Ralf G. Jahn

Progenies

Band 6

Der Adolf-Hitler-Code

Hitlers größte Verunsicherung

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Progenies

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Der Adolf-Hitler-Code

Hitlers größte Verunsicherung

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1

Der Adolf-Hitler-Code

Hitlers größte Verunsicherung

von Dr. Ralf G. Jahn M.A.

Wissenschaftlicher Berater und Protagonist von pre-tv bei der Fernsehdokumentation „Hitler – mein Großvater?“

Geldern 2016

2

Inhaltsverzeichnis

VORWORT ...... 8 , MEIN GROßVATER? EIN LEBEN IM SCHATTEN DER GESCHICHTE ...... 10 HITLER UND GENEALOGIE ...... 13

DIE BEDEUTUNG VON HITLERS AHNEN- UND STAMMTAFEL ...... 15 DER KULT UM HITLERS FAMILIE NACH DEM ANSCHLUß 1938 ...... 18 Braunau ...... 19 Hitlers Geburtshaus und die NS-Propaganda ...... 20 Die NSDAP kauft das Haus...... 21 Sprengung wird verhindert ...... 23 Die Nutzung nach 1945 ...... 25 Das Mahnmahl vor dem Haus ...... 26 Das Haus wird unter Denkmalschutz gestellt ...... 26 Die „Zeitgeschichte-Tage“ und das „Haus der Verantwortung“ ...... 27 Hitler verliert Heimat- und Ehrenbürgerrecht ...... 29 Die Kehrtwende ...... 29 Das Bundesministerium des Inneren will aus dem Mietvertrag heraus ...... 30 Frau Pommer soll enteignet werden ...... 32 Die Kommission zum historisch-korrekten Umgang mit dem Hitler-Haus ...... 34 Auftrag ...... 34 Fragestellungen an die Kommission ...... 34 Mitglieder der Expertenkommission ...... 35 Kritik an der Kommission ...... 35 Kommissionsmitglieder lehnen Abriß ab ...... 36 Ergebnisse der Expertenkommission ...... 37 Der Innenminister will das Haus abreißen...... 39 Die „Lex Hitler-Haus“ ...... 40 Der Innenminister will einen Architektenwettbewerb ...... 40 Der Innenausschuß vertagt das Problem ...... 41 Ein Abriß löscht die Geschichte nicht aus ...... 41 Denkmalschützer wollen das Hitler-Haus erhalten ...... 42 Die Diskussion geht weiter ...... 42 Die Eigentümer des Hauses ...... 48 Lambach ...... 50 Hafeld ...... 50 Fischlham ...... 51 Leonding ...... 52 Das „Elternhaus des Führers in Leonding“ ...... 52 Der Tod von Hitlers Vater ...... 57 Der Tod von Hitlers Mutter ...... 62 Das „Grab der Eltern des Führers“ ...... 63 Die Auflassung des Grabes am 29.03.2012 ...... 77 Strones ...... 78 Spital ...... 80 Walterschlag ...... 81 Döllersheim ...... 82 ...... 83 Hitlers Ahnentafeln im Waldviertel ...... 85 Das „Döllersheimer Ländchen“ ...... 85 Die „Arbeitsgemeinschaft Waldviertel“ und die Ahnen des „Führers“ ...... 86 Hitlers Ahnentafel im Schulunterricht ...... 91 3

HITLERS FAMILIENNAME ...... 93

HÄUFIGKEIT ...... 97 DIE ERSTE ERWÄHNUNG EINES HYDLER (HITLER) ...... 97 ADOLF HITTLER – EIN BELASTETER NAME...... 98 DIE LEGITIMIERUNG VON HITLERS VATER ...... 99

MARIA SCHICKLGRUBER UND DIE FRAGE DES VATERS IHRES KINDES ...... 99 NOTARIATSURKUNDE ...... 103 TAUFBUCH ...... 107 ALOIS DISTANZIERT SICH VON SEINEN FAMILIÄREN WURZELN ...... 109 BIOLOGISCHE UND MEDIZINISCHE ASPEKTE ...... 109

BIOLOGISCHE ASPEKTE ...... 109 INZUCHT UND AHNENGLEICHHEIT ...... 111 INZUCHT IM HAUSE HITLER ...... 112 Heiratdispens wegen zu naher Verwandtschaft ...... 112 Die Ehe von Hitlers Eltern ...... 115 Hitler und Braunau ...... 118 Hitler fürchtete sich, Vater zu werden ...... 119 OTTO HITLER ...... 122 ALOISIA VEIT ...... 124 HITLERS PERSÖNLICHKEITSMERKMALE ...... 133 WAR HITLER VERRÜCKT? ...... 134 Was sagen Hitlers Ärzte zu seinem psychischen Verhalten? ...... 136 Das „Morell-Protokoll“...... 137 HITLERS ANGEBLICHE JÜDISCHE ABSTAMMUNG ...... 140

ERSTE GERÜCHTE ...... 140 VERGLEICHSFÄLLE ...... 140 Vergleichsfall Duesterberg ...... 140 Vergleichsfall Csanád Szegedi in Ungarn ...... 142 HITLER ÜBER SEINE HERKUNFT ...... 144 EIN „ACHTELJUDE“ ALS VERLOBTER VON HITLERS NICHTE...... 146 DIE SS UND IHR MENSCHENZUCHTPROGRAMM ...... 153

„VERLOBUNGS- UND HEIRATSBEFEHL DER SS“ ...... 153 DIE „RASSEGRUPPEN“ ...... 157 REINHARD HEYDRICH UND DIE GERÜCHTE ÜBER SEINE ABSTAMMUNG ...... 160 HITLERS ANTISEMITISMUS ...... 170

DAS MILIEU DES ELTERNHAUSES ...... 170 EINWIRKUNGEN IN LINZ ...... 171 EINWIRKUNGEN IN WIEN ...... 174 EINWIRKUNGEN WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGES ...... 177 EINWIRKUNGEN IN MÜNCHEN ...... 178 Hitlers Eintritt in die Politik ...... 179 War Hitler Soldatenrat? ...... 181 Aus Hitlers latentem Antisemitismus wird radikaler Judenhaß ...... 182 Hitler wird Mitglied der Untersuchungs- und Entlassungskommission ...... 183 Hitler wird Propaganda- und Vertrauensmann...... 183 Teilnehmer an antibolschewistischen Aufklärungskursen...... 184 4

Hitlers obsessiver Judenhaß entsteht ...... 186 Hitlers „Judengutachten“ 1919 ...... 187 Hitlers Beitritt zur DAP ...... 191 GEISTIGE WEGBEREITER ...... 191 Die „Judenfrage“ und ihre „Endlösung“ ...... 191 Eugen Dühring fordert die „Vernichtung des Judenvolkes“ (1890) ...... 193 Antisemitische Partei fordert „Vernichtung des Judenvolkes“ (1899)...... 196 Alfred Ploetz fordert die „Ausrottung minderwertiger Bevölkerungselemente“ (1895) ...... 196 Der Einfluß von „Baur-Fischer-Lenz“: Der NS als „angewandte Biologie“ ...... 198 Fritz Lenz (1887-1976) ...... 198 Erwin Baur (1875-1933) ...... 200 Eugen Fischer (1874-1967) ...... 201 HITLER – EIN ENKEL FRANKENBERGERS? ...... 204

HITLER, ALS DIE „FRANKENBERGER-GESCHICHTE“ AUFKAM...... 204 SCHWERE INNERE KRISE DER NSDAP 1932/33 ...... 205 DIE ANGEBLICHE VORFAHRIN KATHARINA SALOMON ...... 207 DIE JÜDISCHEN HITLERS ...... 208 DIE ROTHSCHILD-HYPOTHESE ...... 212 „Inside ihe Gestapo“ ...... 212 Der OSS-Bericht ...... 212 DIE FRANKENBERGER-THESE VON HANS FRANK ...... 214 Der Jude Frankenberger in Graz und Hitlers Großmutter...... 214 Jetzinger übernimmt die Frankberger-These ...... 216 Die Widerlegung der Frankberger-These ...... 218 Juden in Graz und den Alpenländern ...... 218 Kommentare zur Frank-These ...... 220 Gratzen statt Graz? ...... 224 Rechtsextreme Verschwörungstheoretiker ...... 224 Die Frankenberger-Geschichte als publizistische Waffe ...... 225 Die Theorie von Frau Dr. Krumpöck ...... 226 Die Freiherren von Pereira-Arnstein ...... 227 Schloß Wetzlas ...... 228 Ist die Frankenberger-Geschichte verschlüsselt? ...... 230 Die Erpressung durch den Neffen ...... 230 WARUM ERSCHEINT JOHANN GEORG HIEDLER ALS GROßVATER? ...... 237 DIE NATIONALSOZIALISTISCHE SIPPENFORSCHUNG ...... 238

