Plenarprotokoll 16/114

Deutscher

Stenografischer Bericht

114. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Inhalt:

Zur Geschäftsordnung Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 11757 C Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11747 B Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 11748 C BMVBS ...... 11757 C Volker Schneider (Saarbrücken) (Köln) (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 11750 A DIE GRÜNEN) ...... 11758 A Dr. Uwe Küster (SPD) ...... 11751 A Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ BMVBS ...... 11758 B DIE GRÜNEN) ...... 11751 C Sabine Zimmermann (DIE LINKE) ...... 11758 C Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Tagesordnungspunkt 1: BMVBS ...... 11758 D Befragung der Bundesregierung: Jahresbe- Klaas Hübner (SPD) ...... 11759 A richt der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2007 Wolfgang Tiefensee, Bundesminister BMVBS ...... 11759 A Wolfgang Tiefensee, Bundesminister BMVBS ...... 11753 B Volker Blumentritt (SPD) ...... 11754 A Tagesordnungspunkt 2: Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Fragestunde BMVBS ...... 11754 A (Drucksachen 16/6367, 16/6380) ...... 11759 C Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11754 C Dringliche Frage 1 Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ BMVBS ...... 11754 D DIE GRÜNEN) (DIE LINKE) ...... 11755 B Beteiligung bzw. Information der Bundes- Wolfgang Tiefensee, Bundesminister regierung im Zusammenhang mit der Be- BMVBS ...... 11755 B rufung des bayrischen Ministerpräsiden- Jan Mücke (FDP) ...... 11755 D ten, Dr. Edmund Stoiber, nach dem Ende seiner Amtszeit zum künftigen Leiter einer Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Expertengruppe der Europäischen Union BMVBS ...... 11756 A zum Bürokratieabbau Andrea Wicklein (SPD) ...... 11756 D Antwort Wolfgang Tiefensee, Bundesminister Günter Gloser, Staatsminister für BMVBS ...... 11757 A Europa ...... 11759 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Zusatzfragen Zusatzfragen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11759 D DIE GRÜNEN) ...... 11762 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11760 B DIE GRÜNEN) ...... 11763 B

Dringliche Frage 2 Dringliche Frage 5 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Cornelia Hirsch (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) Konsequenzen der Bundesregierung aus Auswahlkriterien für die Berufung von den am 18. September 2007 veröffentlich- EU-Mitarbeiterinnen und EU-Mitarbei- ten Ergebnissen der OECD-Studie „Bil- tern sowie Erfüllung dieser Qualifikations- dung auf einen Blick“ merkmale durch Dr. Edmund Stoiber Antwort Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Günter Gloser, Staatsminister BMBF ...... 11763 C für Europa ...... 11760 C Zusatzfragen Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 11763 D Zusatzfragen Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 11764 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Volker Schneider (Saarbrücken) DIE GRÜNEN) ...... 11760 C (DIE LINKE) ...... 11765 A Martin Zeil (FDP) ...... 11761 A Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 11765 C

Dringliche Frage 3 Mündliche Frage 2 Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zu der laut Konkrete Pläne zur Steuerbefreiung für die Presseberichten erhobenen Forderung des umweltfreundliche Energieversorgung von französischen Außenministers Bernard in Häfen liegenden Schiffen Kouchner nach Verhängung von Sanktio- nen der Europäischen Union gegen den Antwort Iran sowie nach Vorbereitung auf einen Dr. Barbara Hendricks, Parl. etwaigen Krieg gegen den Iran Staatssekretärin BMF ...... 11766 A Antwort Zusatzfrage Günter Gloser, Staatsminister Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ für Europa ...... 11761 B DIE GRÜNEN) ...... 11766 B Zusatzfragen Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Mündliche Fragen 3 und 4 DIE GRÜNEN) ...... 11761 C Dr. (BÜNDNIS 90/ Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) ...... 11762 A Initiativen und Zeitplan des Bundesver- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 11762 B kehrsministers zur Einführung der Fahr- radmitnahme im ICE-Fernverkehr der bundeseigenen DB AG nach dem Scheitern Dringliche Frage 4 des vom Bundesverkehrsminister vorge- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ schlagenen Pilotversuchs zur Fahrrad- DIE GRÜNEN) mitnahme im ICE seitens der DB AG; Argumentation der DB AG sowie Nach- Bewertung der Äußerungen des französi- vollziehbarkeit dieser Begründung durch schen Außenministers Bernard Kouchner das Bundesverkehrsministerium durch die Bundesregierung vor dem Hin- tergrund der Bemühungen um Klärung of- Antwort fener Fragen zum iranischen Atompro- Ulrich Kasparick, Parl. gramm Staatssekretär BMVBS ...... 11766 C Antwort Zusatzfragen Günter Gloser, Staatsminister Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ für Europa ...... 11762 C DIE GRÜNEN) ...... 11766 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 III

Mündliche Frage 5 Mündliche Frage 18 Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) Ina Lenke (FDP) Vorlage einer Nachhaltigkeitszertifizierung Bundesländer mit zugelassenen privatge- für Import-Biokraftstoffe bei importiertem werblichen Anbietern als Träger von Kin- Soja- und Palmöl mit Blick auf die negati- derbetreuungseinrichtungen und der da- ven sozialen und ökologischen Folgen auf- mit verbundenen Berechtigung auf Mittel grund des industriellen Plantagenanbaus aus dem Europäischen Sozialfonds sowie in den Erzeugerländern sowie Pläne der Zulassungsvoraussetzungen in den jeweili- Bundesregierung zu Importbeschränkun- gen Ländern gen bzw. einem Förderausschluss bei der Antwort EEG-Verstromung solcher Produkte Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Antwort BMFSFJ ...... 11771 D Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin Zusatzfragen BMU ...... 11768 C Ina Lenke (FDP) ...... 11772 B Zusatzfragen Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 11769 A Mündliche Frage 19 Ina Lenke (FDP) Mündliche Frage 8 Unterstützung für private und privatge- Cornelia Hirsch (DIE LINKE) werbliche Initiativen zur Kindertagesbe- Vorliegendes Zahlenmaterial über die nach treuung insbesondere bei den Beratungsan- Maßgabe der personellen und sächlichen geboten sowie geplante Verbesserung des Ausstattung ausfinanzierten Studienplätze Wettbewerbs bei der Kinderbetreuung in Deutschland durch die Bundesregierung Antwort Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... BMBF ...... 11769 D 11772 C Zusatzfragen Zusatzfragen Ina Lenke (FDP) ...... 11772 D Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 11770 A

Mündliche Frage 20 Mündliche Frage 14 (BÜNDNIS 90/ Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) Konsequenzen der Bundesregierung aus Termin und Höhe der angekündigten För- dem erneuten Gammelfleischskandal für dermittel gegen den Rechtsextremismus die Lebensmittelsicherheit in der Bundes- für den Landkreis Torgau-Oschatz aus republik, insbesondere hinsichtlich der dem Programm „Jugend für Vielfalt, Tole- strafrechtlichen Sanktionierung von Gam- ranz und Demokratie“ melfleischproduktion und -lagerung Antwort Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... 11773 B BMELV ...... 11770 C Zusatzfragen Zusatzfrage Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 11771 C DIE GRÜNEN) ...... 11773 C

Mündliche Frage 15 Mündliche Frage 27 Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Aktivitäten der Bundesregierung zur Ver- Kenntnis und Bestätigung der laut Presse meidung der Darstellung des Gammel- systematischen Folterungen und des Ein- fleischskandals als spezifisches Problem satzes einer „Extreme Reaction Force“ im der Dönerbranche US-Gefangenenlager Guantánamo Antwort Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Günter Gloser, Staatsminister für BMELV ...... 11771 C Europa ...... 11774 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Zusatzfragen Anlage 2 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 11774 D Mündliche Frage 1 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 28 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Bestätigung von installierten und bis min- destens 18. Oktober 1977 betriebenen Ab- Bereitschaft der Bundesregierung, das US- höranlagen im Gefängnis von Stuttgart- Gefangenenlager Guantánamo auf die Stammheim mit Kenntnis und Unterstüt- Tagesordnung der UNO-Menschenrechts- zung der Bundesbehörden laut Pressemel- kommission zu setzen dung sowie Bewertung möglicher Abhörer- gebnisse durch die Bundesregierung Antwort Günter Gloser, Staatsminister Antwort Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär für Europa ...... 11775 B BMJ ...... 11791 B Zusatzfragen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 11775 B Anlage 3 Mündliche Frage 6 Zusatztagesordnungspunkt 1: Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu Klärung der Federführung in der Proble- den Äußerungen des Bundesministers der matik „Lärmbelästigung durch Speed- Verteidigung, Dr. , in Ter- boote in der Lübecker Bucht“ zwischen rorabsicht entführte Flugzeuge ohne ge- dem Bundesumwelt- und Bundesverkehrs- setzliche Grundlage abschießen zu lassen ministerium Antwort Sabine Leutheusser- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin Schnarrenberger (FDP) ...... 11776 A BMU ...... 11791 C Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg ...... 11777 A Anlage 4 Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 11778 A Mündliche Frage 9 (SPD) ...... 11779 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Jeweils entstandene Kosten durch die neue DIE GRÜNEN) ...... 11780 B Büroeinrichtung für den Chef des Presse- Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 11781 A und Informationsamtes der Bundesregie- rung (BPA), Staatssekretär Ulrich Dr. (FDP) ...... 11782 C Wilhelm, und für den stellvertretenden Chef des BPA, Michael Sternecker, sowie Dr. (SPD) ...... 11783 C Gründe für den Ersatz der Büroeinrich- tung des ehemaligen Regierungssprechers Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 11784 B Béla Anda Frank Hofmann (Volkach) (SPD) ...... 11785 C Antwort , Staatssekretär und Chef Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 11786 C des Presse- und Informationsamtes ...... 11792 A Jörn Thießen (SPD) ...... 11787 D Anlage 5 Nächste Sitzung ...... 11788 D Mündliche Fragen 10 und 11 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Berichtigung ...... 11789 A DIE GRÜNEN) Einigung in der Postbranche mit Verdi auf einen Mindestlohn als ausreichende Vo- Anlage 1 raussetzung für eine branchenweite Aus- dehnung des Mindestlohnes mithilfe des Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11791 A Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 V

Antwort Anlage 9 Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 11792 B Mündliche Frage 22 Frank Spieth (DIE LINKE) Jeweils unterschiedliche Anzahl der aner- Anlage 6 kannten Fälle nach dem Anti-D-Hilfegesetz Mündliche Fragen 12 und 13 in der Antwort der Bundesregierung auf Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 16/4006) vom Beteiligung von Lobbyisten am Gesetzent- 8. Januar 2007 und im Schreiben an die wurf zum Waffenänderungsgesetz 2007, Hepatitis-C-Betroffenenverbände vom insbesondere direkt im Bundesministerium 28. August 2007 des Innern, sowie in der Zeit von 2003 bis 2007 geflossene Sponsoringmittel an Bun- Antwort desbehörden von Lobbyisten im Zusam- , Parl. Staatssekretär menhang mit einer möglichen Entschär- BMG ...... 11794 A fung des Waffenänderungsgesetzes Antwort Dr. , Parl. Staatssekretär Anlage 10 BMI ...... 11792 C Mündliche Fragen 23 und 24 (FDP) Anlage 7 Anzahl der Eltern im Jahr 2006 mit Kran- Mündliche Fragen 16 und 17 kengeldbezug für die Freistellung bei Er- Dr. (DIE LINKE) krankung ihres Kindes und der damit ver- bundenen Anzahl der Freistellungstage Existenz eines ordnungsgemäßen Monito- sowie daraus entstandene Kosten für die ringplans für MON 810 der Firma Krankenkasse; Kostenentwicklung im Ver- Monsanto gemäß der Anordnung des Bun- gleich zu den Jahren 2003 bis 2005 desamtes für Verbraucherschutz und Le- bensmittelsicherheit (BVL) vom 27. April Antwort 2007 sowie Haltung der Bundesregierung Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär zur nachträglichen Anordnung von Moni- BMG ...... 11794 A toringpflichten auch in den gentechnisch veränderten Maisfreisetzungsversuchen der Firma Pioneer aufgrund analoger Risiken Anlage 11 Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Mündliche Fragen 25 und 26 BMELV ...... 11793 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Gründe für die weiterhin unterschiedli- chen Gebühren in den neuen und alten Anlage 8 Bundesländern für den Berufsstand der Mündliche Frage 21 Tierärzte nach Inkrafttreten des Vertrags- (BÜNDNIS 90/ arztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) am DIE GRÜNEN) 1. Januar 2007 sowie geplante Maßnahmen zur Beseitigung dieser Ungleichheit Stellungsnahme der Bundesregierung zur Einberufung des Wehrpflichtigen L. zum Antwort Zivildienst durch das Bundesamt für Zivil- Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär dienst (BAZ) am 6. September 2007 trotz BMG ...... 11794 C vorheriger Verneinung bekannter Fälle von Zivildiensteinberufungen anerkannter Kriegsdienstverweigerer vor der Unan- fechtbarkeit ihrer Musterbescheide sowie Anlage 12 Handlungsanweisungen der Bundesregie- rung an das BAZ zur Lösung im Fall des Mündliche Fragen 29 und 30 zweimal rechtswidrig behandelten Kriegs- Monika Knoche (DIE LINKE) dienstverweigerers L. Bestätigung von Medienberichten zum öf- Antwort fentlichem Protest bei gleichzeitig privater Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Zustimmung der Bundesregierung im Falle BMFSFJ ...... 11793 B einer Bombardierung Irans wegen seines VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Atomprogramms durch die USA; Bestäti- deutschen Handelsbeziehungen mit dem gung der Erwägung eines Militärschlags Iran gegen den Iran durch die US-Regierung nach dem Rückzug Deutschlands zur Un- Antwort terstützung von härteren Sanktionen gegen Günter Gloser, Staatsminister für Teheran zum Schutz der Stabilität der Europa ...... 11795 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11747

(A) (C) Redetext

114. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin : Muss man den Bundesverteidigungsminister eigent- Ich eröffne die Sitzung, liebe Kolleginnen und Kolle- lich daran erinnern, dass er hier im Parlament geschwo- gen, und begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen ren hat, die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu Beratungen. wahren und zu verteidigen? Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Fraktion der FDP hat einen Antrag auf Erweite- Seine Aussagen stehen in keiner Weise mit seinem rung der heutigen Tagesordnung um den Punkt „Auffor- Amtseid in Übereinstimmung. Seine Aussagen sind au- derung an die Bundesregierung, eine Regierungserklä- ßerdem eine Zumutung für die Piloten der Bundeswehr. rung zur Lage der inneren Sicherheit in der (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Bundesrepublik Deutschland zu beschließen“ gestellt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Die Fraktion der CDU/CSU hat die Nichteinhaltung der (D) 18-Uhr-Frist für Anträge zur Änderung der Tagesord- Vizekanzler Müntefering hat die Aussage des Bun- nung gerügt. Mir ist mitgeteilt worden, dass die Fraktion desverteidigungsministers zu Recht zurückgewiesen. Zu der FDP nunmehr beabsichtigt, den Antrag auf Erweite- den Äußerungen des Bundesinnenministers erklärt Vize- rung der Tagesordnung unter Abweichung von der Ge- kanzler Müntefering: schäftsordnung gemäß § 126 zu stellen. Ich bin nicht glücklich über diese Art und Weise Das Wort zur Geschäftsordnung hat nun der Kollege des Umgangs mit einer solch ernsthaften Thematik. Koppelin für die FDP-Fraktion. Das kann man nicht auf sich beruhen lassen. Da- rüber muss gesprochen werden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Jürgen Koppelin (FDP): geordneten der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber muss ge- Der Bundesinnenminister warnt vor Terroristen mit sprochen werden. Die Aktuellen Stunden, die in dieser Atomwaffen. Ist diese Gefährdung konkret, oder gibt es Woche von den Freien Demokraten und vom Bünd- sie gar nicht? nis 90/Die Grünen eingereicht worden sind, reichen da- Der Bundesverteidigungsminister will Flugzeuge in für nicht aus. bestimmten Situationen entgegen der eindeutigen Ver- Die Minister Schäuble und Jung äußern sich so, der fassungslage abschießen lassen. Durch eine Klage, von Vizekanzler und die Justizministerin äußern sich im ge- Liberalen initiiert, hat das Bundesverfassungsgericht in nau entgegengesetzten Sinn. Für uns und die Menschen einer Entscheidung klar festgestellt, dass das Leben Un- in diesem Land ist es aber wichtig, dass unsere Bundes- schuldiger niemals geopfert werden darf. regierung eine einheitliche Meinung und eine einheitli- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem che Auffassung zur Lage der inneren Sicherheit hat. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Fraktion teilt diese Auffassung, was sie in den Abstimmungen hier im Parlament immer dokumentiert Deshalb beantragt die Fraktion der Freien Demokraten hat. unter Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß 11748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Jürgen Koppelin (A) § 126 – an die Union gerichtet sage ich: Es ist einfach lä- Der Deutsche Bundestag sollte die Bundesregierung (C) cherlich, sich auf acht Minuten zu berufen, um die De- daher heute auffordern, eine Regierungserklärung zur batte zu verhindern –, Lage unserer inneren Sicherheit abzugeben. Wenn wir dann in dieser Debatte zu dem Ergebnis kommen, dass (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem wir nicht ständig neue Gesetze zur Bekämpfung des Ter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rors brauchen, sondern vielmehr gut ausgebildete und dass der Deutsche Bundestag heute die Bundesregierung gut ausgerüstete Sicherheitsorgane, deren Personalstand auffordert, eine Regierungserklärung zur Lage der inne- nicht immer weiter reduziert werden darf, dann wäre ren Sicherheit abzugeben. Sollte die Union weiterhin eine solche Debatte ein Gewinn für unser Land. darauf bestehen, dass der Antrag acht Minuten zu spät Ich bitte, unserem Antrag zuzustimmen. eingereicht wurde, können wir ihn heute noch einmal stellen, dann findet die Abstimmung morgen statt. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten hat Das Wort hat nun der Kollege Dr. Norbert Röttgen für das Bundeskanzleramt schriftlich gebeten, eine solche die CDU/CSU-Fraktion. Regierungserklärung abzugeben, und zwar in dieser Wo- che hier im Parlament. Die Bundesregierung hat das ab- ( [FDP]: Der erklärt jetzt die gelehnt. Sie nutzen doch sonst jede Gelegenheit zu einer Sprachlosigkeit der Regierung!) Regierungserklärung. Warum kneifen Sie hier? (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Da wir, auch wenn es eine Geschäftsordnungsde- So bleibt uns nur, heute diesen Antrag zu stellen. Wir batte ist, jetzt über die Bedrohung unserer Mitbürger und müssen diesen Antrag stellen, weil Sie sich weigern. auch unseres freiheitlichen Verfassungsstaates durch Hier im Deutschen Bundestag und nicht in den Me- Terrorismus sprechen, möchte ich vorschlagen, dass wir dien haben sich die Bundesminister zu erklären. zum Ausgangspunkt dieser Debatte die folgende Frage wählen: Was erwarten eigentlich die Menschen von der (Zuruf von der LINKEN: So ist es!) Politik in der Sache und im Umgang mit dieser Gefähr- Auch die Bundeskanzlerin muss sich erklären. Denn dungs- und Bedrohungslage? Fangen wir doch bei dieser (B) schließlich haben wir eine Bundesregierung und nicht Frage an. (D) zwei Bundesregierungen in einer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Walter Kolbow [SPD]) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube nicht, dass die Bürger erwarten, dass wir, Zu den Aussagen des Bundesverteidigungsministers obwohl es sich um eine existenzielle Bedrohung handelt, wollen wir auch die Meinung der Bundesjustizministerin in einem pluralistischen, demokratischen Land alle einig hören. Die Medienkampagne der Minister Schäuble und sind. Aber ich glaube, die Bürger erwarten und können Jung muss gestoppt werden. Das kann hier durch eine erwarten, Regierungserklärung der Bundesregierung geschehen. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Eine Regie- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem rungserklärung!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir uns, weil es um die existenzielle Bedrohung Der Bundesinnenminister ist ja gleichzeitig auch Ver- von Menschen geht, weil es um einen Angriff auf unsere fassungsminister. Wir wünschen uns einen Bundesinnen- freiheitliche Verfassungsstaatlichkeit geht, mit diesen minister, der Aussagen wie die des Verteidigungsminis- Fragen mit der angemessenen Ernsthaftigkeit und – das ters eindeutig zurückweist. betone ich – mit dem Willen zu demokratischer Gemein- samkeit beschäftigen. Das können die Bürger erwarten. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abge- ordneten der FDP) Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Peter Struck, hat zu Beginn dieser Legislatur erklärt, Weil sie dies von uns erwarten können, habe ich für den dass die SPD-Fraktion auch in der Großen Koalition Firlefanz einer Geschäftsordnungsdebatte kein Verständ- selbstbewusst alles prüfen will, was von der Regierung nis. kommt. Wörtlich sagte Peter Struck: „Dafür ist das Par- (Beifall bei der CDU/CSU) lament da.“ Heute haben die Sozialdemokraten Gelegen- heit, das, was Peter Struck gesagt hat, unter Beweis zu Sie beantragen eine Aktuelle Stunde und kritisieren, stellen. dass sie durchgeführt wird. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist vorpar- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lamentarisch!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11749

Dr. Norbert Röttgen (A) Die Koalition bietet eine parlamentarische Debatte zu Das Dilemma besteht darin, dass Terroristen Flugpas- (C) diesem Thema an, möchte eine Sachdebatte vereinbaren, sagiere als Geiseln nehmen können, um damit andere aber die Opposition möchte sie nicht haben. Sie wollen Menschen zu töten. Das ist eine Dilemmasituation. Die Firlefanz statt Sachdebatte. Das ist unverantwortlich. Frage, die an den Staat, an den Gesetzgeber gestellt wird, lautet: Wie gehen wir mit dieser Situation um? Es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wurde versucht, mit dem Luftsicherheitsgesetz eine Ant- neten der SPD – Widerspruch bei der FDP und wort zu geben. Das Bundesverfassungsgericht hat sie der LINKEN) kassiert. Ich kann das nicht verstehen: Grüne und FDP verwei- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Wollen Sie noch gern explizit eine Debatte in der Sache. Sie haben es ge- einen zweiten Versuch machen?) tan. Befragen Sie einmal Ihre Fraktionsführung dazu. Jetzt ist die Rechtslage die, dass der Staat dazu keine ge- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das Parlament setzliche Auskunft geben kann. Der Verteidigungsminis- als Firlefanz!) ter hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der Rechtslage in diesem Fall die individuelle strafrechtliche Verantwor- Ich bin auch deshalb über dieses parlamentarische tung bei den in dieser Situation aktiv Handelnden liegt. Verhalten enttäuscht – die Verweigerung einer Sachde- Das sind insbesondere die Soldaten, die dann handeln. batte durch die Opposition –, da nach unserer Auffas- Wenn sie handeln, dann ist gemäß unserer Rechtsordnung sung ein 5-Minuten-Stakkato in den Aktuellen Stunden dazu zu sagen: Ihr habt rechtswidrig ein Tötungsdelikt diesem Thema nicht gerecht wird, auch wenn die Bun- vorgenommen; ihr könnt euch aber in einem strafrechtli- desminister reden werden. Darum hätten wir gern im Zu- chen Verfahren auf einen Entschuldigungstatbestand, sammenhang debattiert. Aber das ist Ihre Entscheidung. nämlich den des übergesetzlichen Notstandes, berufen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Da ihr als Soldaten eure Pflicht ausgeübt habt, wird man GRÜNEN]: Dann machen Sie doch eine Re- dann sehen, ob ihr dafür verurteilt werdet oder nicht. gierungserklärung! Dann können Sie das Der Bundesverteidigungsminister hat gesagt: In die- doch!) ser Rechtslage, die nun einmal da ist, stelle ich klar, dass Wir werden diese Debatte dann eben so führen. die Verantwortung bei mir liegt. Ich verstecke mich nicht hinter den Soldaten, sondern ich trage die politische Ver- Ich bin darüber auch deshalb enttäuscht, weil nach antwortung für ein solches Verhalten. meinem Selbstverständnis als Parlamentarier wir in die- (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Schneider ser Frage eine originäre Entscheidungsverantwortung [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Und dann tritt er (B) haben, die wir und nicht die Regierung, die darüber ent- danach zurück!) (D) scheidet, ob sie Regierungserklärungen abgibt oder nicht, auch ausüben müssen, denn wir als Parlament sind Ich selbst möchte dazu sagen: So zutreffend wie nach Gesetzgeber. Daher ist die Frage an uns adressiert, wie meiner Beurteilung das Amtspflichtverständnis des Bun- wir zum Beispiel mit dem Problem umgehen, das der desverteidigungsministers ist, so unerträglich ist die Si- Bundesverteidigungsminister aufgeworfen hat. tuation, dass der Staat als Ganzes kneift und sich hinter dem Rücken der Soldaten, die handeln müssen, ver- (Zurufe von der FDP – Volker Beck [Köln] steckt. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Verteidi- gungsminister hat gesagt, er schert sich nicht (Beifall bei der CDU/CSU) ums Gesetz!) Das ist eine staatliche Form von Feigheit, die wir nicht – Vielleicht darf ich diese Frage einmal ausführen. Wir akzeptieren können. alle täten gut daran, die Debatte nicht in einem Ton der Der Bundesinnenminister hat seine Pflicht getan, in- Aufregung zu führen, sondern sachangemessen und dem er nüchtern auf die Gefährdungslage dieses Landes nüchtern darüber zu reden. hingewiesen hat. Das muss er tun, und zwar nicht aufre- gend und nicht hysterisierend. Er hat in der Zeit, in der (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido noch Vorbeugung möglich ist, auf die Gefährdungslage Westerwelle [FDP]: Dann reden Sie nicht von hingewiesen. Er hat nicht nur auf die Gefahr hingewie- Firlefanz!) sen, sondern er hat auch an uns appelliert und Vor- Die Frage, die der Bundesverteidigungsminister auf- schläge dahin gehend gemacht, dass der Staat alles geworfen hat, ist doch folgende: Nach Auskunft, Rege- rechtsstaatlich Nötige und rechtsstaatlich Mögliche tun lung und Klärung einer Situation durch den Staat, die in muss, um Terrorismus in diesem Land abzuwehren. einem rechtlichen und in einem moralischen Dilemma Unsere Auffassung als CDU/CSU-Fraktion ist: Der besteht – – Rechtsstaat hat im Wissen darum, dass es absolute Si- (Dirk Niebel [FDP]: Die Frage hat das Bundesver- cherheit nicht gibt, das ihm rechtsstaatlich Nötige und fassungsgericht ganz klar beantwortet!) Mögliche noch nicht getan. Wir als Gesetzgeber sind auf- gerufen, aus der Verantwortung den Bürgern gegenüber, – Ja, genau. Das Verfassungsgericht hat die Frage beant- in diesem Land Sicherheit in Freiheit zu ermöglichen. wortet, indem die gesetzliche Lösungsgrundlage zum (Beifall bei der CDU/CSU) Umgang mit dem rechtlichen und mit dem moralischen Dilemma für verfassungswidrig erklärt wurde. Darüber muss eine Debatte geführt werden. 11750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Dr. Norbert Röttgen (A) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie und, falls es sich um Einzelmeinungen handelt, wie die (C) des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ Bundesregierung zu diesem Sachverhalt steht? DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Der Deutsche Bundestag muss in diesen Fragen die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Spieth Entscheidung treffen. Wir sind dazu bereit, diese Verant- [DIE LINKE]: Sie müssten auch hier sein!) wortung wahrzunehmen. Die Bundesregierung hätte von sich aus anbieten müs- (Beifall bei der CDU/CSU) sen, hierzu eine Regierungserklärung abzugeben. Es ist ein Scherz – zudem ein schlechter –, dass die FDP etwas Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: erzwingen muss, was selbstverständlich sein sollte. Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider für Es geht nicht nur um die Grusel- und Horrorszena- die Fraktion Die Linke. rien, die diese Minister verbreiten. Es geht vor allem um das, was sie meinen, daraus ableiten zu müssen. Meine (Beifall bei der LINKEN) Fraktion interessiert längst nicht mehr, was die Minister Schäuble und Jung wollen. Wir wollen wissen, ob sich Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): die Bundesregierung an einer Aushöhlung der Verfas- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sung bis hin zum offenen Verfassungsbruch beteiligen Zunächst eine Vorbemerkung zur Rede des Kollegen will oder nicht. Ich danke dem Kollegen Peter Struck, Röttgen, die ich für notwendig halte: Ich finde es er- dass auch er das Wort „Verfassungsbruch“ verwendet staunlich, hier auf der einen Seite eine Sachdebatte ein- hat. zufordern und auf der anderen Seite von Firlefanz zu re- (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem den. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie Kauder [CDU/CSU]: Mensch, Peter! So et- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ was!) DIE GRÜNEN) Uns interessiert überhaupt nicht mehr, ob Minister Es ist ziemlich unerträglich, wenn das eine Fraktion tut, Jung Soldaten mindestens zum Totschlag, wenn nicht die hier eine Klauberei um acht Minuten betreibt. Das ist zum Mord, möglicherweise zum Mord mit gemeinge- nämlich wahrhaftig Firlefanz. fährlichen Mitteln und letztlich sogar zum Verfassungs- bruch auffordert. An diesem Minister interessiert uns al- (B) Die FDP beantragt, die heutige Tagesordnung um den lenfalls noch, wann er die Konsequenzen aus seinen (D) Punkt „Aufforderung an die Bundesregierung, eine Re- ungeheuerlichen Forderungen zieht und zurücktreten gierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit in der will – und das, Kollege Röttgen, bitte nicht erst, nach- Bundesrepublik Deutschland zu beschließen“ zu erwei- dem er den Befehl gegeben hat! tern. Wir, die Fraktion Die Linke, werden uns diesem Antrag anschließen. (Zuruf von der LINKEN: Vorher!) Ich will Ihnen sagen: Das ist eine merkwürdige Art und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Weise, sich hinter die Soldaten zu stellen. neten der FDP – [CDU/CSU]: Na, so etwas! Oh! Super! – Weiter Zuruf von (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der CDU/CSU: Das ist ja kaum zu glauben!) neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist merkwürdig und im Hinblick auf die politische Kultur in unserem Land enttäuschend, dass die FDP- Auf diese Aufforderung zum Rechtsbruch haben Fraktion diesen Weg gehen muss, um etwas zu erzwin- Herrn Jung der Bundeswehr-Verband, der Verband der gen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein Jetpiloten und andere eine klare Antwort gegeben. Aber sollte. Sie haben sich schon die Piloten ausgesucht, die sich, als habe es nie eine deutsche Geschichte gegeben, wie (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Klaus-Peter Stieglitz, der Inspekteur der Luftwaffe, da- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rauf berufen, dass Offiziere ihre Befehle zu befolgen ha- Die Minister Schäuble und Jung entwerfen bezüglich ben. der inneren Sicherheit Horrorszenarien, die hochgradig Die Menschen in diesem Lande und wir als die von geeignet sind, in der Bevölkerung Unruhe und Unsicher- ihnen gewählten Volksvertreter haben einen Anspruch heit zu schüren. Wann, wenn nicht jetzt, haben die Men- darauf, jetzt zu erfahren, ob es sich um eine Einzel- schen in diesem Lande und die von ihnen gewählten meinung des Ministers handelt oder ob diese Ungeheuer- Volksvertreter einen Anspruch darauf, von der Bundes- lichkeiten die Position der Bundesregierung sind. regierung zu erfahren, ob es sich hierbei um Einzel- meinungen der Minister oder um die Meinung der Bun- Danke schön. desregierung handelt (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11751

