Zeitspiegel Juni
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Folge 27 • Juni 2020 Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Liezen Von David Gaigg Die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges sind im Ennstal nicht spurlos vorübergegangen, so auch nicht in Liezen. Kurz vor dem Ende demonstrierten die Nationalsozialisten noch ihre Grausamkeit mittels Todes- märschen ungarischer Juden, welche durch viele Orte des Bezirks geführt wurden. Das Ziel war die endgültige Vernichtung der Juden in Mauthausen. Furchtbare Szenen ereigneten sich, als einer dieser Märsche Liezen durchquerte. Obwohl die Vorboten des Zusammenbruchs längst klar waren, wurde auch in Liezen ein letztes Aufgebot mobilisiert, welches aber aufgrund der guten Wirtshauskultur des Ortes, den Zug verpasst hatte. Am 8. Mai wurde das offizielle Ende verkündet und es begann die Besatzungszeit. Dabei wurde die Enns Zo- nengrenze und der Übergang auf der Röthelbrücke in Liezen zum Schauplatz des Treffens der Siegermächte USA und UdSSR. Judenmärsche durch gehen konnte, wurde an Ort den Präbichl marschierten. höhe Gaberl, 1.547 m), die Steiermark und Stelle erschossen und Die Route des „Gaberl- Weißkirchen, Judenburg, transports“ führte auch Die ungarischen Juden wur- notdürftig verscharrt. Für Fohnsdorf, St. Johann am durch den Raum Liezen den am 1. April 1945 unter die Bewachung waren zu- Tauern, über den Rotten- und durch den Ort selbst. der Aufsicht der SS, der Ge- sätzlich zur SS Mitglieder manner Tauern (Passhöhe stapo und des Volkssturms der Hitlerjugend und des Ein Transport mit etwa Hohentauern 1.274 m) und über Gleisdorf nach Graz Volkssturmes anwesend. 1.000 – 1.200 Personen ver- Trieben nach Liezen getrie- getrieben. Nahrung gab es Die Routen variierten und ließ am 7. April 1945 Graz ben wurde. Von Liezen in 17 Tagen nur viermal, ge- so kam es, dass ein Teil der Liebenau in Richtung Voits- wurde die Route über den schlafen wurde auf Feldern Häftlinge über das Gaberl berg, von wo er über Köf - Pyhrnpass, Windischgars- und wer nicht mehr weiter- und der andere Teil über lach, die Stubalpe (Pass- ten, St. Pankraz, Steyrling, © United States Holocaust Memorial Museum | Arnold E. Samuelson © United States Holocaust Memorial Museum | Beginn der Besatzungszeit: Amerikaner nahe der Röthelbrücke. Der amerikanischen Truppe zugeteilt war der berühmte Kriegsfotograf Arnold E. Samuelson (1917 – 2002), dem wir viele der damals noch sehr seltenen Farbfotos vom Kriegsende in Liezen verdanken. Foto: Margarete Aigner Foto: Margarete Abgedruckt in: Josef Hasitschka, Chronik von Hieflau (2014), S. 292. Foto: Chrysant Grossmann, Hieflau, unter Lebensgefahr heimlich aufgenommen. So wurden die Juden durch die Ortschaften getrieben. Hier ein Das Einfahren der aus Oberösterreich gekommenen amerikani- aus einer Dachluke aufgenommenes Bild in Hieflau. schen Panzer lockte viele Schaulustige an. Klaus und Kirchdorf fort- Gendarmen und auch Mit- machte man sich einige Zeit Schulrätin Aigner schreibt gesetzt, um über das glieder der Hitlerjugend an später auf den Weg nach davon in ihrem Tagebuch: Kremstal nach Steyr zu ge- und bekamen sofort den Selzthal, doch beim Hotel „Alles schaute und schaute. langen. Dort