Kunsthauses: Z e i t p r o - b 1 e m e in der Schweizer M alerei und Plastik Ausstellung «Zeitprobleme in derSchweizer wird zum ersten Male versucht; die überall verstreut arbeitenden Künstler zusammenzubringen, die von den Malerei und Plastik», Kunsthaus Zürich, in unserm Jahrhundert neugeschaffenen plastischen 1936, mit Werken von Hans Emi, Max Bill und Ausdrucksmitteln ausgehen. Clara Friedrich.

4 Hans Emi, Les Trois Graces lucernoises, 1936, Fresko im Buffet I./II. Klasse, Bahnhof Luzern (heute im Hans Erni-Museum Luzern).

bei den Zeitproblemen vertreten: Otto Abt, Walter Kurt Wiemken, Schweizer Blätter Besprechungen - stimmten überein, dass die Hans von Mühlenen und Hans Seiler. Zeitprobleme eine notwendige Ergänzung zur Nationalen sei, da diese die Avantgarde konsequent ausschloss. Nur Manuel Gasser Auftritt der Avantgardisten bedauerte die strikte Trennung cler Kunstszene in Avantgarde Um die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren zu können, suchten und Traditionalisten; er hätte sich einen gemeinsamen Auftritt die Vertreter der Avantgarde deshalb nach eigenen gewünscht, da das unvorbereitete Publikum sich den Abstrakten

Ausstellungsgelegenheiten. Im Frühling 1936 gab das Kunsthaus Zürich dem und Surrealisten gleichsam einem «Rudel im Kreise gerotteter Drängen von Leo Leuppi und anderen jungen Künstlern endlich Wildpferde» ausgeliefert sehe, «feurigen Gäulen, welche die Köpfe nach und beauftragte Sigfried Giedion, das Mitglied seiner zusammenstrecken und jedem, cler sich heranwagt, die angriffslustigen Ausstellungskommission, eine Liste von Schweizer Abstrakten Hinterfüsse zeigen»; in der «vertrauten Atmosphäre der und Surrealisten zusammenzustellen. Die daraus resultierende Nachimpressionisten» fände man leichter Zugang zu dieser neuen Ausstellung Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik im Kunst.'' Kunsthaus Zürich dauerte vom 13. .funi bis zum 22. Juli 1936 Giedion bezeichnete im Katalog die Ausstellung als ersten

(Abb. 3). Die zeitliche Koinzidenz der zwei Ausstellungen veranlasste Versuch, «die überall verstreut arbeitenden Künstler zusammenzubringen, nicht erst die Aargauer Ausstellungsmacher von 1981, die die von den in unserem Jahrhundert neu geschaffenen Zeitprobleme als direkte Gegenveranstaltung zur Nationalen zu plastischen Ausdrucksmitteln ausgehen».7 Den Kubismus als Basis betrachten. Die Rezensenten - ausser in Zürich, wo Berichte in setzend, sei man zur Erkenntnis gelangt, dass es mehr solche allen Zeitungen erschienen, veröffentlichton nur drei liberale Künstler in der Schweiz gebe als erwartet. Gezeigt wurden 160

8 K+A A+A 2006.3 a ^ k ---¦/ * 2 hU £ <.'.-•¦ «4;

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Werke von vier Künstlerinnen und 37 Künstlern. Unter ihnen toren betonten, dass hier keine einheitliche Bewegung vorgestellt waren auch die heute noch bekannten Namen Max Bill, Walter würde. Wilhelm Wartmann, Direktor des Zürcher Kunsthauses, Bodmer, Serge Brignoni, Hans Fischli, Clara Friedrich, Alberto schrieb im Vorwort sogar: «Die strenge Syntax und Grammatik Giacometti, Fritz Glarner, Charles Hindenlang, Verena Loewens- der Puristen, das apokalyptische Zungenreden der Surrealisten berg, Richard Paul Lohse, Ernst Maass, Louis Moilliet, Kurt sind die Grundrichtungen, die beide härter voneinander scheiden Seligmann, Sophie Taeuber-Arp, Otto Tschumi, Max von Moos, Gerard als jede von der Kunst der Mitte in vielerlei Mischungen und