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (C) Das Wort hat nun der Kollege Dr. Uwe Küster für die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter SPD-Fraktion. Struck [SPD]: Richtig!) Im Übrigen haben wir statt der von der Opposition Dr. Uwe Küster (SPD): abgelehnten gemeinsamen Debatte heute und morgen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die beiden Aktuellen Stunden, die von der Opposition zu Die aktuellen Äußerungen der Minister Dr. Schäuble den Themen Terrorismusbekämpfung und innere Sicher- und Dr. Jung, auf die die FDP Bezug nimmt, sind Äuße- heit gefordert worden sind. Da werden wir ausführlich rungen dieser Minister, keine Äußerungen der Bundes- darüber debattieren können. Es steht diese Woche also regierung. genügend Zeit für die beiden von Ihnen geforderten The- men zur Verfügung. Meine Fraktion sieht daher keine (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Veranlassung, dem Geschäftsordnungsantrag gemäß GRÜNEN]: Was sagt denn die Bundesregie- § 126 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages rung? Das wollen wir ja gerade wissen! – zuzustimmen. Frank Spieth [DIE LINKE]: Würde das auch Danke schön. die Kanzlerin unterschreiben?) (Beifall bei der SPD) Von Vizekanzler Franz Müntefering und von Justiz- ministerin ist dazu das Nötige gesagt worden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort der Kollege Volker Beck für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das die Bundesregierung?) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Im Übrigen hat die FDP den Vorschlag, eine gemein- fand, das war eine gute Rede, Uwe Küster: Das war eine same Debatte zu vereinbaren, in der sich die Fachpoliti- gute Begründung für den Antrag der FDP, hier eine Re- ker mit diesem Thema hätten befassen können, abge- gierungserklärung zu verlangen. lehnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) bei der FDP und der LINKEN) Sie wissen, bis kurz vor Beginn dieser Debatte haben wir Da erklärt der amtierende Parlamentarische Geschäfts- (B) (D) Verhandlungen und Gespräche darüber geführt. Wir ha- führer der SPD, die Ministeräußerungen seien Indivi- ben der Opposition das Angebot gemacht, statt der bei- dualmeinungen, den Aktuellen Stunden, von denen eine heute und eine morgen stattfinden soll, eine vereinbarte Debatte über (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- genau dieses Thema zu führen. SES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist das!) das sei nicht die Politik der Bundesregierung, da gebe es auch andere Individualmeinungen, nämlich die von Sie von der FDP möchten dieses Thema aber weiter- Müntefering und Zypries, die ihm näher seien. Ja, gibt es hin skandalisieren. auch eine Meinung der Bundesregierung zur Innenpoli- tik? (Frank Spieth [DIE LINKE]: Mit gutem Recht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Sie wollen daraus parteipolitisch Honig saugen. Ich habe vorhin unter Berücksichtigung des Grund- (Widerspruch bei der FDP, der LINKEN und prinzips, das hinter einer Regierungserklärung steht, da- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rüber nachgedacht, ob ich auf den Vorschlag der Union eingehe, dies in einer vereinbarten Debatte zu behan- Ich sage Ihnen im Namen meiner Fraktion: Dieser Ver- deln. Eine vereinbarte Debatte bedeutet: Jeder sagt ein- such ist fragwürdig und deshalb abzulehnen. mal, was er so denkt – insofern haben wir eine ständige vereinbarte Debatte in der Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Die immer neuen öffentlichen Äußerungen der Minis- DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LIN- ter Schäuble und Jung tragen zur Verunsicherung und KEN) nicht zur Stabilisierung der inneren Sicherheit bei. Da dürfen sich die Minister beteiligen – manche sind ja (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN auch Abgeordnete –, da dürfen sich die Abgeordneten und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beteiligen, und dann haben wir alle einmal darüber gere- det. Die Themen innere Sicherheit und Terrorismusbekämp- fung eignen sich aber nicht für derartige parteipolitische (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben ein Instrumentalisierung. schönes Parlamentsverständnis!) 11752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Volker Beck (Köln) (A) Na ja, das machen wir doch dauernd: die Agenturen rauf schlag mit nuklearem Material vorbereitet werden (C) und runter, die Talkshows rauf und runter. Aber wir wis- könnte. sen nicht, was die Regierung macht. Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag kommt, nicht mehr, ob. Eine Regierungserklärung folgt aber einem anderen Prinzip: Wenn die Bundesregierung einen Bereich ihrer Dann erfahre ich jetzt von den Agenturen, er will das gar Politik grundsätzlich vor dem Parlament darstellen will nicht so gemeint haben; das sage man unter Fachleuten – vorausgesetzt, sie hat eine solche Politik –, dann ge- schon seit 15 Jahren. Aber der Text im Interview geht ja schieht das in der Regel in der Form einer Regierungser- weiter, und damit macht er sich die Aussagen zu eigen: klärung. Die Erklärung selbst ist Gegenstand der Aus- sprache. Das heißt, dann sagen wir nicht mehr, was uns Wir sind bedroht und bleiben bedroht. Aber ich rufe zum Thema gerade so einfällt, dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das tun Sie noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine ja sowieso!) Weltuntergangsstimmung versetzen. sondern dann reden wir darüber, wie wir die Politik die- (Lachen bei der FDP) ser Bundesregierung finden. Gegenwärtig können wir aber nicht über eine Regierungserklärung reden, weil die Das ist Tanz auf dem Vulkan. Das ist wie in der Pestzeit Regierung uns nichts zu erklären hat, weil sie nicht weiß, im Mittelalter, als man noch einmal feierte, bevor alle wie ihre Innenpolitik aussehen soll. verreckten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gibt es eine Grundlage für solche verheerenden und bei der FDP und der LINKEN) panikmachenden Äußerungen, oder haben Sie das ein- fach so dahingesagt, Herr Schäuble, um die SPD bei der Das finde ich angesichts der von ihr in dieser Debatte an- Onlinedurchsuchung unter Druck zu setzen oder hier geschlagenen Tonlage, die nach Götterdämmerung, nach oder da über die BKA-Kompetenzen zu reden und sie Armageddon, nach Weltuntergang klingt, durch das dadurch geschaffene öffentliche Klima mürbe (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nehmen zu machen? Wenn es nur dazu diente, halte ich das für Sie sich nicht zu viel Bedeutung heraus!) fahrlässig. Das ist kein verantwortungsvolles Verhalten eines Innenpolitikers, unerhört. Denn die Menschen draußen im Lande und die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Parlamentarier, aber auch die Regierungskollegen haben (D) das Recht, zu erfahren: Was wissen die beiden Minister sowie bei Abgeordneten der LINKEN) über die Bedrohungssituation, und was ist deren Antwort der seriös jedes Bedrohungsszenario – auch ein hypothe- darauf? Da kann nicht jeder einfach erzählen, was er tisches – analysieren muss und Vorgehensweisen vor- will. Das macht die Menschen verrückt, besorgt und – zu schlagen muss, der aber nicht so bedeutungsvoll raunen Recht – ängstlich. Mit dem Entsetzen über Terrorismus darf, als ob er wisse, dass morgen ein Bombenanschlag treibt man nämlich keine politischen Scherze. bevorsteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der SPD) Der Bundesverteidigungsminister beschreibt ein Di- lemma. Norbert Röttgen, das ist ein Dilemma, mit dem Das sieht der Vizekanzler übrigens genauso. Er hat heute wir uns als Parlament schon länger beschäftigt haben gegenüber AP erklärt: und zu dem das Bundesverfassungsgericht Gott sei Dank Die Mitglieder der Regierung und der Fraktions- klare Worte gesprochen hat. spitzen müssen eine Information erhalten über das, (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Es ist keine was da gewusst oder vermutet wird. Antwort darauf gefunden worden!) Das ist richtig. Doch er ist vorsichtshalber erst gar nicht – Da gibt es keine einfachen Antworten. gekommen. Offensichtlich will er nicht in Versuchung geraten, dem Antrag der Opposition auf eine Regie- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Welche rot- rungserklärung zustimmen zu müssen. grüne Mehrheit hat das denn verabschiedet?) Ich bleibe dabei: Das, was Sie wissen, gehört auf den Der Minister insinuiert – das ist das, was du willst –, es Tisch des Hauses. Sie können nicht einfach solche Sätze gebe für diese Situation so etwas wie eine Gebrauchs- formulieren, anweisung. Diese solle der Gesetzgeber möglichst auch noch in ein Gesetz gießen nach dem Motto: Wenn du (Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer ganz 500 Menschenleben retten kannst und dafür 50 opfern ruhig bleiben!) musst, dann darfst du es tun, dann bist du fein raus; dann wie Bundesinnenminister Schäuble es getan hat: ist das Dilemma aufgehoben. Die größte Sorge aller Sicherheitskräfte ist, dass in- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das hat nerhalb des terroristischen Netzwerkes ein An- keiner gesagt!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11753

Volker Beck (Köln) (A) Das – so hat das Bundesverfassungsgericht gesagt – gibt auch die Solidarität der Menschen in den alten Bundes- (C) es innerhalb unserer verfassungsrechtlichen Ordnung ländern verantwortlich zeichnen, aufzubauen und uns nicht. den Herausforderungen zu stellen, die noch vor uns lie- gen. Ich sorge mich, wenn wir einen Verteidigungsminister haben, der nicht die verfassungsrechtlichen Grundsätze, Das Wachstum in den neuen Bundesländern ist stabil, unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit verteidigt, son- und ihre Wirtschaftskraft nimmt zu. 3 Prozent Wirt- dern sich in Interviews damit brüstet, diese rote Linie schaftswachstum in Relation zu 2,7 Prozent in den alten übertreten zu wollen und genau das Gegenteil dessen zu Bundesländern belegen, dass sich die Schere schließt. tun. Wir würden hier im Parlament gerne einmal Aus- Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Sie schließt kunft erhalten, ob diese Äußerung der Politik der Regie- sich zu langsam. Die Industrie zieht mit einem Wachs- rung oder der Bundeskanzlerin entspricht. Es sollte tum von 11 Prozent stärker als in den alten Bundeslän- Schluss sein mit den Interviews und öffentlichen State- dern an. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: ments. Finden Sie zu einer Politik der inneren Sicherheit, Wir sind weit von einem sich selbst tragenden Auf- die rechtsstaatlich ist! schwung entfernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Es gibt immer noch zu wenige Industriearbeitsplätze, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abge- immer noch zu wenige Forschungs- und Entwicklungs- ordneten der SPD) kapazitäten beim Mittelstand und mit 67,3 Prozent, ge- messen an dem der alten Bundesländer, ein deutlich ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ringeres Bruttoinlandsprodukt. Die Arbeitslosigkeit geht Wir kommen nun zur Abstimmung über den FDP-An- zurück. Dennoch bleibt das Problem der sich verfesti- trag. Wer stimmt für den Antrag der FDP? – Wer ist da- genden Langzeitarbeitslosigkeit, die in den alten Bun- gegen? – Stimmenthaltungen? desländern um 20 Prozent, aber in den neuen Bundeslän- dern lediglich um 8 Prozent abnimmt. Daneben schlagen (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Heute Abend wir uns mit den Problemen der Demografie und der Ab- habt ihr Armschmerzen! Heute Abend tut euch wanderung aus den ländlichen Räumen mit all den sozia- der Ellbogen weh!) len und infrastrukturellen Folgen für das Leben in den Der Antrag hat nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Regionen herum. Er ist abgelehnt. Die Bundesregierung zeigt Wege auf, wie wir den Wir kommen damit zur vorgesehenen Tagesordnung. Aufschwung beschleunigen können; denn wir müssen ihn beschleunigen, wenn wir den Abstand zwischen den (D) (B) (Unruhe) unterschiedlichen Regionen in den Ländern unseres – Ich warte einige Sekunden, bis diejenigen, die der wei- Staates verringern wollen. teren Beratung nicht folgen wollen oder können, den Wir setzen auf den Solidarpakt II. Die Mittel werden Saal verlassen haben. eingesetzt, um die Infrastruktur zu vollenden und in Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tages- bindung mit der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung ordnungspunkt 1 auf: der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Investitions- zulage Firmen anzulocken und zur Erweiterung zu be- Befragung der Bundesregierung wegen. Wir setzen darauf, den Transmissionsriemen Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen zwischen der Wissenschaft und der Wirtschaft zu ver- Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundes- stärken, indem wir insbesondere beim Mittelstand For- regierung zum Stand der Deutschen Einheit 2007. schungs- und Investitionskapazitäten aufbauen. Wir set- zen darauf, auch in den ländlichen Räumen die Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht Lebensqualität zu erhalten und sie mit der Lokomotiv- hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtent- funktion der kleinen und großen Wachstumszentren zu wicklung, Wolfgang Tiefensee. verbinden. Wir setzen darauf, die Langzeitarbeitslosig- keit im engen Schulterschluss mit den Ländern und Städ- Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, ten durch Programme wie dem Kommunal-Kombi zu Bau und Stadtentwicklung: beseitigen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Eine enorme Aufgabe steht vor uns. Durch den Be- Herren! Ich habe heute dem Kabinett den Jahresbericht richt soll ein realistisches Bild gezeichnet werden. Viel 2007 zum Stand der Deutschen Einheit vorgelegt und wurde erreicht, und es ist noch viel zu tun. Daneben sol- fasse den Bericht folgendermaßen zusammen: len Wege aufgezeigt werden, wie wir im Laufe der Wir haben den Wachstumskurs der neuen Bundeslän- nächsten Jahre weitere Schritte beim Aufbau Ost gehen der im Verlauf des letzten Jahres stärken können. Es gibt können, die uns zum Erfolg führen. eine Reihe positiver Anzeichen für einen sich dauerhaft Vielen Dank. haltenden Wirtschaftsaufschwung. Andererseits stehen wir in den neuen Bundesländern nach wie vor vor enor- men Herausforderungen. So gilt es, auf dem Erreichten, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: für das die Menschen in den neuen Bundesländern, aber Vielen Dank, Herr Bundesminister. 11754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Ich bitte nun, zunächst Fragen zu dem Themenbereich in diesem Zusammenhang als Stichwort das Programm (C) zu stellen, über den gerade berichtet wurde. „Soziale Stadt“. Um Disparitäten zwischen Stadtteilen auszugleichen, haben wir das Programm nicht nur von Als erstem Fragesteller erteile ich dem Kollegen 70 Millionen Euro auf 110 Millionen Euro pro Jahr auf- Volker Blumentritt für die SPD-Fraktion das Wort. gestockt, sondern wollen auch mit 20 Millionen Euro ei- nen nicht unbeträchtlichen Anteil dieser Mittel über die Volker Blumentritt (SPD): Investitionstätigkeit hinaus zur Finanzierung von Pilot- Sehr geehrter Herr Minister, mit welchen konkreten projekten einsetzen, die zur Verbesserung der Situation Maßnahmen will die Bundesregierung die, wie ich benachteiligter Stadtteile beitragen. denke, dynamische Entwicklung in Ostdeutschland be- schleunigen? Darüber hinaus kümmern wir uns um den Städtebau. Die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Städtebaulicher Ist für Sie dabei insbesondere das Programm „Soziale Denkmalschutz“, die sich mit der Stadtentwicklung im Stadt“ wichtig – ich spreche da aus eigener Erfahrung –, weitesten Sinne beschäftigen, sind nicht nur verstetigt, das 1999 durch die Bundesregierung initiiert wurde und sondern auch aufgestockt worden. Denn die demografi- wodurch vielfältigste Möglichkeiten eröffnet wurden? sche Entwicklung bedingt den teilweisen Rückbau von Wie kann man das potenzieren? Was kann man daraus Infrastruktur unter und über der Erde, um die Steuergel- noch machen? Wofür werden die Mittel, die Sie für die der der Bevölkerung adäquat einsetzen zu können. Das nächsten Jahre aufgestockt haben, in erster Linie einge- sind einige Beispiele. setzt? Das Programm „Soziale Stadt“ – ich sehe das ge- nauso wie Sie – ist insbesondere im Hinblick auf die Sta- Ein anderes Themenfeld hatte ich bereits kurz ange- bilisierung des Standortes Ostdeutschland und ein Stück sprochen: die Langzeitarbeitslosigkeit. Dazu verweise weit auch im Hinblick auf die Etablierung großer Unter- ich exemplarisch auf das Programm „Kommunal- nehmen in Ostdeutschland ein wesentlicher Faktor. Kombi“; darüber hinaus ließen sich weitere Programme anführen. Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Vielen Dank. – Wir müssen auf verschiedenen Nächster Fragesteller ist der Kollege Peter Hettlich. Feldern agieren. Ein Feld ist die Stärkung der Wirt- schaftskraft. Dadurch werden Arbeitsplätze entstehen; es Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werden weniger Sozialtransfers nötig sein, und die Men- Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben schen können aus eigener Kraft agieren. eben in der Antwort auf die Frage des Kollegen (B) (D) Wir wollen die Wirtschaftskraft stärken, indem wir Blumentritt auf die Investitionszulage und die Gemein- mit der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regio- schaftsaufgabe Ost hingewiesen. Sie haben immer wie- nalen Wirtschaftsstruktur fortfahren. Dafür wollen wir der festgestellt, dass die Förderung gezielter erfolgen auch die Investitionszulage über das Jahr 2009 hinaus muss. Wir haben aber schon in der letzten Debatte über verlängern, wie es in der Koalitionsvereinbarung vorge- die Investitionszulage im vergangenen Jahr immer wie- sehen wurde. Damit gewährleisten wir, dass Investoren der gefragt, wie Sie sich das vorstellen. Da ein Rechtsan- auch auf dem sogenannten flachen Land Investitionen spruch auf die Investitionszulage besteht, ist damit keine tätigen und ihre Unternehmen erweitern bzw. neue grün- gezielte Förderung möglich. Die Gemeinschaftsaufgabe den können. Ost wird – übrigens auch von den Wirtschaftsinstituten – immer wieder als probates Mittel empfohlen. Können Wir wollen darüber hinaus ein zweites Themenfeld Sie mir erklären, warum Sie die Mittel für die Gemein- angehen: die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wis- schaftsaufgabe für dieses Jahr kürzen? Diese Frage inte- senschaft. Wir haben einen Wettbewerb initiiert, der mit ressiert viele Menschen. 23 Millionen Euro ausgestattet ist. Die ersten elf Pro- jekte konnten identifiziert und mit finanziellen Mitteln Können Sie mir des Weiteren erläutern, wie Sie bei ausgestattet werden. Denn wir wissen, dass der Osten einem um 0,3 Prozentpunkte geringeren BIP-Wachstum nicht länger die verlängerte Werkbank des Westens sein im Osten gegenüber dem Westen auf 20 Jahre bis zur darf; wir müssen vielmehr den Aufbau eigener For- Angleichung zwischen West und Ost kommen? Das ist schungs- und Entwicklungskapazitäten ermöglichen. für mich arithmetisch nicht nachvollziehbar. Das dritte Feld ist die Infrastruktur. Seit der friedli- Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, chen Revolution sind in Deutschland ungefähr Bau und Stadtentwicklung: 170 Milliarden Euro in den Ausbau von Infrastruktur ge- Zunächst zu den beiden Programmen: Wir wollen flossen, davon allein 67 Milliarden Euro in die neuen eine Balance zwischen einer gezielten Förderung über Bundesländer. Der Anteil ist deshalb überproportional die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen hoch, weil wir wissen, dass die Wirtschaft der Infra- Wirtschaftsstruktur einerseits und dem Rechtsanspruch struktur folgt. Wir intensivieren unsere Bestrebungen, von Unternehmen andererseits, die neue Investitionen ausländische Unternehmen in den Osten zu holen. Das oder Ersatzinvestitionen tätigen, schaffen. Dabei geht es alles soll die Wirtschaft stärken. um die sogenannte Investitionszulage, die sich auf drei Ein weiteres Themenfeld ist die Stadt. Hier haben wir Bereiche und auf alle Regionen der neuen Bundesländer es mit besonderen Herausforderungen zu tun. Ich nenne bezieht. Die drei Bereiche sind bekannt. Dabei handelt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11755

Bundesminister Wolfgang Tiefensee (A) es sich um die Industrie im klassischen Sinne, die indus- Wie behelfen wir uns in einer Situation, in der die (C) trienahen Dienstleistungen und ab dem Jahr 2006 das industrielle Produktion anspringt und in den neuen Bran- Beherbergungsgewerbe. chen – regenerative Energien, Chipherstellung, Kunst- stoffindustrie, elektrotechnische Industrie und chemi- Wir setzen auf diese Dualität, weil wir glauben, dass sche Industrie – zwar zahlreiche Arbeitsplätze entstehen, die Politik die starken Regionen, ob klein oder groß, ge- aber nicht in ausreichendem Umfang? Wie behelfen wir zielt fördern sollte – das geschieht bereits, und zwar mit uns angesichts des Gaps zwischen Angebot und Nach- Strategie und Planung –; andererseits wollen wir aber frage? Wir bieten auf dem ersten Arbeitsmarkt geför- der Unternehmerschaft nicht den Weg verbauen, ihrer- derte Arbeitsplätze für diejenigen an, die Arbeit nachfra- seits in dieser oder jener Region, die noch nicht als Ziel- gen, aber nicht in der Lage sind, auf dem regulären gebiet in dieser Weise identifiziert ist und diese Stärken Arbeitsmarkt Arbeit zu finden. noch nicht aufweist, entsprechende Förderung anzubie- ten. Wir, die Bundesregierung, arbeiten daran, dass diese Zeitspanne möglichst kurz ist und dass möglichst viele Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. In der letzten sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Woche haben wir in Arnstadt ein Werk zur Überholung Aber ich hielte es für skandalös, wenn wir einerseits Ar- von Rolls-Royce-Flugzeugturbinen übergeben. Von der beitsplätze, die nicht sozialversicherungspflichtig sind Grundsteinlegung bis zur Eröffnung sind nur zwölf Mo- und die nicht auf dem regulären ersten Arbeitsmarkt zu nate vergangen. Dort ist es gelungen, ein Unternehmen finden sind, nicht anbieten würden und es andererseits in einer Region anzusiedeln, die vorher nicht als indus- zuließen, dass Menschen mit ihrer Hände Arbeit nicht trielles Zentrum Thüringens galt. Das war durch gezielte ein Einkommen erwirtschaften können, das ausreicht, Förderung möglich. Die Konkurrenz zu einem tschechi- um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu schen Mitbewerber konnte gewonnen werden, weil die bestreiten. Herr Kollege Claus, der Skandal wäre, solche Förderung an diesem Ort sowohl in strategischer Hin- Menschen weiter zu Hause sitzen zu lassen, zu alimen- sicht als auch vom Unternehmer selbst gelenkt werden tieren und ihnen nicht die Möglichkeit zu geben, zu ar- konnte. beiten. Wir arbeiten daran, dass möglichst schnell mehr Die GA stellt eine gute Basis für eine finanzielle Ba- sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. lance dar. Die Investitionszulage und die GA sind in etwa gleich ausgestattet. Ich denke, dass durchaus immer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Möglichkeiten zur Aufstockung der GA-Mittel bestehen. Das Wort hat nun der Kollege Jan Mücke. Ich setze darauf, dass der Solidarpakt sowohl 2007 als auch 2008 in vollem Umfang zum Tragen kommt und (B) (D) dass diese beiden Instrumente dafür sorgen, dass mehr Jan Mücke (FDP): Arbeitsplätze geschaffen werden. Herr Minister, Sie haben vorhin über die Bedeutung von Forschung und Entwicklung in den neuen Bundes- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ländern sowie der Hochschulen und über die daraus fol- genden Möglichkeiten gesprochen, dass junge Leute, die Nächster Fragesteller ist der Kollege Roland Claus. innovative Ideen haben und ein Produkt entwickeln wol- len, sich, von den Universitäten kommend, selbstständig Roland Claus (DIE LINKE): machen, sodass Arbeitsplatzeffekte in den neuen Bun- Herr Bundesminister, das Nürnberger Institut für desländern erzielt werden. Diese Strategie halten wir, die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat herausgefun- FDP-Bundestagsfraktion, für richtig. den, dass in einem Drittel der ostdeutschen Betriebe die 1-Euro-Jobber die Mehrheit stellen. Ich hielt das für un- Für uns stellt sich nur die Frage, wie diese Förderung glaublich, aber es ist wahr. Bewerten Sie diesen Fakt als der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft tatsächlich Beleg für den in Ihrem Bericht konstatierten Auf- aussieht. Es ist doch ein Fakt, dass beispielsweise bei der schwung auf dem Arbeitsmarkt, oder bewerten Sie die- Exzellenzinitiative der Bundesregierung in der ersten sen Fakt genauso wie ich als einen Skandal? Stufe nicht eine einzige ostdeutsche Universität in den Genuss einer zusätzlichen Förderung gekommen ist, (Beifall bei der LINKEN) weil offensichtlich die Voraussetzungen dafür sehr viel schlechter gewesen sind, als das in den alten Bundeslän- dern der Fall war. Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Erstens. Wie verträgt sich das miteinander, und wie Ich möchte die Zahlen nicht bestätigen, weil sie mir konkret sieht die Forschungsförderung für die neuen nicht vorliegen. Aber sie beschreiben den Trend, dass Länder aus, damit wir die Effekte, die Sie beschrieben wir zwar den Arbeitsmarkt beleben und die Anzahl der haben, erzielen können? Zweitens. Wie verträgt sich Ihre Arbeitslosen senken, aber nicht in gleichem Umfang Aussage mit der Antwort der Bundesregierung auf die sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Osten Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion „Umset- Deutschlands schaffen können. Das heißt, wir haben zung der Koalitionsvereinbarung – Ansiedlung einer nach wie vor eine Diskrepanz zwischen den Arbeitsplät- Großforschungseinrichtung in den neuen Bundeslän- zen, die nachgefragt werden, und denen, die tatsächlich dern“? Es gab diverse Ideen zu diesem Thema. Die Bun- angeboten werden. desregierung hat uns geantwortet, dass sie nicht beab- 11756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Jan Mücke (A) sichtigt, eine solche Großforschungseinrichtung in den ken und unterstützen. Wir denken, dass das der richtige (C) neuen Ländern in der nächsten Zeit anzusiedeln. Weg ist. Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, stelle ich noch Die Offensive, die wir für die neuen Bundesländer in eine dritte Frage. Sie haben in Meseberg eine Offensive Gang setzen, bezieht sich auf die Felder, die ich bereits Ost angekündigt. Könnten Sie erläutern, was Sie konkret vorhin in Zusammenhang mit der Frage des Kollegen darunter verstehen und was die neuen Bundesländer da- Blumentritt angesprochen habe. Das betrifft die Versteti- von erwarten können? gung der Förderung für die Wirtschaft: Wir investieren in die Hochschulen; wir kümmern uns um die Infrastruk- tur; wir wollen, was die Hochschulen anbetrifft, ein Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, neues Instrument beraten und werden es hoffentlich auf Bau und Stadtentwicklung: den Weg bringen. Das sind die externen Forschungs- Kollege Mücke, Sie nennen zu Recht Forschung und GmbHs, die den Mittelstand in die Lage versetzen, au- Entwicklung, Hochschulen und Universitäten als ßerhalb ihrer Unternehmen Forschungen ansiedeln zu Schlüsselthemen für den Aufbau Ost. Wenn es uns ge- können. Wir kümmern uns – das hatte ich bereits ausge- lingt, in der Zukunft diese Kapazitäten zu stärken, vor al- führt – mithilfe einer Reihe von Projekten um den Ar- len Dingen die Verbindung zur Wirtschaft zu verstärken, beitsmarkt. Das ist die Offensive, die wir brauchen, um dann sollte es gelingen, dass die neuen Bundesländer den Aufschwung zu beschleunigen. schneller in diesem Angleichungsprozess vorwärtskom- men. Sie haben mit den Großforschungseinrichtungen noch ein spezielles Thema angesprochen, auf das die Bundes- Sie haben als Erstes die Exzellenzinitiative angespro- regierung Bezug genommen hat. Ich denke an die Spal- chen. Diese ist so angelegt, dass in Deutschland nach lationsquelle im Raum Halle/, über die wir einheitlichen, objektiven Kriterien gesucht wird, welche immer wieder einmal diskutiert haben. Die Forschungs- Hochschuleinrichtung in der Lage ist, exemplarisch für ministerin ist – auch im Hinblick auf den europäischen Deutschland Forschungsleistungen, wissenschaftliche Kontext – überzeugt davon, dass wir für eine solche Ein- Leistungen zu erbringen. Wir konstatieren, dass einige richtung auf absehbare Zeit keine Unterstützung erhalten der ostdeutschen Hochschulen knapp unter der Messlatte werden bzw. dass die Notwendigkeit zur Schaffung einer geblieben sind und diese nicht übersprungen haben. Ich solchen Einrichtung nicht in dem Maße besteht, dass die bin mir mit meiner Kollegin Schavan einig, dass wir Investitionen fließen können. Sollte im europäischen jetzt in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative, in der oder im deutschen Kontext eine neue Einrichtung reali- es nicht nur um die Eliteuniversitäten, sondern auch um siert werden, werden wir selbstverständlich die neuen (B) die Cluster geht, die eine besondere Förderung bekom- Bundesländer wieder ins Gespräch bringen. (D) men sollen, besonders diejenigen Standorte in den Blick nehmen müssen, die besonders dynamisch Entwick- Es stellt sich zum Beispiel die Frage: Was ist über- lungsfortschritte gemacht haben. haupt eine Großforschungseinrichtung? Bedenken Sie bitte, dass wir das Biomasseforschungszentrum in den Ein weiterer Punkt. Die Strategie, die Hochschulen zu neuen Bundesländern angesiedelt haben. Wir haben zu stärken, gründet sich zum Beispiel auf den Hochschul- einem Zeitpunkt darüber diskutiert, als die Fragen des pakt, den die Kollegin Schavan geschlossen hat. Ihnen Klimawandels noch gar nicht auf der Tagesordnung ist bekannt, dass wir nicht zuletzt im Rahmen der standen. Jetzt stellen wir fest, dass sich unsere For- Föderalismusreform I den Ländern die Kompetenzen für schungseinrichtung im Zentrum einer ganz wichtigen die Hochschulentwicklung übertragen haben. Dennoch Branche befindet. Diese Einrichtung ist übrigens genau interessiert sich der Bund stark dafür, wie wir es zum in dem Raum angesiedelt, von dem Sie sprechen. Es gibt Beispiel schaffen können, dass die Anzahl der Studenten aber momentan keine Chance, dass die Spallationsquelle auch an den ostdeutschen Hochschulen und Universitä- realisiert wird. ten auf einem Niveau gehalten wird, dass der Lehrbe- trieb effizient und gut ist. Es gibt eine Reihe von Maß- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nahmen, die dafür sorgen sollen. Der Hochschulpakt Nun kommen wir zu der Frage der Kollegin Andrea bietet eine solide Grundlage dafür. Wicklein. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Programmen, die dazu dienen sollen, Drittmittel einzuwerben bzw. Andrea Wicklein (SPD): – ich spreche es noch einmal an – die Verbindung zwi- Herr Minister, Sie haben zu Recht die positive Ent- schen Wirtschaft und Wissenschaft herzustellen. Der In- wicklung auf dem Arbeitsmarkt angesprochen, die wir novationswettbewerb „Wirtschaft trifft Wissenschaft“, jetzt glücklicherweise auch in Ostdeutschland vorfinden. den wir in Gang gesetzt haben, soll die Netzwerke, die Dennoch haben wir nach wie vor das Problem der Ab- im Osten in noch viel zu ungenügender Zahl bestehen, wanderung von Fachkräften, die wir dringend brauchen, stärken und exemplarisch aufbauen. Ich gebe Ihnen ein und insbesondere die Abwanderung von jungen Frauen, Beispiel: Wir werden über kurz oder lang in Frankfurt/ gerade aus den ländlichen Regionen. Welche Konzepte Oder die in der Welt führende Solarzellenfabrik haben. hat die Bundesregierung, um dieser Abwanderung etwas Hier entsteht ein Nukleus aus einer wissenschaftlichen entgegenzusetzen? Welche Konzepte gibt es zur Ent- Forschung heraus, weil die Verbindung zwischen Wis- wicklung der ländlichen Räume? Wo sehen Sie da Per- senschaft und Wirtschaft so eng ist. Das wollen wir stär- spektiven? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11757

