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DIPLOMARBEIT

Lernen von

Die vergessene Freiheit des Gründerzeitlichen Gatters

ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades eines

Diplom-Ingenieurs

unter der Leitung von

Ao.Univ.Prof. Arch. Dipl.-Ing. Dr.techn. Erich Raith E260 Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen

eingereicht an der

Technischen Universität Wien Fakultät für Architektur und Raumplanung

von

Dorian David Gustavson Matrikelnummer 0225441 Wimmergasse 3, 1050 Wien

Wien, am 1. November 2015

Denen, die gehen mussten.

Lernen von Favoriten

Die vergessene Freiheit des gründerzeitlichen Gatters

Der Titel dieser Arbeit lehnt sich nicht nur formal an die 1972 von Robert Venturi, Denise Scott Brown undSteven Izenour verfasste Streitschrift “LEARNING FROM LAS VEGAS. The Forgotten Symbolism of Architectural Form” an. (In deutscher Sprache: Lernen von Las Vegas: Zur Ikonographie und Architek- tursymbolik der Geschäftsstadt.) Als Vorreiter der Postmoderne überraschten die Autoren zu einer Zeit, die noch weitgehend im Zeichen von Funktionalismus und Moderne stand, mit ihrer Inter- pretation, die die (amerikanische) Alltagsbaukunst des Strips von Las Vegas ins Zentrum der Architekturdebatte hob.

Ich möchte in dieser Arbeit den Fokus auf einen Stadtteil und seine Spezifizität legen, der in der aktuellen Stadtentwicklungsde- batte Wiens möglicherweise nur eine untergeordnete Stelle beklei- det. Es mag auch hier überraschen, dass ich gerade in einem Bezirk, der in der landläufigen Meinung als nicht sehr prestigeträchtig gilt, nach Antworten auf aktuelle Fragen im Spannungsfeld zwischen Architektur, Stadt- und Gesellschaftsentwicklung suche. So wie in Las Vegas in den 1960er Jahren in einer Wüstenstadt in Nevada das Stadtbild von vielen Seiten weitestgehend unbeachtet den lokalen Akteuren überlassen wurde, die das örtliche Stadtbild durch das Vorblenden einer Leuchtschild- und Reklamenlandschaft vor die konventionelle Architektur der dahinterliegenden Gebäudekom- plexe frei geprägt haben, liegt auch auf großen Teilen von Favoriten auf den ersten Blick ein „konstruktives Desinteresse“ der Allge- meinheit, das sich nicht zuletzt auch im Bebauungsplan durch die weitgehende Abwesenheit von Schutzzonen im mehrheitlich grün- derzeitlich geprägten Teil des Bezirks manifestiert.

In Favoriten herrscht also, zumindest was die Vorgabe zur Erhaltung des charakteristischen Stadtbildes anbelangt, sozusagen eine „städtebauliche Wüste“, eine potenzielle Tabula Rasa, großteils bestehend aus vor vielen Jahrzehnten gebauter Umwelt, die ver- meintlich austauschbar wäre. Und genau in diesem unwirtlichen Umfeld, sozusagen in der ausgeblendeten Peripherie der großen Projektentwicklungsinterventionen lässt sich meinem Verständ- nis nach in kleinem Maßstab die „Ursuppe“ von Tendenzen der Gesellschafts- und Stadtentwicklung, sowie –erneuerung genau beobachten. Meine Absicht ist es, aufzuzeigen, welche Antworten sich in Favoriten auf aktuelle Fragestellungen in Bezug auf diese Themenfelder finden lassen.

Dorian Gustavson, Juli 2015 Inhalt

A Was ist Favoriten?

1 Eine Entdeckungsreise 10

2 Historischer Abriss 13

2.1 Die Favorita 13

2.2 Ausgangspunkte der Entstehung Favoritens 14

2.3 Exkurs: Die Gründerzeit in Europa und Wien 16

2.4 Die Gründerzeit in Favoriten 19

2.5. Exkurs: Wien nach der Monarchie 24

2.6. Favoriten im „Roten Wien“ 28

3 Status Quo 31

4 Versuch einer diagrammatischen Darstellung Favoritens 34

B Gesellschafts- und Stadtentwicklung, Stadterneuerung

1 Tendenzen der Gesellschafts- und Stadtentwicklung 38

1.1 Was ist Gesellschaft? 38

1.2 Globale Gesellschafts- und Stadtentwicklung 38

2 Stadtentwicklung in Wien 39

2.1 Ausgangssituation 40

2.2 Instrumente der Stadtplanung 41

2.3 Der Stadtentwicklungsplan 1984: Fokus Gründerzeit? 42

2.4 Sozio-demografische Entwicklung in Wien 44

2.5 Stadtentwicklungspläne 2005 und 2015/25 45

3 Stadtentwicklungsprojekte in Favoriten 47

6 C Entwicklungspotenziale auf Makroebene

1 Urbanität: Versuch einer Definition 50

1.1 Welche Eigenschaften machen eine Stadt erst „urban“? 50

1.2 Urbanisierung vs. Suburbanisierung 51

2 Strukturelle Potentiale des Rastersystems 54

2.1 Der Massstab der Gründerzeitlichen Stadt 56

2.2 Urbane Lebensweise und Nutzungsneutrale Stadt 56

3 Makroaufnahme Favoriten 58

D Entwicklungspotenziale auf Mikroebene

1 Funktionalisierung vs. Nutzungsneutralität 64

2 Das Hochgründerzeitliche Arbeiterzinshaus 67

2.1 Immanente Potenziale 67

2.2 Die Schnittstelle der Halböffentlichkeit 69

2.3 Die Erdgeschoßzone: Urbaner Raum? 69

2.4 Über den Dächern der Stadt 72

3 Spezialfall Favoriten? 76

E Conclusio

Favoritner Freiheit 80

F Verzeichnisse

1 Abbildungsverzeichnis 86

2 Quellenverzeichnis 88

7 8 A Was ist Favoriten?

9 In diesem ersten Abschnitt möchte ich, ausgehend von mei- ner sehr persönlichen „Kennenlerngeschichte“ mit dem zehnten Wiener Gemeindebezirk, zunächst den histroischen Kontext seiner Entstehung vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umwäl- zungen in Folge der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert und anschließend der tiefgreifenden, nicht nur siedlungs-politi- schen Neuerungen, die mit dem Ende der Habsburgermonarchie und der Gründung der Ersten Republik 1919 einhergegangen sind, grob umreißen. Mein Ziel ist es, jene subjektiven Eindrücke, die mir aufgrund zahlreicher Stadtspaziergänge und -fahrten in den vergangenen Jahren in Bezug auf diesen Stadtteil, seine Funktions- weise und seine morphologischen Ausprägungen erwachsen sind zu transportien und sie, soweit wie für das Verständnis notwendig mit Fakten zu hinterfüttern, um schließlich eine eine diagrammatische Darstellung Favoritens aufzuskizzieren.

1 Eine Entdeckungsreise

Ich erinnere mich noch lebhaft an den 24. Juli 2010. An die- sem regnerischen Samstagabend im Hochsommer hatte ich mich mit dem, was mein Kühlschrank noch an Bierdosen hergab und einer Weinflasche im Gepäck (aufgrund der dortigen Ausstattung völlig unnötigerweise wie ich später feststellen sollte) auf den Weg „in den Keller im Zehnten“ gemacht, wohin mich eine neue Be- kanntschaft zu einem Geburtstagsfest eingeladen hatte. Google Maps hatte mir von Tür zu Tür eine Distanz von 1,5 km bis zur Adresse in der Nähe des Viktor-Adler-Marktes angezeigt – genauso- 1. Matzleinsdorfer Platz weit wie ins Büro im Freihausviertel, in das ich auch jeden Tag per pedes spazierte also – ich war daher zu Fuß über den Matzleinsdor- ferplatz, unter der (Schnell-)Bahnbrücke hindurch gegangen und hatte in der Gudrunstaße den Anfang (oder doch das Ende?) der Bebauung hinter dem (evangelischen) Matzleinsdorfer Friedhof er- reicht. Es sollte der erste bewusste Spaziergang von vielen, in und durch das mir bis dahin nicht sonderlich vertraute Favoriten sein. Es war kein sehr weiter Fußweg, aber wie so oft, wenn man einen Weg voll neuer Eindrücke entlanggeht, kam er mir im Vergleich zu den unzähligen Malen, die ich ihn in der darauf folgenden Zeit gehen sollte, doch irgendwie lang und intensiv vor.

Ich wohnte nun schon seit einigen Jahren in , nur ein paar Schritte von diesem Stadtteil entfernt, in einem Vier- tel1 das, zur gleichen Zeit wie ein großer Teil von Favoriten in der Gründerzeit binnen kürzester Zeit quasi aus der Erde gestampft wurde und mir wurde mit einem mal veranschaulicht, wie wenig Einblick ich eigentlich in meinen Nachbarbezirk hatte. Favoriten war für mich als „ursprünglichem Wiedner“, der nach Margareten gezogen war, vom Gefühl her irgendwie ein Teil eines „anderen Wien“ - genauso wie „Transdanubien“ (21., und 22. Bezirk) und

1 Kyros Hamidi: Die Wimmergasse 10 Simmering (11. Bezirk), zwar verwaltungstechnisch eigentlich Teil meiner Heimatstadt, aber doch gleichzeitig eine fremde Welt. Ich kannte die Triesterstraße mit der Spinnerin am Kreuz vom Weg auf die Südautobahn, das alte Amtshaus auf der Laxenburgerstra- ße und das neue auf der Favoritenstraße von Amtswegen zur Bau- polizei, andere punktuelle Einrichtungen wie das große Bauhaus auf der Laxenburger Straße, der Tichy am Reumannplatz und der Business Park um die Twin-Towers, waren mir ebenfalls geläufig, aber in meinem Kopf hatte sich nie ein greifbares Gesamtbild von Favoriten geformt – das sollte sich nun ändern.

Mein Weg führte mich vorbei an Hotels, an unzähligen mehr oder minder zwielichtigen Wirtshäusern, Cafés oder Spelunken, auch an Wettbüros und traurigen Stüberln mit zugeklebten Fassa- den und einarmigen Banditen, an Bürogebäuden, an Handyshops, an Internet-Cafés, an (türkischen) Greißlern, an Supermärkten, an Drogerien und an einer Vielzahl an sonstigen Einzelhandelsbetrie- ben, an einer Polizeistation, einer Straßenbahnremise und einem Küchenstudio.

2. Gudrunstraße Auf den knapp 900 m von der Triester Straße bis zur Laxen- burgerstraße war mir trotz des Regens ein überraschendes Treiben auf der Straße aufgefallen. Die Nutzungsdichte der Erdgeschoß- zone erinnerte mich ein wenig an die Reinprechtsdorferstraße, als deren Verlängerung man die Gudrunstraße ja ansehen konnte, aber auf der Gudrunstraße schien der „Einkaufsstraßencharakter“ gar nicht so forciert und historisch tradiert, er schien sich irgendwie entlang einer Verkehrsader mehr oder weniger ungeplant ergeben zu haben. Die tatsächlich „forcierte Einkaufsstraße“ mit größeren Geschäften und Traditionsbetrieben, gestalterischen Straßenele- menten in Form von Stadtmöblierung und -beleuchtung erreichte ich sodann auf der „Favo“ oder „Fuzo“, wie die Fußgängerzone auf der Favoritenstraße zwischen Südtirolerplatz und Reumannplatz genannt wird. Sogar einen gut sortierten und genutzten Markt gab es hier am Viktor-Adler-Platz und eine Fußgängerfrequenz, wie ich sie in Wien nur von der Kärntner- und der Mariahilferstraße kannte - oder eben überhaupt von anderen Städten. Mit diesen Ge- danken und Eindrücken im Kopf hatte ich mein Ziel erreicht und begab mich in den Hauseingang eines mit reichem (Zementguss-) Fassadendekor bestückten Gründerzeithauses, läutete an dem la- pidar mit „Keller“ beschrifteten Schild an der Tür und trat nun endgültig in eine mir völlig neue Welt ein.

Ich lernte an diesem Abend und bei weiteren Gelegenheiten in Folge eine Reihe von interessanten Menschen mit unterschiedlichs- ten Hintergründen – Gastronomen, Berufsmusiker, Unternehmer, Bankangestellte, IT-Spezialisten, Rechtsanwälte, Ärzte, Handwer- ker, Poliere, Baumeister und Forstwirte – kennen, die hier in Fa- voriten nicht nur das Zentrum ihres sozialen Netzwerkes hatten, sondern zum Großteil auch hier wohnten oder gewohnt hatten. Es schien hier also tatsächlich so etwas wie ein durch mehr oder 11 weniger nahe Nachbarschaft geformtes soziales Netzwerk zu ge- ben, das mir aus meiner eigenen Wohnsituation völlig fremd war. Ermöglicht wurde das Ganze natürlich nicht zuletzt auch durch die Einrichtung dieses Kellers, einem Mittelding aus Partykeller, Bar und Proberaum, der in gewisser Weise einen halböffentlichen Begegnungsort darstellte, wie ich ihn sonst in der Stadt nur von Lokalen kannte, wo dann jedoch das Hauptaugenmerk im Grunde immer mehr auf dem Konsum lag.

Ich war fasziniert von der Einfachheit dieses Konzeptes: Wal- ter, der „Kellerchef“, hatte unter eigenem Einsatz und dem von Freunden die Hälfte des Ziegelgewölbekellers dieses in Familien- besitz befindlichen Gründerzeithauses von Holzverschlägen und einzelnen Trennwänden befreit, die lang obsolete Abstellräume abschlossen, eine Heizung, Sanitärinstallationen und eine kleine Lüftung eingebaut und die Oberflächen „aufenthaltsraumtaug- lich“ gemacht, den Proberaum akustisch gedämmt und die not- wendige Möblierung zusammengetragen bzw. selbst gezimmert. Das Resultat war eine Umgebung in der sich offenbar jeder auf An- hieb irgendwie zuhause oder zumindest wohl fühlte. Das spiegelte sich nun, sicher auch unterstützt durch die gut sortierte Bar, in der Laune und Offenheit der Besucher wieder – für mich ein „Best- Practice-Beispiel“ für die Nutzung einer brach liegenden räumli- chen Ressource in der Gründerzeitlichen Stadt, mit der ich mich seit einiger Zeit in Hinblick auf ein mögliches Diplomarbeitsthema auseinandersetzte.

Zu diesem Zeitpunkt war der „Fokus“ meiner Überlegungen auf die Gründerzeitliche Stadt ein eher diffuses Feld zwischen den Entwicklungspotenzialen von Einzelobjekten einerseits, die ich aus Sicht der Projektentwicklung zu einem Patentrezept zurecht- schnitzen wollte und dem städtischen Raum andererseits, dem ich, mitsamt seinen historischen Hintergründen und gesellschaftlichen Spielräumen, aber mangels klarer Abgrenzung zu anderen „Stadt- formen“ argumentativ nur sehr hinkend, eine zukunftsträchtige Nutzbarkeit andichten wollte. Die Betrachtung einer „Gründerzeit- lichen Stadt“ bedurfte wie ich erkannte, um schlüssig zu sein, ei- gentlich viel klarerer Grenzen als es sie tatsächlich gab, oder die ich so in der gebauten Umwelt nur sehr künstlich behaupten konnte. Dass ich Favoriten, auch wenn es für die Betrachtung eine Erwei- terung meines Beobachtungsgebietes bedurfte, eben diese Grenzen finden konnte, sollte mir einige Zeit später bewusst werden.

Mein hier beschriebener „erster Eindruck“ von Favoriten soll- te sich in der folgenden Zeit anhand meiner Beobachtungen und Überlegeungen vervollständigen und sich so zu einem subjektiven Gesamtbild fügen, auf dessen Thesen ich weiter unten noch genau- er eingehen möchte, zunächst aber will ich aus historischer Sicht beleuchten was Favoriten ist, bzw. wie es zum heutigen 10. Wiener Gemeindebezirk geworden ist.

