Scheußlichkeit Von Siniga
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Sinigaglia und der 30. Juni 1934 Die Mordserie vom 30. Juni 1934 und den folgenden Tagen wurde der „Scheußlichkeit von Sinigaglia“ als ebenbürtig empfunden.1 Gemeint war Cesare Borgias Schlag gegen seine Söldner- Führer Paolo und Francesco Orsini, Vitellozzo Vitelli und Oliverotto da Fermo im Vorfeld der Eroberung der Stadt Sinigaglia am Silvestertag des Jahres 1502. Folgt man dem nationalsozialistischen Renegaten und „antifaschistischen“ Widerstandskämpfer Otto Strasser, so hatte sich Hitler von Borgias Vorgehen gegen seine verräterischen Weggefährten inspirieren lassen. Hitler besuchte die Familie Strasser mehrfach auf deren Familienanwesen in Dinkelsbühl. Otto, der im Gegensatz zu seinem Bruder Gregor schon früh als entschiedener Gegner Hitlers auftrat, rekonstruierte 1968 ein Gespräch aus dem Jahr 1927: „Hitler schwärmte geradezu davon, das sei doch einfach großartig gewesen, man müsse sich nur vorstellen, wie sie da alle angekommen seien, die Herren aus den großen führenden Adelsgeschlechtern, wie man sich an die Tafel gesetzt habe, das Versöhnungsfest zu feiern – um zwölf erhob sich Cesare Borgia, erklärte, jetzt sei aller Unfriede vorbei, da traten hinter jeden der Gäste zwei schwarzgekleidete Männer und fesselten die Condottieri-Führer an ihren Stuhl. Dann hat der Borgia, von einem der gefesselten zum anderen gehend, sie der Reihe nach umgebracht. […] Diese Schilderung beendete Hitler mit einer Nutzenanwendung, an die ich mich genau erinnere und die ich nie vergessen habe. Er sagte: Es gibt Situationen, in denen man sich von seinen Instrumenten befreien muss, bevor sie einem zur Last werden.“2 Strasser hatte unmittelbar nach dem 30. Juni zunächst die historische Parallele zur „Bartholomäusnacht“ gezogen.3 Sternberger zufolge wurde der Vergleich mit Sinigaglia erst retrospektiv entwickelt.4 Weder in der Schrift von 1935 noch in dem 1940 in Buenos Aires erschienenen Hitler und ich kam Strasser auf Hitlers Äußerungen über die Ermordung der Condottieri zu sprechen.5 Zurecht wurde auch darauf hingewiesen, dass – sofern man der Darstellung Strassers glauben schenken darf – die Schilderungen Hitlers über Borgias Mordaktion wohl eher zeitgenössischen Spielfilmen oder der Populär-Literatur entsprungen sein dürften, als der Lektüre Machiavellis.6 Lässt sich Hitlers Lage im Vorfeld des sogenannten „Röhm-Putsches“ situativ mit der Condottieri- Verschwörung gegen Borgia vergleichen? Entsprach Hitlers Vorgehen vom 30. Juni und den Folgetagen dem Coup von Sinigaglia? Werfen wir zur Beantwortung dieser Frage zunächst einen Blick zurück auf jene Geschehnisse, denen Machiavelli als florentinischer Abgesandter aus nächster 1 Vgl. Ernst Niekisch: Das Reich der niederen Dämonen, Berlin 1957, S. 274f. 2 Otto Strasser: Mein Kampf. Eine politische Autobiographie, Frankfurt a. M. 1969, S. 98. 3 Vgl. Otto Strasser: Die deutsche Bartholomäusnacht, Zürich 1935. 4 Vgl. Dolf Sternberger: Wiessee und Sinigaglia. Zu Hitlers Mordaktion vom 30. Juni 1934, in Rupert Breitling / Wienand Gellner [Hrsg.]: Machiavellismus. Parteien und Wahlen. Medien und Politik. Politische Studien zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Erwin Faul, Gerlingen 1988, S. 82. 