DAS SIPPEN- UND DAS AHNENTAFELAMT DER SS ...... 240 DER REICHSNÄHRSTAND WILL DORFSIPPENBÜCHER ...... 242 DAS RASSENPOLITISCHE AMT DER NSDAP ...... 244 DIE „NS-AUSKUNFT“ ...... 248 Dr. Achim Gercke ...... 248 Das Amt für Sippenforschung in der Reichsleitung der NSDAP ...... 252 DAS REICHSSIPPENAMT ...... 253 „Sachverständiger für Rasseforschung“ beim Reichsminister des Innern ...... 253 Der Fall Erhard Milch ...... 258 Dr. Kurt Mayer als Leiter des Reichssippenamtes ...... 260 FAMILIENKUNDLICHE ARBEIT IN DER SCHULE ...... 264 ERB- UND RASSEKUNDLICHE GUTACHTEN ...... 266 5

DER EINFLUß VON HITLERS ABKUNFT AUF SEINE POLITIK...... 268

DIE BEDEUTUNG VON HITLERS ABSTAMMUNG UND DIE NS-RASSEGESETZGEBUNG ...... 268 HITLER WUßTE NICHT, WER SEIN GROßVATER WAR ...... 268 HITLER 1919-1929 ...... 271 GLAUBHAFTE GERÜCHTE ÜBER EINE ANGEBLICHE JÜDISCHE ABSTAMMUNG HITLERS ...... 280 HITLERS AHNENTAFEL WIRD ERFORSCHT ...... 283 DIE VORFAHRIN SALOMON BRINGT EINE LAWINE INS ROLLEN ...... 283 DIE SS UNTERSUCHT HITLERS ABSTAMMUNG ...... 284 DIE GROßE BEDEUTUNG DER ABSTAMMUNGSFRAGE FÜR HITLERS „MISCHLINGSPOLITIK“ ...... 285 1929-1932: DER ANTISEMITISMUS TRITT BEI HITLER IN DEN HINTERGRUND ...... 285 DER ANTISEMITISMUS DES NS-REGIMES 1933-1935 ...... 288 Normenstaat und Maßnahmenstaat ...... 288 Taktische Gründe zur Mäßigung ...... 289 Die drei Verfolgungswellen ...... 290 Hitler hält sich offiziell zurück ...... 292 DER BEGRIFF DES „ARIERS“ ...... 293 „artverwandten Blutes“ ...... 298 „RASSE“ – DER GRUNDPFEILER NATIONALSOZIALISTISCHER WELTANSCHAUUNG ...... 299 „Rasse“ und Nationalsozialismus ...... 299 Hitler – „rassisch“ begutachtet ...... 300 Die Uneinigkeit bei der Definition des Wortes „Rasse“ ...... 301 Die „Rassenkunde des deutschen Volkes“ von Hans F.K. Günther ...... 301 Die „Rassenkunde des deutschen Volkes“ im „Handbuch der Judenfrage“...... 306 Der Rassismus ...... 310 Der Sozialdarwinismus ...... 310 Hitler vermengt die Begriffe „Jude“ und „Rasse“ ...... 311 Der „wissenschaftliche Antisemitismus“ ...... 311 Die Willkür der nationalsozialistischen „Rasseprüfung“ ...... 312 Moderne Wissenschaftler lehnen die Einteilung der Menschen in „Rassen“ ab ...... 314 DIE NÜRNBERGER RASSENGESETZE ...... 316 DIE „MISCHLINGSPOLITIK“...... 338 Wer ist nun eigentlich ein Jude? ...... 338 „Halbjuden“ sind „Mischlinge“und keine „Juden“ ...... 340 Bestimmung der „Rasse“ durch die Religion ...... 342 Der Globke-Kommentar ...... 343 Die Diktatur der Ahnentafel ...... 346 Ansichten über „Mischlinge“ ...... 362 Hitler überprüft persönlich alle Anträge auf Ausnahme von den Rassegesetzen ...... 364 Die „Mischlingsgruppen“ der „Halbjuden“ und „Vierteljuden“ ...... 368 Status und Schicksal der „Mischlinge“ ...... 369 Hitler neigt eher zum Abwarten und Zaudern ...... 371 VON DER ENTRECHTUNG DER JUDEN ZUM VÖLKERMORD...... 372 HÄRTERE PHASE DER NS-JUDENPOLITIK NACH VERÖFFENTLICHUNG VON KOPPENSTEINERS AHNENTAFEL ...... 372 Koppensteiner erforscht Hitlers Genealogie: Keine Juden! ...... 372 Die Juden sollen möglichst schnell aus dem Land getrieben werden ...... 374 Die systematische Eingrenzung des jüdischen Lebensraumes ...... 376 Die Androhng der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ ...... 376 Der Zweite Weltkrieg und die Vernichtung der Juden ...... 377 Ghettos und Deportationen ...... 377 Massentötungen ...... 378 6

„Krieg gegen die Juden“ ...... 379 Gab es einen schriftlichen Befehl Hitlers zur Ausrottung der Juden? ...... 381 Der „Führer“ war über den Völkermord an den Juden bestens informiert ...... 384 Konzentrations- und Vernichtungslager ...... 386 DIE ISRAELISCHEN „HITLERS“ ODER DAS „WEIßE SCHAF“ DER FAMILIE ...... 394 (Johannes Theodor) Hans Hitler ...... 397 JEAN LORET – HITLERS SOHN ? ...... 399

DIE MASER-HYPOTHESE ...... 399 DAS ANGEBLICHE HITLER-GEMÄLDE ...... 401 LORETS WERDEGANG ...... 402 DIE BESTELLUNG IN DAS HOTEL LUTETIA...... 408 DER ANONYME BRIEF UND LORETS ERSTE BEGEGNUNG MIT SEINER MUTTER ...... 411 LORET KONTAKTIERT MASER ...... 417 DAS ERBBIOLOGISCHE GUTACHTEN UND ANDERE BESTÄTIGUNGEN ...... 423 HITLERS ERSATZFAMILIE ...... 427 WER WAREN HITLERS KRIEGSKAMERADEN? ...... 428 WAS SAGTEN HITLERS KRIEGSKAMERADEN? ...... 429 WAS SAGEN PERSONEN AUS HITLERS „ENGEREM KREIS“? ...... 435 MASERS RUF WIRD RAMPONIERT ...... 437 CHARLOTTES SCHWESTER BESTREITET ...... 438 WEITERE RÜCKSCHLÄGE FÜR MASER ...... 439 ANDERE MALER IM LIST-REGIMENT ...... 441 NEUE ERKENNTNISSE ...... 444 LORETS KINDER SUCHEN WEITER ...... 447 HITLER ALS SOLDAT IM ERSTEN WELTKRIEG ...... 451 HITLERS MILITÄRISCHE LAUFBAHN...... 454 DIE HITLER-DNS ...... 471

VERWANDTSCHAFTSARTEN ...... 471 1 Genetische Verwandtschaft ...... 471 2 Genealogische / Rechtliche Verwandtschaft ...... 471 3 Verwandtschaft nach Kirchenrecht ...... 471 EIN DNS-TEST KÖNNTE DAS RÄTSEL LORET LÖSEN (MULDERS 2008) ...... 472 DIE DNS-ANALYSE 2014 ...... 475 Das Y-Chromosom der Hitlers, Hiedlers und Hüttlers: ...... 488 Genetische Distanz ...... 489 Y-DNS Standard Y-STR Werte ...... 491 Zusammenfassung...... 496 Einführung: Haplogruppe und Haplotyp ...... 496 Das „Urvolk“ ...... 497 E1b1b ...... 498 „Jüdische Wurzeln? Zu welchem Prozentsatz ist man jüdisch?“ ...... 498 Ist Hitlers Haplogruppe E1b1b1 (E-M35) jüdisch? ...... 499 Die Herkunftsgeschichte der Haplogruppe E ...... 500 Verteilung der Subclades (Untergruppen): ...... 501 Die Wanderungsgeschichte der Haplogruppe ...... 502 Wie kam die Haplogruppe E1b1b nach Europa? ...... 503 Die genetische Geschichte der Menschheit ...... 504 Die Verteilung der Haplogruppe E1b1b (Y-DNS) ...... 507 Prominente der Haplogruppe E1b1b ...... 508 7

Interpretation ...... 509 E1b1b oder E1b1b1? ...... 510 Hitler und Klonen ...... 511 Die „mutmaßliche Hitler-Schädeldecke“ ...... 512 Semenowski untersucht die „mutmaßliche Hitler-Schädeldecke“ ...... 512 Zjagin untersucht die „mutmaßliche Hitler-Schädeldecke“ ...... 513 Prokop untersucht die „mutmaßliche Hitler-Schädeldecke“ ...... 513 Die „mutmaßliche Hitler-Schädeldecke“ in Moskau ...... 513 Bellantoni untersucht die „mutmaßliche Hitler-Schädeldecke“ (2009) ...... 514 Meine Stellungnahme zur Bellantoni-These: ...... 515 DIE DNS DER ...... 518 War Eva Braun jüdischer Abstammung? ...... 518 Die Ahnentafel der Eva Braun ...... 518 Die DNS von Eva Braun ...... 519 Haplogruppe N1b1 (mtDNS) ...... 520 SCHLUßFOLGERUNG ...... 522 QUELLEN UND LITERATUR ...... 527

MATRIKEN ...... 527 SAMMLUNGEN UND ARCHIVE ...... 527 ENDNOTEN ...... 538

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Vorwort Das Thema Adolf Hitler ist anhand der unzähligen Tonnen von schriftlichem Quellenmaterial natürlich nicht von einem einzelnen Historiker umfassend behandelbar. Daher muß hier naturgemäß eine Beschränkung stattfinden.