vereinigte man Befehl, jeden marschunfä- Post wurde man wieder ein- Und vor lauter Schauen sich mit dem „Präbichltran- higen Juden zu erschießen. geladen und bei zwei wei- hätten bald alle nicht wahr- sport“ und marschierte ge- Nur selten passierte es, dass teren Wirtshäusern ebenso. genommen, dass die Panzer meinsam nach Mauthausen. sich jemand den Befehlen Kurz vor Selzthal kehrten und Wagen, die alle in Rich- der ausführenden SS wider- Gegen Abend des 13. April sie noch zweimal ein. Als tung Selzthal gefahren wa- setzte, was zeigt, dass das kam der Marsch laut Schul- sie am Bahnhof ankamen, ren, wieder zurück in den NS-Regime bis zuletzt rätin Margarete Aigner in war der Zug schon längst Pirn [sic!] fuhren.“ funktionierte. Liezen an: abgefahren und das „Auf- Am Abend desselben Ta- Geplanter letzter gebot“ machte sich wieder „Durchmarsch von unge- ges, nachdem alle Panzer Widerstand in Liezen auf den Heimweg nach Lie- fähr 1.000 Juden. Matt, ge- zen. Zum Glück wurde wieder verschwunden wa- beugt, die Füße mit Fetzen Ein Beispiel, wie die gut diese durchwegs brisante ren, kannten sich die Be- umwunden, schlichen sie funktionierende Wirtshaus- Tat nie geahndet. wohner Liezens nicht mehr dahin, Reihe um Reihe: das kultur in Liezen wahr- aus. Gerüchte machten die wallende Elend, die stumme scheinlich das Leben eini- Die Amerikaner Runde, dass das Ennstal Anklage! […] Auf einer ger Männer bewahrte, be- kommen nun zum Kriegsschauplatz Wiese bei Rötl [sic!] hatten zeugt diese Begebenheit: Nachdem am 6. Mai schon werden würde oder, die die Juden übernachtet. Vor Steiermark würde Auf- Einige Männer aus Liezen das Gerücht die Runde ge- Hunger hatten sie Gras und marschgebiet gegen Osten bekamen Ende April die macht hatte, dass am nächs- Schnecken gegessen. Ein werden und dergleichen Aufforderung, sich am ten Tag ein Waffenstillstand Mann wollte ihnen Brot ge- mehr. Als dann am Abend Bahnhof Selzthal zu ver- eintreten würde, gab der Te- ben, er wurde von der Wa- der Londoner Sender mit- sammeln und einen ins Bur- legraph der Bahn mehrmals che mit dem Erschießen be- teilte, dass Deutschland die genland fahrenden Zug zu Weisungen durch, den bald droht.“ totale Kapitulation angebo- besteigen. Dort sollten sie ankommenden Alliierten ten hätte, beruhigten sich Bei einem Heustadel in der die vorrückende Rote Ar- keinen Widerstand zu leis- die Gemüter wieder ein we- Nähe der Röthelbrücke, wo mee aufhalten. Diese Män- ten. Um Punkt 13:45 Uhr nig. sich das Nachtlager befand, ner waren teilweise schon dieses 7. Mai kamen die gab es auch Verpflegung. über 50 Jahre alt und wuss- Amerikaner dann über den Das Wetter für den kom- Ein Jude, der sich nächtens ten, dass sie kaum eine Pyhrnpass nach Liezen. Sie menden 8. Mai konnte vom Lager entfernen Chance hatten, lebend aus fuhren einige kleine Panzer kaum besser für das Ende wollte, wurde sofort er- diesem Kampf herauszu- und zahlreiche Jeeps. Das des Zweiten Weltkrieges schossen und verscharrt. kommen. Deshalb be- war ein veritables Schau- passen, es war ein sonniger Der Todesmarsch setzte da- schlossen sie, sich beim spiel und jeder, der nur ir- Frühlingstag. Man konnte nach die Route über den Gasthaus Lasser einzufin- gendwie Gelegenheit hatte, allerorts