12 2 Historischer Abriss

Favoriten wird auf gut Wienerisch „der zehnte Hieb“2 ge- nannt, weil es 1874, gemeinsam mit dem ebenfalls neuen Bezirk Margareten aus der, einem „Hieb“ gleichkommenden Aufteilung der , die zum damaligen Zeitpunkt von der im selben Jahr fertiggestellten Ringstraße bis zur Gemeindegrenze zu Inzersdorf, der heutigen Grenzackerstraße reichte, hervorgegangen war. Durch die Linienführung der Süd- und Ostbahn und seine Lage außer- halb des erst in den 1890ern demolierten Linienwalles nahm es bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Sonderstellung ein, die auch heute noch sehr stark spürbar ist. Favoriten, das heute mit rund 190.000 Einwohnern eine Stadt in der Stadt und nicht nur der be- völkerungsreichste Bezirk Wiens, sondern nach den Landeshaupt- städten Graz und Linz (deren Bevölkerung fallend ist) auch der drittgrößte Österreichs ist (Bevölkerungszahl 2015 Graz: 276.5263, Linz: 198.1814, Favoriten: 189.7135), hatte seine Einwohnerzahl zwischen der Revolution 1848 (~1.500) und seiner Gründung am Papier 1874 (~25.000) versechzehnfacht.

2.1 Die Favorita

Namensgebend für den ursprünglichen Vorort Favoriten war der Vorläufer des heutigen Theresianums, das Kaiserliche Sommer- schloss „Favorita“, das diesen Namen Eleonora Gonzaga zu ver- danken hat, der jüngsten Tochter von Vincenzo I. Gonzaga, dem Herzog von Mantua und Montferrat und Eleonore de Medici, der Prinzessin der Toskana. Eleonora ehelichte am 2. Februar 1622 den 3. Die Favorita verwitweten Kaiser Ferdinand II. und nannte das Schloss an der heutigen Favoriten Straße in Anlehnung an die Gonzaga-Villa vor den Toren von Mantua ebenfalls „Favorita“6.

Nach diesem Schloss wurde daher nicht nur die Straße die an ihm entlangführte, nämlich die Favoriten Straße, sondern auch das Tor, an dem letztere den Linienwall durchdringt „Favoriten- Tor“, sowie eben jener Abschnitt des Linienwalles „Favoriten-Linie“ benannt.

Im Zuge des Baues der Ost- und Südbahn in den 1830er und 1840er Jahren entstand in diesem Bereich, ausserhalb des Linien- walles eine kleine Siedlung, die „Siedlung vor der Favoriten-Linie“ genannt wurde, zu diesem Zeitpunkt aber noch zur Wieden gehör-

2 https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Hieb

3 http://www1.graz.at/statistik/Graz_in_Zahlen/GIZ_2015.pdf am 30.09.2015

4 http://www.linz.at/zahlen/040_bevoelkerung/ am 30.09.2015

5 https://www.wien.gv.at/statistik/pdf/wieninzahlen.pdf am 30.09.2015

6 Von Favorita zu Favoriten, Artikel von Otto G. Schindler, Wiener Zeitung vom 24.09.1999 13 te. Erst 1874, als dieser durch die Trassenführung der Eisenbahn vom Rest der Stadt stark getrennte Vorort schon zu beträchtlicher Größe angewachsen war, bewilligte der Wiener Gemeinderat die Aufteilung der größten Wiener Vorstadt „Wieden“ in die noch heu- te bestehenden Bezirke 4 (Wieden), 5 (Margareten) und 10 (Favori- ten), nicht zuletzt auf Betreiben von Johann Heinrich Steudel7 hin, der in dieser jungen Siedlung das Wirtshaus seines Vaters weiter- führte und auch ihr erster Bezirksvorsteher wurde.

7 *1825 im Wiener Vorort Schaumburgergrund - †1891 in Weikersdorf. An Ihn erinnert eine Gasse im Gründerzeitlichen Raster, nämlich die Steudelgasse, in Wien Favoriten.

4. Wien 1850 (Ausschnitt) 2.2 Ausgangspunkte der Entstehung Favoritens

Bis in die Zeit des Vormärz war das Gebiet des heutigen Favo- ritens jedoch weitgehend geprägt von einerseits landwirtschaftlich genutzten Feldern aber auch Brachflächen, die sich heute noch an einigen nach Siedlungs-, Flur- und Riednamen benannten Stra- ßen8 und Siedlungen9 ablesen lassen, andererseits von bestehenden Einrichtungen, Gehöften und Bebauungen die als Ausgangspunkte der Entstehung des Bezirkes gesehen werden können. Einen sehr guten Überblick über die Situation zu diesem Zeitpunkt stellt der Franziszeische Kataster 10 von 1829 dar, der das zentrale Werkzeug für die Umsetzung des Grundsteuerpatents Franz des II./I.11 vom 23. Dezember 1817 darstellte.

8 zB Absberggasse, Gußriegelgasse, Muhrengasse, Bernhardtstalgasse, Laaer Wald

9 zB Siedlungen Wienerfeld, KLG Heuberggstätten, etc.

10 Von der Stadt Wien öffentlich zugänglich gemacht und Online abrufbar unter: https://www.wien.gv.at/kulturportal/public/grafik.aspx?

11 *1768 in Florenz - †1835 in Wien, bis 1806 letzter Kaiser des HRRDN, ab 1804 erster Kaiser von Österreich 14 Der mit den Anfängen der Industrialisierung einsetzende, starke Zuzug aus den Kronländern in Richtung der Hauptstadt der Donaumonarchie hatte zur Folge, dass der Wohnraum innerhalb der Linien nicht nur knapp wurde, sondern aufgrund der Funktion des Linienwalls als Grenze zur Einhebung der Verzehrungssteuer ab 1829 im Gegensatz zum Bereich vor den Linien die Lebenserhal- tungskosten allgemein teurer um nicht zu sagen (für die zu einem Großteil aus den ländlichen Gebieten Böhmens Zugezogenen) un- leistbar wurde.

Der Linienwall hatte zwar seine Bedeutung als Verteidigungs- bauwerk längst verloren, stellte aber nunmehr eine sozialräumliche Barriere dar, die in der gesamten Stadt heute noch zwischen Au- ßen- und Innenbezirken spürbar bleibt.

Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stra- ßendörfer Inzersdorf 12(heute Teil von ), Rothneusiedl, Oberlaa und Unterlaa, im Süden des heutigen Bezirks entlang des Liesingbaches teilweise bereits in einer dem heutigen Zustand der Ortskerne entsprechenden Ausdehnung bestanden, waren an den Hängen beiderseits des Wienerbergs die bestehenden baulichen Strukturen spärlicher gesät. Walter Sturm zeichnet in seinem, im Rahmen der Favoritner Museumsblätter erschienenen Beitrag „„… außer der Linie“: Favoriten am Wienerberg“ eine sehr ausführliche Übersicht über den historischen baulichen Bestand auf dem Gebiet des heutigen Favoritens, die hier nicht in ihrer Gesamtheit wie- dergegeben werden kann. Es waren einerseits bereits Jahrhunderte alte13 Landmarks wie das Hochgericht, der Galgen, das Räderkreuz und die sagenumwobenen Gerichtssäule zur „Spinnerin am Kreuz“ am Rücken des Wienerberges, von der man von Süden kommend auch heute noch den ersten (wenn auch nicht mehr den besten) Blick über die Stadt Wien hat, andererseits der „Rothe Hof“, das Jägerhaus, die Meridiansäulen14, das Casino im Landgut, das Drasche-Schlössel, und natürlich der als „Spitzwirtshaus“ bekann- te Hof des Johann Mathias Steudel, Vater des bereits erwähnten Johann Heinrich Steudel. Vor allem aber gab es eine Vielzahl an Ziegeleien bzw. Ziegelöfen, deren Produktion für den in der Grün- derzeit erfolgten Ausbau Wiens zur Metropole (unter damaligen Gesichtspunkten zumindest) unerlässlich war und das Schicksal deren als „Ziegelbehm“ bekannten Arbeitern so eng mit der Entste- hung des Arbeiterbezirks Favoriten verwoben ist.

12 Das historische Dorf ist heute im Rahmen der Katastralgemeinde Inzersdorf-Land Teil des 23. Bezirks, Liesing, der stadtnahe Teil der Gemeinde, die ursprünglich bis in den Bereich des heutigen Antonsplatz reichte, kam in Form der Katastralgemeinde Inzersdorf-Stadt 1874 zu einem kleinen Teil und bei der Eingemeindung der Vororte 1893 bis zur Donauländebahn zu Favoriten

13 Erwähnung 1372: „Chrewcz, das do steht auf dem Wienerperg bey dem Galgen“

14 Diese auch „Wienerberger Miren“ genannten Säulen dienten ab 1826 der Kalibrierung der Instrumente der Universitätssternwarte unter der Leitung Joseph Johann von Littrows. Auf den Polarstern als Fixpunkt konnte er sich wohl damals schon aufgrund der häufigen Wiener Hochnebeldecke nicht verlassen. 15 2.3 Exkurs: Die Gründerzeit in Europa und Wien

„Es war die beste aller Zeiten, es war die schlechteste aller Zei- ten, es war das Jahrhundert der Weisheit, es war das Jahrhundert der Dummheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens, es war die Periode des Lichts, es war die Periode der Düs- ternis, es war der Frühling der Hoffnung es war der Winter der Hoff- nungslosigkeit wir hatten noch alles vor uns, wir hatten nichts mehr vor uns, wir waren direkt auf dem Weg zum Himmel, wir bewegten uns direkt in die entgegengesetzte Richtung, kurz: die Zeit war so, daß man nur im Superlativ darüber redete, ob im guten oder im schlechten Sinne.“

Charles Dickens – A Tale of Two Cities 1859

Die gründerzeitliche Stadt hat ihre Hintergründe in der Industrialisierung, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Europa von England ausgehend unaufhaltsam und nachhaltig ver- einnahmt. Das massive Städtewachstum zu dieser Zeit (ungefäh- re Bevölkerung je nach Quelle um 1780 – um 1870 – um 1915: London 850.000 - 3.800.000 (450 %) – 7.200.000 (325%) , Paris 660.000 – 1.850.000 (280%) – 4.700.000 (250%) , Berlin 140.000 – 825.000 (590%) – 1.800.000 (220%) , Wien 200.000 - 900.000 (450 %) – 2.200.000 (240%)) war einerseits Folge der neuen Mög- 5. Alsergrund, 1899 lichkeiten, die das Zeitalter der Maschine eröffnet hat, andererseits aber auch Katalysator seiner selbst, da das Bauwesen zu jener Zeit massenhaft Arbeitskräfte beschäftigt hat um Unterkünfte und Ar- beitsstellen für Arbeitskräfte zu schaffen. Politischer Hintergrund der expansiven Stadtentwicklung, die ab den 1850er eingesetzt hat, war in ganz Europa die Abkehr vom Konservativismus des Vor- märz und die Öffnung der Märkte mit dem einsetzenden Libe- ralismus. In Wien wurden im Zuge der ersten Stadterweiterung 1850 die Vorstädte im Bereich des Burgfriedensbezirkes von 1694 eingemeindet und die teils noch bestehenden größeren Freiflächen innerhalb des Linienwalls sukzessive umgewidmet, parzelliert, von den ursprünglichen Grundbesitzern teilweise veräußert und schließlich bebaut.

In Paris15, das um 1850 bereits eine recht hohe Verbauungs- dichte hatte wurde unter dem Präfekten Hausmann weiter nach- verdichtet, was einen regelrechten Immobilienboom 16auslöste.

Zum Zeitpunkt als das Hauptwerk Karl Marx „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ herauskam war von staatlicher bzw. hoheitlicher Intervention und sozialem Städtebau nichts zu

15 Der Vergleich mit Paris drängt sich auf, war es ja, frei nach Walter Benjamin, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts.

16 Diese Entwicklung wird vom Naturalisten Emile Zola in seinem Werk „La Curée“ sehr anschaulich dargestellt, der deutsche Titel des Werkes „Die Beute“ spiegelt den Zeitgeist nicht ganz so gut wieder wie seine wortwörtliche Übersetzung, nämlich „die (Treib)Jagd“ nach Bauland. 16 spüren. Die treibende Kraft im Wohnungsbau waren private In- vestoren (ein Aspekt, der in Favoriten heute wieder Aktualität hat), meist aus dem Bürgertum, die mit geschicktem Handeln einerseits dem langsam verarmenden und trägen Adel seine Güter als Bauland abkauften und andererseits die massiv anwachsende Arbeiterschaft, für die Errichtung der neuen Quartiere als billige Arbeitskräfte ausnutzte und ihnen dieselben schließlich aufgrund der Knappheit des Wohnraums teuer wieder vermieten konnten.

Leonardo Benevolo gibt in seinem Werk „Die Stadt in der eu- ropäischen Geschichte“ vier Hauptgründe für die, wie er sie nennt, „Revolution in der Stadt“ an:

1. „Das Anwachsen der Bevölkerung, die steigende Indust- rieproduktion und die Mechanisierung der Produktions- systeme […], bilden die Mechanismen der industriellen Revolution, die zum ersten Mal seit dem 13. Jahrhundert die Besiedelung in Europa quantitativ und qualitativ tief- greifend verändern.“

2. „Die Revision des kulturellen Erbes Europas, angefangen mit der großen Encyclopédie von Diderot und d’Alembert (1751-65), steht im Zeichen der Aufklärung. Diese sieht jedes Ding im seiner objektiven Wirklichkeit und zerstört dadurch das Gleichgewicht, das aus traditioneller Sicht zwischen ihnen herrschte.“17

3. „Der Zusammenhang zwischen architektonischer Ent- wurfstätigkeit und Landschaftsgestaltung beruht auf institutionellen Mechanismen, gegen die sich im ausge- henden 18. Jahrhundert die aufklärerische Kritik und die politischen Revolutionen wenden.“

4. „Technischer Fortschritt und Unternehmergeist, die do- minierenden Kennzeichen dieser Epoche, machen eine Neuorientierung notwendig.“

Im Vergleich zu den bereits bebauten Gebieten Wiens im In- neren des Linienwalles, kristallisieren sich vor allem vor den Li- nien einige Bereiche heraus, die durch die streng gerasterte Stra- ßenstruktur darauf schließen lassen, dass sie innerhalb kurzer Zeit gewidmet, parzelliert und bebaut wurden, was bedeutet, dass sie quantitativ die Brennpunkte des hochgründerzeitlichen Städtebaus sind. Ich habe versucht diese Bereiche nachvollziehbar einzugren- zen: An dieser Stelle ist besonders auf die neue Form der „Stadtpla-

17 1801 wird in Frankreich der Meter, als ein 40.000-stel des (Erd-)Meridians von Paris, der zwischen 1792 und 1799 von Delambre und Méchain vermessen wurde, als universale Maßeinheit eingeführt und löst somit als astronomische Größe die herkömmlichen auf den Menschen bezogenen Maßeinheiten Elle, Fuß und Zoll ab. In Österreich verlieren die räumlichen Entfernungen erst in den 1870ern sukzessive ihren Zusammenhang mit den Bewegungen des Menschen und so findet sich der Wiener Klafter noch in einem Großteil der Bauakte von Gründerzeithäusern zum Zeitpunkt ihrer Errichtung. 17 nung“ (oder eben auch nicht) auf der grünen Wiese hinzuweisen, die im Bereich von Favoriten (das in seiner Kernzone unmittelbar außerhalb des Linienwalles über keine Vorgängersiedlung verfügte) von Siccardsburg (*1813 in Buda - †1868 in Weidling) und Van der Nüll (*1812 in Wien - †1868 in Wien), sowie der Brigittenau und Teilen der Leopoldstadt (nicht zuletzt aufgrund freigewordener Flä- chen im Zuge der Donauregulierung) von Ludwig Förster (*1797 in Ansbach - †1863 in Bad Gleichenberg), erstmals angestrebt, aber mangels tatsächlichem Instrumentariums wie dem späteren „Ge- neralregulierungsplan“ von 1893 nie konsequent vollzogen wurde. Außerdem müssen wohl die südlichen Teile des heutigen Bezirkes , am Nord-, sowie die nördlichen Teile des heutigen Be- zirkes Rudolfsheim-Fünfhaus am Südhang der Schmelz hervorge- hoben werden, wo auf sehr fruchtbaren, ehemals agrar-genutzten Flächen, die zu diesem Zeitpunkt als ideal geltende Rasterstruktur in ihrer wohl „stursten“ Form ohne Rücksichtnahme auf topografi- sche Gegebenheiten Anwendung fand.

