Nummer 11/2020

BadKreuznacher Beilage Heimatblätter

Einblicke in das Gefängnis Niederhausen Eine bisher wenig bekannte Historie aus der Anfangszeit der Weinbaudomäne Niederhausen-Schloßböckelheim

VON RAINER SEIL, BAD KREUZNACH

Es ist im Naheraum eine bekannte Tat- (2000) (1) umfangreiche Recherchen vorlie- leistende große Herausforderung, die zahl- sache, dass die Anlage der später so welt- gen, Näheres über das „Filialgefängnis Nie- reiche Arbeitskräfte erforderte. berühmten staatlichen Weinbaudomäne derhausen“ in Erfahrung gebracht werden, Niederhausen-Schloßböckelheim in den welches gerade auf diesem Sektor bislang Zweifelsohne wurden vor allem in der Anfangsjahren von Strafgefangenen ange- wenig bekannte Facetten heimatkundlich önologischen und heimatkundlichen Lite- legt wurde. So ist es mehreren heimat- näher beleuchtet. ratur die Anfangsjahre der Weinbaudomä- kundlichen und weinhistorischen Quellen Die folgende Studie reicht in die Anfänge ne etwas eingehender behandelt. Es sei nur zu entnehmen. Forscht man jedoch nach der ehemaligen preußischen staatlichen kurz in Erinnerung gerufen, dass 1901/02 weiterreichenden Informationen zu dem Weinbaudomäne zurück, welche 1902 unter die preußische Staatsregierung in der Ge- Gefängnis selbst, so fließen die Quellen überaus schwierigen Bedingungen errichtet markung Niederhausen 13 Parzellen mit eher spärlich. wurde, standen doch im Gegensatz zum 13,8 ha und in der Gemarkung Schloßbö- Im Rahmen des Erstellungszeitraumes schweren Gerät heutiger Tage außer Dy- ckelheim 13,62 ha, zusammen also 27,2 ha der Ortschronik Niederhausen (Mai–No- namit kaum technische Hilfsmittel zur Ver- zur Anlage einer fiskalischen Weinbergdo- vember 2019) konnte, da bereits über Wald- fügung. Es war eine äußerst mühsame, fast mäne vorgesehen hatte. Der heimische böckelheim (1998) und Schloßböckelheim ausschließlich mit wenigen Werkzeugen zu Weinbau befand sich aufgrund einer un-

Baustelle der ehemaligen Domäne. Quelle: KMZ 2 (Seite 49 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 11/2020

günstigen Entwicklung zu skizzenhaft erforderlich. Beginn des 20. Jahrhun- Der Ursprung von derts in einer schwierigen „Zuchthäusern“ lag in Lage, ausgelöst u.a. durch den Niederlanden. das stete Vordringen der Deutsche Zuchthäuser Reblaus und mehrere Pilz- nahmen ihren Anfang im krankheiten. Diese staat- 17. Jahrhundert, z.B. in liche Einrichtung sollte für Bremen (1609), in Lü- die heimische Weinbau beck (1613) und an- betreibende Bevölkerung derswo. Ursprünglich wichtige Impulse im Wein- handelte es sich um eine bau vermitteln. soziale Einrichtung, die Das von der preußi- vornehmlich Arbeitsun- schen Staatsregierung willige „therapieren“ vorgesehene Gelände an sollte. Im Deutschen der mittleren war Reich wurde das Ge- von zahlreichen Felsen fängniswesen im durchsetzt und – wie im Reichsgesetzbuch von Nahetal und seinen Sei- 1871 geregelt. Um 1900 tentälern üblich – mit ei- wurde die Kriminalistik nem für diesen kargen in Europa revolutioniert. Standort typischen schüt- Um 1903 wurde das ers- teren Niederwald be- te deutsche kriminolo- stockt. Diese ehemals weit gische Lehrbuch mit dem verbreiteten Niederwälder Titel „Das Verbrechen dienten vornehmlich der und seine Bekämpfung“ Gerbrinden- und Brenn- verfasst. (2) holzgewinnung. Dieser Der Alltag im Ge- früher so bedeutende ört- fängnis selbst unterlag liche forstwirtschaftliche strengen und klaren Erwerbszweig befand sich Richtlinien. Archivalisch jedoch gleichfalls seit dem überliefert ist in einer im Ende