Erforschung Des Thomanerchores Fragestellungen, Methoden
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Gilbert Stöck, Peter Scholz 2. Die Beziehung zwischen Ort und Repertoire Das Online-Portal zur Repertoire- s Vergleich des in der Motette in Leipzig aufge- Erforschung des Thomanerchores führten Repertoires mit dem außerhalb Leip- zigs Fragestellungen, Methoden s Verhältnis von Aufführungen und Repertoire und Zielsetzungen in der Thomaskirche zu denen an anderen Wirkungsstätten Der im Jahr 1212 gegründete Leipziger Thomaner- s Verhältnis von Aufführungen und Repertoire chor zählt zu den traditionsreichsten und bedeu- in Leipzig zu denen außerhalb Leipzigs tendsten Knabenchören der Welt. Unter den 36 s Zwischen 1949 und 1990: Verhältnis von Auf- Thomaskantoren nahm Johann Sebastian Bach, führungen und Repertoire in der DDR zu de- der das Amt von 1723 bis 1750 innehatte, eine nen in der BRD herausgehobene Position ein. Seine geistlichen s Verhältnis von Aufführungen und Repertoire Werke sind zentraler Bestandteil des Repertoires in Deutschland zu denen im Ausland der Thomaner. s Verhältnis von Aufführungen in Kirchen zu Anlässlich des 800jährigen Jubiläums der Grün- solchen außerhalb von Kirchen dung des Thomanerchores wurde an der Universi- tät Leipzig ein Projekt initiiert, dass die vom Chor 3. Die Beziehung zwischen Kantorat und im Zeitraum 1808–2008 aufgeführten Werke in Repertoire einer frei verfügbaren Online-Datenbank erfasst s Veränderungen der Bach-Pflege durch ver- und damit Recherchen über Entwicklungen und schiedene Kantoren Tendenzen des Repertoires ermöglicht. Das Projekt s Verhältnis der Werke Bachs im Vergleich zu wurde seit 2009 von der Deutschen Forschungs- anderen Komponisten gemeinschaft (DFG) gefördert und kann voraus- sichtlich im Herbst 2012 abgeschlossen werden. 4. Der Anteil zeitgenössischer Musik am Repertoire s Anteil zeitgenössischer Werke am Repertoire I Fragestellungen im Vergleich zu Werken älterer Komponisten s Anteil zeitgenössischer Musik im Vergleich der Das Hauptinteresse der Erhebung liegt auf der einzelnen Thomaskantoren Untersuchung des Repertoires zwischen Stabilität und Veränderung. Folgende Fragestellungen sind 5. Musikalische Gattungen dabei denkbar: s Häufigkeit von Motetten (als Gattung), zykli- schen Werken (beispielsweise Passionen) und „1. Die Beziehung zwischen Epoche und A-cappella-Werken Repertoire s Verhältnis von geistlichen zu weltlichen Wer- s Analyse des in der Motette aufgeführten Re- ken“/1/ pertoires, beispielsweise während der Zeit des Nationalsozialismus oder in der DDR im Ver- 1212 wurde in Leipzig ein Augustiner-Chorherren-Stift mit gleich mit den Zeiten davor und danach Schule gegründet, deren Chorknaben den Ursprung des Thomanerchors bilden. s Untersuchung der Konzertauftritte (inhaltli- Heute sind über 90 Jungen im Alter von 9 bis 18 Jahren bei che Ausrichtung, Aufführungsorte) im Wan- den Thomanern. Der Chor singt in der Regel dreimal in der del der Zeit Woche: freitags („Motette“), samstags („Kantate“) und sonntags im Gottesdienst. Begleitet wird er vom Gewand- hausorchester. Seit den 1920er Jahren tritt er auch im Ausland auf. In den letzten Jahren war er auf Konzertourneen in Südamerika, Australien und Singapur. 