Zwar erfolgt die größte Novellierung der Wiener Bauordnung bereits 1883, und markiert damit den Übergang von der Hoch- gründerzeit zur Spätgründerzeit, jedoch wird bereits 1890 eine neue Bauordnung vom Gemeinderat verabschiedet. Auf Grundla- ge dieser neuen Baugesetze wird auch der Bauzonenplan von 1893 festgelegt, in dem folgende vier Bauzonen festgelegt werden und dadurch die beabsichtigte Morphologie der Stadt erstmalig in ei- nem Plan determiniert wird:

• Bauzone 1: Gebäude mit 4-5 Geschoßen über dem Erd- geschoß

• Bauzone 2: Gebäude mit Wohnungen und Gewerbebe- trieben und maximal 3 Stockwerken

• Bauzone 3: Fabriksbauten

• Bauzone 4: Freistehende oder gekuppelte Häuser mit ma- ximal 2 Stockwerken

18 6. Franzisco-josephinische Landesaufnahme, 1872 2.4 Die Gründerzeit in Favoriten

Wie auf dem Kartenmaterial der Franzisco-josephinischen (3.) Landesaufnahme von 1872 erkennbar ist, hat sich in Favoriten zu diesem Zeitpunkt bereits die erste Form von gründerzeitlicher Blockrandbebauung durchgesetzt, während in den angrenzenden Gebieten auf der anderen Seite des Linienwalles noch ältere agrar- dörfliche Strukturen vorherrschen, die jedoch in Folge großteils ebenfalls gründerzeitlich überformt wurden. Diese Siedlungsform mit hoher Dichte erstreckt sich vor allem entlang der Favoritenstra- ße, aber auch schon teilweise an der Laxenburgerstraße, bis auf die Höhe der heutigen Quellenstraße, wo angrenzend an den heutigen Reumannplatz eine ältere Siedlung um den „Rothenhof“18 steht.

Auch der Straßenverlauf der Gudrunstraße sowie der evan- gelische Friedhof (heute Matzleinsdorfer Friedhof - der damalige katholische Matzleinsdorfer Friedhof befindet sich im Bereich des heutigen, 1922 angelegten Waldmüllerparks, der widerum nach dem in Matzleinsdorf lebenden und wirkenden Biedermeiermaler Ferdinand Georg Waldmüller benannt ist) sind bereits klar erkenn- bar. An ihr liegt eine Maschinenfabrik, mitsamt einem Tramway- , auf dessen Gelände sich heute die Remise Favoriten be- findet. In ihrem unmittelbaren Umfeld wurde von August Siccard von Siccardsburg (dem, genau wie seinem Partner Eduard Van der Nüll, dort ein Straßenname gewidmet ist) zu jenem Zeitpunkt die großflächige rasterförmige Verbauung des Bezirkes geplant. Das Favoritner Straßenraster folgt dort in seiner Geometrie weitgehend den annähernd rechtwinkelig aufeinandertreffenden „uralten“ Stra- ßenzügen der Gudrun- sowie Laxenburgerstraße (Beide Straßen

18 die Rotenhofgasse erinnert heute noch daran. Der „Rothe Hof“ dürfte aber entgegen der Angaben Felix Czeikes im Historischen Lexikon Wien, den Recherchen Walter Sturms zufolge kein ehemaliges Jagdschlösschen Karls des VI. gewesen sein. Das Jägerhaus samt Lusthaus südlich des Simmeringer Wäldchens hingegen war, wie auch jene heute noch bekannten im Wiener Prater, ein beliebter Ausflugsort seines Enkels Josef II. 19 verlaufen entlang von seit dem Altertum benutzten Handelswegen. (Siehe Karte)

Einige öffentliche Bauvorhaben, die vornehmlich der Ver- sorgung der wachsenden Metropole dienten, standen der großen Flächenausschlachtung des Gründerzeitlichen Zinskasernenbaues gegenüber bzw. bildeten mit den Rahmen für ihre Entwicklung:

• Der Bau der Süd- und Ostbahn deren Verläufe seit sei- ner Geburtstunde die Grenzen des Bezirks zum Rest der Stadt bilden, sowie in diesem Zusammenhang die Errich- tung des Wien-Gloggnitzer und Wien-Raaber-Bahnhofes 1841 bzw. 1845.

• Der Bau der Kaiser-Franz-Josef-Hochquellenleitung, heu- te I. Wiener Hochquelleitung zwischen 1870 und 1873, und in diesem Zusammenhang zeitgleich (neben den Wasserbehältern am Rosenhügel und auf der Schmelz) das Wasserreservoir Wienerberg, das 1898-1899 zur Versorgung der oberen Stockwerke der höhergelegenen Häuser von Favoriten und Meidling um den Wasserturm ergänzt wurde, der neben der Spinnerin am Kreuz heute eines der Wahrzeichen des Bezirkes darstellt.

• Der Bau des Kaiser-Franz-Josef-Spitals (heute SMZ Süd) 1887 zwischen der Triester Straße und der Grenze zum Nachbarbezirk Meidling.

• Die restliche Bebauung folgte den in der Gründerzeit üblichen Mechanismen: Der Bedarf an Wohnraum, um nicht zu sagen, die schiere Wohnungsnot rief Private Investoren und Bauunternehmungen auf den Plan, die- se erwarben die im Bereich Favoritens weitgehend noch unbebauten Gründe, zwischen teilweise bereits bestehen- den Verkehrswegen, parzellierten und bebauten sie mit Zinskasernen, den ersten „Behältnissen“ des modernen Massenwohnens.

Das Wohnbaugeschehen am Nordhang des Wienerberges entprach in seiner Dynamik der fortschreitenden Industrialisie- rung die sich an der Anzahl der am Südhang des Wienerbergs angesiedelten Fabriken, Ziegelöfen und Betrieben ablesen lässt. In Favoriten kann gewisserweise von einer frühen Form der städte- baulichen Funktionstrennung gesprochen werden, da der speziell auf den Freiflächen im Süden Wiens aufblühende sekundäre Sektor 7.. Laxenburger Straße, 1920 Arbeitskäfte benötigte, die ihren Wohnraum zu einem Gutteil in diesen dicht bebauten Gründerzeitquartieren fanden. Tatsächlich ist mein subjektiver Eindruck, dass die in den bürgerlichen Ge- genden innerhalb der Linie doch recht geläufige Ansiedlung von Hinterhofmanukafturen einerseits, und nur zur Hälfte unter Ni- veau liegenden Kellerbetrieben und –magazinen andererseits in

20 Favoriten aufgrund der Proximität der großen Industriebetrieben möglicherweise etwas seltener anzutreffen ist. In vielen Gebäu- den waren seit ihrer Errichtung teils vom Erdgeschoß, sonst vom ersten Obergeschoß bis in das letzte Vollgeschoß dicht bewohn- te Wohnungen untergebracht. Eine generelle Differenzierung der Erdgeschoße hinsichtlich einer nicht dem Wohnen verschriebenen Nutzung als Geschäfts-, Gewerbe-, oder Gastwirtschaftslokal ist, wie im Querschnitt der sonstigen Wiener Gründerzeitquartiere, nur in verstreuten Einzelfällen und vermehrt an den Eckhäusern abzulesen, wodurch jedoch seinerzeit generell keine Wohnnutzung ausgeschlossen wurde.

Die Entwicklung der Blockrandbebauung in der Spätgrün- derzeit, also dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und den Jah- ren des 20. Jahrhunderts bis knapp vor dem Ersten Weltkrieg lässt sich durch den Vergleich des Kartenmaterials von 1972, dem Stadt- plan von 1892, sowie den online verfügbaren Generalstadtplänen von 1904 und 1912 nachvollziehen.

Aus diesem Material lassen sich auch Rückschlüsse auf die Formgebung der als Stadtraum wahrgenommenen Struktur des Straßennetzes ablesen:

• Die ältesten Seitengassen im Bereich der unteren Favo- ritenstraße in Richtung heutiger Sonnwendgasse, wie die Keplergasse oder die Raaber-Bahn-Gasse haben lediglich eine Breite von 11,38 m, also genau 6 Klaftern19.

• Die Breite der allermeisten Gassen in der klassischen gründerzeitlichen Rasterstruktur, beträgt in der Re- gel 15,17 m, das entspricht 8 Klaftern und lässt sowohl Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Projektierung (jdf. vor 1876) als auch auf die auch heute noch maximale Bauhöhe (grundsätzlich Bauklasse III (9m

• Einzelne Straßen, wie zB die Gudrunstraße, die Rothen- hofgasse oder die radial vom heutigen Reumannplatz, dem damaligen Bürgerplatz ausgehenden Ettenreich-, Neusetz- und Bürgergasse, aber auch mehr oder weniger konzentrisch angeordnete Straßenzüge wie die Steudel- gasse, oder die Inzersdorferstraße wurden mit einer Breite von 18,96 m, also 10 Klaftern angelegt und sind daher entweder als höherrangige Verkehrswege zu verstehen, oder aber hatten repräsentativen Charakter, was sich durch die Pflanzung von Alleen zeigt, entlang derer die

19 Der/Das Klafter war seit 1756 durch das allgemeine Maßpatent Maria-Thersias das verbindliche Längenmaß in der Habsburgermonarchie und wurde durch Gesetz vom 23. Juli 1871 durch den international schon länger gebräuchlichen Meter endgültig abgelöst. Als klassisch „Österreichische Lösung“ war das metrische System jedoch erst ab 1. Jänner 1876 verbindlich. 21 zulässige Gebäudehöhe teilweise aber nicht überall höher liegt (Bauklasse IV (12m

• Sonstige Straßequerschnitte wie zB auf der Favoriten Straße (bis Bürgerplatz , weil älter 21,50m = 11 Klafter 2 Fuß, ab da weil Allee 30,34m = 16 Klafter), Quellenstras- se (22,76m = 12 Klafter), Triester Straße (28,45 m = 15 Klafter) und Laxenburger Straße (30,24m = 16 Klafter) lassen auf noch höherrangigere Straßen bzw. repräsenta- tiven Charakter schließen.

Auch wenn sich daraus keine strenge Regel ableiten lässt, da die Bebauung einzelner Gründstücke oft in privater Hand lag und dadurch eine gewisse Schwankungsbreite bei den Entwurfspara- digmen vorlag, so legt die empirische Beobachtung des heutigen Straßenraumes und deren stichprobenartige Überprüfung anhand des zur Verfügung stehenden Kartenmaterials einige Tendenzen in Bezug auf die Bebauungsstruktur der Baublöcke des gründerzeitli- chen Favoritens nahe:

• Die Baublöcke Favoritens sind weitgehend kompakter als beispielsweise jene in Ottakring, wo zwischen Thaliastra- ße und Gablenzgasse großflächig uniforme Blöcke mit 120 x 60 m ausgebildet wurden. In Favoriten erreichen nur die allergrößten Blöcke im Bereich des Friesenplatzes zwischen Inzersdorfer und Angeligasse eine solche Aus- dehnung.

• Die einzelnen Parzellen haben zwar wie auch sonst üblich meist Fassadenbreiten zwischen 16 und 25 m, aufgrund der kompakteren Baublöcke ergeben sich jedoch vieler- orts Parzellentiefen, die mit nur knapp über 20 m, in der damaligen Bauweise ausschließlich die Bebauung mit rei- nen Straßentraktern erlaubten, wodurch der sogenannte H-Trakter in Favoriten seltener anzutreffen ist als im Rest der Stadt.

• Das wiederum hatte zur Folge, dass zur Nutzflächenma- ximierung oft hofseitig hufeisenförmige Stiegenhäuser mit anschließenden Aborttürmen angebaut wurden.

In den Generalstadtplänen 1904 und 1912 ist, neben der aus- führlichen Darstellung der Bebauungsformen, der Straßenbreiten, Höhenkoten der Kreuzungen und teilweisen Eintragung der Er- richtungsjahre, außerdem die städtebauliche Erweiterungsabsicht jenseits der Grenzen der geplanten gründerzeitlichen Blockrand- bebauung – grob verallgemeinert Entlang der Pufferzone zwischen

22 Troststraße einerseits und Rax- und Grenzackerstraße andererseits – abzulesen. Die Anlage weiterer Straßenzüge und eine damit ein- hergehende projektierte Bebauung wurde zwar größtenteils nicht oder nur in Ansätzen realisiert, folgt aber jedenfalls einer im Wie- ner Kontext eher unüblichen, großzügigen Dimensionierung des Straßen- und damit Stadtraumes und einer Morphologie, die mög- licherweise auf die Kritik Camillo Sittes an der Rasterstadt reagiert und deren „Motivenarmuth und Nüchternheit“ 20 durch „gefällige“ Stadträume zu ersetzen trachtet

„Nur beim Städtebau findet man es nicht verrückt, einen Ver- bauungsplan ohne bestimmtes Programm machen zu wollen, und zwar folgerichtig deshalb, weil man eben keines hat, weil man eben nicht weiss, wie sich der betreffende neue Bezirk entwickeln wird. Der zutreffende Ausdruck dieser Programmlosigkeit ist dann das bekannte Baublockrastrum. Dieses besagt dürr und trocken: „Wir könnten schon etwas Schönes und Zweckmäßiges machen, aber wir wissen nicht was, und somit lehnen wir es ergebenst ab, uns mit dieser nicht detailirt gestellten Frage zu befassen, und übergeben hiemit einfach die Gliede- rung des Flächenausmasses, damit die Ausschrotung per Quadratmeter beginnen kann.““21

8. Generalstadtplan, 1912 20 Camillo Sitte: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, 1889

21 Camillo Sitte, Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, S.136 23 2.5. Exkurs: Wien nach der Monarchie

Mit der Umwälzung der politischen Strukturen in Europa ab 1918-19 geht auch ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wan- del einher, der die (Weiter-)Entwicklung der Stadt ab dem ersten Weltkrieg unter ein gänzlich neues Licht stellt. Für Wien bedeutet dies das Ende seines Daseins als Metropole und Hauptstadt eines Vielvölkerstaates. Der Wandel zur Industriegesellschaft ist längst abgeschlossen, soziale Umbrüche führen zunächst zur Schaffung demokratischer Staatsgebilde fast überall in Europa. Das sozialis- tisch geprägte Gedankengut in den Großstädten führt dazu, dass die Gemeinden neue Aufgaben im Städtebau wahrnehmen. Der überwiegende Teil des 20. Jahrhunderts ist, gepaart mit der stän- digen Neu-Erfindung der Gesellschaft selbst, geprägt von immer neuen Ideen in Bezug auf Stadt und Architektur. Was auf die jahr- hundertelange vernakuläre Entwicklung der Städte folgt, ist eine Ära der Dogmen. Neue Stadtmodelle fordern die Exklusivität der Ultima Ratio für sich ein und führen so zu urbanen Experimenten die letzlich in der Erzeugung von Zentralität scheitern, da sie den mit der fortschreitenden Gesellschaftsentwicklung verbundenen Erwartungshaltungen ihrer Nutzer hinterherhinken. Am Ende des 20. Jahrhunders hat die räumliche Perpetuierung dieser Entwick- lungen in einem Konstrukt gemündet, das Thomas Sieverts22 als „Zwischenstadt“23 bezeichnet: ein Konglomerat aus historisiertem Stadtkern, verschiedenen suburban-geprägten Stadtmodellen und zersiedeltem ländlichen Raum, das schließlich in die Ubiquität von Urbanität mündet. Stadt ist überall und nirgendwo.

Nach den Kriegsjahren befand sich Wien in einer Sonderstel- lung in Europa, da die Stadt, durch den Vertrag von St.Germain, von der Hauptstadt eines 52 Millionen Einwohner zählenden Viel- völkerstaates, zum „Wasserkopf“ eines Kleinstaates mit 6 Millionen Einwohnern und einer fraglichen Identität degradiert wurde und noch dazu auch geographisch nunmehr in einer Randlage mit be- sonders beschnittenem Einzugsgebiet verblieb. Eine geringe Zahl an Rückwanderungen von Beamten und Offizieren aus den Nach- folgestaaten konnte die Abwanderung von rund 340.000 fremd- sprachigen Einwohnern vor allem nach Tschechien nicht aufwie- gen und so verringerte sich die Wiener Einwohnerzahl von etwa 2.275.000 im Jahre 1915 auf ca. 1.842.000 im Jahr 1919 und hielt sich bis 1934 in etwa auf diesem Niveau.

