Am Nexus Des Weltkinos Zu Theorie Und Ästhetik Von Walter Hills Orientalem Genre-Auteurismus
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Am Nexus des Weltkinos Zu Theorie und Ästhetik von Walter Hills orientalem Genre-Auteurismus Ivo Ritzer, Bayreuth Es geht weniger darum, die Texte zu dekonstruieren, als vielmehr darum, mit ihrer Lesbarkeit zu spielen (selbst durch Köder, Finten, Kniffe oder Listen). Roland Barthes (1997: 157) Seeing so many of the […] Japanese films, I was part of this isolated community in east Hollywood … Directors were already my heroes. Kurosawa … One wanted a chance to tell stories in an open, loose, not constricted Hollywood kind of way. At the same time you wanted to work in Hollywood ... I was tremendously interested in genre films. Wanted to work within genre films. Walter Hill (2007) Der US-amerikanische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Walter Hill ist kein Originalgenie. Wie könnte er es auch sein? Stärker aber als bei den ‚klassischen‘ zu Auteurs nobilitierten Hollywood-Protagonisten stellen sich Fragen nach Ort, Kulturzugehörigkeit und transnationaler Ästhetik, die nicht allein über Postulate autorenhafter Subjektivität aufzulösen sind. Um sich ihnen dennoch stellen zu können, bietet sich eine Abstraktion der komplexen Auseinandersetzungen mit der Trias zwischen Kultur, Text und Subjekt an, wie sie die maßgeblichen Arbeiten von Roland Barthes kennzeichnen. Barthes hat bekanntlich in extenso demonstriert, wie ein Text sich stets aus vielfältigen, einander wechselseitig infrage stellenden Fragmenten figuriert und jener „Ort, an dem diese Vielfalt [zusammenträfe], […] nicht der Autor, […] sondern der Leser“ (Barthes 2000: 192) sei.1 Der Autor schreibt 1 Gleichsam differenziert Barthes zwischen Werk und Text: „Der Text ist keine Koexistenz von Bedeutun- gen, sondern Passage, Durchquerung: er kann daher keiner Interpretation anheimfallen, und sei sie noch so großzügig, sondern nur einer Explosion, einer Dissemination“ (Barthes 1998: 1164). Als Gegenmodell zur Interpretation schlägt Barthes eine Lektüre vor, statt dem Finden ein Erfinden. Ihm geht es nicht um die Suche nach einer richtigen, geschlossenen, endgültigen Bedeutung, sondern um ein Forschen nach dem Pluralen, dem Diffusen, dem Abgleiten der Signifikanten. 135 Ritzer, Ivo (2016): Am Nexus des Weltkinos. Zu Theorie und Ästhetik von Walter Hills orientalem Genre- Auteurismus. In: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung (ISSN 2192-5445), Nr. 8, S. 135-151. <http://www.rabbiteye.de/2016/8/ritzer_hill.pdf> RABBIT EYE 008 | 2016 WWW.RABBITEYE.DE nicht, er wird geschrieben. Ursprung und Zielpunkt der klassischen Hermeneutik sind umzukehren, weil die Subjektivität eines Autors als Effekt des Textes zu verstehen ist. Und doch macht es Sinn, sich den Arbeiten von Walter Hill über eine auteuristische Perspektive zu nähern. Nicht nur, weil, wie Adrian Martin jüngst noch einmal verdienstvoll bekräftigt hat, es als „irrefutable premise“ zu werten ist, „that the director, while rarely working or inventing alone, is nonetheless the central, organising point of the creative process, the one who can implement a cohering, systematic vision“ (Martin 2014: 17). Bereits Barthes konstatiert mitnichten etwa einen generellen Tod des Autors, vielmehr geht es ihm um das Ende einer spezifischen historischen Konzeption des Autor-Subjekts: Das Konzept eines romantischen Genies, dessen Kunst vermeintlich ex nihilo schöpft und deshalb biografisch erklärt werden muss. Gegen das Originalgenie bringt Barthes den Begriff des modernen scripteur in Stellung, der unhintergehbar im Intertext generischer Strukturen situiert ist. In diesem Sinn des Autors möchte ich auch im Folgenden von Hill sprechen: „Seine einzige Macht besteht darin, die Schriften zu vermischen“ (Barthes 2000: 190). Mit Barthes wird es mir mithin um eine hillsche écriture gehen, die Einschreibung einer Signatur in den Intertext generischer Konventionen. Diese écriture bringt jenseits von Sprache und Stil, der synchro- nischen und diachronischen Struktur, eine Emphase performativer Qualität mit sich: Während eine ideale freie Ausdrucksform niemals meine Person, meine eigene Vergangenheit und meine Freiheit erkennen ließe, ist die Schreibweise, der ich mich anvertraue, bereits ganz Institution, […] sie gibt mir eine Geschichte, […] sie engagiert mich, ohne daß ich es zu sagen brauche. (Barthes 2006a: 27) Der scripteur wird somit nicht als Ursprung von Bedeutung, sondern als Instanz der Ein- schreibung verstanden, die deren Analyse öffnet statt abschließt. Aus dieser Perspektive ist die generische Form als ein Außen des scripteur zu kennzeichnen, die Schreibweise hinge- gen, so Barthes, bezeichnet genau den Kompromiß zwischen Freiheit und Erinnerung, sie ist die sich erinnernde Freiheit, die nur Freiheit ist in der Geste der Wahl, aber schon