(A) Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, möglich sein, auch die ländlichen Regionen, die es deut- (C) Bau und Stadtentwicklung: lich schwerer haben als die Wachstumskerne, im Rah- Darauf gibt es drei Antworten: Arbeit, Arbeit, Arbeit. men des normalen Länderfinanzausgleichs mitzuziehen. Arbeitsplätze schaffen in den neuen Bundesländern, in den kleinen und mittleren Städten, in den großen Bal- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: lungszentren, aber auch im ländlichen Raum ist die ent- Nun hat das Wort die Kollegin Gesine Lötzsch. scheidende Voraussetzung dafür. Diese Arbeitsplätze entstehen nicht von selbst. Ihre Entstehung kann zwar gefördert werden, Rahmenbedingungen kann man ver- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): bessern, aber sie müssen aus der Wirtschaft selbst, aus Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie der Industrie, aus dem Dienstleistungsbereich entstehen. haben das Thema Forschung und Entwicklung mehrmals zu Recht angesprochen. Ich glaube, man braucht nicht Dass wir mit unserer Strategie der Förderung richtig- darüber zu diskutieren, dass dies ein entscheidendes liegen, das zeigt sich an den Zahlen, die wir heute vor- Thema ist. Sie haben einige Leuchttürme benannt. Sie weisen können: Ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent haben aber wenig Problembewusstsein gezeigt. in Relation zu einem Wirtschaftswachstum von 2,7 Pro- zent in den alten Bundesländern zeigt, dass wir richtig Die Bundesregierung hat mir auf meine Fragen geant- investiert haben, dass diese Lokomotiven jetzt in der wortet, dass Ostdeutschland an gesamtdeutschen Förder- Lage sind, ein Wirtschaftswachstum zu generieren, das programmen auffällig unterdurchschnittlich beteiligt ist. sich auch am Arbeitsmarkt niederschlägt. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel – das ist noch ein relativ positives –: Es fließen nur 10 Prozent der gesamt- Übrigens ist interessant, dass die neuen Bundesländer deutschen Forschungsmittel für zukunftsorientierte zunehmend ihre geografische Lage im Hinblick auf die Energien in den Osten. Welche Anstrengungen, Herr Mi- neuen EU-Mitgliedstaaten ausspielen. Das, was zunächst nister, unternehmen Sie, um Ihre Kabinettskollegen zu Angst gemacht hat – dass mit der Erweiterung der Euro- überzeugen, an dieser Stelle eine ausgewogene Zuwei- päischen Union die Anzahl der Arbeitsplätze zurückgeht –, sung der Forschungsmittel zu erreichen? Welche Ideen das erweist sich als nicht richtig. Wir profitieren von der haben Sie entwickelt, um dem offensichtlichen Miss- Erweiterung. stand abzuhelfen, dass nur ein geringer Anteil der Mittel Die Abwanderung findet übrigens auch innerhalb der für Forschungsförderprogramme in den Osten fließt? neuen Bundesländer statt. Wir haben eine Vielzahl von Regionen, die einen Bevölkerungsaufwuchs vorweisen. Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Ich nenne exemplarisch Dresden, Jena, Potsdam, Leip- Bau und Stadtentwicklung: (B) zig und Magdeburg. In diesen Städten wird nicht nur das Diese Gelder, Frau Abgeordnete, benötigen Adressa- (D) negative Sterbesaldo kompensiert, sondern es gibt dort ten. Wir brauchen starke Hochschulen und starke For- auch einen Bevölkerungsaufwuchs. Menschen aus länd- schungseinrichtungen, vor allen Dingen aber For- lichen Regionen der neuen Bundesländer ziehen in die schungs- und Entwicklungskapazitäten, die an den Ballungszentren der neuen Bundesländer. Unternehmen angelagert sind. Das alles ist für diejenigen, die in der Region keinen Wir verfügen in den neuen Bundesländern über eine Arbeitsplatz finden, allein noch keine gute Nachricht. hervorragende Struktur der öffentlich geförderten For- Wir haben ein Programm aufgelegt, durch das Regionen schungseinrichtungen. Ich möchte in dem Zusammen- im ländlichen Raum exemplarisch identifiziert und un- hang ausdrücklich Dank sagen der Max-Planck-Gesell- terstützt werden sollen. Es soll eine Antwort auf fol- schaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, den Einrichtungen gende Fragen gegeben werden: Wie kann man Lebens- der Blauen Liste, der Helmholtz-Gemeinschaft usw., die qualität im ländlichen Raum erhalten? Wie kann es eine dafür gesorgt haben, dass diese Infrastruktur stabil be- Verantwortungsgemeinschaft zwischen dem Oberzen- steht. trum und dem ländlichen Raum geben? Ausgewählt sind beispielsweise die Region Stettiner Haff und die Region In diese Strukturen fließen die Gelder. Es ist dringend Südharz/Kyffhäuser Kreis, um vorzuführen, wie man nötig, dass wir zwischen Mittelstand und Hochschule das tun kann. Die ersten Ansätze sind vorhanden. Die oder angelagert an den Mittelstand Forschungs- und Ent- Projekte, von denen wir zunächst nur gelesen haben, wicklungskapazitäten generieren, die dann Adressat die- sind sehr erfolgversprechend. Das wollen wir unterstüt- ser Fördergelder sein können. Es ist also nicht auf Good- zen. Wir investieren eine Menge Geld in diese Projekte, will zurückzuführen, wenn Geld fließt, bzw. auf die wir später auf andere Regionen übertragen wollen. Zurückhaltung, wenn Geld nicht fließt; es bedarf kon- kreter Projekte. Weil wir um diese Schwierigkeit wissen, Es bleibt dabei: Wir werden Unterschiede zwischen kümmern wir uns beispielsweise um die externen For- Nord und Süd, Ost und West, aber auch zwischen dem schungs-GmbHs. ländlichen Raum und den Wachstumszentren haben. Wir konzentrieren uns darauf, die Stärken zu stärken. Wenn Ich will mit Zahlen noch einmal das unterstreichen, es uns gelingt, bis zum Auslaufen des Solidarpakts II, was Sie gesagt haben. In Deutschland werden von den also bis 2019, zu erreichen, dass sich eine Vielzahl dieser Unternehmen rund 51 Milliarden Euro pro Jahr ausgege- Wachstumskerne selbstständig gestaltet, aus einem sich ben, um zu forschen und zu entwickeln: in den Zentren selbst tragenden Aufschwung heraus und mit einer Wirt- der Automobilindustrie, der Elektrotechnik, wo auch im- schaftskraft, die sich aus sich selbst speist, dann sollte es mer. In den Osten fließen gerade einmal 1,5 Milliarden 11758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Bundesminister Wolfgang Tiefensee (A) Euro dieser 51 Milliarden Euro – eine große Disparität. gang nachgehen und Ihnen eine entsprechende Antwort (C) Diese bauen wir auch nicht dadurch ab, dass wir einen zukommen lassen. Automobilhersteller auffordern, sein Kompetenzzen- trum, sein Design- oder Forschungs- und Entwicklungs- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zentrum komplett in die neuen Bundesländer zu verle- Bis wann – die Antwort kann ja in die aktuellen Bera- gen. So wird es nicht gehen. Es wird aber funktionieren, tungen mit einfließen – kann das Parlament mit einer Be- wenn wir die Nuklei, die jetzt schon vorhanden sind, antwortung unserer Fragen rechnen, nachdem Ihr Haus verstärken, sie so unterstützen, dass sie sich entwickeln zunächst die schriftliche Antwort in Drucksache 16/6222 können und größer werden. Das ist die Zielrichtung, die verweigert hat? wir verfolgen.

Adressat sind nicht nur die Bundesregierung und die Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Landesregierungen; Adressat sind vor allen Dingen die Bau und Stadtentwicklung: Unternehmen selbst, die mit eigenen Mitteln dafür sor- Ich werde das in zwei Phasen tun. Zunächst einmal gen müssen, dass Projekte generiert werden, die am werde ich prüfen, ob eine Antwort möglich ist, und wenn Ende gefördert werden können. Die Verantwortung liegt sie möglich ist, werde ich sie dem Parlament in der ange- also sowohl beim Bund – er hat Rahmenbedingungen zu messenen Zeit zukommen lassen. schaffen – als auch bei den Universitäten, Hochschulen und Unternehmen selbst. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist bei der Bundesregierung Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: angemessen?) Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Beck, die nächste Fragestellerin ist die Herr Minister, zu den Prozessen im Zusammenhang Kollegin Sabine Zimmermann. mit der deutschen Einheit gehört auch die Fusion von Reichsbahn und Bundesbahn zur Deutschen Bahn. Es Sabine Zimmermann (DIE LINKE): gab zu diesem Komplex von unserer Fraktion verschie- Danke schön. – Herr Minister, Sie kommen ebenso dene Nachfragen, auch zu Unternehmen, die in den wie ich aus Sachsen. Ich möchte noch einmal an die neuen Ländern Besitztümer haben und Energie produ- Frage des Kollegen Hettlich von den Grünen anschlie- zieren, insbesondere zu der DB Energie GmbH. Sowohl ßen und auf die Kürzung der GA-Mittel eingehen. Es (B) auf eine schriftliche Frage meines Kollegen Winfried geht nicht nur um 50 Millionen Euro, sondern auch um (D) Hermann als auch auf eine Kleine Anfrage meiner Frak- den Anteil der Länder. Insgesamt sind es dann tion hat sich Ihr Ministerium der Antwort verweigert. 100 Millionen Euro, die dem Mittelstand verloren ge- Ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen bekannt ist, hen. Nach Sachsen geht jeder vierte Euro. dass eine Antwortverweigerung gegenüber dem Parla- Ich frage Sie: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass ment begründet werden muss und dass auch nicht alle gerade durch diese Einsparung von 100 Millionen Euro Fragen zu privatwirtschaftlichen Unternehmen abgewie- im Mittelstandsbereich die Schaffung von Arbeitsplät- sen werden können, insbesondere nicht zu Unternehmen, zen verhindert wird, weil gerade der Mittelstand die deren hundertprozentiger Eigner der Bund ist. Das Parla- meisten Arbeitsplätze in Deutschland schafft? ment wird, wenn der Gesetzentwurf nicht noch zurück- gezogen wird, in dieser Woche die Debatte über die Frage der Privatisierung der Deutschen Bahn und über Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, die Strategie, die verfolgt wird, beginnen. Um darüber Bau und Stadtentwicklung: debattieren zu können, muss das Parlament die Fakten Nein. Erstens bin ich nicht der Meinung, dass wir da- erst einmal kennen; erst dann kann es entscheiden, was mit die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern. Wir es aus diesen Fakten macht. haben in einigen Ländern Probleme mit dem Abfluss der GA-Mittel; das wissen Sie. Dazu zählt nicht das Land, Sind Sie bereit, dem Parlament die Fragen, die wir zur aus dem offensichtlich wir beide kommen. DB Energie GmbH und zu anderen Punkten eingereicht haben, noch zu beantworten? Wenn nicht: Woraus Zweitens ist im Rahmen der Haushaltsdebatte – unter schließen Sie, dass das Parlament bei diesen Fragen Federführung meines Kollegen Glos – über die Frage dumm bleiben muss, obwohl es über diese Sachverhalte diskutiert worden, inwieweit wir diesen Haushalt fort- entscheidet? führen können. Wir haben den Posten der GA-Mittel leicht senken müssen, um einen ausgeglichenen Haus- halt zu erreichen, stützen uns aber in der Kopplung von Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, GA-Mitteln und Investitionszulage immerhin auf einen Bau und Stadtentwicklung: Betrag, der per anno weit über 1 Milliarde Euro beträgt. Ich gehe davon aus, dass wir am Freitag hier im Parla- ment den Gesetzentwurf zur Neuorganisation der Eisen- Wir werden die GA-Mittel und ihre Anwendung in bahnen des Bundes beraten werden. Ich gehe also nicht den einzelnen Bundesländern weiter verfolgen, und ich davon aus, dass er zurückgezogen wird, um diesem gehe davon aus, dass wir, wenn es Spielräume gibt, auch Nebensatz gleich entgegenzutreten. Ich werde dem Vor- in dieser Position Flexibilität beweisen. Es soll nach Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11759

Bundesminister Wolfgang Tiefensee (A) Möglichkeit kein Investor abgewiesen und keine Investi- Ich appelliere also auch von hier aus an die Finanzmi- (C) tion verhindert werden. nister der neuen Bundesländer, die Gelder aus dem Korb I des Solidarpaktes zweckgemäß und zielgenau (Sabine Zimmermann [DIE LINKE]: Das sind einzusetzen, damit wir, trotz schrittweiser Reduzierung dann für Sachsen 12,5 Millionen! Danke!) gerade dieser Gelder, den Aufschwung bis 2019 be- schleunigen können. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Fragesteller ist der Kollege Klaas Hübner. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Zeit Klaas Hübner (SPD): für die Regierungsbefragung schon etwas überzogen. Weitere Fragen kann ich deshalb nicht mehr zulassen. Herr Minister, die ostdeutschen Länder werden in na- Herr Bundesminister, ich danke Ihnen herzlich für die her Zukunft ausgeglichene Haushalte vorlegen können, Beantwortung der Fragen. was sehr zu begrüßen ist. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die zugesagten Leistungen aus dem Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Solidarpakt II? Fragestunde – Drucksachen 16/6367, 16/6380 – Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Zu Beginn der Fragestunde beschäftigen wir uns nach Es ist ein sehr erfreulicher Umstand, dass sowohl die Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde zu- Länder als zunehmend auch die Kommunen ausgegli- nächst mit den dringlichen Fragen. chene Haushalte vorlegen können. Wir dürfen nicht ver- Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Am- gessen: Ausgeglichener Haushalt heißt, dass genauso tes auf. Für die Beantwortung steht Herr Staatsminister viel ausgegeben wird, wie eingenommen wird. Dabei Günter Gloser zur Verfügung. darf aber ebenso nicht vergessen werden, dass sowohl auf der Länder- als auch auf der Kommunalebene noch Wir kommen zunächst zur dringlichen Frage 1 des ein extremer Schuldenberg abzutragen ist. Diese Kollegen Volker Beck (Köln): Schwierigkeit besteht nach wie vor. In welcher Weise und mit welchen Argumenten war die Bundesregierung an der Berufung des bayerischen Minister- Wir wissen, dass insbesondere die Städte und Ge- präsidenten Dr. Edmund Stoiber nach dem Ende seiner Amts- meinden in den neuen Bundesländern einen hohen zeit zum künftigen Leiter einer 15-köpfigen Expertengruppe Schuldenberg aufgebaut haben, um den Aufbauprozess der Europäischen Union, EU, zum Bürokratieabbau beteiligt (B) bzw. informiert, die der Präsident der EU-Kommission am (D) zu beschleunigen. Die Früchte sehen wir jetzt. Dennoch Freitag, dem 14. September 2007, bekannt gegeben hat? brauchen wir Kapazität, die Schulden abzubauen. Ich denke, wir sind einer Meinung, dass der Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Solidarpakt II in seinen zwei Teilen, Korb I und Korb II, Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wie zielgerichtet eingesetzt werden muss. In Korb I geht es folgt: Die Bundesregierung begrüßt, dass EU-Kommis- darum, insbesondere Investitionen in die Infrastruktur zu sionspräsident Barroso mit der Einsetzung eines unab- fördern. Ich bin froh, konstatieren zu können, dass die hängigen Sachverständigenausschusses zur Unterstüt- Bundesländer, und zwar vom Norden bis zum Süden, zu- zung der Kommission und der Mitgliedstaaten bei der nehmend der Verpflichtung nachkommen, die Gelder Verringerung der Verwaltungslasten ein Ergebnis des zweckgemäß einzusetzen, und somit auf den Pfad der Europäischen Rates vom 8./9. März dieses Jahres um- Tugend zurückkehren. Ich weiß um die extremen Belas- setzt. Die Berufung der Mitglieder, auch von Minister- tungen, die beispielsweise durch die Zusatzrentensys- präsident Stoiber zum ehrenamtlichen Vorsitzenden die- teme und durch Altschulden auf den neuen Bundes- ses Ausschusses, ist eine Aufgabe der Europäischen ländern lasten. Dennoch darf das kein Grund sein, die Kommission. Eine Befassung der Mitgliedstaaten ist Korb-I-Mittel nicht zu einem großen Teil oder sogar zu nicht vorgesehen. Ich füge hinzu: Die Bundesregierung 100 Prozent für Investitionen einzusetzen. begrüßt ausdrücklich die Benennung von Herrn Dr. Stoiber. Das Gleiche gilt für den Korb II, mit dem 51 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier haben wir, wie Sie sich erinnern werden, schwierige Ver- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: handlungen mit den Bundesländern gehabt. Ich bin froh Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? und auch etwas stolz darauf, dass wir dieses schwierige Kapitel geräuschlos haben abschließen können. Aber Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch hier gilt, dass wir das Geld nicht nach dem Gieß- Ich bin erstaunt, dass Sie die Frage nicht beantwortet kannenprinzip, sondern zweckgemäß und zielgenau an haben. Wir haben nicht gefragt, ob die Bundesregierung der richtigen Stelle einsetzen müssen. Dazu gehören des Begrüßens mächtig ist, sondern in welcher Weise zum Beispiel die vom Kollegen Hettlich und vom Kolle- und mit welchen Argumenten die Bundesregierung an gen Mücke angesprochenen Forschungsgelder, die dort der Berufung beteiligt war. Hat die Bundeskanzlerin, wie etatisiert sind und den größtmöglichen Nutzen entfalten man in der Zeitung lesen kann, mit Herrn Barroso in sollen. Bayreuth oder anderswo gesprochen, hat sie mit ihm 11760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Volker Beck (Köln) (A) telefoniert, oder hat sie gesimst – das tut sie ja zuweilen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) ganz gerne –, um Herrn Stoiber auf seinem Altenteil Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker noch ein bisschen Beschäftigung zu verschaffen? Beck (Köln) auf: Welche Rolle spielten dabei nach Kenntnis der Bundesre- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: gierung die strengen Auswahlkriterien für die Berufung von Ich wiederhole das, was ich in meiner Antwort gesagt EU-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, zum Beispiel Fremd- sprachenkenntnisse und detaillierte Kenntnis des EU-Appara- habe, nämlich dass es die Aufgabe des Kommissionsprä- tes, bei dieser Personalentscheidung, und welche Qualifika- sidenten ist, diese Expertengruppe zu berufen. tionsmerkmale erfüllt Dr. Edmund Stoiber nach Kenntnis der Bundesregierung für diese Tätigkeit? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass es sich um ein Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): politisches Ehrenamt handelt. In Ihrer Frage werden eine Reihe von Merkmalen und Qualifikationen aufgeführt, Ja, Frau Präsidentin. – Das ist richtig. Aber wir haben die letztlich auch dem Personalstatut zugrunde liegen. mittlerweile das Problem, dass die Bundesregierung Aber eine ehrenamtliche Berufung setzt nicht voraus, meint, sie sei frei, Fragen im Parlament einfach nicht zu dass diese Regeln des Personalstatuts auf der europäi- beantworten. Die Frage ist: War die Bundesregierung an schen Ebene Berücksichtigung finden. der Berufung beteiligt? Sie können ja sagen, sie war in keiner Weise daran beteiligt, wenn es so war. Wenn es anders war, sagen Sie uns das oder sagen Sie, dass Sie Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: das nachreichen. Aber Sie können hier nicht einfach die Herr Kollege Beck, Ihre Nachfrage. Antwort auf eine Frage verweigern. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Sie stimmen mir also darin zu, dass der Kollege Herr Kollege Beck, ich verweigere nicht die Antwort. Stoiber zumindest keines der formalen Qualifikations- Ich habe nur gesagt, dass als Folge aus den Ergebnissen kriterien erfüllt, die für eine andere Position bei der Eu- des Frühjahrsrates die Aufgabe bestand, eine solche Ex- ropäischen Union notwendig wären? pertengruppe zu berufen. Die Bundesregierung ist von der Berufung für diese Kommission lediglich vorab un- terrichtet worden. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: (B) (D) Nein, das habe ich mit meiner Antwort nicht gesagt, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: und es ist so auch nicht richtig. Vielmehr ist für diese Es gibt nun eine weitere Nachfrage von Herrn Kolle- Aufgabe jemand gesucht worden, der Erfahrungen aus gen Trittin. der Praxis mitbringt. Ich denke, da dürfte es keinen Wi- derspruch geben.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Herr Gloser, es besteht kein Zweifel NEN]: Praxis in der Bürokratie!) darüber, dass die Berufung Aufgabe der Kommission ist. Das hat auch Kollege Beck nicht bestritten. Ist es zutref- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: fend, dass die Kommission – so, wie Sie es suggerieren – Ihre weitere Nachfrage, bitte. diese Entscheidung, ihre ureigene Aufgabe erfüllend, ge- troffen hat, ohne sich vorher mit den Mitgliedstaaten zu konsultieren und damit das Herkunftsland des künftigen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ehrenamtlichen Vorsitzenden der Kommission für Büro- Ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu, dass sich der kratieabbau, Dr. Edmund Stoiber, einfach übergangen Kollege Stoiber um den Bürokratieaufwuchs große Ver- hat? dienste im Freistaat Bayern erworben hat. Das ist allge- mein unbestritten. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Ich frage aber noch einmal zu dem Sachverhalt von Herr Kollege Trittin, Sie wissen, dass es in der Ver- vorhin nach: Gab es vor der Entscheidung der Kommis- gangenheit nicht nur zwischen der Bundesregierung und sion eine positive oder negative Kontaktaufnahme von der Europäischen Kommission einen intensiven Dialog Mitarbeitern oder Mitgliedern der Bundesregierung zu gegeben hat, sondern dass europäische Politik sehr stark Behörden in Brüssel, um diese auf diesen Personalvor- von den Ländern beeinflusst wird – gerade hier in schlag zu bringen, oder können Sie dieses ausschließen? Deutschland – und es sehr viele Kontakte gegeben hat. Insofern kommt die Frage nicht von ungefähr, ob es von anderer Seite eine Information darüber hätte geben müs- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: sen, ob Herr Stoiber nun der richtige Mann oder der Ich habe vorhin schon gesagt, wie der Ablauf gewe- Richtige aus diesem Bundesland ist. Vielmehr war es sen ist. Eine solche Kontaktaufnahme ist mir nicht be- eine Entscheidung der Kommission. kannt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11761

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: jüngsten Äußerungen zur iranischen Nuklearproblematik (C) Eine weitere Nachfrage hat nun der Herr Kollege keineswegs so verstanden werden wolle, als ob Frank- Zeil. reich eine militärische Lösung befürworte, sondern dass es ihm darum gegangen sei, auf die Gefahr einer militä- rischen Eskalation des Konflikts um das iranische Nu- Martin Zeil (FDP): klearprogramm warnend aufmerksam zu machen. Herr Staatsminister, da Kollege Beck die Erfahrungen des Kandidaten beim Bürokratieaufbau angesprochen Die Bundesregierung ist weiterhin der Überzeugung, hat, möchte ich Sie noch einmal im Hinblick auf die dass die Wahrung der Geschlossenheit der drei Partner Sicht der Bundesregierung fragen: Halten Sie bei Be- aus Europa plus der drei anderen Partner, also der USA, rücksichtigung anderer möglicher Kandidaten und der Russlands und Chinas, eine entscheidende Vorausset- Zusammensetzung zum Beispiel des Normenkontroll- zung für einen Erfolg der Bemühungen um eine friedli- rats, wie die Bundesregierung ihn implementiert hat, an- che Lösung des Nuklearstreits mit Iran bleibt. Wenn gesichts der Defizite gerade beim Bürokratieabbau in Sanktionen gegenüber Iran wirksam sein sollen, müssen Bayern den in Aussicht genommenen Kandidaten für sie global gelten und daher im Sicherheitsrat der Verein- qualifiziert? ten Nationen beschlossen werden. Die Bundesregierung beteiligt sich konstruktiv an Gesprächen über eine dritte Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Sanktionsresolution. Sie tut dies in enger Abstimmung Herr Kollege Zeil, wir kommen ja beide aus demsel- mit den E-3-plus-3-Partnern. Die Frage eventueller EU- ben Bundesland und mögen jetzt über vieles spekulieren. Sanktionen müsste zunächst in den europäischen Gre- Ich kann nur sagen, dass Herr Dr. Stoiber über viele mien intensiv konsultiert werden. Jahre – das wissen Sie genauso gut wie ich – in Bayern Politik als Staatssekretär, als Innenminister und als Mi- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nisterpräsident betrieben hat. Es steht mir jetzt nicht zu, Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr. einzelne Bereiche zu bewerten. Auf jeden Fall gab es in dem Land – wie Sie wissen – Initiativen zum Bürokratie- abbau und zur Einsetzung einer entsprechenden Kom- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mission, die er selbst gestartet hat. Ich glaube, dass er im Herr Gloser, ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie Rahmen seines politischen Managements – dabei geht es eventuelle Sanktionen nur im Zusammenhang mit den auch um das Wissen über den Einfluss von Verbänden Vereinten Nationen sehen, weil Sie die Geschlossenheit auf die Gesetzgebung, was letztendlich manchmal auch der E 3 plus 3 wahren wollen. Das heißt, dass Sie einsei- Bürokratie aufgebaut hat – verschiedene Facetten ken- tige Sanktionen der EU ablehnen. In welcher Form hat (B) (D) nengelernt hat. die Bundesregierung ihre Auffassung, die ja deutlich von der des Herrn Kouchner abweicht, gegenüber der Ich glaube, dass Herr Barroso diese Entscheidung französischen Regierung zum Ausdruck gebracht? deshalb getroffen hat, weil Herr Stoiber diese Erfahrun- gen mitbringt. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Trittin, ich darf darauf hinweisen, dass Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: es gerade Initiativen Deutschlands und Frankreichs in Wir kommen nun zur dringlichen Frage 3 des Kolle- früheren Jahren zu verdanken ist, dass wir das Format gen Jürgen Trittin: gefunden haben, andere kritische Partner einzubeziehen. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu der Auf- Ich füge ferner hinzu, dass wir gerade während unserer forderung des französischen Außenministers Bernard Kouch- deutschen Präsidentschaft von der französischen Seite ner ein, der in einem Interview (laut Süddeutsche Zeitung vom Unterstützung für diese entsprechenden Initiativen be- 18. September 2007, Seite 1) gefordert hat, neben möglichen Sanktionen durch die Vereinten Nationen, UN, auch Sanktio- kommen haben. Es ist ein richtiger Ansatzpunkt der nen der Europäischen Union, EU – analog zu den einseitigen französischen Seite, dass wir geschlossen vorgehen. Das der USA –, gegen den Iran zu verhängen, und die EU aufge- heißt, die E 3 plus 3 müssen zusammenbleiben; der an- fordert hat, sich auch auf einen Krieg gegen den Iran vorzube- dere Aspekt spielt keine Rolle. reiten, und will sie sich an einseitigen, von den UN gelösten Sanktionen gegen den Iran beteiligen sowie sich auf einen Krieg vorbereiten? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Trittin. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung hat wieder- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): holt deutlich gemacht, dass sie alle Anstrengungen un- ternimmt, um in der Auseinandersetzung um das irani- Herr Staatsminister, wenn Sie zu Recht darauf ver- sche Nuklearprogramm zu einer Verhandlungslösung zu weisen, dass es eine gute Tradition Europas gegeben hat, kommen. Die Bundesregierung lässt auch keinen Zwei- wie man an diese Frage herangeht, und Sie jetzt mit ei- fel daran, dass sie keine vernünftige Alternative zu einer nem durch den Präsidentenwechsel in Frankreich offen- Verhandlungslösung erkennen kann. kundig veränderten Kurs Frankreichs konfrontiert sind, dann ist doch die Frage berechtigt, welche Mittel Sie Der französische Außenminister Bernard Kouchner einsetzen wollen, um zu europäischer Geschlossenheit hat inzwischen deutlich gemacht, dass er mit seinen auf Basis der bisher bewährten Linie zurückzukehren. 11762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

(A) Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Ist die Bundesregierung bereit, dem französischen (C) Herr Kollege Trittin, es gibt ja neue Äußerungen des Außenminister zu sagen, dass ein derartiges öffentliches französischen Außenministers Bernard Kouchner. Er hat Daherreden, das in der Politik Mode zu werden scheint, entgegen den Meldungen, die einen Tag vorher veröf- unverantwortlich ist, wenn man einen gemeinsamen fentlicht worden sind, eindeutig gesagt, dass ihm eine Standpunkt vertreten will? kriegerische Lösung oder andere Alternativen fernlägen. Der erste Schritt müsse vielmehr sein, die Geschlossen- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: heit, die effiziente Vorgehensweise, die bereits in den Herr Kollege Gehrcke, ich habe vorhin schon einmal letzten beiden Jahren praktiziert worden sei, weiterhin gesagt, dass zwischen Frankreich und Deutschland dahin zu verfolgen. gehend Einigkeit besteht, dass die E 3 plus 3 eine Lö- Der andere Aspekt ist – ich unterstreiche für die Bun- sung im Rahmen der Vereinten Nationen finden müssen. desregierung, dass dies richtig ist –, dass wir im Rahmen Wir haben die Äußerungen von Bernard Kouchner fol- der Vereinten Nationen eine Basis finden. Eine weitere gendermaßen interpretiert und verstanden: Er hat ein- Frage ist: Wenn es denn isolierte Maßnahmen geben dringlich deutlich gemacht, dass wir vom Iran erwarten, sollte, dann muss dies erst einmal im Kreis der Europäi- dass er jetzt, nach verschiedenen Maßnahmen, die ge- schen Union erörtert werden. zeigt haben, dass wir doppelgleisig fahren – auf der ei- nen Seite Sanktionen, auf der anderen Seite eine offene Tür für Verhandlungen –, ein deutliches Zeichen setzt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Kerstin Müller. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun kommen wir zur dringlichen Frage 4 des Kolle- gen Jürgen Trittin: Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sieht die Bundesregierung diese Sanktions- und Kriegs- drohungen Frankreichs gegen den Iran als hilfreich bei der Herr Kollege Gloser, Ihr Kollege Erler hat gesagt: Umsetzung des zwischen der Internationalen Atomenergie- „Wir sind bereit, mit unseren Partnern weitere Sanktio- Organisation und dem Iran vereinbarten Zeitplans zur Klä- nen zu beraten und auch zu beschließen.“ Sind Sie der rung offener Fragen zum iranischen Atomprogramm an, oder Meinung, dass die Franzosen im Zusammenhang mit droht diese Rhetorik diesen Fortschritt bei der Kontrolle des Sanktionen eine neue Linie verfolgen, also bei einem iranischen Nuklearprogramms nicht vielmehr zu gefährden? Scheitern der P 5 gegebenenfalls EU-Sanktionen ver- hängen wollen, und ist Deutschland bereit, auf diesem Günter Gloser, Staatsminister für Europa: (B) Weg mitzugehen? Oder setzen Sie nur, wie bisher, auf Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung hat die (D) die UN-Sanktionen? Das ist die Schlüsselfrage. Vereinbarung eines Zeitplans zwischen Iran und der In- ternationalen Atomenergieorganisation, IAEO, zur Klä- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: rung der offenen Fragen über die Vergangenheit des ira- nischen Nuklearprogramms begrüßt. Genau das ist der Punkt. Sie wissen genau, dass wir uns in den nächsten Tagen am Rande der Versammlung Der Generaldirektor dieser Behörde, Mohammed al- der Vereinten Nationen treffen werden. Die Politischen Baradei, ist jedoch der Auffassung, dass dieser Schritt Direktoren werden sich darüber abstimmen, und auch nicht ausreichend ist, um das Vertrauen in den friedli- die Außenminister werden sich treffen. Das ist ein ganz chen Charakter des iranischen Nuklearprogramms her- deutliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung auf zustellen. Iran hat es in der Hand, durch Befolgung der dem eingeschlagenen Weg weitergehen will. Gegenüber Forderungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen dem Iran kann der E-3-plus-3-Prozess nur dann Wirkung – hier ist die Suspendierung der Urananreicherung zu entfalten, wenn er einen internationalen Rahmen hat. nennen – den Weg zur Lösung des Streits um sein Nu- Das heißt, wir verabschieden uns nicht von unserer bis- klearprogramm zu ebnen. herigen Position, und gegenwärtig gibt es keine Alterna- tiven. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, eine Nachfrage, bitte. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich nun das Wort Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dem Kollegen Wolfgang Gehrcke. Herr Staatsminister, ich stimme Ihnen zu: Das, was Iran bisher geliefert hat, ist nicht hinreichend. Wie beur- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): teilt die Bundesregierung angesichts des Standes der Nu- Herr Staatsminister, wie die Bundesregierung Herrn klearanreicherung im Iran die Gefahr, dass solche, wie Kouchner verstehen will, ist die eine Sache, wie er sich ich finde, fahrlässigen Äußerungen wie die von Herrn verstanden wissen will, ist eine andere. Ich halte mich Kouchner zum Vorwand genommen werden, um die Ko- lieber an ein Zitat. Herr Kouchner hat wörtlich gesagt: operation, auch wenn sie nicht hinreichend ist, abzubre- Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. chen, was dazu führen könnte, dass der Iran auf der Ba- Das ist der Krieg. sis einer großen Anzahl von Zentrifugen tatsächlich anreichern könnte und überhaupt keinerlei Kontrolle Das ist ein Zitat aus der FA Z. durch die IAEO bestünde? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11763