Trotz dieser Verringerung der Bevölkerungszahl durch Rück-

22 *1934 in Hamburg, Deutscher Architekt und Stadtplaner

23 Die extensiven materiellen Nebenprodukte dieser idealistischen Bemühungen, noch überlagert mit den Auswüchsen der Konsumgesellschaft bezeichnet Rem Koolhaas weiters als Junk-space. 24 gang der Zuwanderung, sowie der Geburtenrate, entstand weiter ein hoher Bedarf an neuem Wohnraum, was vor allem auf den Wandel der Bevölkerungsstruktur zurückzuführen war: die Zahl der Haushalte nahm von 479.339 im Jahr 1910 auf 631.174 im Jahr 1934 zu, was auf einen Rückgang der durchschnittlichen Perso- nenzahl pro Haushalt von 4,3 im Jahr 1910 auf 3,0 im Jahr 1934, durch Überalterung der Bevölkerung, Zunahme der Heiratshäu- figkeit, sowie Abnahme familienfremder Personen in den Haus- halten (Hauspersonal, Untermieter (geringe Mieten durch Woh- nungszwangswirtschaft), beim Unternehmer wohnende Lehrlinge und Gehilfen) zurückzuführen ist.

„Der Kapitalismus kann nicht von den Rathäusern aus beseitigt werden. Aber große Städte vermögen schon in der kapitalistischen Ge- sellschaft ein tüchtiges Stück sozialistischer Arbeit zu leisten“

Robert Danneberg, 1930, „Zehn Jahre Neues Wien“

Mit der Machtergreifung der Sozialdemokraten in Wien geht eine grundlegende Veränderung der Bodenpolitik einher: die marktwirtschaftlichen Prinzipien des Wohnungsbaues wurden ver- dammt und der „soziale Wohnungsbau“ wurde zum wesentlichen Programmpunkt der neuen Stadtregierung erhoben. Durch die, bei der Gemeinderatswahl am 4. Mai 1919 erreichte, absolute Mehr- heit, konnten die Sozialdemokraten mit 1. Jänner 1922 die Tren- nung Wiens von Niederösterreich vollziehen wodurch in der Stadt, die fortan eigenes Bundesland war, unabhängig gesellschaftspoliti- sche Vorstellungen umgesetzt werden konnten. Der bedeutendste Ideengeber war wohl Robert Danneberg, von 1920-32 erster Prä- sident des Wiener Landtags und dann bis Februar 1934 Finanz- stadtrat24, der durch die Einführung der Wohnbausteuer und die Wiener Wohnbauprogramme 1923 und 1927 sowas wie der Vater des Wiener Gemeindebaues war.

Im Wohnbau der 1920er prägen also nicht mehr Zinshaus- bauten privater Investoren, sondern großangelegte Projekte der Gemeinde Wien das Stadtbild. Aus Mitteln der Wohnbausteuer werden von 1919 bis 1936 ca. 65.000 Wohnungen, für 220.000 Bewohner, in 382 „Gemeindebauten“, die von 199 verschiedenen Architekten geplant wurden25, geschaffen, die vielerorts nicht mehr der kleinteiligen Struktur der Blockrandbebauung folgten, sondern in großen Wohnanlagen endlich ein humaneres Lebensumfeld und zeitgemäße Versorgung versprachen. Dieser Entwicklungsschritt war schlichtweg notwendig, da die Wohnbaupolitik am Ende der 9. Gemeindebau Trostrstrasse 64-66 Habsburgermonarchie, die „unter dem Signum „hoffnungslos, aber

24 Er löste damit Hugo Breitner (1873-1946) ab, der ab 1923 ein extrem progressiv angelegtes Landessteuersystem einführte, das als „Breitner-Steuern“ immer wieder Zielscheibe der Christlichsozialen Partei war.

25 Quelle: http://www.dasrotewien.at/kommunale-wohnbauten-der-ersten-republik. html 22.März 2012 25 nicht ernst“ gestanden“ 26 hatte, den katastrophalen Verhältnissen nicht mehr Herr werden konnte: die schlecht ausgestatteten über- völkerten Zinskasernen waren mittlerweile Nährboden für Tuber- kulose und andere Krankheiten. Besonders in Randbereichen der dichtbebauten Innenbezirke, so am (Drasche-)Gürtel27 in Marga- reten und Meidling, aber auch entlang der von Otto Wagner als dritten hochrangigen Erschließungsring um die Stadt geplanten Vorortelinie, wurde Grund angekauft und mit Wohnsiedlungen für die Arbeiterschaft bebaut.

Ein Eckpfeiler des sozialistischen Wohnungswesens war, ne- ben dem Wohnungsanforderungsgesetz28 von 1919, vor allem der Mieterschutz, der in Form des Mieterschutzgesetzes 1922, das die Nachfolge der Mieterschutzverordnung von 1917, in der wie in fast allen europäischen Staaten während des Weltkrieges die Höhe des Mietzinses und das Kündigungsrecht beschränkt wurden, antrat. Der Mieterschutz betraf einerseits die Deckelung der Miethöhen, indem der Mietzins auf das 150fache des Wertes von August 1914 festgelegt wurde –gegenüber einer um das 14.400fache entwerteten Krone im Jahr 1924. Die Miete war somit nur noch ein „Erinne- rungsposten im Budget der Mieter“, und obwohl zusätzlich Repa- ratur- und Betriebskosten von den Hauseigentümern eingehoben wurden führte das zum sukzessiven Verfall der (Gründerzeit-)Häu- ser, besonders in den Arbeiterbezirken. Von 1929 bis 1932 wurde zwar, im Zuge einer Mietrechtsreform und dem Wohnbauförde- rungsgesetz, der Mietzins stufenweise bis zu einem Fünftel des Vor- kriegszinses angehoben, wodurch die Miete im durchschnittlichen Budget einer Arbeiterfamilie bei rund 4 % lag (vgl. ca. 30% heute!), von freien marktwirtschaftlichen Verhältnissen konnte aber noch lange keine Rede sein!

Bobek und Lichtenberger geben vor allem 3 Folgen dieser Gesetzgebung an:

1. Der private Miethausbau wurde unrentabel und kam zum erliegen, da es durch die niedrigen Mieten unmöglich war das Baukapital zu amortisieren. Die wenigen Neubauten von großen Baufirmen, die nach den Verordnungen der Jahre 1920-21 vom Mieterschutz befreit waren, standen durch das Missverhältnis des wirtschaftlich berechneten Mietpreises gegenüber der Zwangsmiete, monatelang leer.

26 Allan Janik, Stephen Toulmin: Wittgensteins Wien. Simon & Schuster, New York 1973. Hanser, München 1984. S. 321

27 Der, die Baubranche in der Gründerzeit wie kein anderer dominierende, Großindustrielle Heinrich von Drasche-Wartinberg war vormals Eigentümer der Gründe im Bereich des ehemaligen südlichen Linienwalles.

28 Die Gemeinden konnten fortan Wohnungssuchenden freiwerdende, zur Gänze untervermietetete, sowie leerstehende Wohnungen mit mehr als drei Räumen, deren Anzahl an Räumen die Zahl der Haushaltsmitglieder überstieg, zuweisen. 8 % des Wohnungsbestandes, also 44.838 Wohnungen wurden so bis 1925 vergeben. 26 2. Aufgrund niedriger Mieten konnten auch die Löhne und dadurch die gesamte Volkswirtschaft niedrig gehalten werden. Dies erleichterte jedoch die internationale Wett- bewerbsfähigkeit der schwer angeschlagenen Industrie.

3. Die Mobilität im städtischen Gefüge, auch im gewerbli- chen Sektor ist durch den Mieterschutz und folglich die Bindung der Bevölkerung an Wohnung und Arbeitsstätte quasi „erstarrt“, bzw. wurde der Wohnungsmarkt durch den Mieterschutz „versteinert“: Der Wohnungswechsel erreichte jährlich etwa 2%, während er in der Hochgrün- derzeit noch bei rund 33% lag.

Weitere Folgen dieser Rahmenbedingungen zeigten sich in der Praxis in Form von Untervermietung, sowie gesetzwidriger Ab- lösen, durch die die Wohnungsbewirtschaftung durchlöchert und versucht wurde zumindest teilweise noch Kapital aus den Immobi- lien zu schlagen. Subjektiv entstanden so, durch den Mieterschutz, das Gefühl des „Quasi-Eigentums“ und eine stärkere Bodenstän- digkeit bei den Mietern. Im Gegensatz zur Gründerzeit, wo Groß- teils Kleinwohnungen im äußeren Wohnungsgürtel davon betrof- fen waren, waren es nun vor allem Mittel- bis Großwohnungen von alleinstehenden Generals- und Hofratswitwen in den Innenbezir- ken. Durch die gehemmte Mobilität des Wohnungsmarktes und dadurch erhöhte Verkehrsspannung zwischen Arbeits- und Wohn- ort, steigerte sich auch die durchschnittliche Anzahl an (Pendler-) Fahrten pro Bewohner mit den städtischen Straßenbahnen von 151 (1911-1915) auf 335 (1926-1930).

Der zweite Eckpfeiler, nämlich die Bauordnung von 1929, schuf nachträglich Rahmenbedingungen, die die Baupraxis der ersten Zwischenkriegsjahre, die sich de facto in Bezug auf Bebau- barkeit und Flächenwidmung ohnehin über die noch geltende Bau- ordnung von 1893 hinwegsetzte, wieder in geregelte Bahnen lenk- te. Wesentliche Bedeutung hatten außerdem jene Bestimmungen, die auf eine Verbesserung der Wohnhygiene abzielten: Belichtung, Belüftung (§ 83), Aufenthaltsräume (§ 89), Wohnungen und deren Zugehör (§ 90), Sanitärräume etc. (§§ 91, 92), womit beispielsweise dem H-Trakter, als profitabelstem Vertreter der Verbauungspraxis der Spätgründerzeit ein Riegel vorgeschoben wurde. Der III. Ab- schnitt der Bauordnung (§§ 39-46) enthielt Bestimmungen über Enteignungen, die der Gemeinde weitaus mehr Spielraum bei der Assanierung überalterter Wohnviertel, zum Zwecke der Errichtung öffentlicher Bauten oder auch bei der Verkehrsplanung einräumte. Genauso wie beispielsweise die Bestimmung über den Fachbeirat für Stadtplanung (§ 3), die erst 1947 wirksam wurde, wurden die Enteignungen durch die Gemeinde aber in der Praxis erst in der Nachkriegszeit in großem Stil umgesetzt.

Der aus heutiger Sicht mitunter katastrophale Zustand der in- dustrialisierten europäischen Städte mit ihrer Luftverschmutzung,

27 dem Mangel an Hygiene durch zu hohe Dichte, den engen Wohn- verhältnissen und schlechten Sanitärversorgungen waren seit etwa der Jahrhundertwende Nährboden für eine Reihe an Überlegun- gen zum Schlüssel aus der Misere. Besonders London, die zu jener Zeit größte Stadt Europas benötigte dringend einer Lösung und so verwundert es nicht dass gerade dort Ebenezer Howard schon 1902 mit seinem Konzept der Garden City, im Wesentlichen einer geplanten Satellitenstadt erste Ansätze in Richtung eines grüneren Lebensraumes vorschlug.

Am europäischen Festland war es die Werkbundbewegung, ursprünglich aus dem künstlerischen Umfeld inspiriert, die vieler- orts neue Wohnmodelle als Prototypstudien publik machte. Die Werkbundsiedlung in Weißenhof (Stuttgart) (1927) ist - weit kom- promissloser wie jene in Wien (1932) - heute noch ein Zeitzeugnis alternativer Wohnmodelle nach funktionalistischen Gesichtspunk- ten und auf engstem Raum, bei trotzdem vorhandener Freiheit. Im Gegensatz zum englischen Modell stand hier jedoch nicht die Gesamtplanung im Vordergrund, vielmehr handelte es sich um Ausstellungen, die verschiedene Wohntypen in einem quasi enzy- klopädischen Städtebau in einer Art Park mit privaten Gärten der Öffentlichkeit zu günstigen Preisen zugänglich machte. Hierbei wurden international renommierte Architekten (unter anderem Teilnehmer des CIAM, wie Hugo Häring, André Lurcat) einge- laden Kleinstwohnhäuser nach technisch und gestalterisch neuen Maßstäben zu entwerfen.

2.6. Favoriten im „Roten Wien“

In Favoriten, das als prototypischer Arbeiterbezirk natürlich im Fokus des nun von sozialistischen Gedanken geprägten Wohn- baues stand, wurde quasi auf dem Höhenrücken des Wienerber- ges ein Schlussstrich unter den kapitalistischen Zinskasernenbau gesetzt. Bereits parzellierte Restflächen innerhalb des gründerzeit- lichen Rasters wurden jetzt zwar noch nach bestem Ermessen in Form von „Superblocks“ wie dem Viktor-Adler-Hof an der Triester Straße (111 Wohnungen, 1923-24, Engelbert Mang) oder dem Per- nerstorfer Hof an der Trostraße (431 Wohnungen, 1924-1926, Paul Gütl, Camillo Fritz Discher) verbaut, der Übergang einer Gesell- schaftsform in eine Neue lässt sich am südlichen Ende der gründer- zeitlichen Blockrandbebauung aber am deutlichsten ablesen.

Ein Spaziergang entlang der Achse Wienerbergstraße – Alt- dorferstraße – Raxstraße – Grenzackerstraße – Altes-Landgut / Verteilerkreis ist gleichsam einer durch die Wiener Stadterweite- rungskultur des 20. Jahrhunderts. Während sich auf der nördlichen Seite in richtung Stadt die letzten Blöcke des gründerzeitlichen Rasters, trotz den Überformungen ihrer Bebauung durch neuere Denkschulen, noch morpholgisch erahnen lassen, reihen sich rich- tung Süden die steingewordenen Zeugnisse sozialistischer Wohn- 28 bauutopien des letzten Jahrhunderts. Die hier angetroffene Konti- nuität der baulichen Entwicklung stellt dabei eine morphologische Unterscheidung vor das Baualter (Zwischenkriegszeit (1919-1938), 2. WK (1938-1945), Nachkriegszeit (1950-1970), Postmoderne (ab 1970 bis zum Ende des Gemeindewohnbaues und dem aufkom- men des geförderten Wohnbaues um 1990).

Ein Vergleich der dort entstandenen Strukturen zeigt im We- sentlichen vereinfacht 4 unterschiedliche Bebauungsformen, die einer nunmehr systematisierten Verbauung der Stadterweiterungs- gebiete gedient haben:

1. Reihenhausartige Siedlungen in 1-, 2- und Mehrfamili- enwohnhäusern, die in, den Idealen der Gartenstadt ver- schriebenen, Parkanlagen eingebettet sind:

• Die von Franz Schuster und Franz Schacherl geplante Ei- genheimsiedlung „Am Wasserturm“ von 1923-24, die als Ensemble eine der nur 3 Schutzzonen Favoritens darstellt und deren Bau von der GESIBA mit treuhänderisch von der Stadt Wien zur Verfügung gestellten Mitteln errichtet wurde,

• Wohnsiedlung am Laaer Berg (215 Wohnungen, 1927, 10. Siedlung am Wasserturm Franz Schacherl)

• Wohnsiedlungen am Wienerfeld West (145 Wohnungen, 1939-1942, GESIBA) und Ost (426 Wohnungen, 1939- 1942, GESIBA)

• Per-Albin-Hansson-Siedlung West (1097 Wohnungen, 1947-1951 und 1954-55, Friedrich Pangratz, Franz Schus- ter, Stephan Simony, Eugen Wörle)

2. Größere Strukturen mit Arbeiterwohnungen in Hofbe- bauungen oder „Superblocks“:

• Mithlingerhof Rasenstadt: 990 Wohnungen, 1929-1933, Karl Schmalhofer

• Wohnhausanlage am Laaer Berg: 748 Wohnungen, 1930- 1931, Karl Schmalhofer

• Olof-Palme-Hof : 409 Wohnungen, 1972-1976, Carl Au- böck, Wilhelm Kleyhons

• Karl-Wrba-Hof (sogenannte „Senf-Bauten“): 1048 Woh- nungen, 1972-1982, Rupert Falkner, Ernst W. Irsigler, Matthäus Jiszda II., Franz Kaminsky, Stefan Karabi- beroff, Werner Schröfl, Helmut Schultmeyer, Hedwig

29 Wachberger)

3. Aufgelöste Großstrukturen in Form von Zeilenbauweise:

• Wohnhausanlage Eisenstadtplatz 4-8: 174 Wohnungen, 1960-1963, Othmar Augustin, Walter Jaksch, Hans Jaksch, Hermann Kutschera, Leopold Ledwinka, Artur Perotti, Werner Schröfl, Maria Tölzer, Peter Tölzer, Sieg- fried Theiß

• Wohnhausanlage Laaer-Berg-Straße 34-38: 254 Woh- nungen, 1960-1963, Hermann Kutschera

• Wohnhausanlage Grenzackerstraße 7-11: 247 Wohnun- gen, 1968-1970, Karl Oeller, Heinrich Reitstätter, Wolf- ram Schindler, Erika Schreiber

• Per-Albin-Hansson-Siedlung Nord: 534 Wohnungen, 1969-1971, Anton Siegl, Otto Nobis, Franz Wosatka, Anny Beranek, Johannes Lintl, Josef Wenz

• Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost: 4300 Wohnungen, 1970-1974, Hermann Kutschera, Peter Payer, Oskar Pa- yer)

4. Klein- bis großflächige teppichartige Verbauung mit Kleingärten oder ähnlichen Siedlungen die ihren Ur- sprung in der Siedlerbewegung hatten:

• KLG Rudolfshöhe

• KLG Laxenburger Allee

• KLG Weichselgarten

• KLG Blumental

• KLG Heuberggstätten

• Heimkehrersiedlung

30 3 Status Quo

Neben den großflächigen Interventionen der sozialistischen Wohnbaupolitik ab der Ersten Republik war Favoriten besonders ab den späten 1960er Jahren Zielgebiet einer grundlegnden Mo- dernisierung der Stadt, nicht zuletzt auch in Bezug auf die Funkti- onsweise des Verkehrs.