Vulliamy und Walter Kurt Wiemken. Zu sehen war damit zum ersten Übergängen sich entfernen.»8 Und Peter Meyer drückte sich wie Mal eine repräsentative Auswahl abstrakter, konkreter und gewöhnlich unmissverständlich aus: «Abstrakte Kunst und surrealistischer Malerei und Plastik von Schweizern, nachdem Surrealismus haben nichts miteinander zu tun, und es ist naiver zentrale Figuren der internationalen Avantgarde seit den 1920er- Dilettantismus, beides zusammen auszustellen, nur eben deshalb, weil Jahren wiederholt im Kunsthaus Zürich gezeigt worden waren. beide Richtungen davon absehen, die Formen der Realität ins An diese Tradition knüpften die Kuratoren an, indem sie den jungen Bild aufzunehmen.»' und mehrheitlich noch wenig bekannten Künstlerinnen und Es herrschte also Frklärungsbedarf, dem sowohl die Kritiker Künstlern die arrivierten Persönlichkeiten der ersten Pionierge- als auch der Katalog mit Beiträgen von Giedion, Le Corbusier und neration Paul Klee, Jean Arp und Le Corbusier zur Seite stellten, Max Bill nachzukommen suchten. Während Bill in seiner so kurzen 'ne Heterogenität der Exponate wollte Giedion nicht als Ausdruck wie präzisen Erläuterung über «konkrete Gestaltung» die des Chaos gewertet wissen, sondern als ein «Zeichen des Grundlagen aktueller bildender Kunst mit denen der Musik Übergangs». Auch andere Beteiligte und aussenstehende Kommenta¬ verglich, berief sich Giedion auf den Kunsthistoriker Conrad Fiedler,

2006.3 K+A A+A der schon 1881 dargelegt habe, «was heute Neues gewollt wird. len Lebens, das diesen unpersönlichen Kollektivpsychosen gegenüber An Stelle der von alters her herrschenden Prinzipien Nachahmung immer wehrlos ist. Die seltsam mazerierten Wüstenland- und Umwandlung der Wirklichkeit wird ein Drittes gesetzt: schaften des Surrealismus sind , die jeder

ungegenständlicher und surrealistischer Kunst war diese Betonung des muss.»M Nicht bloss die Abneigung des konservativen Pragmatikers nichtmimetischen Schaffensprinzips. Meyer verneinte die Novität gegen alles Manierierte und Extravagante äussert sich in dieses Ansatzes: «Aristoteles, auf den der ästhetische Begriff der dieser Pathologisierung der Avantgarde, sondern die tiefe Sorge zurückgeht, meinte damit durchaus nicht die Nachahmung um eine idealistische Kunst als Ausdruck humaner Werte, die fertiger Naturformen, sondern einen schöpferischen Prozess Warnung vor dem vermeintlichen Eskapismus kreativer Köpfe in - also genau das, was in einer der drei Einleitungen des rein spekulative Bereiche, die Angst vor dem «Verlust der Mitte» Zürcher Ausstellungskataloges als Neuheit für die gegenstandslose (avant la lettre) angesichts der kommunistischen und faschistischen Malerei in .Anspruch genommen wird.»" Diese Einsicht hätte der Totalitarismen. Aus heutiger Sicht mag eine solche fast Ausgangspunkt eines theoretischen Brückenschlags zwischen verzweifelt anmutende Polemik erstaunen, und sie löste auch 1938 gegenständlicher und abstrakter Kunst sein können. Aber es lag eine heftige Reaktion seitens prominenter Vertreter des Werkbundes Meyer durchaus fern, Verständnis für die in Zürich ausgestellte aus.'1 Jedenfalls ist sie ein erhellender und keineswegs isolierter Kunst zu wecken durch ihre Einbindung in eine übergeordnete Beleg dafür, wie ernst ungegenständliche und surrealistische Tradition - diese wäre bei den Avantgardisten aufgrund ihres Kunst genommen wurde, gerade von denjenigen, die ihr feindlich heroischen Selbstbildes ohnehin auf wenig Gegenliebe gestossen. gegenüber standen.

Konstruktive Kraft oder pathologischer Fall? Das Dilemma des Hans Emi Georg Schmidt unterstrich in seiner Ausstellungskritik die positive Der junge Luzerner Künstler Hans Erni lieferte ein sprechendes Haltung hinter der Abstraktion: «Die konstruktiv-abstrakte Exempel für die verhärtete ideologische Front zwischen einer Kunst ist in ihrem Gehalt bejahend, heiter, gesund. [...] Sie ist das sich aufdie Tradition berufenden massvollen Modernität und der Produkt der stärksten aufbauenden Kräfte unserer Zeit.»12 Er Avantgarde, die ihn in ein Dilemma stürzte. Anfang 1936, wenige bestätigte damit das optimistische Selbstverständnis und das Monate vor seiner Teilnahme an der ZeitoroWeme-Ausstellung,

gesellschaftspolitische Sendungsbewusstsein der Vertreter konkreter führte er im umgebauten Buffet des Luzerner Bahnhofs das grosse Kunst. Genau diese soziale Relevanz sprach Peter Meyer ihnen Fresko Les trois Grâces lucernoises mit einer idyllischen mehr- aber ab. Der abstrakten Kunst, gleichviel ob konstruktiver oder figurigen Szene in einer bieclermeierlichen Luzerner Stadtansicht organisch-lyrischer Richtung, fehle «die menschliche Resonanz», aus. Er malte am rechten Bildrand ein kleines Kästchen an einer sie sei «kultivierter Nihilismus», denn ungegenständliche Kunst Hauswand, in dem eine mit «Anmerkung» betitelte Mitteilung sei immer metaphysisch, der religiöse Bezug fehle heute aber, so hängt. Darin verteidigt er mit gewundenen Worten und demonstrativ dass die Abstraktion ein exklusives Vergnügen einer Elite sei, modernistischen Kleinbuchstaben seinen figurativen wirkungsloses l'art pour l'art trotz aller sozialer Theorien.'1 Anlässlich Sündenfall als ökonomische Notwendigkeit. Anschliessend teilt er cler grossen Ausstellung über die Malerei Le Corbusiers [938 treuherzig mit, dass er sonst abstrakte Bilder male, und fügt gleich im Kunsthaus Zürich gab er seinem tiefen Unbehagen gegen noch eine didaktische Erläuterung ungegenständlicher Kunst und Abstraktion und Surrealismus einmal mehr beredten Ausdruck. Die ihrer historischen Funktion in der Gesellschaft an: ungegenständliche Kunst sei eine «Kunst der Verneinung, des «ANMERKUNG/hans erni, von luzern, geboren 1909, malte dies büd ende Überdrusses, der Verurteilung». Und über den Surrealismus februar 1936 auffrischen kalkputz nach seinem Wettbewerbsentwurf, urteilte er noch radikaler: «Man muss sich darüber ganz im klaren er lehnte sich inhaltlich, aber nicht kompositionell, an dar- sein: es ist eine Kunst des Nihilismus im präzis-philosophischen stellungen vom jähr 1800 an, in der annähme, damit dem auftrag- Sinn, eine Kunst, die keine setzt und anerkennt, die die geber, dem ort und den zeitgenössischen biidhauern am besten Massstäbe zertrümmert [...]. Diese Kunst leidet an einem radikalen gerecht zu werden, abgesehen von solch öffentlichen auftragen, Mangel an menschlicher Güte, an Sympathie und Solidarität die angenommen und gewissenhaft ausgeführt wurden um des mit der organischen, pflanzlichen, tierischen Kreatur überhaupt. maiers ökonomischer läge willen schaffte er bilder die man als [...] Wir verkennen keineswegs, dass diese Kunst einer wirklich abstrakt zu bezeichnen pflegte, weil sie weder Figuren, noch land- vorhandenen, psychologischen Situation entspricht, sie ist nicht schaften, noch Sachen, das heisst äusserliche begebenheiten zum [...], sie enthält den Rausch der entfesselten Technik Inhalt hatten, sondern gedanklichen abstraktionen entsprangen, ebenso wie das Pathos der Vernichtung und die sadistische Lust diese

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5 Hans Erni, Die Schweiz, das Ferienland der Völker, Wandbild für die Landesausstellung 1939 in Zürich (Detail), Schweizerisches Landesmuseum Zürich.