(A) Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) Kollege Trittin, in meiner Antwort auf Ihre erste Damit schließen wir im Bereich der dringlichen Fra- dringliche Frage habe ich bereits gesagt, dass wir einen gen diesen Geschäftsbereich ab. Herr Staatsminister, internationalen Rahmen dafür finden werden. Es gibt herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Resolutionen. Sowohl wir als auch die iranische Seite haben bestimmte Leistungen zu erbringen. Ich glaube Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- nicht, dass es auf französischer Seite hiervon eine Ab- ums für Bildung und Forschung auf. Hier steht zur Be- weichung gibt. Es sei noch einmal deutlich gesagt, dass antwortung der dringlichen Frage der Parlamentarische dem französischen Partner klar ist, dass wir zusammen- Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. bleiben müssen und keine Extrawege eingeschlagen Wir kommen zur dringlichen Frage 5 der Kollegin können. Vielmehr müssen wir gegenüber dem Iran Ge- Cornelia Hirsch: schlossenheit zeigen, um durchsetzungsfähig sein zu Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den können. am 18. September 2007 veröffentlichten Ergebnissen der OECD-Studie Bildung auf einen Blick, wonach Deutschland im weltweiten Vergleich von Rang 10 auf Rang 22 deutlich Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nach unten abrutscht? Eine zweite Nachfrage, bitte. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ministerin für Bildung und Forschung: Herr Staatsminister, kann ich daraus schließen, dass Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die OECD-Studie Sie die Auffassung von Herrn al-Baradei, dem Chef der bestätigt einerseits, dass Deutschland bei den Abschlüs- IAEO, teilen, dass ein solches Gerede über Sanktionen sen der Sekundarstufe II zur Spitzengruppe der OECD- und solche Drohungen – ich meine nicht die des UN-Si- Staaten gehört. Andererseits erfordert die internationale cherheitsrates – den konstruktiver werdenden Prozess Dynamik bei den Abschlüssen im Tertiärbereich zusätz- zwischen der IAEO und dem Iran gefährden? liche Anstrengungen zur Erhöhung der Akademiker- quote in Deutschland. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Ich habe die Äußerungen von Herrn al-Baradei jetzt Die Bundesregierung hat zusammen mit den Ländern nicht zu kommentieren. Ich kann nur noch einmal sagen, bereits wichtige Weichen gestellt, um dieser Herausfor- dass es genau der Punkt ist. Wir haben im internationa- derung zu begegnen. So haben wir mit den Ländern den len Rahmen eine Vereinbarung getroffen. In diesem Hochschulpakt 2020 vereinbart. Damit können die Rahmen ist sich weiter fortzubewegen. Ich glaube, es ist Hochschulen bis 2010 über 90 000 zusätzliche Studien- (B) wichtig, dass wir jetzt nicht mit unterschiedlichen Stim- anfänger aufnehmen. Hierfür stellt der Bund allein bis (D) men in der E 3 plus 3 auftreten, sondern – sowohl in der 2010 rund 565 Millionen Euro zur Verfügung. Im Zuge konkreten Handlung, als auch in unseren Äußerungen – der parlamentarischen Beratungen über den Entwurf des geschlossen. Ich glaube, das ist auch die Position Frank- 22. BAföG-Änderungsgesetzes beabsichtigt die Bundes- reichs. regierung, die BAföG-Bedarfssätze und Freibeträge deutlich anzuheben. Dies wird sowohl den Kreis der BAföG-Berechtigten spürbar ausweiten als auch die För- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: derbeträge für die BAföG-Geförderten steigen lassen, Eine weitere Nachfrage dazu hat nun die Kollegin sodass finanzielle Hürden bei der Studienentscheidung Kerstin Müller. weiter abgebaut werden.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Bundesregierung wird darüber hinaus im Herbst NEN): eine nationale Qualifizierungsinitiative beschließen. Herr Staatsminister Gloser, den Franzosen wird ja Diese wird das gesamte Spektrum unseres Bildungswe- aufgrund Kouchners Äußerungen der Vorwurf gemacht, sens umfassen, angefangen bei der frühkindlichen Bil- sie hätten sich jetzt auf die amerikanische Seite geschla- dung, über die Schule, die berufliche Bildung und das gen. Sieht denn die Bundesregierung auf der US-ameri- Studium bis hin zur kontinuierlichen berufsbegleitenden kanischen Seite die Bereitschaft zu einem umfassenden Weiterbildung. In diesem Rahmen wird der Bund ge- politischen Kompromiss mit dem Iran zur Lösung des meinsam mit den Ländern Strategien entwickeln, um das Atomstreits oder sehen Sie eher, dass die Zeichen auf ein deutsche Bildungssystem zukunftsfest zu machen. längerfristig militärisch gestütztes regionales Contain- ment stehen? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, Ihre Nachfrage. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Nein, Frau Kollegin Müller, ich sehe weiterhin, dass Cornelia Hirsch (DIE LINKE): das die richtige Initiative ist. Sie wissen ja noch aus Ihrer Besten Dank. – Vorab vielleicht kurz eine Anmer- eigenen Tätigkeit, wie schwierig es zu Beginn war, diese kung: Ich finde es erstaunlich, merkwürdig und viel- vier – Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die leicht auch ein bisschen schade, dass auf Grundlage die- Amerikaner – einzubinden, und dass die Amerikaner ser Studie in der Öffentlichkeit einhellig eine ganz weiterhin auf dieser Ebene gemeinsam mit uns diesen massive Kritik am bundesdeutschen Bildungssystem ge- Weg gehen. übt wird und einzig das BMBF sagt: Im Prinzip ist doch 11764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Cornelia Hirsch (A) alles nicht so schlimm, wir haben schon Anstrengungen desregierung Überlegungen dazu, oder könnten Sie sich (C) unternommen, die wir nun fortsetzen. Ich finde, das ist für einen Vorschlag erwärmen, der besagt: „Offensicht- schon ein bisschen – – lich reicht all dies noch lange nicht aus, und wir unter- nehmen auch eine Initiative zum zweiten Hochschul- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: pakt“? Diesen könnte man gut mit Vorschlägen des Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, die Zeit für die Fra- Deutschen Studentenwerks hinsichtlich eines Ausbaus gen zu nutzen. der sozialen Infrastruktur oder auch mit Vorschlägen von der Bundesregierung mit dem Ziel einer familiengerech- teren Hochschule unter dem Schlagwort „Kein Campus Cornelia Hirsch (DIE LINKE): ohne Kita“ koppeln. Schwerpunkt muss natürlich ein Ich komme zu meiner Frage. Ausbau der Studienplatzkapazitäten sein, was im Rah- Ich möchte in meiner ersten Frage konkrete Punkte, men des ersten Hochschulpaktes noch vollkommen un- die Sie angesprochen haben, aufgreifen. Das ist zum ei- zureichend geschieht, weil die Mittel bei Weitem nicht nen die BAföG-Erhöhung. Dazu wurde im Rahmen der ausreichen. Haushaltsdebatte geäußert, dass Sie für das nächste Jahr eine Erhöhung um 4 bis 5 Prozent und dann in einem Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- zweiten Schritt eine Erhöhung in ungefähr dem gleichen ministerin für Bildung und Forschung: Rahmen planen. Ist Ihnen bewusst, dass unter anderem Frau Abgeordnete Hirsch, der Hochschulpakt hat ins- das Deutsche Studentenwerk berechnet hat, dass, um zu gesamt eine zeitliche Reichweite bis zum Jahr 2020. einer bedarfsdeckenden Studienfinanzierung zu kom- Das, was ich geschildert habe, sind die Maßnahmen zur men, die Bedarfssätze beim BAföG noch in diesem Jahr Schaffung von Kapazitäten in der Lehre, und zwar in ei- um 19 Prozent steigen müssten? Sie orientieren sich da- ner ersten Stufe bis zum Jahr 2010. Selbstverständlich bei an dem Wert, der von den Familiengerichten festge- werden für diesen Bereich auch für die Zeit nach dem legt wurde, um den Lebensunterhalt während des Studi- Jahr 2010 gemeinsame Maßnahmen von Bund und Län- ums zu finanzieren. Meine Frage lautet: Ist Ihnen das dern vorbereitet. Darüber hinaus geht es darum, die bewusst, und wie gehen Sie damit um, inwieweit halten Hochschulen auch im Bereich der Forschung zu stärken. Sie es trotzdem für gerechtfertigt, zu sagen, dass diese Ihnen ist bekannt, dass wir in zeitlichen Stufen eine so- BAföG-Erhöhung ein sinnvoller und richtiger Schritt ist genannte Overhead-Pauschale einführen. Ferner gibt es und keine Aushöhlung, die es aus unserer Sicht faktisch neben dem Hochschulpakt eine Reihe von weiteren darstellt? Maßnahmen, um die Attraktivität der Hochschulen in Deutschland zu stärken. Ich nenne hier unter anderem (B) Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- die gemeinsamen Beratungen von Bund und Ländern (D) ministerin für Bildung und Forschung: mit den Hochschulen zur Fortsetzung des Bologna-Fol- Frau Abgeordnete Hirsch, wie Ihnen bekannt ist, sind geprozesses mit der Umstellung der Studiengänge. Hier- relevant für die Abschätzung des Erhöhungsbedarfs von sind auch wesentliche Beiträge zu erwarten, um ei- beim BAföG die Einschätzungen, vor allem aber auch nen Abbau der im OECD-Bericht festgestellten Defizite die Berechnungen des Beirates, die dem BAföG-Bericht – etwa die Reduzierung der Studienabbrecherquote – zu beiliegen, dessen Vorlage im Februar erfolgt ist. Aus der erreichen. All dies erfolgt natürlich begleitend zum Abwägung dieser Sachverhalte geht hervor, dass bei den Hochschulpakt und kann nicht Gegenstand des Hoch- Bedarfssätzen insgesamt ein Anpassungsbedarf von bis schulpaktes selber sein. zu 10 Prozent und bei den Freibeträgen von bis zu 8 Prozent zu sehen ist. Im Zuge der parlamentarischen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Beratungen, die mit Sicherheit in diesem Spätherbst ab- Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Sevim geschlossen werden können, wird zu entscheiden sein, in Dağdelen. welchem Umfang und in welchem Zeitraum eine ent- sprechende Erhöhung erfolgen kann. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Storm, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: in dem OECD-Bericht wird noch einmal deutlich ge- Ihre zweite Nachfrage. macht, dass Schule und Gesellschaft vor großen Heraus- forderungen bezüglich der Integration von Migrantinnen Cornelia Hirsch (DIE LINKE): und Migranten stehen. In diesem Zusammenhang wird Ich möchte Ihren zweiten Vorschlag aufgreifen. Sie in dem neuesten Bericht noch einmal deutlich, dass der sind auf den Hochschulpakt eingegangen und haben die- Leistungsabstand von Schülerinnen und Schülern mit sen als einen zweiten Schritt genannt, durch den man der Migrationshintergrund im Ländervergleich sehr unter- von der OECD genannten Misere etwas entgegensetzen schiedlich ist. Deutschland weist – gemeinsam mit Bel- kann. Es gab auch am Hochschulpakt massive Kritik von gien – selbst für die zweite Generation einen Abstand verschiedensten bildungspolitischen Organisationen. Die von 90 Punkten auf. Welche spezifischen Maßnahmen Hochschulrektorenkonferenz hat unter anderem von ei- planen Ihr Ministerium und die Bundesregierung insge- nem Tropfen auf den heißen Stein gesprochen. Meine samt, um diesen Leistungsabstand zu verringern und um Frage lautet daher – der erste Hochschulpakt ist mehr die Bildungserwartung zu erhöhen? Dabei geht es nicht oder weniger unter Dach und Fach –: Gibt es in der Bun- nur um eine Erhöhung der Bildungserwartung von Schü- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11765

Sevim DaðdelenDağdelen (A) lerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, son- Im Hinblick auf Ihre Vorbemerkung ist darauf hinzu- (C) dern auch um eine Erhöhung der Bildungserfolge. weisen, dass es in Deutschland, anders als in vielen an- deren Ländern, ein System der dualen beruflichen Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Ausbildung gibt, das Bildungsabschlüsse mit hervorra- ministerin für Bildung und Forschung: genden Qualifikationen ermöglicht, die in anderen Län- Die Verbesserung der Bildungschancen für Migran- dern mit einem Fachhochschulniveau vergleichbar sind. tinnen und Migranten ist eine wesentliche Aufgabe der Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zu Bildungspolitik. Bund und Länder haben hierzu im dem Ziel, die Studienanfängerquote auf 40 Prozent zu Hochschulbereich, vor allen Dingen auch im Bereich der erhöhen. In internationalen Vergleichen ist dabei aller- frühen Bildung eine ganze Reihe von Maßnahmen er- dings zu berücksichtigen, dass in unserem dualen Sys- griffen. Diese setzen bei der frühkindlichen Bildung und tem qualitativ hochwertige Bildungsabschlüsse zu errei- bei der Sprachförderung an. Es geht um eine gezielte chen sind, diese allerdings nicht in der Akademikerquote Förderung während der Schulzeit. Vom Bundesministe- enthalten sind. rium für Bildung und Forschung werden sehr viele Maß- nahmen ergriffen, um jungen Menschen mit Migrations- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: hintergrund einen Weg hin zu Ausbildungsplätzen zu Eine weitere Nachfrage hat nun der Kollege ermöglichen; hier sind wir gut vorangekommen. Die Dr. Keskin. Fülle dieser Maßnahmen ist in die Ergebnisse des von der Bundeskanzlerin veranstalteten Nationalen Integra- tionsgipfels eingeflossen. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, meine Kollegin Frau Dağdelen hat Sie ganz konkret nach Maßnahmen gefragt, die ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: eignet sind, die Defizite im Bildungsbereich insbeson- Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich nun das Wort dere mit Blick auf benachteiligte soziale Schichten und dem Kollegen Volker Schneider. Kinder zu beheben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie konkretisieren könnten, welche Maßnahmen die Bun- Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): desregierung ergreift, um die Situation in diesem Be- Herr Staatssekretär, ich finde es bemerkenswert, dass reich zu verbessern. Sie auf die Tatsache verweisen, dass wir, was die Sekundarstufe II betrifft, in der Spitzengruppe sind. Am Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Rande sei erwähnt: Insgesamt sind wir von Platz 10 auf ministerin für Bildung und Forschung: Platz 22 zurückgefallen. (B) Herr Abgeordneter Keskin, ich habe schon ausge- (D) Zu meiner Frage. Sie haben den Bologna-Prozess an- führt, dass das nahezu alle Bildungsbereiche betrifft, in gesprochen. Mittlerweile wurden erste Erfahrungen mit denen besondere Maßnahmen zur Verbesserung der Bil- den konkreten Auswirkungen dieses Prozesses gemacht. dungschancen junger Migrantinnen und Migranten Ich stelle in diesem Zusammenhang zunächst einmal durchgeführt werden. Was den Bund angeht, handelt es fest, dass die Einführung des Bachelor-Abschlusses ein sich vor allen Dingen um Maßnahmen zur Verbesserung hohes Maß an Aussortierung zur Folge haben wird. Die der Chancen im Rahmen der beruflichen Bildung. Es Einführung dieses Abschlusses bedeutet im Grunde ge- gibt eine Reihe von Maßnahmen, durch die Defizite be- nommen keine Qualitätsverbesserung, sondern nur eine seitigt – Stichwort: Ausbildungsreife junger Migrantin- Verkürzung der Studiendauer. Glauben Sie – insbeson- nen und Migranten – und die Chance auf einen Ausbil- dere vor dem Hintergrund, dass in einigen Bereichen dungsplatz verbessert werden sollen. An dieser Stelle sei fragwürdig ist, ob der Bachelor tatsächlich ein berufs- das Förderprogramm „Jobstarter“ erwähnt, das bis zum qualifizierender Abschluss ist –, dass ein Konzept zur Jahr 2010 mit Mitteln in Höhe von insgesamt reinen Verkürzung der Studiendauer geeignet ist, um den 125 Millionen Euro dotiert ist, von denen ein nicht unbe- Problemen im Bildungsbereich beizukommen? achtlicher Teil insbesondere zur Verbesserung der Chan- cen junger Migrantinnen und Migranten verwendet wird. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Vergleichbare Maßnahmen werden zur Verbesserung ministerin für Bildung und Forschung: der Chancen der Migrantinnen und Migranten im Rah- Herr Abgeordneter, die nach dem Bologna-Prozess men der frühkindlichen Bildung durchgeführt – Stich- erforderliche Umstellung der Studiengänge auf Bache- wort: Sprachförderung –, um dazu beizutragen, dass ihr lor- und Master-Abschlüsse dient nicht in erster Linie Einstieg in eine erfolgreiche Schulkarriere gelingen einer Verkürzung der Studiendauer, sondern der Interna- kann; dafür sind allerdings vor allem die Länder zustän- tionalisierung. An diesem Prozess sind mittlerweile dig. Vergleichbares gibt es natürlich auch im Hochschul- 46 Länder beteiligt. Ein wesentliches Ziel ist, dafür zu bereich. sorgen, dass der Bachelor-Abschluss berufsqualifizie- rend ist. Hierzu findet ein permanenter Dialog zwischen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Politik, Hochschulen und vor allen Dingen der Wirt- Damit sind die dringlichen Fragen beantwortet. Herr schaft statt. Ich darf an Kampagnen der Wirtschaft wie Staatssekretär, ich danke Ihnen herzlich. etwa „Bachelor welcome!“ erinnern, mit denen dafür ge- worben wurde, insbesondere Hochschulabgängern mit Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache Bachelor-Abschluss einen Arbeitsplatz anzubieten. 16/6367. Wir gehen in der üblichen Reihenfolge vor. 11766 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Die Frage 1 des Herrn Kollegen Hans-Christian reiter, übrigens auch für die Installation der für die land- (C) Ströbele aus dem Geschäftsbereich des Bundesministe- seitige Erzeugung von Strom notwendigen Aggregate. riums der Justiz wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmi- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nisteriums der Finanzen auf. Für die Beantwortung steht Keine weitere Zusatzfrage. Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank. Hendricks zur Verfügung. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Rainder ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Steenblock: Wie sehen die Pläne der Bundesregierung bzw. des Bun- Hier steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär desministeriums der Finanzen konkret aus, die umweltfreund- Ulrich Kasparick zur Verfügung. liche Energieversorgung von in Häfen liegenden Schiffen von der Steuer zu befreien und in diesem Zusammenhang bei der Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter Europäischen Union eine Ausnahme von der Energiebesteue- auf: rung zu beantragen und die „nationale Gesetzgebung anzupas- Welche Vorstöße unternimmt der Bundesminister für Ver- sen“ (vergleiche Lübecker Nachrichten vom 29. August kehr, Bau und Stadtentwicklung zur Ermöglichung der Fahr- 2007)? radmitnahme im ICE-Fernverkehr der bundeseigenen Deut- schen Bahn AG, nachdem dem vom Bundesminister für Ver- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim kehr, Bau und Stadtentwicklung vorgeschlagenen Pilotver- Bundesminister der Finanzen: such zur Fahrradmitnahme im ICE seitens der Deutschen Bahn AG eine Absage erteilt wurde, und wann rechnet der Frau Präsidentin! Lieber Kollege Steenblock, Sie fra- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit gen danach, wie wir die landseitige Stromversorgung einem Regelangebot zur Fahrradmitnahme im ICE? von Schiffen steuerfrei zu stellen gedenken. Das Bun- desministerium der Finanzen erarbeitet derzeit eine Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- möglichst praktikable Vorschrift zur Befreiung der land- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: seitigen Stromversorgung von Schiffen von der Strom- Herr Dr. Hofreiter, wir haben ja hier im Plenum über steuer. Die betroffenen Kreise werden noch zu beteiligen das Thema, nach dem Sie erneut fragen, mehrfach ge- sein. Parallel dazu bereitet die Bundesregierung den für sprochen. eine solche Steuerbefreiung nach Art. 19 der EU-Ener- giesteuerrichtlinie erforderlichen Antrag bei der Kom- Ich darf Ihnen berichten, dass wir mit dem Vorstand mission der Europäischen Gemeinschaften vor. der Deutschen Bahn über das Thema Radverkehr im gu- (B) ten und regelmäßigen Gespräch sind. Sie wissen, in (D) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Deutschland wird mit dem Rad Jahr für Jahr ein Volu- men von etwa 3 Milliarden Kilometern zurückgelegt. Herr Kollege, Ihre Nachfrage. Das Rad ist ein Verkehrsmittel, das keine Emissionen hat und deswegen für die innerstädtische Verkehrsentwick- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lung von hoher Bedeutung ist. Der Bund gibt etwa NEN): 80 Millionen Euro pro Jahr aus, um das nationale Rad- Frau Staatssekretärin, könnten Sie etwas über die verkehrswegenetz auszubauen. Wir sind deshalb mit der Zeitabläufe sagen: Wann rechnen Sie damit, dass ein Ge- Bahn besonders dringend im Gespräch, die Angebote, setzentwurf diesem Haus vorgelegt werden kann, und die die Bahn hat – bei den ICs, im Personennahverkehr, wann wird diese Steuerbefreiung EU-weit realisiert wer- insbesondere aber bei den schnellen Strecken, bei den den können? ICEs –, zu verbessern. Mein Eindruck ist, dass die Bahn bei diesem Themen- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim feld in Bewegung kommt. Wir haben vom Vorstandsvor- Bundesminister der Finanzen: sitzenden der Deutschen Bahn AG vor kurzem einen Wir hoffen, dass wir das etwa um die Jahreswende Brief erhalten zu dem von uns vorgeschlagenen Pilotver- erreichen können. Wir sind nicht ganz sicher, weil ein such, auf ausgewählten Strecken eine Fahrradmitnahme solcher Antrag bei der Europäischen Kommission die im ICE zu testen, um zu prüfen, ob die Argumente, die Zustimmung aller Mitgliedsländer bekommen muss. Das von der Deutschen Bahn vorgetragen werden, stichhaltig heißt, das muss im Ecofin behandelt werden. Anderer- sind. Herr Dr. Mehdorn war diesem Vorschlag gegen- seits ist nicht zu erkennen, warum es dort Widerstand über, etwas zurückhaltend. Wir haben diesen Brief als von anderen Ländern geben sollte. Die Stromsteuerbe- Gesprächsangebot verstanden. freiung hat schließlich nichts mit Wettbewerbsverzer- rung zu tun. Denn es ist ja so, dass auch die bisherige Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Stromversorgung von Schiffen durch Dieselgeneratoren steuerbefreit ist. Eine landseitige Stromversorgung hätte Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? demgegenüber einen erheblichen positiven Effekt auf die Umwelt. Da dies für alle Hafenstandorte gleicherma- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ßen von Interesse wäre, können wir nicht sehen, warum NEN): es Widerstand von anderen Mitgliedsländern geben Wäre es möglich, dass der sehr geehrte Herr Staatsse- sollte. Im Gegenteil, wir sind hier möglicherweise Vor- kretär die nächste Frage gleich beantwortet und ich die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11767

Dr. Anton Hofreiter (A) Nachfragen dann im Paket stelle? Denn es handelt sich Da wird ganz konkret gefragt, in welchem Zeitrahmen (C) um exakt das gleiche Themenfeld. der Bundesminister damit rechnet, dass es ein Regelan- gebot zur Fahrradmitnahme im ICE gibt. Dazu haben Sie Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nichts ausgeführt. Herr Staatssekretär, sind Sie damit einverstanden? Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich habe Ihnen den derzeitigen Gesprächsstand be- Ja, das können wir gerne machen. schrieben. Wir haben das Gespräch mit der Bahn zu die- sem Thema aufgenommen. Es hat zwei Gespräche mit dem Vorstand Personenverkehr der Deutschen Bahn ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: geben. Es gibt jetzt einen Brief des Vorstandsvorsitzen- Dann können wir so verfahren. den an Herrn Bundesminister Tiefensee. Mit diesem Ich rufe damit die Frage 4 des Kollegen Dr. Anton Brief sind wir nicht zufrieden. Deshalb habe ich etwas Hofreiter auf: salomonisch formuliert: Wir verstehen diesen Brief als Mit welcher Argumentation hat die Deutsche Bahn AG ei- ein Gesprächsangebot. – Angesichts dieses Verhand- nen Pilotversuch abgelehnt, und inwieweit konnte das Bun- lungsstandes können wir im Moment über Fristen für ein desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung diese Regelangebot noch nichts sagen. Argumentation nachvollziehen? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Ich habe das eben schon indirekt beantwortet: Wir ha- ben der Bahn vorgeschlagen, einen Pilotversuch zu ma- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen, um die Argumente der Bahn zu prüfen. Im We- NEN): sentlichen wird argumentiert, der Aufenthalt der Züge in Sie haben davon gesprochen, dass Sie bereit wären, den Bahnhöfen würde sich verlängern. Es wird argu- Geld für diesen Pilotversuch in die Hand zu nehmen. mentiert, die Auslastung des Angebotes sei saisonbe- dingt; das Angebot sei von daher betriebswirtschaftlich Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- nicht zu rechtfertigen. Schließlich wird argumentiert, es minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: komme zu einer Verdrängung von Sitzplätzen. Im Mo- Ja. (B) ment sind wir nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Ar- (D) gumente, die von der Bahn vorgetragen werden, stich- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haltig sind. NEN): Wir haben vorgeschlagen, diesen Pilotversuch zu ma- Ich erwarte jetzt von Ihnen nicht, dass Sie das auf die chen, um diese Argumente zu überprüfen. Wir halten an Kommastelle genau sagen. Aber gibt es eine ungefähre diesem Vorschlag fest und sind bereit, dafür Mittel aus Vorstellung im Ministerium, welche Mittel Sie bereit dem Haushalt zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist wären da einzusetzen? mein Eindruck, dass wir, um das wirklich zu erreichen, das weitere Gespräch brauchen. Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Gefreut hat mich, dass die Deutsche Bahn sich im Be- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: reich des IC-Verkehrs bewegt hat. Wir haben das Ange- Das hängt wesentlich vom Design des Versuchs ab. bot bekommen, beispielsweise die Buchungsmöglich- Wir haben ein paar Strecken vorgeschlagen und die keiten über das Internet zu verbessern. Wir haben das Bahn gebeten, ihrerseits Vorschläge dazu zu machen, auf Angebot bekommen, dass die DB alle Angebote, die sie welchen Strecken man das untersuchen könnte. Es ist bereits formuliert hat, zusammenfasst, sodass es für den kostenrelevant, welche Strecke verabredet wird. Die Kunden überschaubarer wird. Wir haben ein Pilotprojekt Größenordnung wird nach meiner Einschätzung deutlich verabredet, im Rahmen dessen die Mietmöglichkeiten, unter 1 Million liegen. die man an Haltebahnhöfen des ICE hat, deutlich verbes- sert werden sollen, und sind da im Gespräch mit privaten Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Mietunternehmen. Es ist also schon der Eindruck vor- Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? handen, dass Bewegung im Gespräch ist. Allerdings bin ich mit dem derzeitigen Ergebnis noch nicht zufrieden. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ja. – Dem Staatssekretär müsste eigentlich bekannt Ihre Nachfragen, bitte. sein, dass die Bahn zu 100 Prozent der öffentlichen Hand gehört. Deshalb ist es erstaunlich, dass ein Bun- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desminister öffentlich sagt, es wird einen Pilotversuch NEN): geben, dann ein Angestellter eines Bundesunternehmens Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr bekannt gibt, dass es diesen Pilotversuch nicht geben Staatssekretär, erst einmal eine Nachfrage zur Frage 3. wird, und dass wir dann hören, dass man im Gespräch 11768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Dr. Anton Hofreiter (A) ist. Ist es normal, dass das Bundesministerium selbst sol- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) che Kleinigkeiten gegenüber dem zu 100 Prozent der öf- Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. fentlichen Hand gehörenden Unternehmen nicht durch- Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen herzlich. setzen kann? Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- ums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamenta- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: rische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung. Sie verfolgen die Gesprächsprozesse zwischen DB AG und Bundesverkehrsministerium auch in ande- Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten Hans- ren Themenfeldern sicher sehr aufmerksam. Sie können Kurt Hill: an diesem Themenfeld sehr genau verfolgen, welche Wann wird die Bundesregierung bei importiertem Soja- Möglichkeiten der direkten Einflussnahme gegeben und Palmöl mit Blick auf die katastrophalen sozialen und öko- sind. Wir brauchen das politische Gespräch miteinander. logischen Folgen aufgrund des industriellen Plantagenanbaus Wir brauchen insbesondere auch ein hohes Maß an öf- in den Erzeugerländern dem Deutschen Bundestag eine wirk- fentlicher Beteiligung an dem Gespräch. Mich freut sehr, same Nachhaltigkeitszertifizierung für Importbiokraftstoffe vorlegen, und in welcher Weise wird die Bundesregierung Im- dass sich die Radfahrerverbände an diesem Gespräch be- portbeschränkungen bzw. einen Förderausschluss bei der teiligen. Mein Eindruck ist, dass das im Vorstand der EEG-Verstromung solcher Produkte durchsetzen? Deutschen Bahn AG zunehmend wahrgenommen wird. Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Herr Kollege, eine Chance haben Sie noch. heit: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrter Herr Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege Hill, Ihre Frage beantworte ich Ihnen wie folgt: NEN): Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an einer Herr Staatssekretär, wenn sich das Bundesverkehrs- Verordnung, mit der sichergestellt werden soll, dass Bio- ministerium bereits bei der Fahrradmitnahme nicht kraftstoffe nur dann auf die Erfüllung der Biokraftstoff- durchsetzen kann, die – wie Sie selbst genau wissen – im quote gemäß § 37 a ff. Bundes-Immissionsschutzgesetz Vergleich zu den Problemen, die Sie sonst mit der Bahn angerechnet werden können bzw. dass für diese nur dann haben, eine Kleinigkeit ist, stimmen Sie mir dann zu, eine Steuerentlastung gemäß § 50 Energiesteuergesetz in dass es die reinste Hybris ist, zu glauben, dass dieses Anspruch genommen werden kann, wenn bei der Erzeu- Bundesverkehrsministerium so etwas Komplexes wie gung der eingesetzten Biomasse nachweislich bestimmte (B) eine LuF, also eine Leistungs- und Finanzierungsverein- Anforderungen an eine nachhaltige Bewirtschaftung (D) barung, bei einer teilprivatisierten Bahn auch nur ansatz- landwirtschaftlicher Flächen oder bestimmte Anforde- weise wird durchsetzen können, oder genügt es dem rungen zum Schutz natürlicher Lebensräume erfüllt wer- Bundesverkehrsministerium, nette, freundliche, aber fol- den oder wenn Biokraftstoffe ein bestimmtes Treibhaus- genlose Gespräche zu führen? gasverminderungspotenzial aufweisen. Die bisher geführten Gespräche zwischen den zustän- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- digen Ressorts und ein Fachgespräch mit den zu beteili- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: genden Verbänden und Organisationen haben gezeigt, Ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass die Gespräche, dass die weiteren notwendigen Abstimmungen und die die wir mit der Bahn führen, folgenlos sind. formale Anhörung nach dem Bundes-Immissionsschutz- Durch die politischen Projekte, die Sie ansprechen gesetz aufgrund der komplexen und schwierigen Materie und die uns im Deutschen Bundestag ausführlich be- noch Zeit in Anspruch nehmen werden. Es wird aber an- schäftigen werden, wird deutlich, dass der Gesetzgeber, gestrebt, die nationale Abstimmung bis zum Dezem- das Parlament, uns beauftragt hat, einen Finanzierungs- ber 2007 abzuschließen. vorschlag zu machen, um zusätzliche Mittel für Infra- Nach der Abstimmung auf nationaler Ebene ist der strukturinvestitionen freizubekommen. Diesen Auftrag Verordnungsentwurf bei der EU-Kommission zu notifi- werden wir jetzt abarbeiten. zieren. Wegen der Binnenmarktrelevanz und der laufen- Sie wissen auch, dass es dem Bundesministerium für den Arbeiten zu Nachhaltigkeitskriterien auf EU-Ebene Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufgrund der Struk- ist damit zu rechnen, dass die EU-Kommission eine Ge- turen, die wir gemeinsam mit der DB AG vereinbart nehmigung nicht vor Abschluss der eigenen Arbeiten er- haben, nicht möglich ist, auf direkte Unternehmensent- teilen wird, um kein Präjudiz zu schaffen. Aufgrund der scheidungen Einfluss zu nehmen. Dafür sind die Gre- bisherigen Erfahrung rechnen wir mit einer Dauer von mien des Unternehmens zuständig. Das muss man auch etwa 6 bis 18 Monaten. beachten, wenn man ganz konkrete verkehrsplanerische Im Übrigen ist auch zum Aufbau der weltweit anzu- und verkehrspolitische Umsetzungen vom Unternehmen wendenden Zertifizierungssysteme ein Vorlauf nötig, so- erwartet. dass unabhängig vom formellen Inkrafttreten der Ver- Deswegen bleibt uns nur der Weg – den gehen wir ordnung eine Übergangsfrist bis zur vollen Wirksamkeit auch –, ein drängendes, konkretes und zielorientiertes der Anforderungen notwendig sein wird. Andernfalls Gespräch miteinander zu führen. könnten mangels Zertifizierung überhaupt keine Bio- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11769

