Sendung vom 28.7.2017, 20.15 Uhr

Claudia Kessler Raumfahrtingenieurin, Astronautin GmbH im Gespräch mit Stefan Geier

Geier: Willkommen, meine Damen und Herren, zum alpha-Forum, schön, dass Sie dabei sind. Wenn man Kinder fragt, was sie mal werden wollen, dann gibt es unter den Antworten die Klassiker Feuerwehrmann, Ärztin, Pilot. Was als Antwort auch immer ziemlich sicher kommt, ist der . Mit jedem dieser Berufe verbunden sind Träume und Vorstellungen und manchmal umgibt sie auch ein Mythos, was man in so einem Beruf alles machen kann. Und zugegeben, die Reise in den Weltraum hat natürlich etwas Faszinierendes. Aber im Gegensatz zum Beruf des Arztes und des Feuerwehrmannes schaffen es die wenigsten wirklich in den Weltraum. "In den Weltraum" heißt bei uns, dass das normalerweise nur durch einen Flug zur Internationalen Raumstation erreicht werden kann. Deshalb freue ich mich besonders, heute eine Frau begrüßen zu dürfen, die uns vielleicht sagen kann, wie man das doch schaffen kann. Denn Sie hilft anderen dabei, diesen Traum zu verwirklichen, den sie selbst vielleicht auch immer noch ein bisschen träumt: Bei uns ist heute die Raumfahrtingenieurin und Unternehmerin Claudia Kessler. Schön, dass Sie da sind, Frau Kessler. Kessler: Vielen Dank für die Einladung. Geier: Frau Kessler, Sie haben Raumfahrt studiert und arbeiten heute in einem Unternehmen in der Raumfahrtindustrie. Was haben Sie gesagt, wenn man Sie als Kind gefragt hat, was Sie werden wollen? Kessler: Astronautin natürlich. Ich habe mit vier Jahren die Mondlandung im Fernsehen gesehen und von da an war für mich klar: Da will ich auch hin! Geier: Normalerweise zerstreuen sich ja im Lauf der Zeit die Berufsträume, die man als Kind hat. Bei Ihnen jedoch hielt sich das durch. Kessler: Bei mir ging das durch, denn ich bin ein Mensch, der ganz gut an Widerständen wachsen kann. Und nachdem eben alle gesagt haben: "Ja, red' du nur, du mit deinem Wunsch, Astronautin zu werden!", dachte ich mir: "Denen zeig ich's!" Ich habe das dann ziemlich gut durchgezogen mit einem Maschinenbaustudium und der Spezialisierung auf Luft- und Raumfahrttechnik. Davor in der Schule hatte ich schon Mathematik und Physik als Leistungskurse. Ja, und dann bin ich eben Raumfahrtingenieurin geworden. Geier: Ging es da eher um den Trotz, weil man Ihnen das nicht zugetraut hat und Sie es diesen Leuten zeigen wollten? Oder ging bzw. geht es wirklich um den Weltraum? Kessler: Es geht wirklich um den Weltraum, um den Traum, selbst mal dort oben zu sein und auf die Erde runterschauen zu können. Es geht mir natürlich um das Gefühl, das man dabei für diesen Blauen Planeten hat: Darum geht es mir. Geier: Wissen Sie denn, woher dieser "Zug nach oben" bei Ihnen kommt? Denn mit vier Jahren diesen Wunsch zu entwickeln, ist doch relativ früh. Kessler: Ja, schon. Und das war damals auch lediglich so ein einfacher, kleiner Schwarzweißfernseher, auf dem man diese kleine, eigentlich blaue Erde vom Mond aus gesehen hat. Das hat mich einfach so begeistert, dass ich mir gedacht habe, diese Weite, diese Unendlichkeit will ich erleben und an der Lösung der vielen Fragen, die uns der Weltraum stellt, will ich irgendwie mitarbeiten. Geier: Ihr Werdegang zur Raumfahrtingenieurin war dann aber dennoch ein langer Weg. Gab es auf diesem Weg in der Kindheit und in der Jugend also immer wieder mal Momente, in denen Sie gesagt haben: "Ich will das auf jeden Fall machen!"? Kessler: In der Jugend war das dann vielleicht ein bisschen weniger konkret. Mir war nur klar, dass ich unbedingt in diese Richtung gehen will. Ich bin sehr technisch interessiert aufgewachsen, mein Vater war Automechaniker, d. h. ich bin quasi mit dem Schraubenschlüssel in der Hand in der Garage aufgewachsen. Ich hatte zum Glück keinen großen Bruder, der diese Aufgabe übernommen hätte. Das heißt, ich musste da immer ran und mir hat das gefallen. Im Studium war dann, als man endlich das Vordiplom hatte, das Highlight, zum ersten Mal in einer Raumfahrtfirma mitarbeiten zu dürfen, zum ersten Mal auf eine Raumfahrtmesse gehen und dort die Flugzeuge, die Raketen, die Satelliten sehen zu können. Dort zu Astronauten zum ersten Mal persönlichen Kontakt aufnehmen zu können, war schon sehr, sehr toll. Geier: War das denn davor im Studium alles eher auf einer abstrakten Ebene abgelaufen? Kessler: In München an der Uni ist es halt so, dass man zuerst einmal Maschinenbau studiert. Das Maschinenbaustudium ist gar nicht abstrakt, sondern eher sehr brachial, sehr praktisch orientiert und sehr breit angelegt. Erst nach dem Vordiplom kann man sich dann auf Luft- und Raumfahrttechnik spezialisieren. Geier: Waren Sie denn in diesem Studium als Frau eine Exotin? Ich kann mir vorstellen, dass Sie das im Maschinenbau eh schon waren und dass sich das nach dem Vordiplom dann noch einmal verstärkt hat. Kessler: Ja, das stimmt. Im Maschinenbau waren wir am Anfang 1000 Studenten und davon zehn Frauen. Das heißt, wir Frauen haben ungefähr ein Prozent der Studierenden ausgemacht. In der Luft- und Raumfahrttechnik waren es dann vielleicht noch ungefähr 200 Studenten. Ich war dabei die einzige Frau. Das heißt, der prozentuale Anteil hat noch einmal abgenommen. Aber ich hatte mich von vornherein daran gewöhnt und mich auch recht wohlgefühlt im Studium. Ich habe mir das alles recht gut organisiert: Der eine hat meine Tasche getragen, der andere hat den Kaffee geholt und der dritte hat mitgeschrieben in den Vorlesungen (lacht). Geier: Heute ist dieser Prozentsatz ein bisschen größer, aber das Verhältnis von Männern und Frauen ist in diesem Studiengang immer noch nicht ausgeglichen. Warum gab es denn damals so wenig Frauen? Kessler: Damals war das halt noch eine reine Männerdomäne. Heute sind wir in manchen Bereichen in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften immerhin schon bei einem Frauenanteil von 20 Prozent angekommen. Daran sieht man, dass sich in den letzten 20 Jahren wirklich was getan hat. Wir sind sehr froh darüber, dass da nun auf Frauenseite sehr viel mehr Interesse