Der Mut Der Malerin Zum 100
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Der Mut der Malerin Zum 100. Todestag von Paula Modersohn-Becker erscheinen mehrere Biografien – diese Künstlerin war eben eine Ausnahmegestalt. SCHELTE VON KRITIKERN ie Malerin ist gerade erst 24 Jahre alt, eigent- Sie hatte sich in Worpswede mit der jungen Bild- Dass Frauen malten, emp- lich ein fröhlicher, zuversichtlicher, unge- hauerin Clara Westhoff angefreundet; der Dichter fanden manche 1906, als heuer produktiver Mensch, doch sie notiert: Rainer Maria Rilke tauchte in der Künstlerkolonie das Bild „Liegende Mutter „Ich weiß, ich werde nicht sehr lange le- auf, war fasziniert von den beiden Frauen, vorerst mit Kind“ entstand, als Dben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, insbesondere von Paula Becker. Sie nannte er die ungehörige Provokation. weil es länger ist?“ „blonde Malerin“. Diese Ahnung erweist sich als richtig. 1907 wird Über die Freundinnen schrieb er: „Wie viel lerne Paula Modersohn-Becker mit gerade 31 Jahren ster- ich im Schauen dieser beiden Mädchen, besonders ben. Ihren Zeitgenossen war es schwer gefallen, ihre der blonden Malerin, die so braune, schauende Au- außergewöhnliche Begabung zu erkennen. Das soll- gen hat.“ Rilke dichtete und dachte wieder an Pau- te sich erst mit ihrem Tod ändern. la: „Die Wasser spiegelten ein schwarzes Land / an Inzwischen ist sie eine Legende, die berühmteste jenem Abend, den ich regnen fand; / so hab ich deutsche Malerin des 20. Jahrhunderts, eine, deren mich in deinem Aug erkannt …“ Werk anerkannt und bewundert ist – und deren Per- Geheiratet (und bald auch verlassen) hat er dann sönlichkeit mehr denn je fasziniert: Anlässlich ihres Clara. Paula hatte sich längst für eine Ehe mit dem 100. Todestages erscheint gleich eine Reihe von Bio- elf Jahre älteren Modersohn entschieden. Ihr ei- grafien. gentlicher Lebensinhalt war die Malerei. Ihre Ge- Die Künstlerin, als Paula Becker geboren, zwölf genwelt zum Bauerndorf Worpswede wurde das Rainer Stamm Jahre lang in Dresden, dann in Bremen aufgewachsen, „arge und wilde“ Paris, erstmals reiste sie zum Neu- »Ein kurzes intensives lernte das Zeichnen und Malen in London, Berlin, Pa- jahr 1900 dorthin, sog Eindrücke auf, setzte diese in ris – und in Worpswede, einem Dorf im Teufelsmoor eine ganz eigene, künstlerische Energie um. „Ich Fest«. Paula Modersohn- nahe Bremen, in dem sich die Mitglieder einer Künst- fühle eine neue Welt in mir entstehen.“ Becker. Eine Biographie lerkolonie niedergelassen hatten. Einer der hier leben- Ihr Vater, ein ehemaliger Eisenbahningenieur, Reclam, Ditzingen; den Maler war Otto Modersohn, mit dem sie bald bestärkte sie, denn er hielt viel von der Schönheit 260 Seiten; 19,90 Euro nach dem Tod seiner Frau eine Verbindung einging. dieser Metropole und weniger von der Kunstauffas- 34 spiegel special 5 | 2007 GROSSE DIREKTHEIT Die Selbstporträts von Paula Modersohn-Becker erinnern in ihrer Farbigkeit und Direktheit an die Werke von Paul Gauguin. sung dieser Worpsweder Clique, die ihm zu fort- schrittlich war: „Je weni- ger Du von dem alber- Gunna Wendt nen Worte modern an Dir behältst, desto mehr Clara und Paula. bist Du einen Schritt Das Leben von vorwärtsgekommen.