Ärzteblatt Sachsen 08/2014
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Medizingeschichte Die Oper Arabella zurückziehen. Die neue Leitung der Komponisten. Im Jahre 1927, die und die Medizin Semperoper beharrte jedoch auf Ver- Partitur der „Ägyptischen Helena“ tragserfüllung. So suchte man nach war fast abgeschlossen, schrieb Eine Würdigung des Komponis- einem profilierten Strauß-Interpreten Richard Strauß an Hofmannsthal: ten Richard Strauß (1864 – 1949) und fand ihn in Clemens Krauss „Aber jetzt hab ich nichts mehr zum zu seinem 150. Geburtstag (1893 – 1954), von dem die Zeitun- arbeiten: total abgebrannt! Also gen die eigentlichen Gründe seines bitte: dichten Sie! Es darf sogar ein Der Juni 1933 neigte sich seinem Gastdirigates vernebelnd schrieben, zweiter Rosenkavalier sein ...“ Und Ende zu. Das musikalische Dresden er sei als namhafter Strauß-Dirigent der Dichter erfand ihm eine fein befand sich im Ausnahmezustand. und als geborener Wiener in jeder gesponnene Vorlage für das nächste Nicht nur deshalb, weil eine Bande Beziehung auf das Werk eingestellt, Werk, in dem Arabella, die Tochter von SA-Leuten Fritz Busch (1890 – das im Wien der zweiten Hälfte des eines verschuldeten Spielers, auf 1951) den Generalmusikdirektor der 19. Jahrhunderts spielt. eine gute Partie wartet, während Semperoper wegen seiner Juden- Zdenka das andere Kind, weil nicht freundlichkeit im März des Jahres Auch die Arabella gelang es mit Vio- standesgemäß ausstattbar, in Män- ausgepfiffen und zum Rücktritt ver- rica Ursuleac (1894 – 1985), der Ehe- nerkleider gesteckt wird. anlasst hatte, sondern vor allem weil frau des Dirigenten, glänzend zu die neueste Schöpfung des berühm- besetzen. Richard Strauß, der am Beide bekommen nach mancherlei ten Komponisten Richard Strauß, die 11. Juni 1933 gerade seinen 69. Verwicklungen den rechten Mann. Oper Arabella, nun doch am 1. Juli Geburtstag gefeiert hatte, war selbst Der vorläufige Text des ersten Aktes in Dresden uraufgeführt werden bei allen Proben anwesend. Das Kal- lag dem Komponisten am 2. Mai sollte. Der Komponist hatte sie dem kül der neuen Herren schien aufzu- 1928 vor. Wie gewohnt begann Dirigenten Fritz Busch und dem gehen, zumal Kartenwünsche der Strauß schon bald mit der Arbeit, die Generalintendanten der Dresdener „ersten Musikkreise“ aus allen Teilen von einem ständigen kritischen Dia- Staatstheater, Alfred Reucker (1868 Deutschlands, Englands und Ameri- log mit seinem Textdichter begleitet – 1958), gewidmet und wollte sein kas, von Journalisten vieler Länder war. Nachdem ihm Hofmannsthal Werk nach beider Ablösung zunächst sowie des diplomatischen Korps ein- eine zweite Textfassung zugeschickt trafen. So versammelte sich die hatte, entstand eine hoch differen- gesamte politische Führung mit dem zierte, melodienreiche Partitur, die Gauleiter Mutschmann (1879 – besonders die großen Sängerinnen 1947) an der Spitze zur Urauffüh- liebten. Denn sein Frauenbild hatte rung in dem „mit den Reichsfarben sich verändert. Waren seine frühen und dem Hakenkreuz geschmückten Opern von leidenschaftlich ungebän- Semperhause.