Ausgrenzung und Vereinnahmung : Auseinandersetzung um die Schweizer Avantgarde zwischen 1936 und 1946 Autor(en): Müller, Franz Objekttyp: Article Zeitschrift: Kunst + Architektur in der Schweiz = Art + architecture en Suisse = Arte + architettura in Svizzera Band (Jahr): 57 (2006) Heft 3: Klassische Avantgarde = Courants classiques de l'avant-garde = Correnti classiche dell'avanguardia PDF erstellt am: 04.10.2021 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-394339 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. 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Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch Franz Müller Ausgrenzung und Vereinnahmung Auseinandersetzung um die Schweizer Avantgarde zwischen 1936 und 1946 1936 standen sich die Repräsentanten Leistungsschau der nationalen Tradition der «offiziellen» Kunst und die Avantgardisten, Die XIX. Nationale Kunstausstellung fand vom 17. Mai bis zum das heisst die Vertreter abstrakter und 12. Juli 1936 im neuen Erweiterungsbau des Kunstmuseums surrealistischerTendenzen noch unversöhnlich sowie im ehemaligen Naturhistorischen Museum in Bern statt. Sie gegenüber. DieXIX. Nationale Kunstausstellung war Teil der «Berner Kunstwochen» mit Konzerten, Opern, Thea- und die Schau Zeitprobleme in der Schweizer teraufführungen und einer umfangreichen Hocller-Ausstellung Malerei und Plastik markierten die zwei Pole. und wurde unmissverständlich als Event von nationaler Bedeutung Sie fallen im Werk von Hans Emi auf eigentümliche inszeniert. Wenige Tage zuvor hatte Bundesrat Philipp Etter Weise zusammen. Zehn Jahre später, an der an einer Rede in der ETH Zürich den Begriff der «Geistigen XXI. Nationalen Kunstausstellung, setzten sich Landesverteidigung» propagiert: «Unsere geistige Landesverteidigung die «Konkreten» schliesslich durch und erlangten verstehe ich zunächst einmal als ruhige, gewissenhafte ihrerseits den Status von «offiziellen» Besinnung darauf, was als eigenständige schweizerische Kultur Schweizer Künstlern. oder wenigstens als Umprägung allgemeiner Kulturwerte im schweizerischen Kulturgut angesprochen werden kann.»- An dor In der Vielfalt von Kunstausstellungen in der Schweiz um 1936 Berner Vernissage unterstrich er denn auch die patriotische meinte Peter Meyer, Redaktor der Zeitschrift Das Werk und somit Aufgabe der Kunst. Fast 1000 Künstlerinnen und Künstler sandten eine entscheidende kunstkritische Instanz, eine deutliche Manifestation Werke ein, von denen die Jurys für Malerei und Grafik (Präsident der «tief'ejnj Unruhe und Ratlosigkeit unserer Zeit in Sigismund Righini) und für Bildhauerei und Architektur (Präsident Kunstdingen» zu erkennen. Neben der Ausstellung Peintres naïfs und Luc Jaggi) aus Platzgründen rund zwei Drittel zurückweisen einer Cézanne-Schau in Basel zählte er auch «repräsentative, mussten. Schliesslich konnten knapp 500 Kunstschaffende gut mehr oder weniger naturalistische Kunst in Bern» sowie 900 Arbeiten zeigen. In einer «retrospectiven Abteilung» wurden «Abstrakte und Surrealisten in Zürich» auf.1 Mit den letzten beiden 28 verstorbene Künstler geehrt, unter anderen die heutigen Stars sind die XIX. Nationale Kunstausstellung und die erste grössere der Schweizer Kunst Albert Anker, Arnold Böcklin, Frank Buchser, Präsentation der Schweizer Avantgarde, die Ausstellung Alexandre Calarne, François Diday, Otto Frölicher, Charles Gleyre, Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik gemeint. Die Ferdinand Hodler, Rodo von Niederhäusern, Giovanni Segantini, Protagonisten von 1936 empfanden diese zwei grundverschiedenen Albert Welti und Robert Zünd. Von der riesigen Zahl der übrigen Ausstellungen wohl nicht als Ausdruck von Ratlosigkeit, aber als seien hier stellvertretend bloss diejenigen aufgeführt, die im Katalog klaren Stellungsbezug antagonistischer Lager: auf der einen Seite mit einer Werkabbildung vertreten sind und als repräsentative die strikt gegenständliche «art officiel» und aul'der anderen Seite Auswahl der qualitätvolleren Teilnehmer gelten können: Fausto die unterschiedlichen Positionen ungegenständlicher und Agnelli, Cunoa^miet, Otto Baumberger, Max Birrer, Albert Chavaz, surrealistischer Kunst. In dieser polarisierenden Sicht wurden die Berner Charles Clement, Rodolphe Dunki, Hans Erich