Quelle : NZZ vom 19.04.16

Gross- vollführt Sparpirouetten

Gemeindefusion verursacht höhere Kosten

Nach der letzten Fusion ging Lugano daran, seine Finanzen zu sanieren. Kurios wirken Massnahmen wie die Erhöhung der Wassertarife oder die Schliessung öffentlicher WC.

PETER JANKOVSKY, LUGANO

Lugano - das ist die grösste Stadt und der wichtigste Wirtschaftsmotor des Tessins. Aber nicht nur die ökonomische Dynamik erweist sich als stark, sondern auch jene der Gemeindefusionen. Im Jahr 2004 fand der erste grössere Zusammenschluss mit Anrainergemeinden statt, der Luganos Einwohnerzahl von etwa 28 000 auf 50 600 schnellen liess. Der zweite Paukenschlag erfolgte am 1. April 2013. Die Verschmelzung mit Gemeinden, die nördlich von Lugano überwiegend in den Bergen liegen (, Cadro, , , und ), liess Gross-Lugano auf 68 700 Einwohner anwachsen - und flächenmässig mauserte sich die Stadt zur nunmehr viertgrössten der Schweiz.

Ein solcher Quantensprung kostet. Der Kanton habe 32 Millionen Franken beigesteuert, und die Stadt müsse etwa 5 Millionen jährlich aufwenden, um alle Infrastrukturen aufrechtzuerhalten, sagt Luganos Finanzchef Michele Foletti. Er gönnt sich gerade eine Rauchpause vor dem Restaurant «Olimpia», das seine Räumlichkeiten im Stadthaus hat. Der Lega-Mann erklärt weiter: Die Steuereinnahmen reichten nicht, zumal der Zustrom aus dem kantonalen Finanzausgleich beinahe um 20 Millionen geringer ausfalle als damals für die ehemaligen Gemeinden. Dazu kämen die massiven steuerlichen Mindereinnahmen des seit Jahren gebeutelten Luganer Finanzplatzes.

Defizit deutlich geschrumpft

Die Rechnung 2013 - in jenem Jahr hatte Foletti sein Amt angetreten - musste er mit einem Minus von 34 Millionen Franken abschliessen. Für 2014 sah er ein Loch von 55 Millionen voraus; daher erachtete Foletti die Anhebung des Steuerfusses von 70 auf 80 Prozent als unumgänglich. Zudem befürchtete er, dass ohne massive Ausgabenbremse Luganos Finanzen gegen Ende 2016 ausser Kontrolle gerieten.

Also hoben die Stadtoberen mit dem Plazet des Parlaments die Steuern an, traten auf die Ausgabenbremse - und zur allgemeinen Überraschung ist das Finanzloch für das Jahr 2015 auf bescheidene 70 000 Franken geschrumpft. Wie erklärt sich das? Die im April 2013 gewählte Stadtregierung unter dem neuen Lega-Sindaco Marco Borradori raufte sich zusammen und begann, den 2010 aufgestellten Sparplan umzusetzen. Zurzeit trifft man Borradori besonders häufig im neuen Kulturzentrum LAC an. Belastete dieses 300-Millionen-Projekt, zu dem Lugano 220 Millionen beisteuerte, die städtischen Kassen merklich? Die LAC-Verwaltungseinheiten sollen ab 2017 autonom funktionieren und Einsparungen bringen, so dass Borradori auf etwas ganz anderes verweist: Stark zu Buche schlügen Unterhalt und Sanierung der vielen Strassen, die seit der Fusion dazugekommen seien - sowie auch die maroden Wasserleitungen. Zudem habe sich die zusammengelegte Verwaltung unbotmässig aufgebläht.

In mancher Hinsicht vollführt Gross-Lugano kuriose Sparpirouetten. Jüngstes Beispiel ist die Anhebung der Wassertarife, die Anfang Jahr beschlossen wurde. Das Trinkwasser soll sich um 10 Rappen auf 1 Franken 20 pro Kubikmeter verteuern, und der Preis für eine Standard-Wasserlieferung auf Baustellen verdoppelt sich auf 100 Franken. Laut Foletti sind seit der Fusion etliche Kilometer an veralteten Wasserleitungen besonders in höher gelegenen Quartieren dazugekommen. Weil dort nur wenige Personen leben, war über die alten Tarife kein Ausgleich möglich. Ein Imageschaden drohte

Nun erinnert man sich vielleicht beim Stichwort Wasser an eine Massnahme, die Anfang 2014 für hämische Medienkommentare und Irritation im Stadtparlament sorgte: Man schloss in Aussenquartieren die Hälfte der rund 60 öffentlichen Toiletten. Denn dort lockten die Loci nur drei oder vier Benutzer im Monat an, was die jährlichen Unterhaltskosten von 10 000 Franken pro Toilettenanlage nicht mehr rechtfertigte. So sparte die Stadt 300 000 Franken ein. Um einen Imageschaden bei den Touristen zu vermeiden, sah die Exekutive aber nach einiger Zeit davon ab, die einschlägigen Einrichtungen am See-Wanderweg Castagnola- und auf dem Aussichtspunkt Monte Brè geschlossen zu lassen. Zumal die Anlagen stärker gefragt waren, als die Stadtoberen ursprünglich vermuteten.

Finanzchef Foletti stellt klar: Die Stadt habe Ende 2013 die WC-Unterhaltsverträge mit Privatfirmen gekündigt und günstigere ausgehandelt. Dies mit der Absicht, rund 25 der geschlossenen Toiletten wieder dem öffentlichen Gebrauch zuzuführen, was inzwischen geschehen sei. In einigen Fällen habe man sich mit Quartierbewohnern darauf geeinigt, dass diese dank einem städtischen Zustupf die Loci selber reinigten.

Foletti drückt seine Zigarette aus und muss ins Büro zurück. Welche Sparmassnahmen werden folgen? Der Herr der Zahlen weist auf die Bars rund um die Piazza, an welcher das Stadthaus steht: Deren Besitzer müssen neue Gebühren entrichten (siehe Zusatz).