“ digten Kindfrauen bevölkert, die in manchen Aspekten seiner bizarren Was die Herren dann hörten und Ehefrau Pauline (1862 – 1950) nach- sahen, dürfte weniger nach ihrem gebildet waren, gelang es ihm jetzt, Geschmack gewesen sein. War dies reife in sich selbst ruhende Charak- doch keine Hymne auf die neue Zeit, tere von großer weiblicher Ausstrah- sondern der wehmütige Schwanen- lungskraft zu schaffen. gesang der alten, „abgelebten“, im Weltkrieg versunkenen 1000-jähri- Es heißt, dieser Wandel sei dem gen Kultur Europas und die letzte wohltätigen Einfluss Alices (1904 – gemeinsame Schöpfung von Richard 1991), der jüdischen Ehefrau seines Strauß und Hugo von Hofmannsthal einzigen Sohnes, zu verdanken. Viel- (1874 – 1929), des österreichischen leicht erinnerte sich der Komponist Aristokraten mit jüdischen Wurzeln. aber auch seiner ersten Geliebten, der in Dresden als Klavierlehrerin Die Zusammenarbeit der beiden lebenden Dora Wihan/Weis (1860 – reichte bis in das Jahr 1907 zurück, 1938). Im Oktober 1930, so ist der als Strauß die Elektra Hofmannsthals Richard-Strauß-Chronik zu entneh- vertonte, und erreichte bei der Ent- men, musste er die Arbeit an der stehung des Rosenkavaliers ihren Oper jedoch kurz unterbrechen, da ersten Höhepunkt, zu dem Strauß er gezwungen war, sich in die Musik und Hofmannsthal das Frankfurt/M. einer operativen Kor- kongeniale Libretto geschrieben rektur der Nasenscheidewand zu hatte. Fortan verfasste der „feine unterziehen. Den Eingriff führte, wie Richard Strauß in jüngeren Jahren Dichtersmann“ die literarischen Vor- Prof. Hans Leicher (1898 – 1989) © mit freundlicher Genehmigung Semperoper Dresden lagen für die Opern des großen berichtet, sein Lehrer Prof. Gustav 342 Ärzteblatt Sachsen 8 / 2014 Medizingeschichte Spieß (1862 – 1948) durch, dem sich mehrfach, wobei beide auch dem Strauß schon einmal im Jahre 1925 Skatspiel frönten. Professor Hans Lei- zu einer Operation der Nasenpoly- cher, der erfolgreichste Schüler von pen anvertraut hatte. Richard Strauß Gustav Spieß und spätere Mainzer war persönlich gut mit ihm bekannt. Ordinarius, berichtete im Rahmen Es handelte sich bei dem Operateur einer Publikation, die er im hohen um eine jener auch heute noch Alter veröffentlichte, dass er die der beeindruckenden Kliniker-Persönlich- Operation vorangehende Lokalanäs- keiten. thesie eingeleitet habe. In seinem Bericht heißt es, er habe dem Kom- Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ponisten zunächst eine Tablette hatte er eine HNO-Klinik in seiner Medinal (Natriumdiäthylbarbituricum Heimatstadt Frankfurt eröffnet, die 0,5) zur Sedierung verabreicht und 1914 bei der Gründung der Frankfur- danach einen mit 2%iger „Cocainlö- ter Universität in die medizinische sung“ getränkten Wattebausch in Fakultät integriert wurde. Der dabei die Nase eingelegt, der mehrere zum Ordinarius aufgestiegene Arzt Minuten liegen blieb. Darauf erfolgte wurde von den berühmtesten Musi- die doppelseitige Infiltrationsanäs- kern und Künstlern aufgesucht, thesie mit einer 1%igen Novocainlö- welche nicht nur die legendäre Ge sung mit Adrenalinzusatz. Dabei inji- schicklichkeit des Meisteroperateurs, zierte er die Substanz mittels einer sondern auch seine hohe Bildung speziell abgeschliffenen Kanüle nicht und seine musischen Interessen in die Schleimhaut, sondern unter schätzten. diese, also zwischen