11 FREUNDE Königsklasse El amor a Spezial un club »ronaldo ist ein kind« Der Schriftsteller Javier Der FC Bayern war mir immer unsympathisch. Viel- Marias über seine Liebe zu Real leicht weil er das deutsche Real sein will und es viele Konflikte zwischen diesen beiden Vereinen ge- Madrid – und die Enttäuschungen, geben hat. Der FC Bayern der Gegenwart hat sich alle die sie mit sich brachte Talente des Landes gesichert, aus diesem Grund lang- weilt er die Bundesliga. Er ist anmaßend, arrogant, ei- Interview tel. Das Gleiche kann man auch über das heutige Real Madrid sagen, aber das war nicht immer so. Dirk Gieselmann _ Sie wuchsen mit dem „Weißen Ballett“, der Mann- schaft der späten Fünfziger und frühen Sechziger _ Javier Marias, in „Alle unsere frühen Schlachten“, auf. Es muss ein Leichtes gewesen zu sein, sich in Ihren Erinnerungen an Ihre Jugend als Anhänger dieses Real Madrid zu verlieben. Ja, das war gerade- von Real Madrid, schreiben Sie, man könne seine zu zwangsläufig so. Sonst wäre ich kein Madrilene ge- Freunde wechseln – aber niemals seinen Verein. Ist wesen. Die Mannschaft um , Hector Rial, Ihre Liebe zu Real Madrid tiefer als die zu den Men- Alfredo Di Stefano, Ferenc Puskas und : schen in Ihrer Umgebung? Zum Glück haben diese Das war die beste, die ich je gesehen habe. Eine der be- Lieben nichts miteinander zu tun. Die Liebe zu einem eindruckendsten Erfahrungen meiner Kindheit. Verein ist rein symbolischer Natur, im Unterschied zur _ Sie haben „La Decima“ samt und sonders miterlebt, Liebe zwischen Menschen. Erstere ist für gewöhnlich alle zehn Triumphe Real Madrids im Europapokal dauerhaft und unverrückbar, allein schon weil sie von der Landesmeister und in der Champions League. weit geringerer Intensität ist und unerwidert bleiben Welcher hat sie am meisten beeindruckt? „La Quin- muss. Um ehrlich zu sein: Niemand erwartet, dass Real ta“, der fünfte. Das 7:3 gegen Eintracht Frankfurt. Madrid mich liebt, nicht wahr? Ich glaube sogar, dass _ Das Finale von 1960 wird noch immer als eines der dieser Verein nicht einmal weiß, dass ich existiere. größten aller Zeiten angesehen. Erzählen Sie uns bit- _ Sind Sie je mit einem anderen Verein fremdgegan- te davon. Ich sah es im Fernsehen, in Schwarzweiß na- gen? Nein, ich glaube nicht. Gut, als Alfredo Di Stefano türlich – und hatte mit neun Jahren gerade das richtige 1964 von Real Madrid vertrieben wurde, da war ich Alter erreicht, um das Spiel mit extremer Leidenschaft zu noch ein Kind, also in der Lage, die Seiten zu wechseln verfolgen. Die Eintracht ging in Führung, das ist in einem und ihm zu Espanyol zu folgen. Aber diese Begeiste- Finale ja eigentlich immer vorentscheidend. Doch Madrid rung hielt nicht lange an. Genau genommen ist Espa- spielte einfach wundervoll! Vor einigen Jahren habe ich die nyol ein Verein von eher geringer Attraktivität. Aufzeichnung des Spiels bei meinem Freund, dem deut- _ Haben Sie darüber hinaus je Zuneigung für andere schen Schriftsteller Paul Ingendaay, noch einmal gesehen: Vereine empfunden, etwa den FC Bayern München? 114 Die Geschwindigkeit erstaunt mich immer wieder, ohne jeg-

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R o o n a n a l d S t e f o D i

1953 bis 2009 bis 1964 heute

282 184 Spiele Spiele

216 205 Tore Tore

Javier Marias, geboren 1951 in Madrid, gelang Anfang der Neunziger mit „Mein Herz so weiß“ der Durchbruch. 2000 erschien „Alle unsere frühen Schlachten“, ein Sammelband mit Erinnerungen an den Fußball seiner Kindheit. Sein Gesamtwerk hat eine Auflage von über sechs Millionen Exemplaren erreicht. Javier Marias lebt in Madrid.