Der Bau der Autobahn A23 Süd-Ost-Tangente zwischen dem Knoten Inzersdorf und dem Verteilerkreis (Anschlußstelle) Favo- riten bis 1970, sowie die Verbindung mit dem Knoten Prater bis 1978 stellten nur auf den ersten Blick eine privilegierte Behandlung des Individualverkehrs dar. Durch ihre überregionale Bedeutung, besonders auch für den Güterverkehr und eine – zumindest im Be- reich Favoritens – einigermaßen unauffällige Einbettung in die To- pografie stellt sie in Wahrheit eine Verkehrsentlastung des dichter bebauten Stadtgebietes dar. Tatsächlich wirkt die „Tangente“ heute zwar landschaftlich wie stadträumlich als Barriere, die Immissio- nen halten sich dem Lärmschutzkataster29 zufolge aber, selbst in den exponiertesten Teilen der Per-Albin-Hansson-Siedlung-Nord, mit 65-70 dB zwar deutlich über dem Grenzwert von 60 dB im 24 Stunden-Durchschnitt, aber dennoch weit unter den Belastungs- werten in beispielsweise unmittelbar an die Triester- oder Laxen- burgerstraße angrenzenden Wohnblöcken wo über 70 dB gemessen werden.

Die Paradigmen einer zukunftsweisenden Mobilität in der Stadt führten weiters ab 1969 zum Bau des Wiener U-Bahn-Netzes, das in Favoriten mit den Stationen Reumannplatz und Keplerplatz auch das südliche Ende des ersten 1978 in Betrieb genommenen Teilstücks der U1 in Richtung Karlsplatz bildet. Die derzeit in Bau befindliche weitere Verlängerung im Verlauf der Favoritenstraße über das Alte Landgut in Richtung Oberlaa soll im Herbst 2017 fertiggestellt werden und bildet eine hochrangige Verbindung der südlichen Bezirksteile (mit der Option einer Gabelführung in das Stadterweiterungsgebiet Rothneusiedl), nicht nur in das Bezirks- sondern auch ins Stadtzentrum.

Nebeneffekt des ersten U-Bahn-Baues war außerdem die Er- richtung der Fußgängerzone Favoritenstraße zwischen Landgut- gasse und Reumannplatz 1974-76, nicht zuletzt durch Einflußna- me des – als angeblichem „Erfinder“ des Shopping Centers völlig missverstandenen30 - amerikanischen Architekten und Stadtplaners Wiener Herkunft Victor Gruen31 auf den damaligen Wiener Bür-

29 www.laerminfo.at

30 Gruens Aussage war es, dass die Einkaufszentren in dezentrierten, amorphen amerikanischen Städten angemessen seien, weil sie zentrumsbildend wirken können, während sie in alten europäischen Städten nur negative Auswirkungen haben könnten. Gruen ging es immer darum, Urbanität zu schaffen und sie nicht zu zerstören. (Quelle: Alex Wall - Victor Gruen: From Urban Shop to New City, ACTAR, 2005)

31 Die Victor-Gruen-Gasse im Bereich der Löwy-Grube ist nach ihm benannt. 31 germeister Felix Slavik (1970-1973), der selbst kein großer Fan des U-Bahn-Baues war. In den Jahren 2004/2005 wurde diese Fuzo bis zur nördlichen Bezirksgrenze am Südtiroler Platz erweitert und durch Einbezug des Columbusplatzes, nebst Errichtung eines Ein- kaufzentrums (dann doch!) und einer Tiefgarage, in den letzten Jahren eine Art identitätsstiftender Hauptplatz für den Bezirk ein- gerichtet.

Außerdem aufgrund ihrer Fernwirkung32 als Landmark ir- gendwie identitätsstiftend, ist die auf den Gründen der ehemali- gen Wienerberger Ziegelfabrik, neben dem 1962-64 nach Plänen von Karl Schwanzer erbauten Philips-Haus und aus einem städ- tebaulichen Ideenwettbewerb in den 1980ern hervorgegangene Wienerberg-City. Ab 1995 wurden hier südlich des George-Wa- shington-Hofes Hochhäuser mit Büro- und Wohnnutzung, sowie ein Einkaufs- und Unterhaltungscenter erbaut. Die Bedeutung und urbanräumliche Verflechtung dieses von den Betreibern, als eigener Stadtteil titulierten Areales ist, ähnlich wie die anderer im Maß- stab Favoritens eher peripher gelegenen Großprojekte, wie jene der Therme Wien (Oberlaa) (1969, Neubau 2012) oder des FH Cam- pus Wien (2009) aus meiner Sicht eher auf regionaler oder zumin- dest gesamtstädtischer Ebene zu suchen, als auf Bezirksebene, wie das beispielsweise bei der Wohn- und Bürobebauung Monte Laa (2001-2008) auf den ehemaligen Porr-Gründen zum Teil noch der Fall wäre. In gewisser Weise sind das jene Bereiche wo Favoriten dann – von einer gewissen Internationalität beflügelt – doch noch über seine Grenzen hinauswächst und von einer Stadt in der Stadt mit höchst spezifischer Identität zu einem austauschbaren Standort in der Zwischenstadt wird.

32 Von der Südautobahn nach Wien kommend begrüßt einen heute nicht mehr die Spinnerin Am Kreuz sondern bereits auf Höhe der Anschlusstelle Traiskirchen diese prägnante Skyline mit den vom Italienischen Architekten Massimiliano Fuksas entworfenen Vienna Twin-Towers. 32 11. Wienerberg

33 4 Versuch einer diagrammatischen Darstellung Favoritens

12. Diagrammatische Darstellung Favoritens

34 35 36 B Gesellschafts- und Stadtentwicklung, Stadterneuerung

37 1 Tendenzen der Gesellschafts- und Stadtentwicklung

1.1 Was ist Gesellschaft?

Der Einblick in die aktuelle Gesellschaftsentwicklung erfor- dert einen kleinen Exkurs in die Theorie unserer Gesellschaft33. Die Soziologie34 befasst sich mit der theoretischen und empirischen Er- forschung des sozialen Verhaltens, also den Voraussetzungen, Ab- läufen und Folgen des Zusammenlebens von Menschen. Wenn ich im gegenständlichen Kontext von Gesellschaft spreche, so beziehe ich mich einerseits auf das – stark vereinfacht durch die globalisier- te Medienkommunikation begründete – theoretische Konstrukt einer „Weltgesellschaft“ im Sinne von Niklas Luhmann, anderer- seits auf eine nicht enger eingegrenzte Gruppe von Menschen, die einen Bezug zum untersuchten Stadtraum haben und mit diesem in Wechselwirkung stehen, also die Stadt gleichzeitig bespielen, von ihr geprägt sind und sie aber auch (mit-)gestalten.

1.2 Globale Gesellschafts- und Stadtentwicklung

Genau wie die Geschichte das Verständnis des räumlichen Gefüges der Stadt ermöglicht, ist ihr Kontext für die in ihr origi- nären Bevölkerungen prägend und identitätsbildend. Die Soziolo- gie behilft sich in ihrer Analyse der Definition von Bevölkerungs- kohorten, also Gruppen von Personen, die gemeinsam haben, ein bestimmtes, längerfristig prägendes Ereignis erlebt zu haben. So werden beispielsweise die unsere aktuelle Gesellschaft bildenden Generationen als Baby-Boomer, sowie Generationen X, Y und Z zusammengefasst und ihnen jeweils unterschiedliche Eigenschaf- ten zugeschrieben. Diese empirische Kategorisierung ermöglicht das vereinfachte Verständnis von gesellschaftlichen Dynamiken durch eine modellisierte theoretische Gesellschaft, die von, zu ihrer Darstellung eingesetzten Stereotypen bevölkert wird.

Vereinfacht gesagt besteht die Gesellschaft also aus den ange- führten Generationen und ihre Charakteristika definieren die Ten- denz in die sich die Gesellschaft entwickelt. Die Abschätzung der künftigen Entwicklungen zB in der Futurologie oder Zukunftsfor- schung erfolgt unter anderem auf Basis dieses Wissens.

33 Gesellschaft leitet sich etymologisch vom Gesellen ab, dieser wiederum von althochdeutsch „sal“ = Raum, bezieht sich also auf eine Gruppe von vorübergehend oder dauernd im selben Raum vereinten Personen. Dieser „Raum“ kann, je nach Auslegung des Begriffes, die gesamte Welt, eine Region, ein Land oder auch eine Stadt sein.

34 Den Begriff „Soziologie“ prägte der französische Mathematiker, Philosoph und Religionskritiker Auguste Comte (1798-1857) Mitte des 19. Jahrhunderts. Er wollte ursprünglich eine Art „soziale Physik“, an der Schnittstelle zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, etablieren, die das Verständnis von „sozialer Statik“ und „sozialer Dynamik“ mittels wissenschaftlicher Methoden und Gesetze ermöglicht. 38 Eine erschöpfende Formulierung dieser Entwicklungsszenari- en ist per definitionem zwar nicht möglich, die folgende stichwort- artige Auflistung35 von entscheidenden Aspekten und Parametern ermöglicht jedoch die Zeichnung eines Kontextes in dessen Rah- men die Entwicklung der Gesellschaft gesehen werden kann:

In der demografischen Entwicklung Mitteleuropas zeichnet sich eine Alterung der Gesellschaft ab, daher wird u.A. der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung gegenüber jenem Anteil, der durch die Einrichtungen der Wohlfahrtsgesellschaft versorgt wird oder werden soll kleiner, was wiederum Auswirkungen auf die Funkti- onsweise der Wohlfahrtseinrichtungen haben muss.

Die wirtschaftliche Entwicklung bleibt krisenanfällig, da sich das Wirtschaftswachstum in den Industrienationen gegenüber den Schwellenländern (prognostiziertes36 jährliches BIP-Wachstum zwi- schen 2012 und 2021 Europa: 1,6 %, China: 7,8 %, Welt: 3,3 %) rückläufig verhält. Auf diese Entwicklung bezog sich auch schon die ursprüngliche Hauptfragestellung des Club of Rome nach den „die Grenzen des Wachstums“ 1972.

Es zeichnet sich eine Entwicklung weg von der „Vollerwerbs- gesellschaft“ hin zu einer „Leistungsgesellschaft“ ab. Konform mit den Folgen der demografischen Entwicklung wird das klassische „dreiphasige Lebensmodell“ Kindheit+Ausbildung / Erwerbstä- tigkeit / Ruhestand zunehmend aufgebrochen: Zwischenphasen in Form von unbezahlter zB Familienarbeit, Weiterbildung oder Umschulung kennzeichnen einen Bruch mit dem überholten line- aren System, außerdem steht der „Ruhestand“ längst schon nicht mehr für einen Rückzug aus der arbeitenden Gesellschaft, sondern eröffnet einen neuen Aufbruch in die informelle Arbeitswelt. Stich- worte: Technologischer Fortschritt und Potenziale kommender Ge- nerationen, Shareconomy vs. Plattform-Kapitalismus.

Letztlich versteht man unter dem Begriff „Postmaterialis- mus37“ eine Verschiebung des Wertesystems aufgrund der vor- angegangenen Etablierung der materiellen Sicherheit weg von den grundlegenden rein existenziellen Bedürfnissen (zB nach der Maslowschen Bedürfnispyramide), hin zu kulturellen, sozialen und intellektuellen Bedürfnissen.

2 Stadtentwicklung in Wien

35 u.A. inspiriert von Watkins, Vanessa: Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft? – Ein Kommentar aus Sicht einer Zukunftsforscherin, eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 22/2013 vom 22.11.2013, http://www.buergergesellschaft.de/ fileadmin/pdf/gastbeitrag_watkins_131122.pdf

36 Quelle: https://www.allianzglobalinvestors.de/cms-out/kapitalmarktanalyse/docs/ pdf-eng/analysis-and-trends-emerging-market-bonds.pdf

37 Siehe dazu auch die Diplomarbeit des Kollegen Daniel Glaser: „Die postmaterielle Stadt“ 39 In der Stadtentwicklung der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts liegt das Hauptaugenmerk auf der Korrelation von gesellschaftlichem und urbanem Wandel. In Anlehnung an die be- kannt kritische Argumentation über den funktionalistischen Städ- tebau der Satellitenstädte und an die daran anschließende Etablie- rung der „Zwischenstadt“38, soll hier der Status quo des Umgangs bzw. Nicht-Umgangs mit dem historischen Erbe der Gründerzeitli- chen Stadt und ihrer Überformungen erläutert werden und schließ- lich die Auffassung der weiteren Stadtentwicklung in Richtung des 21. Jahrhunderts, etwa ab der Verfassung des ersten Stadtentwick- lungsplanes in den 1970er Jahren, umrissen werden, als neue Dy- namiken für die Stadtentwicklung zum Tragen kamen.

2.1 Ausgangssituation

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Wien teilweise die Chance gesehen die durch Kriegsschäden zertrümmerte Stadt (und Favoriten hatte in diesem Kontext als Industriestandort besonders schwere Schäden zu beklagen) nicht nur wiederaufzubauen son- dern tiefgreifend zu verbessern - der unter der Landesregierung Theodor-Körner-II amtsführende Baustadtrat Franz Novy schreibt in der ersten Ausgabe der Architektur-Zeitschrift „Der Aufbau“ vom Juli 1946:

„Die Struktur der Großstadt mittelalterlicher und liberaler Prä- gung hat sich als falsch und gefährlich erwiesen. Sie kann nicht die äu- ßere Form für die künftige Gesellschaftsordnung sein. Die neue bauli- che Ordnung der Zukunftsstadt muss anders aussehen. Die Großstadt muss, den Erkenntnissen modernen Städtebaus gemäß, aufgelockert werden.“39

In weiterer Folge wurde 1948 zunächst Karl Heinrich Brun- ner-Lehenstein zum Leiter der Wiener Stadtplanung berufen und legte binnen drei Jahren einen neuen Flächenwidmungs- und Be- bauungsplan für Wien vor. In dem 1952 erschienen Buch „Stadt- planung Wien“ weist er jedoch darauf hin,

„daß der Wunsch, beim Wiederaufbau die Stadtstrukturen zu verbessern, immer wieder an den gesellschaftspolitischen Realitäten scheitert.“40.

Sein Nachfolger Roland Rainer der das Amt von 1958 bis zu seiner Zurücklegung 1962 inne hatte, hat vor allem auch auf-

38 Der Begriff Zwischenstadt wurde vom deutschen Architekten Thomas Sieverts geprägt und beschreibt eine Siedlungsstruktur, die weder eindeutig als städtisch, noch als ländlich qualifiziert werden kann. Sie ist gekennzeichnet durch einen „post-urbanen“ Lebensstil ihrer Bewohner in einem zersiedelten ehemals ländlichen Raum.

