Kulturanalyse Und Kulturarbeit. Volkskunde an Den Akademien Der
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Kulturanalyse und Kulturarbeit. Volkskunde an den Akademien der Wissenschaften der DDR und der ČSSR nach 1972 Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor philosophiae (Dr. phil.) vorgelegt am Institut für Geschichtswissenschaften Philosophische Fakultät I Humboldt-Universität zu Berlin von Blanka Koffer Dekan: Prof. Michael Seadle, PhD Erstgutachter: Prof. Dr. Gerd Dietrich Zweitgutachter: Prof. Dr. Chris Hann Tag der Disputation: 3.12.2014 Inhalt 1. Einleitung 3 1.1. Fragen 4 1.2. Quellen 14 1.3. Methoden 19 1.4. Gliederung 23 2. Volkskunde als Teil der Gesellschaftswissenschaften 25 2.1. Zwischen Wissenschafts- und Kulturpolitik 25 2.2. Exponiert: Die Akademie der Wissenschaften 49 2.3. Aneignungen des Marxismus-Leninismus 59 2.4. Legitimation vs. Reflexion 70 3. Volkskunde als Kulturanalyse 74 3.1. Leitbegriffe 75 3.2. Profilierung zwischen Inter- und Multidisziplinarität 96 3.3. Internationale Beziehungen 103 3.4. Globale Trends vs. lokale Entwicklungen 119 4. Volkskunde als Kulturarbeit 125 4.1. Erfindung staatssozialistischer Traditionen 126 4.2. Staatlich geförderte Freizeitgestaltung 129 4.3. Diplomatischer Dienst 137 4.4. Wissenspopularisierung vs. Politikvermittlung 146 5. Volkskunde als soziale Praxis 151 5.1. Zugänge 151 5.2. Planung 166 5.3. Ausführung 173 5.4. Zentrum vs. Peripherie 182 6. Zusammenfassung 185 6.1. Sowjetisierung 186 6.2. Interessen und Ressourcen 190 6.3. Fachgeschichte vs. Wissenschaftsgeschichte 193 7. Anhang 197 Abkürzungen 197 Tabellen 199 Interviews 200 Interviewleitfaden 201 Quellenverzeichnis 203 Sekundärliteratur 209 3 1. Einleitung "Was ist Kommunismus? Es gibt zu viele verschiedene Theorien darüber, zu viele verschiedene Praktiken, die sich alle kommunistisch nennen. Auf jeden Fall halte ich es für fahrlässig, wenn man voneinander völlig verschiedene Entwicklungsstufen in voneinander gänzlich verschiedenen osteuropäischen Ländern unter dem Sammelbegriff Kommunismus auf einen Nenner zu bringen versucht."1 Der Schriftsteller Uwe Johnson plädierte zu Beginn der 1960er Jahre für eine differenzierte Betrachtung eines der großen politischen Projekte der Moderne. Sowohl die Ergebnisse der zeitgenössischen Kommunismusforschung als auch jüngere Studien zur Geschichte des Kalten Krieges belegen die ungebrochene Aktualität dieser Ansicht. Länderübergreifende komparative Arbeiten werden zwar oft eingefordert, sind bis heute aber immer noch selten.2 Es überwiegt der Blick auf Entwicklungen innerhalb nationaler Grenzen. Der in den deutschsprachigen Geschichtswissenschaften der 1990er Jahre beliebte diachrone Diktaturenvergleich von (deutschem) Staatssozialismus und Nationalsozialismus ist nicht nur mit der vorzüglichen Quellenlage zu erklären,3 sondern auch mit den nach 1990 einsetzenden Auseinandersetzungen über eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur. Inzwischen werden auch Arbeiten zur Beziehungsgeschichte der beiden deutschen Staaten vorgelegt.4 Bedingt durch die für Akten aus westdeutschen Behörden geltende Archivsperre von dreißig Jahren beschränkt sich der Untersuchungszeitraum dabei hauptsächlich auf die Jahre zwischen 1949 und 1972. Wenig erforscht ist allerdings die Frage der Beziehungen der DDR zu ihren Partnern im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) unter Leitung oder Umgehung des Seniorpartners Sowjetunion.5 In Tschechien ist ebenfalls bei Beibehaltung des nationalen Bezugsrahmens eine Hinwendung zu einer mehr alltagsgeschichtlich orientierten Perspektive festzustellen. Die Methode der Oral History wird gerade bezogen auf den Untersuchungszeitraum der 1970er und 1980er Jahre gern gewählt. Dabei stellen häufig ausschließlich Interviews mit Zeitzeugen 1 Zitiert nach Glaser 2007: 175. 2 Eine außerhalb der deutschsprachigen Diskussionen um Transfer und Vergleich entstandene Ausnahme ist Connelly 2000. 3 Schmiechen-Ackermann 2002. 4 Beispielhaft: Balbier 2007. Programmatisch bereits Kleßmann 1993. Vgl. dazu Heydemann 2007. 5 Řezník/Rosenbaum 2012; Boyer 2005. Als deutschsprachige Monographie bislang nur Zimmermann 2005. 