5 Vgl. ebd., S. 85f. 6 Vgl. ebd., S. 86. Nähe beiwohnen konnte. Im Verlauf der Feldzüge Cesares durch die Romagna wuchsen die Befürchtungen seiner militärischen Unterführer, er könnte zu gegebenem Anlass auch nach ihren eigenen oder befreundeten Herrschaftsgebieten trachten.7 Die Häuser der Orsini und Vitelli hatten sich für den Friedensvertrag Borgias mit den Bentivoglio von Bologna verbürgt. Sollte Cesare wortbrüchig werden, wollten die Condottieri ihre Unterstützung verweigern. Am 30. September 1502 trafen sich auf der Orsini-Burg „La Magione“ die Condottiere-Führer Vitellozzo Vitelli, Gianpaolo Baglioni, Francesco und Paolo Orsini, Oliverotto da Fermo, die Kardinäle Giambattista und Franciotti Orsini, sowie Abgesandte aus Bologna und Siena.8 Neumahr zufolge standen damit etwa 3.000 Soldaten Cesares ungefähr 10.000 auf den Seiten der Verschwörer gegenüber.9 Die Bologneser bereiteten einen Präventivschlag vor und in Urbino und Camerino wurde Cesares Besatzungsmacht vertrieben. Auch die Venezianer schlossen sich im Zuge des sich abzeichnenden Erfolgs der Verschwörung an. In Florenz blieb man zunächst unentschlossen und entsandte Machiavelli zu Borgia. Cesare reagierte auf die Verschwörung zunächst mit der Anwerbung weiterer Söldnertruppen, finanziert aus der Kasse des Papstes.10 Zudem rief er seine französischen Verbündeten zur Hilfe und formierte eine mehrere tausend Mann starke Miliz. Das Bündnis der Verschwörer war fragil. Im Hintergrund versuchte Cesares Vater Papst Alexander VI. die Sollbruchstellen abzuklopfen. In Anbetracht der wachsenden Gegenmacht zögerten die Verschwörer. Der Papst signalisierte die Kompromissbereitschaft seines Sohnes. Paolo Orsini ließ sich als erster auf das Versöhnungsangebot ein und traf Cesare in Imola.11 Dieser gab sich versöhnlich und versprach Mäßigung hinsichtlich zukünftiger Eroberungen. Mit allen Verschwörern, ausgenommen von Gianpaolo Baglioni, konnte in der Woche nach dem 10. November 1502 eine neue vertragliche Einigung gefunden werden. Die Condottieri überschütteten im Zuge ihrer sich abzeichnenden Niederlage Cesare mit ehrerbietigen Entschuldigungen und wechselseitigen Beschuldigungen der Mitverschwörer.12 Im Dezember begann ein neuer Eroberungszug unter Beteiligung der einstigen Rebellen. Während diese auf Sinigaglia vorrückten schickte Cesare seine französischen Hilfstruppen unter dem Vorwand der Nahrungsmittelknappheit fort und signalisierte damit weiterhin Versöhnlichkeit gegenüber den Verrätern.13 Am 26. Dezember ließ er seinen Militärgouverneur Ramiro de Lorca in Cesena öffentlich enthaupten. Neben Korruptionsvorwürfen unterstellte ihm Cesare eine Verbindung zu der gescheiterten Verschwörung.14 Ramiros Tod hätte den anderen Verschwörern eine Warnung sein sollen. Doch sie 7 Vgl. Uwe Neumahr: Cesare Borgia. Der Fürst und die italienische Renaissance, München 2007, S. 244. 8 Vgl. ebd., S. 245. 9 Vgl. ebd., S. 246. 10 Vgl. ebd., S. 248. 11 Vgl. ebd., S. 249. 12 Vgl. ebd., S. 250. 13 Vgl. ebd., S. 251. 