vorhanden ist. Damals, in den 80er Jahren, war es hingegen schon noch ab und zu so, dass ein Professor gesagt hat: "Mädchen bzw. Frauen können so etwas halt nicht!" Geier: Hat Sie das genervt? Hat Sie diese Rollenzuschreibung genervt? Kessler: Ja, klar. Ich durfte z. B. im Praktikum nicht fräsen. Das war angeblich zu gefährlich für Mädchen. Geier: Und zwar grundsätzlich? Kessler: Ja, grundsätzlich. Das war so. Punkt! Da gab es keine Diskussionen, das war halt so. Da muss man dann als Frau halt einfach durch. Geier: Wie sehr hat Sie denn dieses Thema "Frau und Raumfahrt" weiterhin begleitet, denn Sie sind ja in der Raumfahrt geblieben? Kessler: Nach dem Studium war ich zuerst einmal froh, meinen ersten Job zu haben. Ich bin ja nach dem Studium sozusagen sofort in den Astronautenjob eingestiegen und war dann bei Kayser-Threde in München im Zusammenhang mit der ersten Mir-Mission tätig, weswegen wir dann mit Klaus Flade auch gleich in Moskau waren. Das war alles super spannend, das war ein Traumjob! Ich war direkt an der Raumfahrt dran, direkt an den Astronauten, an der Mir-Station, am Startplatz dran. Da habe ich nicht mehr darauf geachtet, ob da nun Männer oder Frauen arbeiten. Das war alles völlig normal, ich war einfach mit im Team und es spielte keine Rolle, ob man Mann oder Frau ist. Mir ist das erst später wieder aufgefallen, als ich schon so ein bisschen meinen Weg gemacht hatte und auch meine Tochter bereits auf der Welt war. Als ich dann schon Abteilungsleiterin bei Airbus in Bremen war, habe ich irgendwann gemerkt, dass ich immer noch die einzige Frau bin – und das, obwohl ich schon seit 20 Jahren dabei war. Erst da habe ich mir gedacht: "Aha, da muss man vielleicht doch aktiv etwas tun und nicht einfach nur darauf warten, bis sich das irgendwann von alleine ändert!" Geier: Was Sie alles gemacht haben, darauf kommen wir später noch zu sprechen. Bleiben wir noch kurz bei diesem Zeitpunkt nach dem Ende des Studiums. Sie haben es schon angedeutet, Sie waren da sehr nah dran an der Raumfahrt, als es um die Mir-Mission ging. Damals wollten Sie ja selbst noch Astronautin werden. Kessler: Ich will bis heute immer noch Astronautin werden! Aber damals wollte ich das natürlich noch sehr viel stärker, das ist klar. Ich habe einfach gehofft, dass irgendwann zur richtigen Zeit noch einmal eine Ausschreibung kommt vom DLR oder von der ESA, durch die ich die Chance bekomme, mich als Astronautin zu bewerben. Geier: Warum hat das nicht geklappt? Kessler: Die ESA hat dann zuerst einmal das Astronautenkorps sozusagen vereuropäisiert und alle zusammengeführt, die es in Deutschland, in Frankreich, in Italien, in Spanien usw. gegeben hat. Das heißt, da gab es dann zuerst einmal genug Astronauten, die geflogen werden sollten. Und deswegen hat es dann eben sehr lange Zeit keine Ausschreibung mehr gegeben. Die nächste Ausschreibung kam erst 2009, als wieder wirklich ein europäisches Astronautenteam ausgesucht wurde. Da war dann z. B. auch Alexander Gerst mit dabei. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt leider schon zu alt. Geier: Ab wann ist man denn dafür zu alt? Kessler: Da war man bereits mit 37, 38 Jahren zu alt. Geier: Als Sie damals in diese Industrie, in diesen ganzen Raumfahrtbereich hineingekommen sind, war es für Sie, wie Sie gesagt haben, ganz normal, als einzige Frau in so einem Team zu arbeiten. Normalerweise ist es doch bereichernd, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten – denkt man zumindest –, denn sie ergänzen sich ja. Warum ist das aber in diesem Bereich so schwierig? Warum wurde das damals dort so wenig gelebt? Kessler: Nun, damals gab es halt einfach kaum Frauen mit einem technischen Hintergrund, mit einem technischen Studium. Wenn, dann gab es eher ein paar Seiteneinsteiger, d. h. es gab die Ersten im Bereich Remote Sensing und Software: Da waren es schon mehr als im wirklichen Maschinenbau. Deswegen konnte man das auch nicht so ausleben, das waren einfach nicht viele. Heute ist das Bewusstsein dafür aber doch sehr stark geworden, vor allem auch über die Forderung nach Vielfalt im Team und die Vorteile, die man davon hat. Geier: Wie oft ist es denn passiert, dass bei Ihnen dieser Trotz, den Sie vorhin angesprochen haben, eingesetzt hat? Gab es den immer, also die ganze Zeit über, oder waren Sie irgendwann so etabliert, dass Sie gesagt haben: "Jetzt läuft es!"? Kessler: Nein, diesen Trotz brauchte ich durchaus immer mal wieder, wenn ich z. B. bei einem Vorstellungsgespräch gefragt worden bin: "Na ja, Sie wären ja jetzt die einzige Frau, wie wollen Sie sich denn da durchsetzen?" Da gab es also durchaus noch Situationen, in denen dieser Trotz notwendig war. Auch später in der Karriere, wenn man zeigen muss, dass man bestimmte Dinge sehr wohl kann, dass man auch als Frau so etwas kann. Die Vorurteile waren da noch lange nicht weg. Geier: Dieser Bereich ist ja immer noch eine Männerdomäne, wenn man das mal generell betrachtet, oder? Kessler: Ja, das ist schon immer noch so, wenn man sich mal die Führungsriegen so anschaut. Aber jetzt ändert sich gerade etwas. Wir hier in Deutschland haben ja Frau Ehrenfreund an der Spitze des DLR, die Engländer haben eine Frau an der Spitze ihrer Raumfahrtagentur, d. h. so langsam kommt Bewegung rein. Aber wenn man sich die Fotos aller Raumfahrtagenturen weltweit anschaut, dann sieht man halt unter 30, 40 Menschen gerade mal drei, vier Frauen. Geier: Sie haben vorhin erzählt, dass Sie bei den Mir-Missionen mitgearbeitet haben. Sie waren daher auch bei Raketenstarts in Baikonur mit dabei. Es ist ja sehr eindrucksvoll, wenn man im Fernsehen so eine Rakete sieht und ich kann mir vorstellen, dass sie noch viel eindrucksvoller ist, wenn man unmittelbar vor ihr steht. Hat Ihnen das damals gereicht oder haben Sie sich gedacht: "Eigentlich müsste ich doch dort oben drinsitzen!"