39 Gottfried Pirhofer / Kurt Stimmer - Pläne für Wien - Theorie und Praxis der Wiener Stadtplanung von 1945 bis 2005

40 Gottfried Pirhofer / Kurt Stimmer - Pläne für Wien - Theorie und Praxis der Wiener Stadtplanung von 1945 bis 2005 40 grund der mehrheitlich bereits überwundenen Wohnungsnot einen größeren Handlungsspielraum für die unter seiner federführung entandenen großen Stadtentwicklungsprojekte. Sein Dogma:

„Die Bebauung gehört hinaus in die Ebene, wo sie sich wirt- schaftlicher und auch sonst viel freier und ungehinderter entfalten kann. Es trifft sich gut, dass in den Ebenen im Osten und Süden auch viele Arbeitsstätten liegen und neue entstehen können.“41

sollte das heutige Erscheinungsbild dieser Stadtgebiete, allen voran Favoritens nachhaltig prägen.

Mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsolidie- rung in Österreich und der allmählichen Etablierung des Wohl- fahrtsstaates ab der Ära Kreisky in den 1970ern begann aber auch das Ausklingen der großen städtischen Planungsprojekte im Be- reich des Wohnbaus, verbunden mit einem generell starken Um- denken in Bezug auf Stadtentwicklung. Das dritte Viertel des 20. Jahrhunderts war in der Wiener Stadtplanung noch sehr stark mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit verknüpft gewesen. In den 1970ern begann jedoch das Schaffen einer Generation von Architekten und Stadtplanern, aber auch von Kommunalpolitikern, die die Leiden des 2.Weltkrieg nicht mehr am eigenen Leibe erlebt, oder zumindest nicht mehr bewusst wahrgenommen haben. Weil ihr Wirken nicht von dem Trauma der Jahrzehnte von Ständestaat und Weltkrieg überschat- tet und ihre städtebaulichen Zielsetzungen nicht mehr von den Ide- en des CIAM dominiert waren, konnten sie sich in gewisser Weise, analog zur gesellschaftlichen Tendenz der 68er Generation gegen das Establishment auflehnen und suchten neue Ansätze bzw. Alter- nativen zur institutionalisierten Stadtentwicklung einer Zeit in der die schiere Not der Gesamtbevölkerung zur Tugend des stärksten Wirtschaftswachstum aller Zeiten geführt hatte – woran die Bau- leistung, gerade um den Wohnraumbedarf der sozial schwächsten abzudecken und die Prinzipien des Roten Wiens fortzuführen, ih- ren Anteil trug. Natürlich war diese zeitliche Trennung nicht ab- rupt und es zogen sich gerade Großprojekte des Wohnbaues, wie zB die Trabrenngründe, vulgo Rennbahnwegsiedlung, oder die Per- Albin-Hansson-Siedlung-Ost, vulgo PAHO, die ideologisch noch mit früheren Prinzipien verhaftet sind, in diese Zeit.

13. Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost 2.2 Instrumente der Stadtplanung

Mit dem Ende der Ära Roland Rainer 1963 erfuhr die Wie- ner Stadtplanung eine Neuorientierung. Seitdem oblag die strate- gische Planung in Wien keinem federführenden Stadtplaner mehr, sondern einer Anzahl von Magistratsabteilungen, die politischen Funktionären (insb. den Planungs- und Wohnbaustadträten) un-

41 Gottfried Pirhofer / Kurt Stimmer - Pläne für Wien - Theorie und Praxis der Wiener Stadtplanung von 1945 bis 2005 41 terstehen. Es ist daher nunmehr seit über 50 Jahren nicht mehr ein von unabhängigen Fachleuten festgelegter Gesamtplan, der die Weichen für die Wiener Stadtentwicklung stellt, sondern eine Handvoll unverbindlicher „Richtlinien“, die von Beamten zwar mit fachlicher Expertise, aber weisungsgebunden ausgearbeitet wer- den, in denen vorwiegend der politische Wille niedergeschrieben ist. Reinhard Seiß nennt in seiner kritischen Analyse „Wer Baut Wien?“: die Stadtentwicklungspläne 1984, 1994 und 2005, die Strategiepläne 2000 und 2004, das Verkehrskonzept 1994 bzw. der Masterplan Verkehr 2003, das Konzept Grüngürtel Wien 1995, das Klimaschutzprogramm 1999, sowie das Hochhauskonzept 200242 als strategische Instumente der Stadtplanung.

2.3 Der Stadtentwicklungsplan 1984: Fokus Gründerzeit?

Die Stadtentwicklungspläne bilden jeweils für ca. zehn Jahre das Leitbild der Raumplanung für Wien. Sie werden im Abstand von ca. 5 Jahren evaluiert bzw. fortgeschrieben, wodurch ein kon- tinuierliches Konzept, das auf sich verändernde Parameter für den Städtebau eingeht, sichergestellt werden soll. Dieser Ansatz scheint auf den ersten Blick, angesichts des vermeintlichen Scheiterns der Modernen Planstadt und damit der Abkehr von städtebaulichen „Komplettlösungen“ durchaus zeitgemäß, können doch dadurch gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Veränderungen oder Neuerungen regelmäßig in den Entwurf einfließen. Es besteht hierbei jedoch die Gefahr, dass die Planungsfestlegungen mit einer entsprechenden Kurzsichtigkeit getroffen werden und längerfristige Ziele gegenüber kurzfristigen Interessen stiefmütterlich behandelt werden, wie die Praxis leider zeigt. Außerdem obliegt die Abstim- mung eines Stadtentwicklungsplanes dem Gemeinderat und damit einem Gremium, dessen Entscheidungskompetenz nicht auf einer fachlichen, sondern primär auf einer politischen Ebene liegt.

Während in den Nachkriegsjahren und bis einschließlich in die Ära Roland Rainers hinein, der Fokus der städtischen Ent- wicklung auf der Neuerschließung von Bauland, der Füllung von Lücken im dichtverbauten Gebiet und schließlich der Erweiterung der Stadt insbesondere in den Stadtrandbezirken lag, wurde ab Mitte der 1970er Jahre die Aufmerksamkeit verstärkt auf das be- reits dicht besiedelte Stadtgebiet innerhalb und angrenzend an die Gürtelstraße gerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt war der größte Teil der gründerzeitlichen Gebäude weder instandgesetzt noch moder- nisiert worden, das, obwohl gerade die historistischen Fassaden das Stadtbild von Wien prägten und heute noch immer prägen, wie es keine andere Bauepoche bisher vermochte. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt wie bereits erwähnt in der Eigentümerstruktur, da die bisherige Stadtplanung für die vorwiegend im Privateigentum

42 Reinhard Seiß, Wer Baut Wien, S.121 42 befindlichen Objekte keine Anreize zu schaffen vermochte, eine Verbesserung in Angriff zu nehmen und sie dem Vernehmen nach auch nicht als notwendiges Zielgebiet erachtete.

Mit dem STEP 84 wurde der Begriff „sanfte Stadterneue- rung“ geprägt, der bis in die Gegenwart hinein die Zielsetzungen für den Umgang mit der historischen Bausubstanz definiert hat. Die „Qualitäten der historisch überlieferten Urbaniät“ werden zu einer neuen, zentralen Idee für die Stadtentwicklung. Es zeichne- te sich ab, dass die Ideale des funktionalistischen Städtebaus, der „neuen Stadt“ bei ihrer Anwendung auf die historisch gewachsenen Stadtstrukturen Europas dabei scheitern „Zentralität“ zu erzeugen. Ihre Ausführung als „Satellitenstädte“, die im Falle von Wien schon unter ihrem ersten Stadtplaner Karl Heinrich Brunner-Lehenstein ab den 1950ern postuliert, aber nie wirklich realisiert wurden, be- inhaltet ja schon den Widerspruch zwischen dem vielschichtigen 14 . STEP 84 urbanen „Zentrum“ und seinen monofunktionalen „Satelliten“. Es war daher nur logisch und richtig für die Erzeugung von Urbanität das Hauptaugenmerk auf den städtischen Kern zu richten und die dort vorhandenen Strukturen zu nutzen, zu modernisieren und da- durch zu beleben. Das neue Paradigma der Stadtplanung war daher „Stadterneuerung statt Stadterweiterung“. Durch diesen Impuls sollte das Epizentrum des bebenden städtischen Lebens insoweit gestärkt werden, dass die „urbanen Schwingungen“ auch entlang der geplanten oder schon gebauten Entwicklungsachsen zu einer Agitation im positiven Sinne beitragen können.

Tatsächlich definiert der STEP 84, an den im dicht bebauten Gebiet gelegenen Initialpunkten der geplanten Entwicklungsach- sen, sogenannte „aufzuwertende Zentren“ (siehe Grafik), konkret Innerfavoriten, Meidling und den Bereich St.Marx / Simmering, in denen heute noch einigermaßen belebte Geschäftsstraßen be- stehen, deren Tragweite jedoch retrospektiv nicht an die erwartete Entwicklung herangereicht hat. Für das gründerzeitliche Stadtge- biet von größter Bedeutung war jedoch vor allem die qualitative Aufwertung des Wohnraumes. Laut Statistik43 verfügten im Jahr 1970 2/3 der Wohnungen in Wien über keine Dusch- oder Bade- einrichtung, 1/3 über kein eigenes WC, der überwiegende Großteil der Wohnungen entsprach demnach dem „Substandard“. Im STEP 84 werden innerhalb des dicht bebauten Gebietes die Stadterneu- erungsgebiete 1974-1983 – Alsergrund, Währing, Ulrichsberg, Gumpendorf, Storchengrund, Wilhelmsdorf - posthum definiert, sowie die Gründerzeitquartiere Karmeliterviertel / Im Werd, Neu- lerchenfeld / Ottakring, Margareten Ost, Innerfavoriten als Stadt- erneuerungsgebiete 1984- festgelegt. Instrumentarium für diese Entwicklung war eine Umschichtung der Förderungsmittel vom Wohnbau hin zur Wohnungsverbesserung. Zinsenzuschüsse für bis zu 16.000 Wohnungen jährlich standen fortan einer Wohnbauleis- tung der Gemeinde von 2.000 Wohnungen pro Jahr gegenüber.

43 Kurt Stimmer – Wien 2000, S. 64 43 Eine Mehrzahl von Annahmen, die sich inhaltlich an Analy- sen und Prognosen der gesellschaftlichen Entwicklung anlehnen, begründet diese vermeintlich Ideologische Umkehr, aber auch die Weiterentwicklung von Paradigmen. Es ist die Rede von einem so- zial-emanzipatorischen Schwerpunkt, einer verstärkten Selbst- und Mitbestimmung der Bevölkerung, die in einem „Großprojekt der kleinen Schritte“ zusammenfließen. Die Annahmen einer stagnie- renden bis abnehmenden Bevölkerung und Wirtschaftsleisung, ei- nes Anstiegs der Energiepreise, bei gleichzeitigem Anstieg der indi- viduellen Motorisierung und des Wandels der Familienstrukturen laufen konform mit den im Bericht des Club of Rome44, dessen Schwerpunkt auf dem neuen Leitbild der „Nachhaltigkeit“ liegt, evozierten „Grenzen des Wachstums“. Die „großräumige Funkti- onsentflechtung der letzten Jahrzehnte“ wird mitsamt der funktio- nalistischen Doktrin zusehends kritisch beäugt, da sie „die gemischt genutzten Altbaugebiete des dichtbebauten Stadtgebietes“ in ihrer Bedeutung zusehends beschnitten. Die Mischnutzung, die gerade in den gründerzeitlichen Strukturen systeminhärent ist, wird aus den beschriebenen Gründen als Katalysator für Innovation, Zen- tralität und soziale Ausgeglichenheit angesehen und soll daher in der Lage sein, die verlorengegangene Urbanität wiederherzustellen und einem Absterben der betroffenen Gebiete entgegenzuwirken.

2.4 Sozio-demografische Entwicklung in Wien

Bevölkerungsprognosen sagen für Wien ein Anwachsen der Bevölkerung auf über 2 Millionen bis 2030, bzw auf über 2,2 Mio bis 2050 voraus. Stützt man sich auf die Daten der von der MA 23 veröffentlichten Publikation Wien Wächst45, wird weiter klar, dass dieses Wachstum in den nächsten Jahren zu fast 80% auf eine posi- tive Wanderungsbilanz und zu rund 20% auf die Geburtenbilanz zurückzuführen ist. Der Anteil der im Ausland geborenen Wiener wird von dzt. 33% auf 36% im Jahr 2044 steigen.

„Wenn diese Menschen hier eine Heimat finden sollen, dann wird man sich daran gewöhnen müssen, dass das Minarett ebenso zur Silhouette der europäischen Stadt gehört, wie die Türme der christli- chen Kirchen.“46

Bei der Entwicklung der Bevölkerungskohorten ist da- von auszugehen, dass Wien „jünger und älter zugleich“ wird, was am Vergleich der Zuwächse abzulesen ist: Die MA23 prognostiziert bis ins Jahr 2044 von einem Zuwachs von 18% bei den unter 15-jährigen, 12% bei den 15 bis 29-jährigen,

44 Der Club of Rome ist eine unabhängige, nicht profitorientierte Organisation. In seiner Arbeit befasst sich der Club of Rome mit den Hauptursachen der Herausforderungen und Krisen unserer heutigen Welt: derzeitigen Wachstumskonzepten, Entwicklung und Globalisierung. (Quelle: http://www.clubofrome.org/?p=4790)

45 https://www.wien.gv.at/statistik/pdf/wien-waechst.pdf

46 Walter Siebel, Die europäische Stadt, S. 21 44 6% bei den 30 bis 45-jährigen, 10 % bei den 46 bis 59-jährigen, 26 % bei den 60 bis 74-jährigen und sogar 96 % bei den über 75-jährigen. Vereinfacht gesagt ergibt sich aus dieser Entwicklung eine große Herausforderung in Bezug auf die Schaffung von Aus- bildungs-/Betreuungseinrichtungen bzw. Pflegeeinrichtungen für Jugendliche bzw. Senioren, aber auch die Notwendigkeit bestehen- de und neue Wohnformen an diese Gegebenheiten anzupassen.

Diese Bevölkerungsgewinne werden sich am stärksten auf die Bezirke 2. (+21%), 10. (+21%), 20. (+25%) und 22. (+36%) kon- zentrieren. Es ist weiters davon auszugehen, dass sich die Wande- rungsbilanz in den dicht bebauten zentraleren Stadtgebieten stärker auswirken wird, während die Überalterung hauptsächlich in der Peripherie stattfindet.

2.5 Stadtentwicklungspläne 2005 und 2015/25

„Wien gehen die Bahnhöfe aus“

beschreibt der Raumplaner Christian Pichler das Dilemma der derzeitigen Stadtentwicklungspraxis. Laut dem Stadtentwick- ler Chrisitan Schremmer vom Österreichischen Institut für Raum- planung handelt es sich bei der derzeitig durchgeführten Stadter- weiterung auf den großen zusammenhängenden Flächen Flugfeld Aspern, Nordbahnhof, Hauptbahnhof und Nordwestbahnhof um einen „historischen Glücksfall“. Die Einwände sind berechtigt: angesichts der Notwendigkeit zur Schaffung von – je nach Schät- zungen – zwischen 9000 und 11000 neuen Wohnungen für jähr- 15 . STEP 2005 lich etwa 25.000 neue Stadtbewohner wird klar, dass mit diesen großen Neubauprojekten (Aspern 6000 / 20000, Sonnwendvier- tel 5000 / 13000, Nordbahnhof 10000 Whg., Nordwestbahnhof 12.000 Menschen) in Summe also etwa 26000 Wohnungen ge- schaffen werden können. Statisisch gesehen kann damit das Wohn- baupensum nur für etwa 3 Jahre abgedeckt werden: dadurch wird deutlich, dass es neue Strategien nicht nur beim Hauptantrieb der Stadtentwicklung, nämlich der Erschließung von neu bebaubarem Areal benötigt, sondern auch ein wesentliches Hilfsaggregat zur Abdeckung der „Belastungsspitzen“, nämlich die Nachverdichtung 16 . Zielgebiete der Stadtentwicklung 2014 zentraler Lagen in den Fokus genommen werden muss.

