Maestro Und Manager
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Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2011 Maestro und Manager Ulf Schirmer Nach Jahren der Zurückgezogenheit hat Ulf Schirmer wieder fixe Positionen angenommen – als Chefdirigent der Münchner Rundfunkorchesters und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig, deren Intendant er seit kurzem zudem ist. Am 15. Oktober dirigiert der unprätentiöse Künstler am Pult des Wiener Concert-Vereins Schostakowitsch, Schönberg und ein neues Werk von Alfred Huber. In einem Gewerbe, in dem das Außergewöhnliche normal ist, ist Ulf Schirmer offenbar vor allem eins: außergewöhnlich normal. Geerdet, könnte man auch sagen. Das soll nicht heißen, dass der 60-Jährige kein Künstler-Ego besitzt. Selbstverständlich hat er eines. Und natürlich auch die notwendige Durchsetzungskraft und einen großen Gestaltungswillen. Sonst wäre er vermutlich nicht Dirigent, sondern Musiklehrer geworden. Oder Studienleiter statt Generalmusikdirektor und Intendant der Oper Leipzig und zudem Künstlerischer Leiter des Münchner Rundfunkorchesters. Trotzdem macht er im Gespräch einen außergewöhnlich bodenständigen Eindruck, bittet in sein Münchner Büro auf einen Kaffee statt ins Sterne- Restaurant. Keine Hektik, keine Pseudo-Wichtigkeiten. Ulf Schirmer inszeniert sich nicht. Liebe zum Unterhaltsamen Dass er ist, wie er ist, verdankt er vermutlich seinen Wurzeln: Geboren wurde er in Eschenhausen bei Bremen, einem bäuerlich geprägten Dorf, das zu Zeiten seiner Kindheit vielleicht 150 Einwohner hatte und bis heute für Straßennamen zu klein ist. Noch immer gibt es dort lediglich Hausnummern zur Orientierung. „Ländlicher als dort geht’s nicht“, lacht er. Er komme zwar nicht aus einem Musiker-Elternhaus – aus einem musikalischen gleichwohl: Der Vater hatte neben seinem Beruf mit seinen Brüdern noch Tanzmusik gespielt, was im Sohn schon früh eine große Liebe zu jeder Form von Unterhaltungsmusik entstehen ließ. Was ihm übrigens heute in seiner Position beim Rundfunkorchester sehr zupass kommt, da sich der kleinere der beiden BR-Klangkörper in Abgrenzung zum großen Symphonieorchester traditionell der leichteren Muse verschrieben hat, also der Operette oder, seit Schirmers Leitung, der Filmmusik. Wenn Wien ruft Aber wie kann in einem Jungen vom Land überhaupt der Wunsch aufkommen, Orchesterdirigent zu werden? „Durch das Radio“, sagt Schirmer. „Ich muss etwa elf Jahre alt gewesen sein, als ich eine Symphonie hörte. Das hat mich fasziniert, und ich wusste sofort, dass ich damit etwas zu tun haben wollte.“ Ein paar Jahre hatte er zu dem Zeitpunkt bereits Klavier gespielt; regelmäßige Konzertbesuche „in der Stadt“ kamen fortan hinzu. In der Stadt? „Na, Bremen natürlich“, lacht er. Auch für das Studium bleibt er Norddeutschland treu: Schirmer zieht nach Hamburg, lässt sich an der dortigen Hochschule bei Horst Stein, Christoph von Dohnányi und György Ligeti zum Dirigenten ausbilden. 1980, kurz vor seinem Studienabschluss, wird er als Korrepetitor ans Nationaltheater Mannheim engagiert, 21 Jahre ist er da alt. Nach nur einer Spielzeit im Badischen ruft bereits die Wiener Staatsoper. Der Gedanke, den er zunächst noch hegte, nämlich vielleicht doch noch sein Diplom zu machen – „als ich nach Wien engagiert wurde, 1 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2011 war’s mir endgültig egal“. Mütterliche Prägung Bis heute ist er dem Haus am Ring eng verbunden, seit nunmehr 30 Jahren geht er dort ein und aus: „Die Staatsoper ist mir sehr vertraut – schön vertraut“, sagt er. Und fügt dann lachend an: „Die Staatsoper ist ja praktisch so etwas wie die Mutter aller Opernhäuser.“ Und die habe ihn, wie für eine Mutter typisch, enorm geprägt. Mit der „Salome“ im kommenden Mai steht er, wie so oft, erneut bei einer Strauss-Serie am Pult. Doch bevor er ins Haus am Ring zurückkehrt, leitet er in diesen Herbsttagen noch ein bemerkenswertes Konzert im Musikverein: Auf dem Programm stehen Schostakowitschs Kammersymphonie op. 110a, Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ – und eine Uraufführung, Alfred Hubers „Primus inter pares“, ein Konzert für Viola und Orchester. „Der Impuls für diese Uraufführung ging vom Orchester aus, dem Wiener Concert-Verein“, erzählt er. 1987 von Mitgliedern der Wiener Symphonikern gegründet, spannen die Musiker in ihren Programmen und Produktionen einen Bogen von der Wiener Klassik bis zur zeitgenössischen Musik; bislang haben sie bereits mehr als 65 Werke zeitgenössischer österreichischer Komponistinnen und Komponisten uraufgeführt. Die Noten hat Schirmer zum Zeitpunkt unseres Gesprächs – es ist Juni – noch nicht. „Aber das ist nichts Besonderes“, sagt er. „Normalerweise bekommt man sie etwa drei Monate vorher.