Das Sprechen Der Filme. Über Verbale Sprache Im Spielfilm
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Das Sprechen der Filme. Über verbale Sprache im Spielfilm. Versionsfilme und andere Sprachübertragungs- methoden – Tonfilm und Standardisierung – Die Diskussion um den Sprechfilm – Der polyglotte Film – Nationaler Film und internationales Kino Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie in der Fakultät für Philologie der RUHR-UNIVERSITÄT-BOCHUM vorgelegt von Christoph Wahl 2 Gedruckt mit der Genehmigung der Fakultät der Philologie der Ruhr-Universität Bochum Referent: Prof.Dr. Wolfgang Beilenhoff Korreferent: Prof.Dr. K. Alfons Knauth Tag der mündlichen Prüfung: 12.12.2003 3 Ein guter Tonfilm ist schlechter als ein gutes Bühnenstück, doch ein guter Stummfilm ist besser als ein gutes Bühnenstück. Charlie Chaplin Es wäre logischer gewesen, wenn sich der Stummfilm aus dem Ton- film entwickelt hätte, als umgekehrt. Mary Pickford Was gegenwärtig vor sich geht erinnert an Aesops Fabel vom Pfau, der, seines Gefieders und hoheitsvollen Schreitens wegen ge- rühmt, auch noch mit seiner Stimme glänzen wollte und damit zum Gespött wurde. Luigi Pirandello 4 INHALT 1. EINFÜHRUNG 7 2. DER SPRACHVERSIONSFILM 11 2.1. FORSCHUNGSSTAND VERSIONSFILM 11 2.2. DIE EINHEIT VON KÖRPER UND STIMME 17 2.3. VERGLEICH UNTERSCHIEDLICHER PRODUKTIONSSTANDORTE 20 2.3.1. DEUTSCHLAND: DIE UFA 20 2.3.2. ENGLAND: DIE BRITISH INTERNATIONAL PICTURES (BIP) 26 2.3.3. USA 30 2.3.3.1. Universal 30 2.3.3.2. Warner-Bros. 32 2.3.3.3. Fox 32 2.3.3.4. RKO 32 2.3.3.5. MGM 33 2.3.3.6. Paramount 34 2.4. FILMAUSWAHL 40 2.4.1. ATLANTIC/ATLANTIK/ATLANTIS 41 2.4.1.1. Englische Version 41 2.4.1.2. Deutsche Version 45 2.4.1.3. Französische Version 48 2.4.2. ICH BEI TAG/À MOI LE JOUR/EARLY TO BED 49 2.4.2.1. Deutsche Version 49 2.4.2.2. Französische Version 59 2.4.2.3. Englische Version 60 2.5. VERGLEICH DER VERSIONEN 61 2.5.1. DAS DREHBUCH UND DIE STORY 61 2.5.2. FILMLÄNGE: KÜRZUNGEN UND HINZUFÜGUNGEN 66 2.5.3. MISE-EN-SCÈNE, MONTAGE, TON 68 2.5.4. DIE SCHAUSPIELER UND DIE VON IHNEN DARGESTELLTEN CHARAKTERE 71 2.5.5. DIE STIMMUNG 74 2.5.6. FAZIT DER ANALYSE 77 5 3. DER STUMMFILM, DER TONFILM UND DER SPRECHFILM 80 3.1. VERBALE SPRACHE UND SCHRIFT IM STUMMFILM 81 3.1.1. LIPPENLESEN 81 3.1.2. DER FILMERKLÄRER 82 3.1.3. SCHRIFT IM FILM 85 3.1.4. ZWISCHENTITEL 88 3.2. DIE STANDARDISIERUNG DES ZEIGENS UND DES SEHENS DURCH DIE ETABLIERUNG DES FILMTONS 92 3.2.1. FRÜHE VERSUCHE DER SYNCHRONISATION VON TON UND BILD 92 3.2.2. DIE EINFÜHRUNG DES TONFILMS 96 3.2.3. GENRE, STIL UND STIMME 104 3.2.4. STANDARDISIERUNG 108 3.3. DER SPRECHFILM UND DER WANDEL DES KUNSTVERSTÄNDNISSES 115 3.3.1. DER SPRECHFILM 115 3.3.2. TONFILM ODER SPRECHFILM: RUDOLF ARNHEIM UND BÉLA BALÁZS 121 3.3.3. EIN- UND AUSSICHTEN WÄHREND DER UMBRUCHPHASE VOM STUMM- ZUM TONFILM 133 3.3.4. DER STUMMFILM NACH DEM ENDE DES STUMMFILMS 136 3.3.5. MICHEL CHION 140 4. DIE SPRACHÜBERTRAGUNGSMETHODEN DES TONFILMS 146 4.1. DIE KOMMENTIERUNG: VOICE-OVER UND AUDIODESKRIPTION 147 4.2. DIE UNTERTITELUNG 149 4.3. DIE SYNCHRONISATION 156 4.4. DAS REMAKE 176 4.5. FERNSEHVERSIONEN: BIG BROTHER 179 5. DER POLYGLOTTE FILM 183 5.1. DAS