derts zur neuen verdinglichten formenweit der späteren gesell- Bill gestaltete Schweizer Abteilung der Mailänder Triennale ein schaft, die eben ihre formen oder durch auseinanderset- abstraktes Wandbild malen (Abb. 6). 1938 war er unter den zungen der technik und Wissenschaft aus nicht bloss sinnlich Ausstellenden der ersten Schau der 1937 im Nachgang der natürlichen, sondern experimentalberechenbaren erfahrungen Zeitprobleme gegründeten Avantgarde-Vereinigung Allianz in der gewinnt.»"' Kunsthalle Basel (Neue Kunst in der Schweiz), und selbst noch Erni platzierte seinen gemalten Thesenanschlag, mit dem er 1940 wurde er im von der Allianz herausgegebenen Almanach sich bei der kleinen, streng orthodoxen Gemeinde der Insider neuer Kunst in der Schweiz aufgeführt. Aber er hatte sich zu Pflichtschuldig rechtfertigte, über der Theke des Bahnhofrestaurants, diesem Zeitpunkt bereits von der reinen Ungegenständlichkeit und wie wenn er damit tatsächlich breitere Bevölkerungskreise damit von einem dogmatischen Avantgarde-Standpunkt belehren könnte (Abb. 4). Die eigentümliche Verwendung des verabschiedet. Der Publikumserfolg seines monumentalen Wandbildes Praeteritums für seine «helvetisch zurückhaltende Polemik»,'7 Die Schweiz, das Ferienland der Völker für die Landi 39 in Zürich- die das Dargelegte in historische Ferne rückt, erwies sich in Wollishofen, in dem er naturalistische Versatzstücke zu einem Bezug auf Erni bald als korrekt. Zwar hatte er 1935 zusammen mit too Meter langen, surreal-erzählerischen Tourismusplakat colla- dem Kunsthistoriker Konrad Farner für das Kunstmuseum Luzern gierte, mag ihn in seinem neuen Weg bestätigt haben (Abb. 5). Die die Ausstellung These, Antithese, Synthese kuratiert, in der er sich Avantgarde jedenfalls spielte bei der Landesausstellung kaum neben Wassily Kandinsky keck als Vertreter der «synthetischen» eine Rolle, die Allianz blieb draussen vor der Tür zugunsten einer Avantgarde präsentierte. Und 1936 nahm er nicht nur an der «etwas unheilige[n| Allianz von Konrad Farner, Peter Meyer und ^e^proo/eme-Ausstellung teil, sondern konnte für die von Max offiziellem Segen».'8

2006.3 K+A A+A 11 6 Hans Erni, Entwurf zum Wandbild für die Schweizer Abteilung der Triennale Mailand, 1936, Öl auf Karton, 30 x 60 cm, Privatbesitz.

Am 21. Juni 1946, zehn Jahre nach der Zeitprobleme-Ausstellung von der GSMBA Gemiedenen und noch 1939 Marginalisierten und der XIX. Nationalen, zehn Jahre nach seinem freskierten hatten die Aufnahme in den Salon erreicht. Und mehr als das: Die Manifest für die Suprematie der Avantgarde in der «späteren konkrete Kunst wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur offiziellen Gesellschaft» hielt Hans Erni im Kunstmuseum Bern einen Vortrag Avantgarde und zum erfolgreichen kulturellen Exportgut. Was zur Frage «Wo steht der Maler in der Gegenwart?». Die aktuelle in der Zeit der Geistigen Landesverteidigung aufgrund seiner Gesellschaftsordnung sei der Kunst abträglich, verkündete er, internationalen Ausrichtung als unschweizerisch galt, so dass anzustreben deshalb der soziale Fiumanismus. «Nur ein sozialer Leuppi im Almanack von 1940 in einem Akt der Selbstverteidigung Humanismus wird dem Maler die Voraussetzungen geben, die glaubte festhalten zu müssen: «Sie [die Kunst der Avantgardisten] sein Schaffen von neuem zu einer Synthese aus Tradition, ist von Schweizern gemacht und deshalb schweizerisch»,21 Gegenwartswirklichkeit und Zielsetzung werden lassen, mit andern wurde nun nach dem Krieg politisch neutralisiert zum Inbegriff Worten höchste Kunst ermöglichen.»"' Sollen die Künstler aber in des Schweizerischen: fortschrittlich, konstruktiv, präzis, rational,