Schleimhaut und Perichondrium bzw. Schleim- Im Jahre 1903 konsultierte ihn Kaiser haut und Periost, bis sich diese Wilhelm II. (1859 – 1941), der fürch- abhob. Diese Form der Anästhesie tete, wie sein Vater am Kehlkopf- hielt Professor Spieß, der die Technik krebs erkrankt zu sein. Es fanden entwickelt hatte und die anschlie- sich zu seiner Beruhigung jedoch ßende Septumkorrektur durchführte, Viorica Ursuleac als Arabella im Ballkleid „nur Kehlkopfpolypen“, die Spieß zu bereits für „die halbe Operation“. © mit freundlicher Genehmigung Semperoper Dresden seiner vollsten Zufriedenheit operie- Strauß habe, so berichtete Leicher, ren konnte. Vielleicht kannte Richard selbst als Knochenteile abgemeißelt und aufgeregt gemacht und ihn stär- Strauß ihn schon seit dieser Zeit, wurden, keine Miene verzogen. ker angeregt habe, als es ein guter denn er diente dem Kaiser zwanzig Nach dem Eingriff wurden lockere Kaffee vermocht hätte. Das Betäu- Jahre als Kapellmeister und verstand Tamponaden eingelegt. Über den bungsmittel habe ihn dazu inspiriert, sich gut mit ihm, obwohl der Mo unmittelbaren Zeitraum nach der den zwei Liebesarien seiner Oper narch keinen Zugang zur Musik des Operation existiert eine auch in der Arabella die endgültige Form zu inzwischen zum Generalmusikdirek- Laienpresse verbreitete Anekdote, geben, und dafür mache er ihn, so tor ernannten Komponisten hatte. die an dieser Stelle nach Prof. Lei- habe Strauß mit wohlmeinender Iro- Als der Professor, der sich wissen- chers Erinnerung wiedergegeben nie hinzugefügt, vor der Nachwelt schaftlich mit der Heilanästhesie werden soll. Danach habe er zwei verantwortlich. beschäftigte, Strauß operierte, war Stunden später nach dem Patienten Es handelte sich dabei um zwei er schon emeritiert, befand sich aber sehen wollen und sei ins Kranken- Duette, von denen Hofmannsthal nicht am Ende seiner beruflichen zimmer eingetreten, wobei er zu sei- das erste mit den Worten beginnen Laufbahn, denn er arbeitete bis zu nem Erstaunen sowohl den Fußbo- lässt „Aber der Richtige, wenn´s seinem 80. Lebensjahr in einer eige- den als auch die Bettdecke mit frisch einen gibt auf dieser Welt“ und das nen Praxis und in der Frankfurter beschriebenen Notenblättern be andere mit dem Bekenntnis „Du Noorden Klinik, einer von dem deckt vorgefunden habe. wirst mein Gebieter sein.“ Der junge bedeutenden Diabetologen Carl von Oberarzt nahm an, dass die künstli- Noorden (1858 – 1944) geleiteten Der Komponist habe mit angezoge- che Munterkeit des Komponisten Privatklinik. Nach ihrer Zerstörung im nen Knien vor seinen Notenblättern durch das Kokain verursacht worden Jahre 1944 richtete er sich Behelfs- gesessen, in die er fleißig Noten ein- war, womit man die Wattebäusche räume in seinem Sommerhaus in trug, wobei er sein Fieberblatt als getränkt hatte. Cronberg bei Frankfurt/M. ein und Unterlage benutzt habe. Auf die Dieser Droge werden in niedriger war dort noch weitere fünf Jahre erstaunte Nachfrage des Arztes, Dosierung nicht nur euphorisierende, operativ tätig. Hier und in seinem warum er denn nicht ruhe, habe sondern auch erotisierende Wirkun- Privathaus besuchte ihn Richard Strauß geantwortet, dass ihn das gen nachgesagt. Dr. Hans Leicher, Strauß in den Jahren