Festvortrag: Ohne Pracht, Ohne Macht?
18 Festvortrag: Ohne Pracht, ohne Macht? Vladimír Šlapeta* Im Frühjahr 1944 nahte die letzte Phase des Zweiten Welt- krieges. Berlin wurde permanent bombardiert, und Hans Scharoun wurde für Räumungsarbeiten in Steglitz und in Lichterfelde eingesetzt. Schon vorher erlebte er die Bom- bardierung seiner Büros, zuerst in der Passauer Straße, danach am Bayerischen Platz, auch seine Wohnung in der Siemensstadt erlitt Schäden. Zufällig wirkte in dieser Zeit in Olmütz (tschechisch Olomouc) Scharouns Nach- bar aus der Siemensstadt, Rudolf Haase, der einige Mo- nate als Kurier den unzensierten Briefwechsel zwischen Scharoun und meinem Vater, seinem tschechischen Schü- ler, vermittelte. Als Geschenk schickte damals mein Vater Scharoun das Buch Prag in Fotos von Karel Plicka. Scha- roun war sichtlich erfreut und bedankte sich mit einem ausführlichen Brief, den er, wie er bitter vermerkte, im „Heldenkeller“ auf vergilbtem Papier mit Bleistift schrieb (Abb.1).1 Darin erklärte er das städtebauliche Phänomen Prags als Beispiel für eine „Stadt als Garten“ mit edlem Abb. 2: Hans Scharoun, Brief an Lubomír und Čestmír Šla- peta, 15.8.1944 Einklang der dramatischen Topographie, der Natur und der organisch gewachsenen Struktur. Er betonte auch das einheitliche geistige Klima Prags, das in bunter städtebau- licher Struktur das Gebaute überbrückt und verbindet. Das Beispiel Prags scheint ihm ideal für seine damals im Ent- stehen begriffenen Gedanken zu den fast märchenhaften „Stadtlandschaften“, die er in den Nächten skizzierte und auf deren Grundlage er sein sämtliches Spätwerk aufbaute. Im nächsten Brief, datiert am 15. August 1944 (Abb. 2) – gerade drei Wochen nach dem missglückten Attentat von Claus von Stauffenberg auf Adolf Hitler –, kann man le- sen, wie schnell er neue Energie sammelte in der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges und einen Neuanfang: „Meine Arbeit ist ein ewiger Kampf gegen Material und Arbeitermangel, aber vielleicht kann ich in Ihrem Büro einmal Wiederauferstehung feiern! Einmal wieder Räume schöpfen! Jetzt erschöpfen wir uns! Was hat eigentlich die Abb.
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