des 19. Jahrhunderts Landeshauptarchiv in in einer schwierigen Situ- hinterlegten ation, da in der Lederin- Akte, was laut Regie- dustrie zunehmend andere rungspräsidium in Ko- Gerbstoffe (z.B. Quebra- blenz einem Strafgefan- cho) die klassische Ei- genen zustand: chenrinde („Lohe“) er- „1 Lagerstätte, 1 setzten. Wandborte, 1 Spuck- Am 20. September 1902 napf, 1 Essgeschirr nebst begannen auf dem auser- Löffel, 1 Wasserkrug korenen Gelände die nebst Trinkglas, 1 schweren und umfangrei- Waschbecken mit Seif- chen Arbeiten in den Ge- napf und Seife, 1 Kamm, markungen Niederhausen 1 Abortgefäß von Zink- (damals Amt Rüdesheim, blech, 1 Auftragbürste, 1 später Verbandsgemeinde Glanzbürste, 1 Kleider- Bad Münster am Stein- bürste, 1 Tafel, welche Ebernburg, jetzt: Ver- die in dem Raum be- bandsgemeinde Rüdes- findlichen Gegenstände heim) und Thalböckelheim bezeichnete.Ein Gefan- (heute: Schloßböckelheim, gener erhielt als Entloh- damals Amt Waldböckel- nung im August 1903 heim, jetzt: Verbandsge- Lieferung von Verpflegung für einen Gefangenen. Quelle: Archiv VG Rüdesheim (1500–1404) „1,20 Mark für den Kopf meinde Rüdesheim). Erster und Tag“. Direktor der Domäne wur- Ferner musste für die de der Förster Vincenz Krankheitspflege und Schmanck (Forstamt Sobernheim). Diese umgehend stattgegeben. Schon 1903 be- die Seelsorge der Häftlinge gesorgt werden. ersten Arbeiten führten noch einheimische gann der Bau einer Baracke. Das so be- Die Häftlinge standen zwar nicht unter stän- Arbeiter aus. zeichnete „Filialgefängnis Niederhausen“ – diger Pflege und Aufsicht, gleichwohl gab Da sich indes dauerhaft für diese bevor- wie es in den zeitgenössischen Archivalien es Richtlinien, wie im Krankheitsfall zu ver- stehende körperlich so harte und damals fortan bezeichnet wurde - in unmittelbarer fahren war. Leichtere Krankheitsfälle wur- personalintensive Arbeit nicht genügend Gemarkungsgrenze zu Schloßböckelheim den vom Arzt im nahen Waldböckelheim heimische Arbeitskräfte im ländlichen Um- gelegen – war im gleichen Jahr bereits fer- behandelt. Schwerere Erkrankungen muss- feld finden ließen, wurden der Baustelle tiggestellt. Am 1. Juli 1903 wurden die ers- ten im städtischen Spital in Kreuznach ku- „Zuchthäusler“ – so die damalige Bezeich- ten Gefangenen einquartiert, von denen riert werden. nung für Strafgefangene – zugewiesen. Sie niemand aus dem Nahe-Hunsrück-Raum Neben dem körperlichen Wohl war auch führten letztlich die arbeitsintensiven und stammte. Mit ihrem Eintreffen gingen die die seelische Betreuung besonders wichtig: körperlich sehr mühevollen Arbeiten durch, Arbeiten auf dem Areal der Domäne zügig Dafür waren neben dem evangelischen bei denen aufgrund der zahlreichen anste- voran. Neben den Erdarbeiten wurden so- Ortspfarrer in Niederhausen, damals eine henden Felsen im hängigen Gelände die gleich Rebpflanzungen vorgenommen. fast ausschließlich evangelische Gemeinde, nicht ungefährlichen Sprengarbeiten inbe- Schwere Erdarbeiten gingen mit diesen der katholische Pfarrer Julius Schmidt aus griffen waren, für die eigens auf der Domä- Maßnahmen einher. Die zu kultivierende Waldböckelheim vorgesehen. Er sollte an ne Lager („Magazine“) für Sprengstoffe an- Fläche wurde in einer Tiefe bis zu 1,50 Me- einem Wochentag eine Messe oder Andacht gelegt worden waren. tern gerodet, was jedoch bei dem sehr nahe halten. Schon 1903 war zur „Abhaltung ei- Vorausgegangen war im Oktober 1902 an der Oberfläche anstehenden Gestein mit nes Gottesdienstes für die katholischen Ge- eine Bitte der Regierung zu