? Kessler: Natürlich, ich wollte das unbedingt. Ich habe mir sogar extra so einen silbernen Anorak gekauft und zu allen immer gesagt: "Wartet nur mal ab, am Schluss sitze plötzlich ich in der Rakete und nicht der Reinhold Ewald!" Aber das hat leider nicht geklappt, der silberne Anorak hat nicht gereicht. Ich kann mir das bis heute vorstellen und ich träume ja auch immer noch davon. Ich bin immer noch überzeugt davon, dass ich irgendwann doch ins Weltall fliegen werde. Geier: Ob es da eventuell noch Chancen gibt, darauf kommen wir später vielleicht noch zu sprechen. Sie sind dann selbst Unternehmerin geworden, denn Sie wollten nicht tatenlos bleiben und sind daher zu einem Unternehmen in der Raumfahrtindustrie gegangen, nämlich zu HE Space. Warum sind Sie denn nicht in der Forschung geblieben? Kessler: Ich glaube, ich bin von der Art her, vom Blut her doch eher der Unternehmertyp. Ja, ich verkaufe auch gerne mal was. Und ich mache auch gerne Marketing. Das heißt, ich bringe die Raumfahrt gerne nach draußen, ich erkläre das alles gerne. Deswegen war ich ja auch in vielen Organisationen, um den Menschen dort zu erklären, warum es wichtig ist, dass man Raumfahrt macht. Das machen zu können, heißt, dass man irgendwie ein Unternehmergen in sich trägt. Davor war ich ja auch noch bei Astrium in Bremen gewesen: Dort war ich zuständig für die kommerzielle Nutzung der Internationalen Raumstation. Auch das ging bereits in Richtung Vermarktung der Nutzung der Raumstation. Dort habe ich gemerkt, dass es mir sehr liegt, hier wirklich breiter anzusetzen und diese Sachen zu managen. Das Delegieren hatte ich ja sozusagen auch schon im Studium gelernt … Geier: Sie meinen das Tragen Ihrer Tasche? Kessler: Ja, genau (beide lachen). Das Organisieren liegt mir auch so ein bisschen im Blut und dadurch passt das ganz gut. Ich habe irgendwann auch noch den MBA gemacht und dabei festgestellt, dass sich das wirklich gut kombinieren lässt. So eine Firma zu leiten, macht mir schon sehr viel Spaß. Geier: Sie sagen, es macht Ihnen auch Spaß, zu "verkaufen", warum man Raumfahrt braucht. Das ist ja ein Milliardengeschäft und deswegen gibt es daran natürlich auch immer Kritik. Ja, warum brauchen wir überhaupt die Raumfahrt? Kessler: Auf der einen Seite ist es heute natürlich unser Alltag, mit Navigationssystemen umzugehen, mit Kommunikationsmedien, mit Fernsehen, mit Telefon, mit all den Apps auf dem Handy, mit all diesen Erdbeobachtungsdaten wie Google Earth, Google Maps usw., mit Wetterberichten im Internet für die Privatmenschen, für die Landwirtschaft, mit Angaben zu Bodenschätzen usw. Das ist schon eine riesengroße Bandbreite. Auf der anderen Seite gibt es eben nicht nur für mich, sondern für viele Menschen diesen Traum, diesen Forscherdrang, der sich zum einen im Astronautentum niederschlägt und zum anderen in der Erforschung des Weltraums wie z. B. mit der Pluto-Mission, mit der Jupiter-Mission. Wir wollen über die Grenzen unseres Sonnensystems hinausgehen und wissen: Woher kommen wir eigentlich, was ist dort draußen im Weltall, was passiert dort, wo gehören wir eigentlich hin? Geier: Hier muss man ja sehr klar unterscheiden. Da gibt es die Satelliten und auch die Internationale Raumstation ISS, die ungefähr 400 Kilometer über unseren Köpfen schweben. Von München nach Köln ist es ja bereits weiter. Im Hinblick auf das Weltall kratzen wir dabei sozusagen nur an der Oberfläche. Alles andere geht dann sehr weit hinaus ins Weltall. Auf dem Mond waren wir schon lange nicht mehr, aber vielleicht fliegen wir ja eines Tages wieder mal zum Mond. Diese weiter hinausreichende Weltallerforschung ist doch etwas anderes als Satellitensysteme. Oder unterscheiden Sie das gar nicht so sehr? Da gibt es doch diese kommerziellen Dinge sozusagen an der Kruste des Weltalls, also noch recht nah bei uns, während die Exploration des Weltalls meiner Meinung nach einfach ein ganz anderes Thema ist. Kessler: Jein. Es gibt da zum einen die reine Wissenschaft. Das ist das, was wir vielleicht Exploration nennen. Ich denke, das Kommerzielle wird sich künftig aber schon noch ein bisschen weiter ins Weltall hinaus erstrecken als nur bis zum Erdorbit. Das ist auch so ein bisschen meine Hoffnung und das sieht man ja auch jetzt schon mit SpaceX, die Rundflüge um den Mond anbieten. Da gibt es Elon Musk, der zum Mars will usw. Ich denke, der Horizont der Menschheit wird sich insgesamt ein bisschen ausweiten. Aber auf der anderen Seite gibt es natürlich auch ganz eindeutig die reine Wissenschaft, die Forschung, bei der es noch lange Zeit keine kommerziellen Ziele geben wird. Geier: Schauen wir uns doch mal die Internationale Raumstation an. Die ist ja doch so ein bisschen ambivalent, was das betrifft. Denn auf der einen Seite ist das natürlich eine faszinierende riesige Maschine, die da gebaut wurde. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Menschen, die sagen, dass dabei in Sachen Forschung nicht so viel herauskommt. Die ISS ist aber schlicht deswegen schon wichtig, weil sie einfach ein Symbol ist für die internationale Zusammenarbeit. Wie sehen Sie das? Kessler: Ja, ich denke aber, auch forschungsmäßig kommt da eine Menge heraus. Aber das dauert halt alles recht lange und das sind natürlich oft nur kleine Dinge. Es kommt aber z. B. sehr viel heraus im Hinblick auf das Verständnis vom Organismus des Menschen, also dazu, wie wir Menschen funktionieren. Auf der anderen Seite sehe ich die ISS schon auch als Human Outpost, wenn ich das mal auf Englisch ausdrücken darf, also als Außenstelle der Menschheit im All: Das ist einfach der erste Schritt, um die Menschheit ins All auszudehnen. Und wenn man daran denkt, dass es sie nun schon seit 16 Jahren gibt, dann muss man sagen, dass das inzwischen fast schon eine ganze Generation von Astronauten gewesen ist, die auf ihr gelebt hat. Das ist inzwischen eine regelrechte Institution geworden, das ist fast so etwas wie ein zusätzlicher Kontinent. Ich denke, die ISS gehört jetzt schon sehr stark zum Leben auf der Erde mit dazu. Wir Menschen breiten uns langsam ins Weltall hinein aus. Geier: Sie sagen, dass das sozusagen unser erster Schritt hinaus ins Weltall ist. Aber wenn man sich die Entfernungen anschaut, dann ist das ja doch ein relativ kleiner Schritt. Was wird denn der nächste Schritt sein? Der Mond, der Mars? Kessler: Das werden wir noch sehen. Im Augenblick gibt es da ja fast ein Patt: Die einen wollen zum Mond, die anderen zum Mars. Ich persönlich will zum Mond (lacht)! Auf jeden Fall sollte es zuerst einmal zum Mond gehen, denn der ist doch näher an uns dran, weswegen wir dann auch schneller wieder nach Hause kommen können. Der Mars mit einer Missionsdauer von drei Jahren ist da schon etwas anderes: Das ist eine lange Zeit, die man da unterwegs ist und die auch viele Ungewissheiten birgt. Ich denke, realistischer ist es, zuerst einmal zum Mond zu fliegen und dort vielleicht dieses Moon Village, vom dem die ESA zurzeit spricht, in irgendeiner Form als internationale Kooperation zu errichten und dort auszuprobieren, wie so etwas funktionieren kann. Geier: Die ESA hat also angekündigt, man wolle auf dem Mond als Testgelände quasi ein Dorf bauen, um permanent auf dem Mond sein zu können. Man merkt Ihnen ja an, wie gerne Sie über dieses Thema reden. Wenn ich das mal ein bisschen flapsig ausdrücken darf: Wie sehr muss man denn auch Rampensau sein, um in diesem Metier, in dem ja sehr viele Leute sehr viel ankündigen, erfolgreich zu sein? Kessler: Ja, nun … Geier: Ich gebe zu, das war wirklich sehr flapsig ausgedrückt. Kessler: Es fällt mir jetzt schwer zu antworten, aber ich sage mal so: Ich war so ziemlich von Anfang an ein bunter Hund in der Raumfahrt, und zwar nicht nur deswegen, weil ich eine von den wenigen Frauen war, sondern weil ich auch schon recht bald in München eine Studentenorganisation mit gegründet habe, nämlich die EUROAVIA, mit der wir auch gleich eine Konferenz gemacht haben. Ich bin auch in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt gegangen usw. usf. Das heißt, ich bewege halt gerne Dinge. Ich schaue mir das alles nicht nur an, sondern ich will, dass etwas passiert. Und deswegen engagiere ich mich da auch voll. Geier: Die Firma, der Sie vorstehen, verkauft keine Produkte, sondern Wissen. Wie müssen wir uns das vorstellen? Kessler: Die Firma HE Space, deren Geschäftsführerin ich jetzt bin, verkauft Ingenieurdienstleistungen. In der Raumfahrt werden nämlich wie in anderen Bereichen auch, also wie z. B. im Automobilbereich, im Finanzbereich, Ingenieure nicht nur fest angestellt, sondern eben auch für Projekte verliehen. Bei uns sind es eben Raumfahrtingenieure, die wir für Projekte zur Verfügung stellen. In erster Linie machen wir das für die Europäische Raumfahrtagentur: Sie hat immer einen größeren Bedarf, als sie ihn mit eigenen Leuten decken kann, weswegen sie sich eben auch Ingenieure von außen holt. Sie ist unser Hauptkunde. Aber auch Airbus oder OHB in Deutschland sind unsere Kunden. Diese Ingenieure arbeiten dann ganz normal und integriert in den Teams dieser Unternehmen mit den ESA- oder Airbusmitarbeitern an verschiedenen Projekten, z. B. an der Entwicklung der Rakete "Ariane 6" oder am Betrieb der Raumstation oder am Betrieb der Galileo-Satelliten usw. Sie arbeiten auch bei der Entwicklung von neuen Experimenten mit wie z. B. bei diesem Monddorf von der ESA. Oder sie arbeiten in Oberpfaffenhofen oder in Darmstadt am Betrieb von Satelliten mit. Geier: Wie hoch ist denn in dieser Firma, in der Sie die Dinge selbst gestalten können, die Frauenquote? Kessler: Wir haben im Augenblick 200 Mitarbeiter aus 26 Nationen und dabei 50 Prozent Frauen. Wir haben im Managementteam einen Frauenanteil von 60 Prozent. Wir haben da aber keine Quote oder so eingeführt, sondern wir haben einfach festgestellt, dass Frauen andere Frauen regelrecht anziehen. Wir merken das ganz klar. Wir haben eben auch ein Verständnis dafür und es ist z. B. so, dass unsere Mitarbeiter in den letzten fünf Jahren 50 Babys bekommen haben. Wir haben das auch ganz gut organisiert: mit der Wiederintegration, mit der Synchronisierung des Familienlebens usw. Wir machen unsere Firmenfeste immer mit Familien und Kindern. Ich sehe daher diese Kinder vom Baby bis zum Schulalter. Dadurch haben wir festgestellt, dass schlicht und einfach mehr Frauen zu uns kommen und sie kommen deswegen gerne zu uns. Geier: Das ist also einfach eine Frage der Unternehmenskultur? Kessler: Ja, genau. Geier: Wie kann man denn junge Frauen dazu motivieren, in diesen MINT- Bereich zu gehen, also in den Bereich von Mathematik und Naturwissenschaft? Sehen Sie da die Raumfahrt mit dieser Faszination, die ihr anhängt, mit diesem Mythos als eine gute Möglichkeit? Kessler: Ja, auf jeden Fall. Ich merke auch, wenn ich rausgehe in verschiedene Schulen oder zu Studentinnen, wie schnell sie sich begeistern lassen für das Thema "Raumfahrt" und gerade auch für das Berufsziel "Astronaut". Damit kommen wir, wie ich annehme, auch gleich zu meinem Lieblingsthema. Denn was uns hier fehlt, ist schlicht und einfach ein Rollenvorbild. Geier: Genau. So weit ist die Gleichberechtigung eben noch nicht vorgedrungen. Die Vorstellung von einer Reise ins All hat Sie selbst ja bis heute nicht losgelassen und vor zwei Jahren haben Sie dann die Initiative "Die Astronautin" gestartet. Worum geht es dabei? Kessler: Ganz kurz geht es darum, die erste deutsche Frau ins All zu bringen. Deutschland ist in Europa die Nation mit den meisten Astronauten: Es waren insgesamt bereits elf deutsche Männer im All. Aber es war eben noch nie eine deutsche Frau im All. Und das möchte ich ganz gerne ändern. Geier: Das ist ja eine große Initiative. Warum braucht man denn diese Kraftanstrengung? Frauen im All sind ja insgesamt immer noch in der Minderheit. Es gab bisher in der Geschichte ungefähr 500 Astronauten, davon waren nur etwa 40 oder 50 Frauen. In den USA hat man jedenfalls inzwischen eine Frauenquote von fast 50 Prozent. In Europa gab es immerhin schon mal eine Italienerin, nämlich Samantha Cristoforetti in der ISS. Aber eine Deutsche gab es bisher nicht im All. Haben wir womöglich nicht die richtigen Frauen hier bei uns? Kessler: Doch, wir haben sogar ganz tolle Frauen. Die letzte Auswahl der ESA war ja, wie gesagt, 2009 und dabei