Longerichs Hitler-Biographie fußt auf dem Ansatz, daß Hitler wie jeder Mensch eine Persönlichkeit besaß, daß diese Persönlichkeit bestimmte Konstanten, Entwicklungslinien und Brüche aufweist, die sich beschreiben und analysieren lassen, und daß diese Analyse der Persönlichkeit für eine Erklärung seiner politischen Karriere fruchtbar gemacht werden kann. Hitlers Psyche, sein Gefühlsleben, seine körperliche Existenz, sein Lebensstil, sein Umgang mit anderen etc. - diese Aspekte gilt es als integralen Bestandteil dieser Persönlichkeit zu betrachten und da, wo es fruchtbar ist, in die Darstellung einzubeziehen.1 Dies gilt auch hier!

Der Nationalsozialismus sah sich selbst als "angewandte Biologie", das Dritte Reich war eine "Diktatur der Ahnentafel". Hitler und Himmler hatten einen Abstammungswahn und waren von dem Thema geradezu besessen. Ein weit zurückliegender jüdischer Vorfahre - und schon war eine Karriere in NSDAP oder SS ausgeschlossen. Umso mehr mußte es Hitler verunsichern, daß sein Großvater väterlicherseits letztlich unsicher ist. Es gab Gerüchte einer jüdischen Abstammung, die politisch gegen ihn in Stellung gebracht wurden und die ihn auch stark verunsicherten.

Im vorliegenden Werk geht es um Hitlers Abstammungswahn, die Bedeutung von Hitlers Vorfahren für die "Diktatur der Ahnentafel" der Nationalsozialisten. Da es im biologischen Sinne eine "jüdische Rasse" nicht gibt, mußte die Religionszugehörigkeit der Vorfahren als „Rassemerkmal“ herhalten, was absurd ist. Bei den Vorfahren geht es um Genealogie und Genetik. Hitlers größte Verunsicherung war die wahre Abstammung seines unehelich geborenen Vaters. Die neue These, daß nämlich Hitlers relativ "gemäßigte" Phase der Jahre 1930 bis 1937/38 vor allem auf seine Unsicherheit bezüglich seiner eigenen Abstammung zurückgeführt werden muß, stammt vom Verfasser, wurde im Film "Adolf Hitler - Mein Großvater?" grob präsentiert und wird in vorliegendem Buch breit dargestellt. Die Hitler-DNS wird vorgestellt, analysiert und in den großen Zusammenhang gebracht. Hatte er einen unehelichen Sohn? Ist die Hitler-Schädeldecke echt? Wie war das mit einer möglichen jüdischen Abstammung? Das Ergebnis hätte dem "Führer" zutiefst mißfallen!

Der Autor ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Genealoge, Spezialist des interdisziplinären Bereichs Genealogie & Genetik, Wissenschaftlicher Berater und Protagonist der Fernsehdokumentation "Adolf Hitler - mein Großvater?" sowie auch Berater bei "Dead Famous DNA" (Part 3 - Adolf Hitler and Eva Braun) von Double Act TV mit Mark Evans.

Einige Kapitel beruhen auf neue Forschungen, die hier erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Anderes hingegen ist die Zusammenfassung von Fakten, die der Wissenschaft gut bekannt ist, aber nicht dem interessierten Laien. Da die diesbezüglichen Publikationen viel zu verstreut sind, wird der Forschungsstand hier knapp zusammengefaßt. In diesem Fall wurde zuweilen auf die Endnoten verzichtet – nicht zuletzt aus Platzgründen.

Konstruktive Kritik ist immer willkommen!

Zum Schluß, aber nicht zuletzt möchte ich mich bei folgenden Personen bedanken: 9

 Mag. Nikolaus Wisiak von pre-tv sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,

 Frau Dr. Ute Gebhardt, Regisseurin und Drehbuchautorin von "Adolf Hitler - mein Großvater?" sowie ihrem Filmteam (Werner Veits, René Schuh, Antonia Fritz),

 Herrn David Korn-Brzoza, Regisseur und Drehbuchautor von "Adolf Hitler - mein Großvater?" sowie seinem Filmteam,

 Herrn Dr. Philippe Charlier, Gerichtsmediziner, Paris,

 Herrn Prof. David Balding, Professor für genetische Statistik in London,

 Herrn a.Univ.Prof. Dr. Walther Parson, Leiter Forensische Molekularbiologie des Instituts für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck,

 Herrn Dr. Herbert Ullrich, Anthropologe, Berlin,

 Herrn Dr. Andreas Maislinger, "Haus der Verantwortung", Braunau;

 den Betreibern der Internetseite braunau-history.at ,

 Herrn Dr. Rudolf Maurer vom Rollettmuseum Baden;

 Herrn Dipl.-Soz. Sven Hartwig von der Nationalbibliothek Wien;

 Herrn Franz Kotzian vom Diözesanarchiv St. Pölten;

 Herrn Dkfm. Helmut Marchherndl, Leonding,

 den Geschwistern Frau Elisabeth und Herrn Philippe Loret,

 den Herren Roman und René Hiedler,

 Frau Anika Pilnei, Produktionsassistentin von Double Act,

 dem Team von Double Act TV, insbesondere Herrn Marc Evans mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,

 Frau Britta von Eitzen M.A.,

 Herrn Peter Birrer-Ludin aus Reiden in der Schweiz,

 Herrn Prof. Dr. Jürgen Udolph, Zentrum für Namenforschung,

 und insbesondere meiner Frau Professoressa Dott.ssa N.D. Maria Triestina Jahn, geb. Morelli für die Überlassungen von Materialen, Fotos, Finanzierung, Ermöglichen von Recherchen, Weitergabe von interessanten Informationen und Hinweisen. etc.

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Adolf Hitler, mein Großvater? Ein Leben im Schatten der Geschichte „1973 ist Elisabeth 20 Jahre alt, als ihr Vater, Jean-Marie Loret, dieses schwerwiegende Familiengeheimnis enthüllt. An jenem schicksalhaften Tag fühlt sich Elisabeth von einem der düstersten Bereiche der Geschichte eingeholt. Hin und her gerissen zwischen der Ablehnung dieses Vorfahrens und der Überzeugung ihres Vaters, beschließt sie schließlich daran zu glauben. Entgegen der Meinung der Mehrheit der Verwandtschaft akzeptiert sie ihren Vater bei seiner Suche nach seiner Identität zu begleiten. Dieser Vater, der während seiner ganzen Jugend versuchte zu wissen woher er kam. Der heute verstorbene Jean-Marie Loret hat als einzige Erbschaft eine unvollendete Suche und die Heftigkeit dieser Enthüllung, die Elisabeth Tag für Tag verfolgt. 37 Jahre später ist es an der Zeit mit den Zweifeln abzuschließen und das Schweigen über ihre Wurzeln zu brechen.“

Projektart: Dokumentation Produktionsgesellschaft: pre tv Gesellschaft für Film- und Videoproduktion mbH Infolink: www.pretv.at Regie: David Korn-Brzoza, Dr. Ute Gebhardt Drehbuch: David Korn-Brzoza, Dr. Ute Gebhardt Wissenschaftliche Beratung: Dr. Ralf G. Jahn, Dr. Philippe Charlier, Prof. David Balding Kamera: Charles Sautreuil, Walter Reichl Ton: Nicolas Klein, Rene Schuh Kostüm: Veronika Albert Maske: Claudia Herold Szenenbild: Matthias Götzelmann Schnitt: Paul Le Grouyer

Category Dokumentation

Producer pre tv Gesellschaft für Film- und Videoproduktion m.b.H. 11

Produzent: Mag. Nikolaus Wisiak

Overall costs: € 434.815,00

Publicly € 75.000,00 sponsored:

Sponsors: FERNSEHFONDS , CNC

Coproducer: PROGRAMM 33, OR MEDIA LIMITED

Television France 5, RTBF (Radio-télévision belge de la Communauté francaise), Planète station: France, Channel 4 (Channel 4 Television Corporation), Puls 4 TV GmbH & Co KG

Länge: 52 Minuten

Jahr: 2013 (3. Antragstermin)

Crew: Dr. Ute Gebhardt, Werner Veits, René Schuh, Antonia Fritz

Protagonist: Dr. Ralf G. Jahn

Dr. Maurer, Rollettmuseum Baden; Sven Hartwig, Nationalbibliothek Wien; Franz Locations: Kotzian, Diözesanarchiv St. Pölten; Helmut Marchherndl, Friedhof Leonding.