114_117_11F_Spezial_CL_MARIAS.indd 115 21.02.15 01:21 lichen Tempoverlust marschierten die Spieler über die _ Netzer verließ einst Madrid heimlich für zwei Tage, gesamten 90 Minuten. Puskas erzielte vier Treffer, Di um ein Konzert von Frank Sinatra in Las Vegas zu Stefano drei. Noch dazu diese Kulisse von über 120 000 besuchen. Das wäre heute undenkbar. Wenn über- Zuschauern im Glasgower Hampden Park. Meine Güte! haupt, würden sich deutsche Nationalspieler zu He- _ Was ist für Sie die intensivste Erfahrung: ein Fuß- lene Fischer stehlen. Hat der Fußball seine Grandez- ballspiel im Radio zu verfolgen, im Fernsehen oder za verloren? Nicht nur der Fußball. Die Welt an sich im Stadion? Am schlimmsten ist es sicherlich am Ra- hat ihre Freiheit und Ungezwungenheit eingebüßt. In dio, weil man dort dem Spiel seiner Mannschaft über- der Ära von Di Stefano tranken und rauchten die Pro- haupt nicht helfen kann. Natürlich kann man das auch fis, und sie spielten deswegen nicht schlechter Fußball. Spieler nicht im Stadion oder vor dem Fernseher, aber da hat Auch Romario hat noch die Nächte in den Diskotheken 1970 bis man wenigstens die Illusion, helfen zu können. durchgetanzt und danach umso mehr Tore geschos- 1984 _ Bei welcher Partie war Ihr Wunsch zu helfen am sen. Heute ist alles puritanisch, überall prangen Verbo- dringlichsten? Ohne Frage beim Finale von 1962, in te. Wir leben in prüden, in lächerlichen Zeiten. Meister 5 x dem Madrid 3:5 gegen Benfica Lissabon verlor. Dabei _ Sie sagten einmal, dem heutigen Fußball fehle es an lag die Mannschaft ja schon 2:0 in Führung – und „narrativer Kraft“. Es gibt schlichtweg keine so hohen Copa del trotzdem … Ach! Eine herbe Enttäuschung, ich konnte Erwartungen mehr. Früher spielten nur die Meister der Rey 4 x die jugendliche Ratlosigkeit tagelang nicht abstreifen. jeweiligen Länder im Europapokal der Landesmeister, _ Haben Sie mal wegen einer Niederlage geweint? Nein, ein Spiel wie Madrid gegen Juventus, Bayern gegen Trainer so weit kam es nie. Natürlich konnte mich ein Spiel Milan oder Barcelona gegen Liverpool war wie ein Ge- 1999 bis D e l B o s q herunterreißen, für einige Tage wirklich deprimieren. schenk. Solche Spiele fanden nur alle Jubeljahre mal 2003 u e Zum Beispiel das 0:5 gegen Johan Cruijffs Barcelona statt. Heute sehen wir diese Partien jede Saison, und Meister 1974 oder jenes gegen den AC Mailand mit , wir sehen sie ohne große Unterschiede. Nicht immer, 2 x Frank Rijkaard und Marco van Basten 1989. Doch wie aber meistens verlaufen sie gleich. Diese Spiele haben bereits gesagt: Zum Glück betrifft der Fußball ja nicht ihre Einzigartigkeit verloren. In diesem Exzess liegt kei- Champions League unser persönliches, sondern nur das imaginäre Leben. ne Emotion – und mithin keine narrative Kraft. 2 x _ Nach dem „Weißen Ballett“ hatte Real Madrid noch _ Welcher moderne Spieler könnte dennoch eine Figur i n h o weitere große Spielergenerationen, etwa „El Madrid in einem Ihrer Romane sein? Ich kann mir Cristiano M o u r ye-yé“ mit , und Manuel Velasquez Ronaldo nur mit einer Superheldenmaske in einem oder „La Quinta del Buitre“ mit Emilio Butragueno, Hollywoodstreifen vorstellen, austauschbar mit all den Martin Vazquez und Michel, gewann aber den Lan- anderen, um ehrlich zu sein. Ihm fehlt die Tiefe, die desmeisterpokal 32 Jahre lang nicht mehr. Wie kam Ernsthaftigkeit, ihm fehlt das Pathos. Genauso ist es das? Das weiß ich auch nicht! „La Quinta del Buitre“ mit Messi: Ihn sehe ich als Hobbit verkleidet. hätte ihn gewinnen müssen, aber sie traf auf das Milan _ Di Stefano sagte, Fußball sei Kunst. Ist Fußball für Trainer von Arrigo Sacchi, auf Gullit, Rijkaard und Van Basten, Cristiano Ronaldo Entertainment? Ich habe keine 2010 bis die bedauerlicherweise besser waren. Ahnung, was Cristiano über den Fußball denkt. Mir 2013 _ 1998 war die Durststrecke endlich überwunden, scheint es, als ginge es ihm allein um seine persönli- Meister Real Madrid schlug Juventus Turin im Endspiel che Karriere. Darum, Rekorde zu brechen. Ich weiß, 1x von Amsterdam 1:0. Trainer Jupp Heynckes musste dass er es liebt zu spielen. Aber ich bin mir nicht so trotzdem gehen. Warum? Das werde ich niemals ver- sicher, ob er den Fußball um seiner selbst willen liebt. Copa del Rey stehen. Real Madrid stellt sich selbst immer als höchst _ Ronaldo verdient samt Werbeeinnahmen 70 Millio- 1x anspruchsvoll dar. Der Verein hat schon Trainer entlas- nen Euro im Jahr. Ist das zu viel? Niemand hat zu viel sen, die sehr viele Titel gesammelt hatten, nur weil ihr Geld, es sei denn, er hat es gestohlen. Wenn sie es ihm Spielstil den Fans angeblich nicht gefiel. So war es 2003 geben, dann aus dem Grund, weil Millionen von Men- auch mit Vicente del Bosque, obwohl er wirklich außer- schen sich vor dem Fernseher versammeln, um ihn gewöhnlich war, nicht nur fußballerisch, auch psycho- spielen und treffen zu sehen. Außerdem scheint ihn logisch. Auf der anderen Seite ließ man jemanden wie das viele Geld nicht daran zu hindern, immer sein Bes-