hat sich keine deutsche Frau bis zum Ende durchgesetzt. Damals hat man auch keine Quote in dem Sinne vorgegeben, sondern hat gesagt: "Wir schauen einfach, wer sich bewirbt." Von den insgesamt 10000 Bewerbern europaweit waren ungefähr 20 Prozent Frauen. Und eine dieser Frauen ist dann auch durchgekommen: Sie wurde eine von insgesamt sechs Astronauten bei dieser Mission. Die NASA hingegen hat sich schon vor langer Zeit selbst eine Quote gesetzt und gesagt: "Wir stellen immer 50 Prozent Astronautinnen ein, wenn wir eine Auswahl machen, und zwar egal, wie das Bewerbungsverhältnis insgesamt ist – solange es selbstverständlich groß genug ist." Auch Kanada hat gerade eine Ausschreibung für zwei Astronauten gemacht und ganz klar gesagt: "Wir nehmen einen Mann und eine Frau!" In Europa gab es das halt bisher nicht. Geier: Warum nicht? Fehlt uns da die Kultur? Kessler: Es war einfach bisher nicht der entsprechende Druck vorhanden, das wirklich zu ändern. Wie gesagt, mein Traum war das schon immer und ich dachte nie, dass ich so alt werden würde, ohne dass jemals eine deutsche Frau im All gewesen ist. Auf der anderen Seite ist es ja so, dass überall gesagt wird, man wolle mehr Mädchen für die MINT-Fächer begeistern, mehr Frauen in technische Berufe bringen und dass man dafür etwas tun müsse. Eine Idee, um diesen Kreislauf irgendwie aufzubrechen und hier mehr Energie hineinzubringen, besteht darin, eine Astronautin hervorzubringen. Und wir haben allein in diesem einen Jahr der Kampagne bereits gesehen, was für eine Sogwirkung das hat, wie viel Begeisterung wir damit gerade bei Mädchen für dieses Thema hervorrufen, wie viel Interesse wir bei gestandenen Frauen, bei Frauen in Aufsichtsräten und im Management plötzlich für das Thema "Raumfahrt" erzeugen können, wenn wir erzählen, wir wollen jetzt endlich mal die erste deutsche Frau ins All bringen. Geier: "Wir wollen eine Frau ins All bringen", das klingt nach einer tollen Idee, aber ich kann mir vorstellen, dass man dafür zunächst einmal sehr viel Geld braucht. Man kann ja auch nicht einfach mal eben so ins All fliegen. Wie kam also diese Organisation zustande? Kessler: Wir haben zunächst einmal mit der Hilfe von ersten Sponsoren – Airbus und OHB haben uns da im letzten Jahr sehr unterstützt und das DLR im Hinblick auf die wissenschaftliche Seite bei dieser Auswahl – eine Auswahl durchgeführt. Das haben wir als HE Space gemacht, als eine Personalfirma für Raumfahrt, denn wir machen ja in unserer Personalabteilung den ganzen Tag nichts anderes, als Raumfahrtingenieure auszuwählen. Wir hatten auch selbst schon Mitarbeiter, die dann Astronauten geworden sind wie z. B. der dänische Astronaut Andreas Mogensen, der vorher Mitarbeiter von uns gewesen ist. Wir haben also gesagt: "Wir wissen, wie das geht! Wir machen eine Auswahl!" Wir haben uns dafür Berater geholt, die auch bei der ESA an der Auswahl beteiligt waren, sodass wir das ziemlich genau nach den gleichen Kriterien wie bei der ESA-Auswahl machen konnten. Wir haben also im letzten Jahr ganz einfach diese Stelle ausgeschrieben: "Wir suchen die erste deutsche Astronautin." Darauf haben wir über 400 Bewerbungen bekommen von wirklich ganz tollen Frauen, von Pilotinnen, von Ingenieurinnen, von Wissenschaftlerinnen, von Medizinerinnen usw. Das war wirklich faszinierend, denn die haben sich alle nicht nur mit ihrem Lebenslauf, sondern auch mit einem Video beworben, sodass wir uns wirklich sehr schnell ein gutes Bild von ihnen machen konnten. Geier: In diesem Video mussten die Frauen sagen, warum sie Astronautin werden wollen. Was haben die Frauen denn da z. B. gesagt? Kessler: Für ganz, ganz viele war das halt einfach der Lebenstraum überhaupt. Das war wirklich der Großteil der Frauen. Jede hat das dann aber anders dargestellt: ob es die Pilotin war, die in ihrem Flieger saß, oder die Fallschirmspringerin, die irgendwo runterspringt, oder die Bergsteigerin oder ganz einfach eine Wissenschaftlerin mit zwei Kindern. Das war wirklich ein ganz breites Spektrum und sie haben alle einerseits ihren Kindheitstraum leben wollen und andererseits wollten sie ihre Begeisterung auch weitergeben an die nächste Generation: Sie haben dieses Öffnen der Mädchen und Frauen für die Technik als ganz wichtigen Punkt angegeben. Geier: Da gibt es also schon auch übergeordnete Ziele im Hinblick auf die Faszination "Weltraum". 400 waren es anfangs, wie Sie gesagt haben. Dann waren es nur noch 120 und dann noch 80 usw. Ihre Zahl ging immer weiter runter, bis am Schluss noch sechs Frauen übrig blieben. Und heute sind nur noch zwei Frauen im Rennen. Wer sind denn die beiden Damen? Kessler: Die zwei sind jetzt Nicola Baumann und Insa Thiele-Eich. Nicola Baumann ist eine Eurofighter-Pilotin von der Bundeswehr und Frau Thiele-Eich ist eine Wissenschaftlerin, eine Meteorologin an der Universität in Bonn. Für diese beiden beginnt jetzt dann das Training. Geier: Wie schwer war es da am Schluss, sich zu entscheiden? Sie waren ja bei der Auswahl von Anfang bis Ende mit dabei. Kessler: Es war von Anfang bis Ende immer wieder sehr schwer, sich zu entscheiden. Und am Schluss war es natürlich ganz fürchterlich schwer. Wir hatten uns dafür eine Auswahlkommission zusammengesucht unter der Leitung von Professor Ulrich Walter von der TU München. Er ist ja selbst auch Astronaut und hat sich noch einmal alle Auswahlkriterien angeschaut, seit es zumindest in Deutschland Astronautenauswahlen gibt. Er hat daraus einen Fragenkatalog gemacht, mit dem wir dann die sechs Finalistinnen befragt und Punkte vergeben haben. Danach haben wir dann bei uns in der Diskussion – wir waren dabei zu viert – noch einmal über die Auswahl diskutiert. Und am Ende mussten wir halt eine Entscheidung treffen, denn das ist nun einmal der Sinn einer Auswahl. Aber wir hätten am liebsten alle sechs genommen und ein ganzes Astronautenkorps gebildet. Geier: Lassen Sie uns ein bisschen was erfahren von diesen Kriterien. Denn wir wollen ja klären, was man dafür denn eigentlich tun muss. Ich selbst bin ja wahrscheinlich auch