"Adolf Hitler ist Euer Großvater?" Die Enthüllung fällt wie ein Schwert auf den Nacken von Elisabeth Loret und auf denjenigen ihrer Geschwister. Ihr Leben kippt. 1973 ist Elisabeth 20 Jahre alt, als ihr 12

Vater, Jean-Marie Loret, dieses schwerwiegende Familiengeheimnis enthüllt. Dieser Dokumentarfilm ist eine historische Untersuchung über drei Generationen. Elisabeth Loret nimmt die Recherchen ihres Vaters Jean-Marie Loret - vermutlicher Sohn von Hitler - wieder auf, und begibt sich zurück auf die Spuren ihrer Großmutter Charlotte Lobjoie, die am Sterbebett ihrem Sohn gesteht, dass sein Vater Adolf Hitler ist. Dieser Film führt von 1917 bis heute die drei Schicksale vor Augen, von dem Augenblick an, wo sie den Weg Adolf Hitlers, den Soldaten, Führer, und schließlich einem der düstersten historischen Figur der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts kreuzen. Gespräche mit Historikern, Überprüfung der Chronologie, Erinnerungen, alle erstaunlichen Dokumente, die schon von Jean-Marie Loret während seiner Identitätssuche gesammelt wurden, werden zusammen getragen, um das Familienpuzzle zu rekonstruieren. Aber es ist die genetische Analyse, die es ermöglichen wird, die Zweifel aus dem Weg zu räumen. Zwei Mitglieder der mit Hitler verwandten österreichischen Familie haben zugestimmt, Proben zur Verfügung zu stellen, um DNS Tests durchzuführen. Die pre tv Gesellschaft für Film- und Videoproduktion mbH in Wien (Mag. Nikolaus Wisiak) ist mit seinen Koproduktionspartnern Touch Films und Programm 33 (Paris) Initiator der DNS- Untersuchungen. Die von der pre tv Gesellschaft für Film- und Videoproduktion m.b.H. hergestellte Dokumentation "Adolf Hitler – Mein Großvater?" wurde am Dienstag, dem 24. Mai 2016, um 00:40 Uhr auf PULS 4 erstmals ausgestrahlt. Die französische Filmfassung konzentriert sich auf den Fall Loret, die österreichische Version ist in Teilen neu gedreht. Hier steht insbesondere Hitlers Abstammungswahn im Vordergrund, die Bedeutung von Hitlers Ahnentafel für die „Diktatur der Ahnentafel“ der Nationalsozialisten.

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Hitler und Genealogie

„Von Familiengeschichte habe ich gar keine Ahnung. Auf dem Gebiet bin ich der Allerbeschränkteste. Ich habe auch früher nicht gewußt, daß ich Verwandte habe. Erst seit ich Reichskanzler bin, habe ich das erfahren. Ich bin ein vollkommen unfamiliäres Wesen, ein unsippisch veranlagtes Wesen. Das liegt mir nicht. Ich gehöre nur meiner Volksgemeinschaft an.“2 Nach Barbara Hamann sah sich Hitler wahrscheinlich erst als Politiker gezwungen, sich für seine verwickelten Familienverhältnisse zu interessieren: als sie nämlich 1932 als gefährliche Wahlkampfmunition gegen ihn verwendet wurden. Dabei argumentierten seine Gegner überzeugend, ein Politiker, der der Abstammung eines Menschen einen so entscheidenden Wert beimesse wie er, müsse es sich gefallen lassen, daß auch seine eigene Abstammung untersucht werde.3 Hitler war bezüglich seiner Herkunft im allgemeinen sehr zurückhaltend.4 Viele peinliche Geschichten über seine Verwandten suchte er zu verbergen, und er verbot Veröffentlichungen über seine Familie oder seine Jugend.5 Hitler erfand seine eigene Geschichte und veränderte dabei seine soziale Herkunft. Menschen, die zu viel über seine Vergangenheit wußten, ließ er – angeblich - sogar beseitigen, so wird es zumindest behauptet.6 Konkrete Angaben dazu fehlen aber! Zu seinem Neffen William Patrick soll der „Führer“ im Jahre 1930 gesagt haben: „Die Leute dürfen nicht wissen, wer ich bin. Sie dürfen nicht wissen, woher ich komme und aus welcher Familie ich stamme.“7 Als Hitler in seinen „Tischgesprächen“ über „Napoleons politische Fehler“ referierte, äußerte er sich auch zum Thema „Familiensinn“: Wenn einer eine Stellung wie Napoleon bekleide, müsse er seinen Familiensinn ausschalten. Überall, wo Vetternwirtschaft im staatlichen Leben auftreten, seien Schwäche und Untergang ihre Folgen. Mit ihrem Erscheinen höre das Leistungsprinzip auf.8 Offenbar verabscheute Hitler Nepotismus und die Übervorteilung von Familienmitgliedern. Historische Quellen lassen aber erkennen, daß Hitler durchaus einen gewissen Familiensinn besaß, über das Wohl seiner Blutsverwandtschaft informiert war und sich darum manchmal auch sorgte. Regelmäßig lud er Familienmitglieder zu besonderen Festen und Ereignissen ein. So verschenkte er Eintrittskarten für die Festspiele in Bayreuth oder für die Olympischen Spiele in Berlin und in Garmisch-Partenkirchen. 1930 nutzte er angeblich eine Parteiversammlung als Gelegenheit für ein Familienfest.9 Zugunsten seiner Geschwister verfügte Hitler im Mai 1938 in seinem Testament. Darin versprach er Paula und Angela „auf Lebenszeit monatlich“ einen Betrag von 1000 Reichsmark und seinem „Stiefbruder Alois einen einmaligen Betrag von 60 000 (sechzigtausend) Mark“. Auch seine entfernte Familie im Waldviertel hatte er nicht vergessen: „Für meine Verwandten in Spital Niederösterreich den einmaligen Betrag von 30 000 (dreißigtausend) Mark.“ Hitler entschied: „Die Verteilung dieses Betrages bestimmt meine Schwester Paula in Wien.“ Bis an sein Lebensende schien er sich gewisser familiärer Verpflichtungen bewußt gewesen zu sein. Seinen beiden Schwestern Paula und Angela half er immer wieder dabei, den Unterhalt zu finanzieren, und gegen Ende des Krieges kümmerte er sich um ihren Schutz und ließ Gelder für die Flucht überbringen. Mitte April 1945, als das Reich zusammenbrach, befahl er dem SS-Kommando 14

Obersalzberg, seine beiden Schwestern nach Berchtesgaden zu evakuieren: Angela befand sich im zerbombten Dresden und Paula in ihrem Sommerhaus im Waldviertel. Als Hitler selbst keine Möglichkeit mehr sah, sich von Berlin aus in Sicherheit zu bringen, diktierte er im Bunker der Reichskanzlei ein zweites Testament. Bei der Aufteilung seines Vermögens verfügte er, „alles das, was persönlichen Erinnerungswert besitzt oder zur Einhaltung eines kleinen, bürgerlichen Lebens notwendig ist, meinen Geschwistern abzutreten“. Zur gleichen Zeit war sein persönlicher Adjutant Julius Schaub offenbar mit einer halben Million Reichsmark nach Berchtesgaden unterwegs. Hunderttausend Mark davon sollte er unter seinen Geschwistern Angela und Paula aufteilen. Wenig später beging Hitler Selbstmord. Das Foto seiner Mutter behandelte er stets wie ein Heiligtum. Adolf Hitler hat später in seinem Buch „“ seine Geschwister mit keinem Wort erwähnt. Er wollte darüber auch nicht befragt werden. Daher wollte er auch nicht, daß Angela oder Paula über das Elternhaus und die Geschwister Auskunft geben. Adolf Hitler wollte nicht, daß die Version seiner Biographie, die er in „Mein Kampf“ festgeschrieben hatte, von anderen, selbst nicht von den eigenen Geschwistern ergänzt und verbessert wird.10 Mit seiner älteren Halbschwester Angela verstand sich Adolf am besten von allen Familienangehörigen. Bis zur ihrer Heirat 1903 war sie die beste Freundin, die einmalige Haus- und Nachhilfelehrerin ihres Bruders. Für ihn war sie eine respektierte Autorität, während er gleichzeitig der allzu nachgiebigen Mutter vieles abbettelte.11 Doch der Mythos vom Führer ohne Familiensinn lebt fort. Auch neuere Biographien behandeln die Familie Hitlers bestenfalls am Rande. Es herrscht die Behauptung vor, daß es kaum möglich oder unbedeutend sei, in Hitlers Privatleben vorzudringen. In mehr als siebzig Jahren Geschichtsschreibung haben Historiker wenig dazu beigetragen, seine wahre familiäre Einbindung zu beleuchten und damit einen grundsätzlichen menschlichen Aspekt des Mannes in ihre Analysen mit einzubeziehen. Weiterhin scheint die Vorstellung verbreitet, Hitler sei eine ahnenlose Gestalt, eine einmalige historische Erscheinung ohne Blutsverwandtschaft gewesen – so einmalig wie der Schrecken und die Gewalt, die der Diktator in der Welt anrichtete. Richtig ist: Der singuläre Schrecken des Holocaust wurde von einem Mann verursacht, der Bruder, Halbbruder, Neffe, Cousin, Onkel und sogar Großonkel war.12 Im August 1908 brach Hitler mit seiner Familie, nachdem diese ihn immer wieder bedrängt haben sollen, endlich einen „ordentlichen Beruf“ zu ergreifen.13 Seine Schwestern Angela und Paula traf er erst 1920 bzw. 1921 wieder. Der Kontakt der Hitler-Geschwister intensivierte sich nun von Jahr zu Jahr. Gegen Ende der 1920er Jahre lebte Angela mit ihrer Tochter Elfriede als Wirtschafterin im Haus Wachenfeld auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Angelas ältere Tochter Geli war inzwischen in die Wohnung ihres Onkels Adolf am Prinzregentenplatz in München eingezogen. Zweifelsohne widmete Hitler seiner Nichte Geli die größte Aufmerksamkeit, doch auch seine Neffen vergaß er nicht. In den 1920er und frühen 1930er Jahren ließ er Alois’ Sohn Heinz immer wieder Geschenke zukommen. Einem anderen Neffen versuchte Hitler gar das Leben zu retten: Als Angelas Sohn Leo 1943 während der Schlacht von Stalingrad in Gefangenschaft geriet, schlug Hitler vor, Leo gegen Stalins Sohn Jakob auszutauschen, den die Deutschen außerhalb von Leningrad festgenommen hatten und seitdem gefangenhielten. Stalin aber lehnte Hitlers Vorschlag ab. 15