4 das empirische Material für Darstellungen historischer Prozesse dar.6 Die insgesamt sehr gute Quellenlage, auch im Hinblick auf die generelle Zugänglichkeit der bis 1990 entstandenen Dokumente, bleibt für diese beiden Jahrzehnte noch weitgehend ungenutzt.7 1.1. Fragen In der vorliegenden Arbeit wird der Wandel des Arbeitsalltags in einer wissenschaftlichen Institution unter den Bedingungen des Staatssozialismus der 1970er und 1980er Jahre analysiert. Herausgearbeitet werden die spezifischen Handlungsspielräume der Akteure und das Verständnis von wissenschaftlicher Arbeit im Untersuchungszeitraum. Mit dem vergleichenden Ansatz wird der nationalgeschichtlich verengte Blick verlassen, der eine Unterscheidung von übergreifenden und lokal begrenzten Phänomene der Sowjetisierung verhindert. Zusätzlich ermöglichen die hier vorgelegten Ergebnisse weiterführende Vergleiche unterschiedlicher Arbeitswelten im Staatssozialismus und weiter gefasst in der Zeit des Kalten Krieges. Zu Beginn der 1970er Jahre dominierte in der DDR und in der ČSSR gleichermaßen Aufbruchsstimmung seitens der konservativ eingestellten Akteure: Den Reformbestrebungen der 1960er Jahre war eine deutliche Absage erteilt,8 das Prinzip des politischen Primats erfolgreich restauriert worden: Die Führungsposition der Partei wurde nunmehr auch explizit definiert, Leitungspositionen wurden durch Parteimitglieder besetzt. Hinzu kam die je nach Bedeutung des Autors oder des Publikationsortes in wissenschaftlichen Publikationen mehr oder weniger ausführlich zu erfolgende Bezugnahme auf Schriften von Marx, Engels und Lenin gemäß der jeweils aktuellen Diktion der Partei sowie einschlägige Äußerungen der amtierenden Generalsekretäre. Im Bereich der Wissenschaften war diese Politisierung in der DDR an den Hochschul- und Akademiereformen von 1968/69 sowie in der ČSSR an den Maßnahmen zur "Konsolidierung der politischen Situation an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften" von 1969/70 zu erkennen.9 6 Etwa Otáhal 2009. Zu Vorgehensweise und Diskussionen der tschechischen Oral History-Forschung siehe Vaněk/Mücke/Pelikánová 2007; Vaněk 2006. 7 Kolář 2006; Otáhal 2002. 8 Aus wirtschaftshistorischer Perspektive: Boyer 2006. 9 Míšková/Barvíková/Šmidák 1998: 115-116; Laitko 1997. 5 Die Akademiereform setzte in der DDR einen Schlusspunkt hinter eine Entwicklung, die von gravierenden Interessensgegensätzen zwischen der Partei und Wissenschaftlern geprägt war.10 Aus Sicht der Volkskundler an der Akademie der Wissenschaften (AdW) ist das Jahr 1969 hervorzuheben, da in diesem Jahr die institutionelle Zuordnung der Volkskundler zu den Historikern wirksam wurde. Das vormals eigenständige Institut für deutsche Volkskunde wurde umbenannt in "Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte/Volkskunde" (WB) und dem neuen Zentralinstitut für Geschichte im Forschungsbereich Gesellschaftswissenschaften untergeordnet. Zusätzlich wurde am WB eine neue Forschungsabteilung für Kulturgeschichte mit neuen Mitarbeitern eingerichtet. Als neuer Leiter wurde ein bis dahin den Volkskundlern unbekannter Politikhistoriker eingesetzt: Bernhard Weißel. Es sollte allerdings noch bis Ende 1972 dauern, bis die neue Institution konsolidiert war.11 Die Entwicklung am Institut für Ethnographie und Folkloristik (Ústav pro etnografii a folkloristiku, ÚEF) der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften verlief bei Beibehaltung der institutionellen Autonomie ebenfalls sehr turbulent, wenngleich sich die thematische und personelle Umstrukturierung der Forschungsgruppen hier in einem völlig anders gearteten Kontext vollzog. Den Beginn einer neuen Ära am Institut markiert wie im Fall der DDR- Akademievolkskunde das Jahr 1972. Die abschließende Zäsur meiner Arbeit bildet das Jahr 1990. Hermann Strobach, seit 1979 amtierender Leiter des WB, wurde im Februar 1990 von Evemarie Badstübner-Peters abgelöst. Im gleichen Monat übernahm in Prag Stanislav Brouček die Institutsleitung. Damit endete die achtzehnjährige Amtszeit Antonín Robeks. Strobach beendete seine Berufslaufbahn planmäßig aus Altersgründen, Robek musste seinen Arbeitsplatz aufgrund der politischen Umwälzungen seit November 1989 räumen. Neue und alte Elemente der Forschungsorganisation existierten eine Weile nebeneinander. In den drei Arbeitsstellen des WB in Berlin, Rostock und Dresden war diese Interimsphase deutlich kürzer als am Prager ÚEF. Der definitive Abschied von der spezifisch staatssozialistischen Wissenschaftsorganisation erfolgte im ersten Halbjahr 1990. Welche Faktoren bedingten den Wissenschaftswandel der Akademie-Volkskunde im deutschen und tschechischen Staatssozialismus der 1970er und 1980er Jahre? Mit dieser zweiten zentralen Frage ist die vorliegende Arbeit an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftsgeschichte und Zeitgeschichte zu verorten. Relevant sind darüber hinaus 10 Nötzoldt 1998. 11 Zu diesem Vorgang, der maßgeblich von Paul Nedo und Wolfgang Jacobeit befördert wurde, siehe Lee 2001. 6 fachgeschichtliche Diskussionen innerhalb der Geschichts- und der Ethnowissenschaften beider Länder seit 1990. Mit dem Begriff der "Ethnowissenschaften" sind die heute im deutschsprachigen Raum nebeneinander bestehenden Fachbezeichnungen Ethnologie, Ethnographie, Volkskunde, Völkerkunde, Sozial- und Kulturanthropologie, Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie gemeint. Alle diese Fächer widmen sich laut Selbstbeschreibung ihrer Vertreter der Untersuchung kulturellen Wandels.12 Daher ist in der vorliegenden Arbeit von den "Ethnowissenschaften" die