Parl. Staatssekretärin Astrid Klug (A) kraftstoffe mehr zur Erfüllung der Biokraftstoffquote Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): (C) verwendet werden. Ich habe noch eine Frage. Wir haben auf der einen Seite die nationale Verpflichtung, etwas dagegen zu tun; Zum EEG. Es ist geplant, die Novellierung des Erneu- auf der anderen Seite können wir auf der europäischen erbare-Energien-Gesetzes gemäß den Beschlüssen von Ebene Einfluss nehmen. Welche Möglichkeiten sehen Meseberg spätestens am 5. Dezember 2007 im Kabinett Sie, internationale Standards einzuführen? zu beschließen. Im Rahmen der Novellierung des EEG plant das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- und Reaktorsicherheit, den Einsatz von nicht nachhaltig nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: erzeugtem Palm- und Sojaöl komplett zu unterbinden. An genau diesem Punkt arbeiten wir. Wir wollen die Dies soll erfolgen, indem der Anreiz zum Einsatz dieser nationalen Standards, die wir entwickeln, auch zu euro- Öle, soweit sie nicht nachweislich nachhaltig erzeugt päischen und internationalen Standards machen. Dazu wurden, so weit gesenkt wird, dass ein wirtschaftlicher sind wir in intensivem Gespräch mit der Europäischen Einsatz nicht mehr möglich ist. Kommission. Das Thema wurde auch im Rahmen unse- rer europäischen Präsidentschaft diskutiert. Alle Vorar- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: beiten, die wir jetzt leisten, bringen wir in die europäi- sche Debatte mit ein. Herr Kollege, Ihre erste Zusatzfrage bitte. Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Danke schön. Vielen Dank, Frau Kollegin Staatssekretärin. Sie ha- ben mir eine wirklich ausreichende und erschöpfende Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Antwort gegeben. Die Frage 6 des Kollegen Rainder Steenblock wird schriftlich beantwortet. Sie sagen, dass Sie die Problematik insbesondere in den Ländern, in denen im Plantagenanbau systematisch Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. nachwachsende Rohstoffe zulasten der Umwelt und der Ich danke auch Ihnen, sehr geehrte Frau Staatssekretärin. Menschen angebaut werden, kennen. Mich interessiert Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- jetzt noch, welche Möglichkeiten Sie sehen, dies kurz- ministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor- fristig so zu unterbinden, dass diese Stoffe tatsächlich tung der Fragen steht Herr Staatssekretär Andreas Storm nicht mehr in den entsprechenden Biomasseanlagen zur Verfügung. (B) bzw. Anlagen eingesetzt werden können. (D) Die Frage 7 der Kollegin Cornelia Hirsch wurde zu- rückgezogen. Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Gleiches gilt für die nächste Frage nicht. Das heißt, wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Cornelia Hirsch: Das Hauptproblem hinsichtlich des Einsatzes von Liegen der Bundesregierung Zahlen über die nach Maß- Palmöl sind Anlagen zur Erzeugung von Strom, durch gabe der personellen und sächlichen Ausstattung ausfinan- die die Nachfrage nach Palmöl wächst. Dies wollen wir zierten Studienplätze in Deutschland vor und, wenn ja, wel- in Zukunft unterbinden, vor allem dann, wenn Palmöl che? aus Ländern importiert werden soll, in denen nachweis- lich Regenwälder abgeholzt werden, um es zu erzeu- Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- gen – was für den Klimaschutz, den wir alle ja wollen, ministerin für Bildung und Forschung: kontraproduktiv ist. Der wichtigste Hebel, um dies in der Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Frage der Abge- Zukunft auszuschließen, ist das EEG. ordneten Hirsch nach vorliegenden Zahlenangaben zu Studienplätzen beantworte ich wie folgt: Für die Bereit- Wir sehen keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf stellung von Studienplätzen sind die Länder zuständig. Anlagen, die noch gebaut werden oder in der Vergangen- Eine bundesweite Übersicht über Studienplatzzahlen be- heit gebaut wurden und heute schon Palmöl einsetzen, steht nicht. Auch bei den Verhandlungen zum Hoch- das nicht nachhaltig angebaut wurde. Das kommunizie- schulpakt 2020 haben die Länder bestätigt, dass eine ein- ren wir überall, wo wir die Möglichkeit dazu haben, und heitliche Feststellung von Studienplatzzahlen für alle werden es in der EEG-Novelle auch gesetzlich fixieren, Länder und Fächer nicht möglich ist. Daher wurde beim sodass wir es für die Zukunft ausschließen können. Das Hochschulpakt die Zahl der zusätzlichen Studienanfän- gelingt uns, indem wir in Zukunft keinen Nawaro-Bonus ger als Maßstab genommen. Lediglich für die Fächer mehr für Anlagen zahlen, die nachweislich nicht nach- Medizin, Pharmazie, Tiermedizin und Zahnmedizin so- haltig produziertes Palmöl einsetzen, und indem wir für wie – das gilt allerdings nur für einige Hochschulen – größere Anlagen, solche über 150 Kilowatt, keine För- Biologie und Psychologie, in denen die Studienplätze derung durch das EEG mehr zulassen. bundesweit über die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen – ZVS – vergeben werden, liegen kon- krete Zahlen zu den Studienplätzen an den einzelnen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Hochschulen vor, die auf der Homepage der ZVS veröf- Haben Sie eine weitere Nachfrage? fentlicht sind. 11770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz- (C) Frau Kollegin, Ihre Nachfrage, bitte. lerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 9 des Ab- geordneten Alexander Bonde wird schriftlich beantwor- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): tet. Besten Dank für die Antwort. – Meine erste Nach- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- frage lautet: Halten Sie es für sinnvoll, dass die Bundes- ministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 10 und 11 regierung keinerlei Auskunft über die Situation der Stu- der Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beant- dienplätze insgesamt geben kann und trotzdem unter wortet. anderem im Koalitionsvertrag die Vorgabe festgehalten worden ist, die Studierendenquote auf 40 Prozent zu er- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- höhen? Wie will man das leisten, wenn nicht einmal nisteriums des Innern. Die Fragen 12 und 13 der Kolle- Zahlenangaben darüber vorliegen, wie viele Studien- gin Dr. Gesine Lötzsch werden schriftlich beantwortet. plätze es zurzeit in diesem Land gibt? Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- ministerin für Bildung und Forschung: cherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentari- sche Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Frau Abgeordnete Hirsch, es handelt sich hierbei um ein statistisches Definitionsproblem. Wir haben Zahlen- Wir kommen zu Frage 14 des Kollegen Dr. Hakki angaben zu den Studierenden und Studienanfängern. Der Keskin von der Linkspartei: Hochschulpakt basiert auf sehr konkreten Annahmen über die Entwicklung der Zahl der Studienanfänger. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem erneuten Gammelfleischskandal für die Lebensmittelsicher- „Studienplatz“ ist ein kapazitätsrechtlicher Begriff, heit in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere hin- der von Fach zu Fach variiert. Die Länder legen in den sichtlich der strafrechtlichen Sanktionierung von Gammel- fleischproduktion und -lagerung? Fächern, in denen keine bundeseinheitlichen Vergabe- verfahren über die ZVS laufen, unterschiedliche kapazi- Bitte schön, Herr Staatssekretär. tätsrechtliche Definitionen zugrunde. Insofern ist kein Vergleich möglich. Es ergibt keinen Sinn, unterschied- lich definierte Studienplätze zu addieren. Das würde be- Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- deuten, Äpfel und Birnen zusammenzuzählen. minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: (B) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Keskin, wir haben darüber heute früh lange im (D) zuständigen Fachausschuss diskutiert. Seit 2006, seit wir Eine zweite Nachfrage, bitte. in der Regierung sind, haben wir seitens des Bundes eine Reihe von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Bun- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): desländern umgesetzt. Ich nenne als herausragendes Bei- Stimmen Sie mir zu, dass eine Änderung der Rechts- spiel das VIG. So der Bundesrat am kommenden Freitag lage ohne Weiteres möglich wäre – da der Bund auch zustimmt, wird es in Zukunft möglich sein, die Namen nach der Föderalismusreform I die Kompetenz hat, über der Betriebe zu nennen, die Gammelware in den Verkehr Hochschulzulassungen zu entscheiden –, indem man ein bringen. Wir haben zudem das Thema Rückverfolgbar- bundesweites Hochschulzulassungsgesetz oder Ähnli- keit aufgegriffen. Wenn K-3-Material in den Geschäfts- ches schafft, um in der Hochschulpolitik insgesamt zu gang gebracht wird, ist eine Bestätigung, ein Rück- einer sinnvolleren Planung und Abstimmung zu kom- schein, erforderlich. Ich nenne mit Blick auf die zweite men und die Praxis der unterschiedlichen kapazitäts- Frage von Herrn Keskin als Beispiel die Zuverlässig- rechtlichen Vorgaben in jedem einzelnen Bundesland zu keitsprüfung für Lebensmittelunternehmen. Die Voraus- stoppen, wodurch auf Bundesebene, wo eine gesamt- setzungen dafür sind nun gegeben. Wir setzen darüber staatliche Verantwortung für den Hochschulbereich exis- hinaus im Oktober ein vom Kabinett beschlossenes Ge- tieren muss, keine umfassenden Zahlenangaben möglich setzesvorhaben zur Meldepflicht um. In Zukunft sind sind? Lebensmittelunternehmer, die Gammelware abnehmen, verpflichtet, dies zu melden; das ist strafsanktioniert. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung: Wie Sie sehen, sind wir auf allen Ebenen tätig. Die Frau Abgeordnete Hirsch, ich stimme Ihnen deswe- Verbraucherschutzministerkonferenz in der vergange- gen nicht zu, weil wir ansonsten ausreichende statisti- nen Woche hat sich dafür ausgesprochen, K-3-Material sche Informationen insbesondere zur Entwicklung der einzufärben. Die EU-Kommission hat dazu erstmals grü- Studienanfängerzahlen haben. In wenigen Wochen wird nes Licht gegeben, leider nur national. Wir wünschen uns gemeldet werden, wie sich die Studienanfängerzah- uns eine europaweit einheitliche Regelung. Es wurde len in den einzelnen Bundesländern zum kommenden noch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen umgesetzt, aber Wintersemester entwickelt haben. so viel erst einmal dazu. Ich warte auf Ihre Nachfragen.

Vizepräsident Dr. : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bitte schön, Herr Keskin, Ihre erste Nachfrage. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11771

(A) Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) Herr Staatssekretär, Gammelfleischskandale beunru- Dann rufe ich die Frage 15 des Abg. Dr. Hakki higen, ja erschüttern seit Jahren das Land. Der Bundes- Keskin auf: tag hätte schon längst gesetzliche Maßnahmen gegen Unternimmt die Bundesregierung Aktivitäten, um den von diesen Missbrauch ergreifen müssen. Sind Sie eigentlich manchen Medien und einigen Politikern erweckten Eindruck, mit den Maßnahmen zufrieden, die die Verbraucher- es handle sich vorrangig um ein spezifisches Problem der Dö- schutzministerkonferenz 2006 und 2007 beschlossen hat nerbranche, entgegenzutreten und, wenn ja, welche? und die nun als erledigt betrachtet werden? Sie sagten, es seien einige Initiativen in Angriff genommen worden, Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- und haben einiges konkret genannt. Sind hier wirklich minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- strafrechtliche Maßnahmen für Leute vorgesehen, die cherschutz: immer wieder einen solchen Missbrauch begehen? Ich möchte zunächst einmal klarstellen: Der Bund setzt die Rahmengesetzgebung. Für die Kontrollen sind die Länder zuständig, in Berlin somit das Land Berlin. Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Dönerbetriebe sind im aktuellen Fall Geschädigte. Ich cherschutz: sage aber auch: Dönerbetriebe wie jeder Abnehmer von Selbstverständlich. Es liegen bereits erste Urteile mit Fleisch und Fleischwaren stehen in der Pflicht, sich und einem Strafmaß von über vier Jahren für zurückliegende den Kunden zu schützen. Das heißt, wenn Billigstfleisch Fälle vor. Es wurde also auch vonseiten der Strafverfol- zu Billigstpreisen auf dem Markt angeboten wird, ist gungsbehörden deutlich gemacht, dass es sich hier um Vorsicht angebracht. Jeder Dönerbetrieb muss, was die keine Bagatelldelikte handelt. Dennoch werden wir mit Qualität seiner Ware betrifft, seinen Kunden Zuverläs- dem neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetz im Ok- sigkeit garantieren. Es wird in diesem Fall nicht nur ge- tober das Strafmaß für das vorsätzliche Inverkehrbringen gen das Wertinger Unternehmen ermittelt, sondern auch von Gammelfleisch von 20 000 Euro auf 50 000 Euro gegen die abnehmenden Betriebe. Aber ein Generalver- anheben. Es wird aber trotz aller gesetzlichen Maßnah- dacht ist nicht angebracht. men nicht zu verhindern sein, dass es auch in Zukunft auf diesem Sektor das eine oder andere Problem gibt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Haben Sie weitere Nachfragen? – Das ist nicht der Wenn ich in die Kühlschränke der 50 jungen Leute Fall. auf der Zuschauertribüne schauen würde, dann – diese Prognose wage ich – würde ich feststellen, dass das Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Kirsten (B) Haltbarkeitsdatum des einen oder anderen Joghurts ab- Tackmann sollen schriftlich beantwortet werden. (D) gelaufen ist. Das gilt auch für das eine oder andere Stück Wurst, das sich in Abgeordnetenkühlschränken befindet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, dann wird nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. es zu Gammelfleisch. Jeder Verbraucher und jede Ver- Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische braucherin ist aufgefordert, beim Einkaufen eine be- Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. wusste Entscheidung an der Theke zu treffen. Alle Be- Wir kommen zu Frage 18 der Kollegin Ina Lenke: triebe sind aufgefordert, wachsam zu sein. Wir haben in In welchen Bundesländern sind privatgewerbliche Anbie- Deutschland eine hervorragende Versorgungs- und Si- ter unter welchen Voraussetzungen als Träger von Kinderbe- cherheitslage in diesem Sektor. Es gibt einzelne Vorfälle treuungseinrichtungen zugelassen und können damit an dem wie im Wertinger Fall, in dem die Betroffenen hohe kri- ESF-Programm zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung minelle Energie entwickelt haben. Wenn hohe kriminelle grundsätzlich partizipieren? Energie im Spiel ist, können alle möglichen Maßnahmen nicht verhindern, dass wir solche Fälle auch in Zukunft Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der haben werden. Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend: Ich beantworte die Frage wie folgt: Das mit der EU- Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Kommission abgestimmte ESF-Programm soll das En- Herr Staatssekretär Müller, es entsteht der Eindruck, gagement gerade kleiner und mittlerer Unternehmen mit als ob von den Gammelfleischskandalen speziell die Dö- bis zu 1 000 Beschäftigten bei der Schaffung neuer be- nerbranche betroffen ist. Das führt dazu, dass manche triebsnaher Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jah- Leute meinen, es gebe eine gelenkte Politik gegen die ren auf unbürokratische Weise unterstützen. Inhaber von Dönerläden. Was, glauben Sie, könnte man tun, um diesem Eindruck entgegenzutreten? Die Förderung ist als Anschubfinanzierung konzi- piert, um die Startphase zu erleichtern. Dazu werden die Betriebskosten neu zu schaffender Betreuungsplätze für Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- die Dauer von zwei Jahren durch eine Anteilsfinanzie- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- rung in Höhe von 40 Prozent bis zu einem Höchstbetrag cherschutz: von 5 000 Euro jährlich bezuschusst. Die Fördermittel Herr Präsident, diese Frage ist Inhalt der schriftlich erhält der Träger einer Betreuungseinrichtung, der mit formulierten Frage 15. einem Betrieb bzw. mehreren Betrieben zusammenarbei- 11772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues (A) tet. Die Betriebe entscheiden darüber, mit welchem Trä- Muss dieser Vertrag vor der Bezuschussung geschlossen (C) ger sie kooperieren wollen. sein, oder gibt es die Möglichkeit, diese vertraglichen Dinge im Nachhinein, also nachdem ein Platz bereitge- In allen Bundesländern brauchen die Träger einer stellt worden ist, zu regeln? Kindertageseinrichtung, also auch privatgewerbliche Anbieter, für den Betrieb der Einrichtung die Erlaubnis durch das zuständige Landesjugendamt nach § 45 Abs. 1 Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Satz 1 SGB VIII. Die Erteilung einer Betriebserlaubnis Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- setzt voraus, dass in der Einrichtung die Betreuung der gend: Kinder durch geeignete Kräfte gesichert und das Kindes- Wir werden abzuwarten haben, wie die Länder ihre wohl gewährleistet ist. Die Länder sind gemäß § 49 Betreuungsinfrastruktur im Einzelnen aufbauen, in wel- SGB VIII befugt, die näheren Voraussetzungen zur Er- chem Umfang sie auch auf privatgewerbliche Einrich- teilung der Betriebserlaubnis, insbesondere die Stan- tungen setzen. Aus Sicht der Bundesregierung ist das dards für die Eignung der Einrichtung und für die Eig- prinzipiell möglich. Es hängt allerdings davon ab, ob die nung des Personals, selbst zu regeln. Dementsprechend Länder sie sehr bewusst einbeziehen. Wir gehen davon sind auch in den Kita-Gesetzen der Länder sowie in den aus, dass das der Fall ist. Schließlich wird man, wie wir entsprechenden Erlassen und Verordnungen Anforderun- vermuten, bei der Erfüllung der gemeinsamen Vereinba- gen festgelegt, etwa in Bezug auf die pädagogische Kon- rung, für 35 Prozent der unter Dreijährigen Angebote zu zeption der Einrichtung, die Ausbildung und die Anzahl schaffen, auch auf die gewerblichen Betreiber setzen. des Betreuungspersonals sowie den Bau und die Ausstat- tung der Einrichtungen. Nach Kenntnis der Bundesregie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rung enthalten die Regelungen der Länder insoweit Nun kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Lenke: keine Sonderregelung für privatgewerblich betriebene Welche Unterstützung erhalten private und privatgewerb- Betreuungseinrichtungen. Daneben müssen alle Betreu- liche Initiativen zur Kindertagesbetreuung – auch mit Blick ungseinrichtungen allgemeingültige Vorgaben erfüllen, auf Beratungsangebote – durch die Bundesregierung, und in- etwa in Bezug auf bauliche Anforderungen, Brand- wieweit sind Verbesserungen mit Blick auf eine Trägervielfalt schutz, hygienische Bedingungen usw. Privatgewerblich und die Schaffung von mehr Wettbewerb bei der Kinderbe- treuung durch die Bundesregierung geplant? betriebene Einrichtungen sind also grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen zuzulassen wie Einrich- tungen öffentlicher oder privatgemeinnütziger Träger. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zur Genehmigungspraxis der nach Landesrecht je- Neben dem, was ich auf die Zusatzfragen schon ge- weils zuständigen Behörden kann die Bundesregierung (B) antwortet habe, will ich ausdrücklich Folgendes sagen: (D) keine Aussage treffen. Hierüber können nur die jeweili- Die Bundesregierung setzt bei der Kinderbetreuung auf gen Länder Auskunft geben. Vielfalt. Wir gehen davon aus, dass Eltern zeitlich fle- xible Angebote benötigen. Bei den künftigen Regelun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen wird die Bundesregierung darauf achten, dass – un- Nachfrage, Frau Kollegin Lenke. ter der Voraussetzung der fachlichen Qualität – die Vielfalt der Trägerlandschaft gefördert wird. Das wird Ina Lenke (FDP): sich auch im SGB VIII – wir werden darüber im Kabi- Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung gewillt, nett beschließen – niederschlagen. auf die Länder zuzugehen und den Bereich der privaten Anbieter in die Überlegungen einzubeziehen? Schließ- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lich kommt ein Drittel des Geldes vom Bund. Nachfrage.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Ina Lenke (FDP): desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Heute Morgen ist im Familienausschuss zwischen Ta- Sie sprechen jetzt das geplante Sondervermögen zur gesmüttern und privaten Einrichtungen hinsichtlich der Finanzierung von Betreuungsplätzen an. Im SGB VIII Selbstständigkeit ein Unterschied gemacht worden. Die wird geregelt werden, was danach im Einzelnen geför- Tagesmütter sind selbstständig tätig; sie sind nirgendwo dert werden kann. Dabei wird es auch um die Rolle der angestellt. Meine Frage ist: Wo ist der rechtliche Unter- privaten Träger gehen. Wir gehen davon aus, dass sie im schied zwischen selbstständigen Tagesmüttern und pri- Prinzip in die Jugendhilfeplanung der Länder einbezo- vaten Anbietern, zum Beispiel Erzieherinnen? gen werden. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bitte schön, zweite Nachfrage. Ich weiß nicht, worauf Sie jetzt im Einzelnen abhe- ben. Vielleicht können Sie die Frage wiederholen. Ina Lenke (FDP): Was das ESF-Programm angeht, fordern Sie wahr- Ina Lenke (FDP): scheinlich vertragliche Bindungen zwischen dem Be- Die Bundesregierung will im Hinblick auf die trieb und der Einrichtung für Kinder unter drei Jahren. 750 000 Plätze für Kinder unter drei Jahren ganz beson- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11773

Ina Lenke (A) ders die Tagesmütter in die Betreuung einbeziehen. Sie auch der Landkreis intensiv gefordert, für die Stärkung (C) hat nur von den Tagesmüttern gesprochen. Tagesmütter der Zivilgesellschaft vor Ort mehr zu tun als in der Ver- – darüber sind wir uns einig – sind selbstständig tätig; gangenheit. man kann auch sagen: gewerblich-selbstständig. Diese sind in die Förderung explizit einbezogen. Aber die pri- Der Bund unterstützt den Landkreis durch die Finan- vaten Anbieter sind nicht einbezogen. zierung der Arbeit des Mobilen Beratungsteams aus Mit- teln des Programms „Beratungsnetzwerke“ und bietet Meine Frage ist jetzt, ob Sie da Unterschiede sehen. durch die Regiestelle des Programms „Vielfalt tut gut“ Ansonsten müsste ein privater Anbieter von Betreuungs- auf dem Gebiet der Medienberatung bzw. des Umgangs plätzen für Kinder unter drei Jahre die gleichen Subven- mit der öffentlichen Darstellung Hilfe an. Sofern sich tionstatbestände erfüllen wie eine selbstständige Tages- aus der Beratungsarbeit der Bedarf für eine konkrete mutter. projektbezogene Hilfe ergibt, werden sich – wie ich das heute Morgen auch schon im Ausschuss erläutert habe – Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Bund und Land über Fördermöglichkeiten verständigen. desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich sehe es nicht so, dass die privaten Anbieter bei ei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ner Förderung prinzipiell nicht einbezogen sind. Wenn Nachfrage. sie die Voraussetzungen erfüllen, werden sie in gleicher Weise Förderung erhalten. Das muss das jeweilige Land Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): im Rahmen der Jugendhilfeplanung festlegen. Ich habe über das Gespräch, das Anfang September in (Ina Lenke [FDP]: Danke!) Leipzig stattgefunden hat, sowohl mit einer Kollegin vom Mobilen Beratungsteam als auch mit dem Dezer- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nenten von Torgau-Oschatz gesprochen. Beide haben Wir kommen zu Frage 20 der Kollegin Monika Lazar mir gegenüber erklärt, sie seien sehr enttäuscht, weil sie von den Grünen: doch andere Erwartungen hatten. Insbesondere in den Wann und in welcher Höhe wird die Bundesregierung Mü- Tagen nach dem Mügelner Vorfall kam ja zum Aus- gelns Landkreis Torgau-Oschatz Fördermittel aus dem Pro- druck, es gebe noch Möglichkeiten im Rahmen des Bun- gramm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen desprogramms „Vielfalt tut gut“. Finden Sie nicht auch, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitis- dass man damit falsche Hoffnungen geweckt hat, wenn mus“ zuweisen, wie es die Bundesministerin für Familie, Se- jetzt stattdessen auf das ganz normale Programm der Be- nioren, Frauen und Jugend, Dr. , in den Medien angekündigt hat (vergleiche zum Beispiel Aktionsplan ratungsteams zurückgegriffen wird? (B) für Mügeln, vom 23. August 2007, www.faz.net)? (D) Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich kann nicht ganz ausschließen, dass durch die Dis- Ich antworte darauf wie folgt: In Sachsen wird neben kussion unmittelbar nach dem Vorfall auch falsche Er- dem Programm „Vielfalt tut gut“ auch das im Juli gestar- wartungen geweckt wurden. Ich sage aber ganz aus- tete Programm „Förderung von Beratungsnetzwerken – drücklich: Es kann nicht richtig sein, bei diesem Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ umge- langfristig angelegten Programm anlassbezogen zu rea- setzt. Dazu hat das Land ein landesweites Beratungs- gieren. Man muss sicherlich – das habe ich Ihnen heute netzwerk eingerichtet, in das auch die Opferberatungs- Morgen im Ausschuss bereits gesagt – von Zeit zu Zeit stellen in Sachsen und das mobile Beratungsteam des Bilanz ziehen, um festzustellen, was an dem Programm Kulturbüros Sachsen e. V. aufgenommen wurden. richtig ist und was falsch. Wir haben bis jetzt jedenfalls Die Opferberatungsstellen haben zu den beim Überfall keinen Anlass, anzunehmen, diese langfristig angelegten verletzten Indern Kontakt aufgenommen und beraten lokalen Aktionspläne seien falsch. Es war auch Ergebnis diese. Das Mobile Beratungsteam hat auch Kontakt zum der wissenschaftlichen Evaluation der ersten Pro- Bürgermeister von Mügeln. Es hat eine erste Lageanalyse gramme, die aufgelegt wurden, dass sie langfristig ange- erstellt und Hilfe angeboten. legt und lokal vernetzt sein müssen, damit sie eine dau- erhafte Wirkung haben. Zusätzlich haben sich Bund und Land am 3. September dieses Jahres in Leipzig mit Vertretern des Dass beim dortigen Beratungsteam falsche Hoffnun- Landkreises zu einem Gespräch getroffen. Im Ergebnis gen geweckt wurden, kann ich mir nicht vorstellen, weil wurde in dem Gespräch vereinbart, dass das Mobile Be- sie von uns gefördert werden; sie haben auch jetzt eine ratungsteam gemeinsam mit dem Landkreis und der finanzielle Unterstützung bekommen. Sie sind voll inte- Stadt eine Strategie entwickelt, die das Ziel hat, Ereig- griert und voll eingebunden. Mir scheint der richtige nisse wie in der Nacht vom 17. auf den 18. August 2007 Weg zu sein, mit dem Land und auch mit dem Landkreis nach Möglichkeit zukünftig auszuschließen. Teil der abzustimmen – der Sozialdezernent hat an dem Ge- Strategie soll neben der Entwicklung von Konzepten für spräch teilgenommen –, was vor Ort sinnvoll und not- die Arbeit mit jungen Menschen vor allem das Aufzei- wendig ist. gen von Ansprechmöglichkeiten für die lokalen deu- tungsmächtigen Akteure sowie Unterstützungsangebote Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: für eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit sein. Dabei ist Zweite Nachfrage. 11774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

(A) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – „… die Gelenke liegen in Handschellen. Eine Kette schnürt (C) Wir haben ja das zweite Bundesprogramm, um solche sich um seinen Bauch und fixiert seine Hände vor seinem Na- bel, in einer Haltung der Demut“, dass eine „Extreme Re- kurzfristigen Krisen zu bewältigen. Das ist richtig, um action Force“ in Guantánamo tätig ist: „Sie tragen Schutzklei- gerade den Regionen zu helfen, die keine lokalen Ak- dung, der Erste hat einen Plastikschild, und da ist ein Sechster tionspläne haben. Wie sehen Sie aber die Chancen dafür, mit einer Kamera, der alles filmt. Sie sprühen dir Pfefferspray auch Regionen, die keine Zusagen für lokale Aktions- ins Gesicht, verdrehen deine Arme und Beine und legen dir Hand- und Fußschellen an. Sie rasieren deine Haare ab, dei- pläne haben, vor solch schlimmen Vorfällen zu bewah- nen Bart, deine Augenbrauen. Sie springen auf deinen Rü- ren, egal in welchem Teil unseres Landes? Gibt es noch cken. Sie nehmen deinen Kopf und schlagen ihn auf den Bo- eine Möglichkeit, sie im Rahmen des Programms „Viel- den. Sie drücken dir ihre Finger in die Augen“ – bestätigen? falt tut gut“ zu fördern, oder ist das bis zum Ende der Bitte schön, Herr Staatsminister. Förderperiode ausgeschlossen? Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Herr Gehrcke, Sie haben in Ihrer Frage Bezug genom- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: men auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Ich habe gesagt, dass wir in dem ganz konkreten Fall Spiegel vom 13. August 2007 über Zustände im Gefan- genau hinsehen werden. Wenn sich abzeichnet, dass dort genenlager Guantánamo. Ich darf Ihre Frage wie folgt ein Projekt notwendig ist, werden wir mit dem Land da- beantworten: rüber reden, ob der Bund es finanziert. Dabei ist egal, wie es im Einzelnen genannt wird. Ich glaube, es ist Die Bundesregierung hat gegenüber den Vereinigten nachvollziehbar, dass wir nicht an jedem Ort in der Bun- Staaten ihre Auffassung bezüglich Guantánamo und die desrepublik solche Aktionspläne umsetzen können. Zu- Notwendigkeit einer menschenwürdigen Behandlung nächst einmal setzen wir diese 90 Pläne Schritt für von Gefangenen mehrmals deutlich gemacht. Sie hat Schritt um – die Kommunen und auch die Länder brau- höchstrangig und öffentlich erklärt, dass eine Institution chen eine gewisse Zeit dafür –, und danach werten wir wie Guantánamo auf Dauer so nicht existieren dürfe und sie aus. dass Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden müssten. Die Gefangenen Ich will noch einmal sagen: Das Programm, das wir von Guantánamo sind unabhängig von der Frage ihres auflegen, ist präventiv angelegt und wird nie anlassbezo- Status im Einzelfall nach den rechtlichen Standards des gen reagieren können. Dafür ist das Beratungsnetzwerk humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu gedacht. Im Übrigen will ich ausdrücklich sagen, dass behandeln. Die Bundesregierung hat keine eigenen Er- die konkrete Jugendarbeit vor Ort völlig unabhängig da- kenntnisse über die Vorgänge, über die Der Spiegel in von ist. Wir legen größten Wert darauf und tun alles da- (B) seiner Ausgabe vom 13. August 2007 berichtete. (D) für, gerade auch in den neuen Ländern, dass dort, wo eine Zivilgesellschaft oder Bürgerschaft vielleicht nicht Der Bundesregierung ist hingegen der Bericht einer in der Form existiert, wie wir uns das wünschen, Jugend- Gruppe von Sonderberichterstattern der Vereinten Natio- liche und auch Erwachsene einbezogen werden. Das ist nen vom 15. Februar 2006 bekannt, der massive Kritik zwingend notwendig. Deshalb empfehle ich allen, in Ju- an der Behandlung der Gefangenen in Guantánamo übt. gendarbeit zu investieren. Jugendliche, die begleitet wer- Ich weise aber darauf hin, dass die Sonderberichterstat- den und irgendwo eingebunden sind, laufen nicht so ter selbst nicht in Guantánamo gewesen sind. Am schnell Gefahr, sich auf solche Irrwege zu begeben. 2. Januar 2007 hat im Übrigen das FBI umfangreiche Dokumente betreffend Untersuchungen über Misshand- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lungen von Häftlingen in Guantánamo veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass auf der Grundlage der Befra- Die Frage 21 des Kollegen Kai Gehring soll schrift- gung von insgesamt 493 FBI-Beamten 26 Hinweise auf lich beantwortet werden. – Vielen Dank, Herr Staatsse- aggressives Verhalten gegenüber Gefangenen bzw. kretär. Misshandlungen von Gefangenen vorliegen. Auch die Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundes- OSZE hat im Juli 2007 einen Bericht unter anderem zu ministeriums für Gesundheit – die Frage 22 des Kolle- den Haftbedingungen der Gefangenen in Guantánamo gen Frank Spieth, die Fragen 23 und 24 der Kollegin vorgelegt. Sibylle Laurischk und die Fragen 25 und 26 der Kollegin Eva Bulling-Schröter – sollen schriftlich beantwortet Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: werden. Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke? Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsmi- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): nister Günter Gloser zur Verfügung. Herr Staatsminister, ich freue mich natürlich über die kritische Position der Bundesregierung; ich kann ihr voll Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Wolfgang Gehrcke zustimmen. Mir leuchtet allerdings nicht ein, warum die auf: Bundesregierung, was Guantánamo und andere Fälle an- Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die den Be- geht, weniger Erkenntnisse haben soll als das Nachrich- richt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Nr. 33 vom tenmagazin Der Spiegel. Es muss doch möglich sein, zu 13. August 2007, über die Zustände im US-Gefangenenlager Guantánamo, insbesondere über systematische Folterungen sagen, ob das, was im Spiegel steht, aus Sicht der Bun- wie zum Beispiel, dass Gefangene in Ketten gehalten werden: desregierung stimmt oder nicht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11775