„Diese Mutlosigkeit schlägt naturgemäß voll auf die Stadtpla- nung durch, die in Aspern lieber phantasiert als im dichtbebauten Gebiet das Naheliegende zu tun. Natürlich gibt es dort eine Reihe von großen sinnvollen weil im vorhandenen Infrastrukturverband lie- genden Entwicklungsmöglichkeiten für Be- und/oder Überbauungen, nicht nur das - zugegeben größte -am Donauufer. Man denke zb nur an das Umfeld der U4 Station am Margaretengürtel, die U6 Station Michelbeuern oder diverse MA48 Bereiche. Man muß also nicht un- bedingt und vor allem nicht jetzt schon im grünen Stadtrand oder am

45 Aussenring bauen.“47

Während im STEP 2005 noch ein klare Formulierung sei- ner Aufgaben, Methodiken und Grundsätze gefolgt von fundierten Analysen zur Ausgangslage und schließlich den Handlungsfeldern der Stadtenwicklung enthalten sind, die in eine konkrete Übersicht ihrer Zielgebiete mündet, erinnert der STEP 2025 (man möchte fast meinen, die eigentlich konsequente Bezeichnung STEP 2015 wurde aus marketingtechnischen Gründen übersprungen um über seine inhaltlichen Defizite bei der Betrachtung der Gegenwart hin- wegzutäuschen und seine „Schwammigkeit“ mit dem Aspekt der noch etwas unscharfen Zukunftsvision zu rechtfertigen) eher an die broschürenartige Kurzfassung seines Vorgängers. Natürlich birgt die konkrete Formulierung von urbanen Entwicklungsab- sichten auch die Gefahr der Grundstücksspekulation in den betrof- fenen Gebieten, dennoch vermittelt der neue Stadtenwicklungsplan im Vergleich eine gewisse Einfallslosigkeit, die aber durchaus auch am langfristigen Charakter stadtplanerischer Interventionen liegen kann. Tatsächlich ist noch 2015 auf der Web-Präsenz der Stadtent- wicklung48 eine Grafik dargestellt, die sehr stark an jene aus dem STEP 05 erinnert. Bei genauem Vergleich fällt auf, dass 5 Ziel- gebiete ( Siemens Allissen, Waterfront, Rothneusiedl (!), Wiental und City) nunmehr abgeschlossen oder wieder aus dem Fokus ge- nommen wurden, eines (Bahnhof Wien - Europa Mitte, Erdberger Mais) nun aufgeteilt wurde (Favoriten - Hauptbahnhof - Arsenal, sowie Erdberger Mais - Aspanggründe - St.Marx) und eines hinzu- gekommen ist (Zentrum Kagran).

Immerhin wird im STEP 2025 konkret die Erarbeitung zwei- er gesonderter Aktionspläne, betreffend die Siedlungsstrukturen der 1950er bis 1970er einerseits und die Gründerzeit andererseits (beide für Favoriten wohl brandaktuell!) angekündigt, die mögli- cherweise ein neues Instrumentarium zur Ausschöpfung und Wei- terentwicklung der Bestandspotenziale hervorbringen werden. Im STEP 2005 wurden für diesen Bereich nämlich zwar grobe Direk- tiven formuliert, allerdings - wider die Empfehlungen der Expertise Indrak, Kuzmich, Raith - weitgehend an die Umsetzung mit den bereits bestehenden Werkzeugen (Schwerpunktprojekte, Förde- rungen, Flächenwidmungs- und Bebauungsplan) gebunden, deren Wirkung, wie die Stadterneuerungspraxis zeigt , nur sehr vereinzelt in ihrem tatsächlichen Sinne greift.

47 Kommentar von Stadtplaner Klaus Steiner auf der Website http://chorherr.twoday. net/stories/981282/

48 https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/zielgebiete/index.html 46 3 Stadtentwicklungsprojekte in Favoriten

Neben den vermutlich hinlänglich bekannten Stadterweite- rungsgebieten beiderseits des neuen Hauptbahnhofes, nämlich dem Quartier Belvedere und dem Sonnwendviertel, für die nun nicht mehr nur konkrete Planungen vorliegen, sondern bei deren bauli- cher Entstehung man seit geraumer Zeit auch tatsächlich zusehen kann, weist die für die Stadtentwicklung verantwortliche MA18 in Favoriten folgende Zonen als aktuelle Entwicklungsflächen aus:

• Eisring Süd: MA21B: Städtebaulicher Wettbewerb 2008: Wohnen, Sportzentrum, Einzelhandel / Arbeit, Arch. Hermann & Valentiny, Wien

• Hauptbahnhof Entwicklungsgebiet D: ÖBB: Städtebau- licher Wettbewerb 2009: Büro, Wohnen, Schule, 193.000 m2, zwischen Südbahn, Landgutgasse, Laxenburger Straße, Arch. Jörg Wessendorf, Berlin.

• Viola Park: Genereali Immobilien / Mischek: Städte- 17 . Hauptbahnhof, Entwicklungsgebiet D bauliches Expertenverfahren 2012: Wohnbebauung mit Nahversorgung und Ausbildungsstätten im Bereich zwi- schen ehemaligem Horr- Stadion und Laaer-Berg-Straße, Königlarch Architekten, Wien.

• Vertreilerkreis: Asfinag: Städtebaulicher Wettbewerb 2013: Konzernzentrale, P&R Anlage für 750 PKW, Bü- ros, Geschäfte, Gastronomie, Multifunktionale Halle, Mobilitätszentren für Fahrrad, öffentlichen Verkehr und Individualverkehr, öffentlicher Platz, BGF 77.000 m2, Arch. Froetscher & Lichtenwagner

• Grundäcker Ost (am Plan nicht mehr als Zielge- biet gekennzeichnet): Mischek: 170 freifinanzier- te Eigentumswohnungen, Fertigstellung 2018, Ar- chitektur: Andreas Klos, Paul Huck, Assia Schaffarz

47 48 C Entwicklungspotenziale auf Makroebene

49 1 Urbanität: Versuch einer Definition

1.1 Welche Eigenschaften machen eine Stadt erst „urban“?

Urbane Dichte ist in meinen Augen kein Begriff, der sich ob- jektiv durch Zahlen ausdrücken lässt, er ist vielmehr von subjek- tiven Eindrücken verschiedener Natur geprägt. Urbanität ist also kein messbarer Parameter sondern vielmehr ein Gefühl. Spricht man am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts von Urbani- tät, so fallen Prädikate wie „pulsierend“ und „multikulturell“ - dies sind Adjektive, die sich sicherlich auf eine Stadt wie New York

18. Quellenstrasse 1913 „Manhattan is the 20th century‘s Rosetta Stone.“49

anwenden lassen, die für meinen Begriff aus heutiger Sicht wohl der Inbegriff von Urbanität in der westlichen Welt ist. Solche „Weltstädte“ (wie Mexico City, Tokyo, Shanghai, Istanbul, Paris oder London um nur wenige zu nennen) haben aber auch die Eigen- schaft, dass sie sich einer ständigen Überformung nicht widersetzt haben, sondern ständig durch neue Einflüsse am Puls der Zeit ge- blieben sind. Ausgangspunkt war jedoch eine Urbanität, die längst in Vergessenheit geraten ist. Die anachronistische Sichtweise, dass „Das Ensemble von Rathaus, Markt und Kirche, die Stadtkrone, ist das sinnfällige Abbild der politischen, ökonomischen und kul- turellen Zentralität der Stadt“50 hat infolge gesellschaftlichen Wan- dels zu einer Überformung dieser einstigen Kernstadt geführt. Im Falle Wiens hat diese Überformung nur sehr zögerlich stattgefun- den. Der Titel einer Ausstellung des Wien Museum im Jahr 2009, charakterisierte diese Überformung in den 1950er Jahren, die nicht zuletzt auch aufgrund größerer Kriegsschäden, in anderen mitteleu- ropäischen Großstädten eher als „massiv modern“ bezeichnet wür- de, für Wien als „moderat modern“. In der Tat muten die wenigen im wahrsten Sinne „herausragenden“ spätmodernen Bauwerke in Wien, wie zB der Ringturm von Erich Boltenstern, oder das Matz- leinsdorfer Hochaus von Ladislaus Hruska, nicht nur formal (was ja ihrer Definition entspricht), sondern vor allem auch ideologisch zurückhaltend, ja fast ehrfürchtig gegenüber dem historischen Erbe (Ballast?) der restlichen Stadt. Diese zögernde Entwicklung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts führt in erster Linie zu einem Stagnieren der Bedeutung der Stadt in der subjektiven Wahrnehmung (eben nicht mehr am Puls der Zeit), und somit wie- derum ihrer Urbanität, birgt in zweiter Linie aber durchaus Poten- tial gegenüber anderen stärker überformten Städten.

Während in Städten wie Paris im 20. Jahrhundert mit großen Bauvorhaben und Interventionen (La Défense, Les Halles, Villes

49 Zitat Rem Koolhaas - Delirious New York

50 Walter Siebel, Die europäische Stadt, S. 16 50 Nouvelles, etc.) starke Impulse zur Neuinterpretation des städti- schen Raumes gesetzt wurden, gab es in Wien kaum Eingriffe die als „good intentions“51 gewertet werden können. Das bedeutet wie- derum, dass eine Umschichtung der Funktionen des städtischen Raumes nur sehr schleppend vorangegangen ist. Sieht man sich Bilder des Straßenraumes in einem Innenbezirk aus den 1950ern und von heute an, so scheinen die einzigen Unterschiede das De- sign von Schildern und Oberflächen sowie die teilweise Verdrän- gung der Automobile zu sein. In der Tat sind Wohngegenden zu- meist Wohngegenden geblieben, größere Bürokomplexe wurden erst zögerlich ab den 1970er Jahren angelegt (Donau-Platte), und die Einkaufszentren, die als neue „Tempel“ ihrer Konsumgesell- schaft, die meisten Städte der Welt heute prägen, haben überhaupt erst Ende der 1980er ihren Siegeszug begonnen. Diese langsame Entwicklung führt dazu, dass die gründerzeitliche Stadt in Wien aufgrund ihrer Struktur anders funktioniert als die meisten post- modernen Städte – und genau da wäre ihre Chance in Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruches!

1.2 Urbanisierung vs. Suburbanisierung

Der Prozess der Urbanisierung aufgrund eines sozialen Wan- dels hat in den Industrienationen bereits im 19. Jahrhundert statt- gefunden und hier mitunter zur sogenannten Gründerzeit geführt. Man kann an dieser Stelle für den Bereich der gründerzeitlich ur- banisierten Stadt, gewisse Parallelen zum extensiven Wachstum der Favelas in den Entwicklungsländern zu behaupten. Dafür spricht, dass die rasante Ausbreitung der Favelas auf einen ähnlichen Hin- tergrund, nämlich ein starkes Bevölkerungswachstum, die Indus- trialisierung, einem gesellschaftlichen Wandel, verbunden mit ei- nem zunehmenden ruralen Pauperismus zurückzuführen ist.

Überall dort wo auf der Welt „Zentren“ gebaut werden findet in Wahrheit eine Dezentralisierung statt. Es gibt im klassischen Schema einer Amerikanischen Stadt (zB Schema Chicago) Wirt- schafts- und Büro-Zentren, ein Verwaltungszentrum, Retail- und Einkaufszentren und, wenn man so will, Wohnzentren. Auch in stark überformten europäischen Städten, wie zum Beispiel Dres- den, kann man diese Zentren heute nachvollziehen. Dresden, das ist eigentlich Cotta, Löbtau, Loschwitz, Mickten, Blasewitz - eine Anzahl an ehemals selbstständigen Gemeinden, die sich heute um das Vakuum des im historischen Zustand wiederaufgebauten und eingefrorenen Zentrums gruppieren. Die Existenz dieser Sub- zentren führt jedoch dazu, dass die europäische Stadt spätestens

51 OMA – S M L XL – Bijlmermeer 51 ab demZeitpunkt der Eingemeindung ihrer Vororte52 nicht mehr automatisch als zusammenhängender Organismus wahrgenom- men wird, sondern als urbanes Archipel, das durch Massen- oder Individualverkehrsmittel miteinander verbunden sind. Der funk- tionalistische Städtebau hat dazu geführt, dass es: „Auslagerung von produktiven Funktionen aus dem privaten Haushalt [gibt] und die Stadt als „Marktort“ (Max Weber)53 angesehen wird. In der Amerikanischen Stadt San José würde kein Mensch aus sei- nem Wohnviertel zu Fuß zum Einkaufen gehen, die Distanzen sind zu groß, die Barrieren unüberwindbar, der Mensch lebt auf Inseln und bewegt sich in Blasen, sei es in Form von Individualverkehr oder öffentlichen Verkehrsmitteln - in diesen Städten gibt es keinen Straßenraum mehr, der von Menschen genutzt wird.

In der gründerzeitlichen Stadt gab es diesen Straßenraum, der den Menschen gehört, ursprünglich aber sehr wohl, wieso sollte er nicht wieder zum Leben erweckt werden, freilich in einer zeitgemä- ßen oder zukunftsweisenden Interpretation?

„Über die Schmelz, hinüber und herüber, dann dem Neubauer Fabriksviertel zu, durch die Lerchenfelder-, Thalia- und Koppstraße, durch die Grundstein- und Burggasse gehen die Hauptzüge, auch über den Gürtel zu den Stadtbahnstationen und nach Gumpendorf schwär- men die Scharen der Ernährer und Ernährerinnen ihrer Familien, der Mithelfer zum Haushalt und der heranreifenden Jugend, die auch schon dem Tag abringen muss, was sie für den Tag braucht. Junge und Alte, Männer und Frauen, Fröhliche und Düstere, Gebeugte und Rüs- tige wimmeln dahin: gemächlich, zeitunglesend, rauchend, plaudernd die Frühaufsteher, hastend und drängend, die Verspäteten (...)“

Max Winter

Während in einem klassischen Gründerzeitwohnhaus Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufgrund des Mehrschichtbetriebes ein ständiges ein und aus stattgefunden hat, gleichsam eine sehr viel größere Bevölkerungsdichte geherrscht hat, herrscht heute in die- sen Vierteln aufgrund des (natürlich zurecht) gestiegenen Wohn- raumbedarfs und der immer weiter auf andere „Inseln“ verscho- benen täglichen Tätigkeiten gähnende Leere auf den Straßen. Die Wohnungen sind die gleichen geblieben, aber das Wohnen hat sich verändert. In weitgehend vom Wert ihrer Lage abhängigem Tempo werden die Gründerzeithäuser an die Bedürfnisse heutiger Woh-

52 Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt diese stattgefunden hat! Wien wurde im Laufe der Gründerzeit (siehe Abschnitt A) zweimal erweitert, 1850 und 1890, es entstand daher ein zum Teil als zusammenhängend, weil typologisch ähnlich, wahrgenommenes Stadtgefüge. Im Falle von Paris, das Subjekt von insgesamt 7 Stadterweiterungen war, fanden die nennenswerten Eingemeindungen des Industriezeitalters bereits 1784-1804 sowie 1841-1844 statt wodurch ein in seiner Gesamtheit dichtes Stadtgefüge entstand. In Dresden fanden hingegen eine Reihe von Eingemeindungen später, nämlich 1892- 1902, sowie ab 1921 statt, wodurch hier heute sehr differenzierte Bautypologien wahrgenommen werden können.

53 Walter Siebel, Die europäische Stadt, S. 15 52 nender angepasst. Die Eingriffe finden vereinzelt statt, erweisen sich als rechtlich und wirtschaftlich oft schwierig und führen nur sehr selten zu einer Aufwertung des öffentlichen Raumes. Das liegt an der Mißinterpretation der Bedürfnisse. Es geht in der Stadt eben nicht nur um das Wohnen. Es geht um das Drumherum. Warum fühlt man sich in manchen Straßen wohler als in anderen? Sind es die schöneren Fassaden? Ist es die spannendere Topographie? Sind es die netteren Nachbarn? Ist es die angenehmere Parkplatzsituati- on? Oder ist es eine Mischung aus alledem? Das urbane Leben? Die Verwendung des öffentlichen Raumes, also der Erdgeschoßzone ist zu überdenken. Wir schenken wertvollen öffentlichen Raum für Garageneinfahrten her. Wir stellen unattraktive Nutzungen wie Müll- und Fahrradabstellräume dem Passanten vor die Nase, wir lassen wertvolle ebenerdige Flächen als Lager verkommen. Das Ar- gument ist, dass dort niemand mehr Wohnen möchte, in den Erd- geschossen, den ehemaligen Hausbesorgerwohnungen. Zu dunkel sei es, nicht mehr zeitgemäß… Also lassen wir sie verkommen?