“ Was in diesem Fall bedeutet: in Bregenz im Juli, nämlich bei der gemeinsamen Probenarbeit zur Neuinszenierung von Umberto Giordanos „André Chénier“. Am Rande der Festspiele finden dann auch die Proben für die Uraufführung statt. Partizipieren am Denken der Zeit Wie er sich neue Partituren erarbeitet? „Wie ein Buch“, antwortet er. „Ich lese sie – am Tisch. Ich bin ein lesender Dirigent. Und wenn mir nach dem Lesen etwas noch nicht klar ist, setze ich mich für ein paar Akkorde ans Klavier.“ Ulf Schirmer schätzt die Musik der Gegenwart. „Zeitgenossenschaft ist wichtig. Auch in der Musik. Wer zeitgenössische Musik spielt – oder hört –, partizipiert am Denken seiner Zeit.“ Eine langjährige Verbindung pflegt er vor allem mit dem fast gleichaltrigen Komponisten Gerd Kühr. „Ich habe einen Großteil seines Werkes uraufgeführt“, erinnert er sich. „Ihn halte ich für einen großen Meister.“ Ihr Verhältnis sei mehr als nur eine professionelle Zusammenarbeit – Ulf Schirmer wird jetzt fast schon poetisch: „Wir begleiten uns durch das Leben“, sagt er. Ein Leben, dessen Mittelpunkt für ihn bis heute das Haus seiner Familie in einem Vorort von Bremen ist. Dort sind seine drei mittlerweile studierenden Kinder aufgewachsen, dort lebt er mit seiner Frau bis heute – ungeachtet der Chefpositionen, die er immer wieder einmal angenommen hat: Von 1988 bis 1991 war Schirmer Generalmusikdirektor in Wiesbaden und künstlerischer Direktor für die Symphoniekonzerte am Hessischen Staatstheater. Ab 1991 war er als Resident-Dirigent an der Wiener Staatsoper und in den darauf folgenden Jahren auch als Konsulent beratend für das Haus tätig. Zwischen 1995 und 1998 führte ihn sein Weg als Chefdirigent des Dänischen Radio-Symphonieorchesters nach Kopenhagen. Vor elf Jahren wurde er ordentlicher Professor für musikalische Analyse und Musikdramaturgie in Hamburg. „Eine Arbeit, die ich sehr ernst genommen und der ich viel Zeit gewidmet habe“, erzählt er. Derzeit ist er beurlaubt. Denn nun, „da die Kinder aus dem Haus sind“, wie er sagt, ist er wieder einmal vermehrt auf Reisen. 2 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2011 Alles hat seine Zeit „Bis 2006 war das noch anders“, sagt er. „Da war ich ein halbes Jahr zu Hause und ein halbes Jahr unterwegs. Und war damit sehr zufrieden. Diese ruhigen Monate, in denen ich mich quasi als Privatgelehrter der Musik widmen konnte, habe ich sehr geschätzt.“ Der Einschnitt vor fünf Jahren ging einher mit der Chefposition beim Münchner Rundfunkorchester. Im Sommer 2009 kam dann noch die GMD-Position in Leipzig hinzu, und in diesem Sommer zudem die dortige Intendanz. Alles hat seine Zeit, und für Ulf Schirmer, so scheint es, ist wieder einmal eine neue angebrochen. „Vielleicht ist es ja so: Jetzt muss ich das, was ich mir in den Jahren der Zurückgezogenheit angeeignet habe, in die Welt bringen.“ Nach Leipzig und zu den Leipzigern vor allem. Denn die traditionsreiche Oper hat, wie viele Theater in Ostdeutschland, ein großes Problem: Die Auslastungszahlen sind miserabel. Was die Oper betrifft, liegen sie bei nur 60 Prozent. Besser sieht es im Ballett und in der „Musikalischen Komödie“ aus, dem kleinen Haus für die leichte Muse: Dort betragen sie 80 Prozent. „Das ist wenig, keine Frage“, gesteht Schirmer. „Aber es liegt zum Teil auch daran, dass es in Leipzig ein Kulturangebot gibt wie es einer Millionenstadt zukäme, die Stadt aber nur 500.000 Einwohner hat.“ Hinzu komme allerdings noch, dass viele Leipziger das städtische Opernhaus nicht mehr wirklich wahrnähmen: „Die Leipziger sind so stolz auf ihr Gewandhaus-Orchester – aber wenn man einmal nachfragt, wissen sie oft gar nicht, dass dieses Orchester auch in der Oper spielt.“ Diese Informationslücke will er schließen – und den Leipzigern das Gefühl geben, Musiktheater ganz konkret für sie und ihre Bedürfnisse zu machen. „Die Verankerung in der Stadt ist wichtig. Die Oper der Stadt Leipzig ist in erster Linie für die Einwohner da. Wir müssen die Menschen wieder dazu bringen, ihr Opernhaus besuchen zu wollen!“ Dafür wird er sukzessive den Spielplan entrümpeln: weniger Ausgrabungen, mehr Kernrepertoire. An Sonntagvormittagen sollen Liedprogramme, Kammermusikmatineen oder Ballettveranstaltungen für das Programm werben. „Es ist wichtig, dass das Haus belebt ist.“ Innere Bedürfnisse Wer seine Lieblingskomponisten sind? Da zögert Schirmer ein bisschen – und versucht zunächst, alles im Ungefähren zu belassen. „Meine Vorlieben sind immer entstanden in Auseinandersetzung mit dem Ort, an dem ich arbeite.“ Was meint das konkret? „Nehmen wir beispielsweise München. Das Rundfunkorchester hat eine Geschichte als Unterhaltungsorchester. Also haben wir uns in dieser Richtung positioniert. Unsere Filmmusik- Reihe läuft gut, wir haben zudem Operettenaufnahmen eingespielt.“ Aber er wird doch einen oder mehrere Lieblingskomponisten haben? Endlich lässt er sich zwei Namen entlocken. „Wagner. Und Richard