Koblenz (später den schon erwähnten Sprengungen ver- fangenen“ ein entsprechendes Gebäude Bezirksregierung) an den Minister des In- bunden war. genehmigt worden. Als entsprechende „Ka- nern zu Berlin gewandt, für diese umfäng- Ein kurzer einführender Überblick über pelle“ diente ein umgestaltetes altes Ma- lichen Arbeiten Strafgefangene, etwa 80 den Stand der Rechtssprechung ist zum wei- schinengebäude, das noch aus der Zeit des Mann, zuzuweisen. Diesem Gesuch wurde teren Verständnis der juristischen Seite Kupferbergbaues (3) stammte und sich in Bad Kreuznacher Heimatblätter - 11/2020 (Seite 50 des Jahrgangs) 3

unmittelbarer Nähe der auch gefährliche Insas- Gefängnisbaracke befand. sen. Hin und wieder ge- Das Personal im Filialge- lang den Strafgefangenen fängnis Niederhausen be- die Flucht. Darüber gibt stand aus einem Kom- eine Archivalie des Lan- mandoführer, dem Leiter deshauptarchivs in Ko- des Arbeitskommandos, blenz genauere Auskunft dem Strafanstaltsinspek- (LHAK Best. 467 Nr. 552). tor, dem stellvertretenden In den Jahren 1903, 1906, Oberaufseher und einem 1907 und danach gelang Hilfsaufseher. Im Jahr Gefangenen die Flucht. 1903 wurden namentlich Ausbrecher, die gefasst erfasst: Gendarm Hinze wurden, wurden in die (Waldböckelheim), Poli- Haftanstalt Diez überführt zeidiener Weirich (Spon- (LHAK Best 467 Nr. 552). heim) und „Civiltranspor- Sie wurden dann umge- teur“ Joh. Müller ohne hend überregional steck- Ortsangabe. brieflich gesucht. Häufi- ger bot sich die Gelegen- Ein zentraler Punkt im heit, dem Gefängnis zu damaligen Strafvollzug entweichen, wenn sie in war der ständige Gefan- den betreffenden Amts- genentransport ins und aus gerichten erscheinen dem Gefängnis. Im Archiv mussten, z.B. in Sobern- der Verbandsgemeinde heim, aber auch anders- Rüdesheim hat sich eine wo im gesamten Gebiet damals allgemein übliche des Deutschen Reiches mit „Gefangenen-Fortschaf- den entsprechenden auf- fungs-Liste“ erhalten, die wendigen Gefangenen- für den Zeitraum von 1901 Transporten. Sie mussten bis 1913 ausgewertet wer- vor Gericht dann als Zeu- den konnte. ge eine Aussage machen. Es überwogen Sammel- Der Alltagsablauf war transporte, meist zwischen für die Strafgefangenen 20 bis 25 Mann. In diesem während eines Jahres au- Zeitraum wurden circa 525 ßerhalb der schweren Gefangene im Gefängnis körperlichen Arbeit ver- Niederhausen erfasst. Die gleichsweise trist. So ist Häftlinge kamen aus dem es nicht außergewöhn- gesamten Deutschen lich, dass besonders das Reich. Es gab hierfür ei- Weihnachtsfest schon da- gens eine angelegte mals auch hinter Gefäng- Übersichtskarte, welche nismauern und vergleich- die unterschiedlichen Ge- baren Einrichtungen be- fangenentransporte er- gangen wurde, weil die fasste, die über das Ver- Insassen oft weit von der kehrsmittel Eisenbahn ursprünglichen Heimat abgewickelt wurden. und Familienangehörigen 1907 sollten 8 Zucht- einsaßen. So ließ es sich hausgefangene zum der amtierende Kreuzna- Bahnhof Niederhausen cher Landrat Erwin Otto (Amt Rüdesheim) trans- Eduard von Nasse (Amts- portiert werden. Das Fili- zeit 1903–1920) – wie auch algefängnis trug zwar die in den vorangegangen Bezeichnung „Nieder- Jahren – nicht nehmen, hausen“, doch befanden Auszug aus der „Gefangenen-Fortschaffungsliste“. Quelle: Archiv VG Rüdesheim (1500–1404) den Strafgefangenen des sich wichtige Teile des Filialgefängnisses Nie- Gefängnisses, wie ein- derhausen eine Unter- gangs erwähnt, auch auf stützung von 20 M. zu- der Gemarkung Schloßböckelheim (Amt „Vor einigen Tagen