Rechter Terror – Warum Wir Eine Neue Sicherheitsdebatte Brauchen
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BAND 61 Rechter Terror Warum wir eine neue Sicherheitsdebatt e brauchen Kuratiert von Sarah Ulrich und Sarah Schwahn Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung RECHTER TERROR SCHRIFTEN ZUR DEMOKRATIE BAND 61 Rechter Terror Warum wir eine neue Sicherheitsdebatte brauchen Kuratiert von Sarah Ulrich und Sarah Schwahn Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung Diese Publikation wird unter den Bedingungen einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de Eine elek tro nische Fassung kann her- untergeladen werden. Sie dürfen das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen. Es gelten folgende Bedingungen: Namensnennung: Sie müssen den Namen des Autors / Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck entstehen darf, Sie oder die Nutzung des Wer- kes durch Sie würden entlohnt). Keine kommerzielle Nutzung: Dieses Werk darf nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Keine Bearbeitung: Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer Weise verändert werden. Rechter Terror – Warum wir eine neue Sicherheitsdebatte brauchen Band 61 der Schriftenreihe Demokratie Kuratiert von Sarah Ulrich und Sarah Schwahn Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung Gestaltung: feinkost Designnetzwerk, C. Mawrodiew (basierend auf Entwürfen von State Design) Druck: ARNOLD group, Großbeeren Titelfoto: © Tim Wegner – laif ISBN 978-3-86928-231-2 Bestelladresse: Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin T +49 30 28534-0 F +49 30 28534-109 E [email protected] W www.boell.de INHALT Vorwort 7 Einleitung 9 TEIL I – RECHTER TERROR: Kontinuitäten, Strukturen und Vernetzung Caro Keller Gefangen in der Zeitschleife? Konjunkturen und Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland 16 Vincent Bababoutilabo, Laura Frey und Doris Liebscher Kein Schlussstrich – Der NSU war nicht zu dritt 23 Karolin Schwarz Extrem rechtes Netz 31 Alexander Ritzmann und Hans-Jakob Schindler Die neue transnationale Dimension des Rechtsextremismus 35 TEIL II – RECHTE IDEOLOGIEN: Anschlussfähigkeit in Gesellschaft und Sicherheitsbehörden Christina Schmidt und Sebastian Erb Rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden 44 Oliver von Dobrowolski im Interview mit Sarah Ulrich Rassismus bei der Polizei: «Die Dunkelziffer ist viel höher» 51 Heike Kleffner Der Rechtsstaat lässt die Angegriffenen im Stich 58 Stephan J. Kramer im Interview mit Sarah Schwahn Der Verfassungsschutz: Abschaffen oder reformieren? 66 Malene Gürgen Die AfD und neurechte Ideologie als Motor rechter Gewalt 74 Stefan Dietl Prekäre Arbeit und soziale Unsicherheit: Die Vereinnahmung sozialer Fragen von rechts 80 Natascha Strobl Vom «Großen Austausch» zum «Great Reset»: Wie Verschwörungsideologien populär werden 87 Gesine Agena und Judith Rahner Antifeminismus, gewaltbereiter Rechtsextremismus und Geschlecht 92 TEIL III – ERINNERN HEISST VERÄNDERN: Sicherheit in einer offenen und pluralen Gesellschaft neu denken Erkan Zünbül im Interview mit Sarah Ulrich Die Kriminalisierung migrantischer Orte als rassistische Praxis 100 Mehmet Gürcan Daimagüler Systemversagen in den Sicherheitsinstitutionen: (Was) Haben wir aus dem NSU gelernt? 107 Schohreh Golian, Paula Straube und Lina Schmid Racial Profiling und Widerstand: Zivilgesellschaftliche Strategien gegen institutionellen Rassismus bei den Strafverfolgungsbehörden 114 Irene Mihalic und Astrid Jacobsen im Gespräch mit Sarah Schwahn Licht ins Dunkel bringen: Studien zu Rassismus in der Polizei 121 Kati Lang Recht gegen Rechts: Was muss sich in Rechtsprechung und Justiz ändern? 127 Newroz Duman und İbrahim Arslan Von Mölln bis nach Hanau: Erinnern heißt verändern 131 Anhang Die Autor:innen 139 VORWORT Sicherheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Staatliche Sicherheitsorgane wie Poli- zei, Grenzschutz, Bundeswehr, Verfassungsschutz arbeiten weitgehend zuverläs- sig – das zumindest ist das Bild, das gerne transportiert wird. Aber Sicherheit gibt es in Deutschland nicht für alle Menschen und vor allem nicht für alle Menschen glei- chermaßen. Gewalt und Bedrohung gehören in Deutschland für viele zum Alltag. Frauen, nicht-weiße Menschen, Jüd:innen, Sinti:zze und Rom:nja, Muslim:innen, Migrant:innen oder queere Menschen können sich an vielen Stellen nicht sicher fühlen, sei es im eigenen Zuhause, an öffentlichen Orten oder auch im digitalen Raum. Sie können auch jederzeit Opfer rassistischer Gewalt oder willkürlicher Poli- zeimaßnahmen wie Racial Profiling werden. Es sind oft gerade diese Menschen, die sich nicht uneingeschränkt auf die staatlichen Sicherheitsorgane verlassen können. Die Liste rechtsterroristischer Gewalttaten in Deutschland ist mit den Anschlä- gen und Tötungen von