Die Einblicke in den Quellen geben Zeugnis von einem Diktator, der sich familiären Verpflichtungen hingab. Er war ein Leitwolf innerhalb seines Familienrudels, der das soziale Gefüge aktiv förderte und mitunter sogar für die Verwandten sorgte.14

Die Bedeutung von Hitlers Ahnen- und Stammtafel Adolf Hitler wußte nicht, wer sein Großvater väterlicherseits war.15 Daß sein Vater nachträglich (nach dem Tode des angegebenen Erzeugers) legitimiert wurde, war noch kein hundertprozentiger Beweis dafür, daß der Müllergeselle Johann Georg Hiedler auch der biologische Großvater väterlicherseits von Adolf Hitler war. Der österreichische Genealoge Karl Friedrich von Frank bot seine Dienste an. In seinen monatelangen Forschungen wertete er Kirchenbücher und Akten aus, insgesamt 1200 Dokumente trug er akribisch zusammen. Frank übergab 1932 Hitler nur die fertige Ahnentafel, behielt aber das gesamte Grundlagenmaterial für den persönlichen Gebrauch zurück, das er in seinem Schloß Senftenberg aufbewahrte. Der Historiker Florian Beierl hat dieses Material, das lange als verschollen galt, vor einigen Jahren wiederentdeckt.16 Die von Frank erstellte Ahnentafel lieferte Hitler die dringend benötigte „saubere“ Herkunft, und in einem Dankesschreiben an den Genealogen schrieb der „Führer“: „Soweit meine Schwester und ich es beurteilen können, stimmt sie durchaus.“ Endlich, davon war Hitler überzeugt, konnte er die Zweifler zum Verstimmen bringen, und ließ die Ahnentafel veröffentlichen. Verdächtig war aber Hitlers Gegnern, daß unter der Nr. 45 eine „Katharina Salomon“ aufgeführt wird. „Der wiederholt […] auftauchende Familienname Salomon“ könne doch „nicht bedenkenlos als deutscher Name anerkannt werden. […] Zum mindesten gehört es nicht zu den Gepflogenheiten Adolf Hitlers und seiner Anhänger, diesen Namen ohne weiteres als deutschen Namen aufzufassen.“17 „Das Auftauchen dieses jüdisch klingenden Namens war der Auftakt zu heftigsten Spekulationen über eine angebliche jüdische Abstammung Hitlers. Ausgerechnet aber in diesem Punkt“, so die Historikerin Brigitte Hamann, „machte der Genealoge offenbar einen Fehler.“ 18 Zwar korrigierte Frank seinen „Fehler“ umgehend und ersetzte im Sonderdruck „Ahnentafel berühmter Deutscher“ (1932) 19 die Katharina Salomon durch eine „Maria Hamberger“. Doch die Untersuchungen des Genealogen Karl Friedrich von Frank hatten aufgrund der für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbaren nachträglichen Streichung der Salomon-Vorfahrin für die Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit eingebüßt. „Als endlich 1933 die von Frank korrigierte und erweiterte Ahnentafel erschien – ohne den Namen Salomon -, verstärkte dies nur die Vermutungen, daß hier etwas absichtlich vertuscht werde“.20 Ein Gefälligkeits-Gutachten sei es, vermutete mancher. Tatsächlich war der österreichische Ahnenforscher Karl Friedrich von Frank ein NS-Sympathisant. In einem Brief an den „Führer“-Stellvertreter Rudolf Heß schrieb er: „Es gereicht mir zur außerordentlichen Genugtuung, daß ich durch diese meine Arbeit die einwandfreie Widerlegung der verschiedenen böswilligen Ausstreuungen über die Abstammung des Herrn Reichskanzlers der breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen konnte.“21 Eine Wiener Zeitung aus dem damals noch unabhängigen Österreich kündigte im Juli 1933 unter der Schlagzeile „Sensationelle Spuren der Juden Hitler in Wien“ neue Enthüllungen an und zeigte Photographien von jüdischen Grabsteinen mit Namen wie Hüttler oder Hiedler. Wenig später druckte 16

dieselbe Zeitung unter der Überschrift „Hitlers Judentum notariell bestätigt!“ den Stammbaum einer Familie Hiedler aus Polna in der Tschechoslowakei ab. Sie betrafen zwar keineswegs Hitlers eigene Verwandtschaft, aber Hitler bereiteten diese Artikel doch Kopfschmerzen, denn sie sorgten für reichlich Wirbel und bereiteten ihm Schwierigkeiten. Jüdische Hitlers aus Österreich finden sich auf zahlreichen Passagierlisten der Auswandererschiffe, die zwischen 1895 und 1923 New York erreichten. Aber auch zwischen diesen Hitler-Namensträgern und dem „Führer“ ließen sich keine verwandtschaftlichen Beziehungen herstellen.22 Erst durch die Forschungen von Hofrat Rudolf Koppensteiner (1937)23 konnte Hitler beruhigt sein und brauchte sich nicht mehr als mutmaßlichen „Vierteljuden“ sehen. Einher ging eine drastische Verschärfung seiner antisemitischen Politik („Reichsprogromnacht“ 9.11.1938) von der Diskriminierung einschließlich gelegentlicher Terrorisierung hin zum totalen Völkermord. Merkwürdig ist: Hitler hat sich für seine eigene Ahnenliste wenig interessiert und – im Unterschied zu Himmler (dieser hatte am 17.02.1938 die Reichsstelle für Sippenforschung besucht) – das Reichssippenamt oder die Ahnenstammkartei niemals persönlich besucht. Im allgemeinen war Hitler hinsichtlich seiner Herkunft sehr zurückhaltend.24 Viele peinliche Geschichten über seine Verwandten (aus seiner Sicht) versuchte er zu verbergen, und er verbot Veröffentlichungen über seine Familie oder seine Jugend.25 Gründe dafür gab es genug:

 In Hitlers Familie gab es Geisteskrankheit26 und Inzucht;27

 sein Vater hatte in dritter Ehe die Tochter einer Cousine 1. Grades geheiratet (falls Masers These von Johann Nepomuk Hüttler als Alois’ Vater zutreffen sollte, war sie sogar die Tochter seiner Halbschwester).28

 Hitlers Vater war dreimal verheiratet,

 noch zu Lebzeiten seiner ersten Frau erwartete er ein Kind von der späteren zweiten, und zu Lebzeiten von der zweiten eines von der dritten. Während die erste Frau, Anna Glassl, 14 Jahre älter war als er, war die letzte, Klara Pölzl, 23 Jahre jünger.