34 Jahrgang 33 Heft 1 / 2012 Forum Musikbibliothek Spektrum II Methoden ständen dieser Dateien jeweils automatisch nach dem entsprechenden Stichwort gesucht wird, Die in die Datenbank eingepflegten Daten basie- um Dubletten (mit den damit verbundenen Feh- ren auf der Handschrift Thomaner-Chor. Vom lermöglichkeiten) zu vermeiden. Bei völlig neuen 14. Sept[ember] 1811 an. Mit verschiedentlichen Normeinträgen orientieren sich die Mitarbeiter an Notizen hauptsächlich a[us] d[em] Leipz[iger] den Vorgaben von RAK-Musik bzw. RAK-WB. Tageblatte/2/. Diese Schrift überliefert die Pro- gramme der Samstagsmotetten und wird durch 3. Die auf Ebene zwei akkumulierenden Norm- Abschriften aus dem Leipziger Tageblatt ergänzt. dateien dienen der Eingabe von Informationen Neben dieser Quelle existiert ein seit 1865 konti- zu einem konkreten Werk und sind auf der drit- nuierlich gesammelter Bestand gedruckter Pro- ten Ebene mit den Anzeigefenstern der Bereiche grammzettel zur Samstagsmotette. Die Musik der „Kompositionen“ und „Auftritte“ verknüpft. Diese Sonntagsgottesdienste wird für den Zeitraum 1808 beiden komplexen Eingabefelder beziehen sich bis 1865 wohl nur schwer zu rekonstruieren sein, einerseits auf die werkunveränderlichen Angaben da sich hierzu keine Quelle finden lässt, die syste- („Kompositionen“: Komponist, Einheitssachtitel, matisch die Informationen festgehalten hat. Die Bearbeiter, Textdichter bzw. Textquelle, Besetzun- Datenbank wird voraussichtlich 60.000 Einzelauf- gen, Sprachen, Entstehungszeit, [gegebenenfalls] führungen von Werken beinhalten (100 Auftritte Zyklus, Gattungen und Funktion), andererseits auf pro Jahr ergeben in 200 Jahren insgesamt 20.000 die bei der konkreten Aufführung erscheinenden Auftritte. In jedem Auftritt werden wohl durch- Variablen („Auftritte“: Aufführungsstatus, diplo- schnittlich drei Programmnummern aufgeführt, matischer Titel in der Programmvorlage, solisti- was zu einer Gesamtzahl von 60.000 führt). sche Interpreten, Institutionen [Ensembles], Di- rigent und gegebenenfalls der Bearbeiter für die II.1. Eingabeportal und Recherchewerkzeuge konkrete Aufführung). Das Eingabeportal gliedert sich in vier Ebenen, die Bearbeitungsmaske „Auftritte“, aufeinander aufbauen: hier BWV 166, mit aufführungsabhängigen Angaben 1. Bereits vorhandene Normdateien (Personen- normdatei PND, Gemeinsame Körperschaftsdatei GKD, Einheitssachtiteldatei EST), die von der DNB angekauft wurden und von einem Server des In- stituts für Informatik an der Universität Leipzig für die zweite Ebene abrufbar sind. 2. Neu für das Eingabeportal angelegte Normda- teien (Personen, Institutionen, Aufführungsorte, Werktitel, Besetzungsabkürzungen, Sprachen, Gattungen, Funktionen, Aufführungsstatus, Auf- führungsanlass, Quellen, Textquellen, Typus der Programmbeilage). Die Normdatei „Personen“ ist mit der PND, „Institutionen“ und „Aufführungsor- te“ mit der GKD und „Werktitel“ mit der EST-Datei verknüpft, sodass bei einem Neueintrag in den Be- Forum Musikbibliothek Jahrgang 33 Heft 1 / 2012 35 Stöck| Scholz / Das Online-Portal zur Repertoire-Erforschung 4. Die beiden zusammengesetzten Eingabefenster Seitens der Informatik werden die Suchfunktio- „Kompositionen“ und „Auftritte“ werden auf