(A) Günter Gloser, Staatsminister für Europa: UN-Menschenrechtskommission in Genf zu setzen; (C) Herr Kollege Gehrcke, ich habe auf Ihre Frage geant- denn da gehören sie hin. wortet, die sich ausdrücklich auf die Darstellungen im Nachrichtenmagazin Der Spiegel bezieht. Im Übrigen Günter Gloser, Staatsminister für Europa: weise ich darauf hin, dass natürlich Erkenntnisse vorlie- Ich habe vorhin ausgeführt, dass es in der Tat vielfäl- gen, die, vor allem wenn es sich um Erkenntnisse des tige Informationen und Dialoge zwischen Deutschland Bundesnachrichtendienstes handelt, in den zuständigen und den Vereinigten Staaten gibt, ebenso zwischen der Gremien dargelegt werden können. Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, dass wir aber Initiativen, die wir in bestimmten Kommissio- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nen oder im Rahmen der Vereinten Nationen planen, mit Weitere Nachfrage? unseren Partnern in der Europäischen Union abstimmen wollen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ja. – Ich fand diesen Hinweis sehr spannend. Kann Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ich davon ausgehen, dass zu den zuständigen Gremien, Weitere Nachfrage? in denen die Bundesregierung bereit ist, weitergehende Erkenntnisse, einschließlich der Erkenntnisse des Bun- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): desnachrichtendienstes, offenzulegen, auch solche Aus- Ich versuche es noch einmal, Herr Präsident; schönen schüsse wie der Auswärtige Ausschuss und der Men- Dank. – Irgendwie verstehen wir uns nicht. Die Frage ist schenrechtsausschuss des Parlamentes gehören, und doch relativ simpel. Ich habe gefragt, ob die Bundesre- wäre die Bundesregierung bereit, das Versprechen in gierung bereit ist, die Zustände, die Sie aus meiner Sicht diesen Ausschüssen einzulösen? richtig beschrieben haben, auf die Tagesordnung des VN-Gremiums zu setzen, das dafür zuständig ist, näm- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: lich die Menschenrechtskommission in Genf. Diese Ich habe gerade ausgeführt, dass wir diese Erkennt- Frage kann man doch mit Ja oder Nein beantworten. nisse in den zuständigen Gremien werden darlegen kön- nen. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Ich habe gesagt: Wenn das so ist, dann werden wir das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mit unseren Partnern abstimmen. Derzeit ist das nicht Dann kommen wir zur Frage 28 des Kollegen beabsichtigt. (B) Gehrcke: (D) Ist die Bundesregierung bereit, die Einrichtung und die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zustände im US-Gefangenenlager Guantánamo auf die Tages- Vielen Dank, Herr Staatsminister. ordnung der UNO-Menschenrechtskommission in Genf zu setzen? Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Monika Knoche sollen schriftlich beantwortet werden. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Es liegen keine weiteren Fragen vor. Damit sind wir Ich habe in meiner Antwort auf Ihre erste Frage, Herr am Ende dieser Fragestunde. Kollege Gehrcke, ausdrücklich gesagt, welche Standards Zwischen den Geschäftsführern ist vereinbart, dass unserer Auffassung nach in einem solchen Lager erfüllt die Aktuelle Stunde um 16 Uhr stattfindet. Deswegen werden müssen. Wir – nicht nur die Bundesrepublik unterbreche ich die Sitzung und werde sie um 16 Uhr Deutschland, sondern auch die Europäische Union – be- wiedereröffnen. finden uns in einem ständigen Dialog mit den Vereinig- ten Staaten, um auf die Einhaltung der völkerrechtlichen (Unterbrechung von 15.31 bis 16.00 Uhr) Standards zu pochen. Darüber hinaus behandeln wir im Rahmen der bilateralen Beziehungen zwischen Deutsch- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: land und den Vereinigten Staaten – Sie wissen, es gibt ei- Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet. nen offenen und ehrlichen Dialog mit dem Außenminis- terium der Vereinigten Staaten – gerade die Rolle des Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Rechtsstaats bei der Bekämpfung des Terrorismus sehr Aktuelle Stunde intensiv. auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zu den Äuße- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rungen des Bundesministers der Verteidigung, Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke? Dr. Franz Josef Jung, in Terrorabsicht ent- führte Flugzeuge ohne gesetzliche Grundlage Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): abschießen zu lassen Herr Staatsminister, ich freue mich immer, wenn ich Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat eine Frage beantwortet bekomme, die ich gar nicht ge- das Wort die Kollegin Sabine Leutheusser- stellt habe. Ich habe konkret nachgefragt, ob die Bundes- Schnarrenberger von der FDP-Fraktion. regierung bereit ist, diese Zustände, die Sie selber noch einmal beschrieben haben, auf die Tagesordnung der (Beifall bei der FDP) 11776 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

(A) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): rade nicht verbieten wollen. Herr Minister Jung, es ist (C) Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- nicht möglich, sich im Voraus auf das Recht des überge- gen! Die FDP-Bundestagsfraktion will eine rationale setzlichen Notstandes zu berufen und dies als Rechts- Debatte zur inneren Sicherheit – frei von Hysterie, Über- grundlage, als Anspruchsgrundlage für einen Abschuss treibung und Angstmacherei – führen, wie dies auch zu nehmen. Herr Ministerpräsident Wulff heute angemahnt hat. Das Parlament ist dafür genau der richtige Platz. Wir lassen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten uns hier nicht zu einer Quasselbude degradieren, in der der LINKEN und des Abg. Wolfgang Wieland Firlefanz geredet wird. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Im ersten Semester des Studiums der Rechtswissen- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- schaften lernt man, dass das Institut des übergesetzlichen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Notstandes keine strafbare Handlung rechtfertigt, son- dern eine solche Handlung in diesem Fall rechtswidrig Die FDP-Bundestagsfraktion nimmt die Herausforde- ist, dass es aber erst dann in Erwägung gezogen werden rung des internationalen Terrorismus sehr ernst. Sie war kann, wenn es um die persönliche Verantwortung in ei- und ist bereit, auf dem Boden des Grundgesetzes kon- ner ganz konkreten Situation geht, wenn es also bereits struktiv über angemessene und sinnvolle Maßnahmen zu zu einem solchen Konflikt gekommen ist. Sie können beraten. Sie ist nicht bereit, Bundesverfassungsgerichts- das nicht antizipieren. In der gegenwärtigen Situation urteile zu missachten, das Abwägungsverbot in Bezug liegt kein übergesetzlicher Notstand vor. Auch wenn Sie auf Menschenleben außer Kraft zu setzen und einer schon jetzt alle Abwägungsprozesse vorwegnehmen, die Amerikanisierung des deutschen Rechtes zum Beispiel eigentlich erst dann ablaufen, wenn es um die persönli- mit Einführung eines Quasiverteidigungsfalles bei terro- che Verantwortung geht, können Sie sich in einer solch ristischer Bedrohung Vorschub zu leisten. schwierigen Konfliktlage wahrscheinlich nicht darauf berufen. (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie des Abg. GRÜNEN) Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Heute geht es um die von Ihnen, Herr Verteidigungs- minister Jung, geäußerte Absicht, von einem angebli- Herr Verteidigungsminister Jung, es ist wichtig, dass chen Recht auf übergesetzlichen Notstand Gebrauch zu in dieser Debatte klargemacht wird, dass Ihre Äußerun- machen und den Befehl zum Abschuss eines von Terro- gen im Focus-Interview vom 17. September so nicht ste- (B) risten entführten Flugzeuges, das mit Passagieren besetzt hen bleiben können. Sie müssen korrigiert werden. Es (D) ist, zu geben, also die Menschen in diesem Flugzeug tö- muss klargemacht werden, dass das Grundgesetz und ten zu lassen. Weiter behaupten Sie, ein Abschuss sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts strikt einge- nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts halten werden. Dann können Sie gerne über einen mögli- auch in Fällen gemeiner Gefahr oder der Gefährdung der chen politischen Handlungsspielraum diskutieren. Für freiheitlich-demokratischen Grundordnung möglich. das, was Sie gefordert haben, gibt es in der Form aber Man hat fast den Eindruck, als hätte es das Gesetzge- keinen Handlungsspielraum. bungsverfahren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen (Beifall bei der FDP sowie des Abg. im Hinblick auf die Regelung in § 14 Abs. 3 Luftsicher- Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heitsgesetz, unter bestimmten Voraussetzungen den Ab- NEN]) schuss eines Flugzeuges zu ermöglichen, nicht gegeben. Man hat den Eindruck, es hätte die Entscheidung des Wir wollen eine Diskussion, die die Gefährdung der Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben, das ausge- inneren Sicherheit durch internationalen Terrorismus führt und damit die Verfassungswidrigkeit dieser Be- und andere Formen der Bedrohung zum Gegenstand hat, stimmung erklärt hat, dass es gegen Art. 1 und Art. 2 un- sich aber auch darauf beschränkt. Wir müssen auf dem seres Grundgesetzes verstößt, wenn ein von Terroristen Boden des Grundgesetzes stehen, unsere Grundrechte gekapertes Passagierflugzeug, in dem neben den Terro- verteidigen und im rechtsstaatlichen Verfahren die richti- risten weitere Personen an Bord sind, abgeschossen wer- gen Antworten geben. Wir wollen den Terroristen nicht den soll. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, Vorschub leisten. Sie hätten es nämlich gern, dass wir dass es schlechterdings undenkbar ist, dies gesetzgebe- genau das nicht tun. risch in Form einer Bestimmung zu regeln und damit eine gesetzliche Grundlage für einen Abschuss zu schaf- Recht herzlichen Dank. fen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE LINKEN) GRÜNEN) Es ist nicht nachvollziehbar, dass behauptet wird, das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bundesverfassungsgericht habe mit seinen in der Be- Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef gründung gemachten Ausführungen den Abschuss ge- Jung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11777

(A) Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- nicht alleingelassen werden, sondern dass die politische (C) gung: Verantwortung für eine solche Entscheidung bei demje- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und nigen liegt, der diese Verantwortung zu tragen hat. Das Herren! Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, dass ich ist im Zweifel der Inhaber der Befehls- und Kommando- die Notwendigkeit einer politischen und verfassungs- gewalt. rechtlichen Diskussion darüber sehe, wie auf die geän- derte Bedrohungslage unseres Landes zu reagieren ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die rot-grüne Mehrheit hat damals die Auffassung Ich finde allerdings auch, dass es der Schwierigkeit vertreten, dass man das Problem durch einfaches Gesetz der Situation nicht gerecht wird, wenn der Berichterstat- lösen kann, indem man das Luftsicherheitsgesetz ent- ter des Bundesverfassungsgerichts in der FA Z vom sprechend formuliert. Die CDU/CSU-Fraktion war, 5. Januar 2007 wie folgt zitiert wird: wenn ich richtig informiert bin, schon damals der Mei- … er habe darauf gehofft, dass es im Letzten ein nung, dass dafür eine verfassungsrechtliche Klarstellung verantwortlicher Amtsträger auf sich nehmen erforderlich ist. würde, das Notwendige zu vollziehen und als Per- (Beifall bei der CDU/CSU) son die Last eines Rechtsverstoßes auf sich zu la- den. Das Bundesverfassungsgericht hat genau diese ge- setzliche Bestimmung für verfassungswidrig erklärt. Es Ich denke, dass unverkennbar ist, dass eine solche hat gesagt, dass ein Abschuss eines unbemannten Flug- Extremsituation eine enorme Gewissensbelastung für die zeuges oder eines nur mit Terroristen besetzten Flugzeu- Verantwortlichen darstellt. In dieser Situation ist auf un- ges aus seiner Sicht möglich ist, und zwar im Rahmen sere Rechtsordnung Rücksicht zu nehmen, die die Men- der Regelung zum schweren Unglücksfall, Art. 35 schenwürde umfasst; es ist aber auch zu berücksichtigen, Grundgesetz, dass dafür aber eine verfassungsrechtliche dass wir einen Eid geschworen haben, Schaden vom Klarstellung erforderlich ist; denn in Art. 35 steht nur: deutschen Volke abzuwenden. polizeiliche Mittel. Das Bundesverfassungsgericht hat ferner gesagt, dass in diesem Fall eine Abwägung Leben Das kann zu tragischen und schwierigsten Entschei- gegen Leben nicht stattfinden kann, weil der Grundsatz dungen führen. Ich finde, dass eines klar sein muss: des Art. 1 Grundgesetz – Menschenwürde – zu berück- Wehrhafte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeuten sichtigen ist. nach meinem Verständnis, dass auch verheerendste und menschenverachtendste Angriffe auf unser Gemeinwe- Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich er- sen nicht außerhalb der Rechtsordnung, sondern gerade klärt, dass es sich nicht zu der Frage äußert, wie sich die (B) mit den Mitteln der Rechtsordnung bekämpft werden (D) Rechtslage bei der – ich zitiere – „Abwehr von Angrif- müssen. Deshalb wünsche ich mir hier eine verfassungs- fen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die rechtliche Klarstellung durch das Parlament, das als Ver- Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsord- fassungsgeber diesbezüglich in Betracht kommt. nung gerichtet sind“, darstellt. Nichts stellt unseren Rechtsstaat mehr infrage als die Heute müssen wir uns leider Terroranschläge vorstel- Behauptung, auf seiner Grundlage sei man extremsten len, die teilweise eine andere Art und Zielsetzung haben, Formen terroristischer Angriffe wehrlos ausgeliefert. wie es beispielsweise mein Amtsvorgänger Dieser Staat ist nicht wehrlos. Ich wiederhole: Wir haben erlebt hat. Er hat zur Schlussfeier der Olympischen die Verpflichtung, Schaden vom deutschen Volk abzu- Spiele am 11. September 1972 die Information bekom- wenden. Ich denke, dass hier deutlich wird, welch tragi- men, dass ein Flugzeug mit einer Bombe auf das vollbe- sche und schwierige Situation entstehen kann. Ich wün- setzte Olympiastadion zufliegt. Er schildert in seinen sche mir, dass ich persönlich nicht in eine Situation, in Memoiren diese geradezu dramatische Konfliktsituation, der ich eine solche Entscheidung treffen muss, kommen als die Abfangjäger mit scharfen Waffen aufgestiegen möge. sind. Zum Glück hat sich diese Information nachher als falsch herausgestellt. Er hat damals gesagt – er hat es in Wenn es aber eine solche Entscheidungssituation not- seinen Memoiren noch einmal unterstrichen –, dass er es wendig macht, dann muss man dafür unter Abwägung für gut erachte, wenn der Vorfall einmal juristisch und aller Gesichtspunkte, die ich vorgetragen habe, die poli- politisch aufgearbeitet würde. Er schreibt: tische Verantwortung übernehmen. Niemand kann ausschließen, dass es sich in ähnli- (Beifall bei der CDU/CSU) cher Form wieder einmal ereignet. Leider sind aus meiner Sicht im Rahmen der Debatte Ich denke, dass klar sein muss, dass sich unsere Sol- Thesen vorgetragen worden, die der Sache nicht gerecht datinnen und Soldaten, die in einer solch schwierigen Si- werden. Ich denke deshalb, dass wir gemeinsam gefor- tuation handeln sollen, darauf verlassen müssen, dass dert sind, auch und gerade unter Berücksichtigung der nur Befehle erteilt werden, die unter Berücksichtigung Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das der tatsächlichen und der ethischen Gesichtspunkte so- hier die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen wie der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung – und Klarstellung gesehen hat, diese Verantwortung wahrzu- damit der rechtlichen Gesichtspunkte – erfolgen. Hier nehmen. Ich glaube, wir haben eine gemeinsame Verant- muss klar sein – das möchte ich deutlich unterstreichen –, wortung für die Freiheit, für das Recht, aber auch für die dass die Soldaten in einer solch schwierigen Situation Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. 11778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Ich danke Ihnen. richts in Karlsruhe nicht vorbei. Diese Abwägung von (C) Leben gegen Leben darf es nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich frage mich, was Sie in dieser Sache geritten hat, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wenn Sie Art. 35 des Grundgesetzes ändern bzw. erwei- Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der tern wollen. Man kann zwar sagen, die Bundeswehr Fraktion Die Linke. kann im Bereich der inneren Sicherheit neue Zuständig- keiten für sich reklamieren, doch das löst das Problem (Beifall bei der LINKEN) nicht. Deshalb denken Sie an die Erweiterung von Art. 87 des Grundgesetzes. Auch hierdurch beseitigen Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Sie das Verfassungsgerichtsurteil nicht; aber es ist ganz klar, worauf dies hinausläuft. Sie sagen, das sei praktisch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe ein Verteidigungsfall. Wir müssen also gegen eine solche Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in der alten Bun- terroristische Attacke quasi mit dem Kriegsrecht antwor- desrepublik einmal einen Innenminister, der gesagt hat: ten. Dazu sage ich: Terrorismus bleibt ein Fall von Ich kann doch nicht immer mit dem Grundgesetz unter Schwerstkriminalität und muss entsprechend bekämpft dem Arm herumlaufen. Jetzt haben wir einen Minister, werden. Das ist keine Aufgabe für eine Kriegsführung. der in voller Kenntnis des Grundgesetzes und der aktuel- len Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im (Beifall bei der LINKEN) Grunde genommen sagt: Ich halte mich nicht daran, ich setze mich darüber hinweg.– Ich finde, das ist ein bei- Wenn wir es zulassen, dass hier eine Tür aufgemacht spielloser Vorgang. wird, dann orientieren wir uns wirklich am War on Terrorism. Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es in (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei diese Richtung gehen soll. Wir haben in den USA aber der CDU/CSU) erlebt, wohin das führt, wenn man sagt: „Wir müssen in In einem solchen Fall ist es besser, der Minister tritt einem gewissen Maß die innerstaatliche Mobilmachung nicht erst nach einem Abschussbefehl zurück, sondern gegen den äußeren Feind betreiben“. Dabei bleiben oft vorher. Die Bundeskanzlerin müsste ihn eigentlich ent- Grundrechte und Freiheiten auf der Strecke, oder sie lassen. werden beschnitten. Genau diese Entwicklung wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ich finde, der Hinweis auf die verfassungsrechtliche Winkelmeier [fraktionslos]) (B) Klarstellung ist eine Nebelkerze. Das Verfassungsgericht (D) hat im Februar letzten Jahres klargestellt, der Abschuss Herr Minister, es ist richtig – Sie haben auf dieses Di- von Flugzeugen, in denen Unbeteiligte sitzen, sei mit lemma angespielt –, dass es Grenzsituationen sind, in de- Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes nicht in Einklang zu nen entschieden werden muss. Daher könnten Sie nach bringen. Lage der Dinge mildernde Umstände für sich geltend machen. Aber es muss klar sein, dass die Abwägung, die (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das finden wir Sie vornehmen, nicht rechtens ist. So zu handeln, das nicht!) wäre strafbar. Diesem Problem muss man sich stellen. Man kann das nicht im Voraus regeln. Das ist der Punkt, Das ist eine eindeutige Aussage, an der Sie nicht vor- um den es hier geht. beikommen. Sie gilt genauso wie das absolute Folterver- bot. Ich finde, hier muss ganz klar sein: Wer das auf- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert weicht, der macht sich nicht nur strafbar, sondern der Winkelmeier [fraktionslos]) verschiebt rechtsstaatliche und moralische Maßstäbe. Das können wir allesamt nicht wollen. Noch eine Bemerkung zum Schluss. Mindestens ge- nauso schlimm wie ein vorsätzlicher Gesetzesbruch ist (Beifall bei der LINKEN) es, andere mit hineinzuziehen. Wie wir hören, sollen so- gar schon Piloten ausgesucht worden sein, die dazu be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier werden Szena- reit sind, alle Befehle zu 100 Prozent zu befolgen. Ich rien heraufbeschworen. Sie reden einer vorbeugenden finde, das ist ein starkes Stück. Sie sind als Minister Tötung von Passagieren einer gekaperten Maschine das nicht aus dem Schneider, wenn Sie zurücktreten, nach- Wort. Damit beanspruchen Sie, genau zu wissen, wie das dem Sie den Abschussbefehl gegeben haben. Denn dann Ganze ausgeht. Es heißt, die Menschen in der Maschine muss geprüft werden, ob dieser Befehl nicht eine Anstif- würden ohnehin getötet. Wenn es nicht gelingt, die Ma- tung zum Totschlag war. Diese Verantwortung müssen schine abzuschießen, würden möglicherweise noch mehr Sie übernehmen. Sie können zurücktreten, die Piloten Menschen sterben. Woher wissen Sie, dass das so aus- können nicht einmal das. geht? Es könnte genauso gut sein, dass den Passagieren die Entwaffnung der Terroristen gelingt. Sie aber wollen Reden Sie den Piloten auch nicht ein, sie brauchten im Vorfeld darüber entscheiden. Wenn wir sagen: „Der aufgrund des übergesetzlichen Notstands keine Skrupel Abschuss wird freigegeben“, dann frage ich: Wie wirkt zu haben. Zentral ist der Hinweis auf § 11 des Soldaten- das auf die Passagiere in dieser Maschine? Haben Sie gesetzes, in dem es heißt, dass ein Befehl, durch den eine sich das einmal überlegt? Ich glaube, es ist ganz klar: Sie Straftat begangen würde, nicht ausgeführt werden darf. kommen an dem Leitsatz 3 des Bundesverfassungsge- Es ist eine ganz entscheidende Errungenschaft, die auf Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11779

Paul Schäfer (Köln) (A) die Erfahrungen mit der Wehrmacht im Dritten Reich (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So ist das! Ja!) (C) zurückgeht, dass es unseren Soldatinnen und Soldaten möglich sein muss, einen Befehl zu verweigern. Das ist Man sollte aber nicht von Vornherein über den überge- die Umsetzung des Konzepts des Staatsbürgers in Uni- setzlichen Notstand diskutieren und ihn definieren. form. Diese wichtige Tradition und Errungenschaft der (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Bundeswehr dürfen wir jetzt nicht aufgeben. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke. Das ist eine sehr schwierige Debatte, die allerdings (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert nachgelagert zu führen ist. Es ist für einen Minister viel Winkelmeier [fraktionslos]) schwieriger als für einen Piloten oder einen Polizisten, zu sagen, was ein übergesetzlicher Notstand ist. Deshalb hilft uns dieser Begriff in der konkreten Diskussion nicht Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: weiter. Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Arnold von der SPD-Fraktion. Diese Debatte hat auch eine politische Dimension. Wer glaubt, wir müssten den zweifellos vorhandenen Rainer Arnold (SPD): Sorgen bezüglich des Terrorismus begegnen, indem wir Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kriegsdefinitionen entwickeln, der führt uns wirklich in Herr Minister, ich hätte mir gewünscht – ich sage das of- die Irre. fen –, dass der heutige Tag genutzt wird, um die Dinge (Beifall bei der SPD, der FDP und der LIN- zurechtzurücken. KEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Winkelmeier [fraktionslos]) des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] – Das Land, das so vorgegangen ist, ist ein sehr abschre- Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das wird er!) ckendes Beispiel, an dem man allerdings erkennen kann, Dieses Thema hilft unserer Koalition nicht, und es hilft welche Fehler begangen werden können. Wir brauchen vor allen Dingen den Soldaten nicht, die Sie in diesem in der Situation der terroristischen Bedrohung Beson- Zusammenhang in eine sehr schwierige Situation brin- nenheit statt Scheinlösungen. gen. Außerdem ist dieses Thema nicht zielführend. Die (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Menschen erwarten von uns, dass wir das regeln, was Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- geregelt werden kann, und dass wir nicht über Dinge NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert (B) reden, die wohl nicht geregelt werden können. Winkelmeier [fraktionslos]) (D) (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Damit komme ich zum Praktischen. Wir sollten nicht Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE glauben, der 11. September wiederholt sich auf der Welt GRÜNEN) eins zu eins; das wäre fantasielos. Ich weiß nicht, was Ich meine, es gibt eine Reihe von Argumenten, die die Terroristen aushecken. Ich weiß aber, dass wir viel das belegen. Im Rahmen der Diskussion geht es zu- getan haben, damit sich der 11. September 2001 nicht nächst einmal um staatsrechtliche Fragen. Das Bundes- eins zu eins wiederholen kann: dass Terroristen nicht verfassungsgericht hat Recht gesprochen. Wir, die wir mehr ohne Weiteres ins Cockpit kommen; dass auf dem damals dafür gestimmt haben, lagen mit unserer Ein- Boden viel getan wird. Außerdem hätten wir in Deutsch- schätzung falsch. land wahrscheinlich keine halbe oder dreiviertel Stunde Zeit zum Reagieren. Die Terroristen werden nicht im (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) Kreis herumfliegen wie der psychopathische Sportpilot Unsere Aufgabe ist, aus Fehlern zu lernen und sie nicht in Frankfurt, sondern entschlossen ans Werk gehen. Da sehenden Auges zu wiederholen. Klar ist: Der Wesens- helfen uns die ganzen abstrahierenden Debatten nicht gehalt von Art. 1 unseres Grundgesetzes darf nicht über weiter. andere Artikel ausgehebelt werden. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei (Beifall bei der SPD, der FDP und der LIN- Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- KEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland NISSES 90/DIE GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb lassen Sie uns in der Koalition tun, was getan Neben der staatsrechtlichen Frage stellt sich natürlich werden muss, Herr Minister, und das Fenster schließen, auch die strafrechtliche Frage. Herr Minister, Ihren An- das uns das Bundesverfassungsgericht geöffnet hat, satz, darüber zu philosophieren, ob es möglicherweise nämlich zulassen, dass dort, wo die polizeilichen Mittel ein höheres Gut der Verantwortung gibt, halte ich für in der Luft und auf See enden – nach der 12-Meilen- falsch. Wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben, Zone –, militärische Mittel eingesetzt werden können, dann können Sie, indem Sie sich auf einen übergesetzli- ( [CDU/CSU]: Ja!) chen Notstand berufen, im Nachhinein – ich sage das sehr deutlich – um Entschuldigung bitten. Aber Sie wer- im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35. Dieser Vor- den sich immer schuldig machen müssen, egal wie Sie schlag der Sozialdemokratie liegt seit Monaten auf dem sich entscheiden. Tisch. Es wundert mich sehr, dass dieses Thema immer 11780 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Rainer Arnold (A) wieder neu mit falschen Argumenten gepuscht wird, an- sungswidrige, illegale Befehle zu befolgen; die anderen (C) statt dass wir uns einer realistischen Lösung zuwenden, haben wir aussortiert. Wir werden nur diejenigen in den die übrigens auch den Piloten helfen würde. Einsatz schicken, die vorher versprochen haben, meinen illegalen Befehlen zu folgen. (Beifall bei der SPD) Ich frage mich: Warum sagen Sie das in dieser Zeit je- Lassen Sie uns dies in nächster Zeit bewerkstelligen! den Tag immer wieder? Gibt es dafür einen konkreten Wir müssen uns eines klarmachen: Wir können nicht Anlass, oder was ist der Hintergrund? Denn es kann so tun, als ob die einen die Gesellschaft schützen wollten doch nicht sein, dass Sie die möglichen Selbstmordatten- und die anderen, die darauf verweisen, dass sich täter meinen. Die lassen sich von solchen Ankündigun- Art. 87 a dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu- gen sicherlich nicht beeinflussen. Richtet sich das an die folge nicht dafür eignet, dies nicht tun wollten. Wir alle Passagiere? Wenn ich das jeden Tag höre – wir sind ja wollen das Menschenmögliche tun, um unsere Gesell- alle Passagiere –, dann frage ich mich: Was sagt mir das? schaft vor Terrorismus zu schützen. Wir sollten aber Wie soll ich mich verhalten? Welche Vorsichtsmaßnah- keine Scheinlösungen versprechen, und wir dürfen nicht men könnte ich gegen einen solchen Befehl des Minis- den Eindruck erwecken, als ob es absoluten Schutz gäbe; ters treffen? Mir fällt dazu nichts ein. den gibt es nicht. Das müssen die Menschen wissen. Wir (Dirk Niebel [FDP]: Fahrrad fahren!) müssen aufpassen, dass Rechtsstaatlichkeit und Schutz vor Terror am Ende nicht gegenläufige Ziele sind. Wer Wenn sich das nicht an diese beiden Adressen richtet, uns vor Terror schützen will, muss erkennen: Rechts- dann bleibt nur übrig, dass Sie sich an die Öffentlichkeit staatliches Handeln und das Bestmögliche gegen Terro- richten, dass Sie versuchen, in der Öffentlichkeit einen risten zu tun, sind ein und dieselbe Sache. Darauf kommt Gewohnheitseffekt zu erreichen, dass man sagt: Es ist ja es am Ende an. klar, wenn da ein Flugzeug gekapert worden ist und die Selbstmordattentäter drohen, die Maschine abstürzen zu Danke schön. lassen, dann wird dieser Befehl gegeben. Von all den (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abwägungsüberlegungen, die zum Beispiel angestellt Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- werden müssten, wenn ein übergesetzlicher Notstand an- NISSES 90/DIE GRÜNEN) genommen werden sollte, sagen Sie nichts; vielmehr sind Sie fest entschlossen, diesen Befehl zu geben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Da kann ich Sie nur auf ein gestern Abend gesendetes Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter (B) Bündnis 90/Die Grünen. Jentsch aufmerksam machen, der völlig zu Recht auf (D) Folgendes hingewiesen hat: Wenn Sie nach einem sol- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE chen Befehl im Erklärungsnotstand gegenüber der Öf- GRÜNEN): fentlichkeit und gegenüber Ihrem Richter sind und erklä- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ren, dass Sie in einem übergesetzlichen Notstand waren Als der Kollege Arnold gerade zu reden anfing und eine und so gehandelt haben, weil Sie eine Abwägung vorge- Frage an den Minister richtete, dachte ich: Ja, eine Frage nommen haben, dann wird er Ihnen entgegenhalten, dass habe ich auch; die will ich auch stellen. – Dann habe ich Sie vorher Tag für Tag immer wieder betont haben, dass ihm mit wachsender Begeisterung zugehört, weil er ja Sie fest entschlossen sind, das zu tun. Wo ist da der Ab- sehr viel Richtiges gesagt hat. Zuerst habe ich mir ge- wägungsprozess, der notwendig gewesen wäre? dacht: Na gut, ein einzelner Abgeordneter aus der SPD. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Doch dann habe ich festgestellt: Die SPD hat überwie- sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP gend geklatscht. – Da frage ich mich doch: Was ist ei- und der LINKEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ gentlich die Auffassung der Bundesregierung – einer CSU]: Das war bei § 14 Abs. 3 Luftsicher- Bundesregierung, die auch von der SPD-Fraktion getra- heitsgesetz genauso! Das wäre kontinuierlich gen wird – in dieser Frage, wenn der Minister das eine die Grundlage gewesen!) sagt, die SPD-Fraktion aber fast geschlossen zu den Auf- fassungen des Kollegen Arnold klatscht? Weil Sie als Bundesminister nicht nur die Piloten in solche einteilen, die verfassungswidrigen, rechtswidri- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gen, illegalen Befehlen gehorchen, und solche, die das SES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Arnold nicht tun – sie werden also ausgesondert, sie dürfen dort [SPD]: Loben Sie mich nicht! Es schadet mir keinen Dienst tun –, weil Sie selber sich dazu bereit er- nur, wenn Sie mich loben!) klärt und gesagt haben, Sie würden das tun, Sie würden Auch ich stelle mir natürlich die Frage: Herr Minister sich illegal, gesetzlos verhalten, würden solche Einsatz- Jung, welcher Teufel reitet Sie eigentlich, dass Sie seit befehle geben, letztem Wochenende Tag für Tag an keinem Mikrofon (Dirk Niebel [FDP]: Untragbar!) vorbeigehen können, ohne zu sagen: Ich bin entschlos- sen, den Befehl zu geben, Passagiermaschinen abzu- bei denen es um Leben und Tod von 10, 20, 50, 100 oder schießen, und ich habe Vorsorge getroffen, dass das von vielleicht auch mehreren Hundert Passagieren geht, und der Bundeswehr auch umgesetzt wird: Ich weiß jetzt, weil das zeigt, dass Sie da die notwendigen Skrupel welche Piloten bereit sind, auch rechtswidrige, verfas- nicht haben, deshalb, Herr Minister, ist es nicht hin- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11781