 Hitlers Nichte beging Selbstmord;

 sein Halbbruder, Alois jun., geriet auf die schiefe Bahn und war Bigamist;

 eine von Hitlers Verwandten heiratete einen Juden;29

 seine Tante Johanna war bucklig;30

 sein Vater war unehelich geboren;

 sein Vater schlug nicht nur ihn, sondern auch seine Mutter;31

 sein Vater hatte außerehelichen Geschlechtsverkehr32 und war ein Trinker.33

In seiner Hitlers weitläufiger Verwandtschaft gab es Geisteskrankheit: Josef Veit, der Sohn von Maria Schicklgrubers Schwester Josefa und damit ein Cousin von Hitlers Vater, hatte einige geisteskranke und geistesschwache Nachkommen: Ein 21 Jahre alter Sohn beging Selbstmord, eine Tochter war Patientin in einer Irrenanstalt, eine zweite Tochter war geistig zurückgeblieben und eine dritte halb zurückgeblieben.34 17

Hitler wollte in „Mein Kampf“ nur ausgewählte Details aus seiner frühen Biographie preisgeben und seine Familiengeschichte verschleiern. Dieser Absicht war auch Hitlers Entscheidung geduldet, Freunde und Weggefährten in seinem Buch ebenfalls auszusparen.35 Hitler war peinlich darum bemüht, die große Anonymität, aus der er kam, in seinem Buch, wie überhaupt zeit seines Lebens, so weit wie möglich zu wahren. Wenn überhaupt, greift Hitler in „Mein Kampf“ Informationen und Legenden zu seinem Werdegang auf, die bereits zuvor in rechten Kreisen kursierten, um das wenige, bereits „Bekannte zu strukturieren, zu gewichten, und nicht zuletzt falsche oder gelegentlich ins Groteske gesteigerte Darstellungen zu widerlegen“.36 Die Zurückhaltung Hitlers in Bezug auf seine Herkunft ist um so bemerkenswerter, da die Genealogie sich im Nationalsozialismus als „Hilfswissenschaft der Humangenetik“ hatte mißbrauchen lassen. Im Dienste der „Rassenhygiene“ durchsuchten Adolf Hitlers Sippenforscher nicht nur die Stammbäume der Volksgenossen nach jüdischen Vorfahren. Die braunen Genealogen trugen auch dazu bei, Daten über die erbliche Belastung von Geisteskranken und Epileptikern, Mißgebildeten und Kriminellen zu erfassen – am Ende stand der als Euthanasie etikettierte Massenmord an mehr als 100.000 Menschen. Ein Opfer war Hitlers Verwandte Aloisia Veit, eine Tochter seines Cousins 2. Grades. Nach den Regeln der nationalsozialistischen Rassehygiene wurde diese Verwandte Hitlers als „lebensunwertes Leben“ eingestuft. Pikant: Adolf Hitler hatte persönlich diesen Massenmord angeordnet. Hitlers Stammbaum besaß nicht gerade einen Vorbildcharakter im Hinblick auf seine Ideologie. Kein Wunder, daß er seine eigene Ahnentafel nicht gerade präsentieren wollte. Es gab da keine Verwandten, die den eigenen Ansprüchen als „Führer“ genügen konnten. Er konnte es aber nicht verhindern. Die Kirchenbücher waren nicht aus der Welt und seine Ahnentafel wurde – wenn auch nicht vollständig – immer wieder abgedruckt, ja sie diente sogar im Schulunterricht als vorbildliches Beispiel. Das war insofern relativ ungefährlich, da ab der Großelterngeneration keine persönlichen Schriftstücke existieren, nur Kirchenbucheintragungen und Vermögensverzeichnisse. Vielleicht wußte Hitler selbst nicht, daß ein weitläufiger Cousin ebenfalls ein hoher NSDAP-Funktionär war und sogar dem Reichstag als Mitglied angehörte. Nach Maser fürchtete sich Hitler, Vater zu werden. Die Vorstellung, womöglich ein Kind zu haben, das infolge seiner Inzucht-Abstammung nicht normal sein könnte, quälte ihn.37 Schließlich war Adolf Hitlers Mutter zugleich seine Cousine 2. Grades. Besonders aber: Er, der im Sinne des NSDAP-Parteiprogramms38 von jedem Deutschen verlangte, daß er dokumentarisch nachweise, wer seine Ahnen seien, was bei „jüdischer Versippung“ tragische Folgen hatte, blieb diese Antwort letztlich schuldig. Die nachträgliche Legitimation erlaubte zwar Hitler den Johann Georg Hiedler als seinen Großvater väterlicherseits zu bezeichnen, aber ob das auch biologisch zutrifft, ist damit noch lange nicht gesagt. Zweifel bleiben! Um sich die Tragweite besser vorzustellen, was das alles bedeutet: Für den „Führer“ einer antisemitischen Bewegung ist eine zumindest teilweise jüdische Abstammung in etwa so, als würde man nachweisen, daß der Papst gar nicht getauft ist! Nur zu gern hätten die Gegner und Feinde des fanatischen Antisemiten Hitler stichhaltige Beweise für die Vermutungen und Behauptungen gefunden, daß Adolf Hitlers Vater von einem Juden abstammte. Da Belege jedoch nicht existierten, wurden allerlei Legenden ersonnen und zu möglichen Geschichten zusammengefügt. 18

Fritz Redlich, Psychiater und Verfasser von „Hitler: Diagnosis of a Destructive Prophet“, sagte: „Hitler hatte Zweifel an seiner Abstammung. Er war offenkundig entsetzt über die Möglichkeit, er könnte einen jüdischen Großvater haben.“ Es sind jedoch keine Dokumente überliefert, die diese Behauptung bestätigen oder widerlegen.39 Hitler befürchtete zumindest zeitweilig, das Gerücht über seine jüdische Herkunft könnte wahr sein. Indirekt hatte er das während des Ersten Weltkrieges zu Hauptmann Schuh in seinem Regiment gesagt, und später, nach der „Machtergreifung“, äußerte er gegenüber Speer gewisse Zweifel an seiner Abstammung.40 „Diese persönliche Identitätskrise veranlaßte ihn vielleicht, so viele Ausnahmen von den NS-Rassegesetzen zu genehmigen.“41

Der Kult um Hitlers Familie nach dem Anschluß 1938 Gleich nach dem Anschluß im März 1938 kündigte der „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich“, Josef Bürckel, an, „dem Führer zu seinem Geburtstag das Geburtshaus in Braunau und die Anwesen, in denen die Eltern des Führers in Leonding und Lambach wohnten, zum Geschenk zu machen.“42

Das Waldviertel avancierte zum „Ahnengau des Führers“ und huldigte dem „Führer“ mit Hitler- Eichen und Ehrenbürgerschaften. Auch seine Vorfahren wurden geehrt: Der Kirchplatz in Döllersheim wurde in „-Platz“ umbenannt. Die angeblichen, gar nicht mehr identifizierbaren Geburtshäuser von Hitlers Vater und Großmutter in Strones wurden zu Wallfahrtszielen herausgeputzt. Da auf dem Döllersheimer Friedhof keine Gräber von Hitler-Vorfahren mehr gefunden wurden, erhielt die „Großmutter des Führers“, also Maria Anna Schicklgruber, ein nachträgliches Ehrengrab.43 Zum „Führerkult“ gehörte auch der „Mutterkult“, worin Hitler öffentlich die Liebe zu seiner Mutter kultivierte und Klara als ideale Frau darstellte: liebevoll, opferbereit, geduldig, tapfer auch in Krisenzeiten. Auf dem Reichsparteitag 1937 hatte er Klara bereits öffentlich geehrt und ihren Geburtstag, den 12. August, zum „Tag der deutschen Mutter“ erhoben.44 Auf dem Reichsparteitag 1938 stiftete Hitler am Geburtstag seiner Mutter, das „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“, kurz „Mutterkreuz“ genannt. Mit der viel beschworenen Mutter Klara erhöhte Hitler gleichzeitig seine Familie und seine Person, aber auch seine Heimat. Der winzige Friedhof von Leonding, gleich neben dem ehemaligen Elternhaus des „Führers“ wurde zu einem berühmten Wallfahrtsort für Hitler-Anhänger und war bis 2012 eine Tourismusattraktion.45 19

In wenigen Monaten entstand in Oberösterreich eine Hitler-Erinnerungsstätte nach der anderen. Als eines der ersten neuen Gesetze erließ Hitler in der „Ostmark“ das zur Entschuldung der Kleinbauern und der kleinen Geschäftsleute, was ihm viele Sympathien einbrachte.46

Braunau Die oberösterreichische Stadt ist der breiten Weltöffentlichkeit als die Geburtsstadt Adolf Hitlers bekannt. Die Hitlers waren aber alles andere als eine alteingesessene Innviertler oder gar Braunauer Familie. Alois Hitler, Adolfs Vater, wurde erst 1871 als Kontrolleur der Zollverwaltung nach Braunau versetzt. Erst damit begann die Verbindung zwischen den Hitlers und der späteren „Führer-Geburtsstadt“. Die Hitlers bewohnten mit ihrer Haushälterin im 2. Stock des späteren Gasthauses „Pommer“ eine kleine Wohnung mit Loggia auf der Hofseite, in dem auch Adolf geboren wurde, wechselten aber bald (Juni 1889) das Quartier und mieteten sich in einem bis heute weitgehend unbeachteten Haus in der Linzer Straße 47 in Braunau ein. In seinem Geburtstagshaus hatte Hitler gerade einmal die „Windeln vollgeschissen“, wie der Braunauer Bezirkshauptmann Georg Wojak zu sagen pflegt.47 Adolf war gerade einmal drei Jahre alt, als die Familie Hitler ins gut 50 Kilometer innabwärts gelegene Passau zog, wo Familienvater Alois Hitler ab 1892 Dienst als Zöllner tat.