14 Vgl. ebd., S. 253. zogen scheinbar furchtlos gegenüber den offenbaren Rachegelüsten Cesares zur Eroberung Sinigaglias. Am Silvestertag marschierten die vereinten Truppen in die Stadt ein. Paolo und Francesco Orsini, Vitellozzo Vitelli und Oliverotto da Fermo wurden festgenommen. Oliverotto und Vitellozzo erdrosselte man noch in der selben Nacht, die Orsini erst am 18. Januar 1503, nachdem der Papst einen Kardinal ihres Hauses im Vatikan verhaften lassen hatte.15 Schauen wir nun im Vergleich dazu auf die politische Szenerie in Deutschland im Vorfeld des „Röhm-Putsches“: a. Röhm und die SA Ernst Röhm wollte nach der Machtübernahme der NSDAP die SA in ein Milizheer umwandeln, das auch für den Kampf gegen äußere Feinde einsetzbar sein sollte. Röhm kooperierte vor 1933 mit General Kurt von Schleicher, der ab 1929 das Amt des Reichswehrministers inne hatte und 1932 zum Reichskanzler ernannt wurde. In Schlesien, Ostpreußen und Sachsen wurden die SA und andere Wehrverbände zusammen mit der regulären Armee zum Grenzschutz eingesetzt. Die banden-ähnliche Struktur der SA-Verbände stand jedoch einer autoritären Unterordnung sowohl im Militär wie auch in der Partei entgegen. Exemplarisch dafür waren die gewaltsamen Aufstände ostdeutscher SA-Verbände unter Leitung von Walther Stennes in den Jahren 1930/31 gegen die Münchener Parteileitung. Kurz nach der Machtübernahme der NSDAP drohte der SA der Bedeutungsverlust als Propaganda-Instrument, da die Partei nun staatliche Institutionen kontrollierte, welche sich dafür als weitaus effizienter erwiesen. Darüber hinaus war die Bekämpfung innerer Gegner zu Beginn des Jahres 1934 weitgehend abgeschlossen. Dem Millionenheer der SA, dem seit 1933 auch die Truppen des Stahlhelm einverleibt worden waren, konnte nach der geglückten Machtübernahme keine funktional tragende Rolle zugeteilt werden. b. Reichswehr Um die Personalknappheit der „100.000-Mann-Armee“ zu überwinden waren die SA und andere irreguläre Wehrverbände zunächst ein erwünschtes Reservoir, vor allem im Bereich des Grenzschutzes. Allerdings stellte die SA aufgrund ihrer enormen zahlenmäßigen Überlegenheit eine Konkurrenz und Bedrohung für die regulären Truppen dar. Deshalb sträubte sich die Reichswehrführung gegen die von Röhm geforderte umfassende militärische Ausbildung der SA. Das Offizierskorps der Reichswehr versuchte zudem die Eingliederung von SA-Angehörigen in Offiziersränge des Heeres zu verhindern. Den Braunhemden wurde eine weitgehend mangelhafte militärische Eignung attestiert. Dennoch war man nach 1933 in den Reihen der Generalität uneins über das Verhältnis zu den Truppen Röhms. Kurt von Schleicher stand als Reichswehrminister den Miliz-Plänen Röhms durchaus wohlwollend gegenüber. Ab Oktober 1933 billigte die RW-Führung 15 Vgl. ebd., S. 255. die militärische Ausbildung von jährlich 250.000 SA-Männern. Auch General Walter von Reichenau verhandelte nach der Machtübernahme der NSDAP mit Röhm über die Umwandlung der SA in eine Miliz, deren Hauptaufgabe nach Ansicht Reichenaus allerdings in der vormilitärischen Ausbildung liegen sollte. Darüber geriet er mit Röhm ab Anfang 1934 in Konflikt. Dieser wollte die SA keineswegs als militärische Vorschule betreiben, sondern sah in ihr die wahren, „politischen“ Träger der Wehrhaftigkeit. Im Zuge der Einführung der Wehrpflicht im März 1934 wurden SA- Offiziere aus der RW entlassen. Hitler erwirkte die Anbringung der NS-Hoheitsabzeichen