der nen gerade nach und nach realisiert. Gegenwärtig vierten Gliederungsebene unter „Aufführungen“ ist bereits eine „Einfachsuche“ in verschiedenen zusammengefügt, wobei Angaben zu den Auffüh- Rubriken (z. B. Personen, Institutionen, Auffüh- rungskontexten und zur Programmbeilage beige- rungsorte, Werke, Quellen, Textquellen, Beset- fügt werden (Aufführungsanlass, -ort, -datum, zungen, Sprachen [der vertonten Texte]) möglich. amtierender Thomaskantor, Angaben zur Gestal- Zugleich wird gegenwärtig eine kombinierte Suche tung der Programmbeilage, Quelle). Die Verknüp- entwickelt, in der die verschiedenen Normdaten- fung von „Kompositionen“ und „Auftritten“ erfolgt verzeichnisse miteinander in Beziehung gesetzt dadurch, dass im Eingabefeld „hinzufügen“ die werden können, um damit auch differenzierte aufführungsunabhängigen Angaben hochgeladen Suchanfragen auslösen zu können (http://thoma- werden und sich beim Anklicken das Eingabefeld ner.topicmapslab.de/). „Auftritte“ öffnet, in dem die Informationen zu den Interpreten usw. eingefügt werden können. Wenn II.2. Kooperation mit dem Institut für Informatik diese Daten eingegeben sind, wird durch ein Spei- der Universität Leipzig und Umgang mit den im chern das Werk auf der Ebene der „Aufführungen“ Projekt erzielten Forschungsdaten angezeigt (im unten stehenden Beispiel wurden in der Aufführung vier Werke wiedergegeben). Das Ziel des Thomaner-Portals ist es, ein Recher- Die jeweils nachfolgende Ebene ist von der (den) chewerkzeug zur Erforschung des Repertoires des vorangegangenen Ebene(n) abhängig: Die Ein- Thomanerchores aufzubauen. Daraus ergaben sich gabe von „Aufführungen“ (Ebene 4) funktioniert zwei Aufgabenkomplexe: Der erste ist die Imple- erst dann, wenn die notwendigen „Kompositio- mentierung einer benutzerfreundlichen Datenein- nen“ (Ebene 3) angelegt wurden. Die Eingabe von gabe, die die Daten für das Recherchewerkzeug – „Kompositionen“ ist wiederum nur dann möglich, den zweiten Komplex – bereitstellt. wenn alle für diese Eingabe notwendigen Normda- teneinträge der Ebene 2 vorgenommen wurden. Bearbeitungsmaske „Aufführungen“ 36 Jahrgang 33 Heft 1 / 2012 Forum Musikbibliothek Spektrum Dateneingabe Recherchewerkzeug Die Dateneingabe ist als Ruby on Rails Anwendung Das Recherchewerkzeug soll eine optimale Vor- implementiert. Als persistenter Speicher kommt aussetzung zur qualitativen und quantitativen eine MySQL-Datenbank zum Einsatz. Aufgrund Auswertung und Deutung der erfassten Daten von Problemen in der Dateneingabe und deren schaffen. Hierfür hat die nutzerorientierte Gestal- Übermittlung zum Server wurde die Anwendung tung des User-Interfaces eine zentrale Bedeutung. von Grund auf neu implementiert. Ein weiterer As- Zur qualitativen Auswertung zählt die Darstellung pekt der Neuimplementierung war, die Ontologie von Zeitreihen des Repertoires, beispielsweise die der Topic Map, gegeben durch das Model, direkt Frequenz der Aufführung bestimmter Werke, Filte- in der relationalen Datenbank abzubilden. Hierbei rung des Repertoires nach Zeitintervallen und die wird zwischen „atomaren“ und „komplexen“ Daten kartografische Darstellung der Aufführungsorte in unterschieden. Dies bedeutet, dass die definierte Abhängigkeit von der Zeit.