Die Hitlerwohnungen in Braunau

1 1871-? Kaufmann Schüdelhaus, Stadtplatz Nr. 34

2 ?-? Gasthof Streif, angeblich an der Linzer Str. Nr. ? [Im Gasthof Streif hat Franziska Matzelsberger gearbeitet].

3 22.05.1883- Juni 1889 Gasthof Dafner, Salzburger Vorstadt 219. [Ab 1912 im Besitz der Familie Pommer].

4 Juni 1889-31.08.1890 Hörlhaus, Altstadt Nr.16

5 1.09.1890-30.08.1892 Botenhaus, Linzer Str. Nr.47

20

Hitlers Geburtshaus und die NS-Propaganda Hitler verband nur wenig mit seinem Geburtsort. Auch in nationalsozialistischen Propagandaschriften, die in den 1930er Jahren über Adolf Hitler verbreitet wurden, wurde der Zeit in Braunau wenig bis keine Bedeutung eingeräumt. Im Juni 1936 kam Hitlers Schwester, Angela Hammitzsch, vormals Raubal, zu den Pommers und besichtigt das Geburtshaus ihres berühmten Bruders. Ein reger Hitler-Tourismus setzte ein. Das „Gasthaus des Pommer“ wurde zu einer Pilgerstätte für betuchte Hitler-Anhänger. Pommer wandelte das Geburtszimmer des „Führers“ im zweiten Stock des Hauses zu einem kleinen Museum um. Wie aus dem amtlichen Schriftverkehr hervorgeht, waren die österreichischen Behörden ratlos. Die NSDAP war in Österreich eine verbotene Partei, aber durfte man die offiziellen Symbole eines Nachbarlandes verbieten?48 Im Mai 1937 bekam Pommer das offizielle Placet: Er durfte das „Führerzimmer“ deutschen sowie anderen ausländischen Touristen zeigen, jedoch nicht Österreichern. Für seine Landsleute sei das „weiterhin unstatthaft“, so die oberösterreichische Sicherheitsdirektion.49 Im Januar 1938, zwei Monate vor dem Anschluß, ließ Pommer an seinem Gasthaus eine Ehrentafel für Hitler anbringen.50 In Hitlers „Mein Kampf“ bezeichnete Hitler es als „glückliche Bestimmung“, daß er in Braunau und somit direkt an der Grenze zu Deutschland geboren wurde: „Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint. […] So scheint mir dieses kleine Grenzstädtchen das Symbol einer großen Aufgabe zu sein. Allein auch noch in einer anderen Hinsicht ragt es mahnend in unsere heutige Zeit. Vor mehr als hundert Jahren hatte dieses unscheinbare Nest, als Schauplatz eines die ganze deutsche Nation ergreifenden tragischen Unglücks, den Vorzug, für immer in den Annalen wenigstens der deutschen Geschichte verewigt zu werden. In der Zeit der tiefsten Erniedrigung unseres Vaterlandes fiel dort für sein auch im Unglück heißgeliebtes Deutschland der Nürnberger Johannes Palm, bürgerlicher Buchhändler, verstockter „Nationalist“ und Franzosenfeind. […] In diesem von den Strahlen deutschen Märtyrertums vergoldeten Innstädtchen, bayerisch dem Blute, österreichisch dem Staate nach, wohnten am Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts meine Eltern; der Vater als pflichtgetreuer Staatsbeamter, die Mutter im Haushalt aufgehend und vor allem uns Kindern in ewig gleicher liebevoller Sorge zugetan. Nur wenig haftet aus dieser Zeit noch in meiner Erinnerung, denn schon nach wenigen Jahren mußte der Vater das liebgewonnene Grenzstädtchen wieder verlassen, um innabwärts zu gehen und in Passau eine neue Stelle zu beziehen; also in Deutschland selber.“51 Hitler sah sich vom Schicksal auserwählt, die Wiedervereinigung von Österreich und Deutschland zu erreichen. 21

Hitler selbst hatte keine besondere Beziehung zu Braunau. Er besuchte die Stadt in seinem Leben nur ein- oder zweimal. Beim Einmarsch, am 12. März 1938, wollte Hitler angeblich nicht einmal sein Geburtshaus sehen: Er kam am frühen Nachmittag des 12. März 1938 nach Braunau, passierte sein Geburtshaus und fuhr ohne Aufenthalt in Braunau nach Linz weiter. "Wenn ein Waldviertler und eine Waldviertlerin einen Sohn bekommen, wird nie und nimmer ein Innviertler draus – Adolf Hitler ist demzufolge trotz seines zufälligen Geburtsortes kein Braunauer", prologiert der Künstler Rainer Reinisch, der aus Kärnten stammt, in Braunau arbeitet(e) und lebt seinen Essay. 52 Die NS-Frauenschaft aus Braunau ließ ein Keramikmodell der Stadt anfertigen und schickte es nach Berlin. Doch Hitler nahm es nicht an. Die Kiste samt Modell und Holzwolle wurde nach Braunau zurückgesandt.53 Nach der Annexion Österreichs wurde die Rolle, die seine Geburtsstadt in Adolf Hitlers Leben gespielt hat, hochstilisiert und ein verzerrtes Bild erschaffen. So schreibt etwa Karl Bartz in den Bildtexten zu seinem Raumbildband „Großdeutschlands Wiedergeburt“, daß Adolf Hitler in Braunau jede Gasse und fast jedes Haus gekannt habe und der Liebling der dortigen Kinder gewesen sei. Daß sich ein nicht einmal Dreijähriger die Straßenzüge einer ganzen Stadt einprägen konnte, muß aber bezweifelt werden. Und wie „genau“ die Erinnerung der Bevölkerung an das Kind Adolf Hitler war, belegen Aussagen etlicher Braunauer und Braunauerinnen, die sich anläßlich des Einmarsches mit Freude an die gemeinsame Schulzeit [sic!] mit Adolf Hitler erinnerten. Viele Einwohner der Stadt wußten fortan von Geschichten aus der Kindheit des Führers zu berichten. Franz Jetzinger berichtet sogar davon, daß findige Braunauer den aus dem ganzen Deutschen Reich anreisenden Gästen um 20 Reichsmark Splitter vom angeblichen Geburtsbett des „Führers“ verkauften.

Die NSDAP kauft das Haus Im Gefolge des „Anschlusses“ von Österreich an das Deutsche Reich erwarb Martin Bormann im Mai 1938 das Geburtshaus des „Führers“ Adolf Hitler in der Salzburger Vorstadt Nr. 15 für die NSDAP für 150.000 Reichsmark, etwa das Vierfache des damaligen Verkehrswertes. Die dazugehörigen Grundstücke verblieben im Eigentum der Pommers.54 In der NS-Lokalpresse ist zu lesen, daß sich die Verhandlungen in die Länge zogen, weil die Pommers den Kaufpreis in die Höhe trieben.55 Mit Schreiben vom 20. Juli 1938 teilte die „Zentralstelle für Denkmalschutz im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten“ trotz des inzwischen erfolgten Verkaufs an Martin Bormann den Vorbesitzern Josef und Maria Pommer mit, daß das Haus Nr. 219 unter Denkmalschutz gestellt sei: 22

„Für diese Stellung unter Denkmalschutz ist maßgebend, daß die unveränderte Erhaltung dieses Hauses als der Geburtsstätte des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler für das deutsche Volk von höchster öffentlicher Bedeutung ist.“56

Die Pommers erwarben mit dem Geld ein anderes Haus in Braunau. Das Wirtsgeschäft hingen sie an den Nagel.57

Die Betreuung von Hitlers Geburtshaus erfolgte durch die Kreisleitung der NSDAP Braunau. Die Kaufliegenschaft umfaßte sämtliche Gebäude einschließlich des Sommerkellers, nicht aber die bisher zum Hause gehörigen landwirtschaftlichen Gründe. Das Gebäude wurde auf Kosten der NSDAP aufwendig saniert und für weitere 150.000 Reichsmark der Nutzung als Kulturzentrum mit einer Galerie und einer Volksbücherei (3.000 Bände) zugeführt; die Scheunen und Ställe im hinteren Bereich wurden abgerissen. Von Frühjahr 1943 bis Herbst 1944 wurden in der sogenannten Braunauer Galerie im Führer-Geburtshaus Bilder und Plastiken von Künstlern der Region ausgestellt.58 23

Mithilfe der Haushälterin der Hitlers, Rosalia Hörl, richtete man das Geburtszimmer Hitlers originalgetreu wieder ein, massenhaft wurden Ansichtskarten von Haus und „Kinderzimmer“ unters Volk gebracht.