Fischer, Cornelia und die Zürcher Schau 1981 auch vom Aargauer Kunsthaus Forster-Fischer, Max Gubler, Richard Hartmann, Adrien Holy, Aarau in der Ausstellung 1936 - eine Konfrontation sowie im Herold I lowald, Martin Lauterburg, Louis de Meuron, Ernst Morgenthaler, gleichnamigen Katalog im Rahmen der AusstelTungstrilogie Dreissiger Albert Neuenschwander, Albert Schnyder, Hans Schoell- Jahre Schweiz kunsthistorisch aufgearbeitet. horn, Johann von Tscharner, Jean Vordier, Heinrich Danioth, Pierre Blanc, Ernst Gubler, Milo Martin, Hans Jakob Meyer, Peter Walter, K+A A+A 2006.3 Der Salon MaUrci an dar XIX, Nationalen Kunstausstallung In Bern M. Q. Die Beschäftigung mit den 530 In Born Entwürfen für da» Schwyzer Bundesbriefarchiv Gründe die bewogen haben, diese aufgestellten Gemälden und Wandbildern Ist keine und mögen Jury H*n» Stocker, dessen Fresken für die tristen Machwerke anzunehmen? Der Artikel 28, leichte Aufgabe. Das einfachste wäre natürlich Kirche St. Karl in Luzern zu den besten, öffentlichen nach welchem Künstler die an minderten» 10 Sa- das eine oder andere, ungewöhnliche aus der StücJ< Arbeiten der letrten Zelt gehören. Ions ausgestellt da» Recht erhalten, ein FUllo herauszunehmen, es ohne Rücksicht In hatten, aul einer dritten Gruppe möchte Ich zwölf Künstler oder zwei Werke aufzuhängen, kann hier nicht »eine Umgebung zu betrachten und eine so Reihe vereinigen, die, ohne noch die Reife der eben entschuldigend vorgeschoben werdenl unzusammenhängender Einzeleindrücke zu gewinnen. Genannten erlangt zu haben, doch eine starke Was Übrigens diesen famosen aArtikel 29» Aber der Salon mochte ein einiges Ganzes Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und darum die anbetrifft, so hat er zwei Scheussllchkolten dieses »ein, ein komplizierter und geordneter zugleich streng Salons auf dem Gewissen, die allein »eine Abschaffung Bau, ein Block. Und da es Ihm In einem Ici. meine U. W. frO I gewissen Grade diesen rechtfertigen. r - gelingt, Eindruck zu erwek oh «Niketempel» und die beiden Berner ken, so fällt dem Kritiker dio die er's Aufgabe zu, Stadtbilder von Auch Linien dieses Gebäudes Adolf Tische. grossen nachzuziehen und William Katalog, Jeden Röthlisberger profitiert, laut wichtigen Punkt mit einem Namen zu n diesem Aber kleren. Mit andern von Ausnahmeparagraphen. lei- Worten: es gilt, eine Rangliste derliess man's nicht dabei bewenden, sondern lud aufzustellen, auf welcher Bedeutung und Wert diesen Kitschfabrikanten, zusammen mit 13 aller irgend wesentlichen Aussteller vermerkt »in andern Malern (Max Gubler, P. B. Barth zum Dieso Aufgabe wird durch zwei Umstände « Beispiel!) ausdrücklich ein, «eine Gruppe von höchstens achwert, wenn nicht verunmögllcht. Vor allem el 5 Bildern» einzusenden! mal fehlt mir der Raum, um auch nur die Nam. Steck, Tièche, Züricher und Röthlisberger, ein derer anzuführen, die In Irgend einer Hinsicht an übles Kleeblatt! Es wird Indessen noch übertroffen fallen. Sodann begegnete Ich vielen Ausstelle: von einem andern, ebenfalls vierblättrigen hier zum erstenmal, das heisst: mein Urteil stutzt und dank städtischer und staatlicher Unterstützung sich lediglich auf eine oder zwei Proben ihres üppig wuchernden Unkraut: Boss, Huber, Könnens, während bei andern das Vorhandene kaum Baumberger und Giacometti. Giacometti Ist, mehr als die Funktion einer Gedächtnisstütze zu so lange man Ihm keine öffentlichen Gebäude erfüllen hat. ausliefert, bei weitem der harmloseste. Er amüsiert Ich werde mich trotzdem bemühen, nur auf dia das Publikum vom Land und inspiriert die Klel- In Bern sichtbaren Bilder einzugehen und die sterpapier- und Krawattenfabrikanten, Eduard Erinnerung an Bekanntes, früher Gesehene«, nach Boss hingegen Ist entschieden gefährlich. Der Möglichkeit zurückzudrängen. Denn dieser, nichtbernische Leser nämlich wird mit Erstaunen vorzüglich auf die Nennung von Namen sich vernehmen, dass dieser selchte «Hodler für» Volk» beschränkende Artikel, will kein Gesamtüberblick stellenweise hohes Ansehen genlesrt und In den über die Schweizer Kunst, sondern lediglich eine Museen zur Schau gestellt wird. Umgekehrt wird Einladung zum Besuch de» Salon» und eine es den Bernern kaum glaubhaft erscheinen, dass Aufforderung zu eigenem,
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