Kassel, Halle und Hanau länger geworden. Während die Bundesregierung für den Zeitraum 1990 bis 2020 offiziell von 106 Todesopfern rechter Gewalt spricht, dokumentiert die Amadeu Antonio Stiftung mindestens 213 Todes- opfer rechter Gewalt sowie 13 weitere Verdachtsfälle. Nach Schätzungen des Bundes- kriminalamts gab es im gleichen Zeitraum etwa 32.000 rechtsextreme Gewalttaten. Die rechte Gewalt richtet sich nicht allein gegen die oben genannten Personen- gruppen. Opfer sind auch Lokalpolitiker:innen, Feminist:innen, linke Aktivist:in- nen und engagierte Bürger:innen, die sich dem Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus entgegenstellen. Verschiedene rechte Terrornetzwerke bewaffnen sich bis an die Zähne. Nach der Leipziger Autoritarismus-Studie 2020, entstanden u.a. im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung, ist für knapp die Hälfte der Rechtsextre- men körperliche Gewalt ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung, ein Viertel von ihnen ist selbst zur Gewalt bereit. Verschärft wird diese prekäre Lage, wenn Sicherheitsorgane des Staates, ausge- stattet mit dem Gewaltmonopol, um die Gesellschaft und den Rechtsstaat zu schützen, selbst zur Gefahr für Demokratie und Sicherheit werden. Rassistische, rechtsextreme und neonazistische Strukturen und Netzwerke in der Polizei, dem Spezialeinsatzkommando der Bundeswehr und dem Verfassungsschutz führen zum Verlust des Grundvertrauens in die Institutionen. Denn seit 2017 sind 377 Fälle von vermuteten oder nachgewiesenen rechtsextremen Fällen in Sicherheitsbe- hörden und mehr als 1.064 Verdachtsfälle bei der Bundeswehr dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen. Der politische Wille, rechtsextreme Fälle und Strukturen in den eigenen Rei- hen zu dokumentieren und aufzuklären, ist leider schwach ausgeprägt. Und wenn Vorwort Beamt:innen des Staates – Tarnung hin oder her – Todesdrohungen an Bürger:innen 7 verschicken, dann machen sich Vertreter:innen des Staates endgültig zu Kom- pliz:innen des rechten Terrors. Dennoch sind es nicht allein die Sicherheitsorgane, die kontinuierlich schwei- gen und mauern, wenn es um die Aufklärung und Bekämpfung von Rechts- extremismus, Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen geht. Auch Politiker:innen, die den Rechtsextremismus und -terrorismus seit Jahrzenten verharmlost und verdrängt haben, tragen eine Verantwortung. Die systemische Weigerung, die Mordserie des Terrornetzwerks NSU vorbehaltlos aufzuklären, ist in den Memoiren dieses Landes eingebrannt. Herkunft, Hautfarbe und Religion als zentrale Kriterien von Sicherheit und Ordnung spielen im Denken von Sicherheitsorganen weiterhin eine große Rolle. Racial Profiling entlarvt die Geisteshaltung vieler Sicherheitspolitiker:innen hierzulande. Diese Mentalität kriminalisiert und illegalisiert einen Teil der Ge- sellschaft. Gleichzeitig privilegiert sie einen anderen Teil der Gesellschaft, den sie für schützenswert hält. Genau diese spalterische Geisteshaltung führt zur Rela- tivierung und Verharmlosung des rechten Terrorismus in Deutschland. Der Staat und seine Sicherheitsorgane haben nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Verantwortung, alle Bürger:innen dieses Landes zu schützen. Vernachlässigt der Staat seine Verantwortung, die Gesellschaft als Ganzes zu schützen, nimmt er nicht nur den institutionellen und strukturellen Rassismus bewusst in Kauf, sondern riskiert auch die körperliche Unversehrtheit von Menschen. Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU stellt sich heute mehr denn je die Frage: Wie kann die offene Gesellschaft vor Angriffen von rechts geschützt werden? Welche Sicherheitskonzepte und -strukturen sind notwendig, um die demokratische Gesellschaft und ihre Vielfalt zu verteidigen? Wie kann sicher- gestellt werden, dass staatliche Institutionen wie die Polizei, die Bundeswehr, der Verfassungsschutz und andere Behörden rechtsextreme Ideologien und Netzwerke in den eigenen Reihen konsequent bekämpfen? Mit dem vorliegenden Sammelband wollen wir gemeinsam mit einer Reihe ausgewiesener Expert:innen einen Beitrag für eine Sicherheitsdebatte in Deutsch- land leisten, in der alle Menschen gleichermaßen mitgedacht werden. In drei Kapiteln setzt sich die Publikation historisch, politisch und kritisch mit den Kontinuitäten und Strukturen des rechten Terrors in Deutschland, mit der An- schlussfähigkeit rechter Ideologien in Gesellschaft und Sicherheitsbehörden so- wie mit Forderungen Betroffener und mit Perspektiven des Widerstands gegen heitsdebatte brauchen rassistische, antisemitische und rechtsextreme Gewalt auseinander. Unser Dank gilt den Kuratorinnen Sarah Schwahn und Sarah Ulrich, die mit akribischer Recherche und großem Engagement alle Beiträge der Publi- kation zusammengestellt haben. Warum wir eine neue Sicher Warum Berlin,