Sprengung wird verhindert Der Krieg in Braunau und seinem Hinterland endete bereits am 2. Mai 1945, um 12 Uhr. Im US Generalstab wurde Braunau als Geburtsstadt Hitlers als wichtiges Kriegsziel gesehen. So wurde mit der 13. US- Panzerdivision "Black Cats" eine etwa 25.000 Mann starke Einheit damit beauftragt, sich nach Braunau durchzukämpfen und die Stadt einzunehmen. Als die Hauptmacht unter General John B. Wogan Simbach erreichte, wurde an Braunaus Stadtkommandanten Major Grünwaldt das Ultimatum überreicht, die Stadt bis zum 2. Mai kampflos zu übergeben. Ansonsten werde sie dem Erdboden gleich gemacht. Das Ultimatum der Amerikaner an Braunau hing wie ein Damoklesschwert über der Stadt. Im Büro des Majors Grünwaldt jagte eine Krisensitzung die andere. Am frühen Vormittag gab er schließlich die Entscheidung bekannt, Braunau kampflos zu übergeben. Es wurde eine Parlamentärsgruppe zusammengestellt, die mit zwei Zillen über den Inn nach Simbach rudern und die Übergabe Braunau durchführen sollte.General Wogan nahm das Übergabeangebot an und nannte seine Bedingungen: alle Waffen abgeben und keine Angriffe auf US- Soldaten, alle Nazifahnen und Embleme abliefern und Rückzug aller Wehrmachtsangehörigen. 24

Am 2. Mai 1945, unmittelbar nachdem Braunau von US-amerikanischen Truppen besetzt wurde, versuchte ein deutscher Stoßtrupp, Hitlers Geburtshaus in die Luft zu sprengen. Die US-Soldaten verhinderten dieses Vorhaben. Gauleiter August Eigruber (1907-1947) hatte nämlich am 2. Mai 1945 einer kleinen Kampfgruppe befohlen, in die Stadt Braunau einzudringen und Hitlers Geburtshaus in die Luft zu sprengen. Der Wagen wurde, als er um die Kurve bei der Arbeiterkammer bog, von einem an der Ecke Ring- Salzburger Straße stehenden amerikanischen Posten unter MG-Feuer genommen. Der Wagen kehrte um und flüchtete stadtauswärts. Durch den Beschuß waren zwei Mann des Stoßtrupps getötet und einer schwer verletzt worden. Die Überlebenden warfen bei der Straßenkreuzung in Lach die beiden Toten aus dem Wagen und legten den Schwerverwundeten darauf. Der Bauer Metz wollte den Schwerverwundeten in sein Haus führen. Auf dem Weg dahin erschoß sich dieser aber mit seiner Pistole. Daraufhin legte Metz den Toten zu den anderen beiden Leichen. Bei den Toten handelte es sich um den HJ-Führer Hans Hellwagner aus Ried, um den SS--Scharführer König aus Niederösterreich und Johann Schutz aus Wimsbach.59 Ein US-Soldat jüdischer Abstammung war der erste Soldat, der Hitlers Geburtszimmer betrat und den Stadtvätern das Versprechen abring, dieses Haus zu einer „ewigen Erinnerung“ werden zu lassen. Es solle niemals leer stehen, damit es „nicht zu einem Schrein“ werde. Im November 1945 wurde hier eine Ausstellung über das Grauen in den Konzentrationslagern gezeigt. Dann quartierte sich der amerikanische Geheimdienst CIC dort ein.60

Zwei US-Soldaten schreiben ihre Namen auf die Wände von Hitlers Geburtszimmer.

Joseph W. Eaton (1919-2012), geboren als Josef Wechsler in Nürnberg, orthodoxer Jude, in die USA emigriert, erzählt über Braunau 1945: „Das Geburtshaus Hitlers ist unversehrt. Es steht leer und unbemerkt. […] Das erste Ausstellungsstück eines amerikanisch-jüdischen Sergeanten wurde in Hitlers Geburtszimmer aufgehängt. Er war einer von jenen Menschen, die 1934 aus Deutschland flohen; seine Eltern waren von Hitlers SS-Truppen ermordet worden. Als der Sergeant Hitlers Geburtshaus betrat, war er verstört über die Leere des Hauses. Er äußerte seine Bedenken, daß, wenn das Haus leer stünde, es zu einem Schrein werden würde, in dem des Führers „Ruhm“ nicht nur bewahrt, sondern sogar vergrößert werden würde. Daher rang er den Stadtvätern das Versprechen ab, das Haus zu einer ewigen Erinnerung daran werden zu lassen, was Hitlers Taten Deutschland und der Welt eingebracht haben. 25

Als persönlichen Beitrag ließ der Sergeant drei Zitate aus dem Alten Testament, dem Buch, von dem Hitler glaubte, er könne es durch „Mein Kampf“ ersetzen, drucken und rahmen. Bei der Auswahl der Bibelstellen wurde er von katholischen Priestern beraten. Diese Drucke wurden dann in jenem Raum aufgehängt, in dem Hitler geboren wurde. […] Die Personen, die ich traf, waren nur wenig daran interessiert, über den berüchtigten ehemaligen Bürger ihrer Stadt zu sprechen.“61

Die Nutzung nach 1945 1946 wurde die „Bank für Oberösterreich und Salzburg“ von der US-Militärregierung zur Verwalterin des Hauses bestellt. 1947 ging es in die Verfügung der Gemeinde Braunau über. 1947 klagte die Witwe Pommer auf Rückstellung des Hauses: Maria Pommer, damals schon eine betagte Frau, argumentierte in diesem Verfahren, sie und ihr Mann seien niemals Mitglieder der NSDAP gewesen und ihr Mann sei „aus Kränkung“ über den Verlust des Gasthauses schon 1942 verstorben. Die Nationalsozialisten hätten sie als „unwürdig“ erachtet, das Gasthaus weiter zu betreiben. Schließlich bekam ihre Tochter Kreszenzia Pommer 1952 das Haus für eine Abschlagszahlung von 150.000 Schilling von der Republik zurück. Ihr Bruder Josef hatte zu ihren Gunsten verzichtet.62 Die Stadt Braunau mietete das Haus in den 1950-Jahren zur Unterbringung von Schulklassen an. Es herrschte Schulraumnot, man wollte aber auch nicht, daß das Gebäude zu einer Nazi-Kultstätte werde. Eine Zeitlang war dort die Stadtbücherei untergebracht. Zwischenzeitlich vermietete Frau Pommer es an eine Bank, wandte sich aber immer wieder an die Gemeinde und lancierte, daß es auch andere Interessenten gebe, die sie jedoch nicht namentlich nannte.63 Ende der 1960er-Jahre kündigte der Braunauer Tourismusobmann an, das Hitlerhaus kommerziell nutzen zu wollen. Ihm schwebte eine Art Museum vor. Kernstück sollte die Privatsammlung Kronberger sein, das Hobby eines Braunauer Bürgers, der alles gesammelt hatte, was ihm vom Dritten Reich in die Finger geraten war: Hitler-Bilder, Hakenkreuze, Orden, Waffen, Fahnen. Die Sammlung befindet sich heute im Keller des Bezirksmuseums unter Verschluß. Das Vorhaben führte zu weltweiten Schlagzeilen und wurde abgeblasen.64 So entschloß sich 1971 das Bundesinnenministerium, das Haus selbst anzumieten. „Die Mietverhandlungen gestalteten sich schwierig, weil Kreszenzia Pommer einerseits einen möglichst hohen Mietpreis erzielen und andererseits möglichst viele Betriebskosten und Erhaltungslasten dem Mieter überwälzen wollte“. Die öffentliche Hand dachte damals nicht daran, das Haus zu einer Gedenkstätte zu machen oder es in seiner historischen Bedeutung zu kennzeichnen. Man wollte es „totschweigen“. Von 1970 bis 1976 war die Dependance der Höheren Technischen Lehranstalt Braunau, eine berufsbildende höhere Schule, darin untergebracht.65 1976 zog die Lebenshilfe mit einer Behindertentagesstätte ein. Alle waren erleichtert. Das schien ein richtiges Symbol zu sein: Menschen mit Down-Syndrom in einem Haus unterzubringen, in dem einer geboren wurde, der solche Menschen ermorden ließ. Im Erdgeschoß befand sich der "Aktivshop", ein kleiner Verkaufsraum, es gab bunte Filztaschen, filigrane Ketten, robustes Holzspielzeug - alles handgefertigt. Oben, in dem Raum, in dem Hitler wohl geboren wurde, saßen die Behinderten, sie malten, sie nähten, sie fügten für einen großen Bettenhersteller Gelenke für die Lattenroste zusammen. Doch die Lebenshilfe brauchte barrierefreie Zugänge, und die Eigentümerin, nunmehr schon die Pommer-Enkelin, verweigerte den Umbau.66