der neuen Gesellschaft eine relevante Rolle spielen, dürfen sie weder seriös, sauber. Den eigentlichen Triumph feierten die Konkreten der Abstraktion noch dem Surrealismus, noch der bourgeoi- auf dem Gebiet der Produktgestaltung und cler Grafik. Am Schluss sen Tradition verhaftet bleiben, denn: «dem Abstrakten enthüllen hatten also alle irgendwie Recht: die Avantgardisten, die nun wir sein Fluchtbestreben; den Surrealisten bezichtigen wir der anerkannt waren und den Vorwurf bloss formalistischer, lebensferner ichbetonten Ausschliesslichkeit; den braven Bürgersmaler aber Spielerei als widerlegt betrachten konnten, und ebenso Peter strafen seine eigenen Werke Lügen»."' Indem er den Abstrakten Meyer, der [938 in seiner grundsätzlichen Kritik an der Avantgarde Flucht vor der Realität und den «Aufgaben cler Gegenwart» und geschrieben hatte: «Der radikale Verzicht auf den den Surrealisten das Verharren in der Selbstbespiegelung zum Anspruch, zu produzieren, würde die Situation klären, denn Vorwurf macht, kommt er den antiavantgardistischen und antielitären die Möglichkeiten der neuen Bindungen des Aesthetischen an die Ansichten Peter Meyers nahe. Allerdings ging es dem Welt der Technik und der Wissenschaft weisen von vornherein auf bürgerlichen Antiavantgardisten Meyer - anders als dem vom Marxisten eine Unterordnung des Aesthetischen unter die anderen Farner tutorierten ehemaligen Avantgardisten Frni - natürlich Absichten, also auf eine neue , nicht auf eine nicht um die Gestaltung einer sozialistischen Zukunft. Und Kunst.»22 Erfolg durch Unterordnung unter die Forderung nach selbstverständlich konnte er seine Forderung nach allgemeiner Nützlichkeit - die Avantgarde war in der Schweiz angekommen. Verständlichkeit und gesellschaftlicher Bodenhaftung der Kunst nicht in Ernis virtuosen Kombinationen abstrakter Lineamente und antikisierender .^ktfiguren erfüllt sehen, auch wenn diese Résumé gerade aufgrund ihrer leichten Zugänglichkeit sowie der properen, En 1936, Berne accueillait la XIXe Exposition nationale, et Zurich la handwerklichen Solidität und der dekorativen Gefälligkeit den grande exposition Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik. Status eines volkstümlichen Modernismus erlangten. L'art «officiel» et l'avant-garde - l'abstraction et le surréalisme - s'affrontaient, irréconciliables. Les avant-gardistes étaient considérés Nationale 1946: Die Avantgarde wird salonfähig comme des nihilistes désabusés, une attitude incompatible avec les rcj46 fand vom r. September bis zum 13. Oktober auch die XXI. valeurs helvétiques en cette époque de défense spirituelle du pays. Nationale Kunstausstellung in Genf statt. Den Konkreten um Bill, L'exemple de Hans Erni illustre ce fossé qui sépare l'art traditionnel et Leuppi und Lohse wurde nun ein eigener Saal gewidmet. Die einst l'avant-garde. En 1936, il participe à l'exposition zurichoise où il pré-

12 K+A A+A 2006.3 sente des tableaux abstraits; parallèlement, il peint une fresque 10.7.1936, hier zit. nach: Meier 1981 (wieAnm. 6),S. figurative, l'accompagnant toutefois, pour se justifier, d'un manifeste 34. 13 Meyer 1936 (wie Anm. 1), S. 237. dans lequel il se réclame de l'avant-garde. En 1946, lors de la XXIe 14 Peter Meyer, «Moderne Kunst in Exposition les nationale, artistes concrets auront leur propre salle; avec der Schweiz», in: Das Werk XXV, 1938, leurfoidansle progrès, ils incarnaient la nouvelle conscience nationale S. 74-78, hier S. 76. de l'après-guerre. Les conditions politiques ayant changé, les avant- 15 Siehe dazu: Prof. Dr. O.Müller, «