versuchte die Poli- kommen zu lassen. Weiterhin heißt es dazu Waldböckelheim). So trug der Waldböckel- zeiverwaltung in Arnsberg, einen Gefange- in der einschlägigen Archivalie des Lan- heimer Amtsbürgermeister Heinrich Hahn nen auf dem Bahnhof in Kreuznach abholen deshauptarchives in Koblenz: den Wunsch vor, künftig die Gefangenen zu lassen. Dieses Ersuchen ging, wie dieses „Zu dem Gelde wurden den Gefangenen nicht mehr zum Bahnhof Niederhausen, sehr häufig der Fall ist, zuerst an die Poli- Nüsse gekauft und ein Weihnachtsbaum ge- sondern zum Bahnhof Waldböckelheim zu zeiverwaltung Rüdesheim, zu deren Bezirk schmückt.“ befördern. Niederhausen gehört. Wenn ich derartige Ersuchen von Rüdesheim erhalte, steht der Die Familienangehörigen wurden dabei 1909 ist dann von einem „Filialgefängnis Transporttermin oft so nahe bevor, daß die nicht besonders berücksichtigt. Auch zu in Thalböckelheim“ die Rede. Das Abholen Sache mit größter Beschleunigung behan- Weihnachten 1911 waren wieder 20 Mark und der Weitertransport erfolgten allerdings delt werden muß. Dies sind Mißstände, die von der Kreisverwaltung vorgesehen. Er- weiterhin in Niederhausen. Beim Weiter- unbedingt beseitigt werden müssen. ...“ neut waren deren Familien nicht bedacht transport vom Bahnhof bis zum Gefängnis worden, lebten sie „weder in der Stadt noch Niederhausen musste stets wegen der Ge- Am 26. Febuar 1910 teilte der Ober- im Kreis Kreuznach“. fährlichkeit der Gefangenen ein Gendarm wachtmeister Fulz mit, dass zum Transport Besonders der „Vaterländische Frauen- hinzugezogen werden, der für diese an sich von Gefangenen nicht nur der Gendarm in verein für den Kreis Kreuznach“ wirkte ka- „kurze Reise, die stets außerhalb seines Waldböckelheim, sondern abwechselnd ritativ. Er übernahm zahlreiche Aufgaben, Dienstbezirkes ausgeführt wurde, Reise- auch die fünf Gendarmen der Station zwi- etwa die Verwaltung der Krankenpflege- kosten und Tagegelder forderte“. Aus- schen Münster am Stein und verwen- stellen, die weitere Ausgestaltung des Kran- zugsweise sei von den Schwierigkeiten be- det werden sollten. kenpflegewesens. Im Schnitt wendete nach richtet, mit denen auswärtige Gefangenen- Unter den auswärtigen „Zuchthäuslern“ einer zeitgenössischen Studie der Kreis transporte gelegentlich konfrontiert waren. befanden sich nicht nur die üblichen Ge- Kreuznach jährlich rund 11000 Mark auf. So berichtet Heinrich Hahn: wohnheitsverbrecher, sondern gelegentlich Ehrenvorsitzende des Vereins war „Frau 4 (Seite 51 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 11/2020

Landrat von Nasse“. So ist es nicht ver- zuhelfen. So wünschte auch der Waldbö- 19. Jahrhundert versucht, die Kupfererz- wunderlich, dass dieser mildtätige Verein ckelheimer Amtsbürgermeister Schlemmer vorkommen auszubeuten. Dieser zuletzt er- an Weihnachten auch das Filialgefängnis (Amtszeit: 1911–1945), Nachfolger des 1911 folgte Abbau ging von 1880 bis 1893. Als Niederhausen bedachte: verstorbenen Heinrich Hahn, die Zuwei- 1902 die Weinbaudomäne das ehemalige „Der Vaterländische Frauenverein für sung von Strafgefangenen und begründete Bergbaugelände übernahm, befanden sich den Kreis Kreuznach … wird ihnen [ge- die prekäre Situation wie folgt: auf dem Gelände noch immer Gebäuderes- meint: Strafgefangene] 10 M. überweisen, „Es ist sehr schwierig, für die Landwirte te und Relikte des ehemaligen Bergbaues, damit den Gefangenen eine kleine Freude und Weinbergsbesitzer in Waldböckelheim, beispielsweise ein altes Forsthaus, das Ma- bereitet werden kann. ...