“ Clara Rilke-Westhoff und Doch seine Tochter Paula Modersohn-Becker war die modernste von Neuer Europa Verlag, Leipzig; allen, als Mensch unkon- 288 Seiten; 17,90 Euro ventionell, als Malerin mutig. Von den franzö- sischen Künstlern be- wunderte sie weniger die Impressionisten, begeis- tert hat sie vielmehr Charles Cottet, der vor allem bäuerliche Motive malte. Sie selbst konnte es schließlich mit einem Paul Gauguin aufneh- men, ihre Bilder, gerade (L.); MUSEUM, BREMEN / AKG PAULA-MODERSOHN-BECKER (R.) AKG auch die Selbstporträts, sind von großer, manchmal fast grob anmutender hauers Auguste Rodin tätig war, vermittelte ihr einen Kerstin Decker Direktheit. Besuchstermin bei dem berühmten Künstler. Paula Modersohn-Becker. Malerinnen waren ohnehin selten, sie war noch Wieder fesselte sie Paris. Sie dachte darüber nach, Eine Biografie dazu die Erste, die es wagte, sich selbst nackt zu sich von ihrem Mann zu trennen – von ihm, der sie Propyläen Verlag, Berlin; malen, obendrein lebensgroß. in ihrer Kunst bestärkte, mit dem sie aber die meis- 288 Seiten; 19,90 Euro Dabei hatten ihr schon ihre früheren Werke An- te Zeit eine eigenartig körperlose Liebe verband. feindungen eingebracht. Die Bremer Kunsthalle Dann kehrte sie doch zurück. Sie hatte sich Kinder nahm 1899 Werke von Paula Becker sowie der gewünscht, und schließlich erwartete sie tatsächlich Malerin Marie Bock in eine Ausstellung auf – und eines. An Rilke schrieb sie: „Ich glaube, ich bin mit diese provozierten den Schriftsteller und Maler meinem Leben zufrieden.“ Arthur Fitger zu einem überheblichen Verriss: Am 2. November brachte sie ihre Tochter Tille „Für die Arbeiten der beiden genannten Damen zur Welt, am 20. November starb Paula Modersohn- reicht der Wörterschatz einer reinlichen Sprache Becker an einer – unerkannten – Embolie. nicht aus …“ Der Maler Heinrich Vogeler berichtete einem 1903 folgte ein weiterer Paris-Aufenthalt, sie war Freund: „Wir haben Paula Modersohn begraben. Jetzt inzwischen verheiratet, fuhr aber allein. Rilke und erst übersieht man ganz, was sie gewesen ist, wie sie Clara waren in Paris, aber Paula und das Paar hat- gerungen hat; künstlerisch … das letzte waren neue ten sich entfremdet. Zwei Jahre später zog es sie Wege zu einer großen Monumentalmalerei.“ Und Ril- erneut in die Stadt. Rilke, der als Sekretär des Bild- ke? Er hatte in seiner Monografie über Worpswede Barbara Beuys weder seine Gattin Clara noch Paula Modersohn- Paula Modersohn-Becker Becker erwähnt. Ein Jahr nach dem Tod der Malerin oder: Wenn die Kunst aber verfasste er sein „Requiem für eine Freundin“. das Leben ist Es ist die Intensität ihres Lebens, ihrer Freund- Hanser Verlag, München; schaften, die ihre heutigen Biografen am meisten 344 Seiten; 24,90 Euro fasziniert. Von Gunna Wendt stammt eine Doppel- biografie über Clara Westhoff-Rilke und Paula Mo- dersohn-Becker. Kerstin Deckers Buch über das Le- ben der Malerin ist betont schwungvoll geraten, Bar- EINE KÜNSTLEREHE bara Beuys und Rainer Stamm bleiben in ihren Bio- Im Jahre 1901 heiratete grafien angenehm sachlich. Paula Becker den elf Jahre Sie war, das beweisen ihre Briefe, ein kluger, wort- älteren Maler Otto Moder- gewandter Mensch. Gesprochen hat sie am liebs- sohn, der zum Worpsweder Ulrike Knöfel PAULA-MODERSOHN-BECKER STIFTUNG, BREMEN PAULA-MODERSOHN-BECKER ten über ihre Bilder. Künstlerkreis gehörte. spiegel special 5 | 2007 35.