schon zu alt dafür, aber was müsste ich tun, was bräuchte ich, um Astronaut zu werden? Kessler: Zum einen ging es natürlich noch einmal darum, die eigene Begeisterung für das Thema zu beschreiben. Zum anderen ging es aber auch ganz klar um solche Fragen: Wie trifft man Entscheidungen in Extremsituationen, wenn man sich z. B. auf der Raumstation nach einem Unfall entscheiden muss? Bleibt man als Astronautin drin und versucht den Schaden zu reparieren oder sichert man das Menschenleben und schaut, dass man wegkommt? Es gibt auf solche Fragen meistens keine ausschließlich richtige Antwort, sondern es geht eher darum herauszufinden, welchen Gedankengang hat die betreffende Person, wie geht sie so etwas an, wie rational bleibt sie dabei. Auf der anderen Seite ging es aber schon auch noch einmal um die wissenschaftliche Forschung, denn wir wollen ja auch eine wissenschaftliche Mission durchführen, bei der wir sehr viele Experimente durchführen werden und bei der es durchaus auch darum geht, dass man selbst sozusagen das Meerschweinchen ist, dass der eigene Körper als Untersuchungsobjekt dient und dass man sich daher auch mal selbst Blut abnehmen muss usw. Das war also eine ganze Bandbreite von Fragen. Und es geht natürlich auch sehr stark einerseits um das Teamverhalten und andererseits auch um die Führungsfähigkeit. Auch hier muss man wieder beides mitbringen, denn man ist ja mit einem sehr kleinen Team von nur sechs Leuten auf der Raumstation. Da muss man einerseits selbst Entscheidungen fällen und sich andererseits auch unterordnen können unter den Kommandanten. Das waren also sehr ambivalente Fragen. Geier: Wenn man geeignete Kandidaten hat, dann läuft das ja nicht so, dass man sagt: "Wir hätten da jemanden, wir lassen den mal mitfliegen!" Oder kann man sich da auch einfach ein Ticket buchen? Kessler: Man kann sich inzwischen ein Ticket buchen, denn da tut sich eine Menge. Das ist ja auch einer unserer Wünsche, dass auch wir das tun können – demnächst, wenn wir die nötigen Sponsoren dafür gefunden haben. Aber zurzeit ändert sich da eben auch einiges in der Raumfahrt: Gerade in den USA kommen da jetzt verschiedene kommerzielle Anbieter auf den Markt. Da gibt es SpaceX mit der Dragon-Kapsel, die bisher noch unbemannt zur Raumstation fliegen, die aber ab dem nächsten Jahr damit auch Astronauten dorthin fliegen wollen. Da gibt es Boeing mit ihrer CST-100-Kapsel, die ebenfalls zur Raumstation fliegen wird – hoffentlich auch schon ab dem nächsten Jahr. Da gibt es das Unternehmen Bigelow Aerospace, das ein Raumfahrthotel bauen will im Earth Orbit. Da gibt es die Firma Axiom in den USA, die ein kommerzielles Modul an die Raumstation andocken will. Auf der anderen Seite ist es so, dass es in Russland ja bereits seit vielen Jahren Millionäre gibt, die sich Flüge zur Raumstation kaufen können. Und nun kommt auch China damit auf den Markt: Auch sie wollen ab 2022 kommerzielle Flüge anbieten. Geier: Wie man damit fliegen kann, darauf kommen wir noch zu sprechen. Bleiben wir aber davor noch ganz kurz bei diesen Kriterien. Wenn wir uns den jetzigen deutschen Astronauten Alexander Gerst anschauen, der ja bald wieder fliegen wird, dann stellt sich mir die Frage, wie wichtig denn das Kriterium "Medientauglichkeit" ist? Gerst ist nämlich inzwischen schon zu einem Medienprofi geworden, wie ich finde. Matthias Maurer, der nächste, ist ebenfalls auf einem guten Weg dorthin. Wie wichtig ist das also? Kessler: Wichtig ist natürlich, dass man diese Begeisterung rüberbringen kann. Und hier sind wir wieder beim Thema "Rollenvorbild". Für uns war das eben nicht erst ganz am Schluss ein Auswahlkriterium, sondern das prägte eigentlich die Auswahl die ganze Zeit über. Das fing schon damit an, dass wir bei der Bewerbung gesagt haben: "Schickt uns ein Video, in dem Ihr uns gleich mal erklärt, warum das wichtig ist." Wir haben danach dann noch einmal ein Video gedreht mit den Top 120, in dem jede von ihnen erklären musste, warum Raumfahrt wichtig ist und warum die Raumstation wichtig ist für die Menschheit. Für uns war das also durchaus von vornherein mit ein Kriterium, weil wir gesagt, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass man das transportieren kann, dass man rausgehen und den Leuten erklären kann, was die Faszination an der Raumfahrt ist. Geier: Es besteht also Hoffnung, dass man sich eines Tages ganz einfach ein Ticket für eine Raumfahrt kaufen kann bzw. bei einigen Raumfahrtorganisationen kann man das bereits. Wie sieht es denn da mit dem Training aus? Bei diesen beiden ausgewählten Kandidatinnen ist es ja so, dass sie beide nun dieses Training durchlaufen sollen. Was das für ein Training ist, darüber werden wir gleich noch sprechen. Kann ich mir da auch einfach Module kaufen und z. B. in Houston anrufen und sagen, dass ich auch gerne mal mit einem Raumanzug in dieses große Tauchbecken möchte, um die Schwerelosigkeit zu testen? Wie läuft das? Kessler: Ja, auch das gibt es inzwischen, auch das ist gerade am Entstehen. Wir sind da aber immer noch ganz am Anfang im Augenblick. In Swjosdny Gorodok, auf Deutsch im "Sternenstädtchen" in der Nähe von Moskau kann man das schon seit vielen Jahren, weswegen wir im Sommer auch dorthin fahren werden, um eine erste Trainingswoche zu machen. Die Preisliste dafür kann man über verschiedene Anbieter sogar im Internet finden: Das geht vom Parabelflug über den Raumstations-Simulator und den Sojus-Simulator bis zur Zentrifuge und ein Überlebenstraining. Das kann man alles buchen, um dann hinterher eventuell ins All zu fliegen oder schlicht um ein Training zu absolvieren. In den USA ist man gerade dabei, so etwas zu entwickeln und anzubieten. Und auch bei der ESA überlegt man sich, in diese Richtung zu gehen. Geier: Die Auswahl von geeigneten Kandidatinnen ist von den Kosten her ja noch einigermaßen überschaubar gewesen, wie ich mir vorstelle, da Sie dabei ja auch mit der eigenen Firma involviert waren. Das Training wird vermutlich etwas teurer werden: Wie viel kostet das denn? Kessler: Wir haben noch keinen