“ Schloßböckelheim, Boos und Niederhausen schinengebäude, das Fundament des zur Arbeitshilfe Strafgefangene aus dem Fi- Schornsteins und die Fundamentmauern Im April 1913 erging ein Ministerialer- lialgefängnis zu Verfügung zu stellen. In des Klärbassins (R. Seil, 2000, S. 242 ff.). lass, wonach die evangelischen Gefange- diesen Gemeinden herrscht großer Arbeits- nen, die bisher auf der fiskalischen Wein- kräftemangel, der nicht nur durch den (4) Das Auricher Wiesmoor befindet sich bergsdomäne beschäftigt waren, in nächs- Krieg, sondern auch dadurch entstanden ist, circa 11 Kilometer östlich der ostfriesischen ter Zeit an einen neuen Einsatzort verlegt daß die Waldböckelheimer Drahtwerke, in Stadt Aurich am Ems-Jade-Kanal, eine werden sollten. Betroffen waren davon etwa der weit über 200 Arbeiter beschäftigt wer- tischebene Landschaft, deren Umgebung 80 Gefangene. Die evangelischen Gefan- den, alle verfügbaren Arbeitskräfte gegen weitgehend von Mooren und Heidegebie- genen sollten zu „umfangreichen Landes- hohe Löhne an sich ziehen. Zum Bespritzen ten geprägt ist. Traditionsgemäß wurden kulturarbeiten in dem Auricher Wiesmoor“ und Behacken der Weinberge in den ge- Sträflinge bis weit ins 20. Jahrhundert auch (4) herangezogen werden, da „evangeli- nannten Gemeinden fehlt es tatsächlich an bei zahlreichen Arbeiten in Mooren (Tro- sche Gefangene nur zum Teil aus den An- den dazu notwendigen kräftigen Männern. ckenlegung, Torfgewinnung) eingesetzt. stalten der Provinz Hannover und den ...“ Hohen Bekanntheitsgrad erreichte das Nachbarprovinzen“ gestellt werden könn- „Moorsoldatenlied“, das 1933 von Häftlin- ten. Dieser Hinweis ergibt sich aus einer Ab- Förster Vinzenz Schmanck (Forstamt So- gen des KZs Börgermoor gesungen, später schrift des Ministers des Innern aus Berlin bernheim) wünschte zudem die Zuweisung ein international bekanntes politisches vom 4. April 1913. Ferner wollte er wissen, von 10 Gefangenen „bei den Arbeiten in Kampflied wurde. Die Bevölkerung in Au- ob sich dann ein katholischer Gottesdienst Weinbergen und Zuckerrüben.“ rich ist auch heute noch überwiegend evan- „durch einen katholischen Geistlichen“ er- In der übrigen Zeit – so Schlemmers Vor- gelisch. Ein Teil des Auricher Wiesmoors ist möglichen ließe. Die entsprechenden Nach- stellung – könnten die Gefangenen, so die militärisches Sperrgebiet. bargeistlichen in und Waldbö- verbreitete Vorstellung der damaligen und ckelheim waren jedoch dazu aus räumli- späteren Zeit, „ganz gut im Filialgefängnis chen Gründen nicht in der Lage. Wie mit Anfertigung von Strohmatten, Birken- schwer das Gefängnis in Niederhausen- reiserbesen, Papierdüten (sic!) oder der- Archivalische Quellen: Schloßböckelheim für Geistliche zu errei- gleichen mehr beschäftigt werden. ...“ chen war, ergeben folgende Zeilen: Wieweit seinem Wunsch letztlich ent- Archiv VG Rüdesheim [1500–439], „Die Reise von Kreuznach nach der Do- sprochen wurde, lässt sich nicht mehr ge- [1500–453], [1500–1404] mäne kann am besten zu Fuß über die Na- nau rekonstruieren, endet doch die Akte hebrücke bis Oberhausen zur Domäne aus- des Landeshauptarchivs in Koblenz im Sep- Landeshauptarchiv Koblenz Best. 467 Nr. geführt werden.