José Mourinho drei Spielzeiten lang wirken, obwohl tes zu geben. Ich glaube nicht, dass es ein Problem ist. Getty Images, Mundo Deportivo itters, schnell klar war, dass er ein schlechter Trainer war, _ Anders gefragt: Investiert Real Madrid zu viel Geld ein einfacher Mensch und Gift für die Mannschaft. Mir in Topstars? Ich denke: ja. Wenn die Verantwortli- scheint es, als seien die Präsidenten eines Vereins nie chen weniger Stars kaufen würden, hätten sie mehr

intelligente Zeitgenossen. Ehrgeizlinge dafür sehr wohl. Spieler aus dem eigenen Nachwuchs im Kader. Diese Imago (2), W Fotos: _ Welcher deutsche Spieler in Diensten Real Madrids Nachwuchsspieler sind wichtig für die Identifikation hat Ihnen am besten gefallen? Mesut Özil glänzte viel- der Fans – oder waren es zumindest früher. Ich denke leicht ein bisschen zu sehr. Ich habe nichts gegen diese zwar, dass die meisten Zuschauer heute nicht so sentimen- glänzenden Genies, wie auch Guti eines war. Aber ich tal sind. Ich selbst aber fand es besser, als zwischen den bin mir nicht sicher, ob Özil wirklich an die ganz Gro- reichen Vereinen und den anderen nicht ein dermaßen ßen heranreicht. Es scheint auch nicht so, als bewirke großer Abstand herrschte. Dieser fehlende Wettbewerb er besondere Dinge beim FC Arsenal. Günter Netzer langweilt mich. Wie schon gesagt: Niemand will eine Liga, hingegen: Ihm zuzuschauen war ein wahres Vergnügen! 116 in der jedes Jahr der FC Bayern Meister wird. Immerhin ha-