wirklichen Kostenplan, aber das kommt eben auch sehr darauf an, mit wem wir am Schluss fliegen werden. Denn das Training ist direkt an die Fluggelegenheit gekoppelt. Wenn wir mit Sojus fliegen, dann müssen wir das komplette Sojus-Training in Sternenstädtchen machen, wenn wir mit SpaceX fliegen, dann ist es so, dass dieses Unternehmen sich noch nicht ganz sicher ist, was sie im Hinblick auf das Training alles haben wollen. Wir wollen ja unbedingt Wissenschaft machen und in die Raumstation rein, d. h. wir werden auf jeden Fall auch ein Wissenschaftstraining machen. Wir sind jetzt gerade dabei, die verschiedenen Trainingsmodule zu beschreiben. Wir machen unser Training auch individuell, was aber auch klar ist. Eine Frau Baumann braucht keinen Flugschein mehr zu machen. Geier: Weil sie ja bereits Pilotin ist. Kessler: Genau, weil sie bereits Testpilotin ist. Das heißt, wir werden das Training eben auch ein bisschen maßschneidern. Frau Thiele-Eich kommt hingegen aus der Wissenschaft, da werden wir eher die flugtechnischen Sachen trainieren. Bei Frau Baumann werden wir dagegen mehr die Wissenschaft trainieren. Wir haben jetzt auch einen ehemaligen Astronautentrainer von der ESA mit im Team. Wir haben im Augenblick ein Team von 10, 15 freiwilligen, ehrenamtlichen Mitarbeitern: Das sind Menschen, die z. T. schon im Ruhestand oder im Vorruhestand sind oder die selbstständig sind und die sich engagieren und uns unterstützen. Wir haben da also im Augenblick eine starke Mannschaft. Und wir hoffen, dass wir bald auch noch mehr Sponsoren an Bord haben. Wir haben ja, wie gesagt, bereits erste Sponsoren und haben auch eine Crowdfunding Aktion gemacht. Geier: Das war auch schon beim Auswahlverfahren so. Kessler: Genau. Wir haben jetzt schon mal 60000 Euro eingenommen, die wir nun am Anfang auch für die ersten Trainings verwenden können. Wir haben einen Sponsor für dieses Training in Sternenstädtchen im August. Wir haben auch noch andere Sponsoren im Bereich von 50000 bis 100000 Euro, die jetzt Interesse zeigen und an Bord kommen. Geier: Wir sprechen im Hinblick auf dieses Training also durchaus von einem Millionenbetrag? Kessler: Wie gesagt, davon gehen wir aus, aber das hängt noch ein bisschen davon ab, mit wem wir fliegen werden. Aber von zwei, drei Millionen Euro insgesamt sprechen wir hier schon, das ist klar. Geier: Sie wollen ja schon relativ bald fliegen. Wann soll es denn so weit sein? Kessler: Wir wollen 2020 fliegen, also in drei Jahren. Geier: Sie haben gesagt, in den USA würde sich auf dem Gebiet der privaten Raumfahrt gerade einiges tun. Trotzdem hat auch in den USA noch keines dieser Unternehmen einen Astronauten hochgebracht. Momentan ist man daher noch auf die Sojus angewiesen. Kann man das nicht trennen und sagen, dass man auf alle Fälle mit den Russen fliegen wird, weil man da weiß, dass das auf jeden Fall gehen wird? Bei den anderen sind das alles ja bisher noch Ankündigungen. Kessler: Mit der Sojus zu fliegen, ist auf jeden Fall die sicherste Variante. Wenn wir mit den Russen fliegen, brauchen wir mindestens 18 Monate Training in Sternenstädtchen. Wir wollen daher spätestens Mitte nächsten Jahres in der Lage sein, einen Flug zu buchen. Bis dahin müssen wir mindestens fünf bis acht Millionen Euro an Sponsorengeldern eingeworben haben, um dadurch schon mal gute 10, 15 Prozent der Gesamtkosten zu haben und einen Flug buchen zu können. Geier: Normalerweise sind ja die Astronautinnen und Astronauten für ein halbes Jahr auf der ISS. Wie lange wird diese Mission dauern? Kessler: Wir planen im Augenblick eher eine Mission mit einer Dauer von einer Woche oder 14 Tagen. Das war in der Vergangenheit auch so: Die Mir- Missionen dauerten immer ungefähr 10 Tage. Andreas Mogensen war sogar nur sieben Tage lang auf der ISS. Länger wäre natürlich schöner, das ist ganz klar. Aber wir gehen im Augenblick einfach davon aus, dass eine kurze Mission eher erschwinglich sein wird. Auch das hängt so ein bisschen davon ab, wie sich der Markt in nächster Zeit entwickeln wird. Geier: Dieser Markt entwickelt sich ja, wie Sie gesagt haben, relativ schnell. In den USA gibt es da gleich mehrere Firmen wie SpaceX. Aber auch der Amazon-Chef Jeff Bezos hat ja sozusagen eine Rakete bauen lassen. Sie fliegt allerdings nur 100 Kilometer hoch und damit sozusagen nur an den Rand des Weltraums. Was glauben Sie, warum sich dort so viel tut, während sich hier in Europa nicht viel bewegt. Es gibt Ariane, Sojus und das war es quasi. Warum sind diese privaten Unternehmen bei uns nicht möglich? Kessler: Zum einen liegt das natürlich an diesem amerikanischen Spirit, an diesem Unternehmergeist. Zum anderen hat das auch mit Silicon Valley und der ganzen Start-up-Szene dort zu tun: Da ist es ja schon fast chic, wenn man sich als Internetmilliardär nun auch eine eigene Raumfahrtfirma leisten kann. Das gibt es bei uns in Europa in diesem extremen Ausmaß natürlich nicht. Aber wir haben auch nicht so richtig einen Startplatz vor der Tür, was doch immer so ein bisschen ein Manko darstellt. In den USA ist es so, dass man von der Mojavewüste aus starten kann oder auch von Cape Canaveral. Man hat also diese Raketenstartplätze im eigenen Land. Und es gibt auch relativ viele Testplätze. Ich habe Leute erlebt, die in Silicon Valley in irgendeiner Scheune hinter dem Haus ihren Raketenmotor mittels 3-D-Technik fräsen und dann auf der Wiese vom nächsten Bauern mal kurz starten lassen. Das wäre in Deutschland so nicht möglich, d. h. man hat es als Pionier auch in technischer Hinsicht ein bisschen schwerer. Zum anderen ist es auf diesem Gebiet genauso wie mit den anderen Start- ups: In Europa tut man sich einfach ein bisschen schwerer mit dem Investieren von viel Geld in Projekte, von denen man nicht weiß, wie sie ausgehen. Geier: Eine Hoffnung ist ja auch, dass die Raumfahrt, z. B. ein Transfer zur ISS, billiger wird. Man versucht auch, Raketenstufen wiederzuverwenden, und das hat auch teilweise schon geklappt. Auch hier ist es so, dass die Europäer lediglich sagen: "Ja, ja, darüber