“ tember 1918. Das Filialgefängnis Nieder- 449 und Best. 467 Nr. 543 hausen bestand von 1903 bis etwa Oktober Letztlich verließen die evangelischen Ge- 1919. fangenen am 4. Juni 1913 das Gefängnis Niederhausen. Abschließend noch ein mitteilenswerter Bibliografie Hinweis: Auf die schweren und nicht immer Schon bald brach der Erste Weltkrieg ungefährlichen Arbeiten der Strafgefange- Kurt Becker: Heimatchronik Kreuznach. aus, der insgesamt in Industrie und Land- nen, z.T. mit Sprengarbeiten wurde bereits Köln 1966 wirtschaft einen beträchtlichen Arbeits- zu Beginn hingewiesen. Um 1914 (LHAK kräftemangel hervorrief, der sich längst Best. 467 Nr. 449) waren die Sprengstoffe in Christine Dinse: Weinbaudomäne Nie- nicht mehr mit Einheimischen oder auch der Domäne vollständig aufgebraucht, 1927 derhausen Schloßböckelheim. Buchholz o.J. später mit Kriegsgefangenen, besonders bei waren jedoch wieder 25 kg „brisante schweren Arbeiten, decken ließ. Leichtere Sprengmittel“ auf der Domäne vorhanden, Landkreis Bad Kreuznach (Hrsg.): 200 Arbeiten führten dagegen in Kriegszeiten davon 700 Stück Sprengkapseln, 50 Stück Jahre Landkreis Bad Kreuznach 1816–2016. Kinder, Frauen und Greise aus. Schon 1915 Sprengkapseln und 10 m Zündschnur. Gestern und heute. Bad Kreuznach 2016 waren viele Weinbergsbesitzer an den Vor- Der genaue Standort des Filialgefäng- steher Jakob Möll (Amtszeit 1888 - 1915) in nisses Niederhausen ist nach so langer Zeit Hans Schubert: Die preußische Regie- Niederhausen herangetreten, man möge für und den späteren weiteren Kultivierungs- rung in Koblenz. Ihre Entwicklung und ihr Niederhausen (ca. 500 Einwohner) Arbeits- arbeiten im Gelände mittlerweile nicht mehr Wirken 1816–1918. Bonn 1925 kräfte aus der Domäne zuweisen: auszumachen. „60 Mann, also die besten Kräfte zum Rainer Seil: Niederwaldwirtschaft in der Heeresdienst einberufen. Arbeiter, beson- Naheregion. In: Beiträge zur Geschichte des ders Weinbergsarbeiter, sind nicht zu ha- Landkreises Bad Kreuznach) Bd. 31. Bad ben, auch haben die Besitzer kein Geld, daß Kreuznach 2000. S. 239–251 sie sich große Ausgaben leisten können. Es Anmerkungen kamen nur solche Gefangenen infrage, die Harald Uhlig: Landkreis Kreuznach. erst eine Strafe von mindestens 1 Monat ver- (1) vgl. Rainer Seil: Chronik der Ortsge- Speyer 1954 büßt haben, sofern sie sich gut geführt ha- meinde Waldböckelheim. Bad Kreuznach ben und nicht fluchtverdächtig sind.“ 1998 Wikipedia aufgerufen am 14.01.2020 und Rainer Seil: Chronik der Ortsgemeinde 11.10.2020 Neben Niederhausen forderten auch an- Schloßböckelheim. Bad Kreuznach 2000 dere Weinbaugemeinden die Zuweisung Rainer Seil: Chronik der Weinbauge- Die Zeit Geschichte: Mörder und Gen- von Strafgefangenen, z.B. Niederthäler Hof meinde Niederhausen. Unveröffentlichtes darm. Die Geschichte der Kriminalität von (Gemarkung Schloßböckelheim), Rüdes- Manuskript 2019 1500 bis heute. Hamburg 2018 heim und andere mehr. Landwirten war es jedoch streng verboten, „Zuchthausgefan- (2) Der Begriff „Zuchthaus“, davon ab- genen“ beispielsweise „Speisen, Getränke, geleitet „Zuchthäusler“,wurde in West- Tabak pp.“zuzustecken. Im widrigsten Fall deutschland 1969 im Zuge der großen Straf- konnten ihnen dann die Gefangenen wie- rechtsreform abgeschafft. Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen der entzogen werden. monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein Die Gefangenen im „Filialgefängnis er- (3) Der eher bescheidene Kupferbergbau für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach weckten in Kriegszeiten natürlich zahlrei- im Bereich Niederhausen-Schloßböckel- e.V. (i. A. Anja Weyer M.A., Richard-Wagner-Str. che Begehrlichkeiten, um dem örtlichen heim war zu diesem Zeitpunkt schon längst 103, 55543 Bad Kreuznach, Telefon 0671/757 48, kriegsbedingten Arbeitskräftemangel ab- Geschichte. Zuletzt wurde nochmals im E-Mail [email protected]).