GENRE 183 5.2. DIE FILME 188 5.2.1. DER GLOBALISIERUNGSFILM 188 5.2.1.1. HALLO! HALLO! HIER SPRICHT BERLIN 188 5.2.1.2. LISBON STORY 190 5.2.2. DER VERBRÜDERUNGSFILM 191 5.2.2.1. NIEMANDSLAND 191 5.2.2.2. KAMERADSCHAFT 196 6 5.2.2.3. PAISÀ 199 5.2.3. DER EINWANDERERFILM: KURZ UND SCHMERZLOS / APRILKINDER 201 5.2.4. DER KOLONIALFILM: AVA Y GABRIEL 204 5.2.5. DER EXISTENTIALFILM 205 5.2.5.1. LE MÉPRIS 205 5.2.5.2. CODE INCONNU: RÉCIT INCOMPLET DE DIVERS VOYAGES 214 5.2.5.3. TO VLEMMA TOU ODYSSEA 217 5.2.6. DER EPISODENFILM 219 5.2.6.1. I VINTI 219 5.2.6.2. NIGHT ON EARTH 220 6. DIE NATIONALITÄT VON SPIELFILMEN UND DIE INTERNATIONALITÄT DES KINOS 223 6.1. DER NATIONALE FILM 223 6.2. ESPERANTO-MASCHINE KINO 233 6.2.1. DIE LEGENDE EINER INTERNATIONALEN FILMSPRACHE 233 6.2.2. DIE VERBALE SPRACHE UND DIE INTERNATIONALISIERUNG DES FILMS 236 6.3. DIE GRENZE DER VERBALITÄT: KINO DER KULTUREN 245 6.3.1. CHRISTINA VON BRAUN UND DER SCHWINDEL MIT DEM ALPHABETISIERTEN SEHEN 245 6.3.2. DREI BEISPIELE 249 6.3.2.1. China 250 6.3.2.2. Japan 252 6.3.2.3. Indien 255 7. FAZIT 261 LITERATUR 267 FILMINDEX (ORIGINALTITEL) 286 7 1. Einführung In der Bibel wird mit dem Turmbau zu Babel erzählt, wie die Menschen glaubten, ihre gemeinsame Sprache mache sie zu einer großen Einheit, die stark genug wäre, einen Turm in den Himmel zu bauen. Es stellte sich heraus, daß alles, was sie gebaut hatten, Luftschlösser waren. Gott schaffte es, diese eingebildete Einheit zu zerstören, indem er die Sprache und damit das gesamte Menschengeschlecht verwirrte. Wenn man diese Geschichte ernst nimmt, kommt man nicht umhin, die Gren- zen, die die vielen unterschiedlichen Sprachen von da an zwischen den Menschen zogen, für genauso illusorisch zu halten, wie es die Einheit der Völker zuvor gewesen war. Das Wesen der Sprache scheint in erster Linie ein doppelt symbolisches zu sein: sie suggeriert gleichzeitig Einheit und Ausgrenzung. Ausgrenzung, weil unbekannte Sprachen keinen Zeichenwert haben, sondern nur aus Geräuschen oder Tintenklecksen bestehen; Einheit, weil eine Sprache verstehen noch lange nicht bedeutet, daß man sich tatsächlich mit ihren Sprechern versteht. Man kann auch aneinander vorbei reden, wogegen nonverbale Kommunikation manchmal zwischen Menschen, die sich zwar nicht mitei- nander unterhalten können, aber trotzdem gut verstehen, sehr gut funktioniert. Der Gedanke, daß es Verbindungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt gibt, die die Sprache mehr verdeckt als vertieft, beschäftigte auch Hugo von Hofmannsthal. In seinem Chandos-Brief läßt er diesen bezüglich seiner Schaffenskrise gegenüber Francis Ba- con folgendes erklären: nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder die lateinische noch die englische noch die italienische und spani- sche ist, sondern eine Sprache, von deren Worte mir auch nicht eines bekannt ist, eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.1 Noch etwas konkreter – leicht sozialkritisch nuanciert – stellt er diesen Gedanken in einer kleinen Abhandlung über das Kino dar, in der behauptet wird, Fabrikarbeiter flüchteten ins Kino und zögen es (konkreter: den Stummfilm) dem Versammlungs- und Vortragssaal vor, 1 Hofmannsthal, Hugo von: ‚ein Brief‘, in: Ders.: Erzählungen und Aufsätze. Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Band 2. Frankfurt/M. 1957, S.348. 8 um der Macht der Sprache bzw. der Macht, die durch die Sprache spricht, zu entgehen: Und im Tiefsten, ohne es zu wissen, fürchten diese Leute die Sprache; sie fürchten in der Sprache das Werkzeug der Gesell- schaft.2 Man muß hinzufügen: einer Gesellschaft, die sie – die Fabrikarbeiter – früher oder später gegeneinander aufhetzen wird.3 Rudolf Arnheim sah das Problem der Internationalität des Films, das sich durch die Einführung des Filmtons bzw. dessen Herauslösung aus dem Aufführungskontext und Integration in das Filmmaterial selbst und der darauf folgenden Etablierung des Dialogfilms ergab, als ein allgemeines Problem der Menschheit an, das sich durch die moderne Vernetzung verschärft habe, aber deshalb auch einer endgül- tigen Lösung entgegensähe: Die Vielsprachigkeit wird ebenso Gemeingut werden wie Lesen und Schreiben, und als Folge davon werden die Sprachen sich bald sehr stark aneinander angleichen [...] Und damit wird dann auch ein wichtiger Schritt zum Weltfrieden getan sein.4 Seine Vorhersage, die Sprachen würden sich immer mehr angleichen, erscheint heute gar nicht so falsch. Daraus aber ein wachsendes Weltverständnis abzuleiten, hieße, Symbol mit Symbolisiertem zu verwechseln bzw. gleichzusetzen. Diese Arbeit handelt nicht von verbaler Sprache als Kommunika- tionssystem innerhalb eines Films. Es geht nicht hauptsächlich da- rum, Dialoge zu analysieren und Übersetzungen zu vergleichen. Statt dessen werde ich das symbolische Potential der verbalen Sprache im Kontext der Audiovisualität untersuchen, und zwar ihre Bedeutung so- wohl für die Produktion und Rezeption von Spielfilmen als auch für deren Betrachtung als Kunstwerk sowie als Medium. Um das Wesen einer Sache zu begreifen, muß man an ihre Wurzel ge- hen. In der Psychologie kommt man immer mehr zu dem Schluß, daß ent- scheidende Weichen für das Leben eines Menschen in der pränatalen 2 Hofmannsthal, Hugo von: ‚Der Ersatz für die Träume‘, in: Ders.: Reden und Aufsätze II 1914-1924. Frankfurt/M. 1979, S.142. 3 Vgl. die Interpretation von KAMERADSCHAFT in Kapitel 5.2.2. 4 Arnheim, Rudolf: Film als Kunst. Frankfurt/M. 2002 [1932], S.260. 9 Phase gestellt werden.5 Wendet man diese Erkenntnis auf den Tonfilm an, bedeutet dies, daß man sich sowohl der Zeit widmen muß, in der die Voraussetzungen für die spätere Einführung des Tonfilms geschaf- fen wurden, als auch der Zeit seiner „Geburt“. Dieser Logik entsprechend beginne ich meine Untersuchung an der Schwelle vom sogenannten Stumm- zum sogenannten Tonfilm. Die zu- nächst als schwerwiegendste eingestufte, sich aus dieser „Revolu- tion“ ergebende Problematik war die der Internationalität des Films. Die Konzentration auf den Dialogfilm stellte die verbale Sprache und ihre Übertragbarkeit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. So gese- hen ist es überraschend, daß die erste Antwort der Filmindustrie auf das neue Problem, die Sprachversionsfilme, bis heute zu den am schlechtesten untersuchten Phänomenen der Filmgeschichte gehören. Um diesem Phänomen, seiner