denken wir auch mal nach!" Aber wenn man "darüber nachdenkt", dann dauert es in der Regel noch Jahrzehnte, bis dann wirklich was rumkommt. Hinken wir da hinterher? Kessler: Ich fürchte schon, ja. Geier: Warum? Kessler: In Europa ist halt die Raumfahrt doch immer noch sehr agenturgeprägt. Und auch hier fehlt wieder so ein bisschen dieser amerikanische Unternehmergeist, bei dem jemand sagt: "Ich mach jetzt einfach mal und schau dann, was dabei herauskommt. Ich warte nicht erst, bis mir die ESA oder die NASA einen Auftrag gibt und fang dann erst an, etwas zu entwickeln." Und dann ist es ja so, dass es in Europa auch noch 26 Mitgliedsstaaten gibt, was das Ganze auch immer noch ein wenig komplizierter macht als in den USA, wo es nur einen Staat gibt und die Politik deswegen nicht ganz so kompliziert ist. Geier: Da gib es also auf der anderen Seite des Atlantiks die privaten Unternehmen, die auf den Markt drängen. In der ganz anderen Richtung, nämlich im Fernen Osten ist es so, dass inzwischen auch China und Indien ins Geschäft drängen, denn auch Indien hat inzwischen schon eine Sonde zum Mars geschickt. Mir scheint, wir sind da bald eingeklemmt zwischen diesen Mächten. Glauben Sie, dass das den Europäern Beine machen wird, dass es sie beeinflusst? Kessler: Es beeinflusst uns ganz klar, denn es geht ja schon wieder so ein bisschen in Richtung Wettlauf in den Weltraum. Ich denke aber, dass das auch inspiriert, denn ich finde Wettbewerb ja immer ganz positiv. Ich sehe auch so ein bisschen, dass ein zartes Start-up-Szene-Pflänzchen in der Raumfahrt in Europa heranwächst. Auch in Deutschland gibt es ja einiges, was da in Bewegung ist mit Programmen, die das fördern sollen. Da gibt es z. B. den INNOspace Masters Wettbewerb vom DLR usw. Auf der anderen Seite ist es aber meiner Meinung nach so, dass wir in Europa schon immer noch eine sehr, sehr gute Technik haben. Das sieht man ja auch an den Partnerschaften, sei es nun die Partnerschaft beim Projekt "Orion", bei dem Europa das Antriebsmodul baut, das ja wirklich ein sehr, sehr wichtiges Bauteil darstellt. Oder denken Sie an die Kooperationen mit China, mit Indien oder auch mit Russland bei der Mission Mars Express usw. Ich denke, dass eigentlich alle Länder gerne mit Europa kooperieren. Wir sind also schon sehr stark in der Technologie und werden daher nicht völlig zurückfallen. Geier: Glauben Sie, dass irgendwann der Punkt kommen wird, bei dem die Wiederverwendbarkeit eine große Rolle spielen wird, weil die ganze Sache auf diese Weise so viel billiger wird, dass auch die Europäer sagen werden: "Gut, dann müssen wir eben die Ariane etwas zurückstellen und auch so etwas nutzen, wenn das schlicht 20, 30, 40 Prozent billiger ist"? Kessler: Ich hoffe, dass insgesamt der Flug ins All billiger wird, denn ich will mir ja irgendwann selbst auch noch einen leisten können (lacht). Das heißt, ich denke hier ganz eigennützig. Ich glaube, dass es auch bei der ESA sehr wohl parallele Aktivitäten gibt in Sachen Wiederverwendbarkeit. Auch bei Airbus studiert man das genau und schaut genau, ob das und wie das machbar ist. Im Konzeptstadium beschäftigt man sich damit also bereits ganz sicher. Das ist die Zukunft, ganz klar, auf jeden Fall. Geier: Die privaten Unternehmen wollen beim Transfer zur ISS und zurück natürlich Geld verdienen, das ist klar. Aber lassen Sie uns mal weiter blicken, also bis zum Mond oder zum Mars, wie SpaceX angekündigt hat. In einer schönen Computeranimation kann man sich das heute schon alles sehr gut anschauen. Das sind große Ankündigungen, aber es gibt eben auch Leute, die sagen: "Das wird noch sehr lange dauern, auch wenn solche Firmen sagen, dass es schon in ein paar Jahren soweit sein wird." Ist das nur gutes Marketing oder treiben diese Ankündigungen die Branche doch so ein bisschen vor sich her? Kessler: Ja, sie treiben das Ganze schon ein bisschen vor sich her. Natürlich ist es in der Raumfahrt so, dass die Sachen dann nicht ganz so schnell passieren, wie man das gerne hätte, weil einem die Technologie manchmal halt doch einen Streich spielt und nicht so funktioniert, wie man glaubt, dass sie funktionieren soll. Aber insgesamt sieht man schlicht an der Menge der Initiativen, die es da nun gibt – Sie haben all die Namen vorhin ja schon aufgezählt und auch in China sind die ersten Internetmilliardäre bereits dran an diesem Thema –, dass sich da wirklich was tut. Und die Raumfahrt ist nun einmal das nächste spannende Thema. Noch eine Internetfirma aufmachen, noch einen Versand wie Amazon aufziehen, ist ja nicht mehr der große Kitzel. Und digitalisiert werden wir demnächst auch alles haben. Das heißt, der Mensch sucht dann eben nach etwas Neuem. Ich bin überzeugt davon, dass dann die Raumfahrt der nächste Schritt ist. Geier: Trotzdem sind das ja meistens Milliardäre und keine Milliardärinnen. Kessler: Tja, das stimmt leider. Geier: Das kommt vielleicht noch. Kessler: Genau. Geier: Zum Schluss würde ich gerne noch eine ganz kurze Fragerunde machen mit Ihnen, Frau Kessler. Ich beginne einen Satz und Sie vollenden ihn bitte, wenn Sie Lust haben. Wenn ich wählen müsste, zur Internationalen Raumstation, auf den Mond oder auf den Mars zu fliegen, würde ich … Kessler: … den Mond wählen. Geier: Bis der erste Mensch auf dem Mars ist, wird es noch Jahrzehnte dauern, weil … Kessler: … weil uns die Finanzierung fehlt. Geier: Damit Sie selbst noch in den Weltraum kommen, würden Sie … Kessler: … einfach so weitermachen wie bisher und hoffen, dass ich es schaffe. Geier: Wunderbar. Damit müssen wir nämlich auch schon zum Ende kommen, auch wenn uns viele Fragen sicherlich noch weiter beschäftigen werden. Vielen Dank, Frau Kessler, für diese spannenden Einblicke in die Raumfahrt, in die dazugehörige Industrie und in den Mythos, der damit zusammenhängt. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für das Interesse. Und wenn Sie es nicht schaffen, Astronaut zu werden – der Blick in den Nachthimmel lohnt auf jeden Fall. Auf Wiedersehen.

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