Nel 1936 si tengono la XIX. Nationale Kunstausstellung a Berna e la sowie die «Vorläufige Antwort» von Meyer, in: Das Werk XXV, 1938, mostra Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik a Zurigo. Le S. 159-160. Zu Peter Meyer s. Katharina due in modo inconciliabile l'arte rassegne contrappongono "ufficiale" Medici-Mall, Im Durcheinandertal a quella d'avanguardia, ossia l'astrazione e il surrealismo. Gli avanguardisti der Stile. Architektur und Kunst im

sono considerati dei nichilisti stanchi della realtà e, sullo sfondo Urteil von Peter Meyer (1894-1984), Basel/Boston/Berlin, 1998. della difesa spirituale del Paese, esponenti poco "svizzeri". Il fossato 16 Zit. nach: Marco Obrist, «LesTrois fra tradizione e si rende manifesto in Hans Erni. Nel 1936 avanguardia Grâces lucernoises-Hans Erni partecipa con quadri astratti alla rassegna Zeitprobleme e dipinge un zwischen Heimatidyll und Avantgarde», affresco figurativo, nel quale inserisce, come autogiustificazione, un in: Kunst + Architektur in der Schweiz, 2004, Nr. 1, S. 29-37, hier S. 33. manifesto a difesa delle avanguardie. Nel 1946, nell'ambito dellaXXI. 17 Ebd. Nationale Kunstausstellung, gli artisti concreti ottengono una propria 18 Guido Magnaguagno, «Ein sala; nel dopoguerra, la loro fiducia nel progresso diviene rappresentativa Jahrzehnt im Widerspruch», in: Kat. Ein

dello spirito svizzero. In un mutato quadro politico, gli avanguardisti Jahrzehntim Widerspruch 1981 (wie Anm. 2), S. 58-61, hier S. 60. un tempo marginalizzati si trasformano in artisti ufficiali. 19 Hans Erni, Wo steht der Malerin der Gegenwart?, hrsg. von der Büchergilde ANMERKUNGEN vember 1936, S. 37-40, französische Gutenberg, [Luzern] 1946, S. 10. 1 Peter Meyer, «Gemäldeausstellungen», Fassung S. 40-43. 20 Ebd. in: Das Werk 8,1936, S. 229- 6 Zit. nach: Irène Meier, «Die im Spiegel der Zeitungsrezensi- in der Schweiz, hrsg. von der Allianz, 2 Zit. nach Irene Meier, «Bildende onen», in: Kat. 1936 - eine Konfrontation Vereinigung Moderner Schweizer Kunst an der Schweizerischen (wie Anm. 4), S. 33-39, hier S. 33. Künstler, Zürich [1940], S. 3. Landesausstellung Zürich 1939», in: Ein 1959 hatte Gasser die jungen informellen 22 Meyer 1938 (wie Anm. 14), S. 78. Jahrzehnt im Widerspruch. Dreissiger Jahre Schweizer Maler als «dark horses», Schweiz, Ausstellungskat. Kunsthaus «dunkle Pferde» bezeichnet (Du, August ABBILDUNGSNACHWEIS Zürich, 1981, S. 482-504, hier S. 482- 1959, S. 22). 1-3: vom Autor (2 und 3: für Max Bill, 483. 7 S. Giedion, «Zeitprobleme in der Paul Klee, Le Corbusier, Jean Arp, 3 Meyer 1936 (wie Anm. i),S. 229. Schweizer Malerei und Plastik», in: Alberto Giacometti: © 2006 ProLitteris, 4 Manuel Gasser, «Der Salon. Die Zeitprobleme in der Schweizer Malerei 8033 Zürich). -4-6: © Hans Emi, Malerei an der XIX. Nationalen und Plastik, Ausstellungskat. Kunsthaus Luzern (6: Foto: Schweizerisches Kunstausstellung in Bern», in: Weltwoche, Zürich, 1936, S. 3-8, hier S. 3. Institut für Kunstwissenschaft Zürich) 22.5.1936; Reprint in: 1936- eine 8 in: Kat.Zeitprobleme 1936 Konfrontation. DreissigerJahre Schweiz, (wie Anm. 7), S. 1-2, hier S. 1. ADRESSE DES AUTORS Ausstellungskat. Aargauer Kunsthaus 9 Meyer 1936 (wie Anm. 1), S. 240. Dr. Franz Müller, Kunsthistoriker, Aarau,1981, S.43. 10 Giedion 1936 (wie Anm. 7), S. 4-5. Schweizerisches Institut für 5 «Nachklänge zu einer 11 Meyer 1936 (wie Anm. 1), S. 233. Kunstwissenschaft, Zollikerstr. 32, Kunstkritik»»., in: Schweizer Kunst fy, No¬ 12 in der National-Zeitung, 8032 Zürich, franz. [email protected]

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