nicht mehr in der Dauer. (Barthes 2006a: 20) Einen Film auf seine besondere Schreibweise hin zu untersuchen, das muss daher bedeu- ten, sich mit der immer schon generisch implementierten Geschichte seines Mediums zu beschäftigen, die keine Geschichte der Sprache (des Zeitprodukts), auch keine des Stils (des biologischen Produkts), sondern der Zeichen ist; nicht der Objekte, sondern der Funktion. Semiotisch gewendet: Die écriture fungiert somit folglich als Bezeichnendes, ihr Genre hingegen als Bezeichnetes. Dergestalt entsteht die Schreibweise stets als historisches Konstrukt, denn sie „bedeutet die Beziehung zwischen dem Geschaffenen und der Gesell- schaft“ (Barthes 2006a: 18). Jeder scripteur ist mithin zugleich Produkt als auch Gestalter der ihn umgebenden Texte, sowohl Effekt als auch Voraussetzung des Generischen.2 2 Zur Ausfaltung der Theorie eines Genre-Auteurismus am Beispiel von Walter Hill siehe Ritzer 2009. 136 RABBIT EYE 008 | 2016 WWW.RABBITEYE.DE Die hillsche écriture ist eine, die sich am Nexus des Weltkinos situiert. Dabei hat keine Tradition stärkere Spuren in seinen Arbeiten hinterlassen als das orientale Kino aus Süd- ostasien.3 Insbesondere auf eine Inspiration kommen sie wieder und wieder aufs Neue zurück: die Filme von Akira Kurosawa. Es kann nun freilich im Folgenden nicht darum gehen, enzyklopädisch die komplexen Referenzstrukturen bei Hill herauszupräparieren – auch wenn dies freilich möglich wäre und einigen cinéphilen Reiz besäße: Von dem in den Unterarm eines Gegners geworfenen Messer in YŌJINBŌ (1961) und THE WARRIORS (1979), der an einen Gangster verlorenen Dienstwaffe in NORA INU (1949) und 48 HRS. (1982) oder den blutig aus Körperwunden tretenden Fontänen in TSUBAKI SANJŪRŌ (1962) und SOUTHERN COMFORT (1981). Demgegenüber ist mein Anliegen in den nachfolgenden Passagen vielmehr eine theoretischere Arbeit, mithin die Analyse des hillschen Rekurses auf eine kurosawasche Ästhetik, dessen Signifikanz mit Roland Barthes als Markierung von Differenz zu verstehen ist. Das bedeutet, bei Hill geht es nicht etwa um ein orientalistisches ‚Erkennen‘ oder ‚Verstehen‘, einer wie auch immer als ‚japanisch‘ zu essenzialisierenden Ästhetik bei Kurosawa,4 stattdessen kommt es darauf an zu begreifen, wie einerseits „die Hauptbegriffe der aristotelischen Philosophie in gewisser Weise durch die Fügungen der griechischen Sprache erzwungen worden sind“ und andererseits einen irreduziblen Raum der Differenzen zu signifizieren, „von denen uns eine sehr entfernte Sprache einen Schimmer vermitteln kann“ (Barthes 1981: 17). In diesem Sinne möchte ich nun einem solchen barthesschen „Schimmer“ nachspüren, der sich in Bruchstellen und Lücken derjenigen kulturellen Übersetzung zeigt, die Hill von Kurosawa als Sprung über den Graben erstellt. Dazu werde ich mich exemplarisch auf drei Filme und drei Figuren bei Hill beziehen: Den Fahrer in THE DRIVER (1978), den Leibwächter aus LAST MAN STANDING (1996), sowie den Killer aus BULLET TO THE HEAD (2013). Diese Figuren lassen nicht nur die gebroche- nen Heroen Kurosawas mit jenem morbiden Kriegerethos wiederkehren, das sich im Namen des Richtigen auch gegen den Helden selbst wendet, an ihrer mise-en-scène wird vielmehr auch ein „Echoraum“ (Barthes 1978: 81) der Einschreibung evident, der als Erschütterung von Sinnhaftigkeit selbst zu lesen sein wird – als Traum: [E]ine fremde Sprache kennen und sie dennoch nicht verstehen: in ihr die Diffe- renz wahrnehmen, ohne dass diese Differenz freilich jemals durch die oberflächli- che Sozialität der Sprache, durch Kommunikation oder Gewöhnlichkeit eingeholt und eingeebnet würde; in einer neuen Sprache positiv gebrochen, die Unmöglich- keiten der unsrigen erkennen; die Systematik des Unbegreifbaren erlernen; unsere „Wirklichkeit“ unter dem Einfluss anderer Einteilungen, einer anderen Syntax auf- lösen; unerhörte Stellungen des Subjekts in der Äußerung entdecken, deren Topo- logie verschieben; mit einem Wort ins Unübersetzbare hinabsteigen und dessen Erschütterung empfinden. (Barthes 1981: 11ff.) 3 Auch nicht die Polars von Jean-Pierre Melville, die ihrerseits wiederum stark von japanischen Schwert- kampffilmen beeinflusst sind. Zum Polar und Melville siehe Ritzer 2011 sowie die folgenden Ausführungen. 4 Siehe zu dieser Problematik in extenso die brillante Studie von Yoshimoto (2001); noch immer das Referenz- werk zu Kurosawa, sowie zu Studien ‚asiatischen‘ Kinos im ‚Westen‘. 137 RABBIT EYE 008 | 2016 WWW.RABBITEYE.DE Der Fahrer THE DRIVER ist Walter Hills inoffizielles Remake von Jean-Pierre Melvilles LE SAMOURAÏ (1967). Melville wiederum bezieht sich bereits über den Titel auf Kurosawas Schwert- kampffilme.5 Dabei gibt er im Paratext des Vorspanns an, aus dem Bushido zu zitieren: „Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Samurai, außer vielleicht die eines Tigers im Dschungel.“ Jedoch simuliert Melville