den völligen Zu- Pyhrnpass fort. Dort schlos- den und sich ein wenig Mut schaute dem regen Treiben sammenbruch der Deut- sen sich ortsangehörige anzutrinken. Guter Dinge zu. schen Wehrmacht sehen: Fotos: Margarete Aigner Fotos: Margarete Kinder, die mit Kriegsmaterial spielten. Dabei passierten häufig schwere Unfälle. Ein Schüler fand später bei der Explosion einer Handgranate sogar den Tod. Selbst querfeldein fuhren Wie Zeitzeugen berichteten, standen, war das natürlich das rechte Ennsufer den Massen an Fahrzeugen, waren besonders Werkzeug, ein Anziehungspunkt für Russen und das linke den weil die Straßen restlos Stahlhelme Decken und spielende Kinder. Unter den Amerikanern zugeteilt war. überfüllt waren. Dabei lie- Gewehre beliebt. Die Sachen lagen aber auch Die Russen erreichten am ßen die Soldaten alles zu- Gründe dafür waren plau- noch geladene Waffen und 10. Mai 1945 die Röthel- rück, was ihr schnelles Vo- sibel: Werkzeug konnte gefährliche Gegenstände brücke, welche ein wichti- rankommen gehindert man immer gebrauchen, in herum. So kam es mitunter ger Verbindungspunkt zwi- hätte: Feldküchen, Ge- Stahlhelme hat man Löcher zu schweren Unfällen. schen Liezen und Selzthal wehre, Stahlhelme, Gas- hineingebohrt und sie als ist. Die nahegelegene Über- Die Enns als masken, sowie Werkzeuge Sieb benutzt. Auch Ge- führerbrücke und die Eisen- Demarkationslinie und Decken. Später würden wehre, die nicht mehr funk- bahnbrücke wurden eben- und das Eintreffen die Amerikaner sämtliche tionstüchtig waren, hatten falls von den Russen ge- der Russen Munition und Waffen ins großen Nutzen: Der Leder- sperrt. Allerdings war die Wörschacher Moor bringen riemen diente als Gürtel Die Enns war von Stainach Existenz von kleineren und dort sprengen. Am und der Schaft wurde zu weg bis zur Mündung in die Ennsbrücken, den soge- Nachmittag desselben Ta- Brennholz. Da besonders Donau die Besatzungs- nannten „Wirtschaftsbrü- ges hörten die Liezener ei- ausrangierte Panzer noch grenze zwischen Amerika- cken“, einem Auswärtigen nen Radioaufruf, dass die längere Zeit auf den Wiesen nern und Sowjets, wobei kaum bekannt. Amerikaner stündlich kommen würden und So kam es, dass diese dass alle Bewohner Brücken in den Karten in ihren Häusern der Besatzungs- verweilen sollten, mächte nicht einge- damit die Beset- zeichnet waren. zung widerstandslos Solche wären erfolgen könne. Da- etwa die Fischin- mit kamen die Alli- gerbrücke, die ierten am 8. Mai Weißenbacher-, zum zweiten Mal oder die Zwirt- nach Liezen. nerbrücke. Diese Brücken wurden, Gefährlicher wenn überhaupt, Spielplatz erst einige Tage Auf den Wiesen im Reith- später bewacht tal war sehr viel Kriegs- und machten den material zu finden und deutschen Wehr- viele Liezener machten sich machtsangehöri- mit Rucksäcken auf den gen sowie Zivilisten Weg, um brauchbare Dinge Vorläufige Aufteilung der Steiermark in fünf Besatzungszonen den Weg in die Heimat mit nach Hause zu nehmen. (Gültig von 9. Mai bis 24. Juli 1945) frei. .com .jostdruck www Nach der Öffnung der Röthelbrücke brachen jugoslawische Fremdarbeiter und ehemalige Kriegsgefangene in ihre Heimat auf. Schauplatz Röthelbrücke Es ist von hunderten Men- men hat. Da aber nie so Sichtweite der Röthelbrü-