Hans-Christian Ströbele (A) nehmbar, dass Sie weiter im Amt sind, weiter dieser Wir haben damals gesagt: Bevor Sie das Gesetz ver- (C) Bundesregierung angehören; denn Sie sind in dieser abschieden, sollten Sie mit uns gemeinsam die Verfas- Weise nicht nur eine Gefahr für die Truppe, sondern sung ändern. auch eine Gefahr für die Sicherheit in der Bundesrepu- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- blik Deutschland und für die Passagiere, die sich in Zu- NEN]: Das wäre nicht möglich gewesen!) kunft in Flugzeuge setzen. Dann hätte das Gesetz auch vor dem Verfassungsgericht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bestand gehabt, lieber Herr Kollege. Deshalb muss die Forderung lauten: Quittieren Sie Ihr (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Amt, wie Sie das schon einmal im September 2000 mit Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das einem Ministeramt in Hessen getan haben! ist ein Irrglaube!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Durch das Zitat von damals wird deutlich, dass wir in und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert der damaligen Situation einen Regelungsbedarf hatten. Winkelmeier [fraktionslos]) Durch die jetzigen Erklärungen von Franz Josef Jung wird deutlich, dass wir auch heute einen Regelungsbe- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: darf haben. Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert von der CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Eben!) Die rot-grüne Regierung hat das Luftsicherheitsgesetz Bernd Siebert (CDU/CSU): verabschiedet, weil es damals genau diesen Regelungs- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bedarf gab. Die Aussagen in der gesamten Diskussion Wenn ich mir die beiden letzten Reden in Erinnerung waren übrigens ähnlich wie die heute. rufe, dann habe ich den Eindruck, als würden wir diese Sie von der Fraktion der Grünen haben das Gesetz da- Diskussion heute das erste Mal führen. mals gemeinsam mit der SPD auf den Weg gebracht. Sie (Beifall bei der CDU/CSU) haben es verabschiedet. Vor dem Bundesverfassungsge- richt haben Sie Schiffbruch erlitten. Deswegen will ich Sie mit ein paar Zitaten vertraut machen: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, aber wir haben aus diesem Schiff- Die Abwehr terroristischer Angriffe im Land ist bruch gelernt! Sie nicht!) Aufgabe der Polizei. (B) Wenn ich heute mit Ihrer Art der Diskussion die Vor- (D) D’accord. gänge von damals beurteilen würde, dann müsste ich sa- Nur dort, wo die Bundeswehr allein über die not- gen, dass Sie mit dem Gesetz, das Sie damals verab- wendigen Fähigkeiten verfügt, wird sie herangezo- schiedet haben, bewusst in Kauf genommen haben – Sie gen. Dazu haben wir ein Luftsicherheitsgesetz ver- wurden vorher nämlich gewarnt –, die Verfassung zu abschiedet, das dem Verteidigungsminister brechen. – hören Sie gut zu – (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völ- erlaubt, den Befehl zu geben, terroristische An- liger Unsinn!) griffe aus der Luft zu bekämpfen. Deswegen muss ich an dieser Stelle feststellen: Sie An anderer Stelle wird gesagt: „notfalls auch den Ab- versuchen den Eindruck zu hinterlassen, als wären Sie schuss eines von Terroristen als Waffe benutzten Passa- bei der Behandlung dieses Themas damals nicht in der gierflugzeuges zu befehlen“. Regierung gewesen und als hätten Sie sich nicht mit den Das ist ein Zitat aus der damaligen Zeit der rot-grünen gleichen Fragen beschäftigt, mit denen wir uns heute Regierung, vorgetragen von dem Verteidigungsminister auch beschäftigen. Peter Struck. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Michael Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Vor Karls- wissen wir selbst genau!) ruhe!) Deshalb müssen wir schauen, welchen Spielraum uns Dies macht deutlich, dass Sie damals überzeugt waren, das Verfassungsgericht gegeben hat, hier eine Regelung zu finden. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ströbele (Jörn Thießen [SPD]: Richtig!) auch!) Das ist unsere Aufgabe heute. dass wir diesen Bereich mit einem Gesetz rechtlich auf- füllen müssen, nämlich mit dem damals von Ihnen be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schlossenen Luftsicherheitsgesetz. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Hans-Peter Uhl Deswegen sage ich nach meinen Formulierungen von [CDU/CSU]: Ströbele hat zugestimmt!) eben an dieser Stelle: Es ist unsere Aufgabe, jetzt 11782 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Bernd Siebert (A) gemeinsam darüber nachzudenken, was wir zu formulie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) ren haben und was wir mehrheitlich hinbekommen, so- Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Frak- dass wir das Risiko beseitigen können. Die Menschen tion, Dr. Guido Westerwelle. draußen erwarten von uns doch, dass wir uns nicht mo- natelang über diese Frage hinwegstehlen, sondern dass (Beifall bei der FDP) wir ihnen eine Lösung anbieten. Darum müssen wir kämpfen, dafür müssen wir arbeiten. Dr. Guido Westerwelle (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Herr Präsident! Herr Kollege Siebert, Sie haben zum Jörn Thießen [SPD]) Schluss etwas aus Ihrer Sicht Notwendiges gesagt, näm- lich dass Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, hinter Das, was Sie vorgelegt haben, ist noch keine Lösung, den Aussagen des Ministers steht. Das war notwendig zu sondern die Lösung muss umfangreicher sein und auch erwähnen. Die Mehrheit des Deutschen Bundestags steht Verfassungsänderungen beinhalten. nicht hinter diesen Aussagen des Bundesverteidigungs- ministers. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Und das macht Ihr Minister momentan gerade?) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- – Nein. geordneten der SPD) Ich will jetzt etwas zurückhaltender werden und noch Das ist es, was zählt. einmal darauf hinweisen: (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nicht einmal die Mehrheit der Bundesregierung NEN]: Greifen Sie einmal die SPD an!) selbst steht hinter diesem Verteidigungsminister. Für wen hat der von mir persönlich sehr geschätzte Herr Ver- Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Men- teidigungsminister eigentlich hier gesprochen? Für die schen, die von uns erwarten, dass wir etwas regeln. Wir Mehrheit des Deutschen Bundestages und die Bundesre- haben diese Verantwortung gegenüber den Menschen, gierung spricht er nicht. Für wen spricht er dann? die sich auf Großveranstaltungen befinden und mögli- cherweise mit dem Risiko leben müssen, dass ein An- Es gibt noch einen entscheidenden Grund, warum Sie schlag stattfindet. Wir haben aber auch die Pflicht, den bis jetzt eine Regierungserklärung verweigert haben: Sie Menschen, die in den Flugzeugen sitzen, eine Antwort wissen, dass Sie in dieser Frage alleine sind. Sie sind in darauf zu geben, wie wir das regeln, so wie Herr der Minderheit. Sie können den Soldaten nicht solche Ströbele das eben durchaus auch angemahnt hat. Sie Befehle geben. In welche Situation bringen Sie die Sol- (B) müssen diese Mahnung aber auch an sich selbst richten, datinnen und Soldaten, indem Sie vortäuschen, das sei (D) lieber Herr Ströbele. rechtmäßig? Es ist rechtswidrig, und ein Minister darf so etwas auch den Soldaten nicht abverlangen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht abschießen!) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Wir haben auch die Verantwortung, eine Regelung zu DIE GRÜNEN) finden, Wir könnten es uns als Freie Demokraten sehr leicht (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- machen. Sie haben sich mit dem Luftsicherheitsgesetz NEN]: Das lässt sich nicht regeln!) von SPD und Grünen auseinandergesetzt. Wir sind, wie durch die den Soldaten im Falle eines Falles eine Ant- Sie wissen, die einzige Fraktion gewesen, die damals wort gegeben wird. Schließlich haben wir auch eine Ver- klar dagegengestimmt hat. antwortung gegenüber dem Minister, dass wir etwas re- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das stimmt geln. doch gar nicht!) Der Minister hat uns mit seinen Formulierungen deut- lich gemacht – er hat den Finger in die Wunde gelegt –, Die Liberalen haben damals auch das Bundesverfas- dass wir die Situation nicht so belassen können, wie sie sungsgericht angerufen. Aber es gibt einen entscheiden- ist. Ich denke, damit hat er nicht verantwortungslos, son- den Unterschied, durch den sich eine neue Situation er- dern in höchstem Maße verantwortungsvoll gehandelt. gibt. Insofern ist es, meine ich, bei allem Respekt zu Er verdient unsere Belobigung. honorieren, dass Kollege Arnold das klar gesagt hat. Es gibt einen einfachen Rechtsgrundsatz zu der Frage, was (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang verfassungsgemäß und was verfassungswidrig ist: Roma Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt locuta, causa finita. Wenn das Verfassungsgericht ent- wird es aber albern! – Volker Schneider [Saar- schieden hat, dass etwas gegen die Verfassung verstößt, brücken] [DIE LINKE]: Er hat die Lösung dann gilt das für jeden hier, auch für den Verteidigungs- gleich mitgebracht! Das ist unglaublich!) minister. Es mag einen übergesetzlichen Notstand geben; aber kein übergesetzlicher Notstand führt über die Ver- Deshalb stehen wir als Christdemokraten und Christsozi- fassung hinaus. Alle Staatsgewalt ist daran gebunden. ale hinter diesem Minister. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank. der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11783

Dr. Guido Westerwelle (A) Dementsprechend ist es auch unzulässig, Herrn Kol- Ich sehe hierin eine sehr traurige und unglückliche (C) legen Arnold, Herrn Kollegen Ströbele und anderen, die Entwicklung der Diskussion in diesem Jahr. Der Innen- heute ihre Meinung geäußert haben, entgegenzuhalten, minister meldet sich – von der Unschuldsvermutung dass es sich lediglich um eine Frage der Gesetzestechnik über das Töten auf Verdacht bis zum Szenario eines ato- handele; man könne mit Änderungen der Art. 35 und maren Angriffs durch Terroristen – zu Wort. Der Vertei- 87 a des Grundgesetzes hinsichtlich der Zuständigkeiten digungsminister sagt, er sei selbstverständlich bereit, Be- von Bund und Ländern etwas an der Sache ändern. Neh- fehle zum Abschuss Unschuldiger zu erteilen. Das alles men Sie bitte zur Kenntnis, dass nach der Entscheidung schafft ein Klima der Verunsicherung. des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006, die Deswegen sage ich Ihnen: Da die Mehrheit dieses im Übrigen von uns Liberalen erwirkt worden ist, das Hauses dieses Verhalten augenscheinlich missbilligt, Abschießen von unschuldigen Menschen in Passagier- Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, werden maschinen nicht nur aus irgendwelchen formellen Grün- wir dem Deutschen Bundestag einen Missbilligungsan- den nicht zulässig ist; sondern die Verfassung verbietet trag zu den infrage stehenden Äußerungen des Verteidi- es auch materiell, gungsministers zur Abstimmung vorlegen. Dann werden (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nein!) wir sehen, ob Sie dazu stehen. Koalitionsräson ist das eine. Das andere ist die Verfassung, die über der Koali- weil es gegen die Menschenwürde und das Recht auf Le- tionsräson steht. ben verstößt. Das sollten Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen. (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- [fraktionslos]) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es ist ein einmaliger Vorgang, dass die Justizministe- Das Wort hat der Kollege Hermann Scheer von der rin der Bundesrepublik Deutschland ihrem Kabinettskol- SPD-Fraktion. legen, dem Bundesverteidigungsminister, sagt, dass er sich klar verfassungswidrig äußert, dieser aber trotzdem weiterhin diese Meinung vertritt. Herr Kollege Jung, Sie Dr. Hermann Scheer (SPD): haben nicht mehr viel Zeit. Aber Sie sollten sie allmäh- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den lich nutzen, um von einer absolut esoterischen Diskus- Terrorismus ist signifikant: Er kommt in der Regel aus sion mit dramatischen Konsequenzen – übrigens auch dem Dickicht des Alltags. Die Aktionsform ist überra- (B) für das Gerechtigkeitsgefühl in unserer Bevölkerung – schend genauso wie der Aktionsort. Die größte anzuneh- (D) Abschied zu nehmen. mende terroristische Gefahr, bei der, wenn überhaupt, ein übergesetzlicher Notstand geltend gemacht werden (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten könnte, ist ohne Zweifel der Atomterrorismus. Davon der LINKEN und des Abg. Josef Philip hat Minister Schäuble am Wochenende ausführlich ge- Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sprochen. Es ist klar, dass eine solche Gefahr ernst zu nehmen ist. Es ist klar, dass man gegen diese Gefahr Sie sind doch kein Philosoph, der irgendwelche Dis- kaum adäquat gewappnet sein kann. Es ist klar, dass die kussionen beginnen könnte. Von Ihnen erwartet man, Gefahr des Atomterrorismus dazu führen kann – darauf dass Sie sich an Recht und Gesetz halten, vor allen Din- hat schon vor drei Jahrzehnten Robert Jungk in seinem gen, dass Sie nicht nur auf dem Boden der Verfassung, Buch Der Atomstaat hingewiesen –, dass Demokratie sondern im Zweifelsfall auch zu ihr stehen. Das ist der und Rechtsstaat, wenn man nicht aufpasst, daran er- feine Unterschied. sticken. Man kann das Leben von Unschuldigen nicht gegen- Nun befinden wir uns in einer Diskussion, die sich an- einander abwägen. Man kann auch nicht das Leben von hand der Äußerungen von Minister Jung auf die Frage Unschuldigen gegeneinander aufrechnen. Wo hört man konzentriert, wie wir Quellen akuter Gefahren mögli- auf, und wo fängt man an? Darf der Staat zehn umbrin- cherweise in letzter Minute beseitigen können. Aber zur gen, wenn möglicherweise 100 gerettet werden können? Betrachtung einer solchen Gefahr gehört zumindest ge- Oder vielleicht zehn zu zwanzig, eins zu zwei oder eins nauso, wenn nicht sogar an erster Stelle, die Berücksich- zu tausend? tigung der Gefahrenstellen, wenn wir den Sicherheits- auftrag ernst nehmen, und zwar mit den Mitteln, die uns Das ist eine Diskussion, die sich der Staatsgewalt ent- im gesetzlichen Normalfall zur Verfügung stehen, also ziehen muss. Der übergesetzliche Notstand, den Sie ins ohne den übergesetzlichen Notstand in Anspruch zu neh- Feld führen, führt Sie erstens über die Verfassung nicht men. Hier haben wir ganz andere Möglichkeiten. hinaus und hat zweitens den wesentlichen Charakterzug, dass er im Vorhinein nicht normiert werden kann. Aber Wenn man diese Gefahr schon heraufbeschwört, muss genau das ist es, was Sie in Wahrheit wollen. man diese Möglichkeiten tatsächlich ins Auge fassen. Das möchte ich an einem Herrn Minister Jung sicherlich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mehr als fast allen anderen in diesem Hause bekannten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- Standort deutlich machen, nämlich den Biblis-Reaktoren SES 90/DIE GRÜNEN) in Hessen. Jeder weiß – das ist unbestritten –, dass 11784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Dr. Hermann Scheer (A) zumindest einer der beiden Reaktoren, nämlich Biblis A, erhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion, die (C) einen besonders eingeschränkten Schutz vor terroristi- wir führen, sehr einseitig. schen Angriffen oder einem „normalen“ Flugzeugab- sturz bietet. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Diese Staatszielbeschreibung ist auch Wir reden aber im Zusammenhang mit Terrorismus einseitig, mein lieber Herr Uhl! Die Freiheit von gezielten Flugzeugabstürzen. Dass gezielte Flug- seiner Bürger zu wahren, ist auch ein Staats- zeugabstürze zum Spektrum terroristischer Aktionen ge- ziel!) hören, weiß man seit dem 11. September. Amerikanische Sicherheitsbehörden haben bekanntgegeben, dass ur- Wir haben nur das Bild im Auge, dass ein mit Passa- sprünglich geplant war, einen Atommeiler direkt anzu- gieren besetztes Flugzeug auf staatlichen Befehl hin ab- fliegen. Das ist Gott sei Dank unterlassen worden. Die geschossen wird. Aber es gibt nicht nur dieses Bild des Katastrophe hätte ein gigantisches Ausmaß angenom- Flugzeuges mit den Passagieren. Untrennbar mit dem In- men, weit über die Katastrophe hinaus, die tatsächlich ferno des Terrors ist ein zweites Bild verbunden, das stattgefunden hat. Bild von den Opfern am Boden, über denen das Flug- zeug zum Absturz gebracht werden soll, das Bild von ei- Unmittelbar danach sind in Deutschland Untersu- nem vollbesetzten Fußballstadion mit Zigtausend Men- chungen mit verschiedenen Szenarien durchgeführt wor- schen oder vielleicht das Bild von vor zwei Jahren, als den, die aus guten Gründen geheim gehalten werden, um der Papst auf dem Marienfeld in Köln vor 1 Million jun- niemanden auf besondere Gefahrenstellen im Einzelnen ger Menschen seine Messe zelebriert hat. Stellen Sie aufmerksam zu machen. Aber die Gefahr besteht, insbe- sich bitte vor, es hätte Terroristen gegeben, die ein Flug- sondere bei dem genannten Reaktor, der gerade einmal zeug gekapert hätten, um dieses Flugzeug auf das Ma- 40 Flugsekunden von der Hauptanfluglinie des Flugha- rienfeld in Köln zu steuern. fens Frankfurt entfernt ist. Die Untersuchungen haben bisher ein einziges, hilfloses Ergebnis zu Tage gefördert, (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE nämlich dass man versuchen könnte, mit technischen LINKE]: Und eine Atombombe an Bord hat! Maßnahmen eine Einnebelung solcher Reaktoren zu er- Meine Güte! – Kerstin Müller [Köln] [BÜND- reichen. Dieser Versuch der Einnebelung ist laut Piloten- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sollen solche vereinigung Cockpit deswegen hilflos, weil jedes Flug- Bilder?) zeug heute GPS-gesteuert ist, und wer ein Flugzeug Stellen Sie sich das bitte vor! Wie hätte Ihrer Meinung steuern kann, kann auch die GPS-Anlage bedienen und nach der Staat in dieser Situation handeln sollen? Ziele durch Nebel hindurch anfliegen. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (B) Wenn Sie, Herr Jung, und viele andere, die von der GRÜNEN]: Meine Güte!) (D) Gefahr des Atomterrorismus sprechen, es ernst meinen, dann ist es zwingend, in erster Linie auf die Gefahren- Daran sehen Sie, dass der Staat in einem Dilemma stelle zu schauen; denn die haben wir in der Hand. Dann steckt. ist es ein politischer Widerspruch allerersten Ranges, die (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gefahrenstelle einfach so zu belassen, gerade wenn sie Nein, steckt er nicht!) unbestritten gegeben ist, und stattdessen Aktionen dieser Art starten zu wollen. Damit täuschen Sie eine Sicher- Er muss entscheiden, auf tragische Weise entscheiden. heit vor, die die Bevölkerung gar nicht fühlt; solche Ak- Er kann sich nicht neutral verhalten, er muss handeln. Er tionen erzeugen höchstens Angst. kann sich nicht zurücklehnen und die Dinge ihrem Schicksal überlassen. Der Staat muss auch Zigtausende Sie sprechen sogar von einem Recht auf übergesetzli- unschuldiger Menschen vor Angriffen durch Terroristen chen Notstand. Ein solches Recht kann es nicht geben; schützen. Welche Entscheidung er auch immer trifft: Es denn ein Recht auf übergesetzlichen Notstand heißt, sich werden Menschen sterben. selbst ein Recht zu nehmen. Wenn das jemand tut, der ei- nen Amtseid auf die Verfassung abgelegt hat, dann sind Das rot-grüne Gesetz, das vom Bundesverfassungs- die Grenzen der normalen parlamentarischen Demokra- gericht aufgehoben wurde, ist bereits mehrfach ange- tie überschritten. sprochen worden. Es war der Versuch, einfachgesetzlich Danke schön. etwas zu regeln, was scheitern musste. Wir müssen uns die Verfassung genauer anschauen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier wird der Eindruck erweckt – er sollte hier zu- rechtgerückt werden –, das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt – ich nehme an, dass der Kollege Jürgen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gehb darauf zu sprechen kommen wird –, es sei in je- Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der dem denkbaren Fall verboten, ein solches Flugzeug ab- CDU/CSU-Fraktion. zuschießen. Das ist irrig. Alle, die sich näher damit be- fassen wollen – ich hoffe, Sie werden das tun, Herr Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Westerwelle; Sie haben dieses Urteil hochgehalten –, Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und verweise ich auf die Randnummern 134 f. des Urteils. Kollegen! Der ungeschriebene Lebenssinn des Staates Das Bundesverfassungsgericht hat dort den Fall ange- ist, die allgemeine Sicherheit seiner Bürger aufrechtzu- sprochen, dass ein terroristischer Angriff „auf die Besei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11785

Dr. Hans-Peter Uhl (A) tigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staat- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) lichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet“ ist. In Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann von der diesem Fall müsse der Staat sich wehren können. SPD-Fraktion. Die asymmetrische kriegsähnliche Bedrohung durch Terroristen konnten die Väter des Grundgesetzes nicht Frank Hofmann (Volkach) (SPD): kennen. Sie kannten nur den klassischen Verteidigungs- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- fall, den herkömmlichen Krieg. Die Staatengemeinschaft ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Siebert, ich hat diesem Krieg ganz neuer Art, dem Terrorismus, ih- möchte Sie kurz ansprechen. Ich war ebenfalls Bericht- rerseits den Krieg erklärt – ich meine, zu Recht. In die- erstatter bei den Beratungen über das Luftsicherheits- sem Zustand befinden wir uns zurzeit. Das heißt, die Un- gesetz. Mich hat das Urteil des Verfassungsgerichts sehr terschiede zwischen innerer und äußerer Sicherheit getroffen, weil ich der Meinung war, wir hätten das verwischen in diesem Zustand. Hier muss man neu nach- Richtige getan. Auch ich bin der Überzeugung, dass denken. Hier muss man sich weniger entrüsten. Hier Peter Struck, der zu dem Zeitpunkt Verteidigungsminis- muss man Wege finden. Ein Weg – wir meinen, der ver- ter war, das Richtige tun wollte. fassungsrechtlich einzig denkbare Weg – ist, die Streit- Ich meine aber, dass die Entscheidung des Bundes- kräfte in die Lage zu versetzen, nicht nur im Verteidi- verfassungsgerichts eine Zäsur bedeutet. An dieser Stelle gungsfall, sondern auch in diesem Fall, dem der unterscheiden wir uns. Ich möchte Sie bitten, das Urteil asymmetrischen terroristischen Bedrohung, handeln zu wirklich noch einmal nachzulesen. Jetzt kann nicht mehr dürfen. Das geht nur über eine Fortschreibung des Ver- so getan werden, als ob der jetzige Verteidigungsminis- fassungsrechts. ter nur das fortsetzen würde, was der vorherige begon- nen hat. Durch die Zäsur der Entscheidung des Bundes- Geradezu unerträglich wäre es, wenn wir, das Parla- verfassungsgerichts ist das nicht mehr möglich. ment, die Regierung, der Verteidigungsminister und die anderen Minister, auch das höchste Gericht in solchen (Beifall bei der SPD, der FDP und dem Notlagen nicht den Mut zum Handeln aufbrächten. Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- alle müssen den Mut zum Handeln aufbringen. Auf gar geordneten der LINKEN) keinen Fall darf am Schluss dem Letzten in der Befehls- Den Minister Jung möchte ich bitten, an das Nahelie- kette, dem Piloten, zugemutet werden, den Mut aufzu- gende zu denken und nicht an das Spektakulärste, womit bringen, den wir nicht haben. man Schlagzeilen produziert. Ich sage deswegen auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heute hier wieder: Flugzeugentführungen werden am Boden verhindert oder ermöglicht. Wir müssen erst da- (B) Das wäre ein Zerrbild des Rechtsstaates. ran denken und uns erst darum kümmern. (D) Wer diese Bedrohung durch den Terrorismus, durch Wie ist die Lage? Nach der jetzt geplanten Reform die Feinde des Rechtsstaates nicht ernst nimmt, wer sagt, der Bundespolizei wird nach den Aussagen von Exper- wir müssen schicksalhaft hinnehmen, was sie tun, wer ten die Bundespolizei auf den Flughäfen um etwa sagt, nur die Menschen im Flugzeug haben Menschen- 1 000 Stellen unterbesetzt sein. würde, und die Zigtausende auf dem Marienfeld, im Wie sind die Sicherheitskontrollen? Die Realtests ha- Fußballstadion oder in den Stadtzentren haben eine zu ben gezeigt: Sie sind mehr als verbesserungsbedürftig. vernachlässigende Menschenwürde oder was auch im- In der Praxis gilt es also, an dieser Stelle anzusetzen und mer, nicht bei der Frage, ob Flugzeuge abgeschossen werden (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE sollen. Angesetzt werden muss nicht beim übergesetzli- GRÜNEN]: Nein, die haben auch Menschen- chen Notstand oder beim Verfassungsbruch, sondern bei würde! Alle sind gleich!) der guten Arbeit der Sicherheitskräfte; darum muss es uns in erster Linie gehen. wer ein solches Staatsverständnis hat, der hat ein sinn- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ entleertes Staatsverständnis. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ich komme zum Schluss. Ich hoffe, dass wir ange- FDP) sichts der terroristischen Bedrohung den Ernst der Lage Ich möchte mich nicht wiederholen, sondern nur noch erkennen. Ich hoffe, dass wir alle zusammen im Parla- auf das Ergebnis zu sprechen kommen: Die Entschei- ment unsere Verantwortung spüren. Der Minister hat die dung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicher- Verantwortung, unter der er steht, wahrgenommen und heitsgesetz lässt aus meiner Sicht für den von Minister sich zu ihr bekannt. Jetzt sind wir als Parlament, als Ver- Jung vorgeschlagenen Weg keinen Raum. Es gibt keinen fassungsgeber an der Reihe, unsere Verantwortung ernst Raum für den propagierten übergesetzlichen Notstand. zu nehmen und zu prüfen, was das Parlament tun kann, um die terroristische Bedrohung zum Schutze unserer Wenn ich mir anschaue, was die Minister Schäuble Bürger wirksam in Schach zu halten. und Jung in den letzten Tagen, Wochen und Monaten vorgebracht haben, dann sage ich: Es gibt eine Summe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – von einzelnen Vorschlägen, aber keine Strategie. Weder Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Das Parla- der Innenminister noch der Verteidigungsminister ma- ment muss die Verfassung achten!) chen verfassungsfeste Vorschläge. Die Stichworte dafür 11786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Frank Hofmann (Volkach) (A) sind: gezielte Tötung von Terroristen, Aufhebung der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) Unschuldsvermutung, Einsatz der Bundeswehr im Inne- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ren und atomare Anschläge. Ich sage dazu: Terrorismus- FDP) bekämpfung ist Kriminalitätsbekämpfung und nicht Krieg, ist Polizeiarbeit und nicht Kriegshandlung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU-Fraktion. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Ich habe den Eindruck: Die beiden CDU-Minister Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol- wollen den Rechtsstaat nicht weiterentwickeln; sie wol- legin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben Ihren Re- len ihn zerschießen. debeitrag mit dem Wunsch begründet: ein bisschen we- niger Hysterie, ein bisschen mehr Ratio – und das vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dem Hintergrund, dass am Sonntagabend kein Geringe- Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!) rer als Ihr Generalsekretär Niebel vor laufenden Kame- ras gesagt hat, wenn ein solcher Befehl von Herrn Jung Sie suchen den Konflikt mit der SPD. Sie sind sich des- käme, wäre das für ihn Mord. sen bewusst, dass sie mit ihrem Vorschlag dem Koali- tionspartner SPD Schaden zufügen. Sie setzen darauf, Meine Damen und Herren, dass der Bevölkerung die Sicherheit wichtiger ist als die Mörder ist, Freiheit, wenn sie nur genügend Angst vor dem Terroris- mus schüren. – nach der Legaldefinition des § 211 Abs. 2 StGB – Sie sind mit den Verfassungsgerichtsentscheidungen (Dirk Niebel [FDP]: Ich bin halt zum Glück der letzten Jahre, zum Beispiel mit denen zur Wohn- nicht Jurist!) raumüberwachung oder zum Luftsicherheitsgesetz, nicht wer aus Mordlust, zur Befriedigung seines Ge- einverstanden und versuchen nun, das Bundesverfas- schlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedri- sungsgericht zu provozieren. Das Motto der eifrigen gen Beweggründen, heimtückisch Unionisten lautet: Durch eine entsprechende Verfas- sungsänderung möchten wir dem Bundesverfassungsge- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richt die Gelegenheit geben, seine Fehler der Vergangen- NEN]: Oder grausam!) heit zu korrigieren. – Anders formuliert: Sie möchten (B) oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln (D) das Bundesverfassungsgericht erziehen, bis es nach ih- oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder rem politischen Gusto funktioniert. Wenn jedoch eine zu verdecken, einen Menschen tötet. Erziehungsmaßnahme erforderlich ist, dann von Frau Merkel für ihren respektlosen und wildgewordenen Mi- Glaubt irgendjemand in diesem Haus außer Herrn nister. Niebel und vielleicht noch Herrn Nešković, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP (Zuruf von der LINKEN) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN so- dass sich irgendein Verteidigungsminister von den von wie des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] mir genannten Mordmerkmalen zu einer Entscheidung [DIE LINKE]) leiten lässt, die er in einem Dilemma, in einem Triage- fall, in einer ausweglosen Situation treffen muss? Gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten sind die Forderungen von Herrn Jung verantwortungslos. Er ver- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- langt ihnen gesetzwidriges Verhalten ab und setzt sie so- NEN]: Ist denn Totschlag besser, Herr Gehb? mit unnötig unter Druck. Unsere Soldaten und Soldatin- Ist Totschlag bei einem Verteidigungsminister nen machen einen schwierigen und guten Job. Hierfür besser?) haben sie jede Unterstützung verdient, nicht aber die Ge- Meine Damen und Herren, die strafrechtliche Beurtei- fahr einer strafrechtlichen Verfolgung. lung dieser Triagefälle ist seit der Entscheidung des „Brett des Karneades“, zurückgehend auf ein philoso- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- phisches Gedankengut, mehrmals über Cicero und Kant SES 90/DIE GRÜNEN) bis in die Neuzeit entschieden und in allen juristischen Und überhaupt: Wie soll denn bitte eine Einsatzstrate- Prüfungsaufgaben rauf und runter durchdekliniert wor- gie funktionieren, bei der Soldaten ihren Befehl jederzeit den. Alle kamen zu einem Ergebnis, ungeachtet der dog- verweigern könnten, weil er rechtswidrig ist? Sollen un- matischen Begründung. Heute hat man gehört: überge- sere Planungen für den Notfall ernsthaft so aussehen? setzlicher Notstand, entschuldigender Notstand, Unsere Terrorismusbekämpfungsstrategie darf nicht von rechtfertigender Notstand. – Eines stand jedenfalls fest: Aktionismus und von Angst geprägt sein. Wie mein Vor- Im Ergebnis ist, vor diese Handlungsalternative gestellt, redner Rainer Arnold gesagt hat: Besonnenheit ist besser jede Handlung, die hier zwischen Scylla und Charybdis als jede Scheinlösung. steht, jedenfalls nicht strafbar. Die alten Lateiner haben schon gesagt: Das ist nicht inculpabile, aber impunibile, Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. zwar strafwürdig, aber nicht strafbar. Und weil dieser Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11787