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ben wir in Spanien eine Liga, in der mittlerweile drei Mannschaften das Zeug zum Titel haben. _ Wenn ein Verein in der Lage ist, jeden Spieler der Welt zu verpflichten – verzieht er damit nicht auch seine Fans zu blasierten Kindern? Ich denke, dass ich ein romantischer Fan bin. Deswegen will ich es so aus- drücken: Ich habe mehr Sympathie für Iker Casillas, der seit seinen Kindertagen im Klub ist, als für Gareth Bale. Ich hatte mehr Sympathie für Emilio Butrague- no als für Hugo Sanchez; mehr für Raul als für Zida- ne. Für mich ist wichtig, dass ich gesehen habe, wie die Spieler gewachsen, wie sie besser geworden sind. Wenn jemand bereits voll ausgebildet dazustößt, dann ist das gut, aber nur, wenn die Basis der Mannschaft eine andere ist. Falls nicht, dann besteht die Gefahr, dass sich der Verein in eine Art Harlem Globetrotters verwandelt. Und die Globetrotters messen sich nicht »Mourinho mit anderen, sie sind nicht ernsthaft, sie sind eine D Showmannschaft, ein Team der Jongleure, eine Zir- e l B o s q u e war ein kustruppe. Doch wer will schon Zirkus ohne Emotion? schlechter _ Was empfinden Sie, wenn Sie Cristiano Ronaldo wei- nen sehen? Nichts. Aber niemand kann ihm wirklich Trainer, böse sein. Er ist ein Kind, und niemand kann Kindern böse sein. ein einfacher _ Alfredo Di Stefano, , Cristiano Ro- naldo: Könnten diese drei zusammenspielen? Das ist i n h o M o u r Mensch Science-Fiction! _ Wer wäre in dieser Science-Fiction-Mannschaft der und Gift Chef? In diesem Genre definitiv Di Stefano. Zidane ist ein sehr zurückhaltender Charakter, und Ronaldo wür- für die de schon am ersten Tag von Di Stefano in die Schran- « ken verwiesen werden. Cristiano ist sehr gehorsam, in Mannschaft Wirklichkeit ist er sehr jungenhaft. Di Stefano hingegen hatte nichts Kindisches an sich, er war ein Marschall, wenn auch mit Sinn für Humor. Don Alfredo eben. _ Wenn das „Weiße Ballett“ auf die Mannschaft der Gegenwart träfe, wem würden Sie die Daumen drü- cken? Ich bleibe bei meiner Treue für die Idole meiner Kindheit. Außerdem ist die aktuelle Mannschaft noch keine für die Ewigkeit. Das wird nach der Ära Mourin- ho noch eine ganze Zeit dauern. _ Welchen Schaden hat Mourinho angerichtet? Real Madrid war eine noble Mannschaft, Mourinho mach- te aus ihr eine unehrenhafte. Real Madrid hat sich nie mit Schiedsrichtern angelegt, Mourinhos Mannschaft tat das andauernd. Real Madrid stand für Fair Play, Mourinhos Mannschaft für Foul Play. Real Madrids Trainer waren wohlerzogene Lehrer, die das Lob an ihre Mannschaft weitergaben, Mourinho war schlecht erzogen und bezog alles Lob auf sich. In dieser Zeit fiel es mir schwer, so mitzufiebern wie zuvor. Ich war im Finale der Copa del Rey sogar für Atletico, damit Mou- rinho sich nicht mit einer weiteren Trophäe schmü- cken konnte. Stellen Sie sich das mal vor! _ Das Real Madrid der Gegenwart hat noch keinen Na- men wie „Weißes Ballett“ oder „Die Galaktischen“. Welchen schlagen Sie vor? Ich habe noch keinen Na- men für diese Mannschaft. Einfach, weil sie noch kei- 117 nen verdient.

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