Dr. Jürgen Gehb (A) Weg rechtsdogmatisch so kompliziert ist, ist mit dem ganz anderes ist, wie der Handelnde später rechtlich zu (C) Luftsicherheitsgesetz der Versuch unternommen worden beurteilen ist. – es war ein Anliegen –, nicht den letzten armen Ent- (Unruhe bei der LINKEN und beim BÜND- scheidungsträger NIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist eine – Ich sehe schon: Sie verstehen es nicht. sehr mutige rechtliche Interpretation!) (Lachen bei der FDP – Wolfgang Wieland – ähnlich wie im Falle des SEK-Polizisten beim finalen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen Rettungsschuss, solange dieser nicht in den Länderpoli- sich lächerlich!) zeigesetzen geregelt war – Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Grundlage (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nothilfe ist et- ist nicht gleichbedeutend mit der Rechtswidrigkeit einer was ganz anderes!) späteren Handlung durch die Exekutive. diese Entscheidung treffen zu lassen. Damit wollte der (Zuruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- Gesetzgeber eine Regelung treffen. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich will einen letzten Satz sagen, weil ich merke, dass NEN]: Da wurde der Täter erschossen, kein meine juristische Lehrstunde bei Ihnen auf taube Ohren Unbeteiligter!) stößt. Nun hat das Bundesverfassungsgericht in seiner heute (Beifall bei der CDU/CSU) mehrmals angesprochenen Entscheidung in der Tat die- Es sind Worte gefallen wie Mörder, Verfassungsbruch, ses Gesetz auch materiell für nichtig und mit der Verfas- Sicherheitsrisiko, Brunnenvergifter. Ich bin sicherlich sung nicht vereinbar gehalten. kein Kind von Traurigkeit, auch nicht in meiner sprach- (Dirk Niebel [FDP]: Also doch!) lichen Schärfe. Aber jetzt, Herr Westerwelle, nicht nur mit dem Gesetz- (Zuruf von der FDP: Das ist wahr!) buch wedeln! Ich will Ihnen einmal fast auswendig sa- Aber die politischen Konkurrenten oder gar Gegner von gen, was die Richter aus Karlsruhe in der Randnummer heute könnten die Partner von morgen sein. 130 ausführen: (Zurufe von der SPD: Uh!) Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleich- Wenn wir der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, wir (B) wohl erfolgter Abschuss und die darauf bezogene (D) würden uns hier gegenseitig als Mörder oder als Brun- Anordnung strafrechtlich zu würdigen wären. nenvergifter bezeichnen, Klammer auf: mehrere Literaturhinweise. Dieses Obiter (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Dictum zeigt, – Das haben wir doch gar nicht!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE dann kann ich nur Ihren Appell, Frau Leutheusser- GRÜNEN]: Strafrechtlich, Herr Kollege!) Schnarrenberger, wiederholen, aber vor einem ganz an- wie weise die Bundesverfassungsrichter waren. Sie ha- deren Hintergrund: dass wir verbal ein bisschen abrüsten ben geradezu befürchtet, dass sich eine unsägliche Dis- und es uns gegenseitig nicht vorwerfen, wenn wir in ei- kussion anschließen wird, und mit der Aufhebung des ner schwierigen Situation nach gemeinsamen demokrati- Luftsicherheitsgesetzes ist der Status quo ante wieder- schen Lösungenzu suchen. hergestellt. Im Grunde genommen ist die Exekutive wie- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der in die Grauzone des Strafrechts zurückgeworfen NEN]: Die schärfste Rede kam doch von ei- worden, und die Verfassungswidrigkeit lautet nicht – Sie nem Partner von heute, von Herrn Hofmann!) finden dazu keinen einzigen Satz –, dass der Abschuss von Flugzeugen verboten ist, sondern verfassungswidrig Darum bitte ich Sie alle, meine Damen und Herren in ist die vom Gesetzgeber generell abstrakt getroffene Er- diesem Hause. mächtigungsgrundlage. Der Gesetzgeber soll keine Herzlichen Dank. Carte blanche a priori geben können, indem man ir- gendeinen Fall antizipiert und Maschinen zum Abschuss (Beifall bei der CDU/CSU) freigibt. Das gilt übrigens auch bei den anonymen Vater- schaftstests, wo das Bundesverfassungsgericht gesagt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hat, – – Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der Kollege Jörn Thießen von der SPD-Fraktion das Wort. (Lachen bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das über- zeugt mich jetzt! – Zurufe von der FDP) Jörn Thießen (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- – Jawohl, nur damit Sie es verstehen. – Da hat das Bun- gen! Ich bin in meinem vorherigen Leben Pastor in desverfassungsgericht gesagt: Die gesetzliche Schaffung Hamburg-Barmbek gewesen. Mir sind manchmal Men- einer solchen Grundlage ist verfassungswidrig. Etwas schen begegnet, die ihre moralischen Probleme durch 11788 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

Jörn Thießen (A) starke Sprüche überdecken wollten. In dieser Debatte lemma, für wen auch immer. Die sogenannte ganz außer- (C) sind es gelegentlich, Kollege Gehb und Kollege Uhl, ordentliche Extremsituation ist eben ganz außerordent- auch halbstarke Sprüche gewesen, mit denen manche lich und kann niemals in einen ordentlichen Gesetzestext moralischen Probleme überdeckt worden sind. gepresst werden. Nennen Sie mir bitte – diejenigen, die es wollen – eine einzige Formulierung, über die wir dis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kutieren können! Nennen Sie eine Formulierung, die es der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- uns ermöglicht, aus dem gewollten Dilemma, Leben SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ nicht gegen Leben setzen zu dürfen, herauszukommen! CSU: Ein schwacher Einstieg!) Wir werden diese Formulierung miteinander nicht fin- Denn eines bleibt doch klar: Zu Recht sprechen wir in den. dieser Debatte von Handlungsdruck und von Verantwor- (Beifall bei der SPD, der FDP und dem tung. Sie sprechen von einer Regelungslücke. Es ist eine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ernste Debatte, die wir hier führen. Aber wir sollten sie nicht im Focus führen, sondern in den Gremien des Diese möglichen Situationen müssen ausgehalten Deutschen Bundestages, denn dort gehört sie hin. werden. Sie müssen von Amtsträgern ausgehalten wer- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – den, also auch vom Bundesminister der Verteidigung, [CDU/CSU]: Wo sind wir der sich im Zweifel schuldig macht, moralisch und juris- denn heute?) tisch. Danach wird es ein Verfahren geben, und der Amtsträger wird sich verantworten; das ist auch richtig Das Parlament ist der Ort, an dem wir uns mit diesem so. Thema schon länger beschäftigen und auch weiterhin sine ira et studio beschäftigen sollten. Ich rate dazu, in dieser Debatte keine falschen Kon- flikte zu fördern, auch dazu, die Soldatinnen und Solda- (Jürgen Koppelin [FDP]: Das habt ihr doch ten zu entlasten, aber eines nicht vorzugeben: dass es uns heute Morgen abgelehnt!) jemals gelingen könnte, das elementare Problem, dass Leben nicht gegen Leben abgewogen werden darf, durch Wir haben, Kollege Koppelin, bisher auch im Parlament eine Formel zu lösen. Herr Kollege Uhl, Sie sprechen eine gute Debatte geführt, zu der Sie gelegentlich sogar von einem Flugzeug oben und dem Papst auf dem das eine oder andere Gute beigetragen haben. Marienfeld unten. Wer ist denn wertvoller im Angesicht (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wollen Sie ihn des Staates? – Das kann und darf ich nicht definieren! fertigmachen?) (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das ist doch (B) – Wir konkurrieren ja im gleichen Wahlkreis, Herr gar nicht die Frage!) (D) Dr. Westerwelle. Wer ist wertvoller, wenn ein Kindergarten, ein Jugendla- Ich habe 1999 in Piacenza jungen Piloten ins Auge ger oder das deutsche Parlament bedroht ist? Eines ist geschaut, die auf dem Wege zu Flugangriffen im Kosovo doch klar: Wir wollen das nicht abwägen. waren. Ich weiß, was das für eine riesige Verantwortung bedeutet – für den Bundesminister der Verteidigung, für Der Bestand unserer demokratischen Grundordnung, die militärisch Verantwortlichen, für das Parlament. um den es im Art. 91 des Grundgesetzes geht, wird Eines ist dabei uns allen klar: Diese Piloten sitzen am durch eine solche furchtbare Katastrophe im Zweifel Steuerknüppel; aber an den Hebeln der Politik und der nicht gefährdet werden – der Bestand unserer demokrati- Entscheidung sitzen andere. Auf dem Rücken der Pilo- schen Grundordnung. Wir brauchen jetzt keine Eilkom- ten – da sind wir uns doch einig, und da müssen wir eine petenz für irgendjemanden, sondern sollten die Kompe- Lösung finden – dürfen die Probleme nicht ausgetragen tenz dieses Hauses nutzen. Die SPD hat Vorschläge werden. Die Piloten müssen geschützt werden. gemacht, und dazu stehen wir. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Vielen Dank. Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Stephan (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Eisel [CDU/CSU]: Aha!) der FDP) Das kann in der Tat ein Luftsicherheitsgesetz tun. Ich habe dem damaligen – da war ich Beamter und habe Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schweigen sollen, wollen, dürfen und müssen – kritisch Die Aktuelle Stunde ist beendet. gegenübergestanden. Aber die SPD hat zur Änderung des Art. 35 des Grundgesetzes Vorschläge gemacht, die Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Bundeswehr und Polizei als Amtshilfe miteinander ver- ordnung. binden. Diese Vorschläge sollten wir miteinander beden- ken. Sie liegen auf dem Tisch, und dazu ist die SPD be- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- reit. destages auf morgen, Donnerstag, den 20. September 2007, 9 Uhr, ein. (Beifall bei der SPD) Die Sitzung ist geschlossen. Ein solches Luftsicherheitsgesetz kann helfen. Aber wo hilft es nicht? Es löst kein einziges moralisches Di- (Schluss: 17.16 Uhr) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11789

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Berichtigung (C) 113. Sitzung, Seite 11737, (C) 1. Absatz, der vierte Satz ist wie folgt zu lesen: „Manche mögen vielleicht sa- gen, das sei nur Doppik oder Technik.“

(B) (D)

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst oder der Gruppe Fernmeldewesen; des Bundesgrenzschutzes) instal- Liste der entschuldigten Abgeordneten liert und noch bis mindestens 18. Oktober 1977 in Betrieb wa- ren (vergleiche Der Spiegel vom 9. September 2007), und wie bewertet die Bundesregierung bejahendenfalls die Erkennt- nisse aus diesem Abhören? entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Die Bundesregierung hat derzeit keine Hinweise da- rauf, dass im Jahr 1977 in Zellen im 7. Stock der Justiz- Adam, Ulrich CDU/CSU 19.09.2007* vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim vom Generalbun- desanwalt, dem Bundeskriminalamt oder der „Gruppe Bodewig, Kurt SPD 19.09.2007** Fernmeldewesen“ des Bundesgrenzschutzes Abhörmaß- nahmen initiiert oder durchgeführt worden sind oder Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 19.09.2007 diese Stellen an entsprechenden Maßnahmen beteiligt DIE GRÜNEN waren. Auch bestehen keine Hinweise, dass diese Stellen Kenntnisse über Abhörmaßnahmen anderer Dienststel- Dzembritzki, Detlef SPD 19.09.2007 len gehabt haben. Ernst, Klaus DIE LINKE 19.09.2007

Gröhe, Hermann CDU/CSU 19.09.2007 Anlage 3 Antwort Kressl, Nicolette SPD 19.09.2007 der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage des Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 19.09.2007 Abgeordneten Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN GRÜNEN) (Drucksache 16/6367, Frage 6): Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 19.09.2007 Wann entscheidet die Bundesregierung über die Federfüh- rung eines Bundesministeriums bei der Problematik „Lärmbe- lästigung durch Speedboote in der Lübecker Bucht“, um die Leibrecht, Harald FDP 19.09.2007 Unklarheiten in der Kompetenzverteilung zwischen dem Bun- desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und (B) Nitzsche, Henry fraktionslos 19.09.2007 dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- (D) torsicherheit zu beenden und die Problematik inhaltlich in Ab- Pflug, Johannes SPD 19.09.2007* stimmung mit allen Beteiligten zu lösen?

Rachel, Thomas CDU/CSU 19.09.2007 An die genannten Bundesministerien sind Beschwer- den von Bürgerinitiativen und von einzelnen Bürgerin- Raidel, Hans CDU/CSU 19.09.2007** nen und Bürgern über Lärmbelastungen durch besonders stark motorisierte und schnelle Sportboote, sogenannte Rawert, Mechthild SPD 19.09.2007 Speedboote, in der Lübecker Bucht herangetragen wor- den. Durch die Festlegung einer Höchstgeschwindigkeit Scholz, Olaf SPD 19.09.2007 von 15 Kilometer pro Stunde für ausgewiesene küsten- nahe Bereiche der Lübecker Bucht wurde seitens des Strothmann, Lena CDU/CSU 19.09.2007 Bundes eine Maßnahme zur Gewährleistung von Sicher- heit und Leichtigkeit des Verkehrs ergriffen, von der Wegner, Kai CSU/CDU 19.09.2007 auch weiter zu verfolgende Beiträge zur Verringerung von Lärmbelastungen erwartet werden.

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union Weitere Handlungsoptionen werden derzeit geprüft. ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- In die Prüfungen sollen auch die Ergebnisse eines Ge- sammlung der NATO sprächs einfließen, das in Kürze auf Vorschlag des Bun- desumweltministeriums mit Abgeordneten aus der be- troffenen Region, dem Bundesverkehrsministerium und Anlage 2 Vertretern einer örtlichen Bürgerinitiative geführt wird. Antwort Die federführende Zuständigkeit für Maßnahmen zur des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Frage Verminderung oder Vermeidung spezifischer Lärmpro- des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- bleme durch Sportboote bestimmt sich nach den rechtli- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6367, Frage 1): chen und fachlichen Zuständigkeiten für die jeweilige Maßnahme, insbesondere aufgrund der Ermächtigungen Bestätigt die Bundesregierung, dass im Jahr 1977 in Zel- zum Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungs- len im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim im 7. Stock Abhör- anlagen mit Kenntnis oder Unterstützung von Bundesbehör- vorschriften in den einschlägigen gesetzlichen Regelun- den (Generalbundesanwalt, Bundeskriminalamt, Bundesamt gen. 11792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

(A) Anlage 4 Anlage 6 (C) Antwort Antwort

des Staatssekretärs Ulrich Wilhelm auf die Frage des des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die Abgeordneten Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE Fragen der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6367, Frage 9): LINKE) (Drucksache 16/6367, Fragen 12 und 13): Welche Kosten sind durch die neue Büroeinrichtung des Welche Lobbyisten bzw. Vertreter von Interessenvereini- Chefs des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- gungen haben an der Entwicklung des Gesetzentwurfs zum rung, Staatsekretär Ulrich Wilhelm, und des Stellvertretenden Waffenrechtsänderungsgesetz 2007 mitgearbeitet, und waren Chefs des Presse- und Informationsamtes der Bundesregie- Lobbyisten bzw. Vertreter von Interessenvereinigungen direkt rung, Michael Sternecker, jeweils entstanden, und warum wurde die vom ehemaligen Regierungssprecher Béla Anda in im Bundesministerium des Innern mit der Gesetzesnovellie- der letzten Legislaturperiode beschaffte hochwertige Einrich- rung befasst? tung ersetzt? Flossen in der Zeit von 2003 bis 2007 Sponsoringmittel an Bundesbehörden von Lobbyisten bzw. Vertretern von Interes- Die Büroeinrichtung des Chefs und des Stellvertreten- senvereinigungen, die von einer Entschärfung des geplanten den Chefs des Presse- und Informationsamtes der Bun- Waffenrechtsänderungsgesetzes profitieren könnten? desregierung ist nicht neu, sondern wurde bereits 1999 anlässlich des Erstbezuges des Bürogebäudes beschafft. Zu Frage 12: Danach wurde das Mobiliar weder bei dem Wechsel frü- herer Staatssekretäre noch nach der Amtsübernahme Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der aktuelle Ar- durch Staatssekretär Ulrich Wilhelm ersetzt. Das gleiche beitsentwurf des Waffenrechtsänderungsgesetzes noch gilt für das Büro des Stellvertretenden Chefs. Staatsse- keine Kabinettsreife erlangt hat; er befindet sich zurzeit kretär Wilhelm hat die Einrichtung lediglich um ein drei- in dem nach § 47 Abs. 1 der Gemeinsamen Geschäfts- sitziges Sofa der schon vorhandenen Produktion sowie ordnung der Bundesministerien vorgesehenen Stadium um zwei Schränke für Handakten ergänzt. Die Kosten für der Beteiligung von Ländern und Verbänden. diese Beschaffungen betrugen insgesamt 8 477,77 Euro. Das Bundesministerium des Innern steht, so wie es Ministerialdirektor Sternecker hat die vorhandene auch in anderen Rechtsbereichen üblich ist, in Kontakt Einrichtung um eine Sitzgarnitur mit Glastisch und einen mit den Interessenvereinigungen, die von den Auswir- orthopädischen Bürodrehstuhl erweitert. Die Beschaf- kungen gesetzlicher Änderungen im Waffenrecht betrof- fungskosten dafür betrugen insgesamt 3 224,12 Euro. (B) fen sind. Hauptansprechpartner ist dabei das Forum (D) Waffenrecht e. V., ein Zusammenschluss der Sportschüt- zenverbände, Waffenhersteller, Waffenhändler, Waffen- Anlage 5 sammler und Jäger. Nähere Informationen zu den im Forum Waffenrecht e. V. organisierten zahlreichen Ver- Antwort bänden und Mitgliedern sind auf der Internetseite des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragen www.fwr.de abrufbar. Darüber hinaus wurden beispiels- der Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ weise auch die Wassersportverbände (Bundesverband DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6367, Fragen 10 und 11): Wassersportwirtschaft e. V., Fachverband Seenotret- tungsmittel e. V., Deutscher Motoryachtverband e. V.) Sieht die Bundesregierung nach der Einigung in der Post- wegen der Regelung des Sachkundenachweises beim branche zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienste e. V. (AGV) und der Gewerkschaft Verdi über einen Mindestlohn Umgang mit Signalpistolen beteiligt. Grundsätzlich gilt, und deren Beschluss, die Allgemeinverbindlichkeit beim dass Anliegen von Interessenvereinigungen im Bereich Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu beantragen, die des Waffenrechts nur Berücksichtigung finden können, von der Regierungskoalition ausgehandelten Voraussetzungen erfüllt, sodass wie beabsichtigt zum 1. Januar 2008 durch die soweit Sicherheitsbelange dadurch nicht beeinträchtigt Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine bran- werden. Der Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Ände- chenweite Geltung erreicht werden kann? rung des Waffenrechts und weiterer Vorschriften (Waf- Wenn nein, welche Voraussetzungen sieht die Bundes- fenrechtsänderungsgesetz) wurde im Bundesministerium regierung konkret nicht erfüllt, und wie beurteilt sie vor die- des Innern von dem Fachreferat erarbeitet, das für das sem Hintergrund die Chancen, dass zeitgleich mit dem Fall Waffenrecht zuständig ist. Lobbyisten bzw. Vertreter von des Briefmonopols ein Mindestlohn in der Postbranche einge- Interessenvereinigungen waren mit der Erstellung des führt wird? Gesetzentwurfs im Bundesministerium des Innern nicht Der Arbeitgeberverband Postdienste e. V. und Verdi befasst. haben mit Schreiben vom 11. September 2007 die Auf- nahme in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Ent- Zu Frage 13: sendegesetzes beantragt. Die Bundesregierung hat am 19. September 2007 einen Gesetzentwurf zur Einbezie- Der Bundesregierung liegen hierfür nach Prüfung der hung der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Ent- im Bereich des Bundesministeriums des Innern und des sendegesetz beschlossen. Die Bundesregierung strebt ei- Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie er- nen zügigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens an. fassten Sponsorleistungen keine Anhaltspunkte vor. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11793

(A) Anlage 7 dienst einberief, obwohl das BAZ zuvor dessen Kriegsdienst- (C) verweigerungsantrag vom 13. Juli 2007 entgegen § 2 Abs. 6 Antwort Satz 2 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes vor Unanfecht- barkeit seines Musterungsbescheids befasst hatte und eine ge- des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen gen diesen gerichtete Klage vom 24. November 2006 bis der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) heute unbeschieden beim Verwaltungsgericht Schleswig unter (Drucksache 16/6367, Fragen 16 und 17): dem Aktenzeichen 7 A 181/06 anhängig ist, und wie wird die Bundesregierung das Bundesamt für den Zivildienst nun kon- Wurde gemäß der Anordnung des Bundesamtes für Ver- kret anweisen, dem öffentlich-rechtlichen Folgenbeseiti- braucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vom gungsanspruch dieses zweimal rechtswidrig behandelten 27. April 2007 ein Monitoringplan für MON 810 durch die Kriegsdienstverweigerers praktisch zu entsprechen, etwa in- Firma Monsanto eingereicht, und entspricht er den fachlichen dem trotz § 35 des Wehrpflichtgesetzes, § 74 Abs. 2 des Zivil- Vorgaben des BVL? dienstgesetzes die unrechtmäßig ergangene Einberufung wi- Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu der derrufen – statt nur ausgesetzt – wird und bis zur Frage, ob die Einschätzung der Risiken, die der Anordnung Unanfechtbarkeit des Musterungsbescheids bzw. bis Ende des der Monitoringpflichten für Monsanto zugrunde liegen, auch Rechtswegs auch keine neue Einberufung ergeht? in den gentechnisch veränderten Mais-Freisetzungsversuchen der Firma Pioneer (Az. 6786-01-0179, 0180, 0181) zur nach- Für die Behandlung eines KDV-Antrages ist grund- träglichen Auflage der Beobachtung dieser nunmehr bekann- sätzlich danach zu unterscheiden, ob ein Musterungs- ten Risiken für Nichtzielorganismen und Bodenorganismen bescheid oder ein Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid führen müssen? zugrunde liegt. Liegt noch kein bestands- oder rechts- kräftiger Musterungsbescheid vor, dann soll der KDV- Zu Frage 16: Antrag nicht an das Bundesamt für den Zivildienst wei- Die Firma Monsanto hat einen Monitoringplan für tergeleitet werden. Existiert hingegen – wie im vorlie- MON 810 beim Bundesamt für Verbraucherschutz und genden Fall – schon ein bestands- oder rechtskräftiger Lebensmittelsicherheit (BVL) eingereicht. Dieser Moni- Musterungsbescheid sowie ein Tauglichkeitsüberprü- toringplan wurde als Teil des Antrages auf Verlängerung fungsbescheid, der sich noch im Streit befindet, dann der Genehmigung des Inverkehrbringens bei der EU ein- hindert dies nicht die Weiterleitung des KDV-Antrages gereicht. Die von Monsanto eingereichten Unterlagen an das Bundesamt für den Zivildienst sowie die Ent- werden derzeit daraufhin untersucht, ob die Anforderun- scheidung über den KDV-Antrag (Brecht, Kriegsdienst- gen des Bescheides des BVL erfüllt werden. verweigerung und Zivildienst, Kommentar, 5. Auflage C. H. Beck München 2004, § 3 Anm.13). Dies ist der Zu Frage 17: Fall bei dem Zivildienstpflichtigen L. Er wurde mit Be- scheid vom 15. März 2004 tauglich gemustert. Auch der Die Frage zielt auf die Erforderlichkeit der Anord- Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid vom 12. Juli 2006 (B) nung von Monitoringpflichten bei experimentellen Frei- hat zu keinem anderen Ergebnis geführt. Insofern hat das (D) setzungsexperimenten und hier insbesondere der ange- Kreiswehrersatzamt den zweiten, am 13. Juli 2007 ge- sprochenen Freisetzungsexperimente der Firma Pioneer stellten, KDV-Antrag zu Recht an das Bundesamt für ab. Die Bundesregierung ist in Übereinstimmung mit den Zivildienst weitergeleitet. Seine Anerkennung als den Vorschriften der Richtlinie 2001/18/EG der Auffas- KDV erfolgte mit Bescheid vom 8. August 2007. sung, dass zwischen den Überwachungsmaßnahmen bei zeitlich und räumlich begrenzten Freisetzungen von Eine Einberufung des Herrn L. war auch unmittelbar GVO und dem Monitoring von GVO, deren Inverkehr- durch das Bundesamt zu veranlassen. Der Zivildienst- bringen genehmigt werden soll, zu unterscheiden ist. Bei pflichtige hat aufgrund einer durch das Kreiswehrersatz- Freisetzungen werden Entscheidungen und Maßnahmen amt gewährten Zurückstellung, des Tauglichkeitsüber- für den jeweiligen Einzelfall entschieden, der es erlaubt, prüfungsverfahrens sowie von zwei durchgeführten Spezifikationen des Standortes zu berücksichtigen. Ge- KDV-Anerkennungsverfahren (sein erster Antrag vom nehmigungen zum Inverkehrbringen von GVO sind 5. Dezember 2006 wurde wegen Nichtvorlage erforder- nicht in gleicher Weise zeitlich und räumlich begrenzt licher Unterlagen mit Datum von 20. April 2007 abge- und sind daher durch entsprechendes, großräumiges Mo- lehnt) seine Einberufung so weit herausgezögert, dass er nitoring zu begleiten. kurz vor Vollendung der Altersgrenze steht. Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 Zivildienstgesetz ist bei einer erfolgten Zu- rückstellung eine Einberufung nur dann möglich, wenn Anlage 8 das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet wurde. Herr L. wird im November 2007 25 Jahre alt und könnte danach Antwort aus rechtlichen Gründen nicht mehr zum Zivildienst ein- des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die berufen werden, was einem Verzicht gleichkäme. Aus Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ diesem Grund hat das Bundesamt die Einberufung des DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/6367, Frage 21): Herrn L. zum 16. Oktober 2007 veranlasst. Eine Anfech- Wie erklärt die Bundesregierung, dass entgegen ihrer Ant- tungsklage gegen einen Tauglichkeitsüberprüfungsbe- wort vom 7. September 2007 auf die schriftliche Frage Ar- scheid hat im Übrigen gemäß § 74 Absatz 2 Zivildienst- beitsnummer 8/184 auf Bundestagsdrucksache 16/6368 des gesetz keine aufschiebende Wirkung gegen den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, wonach ihr keine Einberufungsbescheid. Somit ist kein rechtswidriges Zivildiensteinberufungen anerkannter Kriegsdienstverweige- Handeln des Bundesamtes für den Zivildienst zu erken- rer vor Unanfechtbarkeit ihrer Musterungsbescheide bekannt seien, das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) tags zuvor nen und es besteht auch kein Anlass, einen Folgenbesei- am 6. September 2007 den Wehrpflichtigen G. L. zum Zivil- tigungsanspruch zu prüfen. 11794 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007

(A) Anlage 9 Anlage 11 (C) Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Rolf Schwanitz auf die Frage des Parl. Staatssekretärs Rolf Schwanitz auf die Fragen des Abgeordneten Frank Spieth (DIE LINKE) (Druck- der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) sache 16/6367, Frage 22): (Drucksache 16/6367, Fragen 25 und 26): Weshalb hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Warum ist nach Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsände- kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 8. Januar 2007 rungsgesetzes (VÄndG) am 1. Januar 2007 der tierärztliche (Bundestagsdrucksache 16/4006) und in ihrem Schreiben an Berufsstand der einzige akademische Heilberuf, für den – ent- die Hepatitis-C-Betroffenenverbände vom 28. August 2007 sprechend der Regelung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 der Bundes- über die Anzahl der anerkannten Fälle nach dem Anti-D-Hil- Tierärzteordnung (BTÄO) – in den neuen und alten Bundes- fegesetz (1 256 in der kleinen Anfrage zu 2 474 in dem oben ländern noch unterschiedliche Gebühren gelten? genannten Schreiben) unterschiedlich hohe Zahlen genannt, Welche Maßnahmen zur Beseitigung dieser Ungleichheit die auch durch die Unvollständigkeit der Angaben nicht er- – die auf die Berücksichtigung des Verhältnisses der für das klärbar sind, und welche entsprechen nicht der Realität? genannte Gebiet bestimmten Bezugsgröße der Sozialversiche- rung zu der Bezugsgröße für das Gebiet, in dem das Grund- Es wurden unterschiedlich hohe Zahlen genannt, weil gesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat, zurückzuführen die Antworten der Länder, denen die Kleine Anfrage am ist – sieht die Bundesregierung vor, und wenn nicht, warum 21. Dezember 2006 übersandt wurde, unvollständig wa- nicht? ren. Darauf war in der Antwort auf die Kleine Anfrage auch ausdrücklich hingewiesen worden. Die mit Schrei- Zu Frage 25: ben vom 28. August 2007 übermittelten Zahlen basieren Sie sprechen einen Sachverhalt an, bei dem die Bun- auf vollständigen Meldungen aller Länder. desregierung bereits im Jahre 2005 im Interesse der Tier- ärztinnen und Tierärzte in den neuen Ländern tätig ge- Anlage 10 worden ist. Ermächtigungsgrundlage für den Erlass oder für Änderungen der Gebührenordnung für Tierärzte ist Antwort § 12 der Bundes-Tierärzteordnung. Mit dem Ersten Ge- des Parl. Staatssekretärs Rolf Schwanitz auf die Fragen setz zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung vom der Abgeordneten Sibylle Laurischk (FDP) (Drucksa- 15. April 2005 haben wir in § 12 der Bundes-Tierärzte- che 16/6367, Fragen 23 und 24): ordnung die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Höhe der Vergütung für tierärzliche Leistungen in regel- Wie viele Eltern, aufgeschlüsselt in Väter und Mütter, ha- ben an wie vielen Tagen im Jahr 2006 Krankengeld für die mäßigen Abständen an die wirtschaftliche Entwicklung Freistellung bei Erkrankung ihres Kindes erhalten? anzupassen. Dieses Gesetz hat im Januar 2005 fraktions- übergreifend Zustimmung gefunden. (B) Welche Kosten sind den Krankenkassen im Jahr 2006 (D) durch die Inanspruchnahme der Freistellung von Beschäftig- Nach dem Gesetz ist das Verhältnis der für das Bei- ten für die Betreuung ihres kranken Kindes entstanden, und trittsgebiet geltenden Bezugsgröße – in § 18 SGB IV – wie verhalten sich diese zu den Kosten der Jahre 2003 bis zu der für das Gebiet der „alten“ Bundesrepublik 2005 (vergleiche auch Artikel „Auszeit für die Pflege“ in der FA Z vom 31. August 2007)? Deutschland geltenden Bezugsgröße zu berücksichtigen. Die aufgrund dieses Gesetzes erlassene Erste Verordnung Zu Frage 23: zur Änderung der Gebührenordnung für Tierärzte vom In der GKV-Statistik wird nicht die Zahl der Eltern, 27. April 2005 diente dazu, das Einkommen aus tierärzt- sondern die Zahl der Leistungsfälle und Leistungstage licher Tätigkeit im Beitrittsgebiet im Verhältnis zu ande- bei Erkrankung eines Kindes erfasst (Väter und Mütter ren freien Berufen aufgrund der allgemeinen Entwick- können mehrfach im Jahr eine Freistellung bei Erkran- lung in den neuen Ländern entsprechend anzupassen. kung des Kindes erhalten). Diese fallen für das Jahr In § 10 Abs. 1 der Gebührenordnung für Tierärzte ist 2006 wie folgt aus: demgemäß eine Anhebung der Gebühren für tierärztliche Leistungen im Beitrittsgebiet von 84 vom Hundert auf Leistungsfälle und Leistungszeiten (Tage) 90 vom Hundert des Westniveaus vorgenommen worden. bei Erkrankung eines Kindes Die Umsetzung und Auswirkungen der geänderten Rege- Leistungsfälle Leistungstage lungen in der Praxis, insbesondere auf die allgemeine Mehrbelastung der Nutztierhaltung, waren zunächst abzu- Männlich 152 236 399 686 warten. Forderungen der Tierärzteschaft nach Überprüfung Weiblich 804 896 2 065 322 der geltenden Regelungen sind auch erstmalig Ende August 2007 an das Bundesministerium für Gesundheit herange- Zusammen 957 132 2 465 008 tragen worden. Es wird nun zu prüfen sein, ob weiterhin sachliche Gründe eine unterschiedliche Gebührenerhe- Zu Frage 24: bung der Tierärzte in den neuen und alten Ländern recht- Im Jahr 2006 wurden 96,5 Millionen Euro an Kran- fertigen. kengeld für die Betreuung von kranken Kindern gezahlt. Die Ausgaben der Vorjahre fielen wie folgt aus: Zu Frage 26: Die Ermächtigung in § 12 Abs. 2 der Bundes-Tierärz- 2005 102,9 Millionen Euro teordnung zur Anpassung der Gebühren für tierärztliche 2004 92,9 Millionen Euro Leistungen richtet sich an das Bundesministerium für Gesundheit. Hier lagen konkrete Anhaltspunkte für eine 2003 101,9 Millionen Euro sachliche Ungleichbehandlung nach der erst 2005 er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2007 11795

(A) folgten Anpassung bislang nicht vor. Die Zuständigkeit Trifft es zu, dass die Bundesregierung einer Bombardie- (C) für die Veterinärberufe wird demnächst auf das Bundes- rung des iranischen Atomprogramms durch die USA „privat ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- zustimmen aber öffentlich protestieren“ würde, wie der US- cherschutz übergeben. Unter Berücksichtigung der ver- amerikanische Nachrichtensender FoxNews am 12. Septem- schiedenen Einflussgrößen, die für die wirtschaftliche ber 2007 berichtete und die österreichische Tageszeitung Der Entwicklung im Beitrittsgebiet maßgeblich sind, wird Standard zitierte? nach nunmehr zweijähriger Erfahrung mit der geänder- Trifft es zu, dass die US-Regierung einen Militärschlag ten Gebührenreglung mit allen Beteiligten überprüft, in- gegen den Iran erwägt, nachdem Deutschland seine Unterstüt- wieweit eine vollständige Angleichung der Gebühren für zung für härtere Sanktionen gegen Teheran zurückgezogen tierärztliche Leistung an das Westniveau sachlich ge- hat, um die deutschen Handelsbeziehungen mit dem Iran nicht rechtfertigt und vertretbar ist. In diesem Zusammenhang zu gefährden? wird auch die Frage einer Entkoppelung von der Bezugs- größe zu prüfen sein. Zu Frage 29: Die der Frage zugrunde liegende Behauptung ist aus Anlage 12 der Luft gegriffen und abwegig. Antwort Zu Frage 30: des Staatsministers Günter Gloser auf die Fragen der Abgeordneten Monika Knoche (DIE LINKE) (Druck- Der Bundesregierung sind Erwägungen, wie sie der sache 16/6367, Fragen 29 und 30): Frage zugrunde liegen, nicht bekannt.

(B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980