Es liegt also auch an der Stadtplanung hier in größerem Maß- stab Lösungsansätze zu finden, bzw. die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass diese auch in größerer Zahl umgesetzt werden kön- nen. 19. Nutzung der Erdgeschoßzone

53 2 Strukturelle Potentiale des Rastersystems

Der von Indrak, Kuzmich und Raith 2004 im Auftrag der Magistratsabteilungen 18 & 19 als Grundlage für den STEP 05 verfasste Bericht „Die Entwicklungspotenziale der Gründerzeit- lichen Bausubstanz in Wien“ geht detailliert auf die Möglichkei- ten ein, die dieses - in Wien im Allgemeinen und in Favoriten im Speziellen – verbreitet anzutreffende Stadtsystem für die weitere Planung und Nutzung des urbanen Raumes bietet. Es wird dar- in aber auch darauf hingewiesen, dass die für die Umsetzung der positiven Entwicklungsansätze notwendigen Planungsinstrumente einer Neudefinition bedürfen. Insbesondere wird eine differenzier- tere Betrachtung von Stadträumen in Bezug auf ihren räumlichen, historischen, sozialen und typologischen Kontext als notwendiger Schritt für einen besseren Umgang mit dieser Ressource voraus- gesetzt, zu der diese Arbeit möglicherweise einen kleinen Beitrag leisten kann.

Eine weitere von den Autoren genannte, aus meiner Sicht ganz wesentliche Forderung betrifft die „Überwindung der Polari- tät zwischen Alt und Neu“: Gerade im spezifischen Fall Favoritens scheint die sture, weil maßstabsdurchdringende Annahme einer „gründerzeitlichen Homogenität“ im Sinne von: gründerzeitli- che Wohnung, im gründerzeitlichen Haus, im gründerzeitlichen Block, im gründerzeitlichen Bezirk(steil), in der gründerzeitlichen Stadt schon weit von der Realität zu divergieren.

Schon bei der Bebauung der südlichen Ausläufer des Block- rastrums, in etwa ab der Troststraße, war das klassische Arbeiter- zinshaus hier längst nicht mehr Hauptakteur des Baugeschehens. Im Gegensatz zur viel uniformeneren Bespielung der Blöcke wie zB in Ottakring, aber auch in den zentrumsnäheren Gebieten Fa- voritens wie zB um den Viktor-Adler-Platz, ist im Bereich des Frie- senplatzes eine Durchmischung verschiedenster Bebauungsformen auf dem dennoch klar gründerzeitlichen Straßenraster zu erken- nen. Diese sukzessive, von der dann tatsächlich errichteten Bauty- pologie entkoppelte Bespielung eines bereits festgelegten (strengen) Grundstücks- und/oder Bebauungsrasters machte beispielsweise in Form des Randel- bzw. Commissioner Plans für Manhattan54 be- reits 1811 Schule.

54 Aufgrund dieser Parallele hatte ich irgendwann im Jahr 2010 jemandem die Bemerkung „Favoriten is the new Manhattan“ in ein Notizbuch gekritzelt... 54 20. Favoriten, Viktor-Adler-Markt 21. Favoriten, Friesenplatz 22. Ottakring, Koppstraße, Hasnerstraße 55 2.1 Der Massstab der Gründerzeitlichen Stadt

Die engere Maschenweite der gründerzeitlichen Stadt, sowie die Abwesenheit größerer gebauter Strukturen vereinfacht Mecha- nismen der Umnutzung, der Erneuerung und dadurch auch das Bespielen von urbanem Raum, gegenüber spezialisierten Wohn- siedlungen, Büro- oder Geschäftskomplexen. Aus diesem Grund kann eine größere Zahl an kleineren Betrieben, Wohnstätten oder Geschäften dort angesiedelt werden, die in Bezug auf eine sich stän- dig verändernde Marktsituation viel manövrierfähiger sind als die großen Schlachtschiffe internationaler Konzerne. In Anbetracht der Geschwindigkeit der Innovation, des sich ständig abzeichnen- den gesellschaftlichen Wandels, der immer neuen Herausforderun- gen, stelle ich die Behauptung auf, dass Flexibilität der Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg ist, den das gesellschaftspolitisches System der Gegenwart zum Dogma erhoben hat. Ich behaupte außerdem, dass sich diese kleineren Strukturen aufgrund ihrer anpassungs- fähigen kreativen Systematik gegenseitig in ihrer Produktivität stärker anstecken, als es die von Konkurrenzgedanken geprägten Großsysteme tun können. Das soll aber nicht bedeuten, dass die Umwandlung und Anpassung der bestehenden gebauten Struktu- ren der Gründerzeit der einzige Nährboden für eine zukunftswei- sende Gesellschafts- und Stadtentwicklung sind, sondern dass neue Ansätze aus ihren Vorzügen lernen können, wie auch ihre Fehler vermieden werden könnten. Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von Stadtentwicklungsprojekten, die versuchen, sich dieser Logik zu verschreiben, der Erfolg zeichnet sich nur langsam ab, da das Kapital in Händen von Unternehmungen ist, die derzeit noch dem Vorgängersystem den Vorzug geben. Der Hintergrund der aktu- ellen Wirtschaftskrise jedoch, der Zusammenbruch von globali- sierten Bankensystemen und streng zentralistisch hierarchisierten politischen Systemen deutet aber diesen Wandel an. In einer Ära, in der die Kommunikation so schnell stattfindet wie heute, kann ein Schachbrett viel schneller und sinnvoller bevölkert werden als eine grüne Wiese ohne klare Struktur. Und auch diese Logik haben die Flächenausschlachter (denn Stadtplaner im eigentlichen Sinne waren es ja keine) bereits in der Gründerzeit erkannt, auch wenn es in dem Fall geschehen ist, um aus der Not heraus ein Umfeld zu schaffen, dass den gesellschaftlichen Ansprüchen gerade einmal genügt.

2.2 Urbane Lebensweise und Nutzungsneutrale Stadt

„Die Stadt ist nicht mehr der besondere Ort einer urbanen Lebensweise.“55

55 Walter Siebel, Die europäische Stadt, S. 32 56 Man könnte argumentieren, dass die urbane Lebensweise ihrerseits sich nun durch andere Mechanismen (Globalisierung, Internet, Ineinanderfließen von Privatheit und Öffentlichkeit) zu einer neuen Lebensweise wandelt, die die Stadt neu instrumenta- lisieren kann. Es ist dies ein wechselseitiger Prozess, in dem der Gestaltung der Stadt eine besondere Rolle zukommen kann – in diesem Sinne sind wir gezwungen bestehende Strukturen und ihre Potentiale neu zu interpretieren.

Die aktuelle Stadt hat eine Vielzahl an Protagonisten, die zu definieren sich die Stadtsoziologie zur Aufgabe gemacht hat. Aus meiner subjektiven Sicht heraus, kristallisiert sich jedoch in Wien, wie vermutlich in vielen Städten mit ähnlichem sozioökonomi- schem Hintergrund, ein Prototyp des urbanen Menschen56 heraus, der auf sehr bestimmte Weise Urbanität sucht und nutzt, weil sie seinem Lebenswandel entspricht. Diese Sicht wird durch sozialde- mographische Statistiken gestützt, die die folgenden Tendenzen be- stätigen: dem Ausdienen des Modells der klassischen bürgerlichen Familie zugunsten von Patchworkfamilien, Singlehaushalten, so- wie Lebensgemeinschaften temporärer natur. Weitere Verstärkung des Dienstleistungssektors, der New Economy, sogenannter „kre- ativer Berufe“ mit gleichzeitiger Flexiblisierung des Arbeitslebens, sowohl was den Ort und die Dauer von Beschäftigungsverhältnis- sen, aber auch die Arbeitszeiten (Auflösung des klassischen 9 to 5 Jobs, Verschwimmen von Freizeit und Arbeitszeit, Co-working), zB aufgrund globalerer Ressourcenverteilung (Produktion in Ländern mit geringeren Lohnkosten).

Diese Tendenzen lassen den Rückschluss zu, dass die Beschäf- tigungswelt dieses urbanen Menschen ein immer stärkeres Maß an Flexibilität erfordert, die sich wiederum in seinem Lebensstil wie- derspiegelt. Die Stadt, als Rezipient dieses Lebensstiles muss sich also ebenso flexibel gestalten, wie das ihre Bewohner fordern, was zu einer neuen, diesmal nicht so stark gebauten, sondern in gewis- ser Weise intellektuellen Gründerzeit führen könnte.

Nimmt man nun also die Stadt als typologisches System wahr, das auf kurzen Wegen beruht, wie es der Mainstream des Urbanismus seit den 1970ern wieder zurückfordert, so haben wir in der Gründerzeitlichen Stadt ein System, das aufgrund seiner strukturellen Offenheit, eine Vielzahl an Entwicklungsszenarien ermöglicht.

56 Dieser urbane Mensch wird einerseits immer wieder in diversen Medien karikiert, scheint aber andererseits auch ein hohes Identifikationspotenzial zu bergen, weswegen sich die Werbebranche seit einigen Jahren eines iPod-hörenden, fahrradfahrenden, vermeintlich kreativen Prototypen bedient um Produkte zu verkaufen. 57 3 Makroaufnahme Favoriten

Die Entscheidung zu einer Auseinandersetzung mit Favoriten und meine Hypothese der Besonderheit in diesem Stadteil fällte ich vornehmlich aufgrund meiner subjektiven Eindrücke bei der Beobachtung des Stadtraumes. Zur Überprüfung dessen, was ich in Favoriten “auf der Straße gesehen” habe und der Schlüsse die ich daraus gezogen habe, wie es auf der anderen Seite der Fassaden aus- sehen könnte, wäre jedoch eine solide Datenbasis vonnöten, die ich auf den Webseiten der Stadt Wien nur zum Teil öffentlich zugäng- lich gefunden habe. Unter https://www.wien.gv.at/statistik kann eine Vielzahl an Publikationen der MA23 eingesehen werden, die vor allem statistische Daten zu vielen die Stadtentwicklung global betreffenden Themen beinhaltet. Ein Monitoring der kleinräumli- chen Mobilität, die Bevölkerungsdichte nach Zählsprengeln, oder auch der Eigentumsverhältnisse der Gründerzeithäuser, um nur ei- nige Beispiele zu nennen, würden die Überprüfung dieser Thesen erleichtern.

Dass Favoriten eine „Stadt in der Stadt“ ist, kann nicht nur aufgrund der Bevölkerungszahl argumentiert werden: Sie ist eine logische Konsequenz der historischen Abgrenzung Favoritens vom Rest der Stadt durch den Verlauf von Süd- und Ostbahn. Nach- dem eine dichte Verzahnung mit der Bebauung der Nachbarbe- zirke nicht möglich war, musste es quasi eine autochtone Urba- nisierung des Bezirkes geben. Es bestand zwar zweifelsohne eine Orientierung an den städtebaulichen Achsen, die durch die „Tore“ nach Favoriten kamen (Südtiroler- und Matzleinsdorferplatz) und an den bestehenden Verkehrsachsen (Triester Straße, Wiener- bergstraße = Tor nach Schönbrunn, Favoritenstraße = Himberger Straße), diese führten aber nicht unbedingt nur zu einer radialen Stadterweiterung, wie das in der Entwicklung der sonstigen kon- zentrisch um den Stadtkern angelegten Vorstädte und Vororte der Fall war. Obwohl bekannt ist, dass die erste Besiedlung Favoritens vom „Steudel-Spitz“ zwischen Laxenburger- und Favoritenstraße ausgegangen ist, scheint sich die Bebauung im Laufe der Gründer- zeit, wie auf dem Generalstadtplan von 1904 erkennbar ist, grob konzentrisch um den Quellenplatz57 angesiedelt zu haben, der in dieser Logik das „Stadtzentrum“ Favoritens bildet.

Diese Sonderstellung innerhalb der Stadt führt, meiner Mei- nung nach, auch zu einer erhöhten Identifikation mit dem Bezirk, die sich statistisch durch die im Vergleich extrem hohe Binnenmig- ration untermauern lässt: 7.320 Favoritner sind 2013 innerhalb des eigenen Bezirks umgezogen (das sind 16,86 % der Binnenmigrati- on innerhalb des gleichen Bezirks in Wien Gesamt (43.419)). Kurz: Einmal Favoriten, immer Favoriten.

57 Quellenplatz und Quellenstraße sind nach dem 1874 errichteten Wasserbehälter der I. Wiener Hochquellleitung im Bereich des heutigen Familienbades Gudrunstraße benannt 58 Die weitere Entwicklung des Bezirkes hat quasi durch ein „Auffüllen“ des Blockrastrums bzw. ein „Aufrollen“ eines „Ge- bäudeteppichs“ über die noch leerstehenden Parzellen von den „Hauptachsen“ (Gudrunstraße, Quellenstraße in West-Östlicher- Richtung, sonst Triester- Laxenburger, und Favoritenstraße) weg stattgefunden. Diese Entwicklung, in Verbindung mit der weitge- henden Abwesenheit hierarchisierenden Bestandes hat wohl zu der vorherrschenden recht „homogenen Ausbreitung des Heterogenen“ geführt, die wir heute auch als „Funktionsmischung“ verstehen und deren Vorhandensein als zentraler Faktor58 für die Entstehung von Urbanität gesehen wird.

Durch die weitgehend homogene Dichte der Bebauung (zu- mindest bis in den Bereich dessen was ich „Post-Gründerzeitliche Pufferzone“ nenne, also den 4 Blöcke breiten Streifen zwischen Troststraße und Raxstraße/Grenzackerstraße), besteht in weiten Teilen subjektiv eine - wertfrei gemeinte - „Austauschbarkeit“ von Stadt innerhalb Favoritens. Diese zieht sich konsequenterweise durch alle Maßstäbe: im Vergleich zu größeren, funktionalisti- schen baulichen Strukturen, oder stärker hierarchisierten Stadtei- len können die Wohnung, das Haus und der Block hier relativ ein- fach ersetzt werden. Diese „Gleichheit“ des Stadtraumes entspricht, auch wenn ihr Ursprung in liberal-kapitalistischen Überlegungen gelegen hat ja eigentlich ur-sozialistischen Prinzipien. Wenn also in Bezug auf die Staatsform „Demokratie das geringste Übel“59 ist, dann könnte in der Domäne des Städtebaus das gründerzeitliche „Gatter“ Favoritens mangels nachhaltiger Alternativen ebenso als das geringste Übel und damit ein System erster Wahl angesehen werden.

Diese Austauschbarkeit spricht weiters dafür, dass flächen- deckend und sukzessive auch kleinere Maßnahmen zu einer sub- stanziellen Verbesserung der Bestandes beitragen. Auf diese Wei- se ist gewährleistet, dass segregierende Gentrifizierungsprozesse kaum zum tragen kommen. Ein eventueller sozialer Aufstieg der Bewohner bleibt mit größerer Wahschreinlichkeit im Viertel oder zumindest im Bezirk, der Wohlstand seiner Einwohner kann so nachhaltig und synchron mit einem gesunden Aufwertungsprozess der Quartiere stattfinden.

Nachdem Favoriten sich im Laufe seiner Geschichte und ins- besondere ab den 1960er Jahren aber auch jenseits der Grenzen die- ses Gatters ausgedehnt hat, darf die Betrachtung der Potenziale hier nicht auf die gründerzeitliche Struktur eingegrenzt werden. In den südlichen Bereichen des Bezirkes wurde ein Nebeneinander unter- schiedlicher Siedlungsformen zusammengefügt, die derzeit jede für sich eher hermetischen Charakter haben. Derzeit kann nicht, oder

58 Ida Pirstinger, Gründerzeitstadt 2.1, S. 17

59 diese Aussage wird je nach Quelle Winston Churchill oder Eugen Rosenstock- Huessy zugeschrieben, 59 nur in Ausnahmefällen von einer Kontinuität des (Stadt-?)Rau- mes gesprochen werden. Einzelne Siedlungen sind oft nur punk- tuell an Erschließungsachsen angeknüpft und sperren sich einer Durchdringung aus Überlegungen der Verkehrsberuhigung, die noch sehr stark in der Logik des Automobils verhaftet sind. Ange- sichts der zunehmenden Überalterung und der vergleichsweise eher schwachen Migrationsdynamik sind auch in diesem Bereich Im- pulse zu setzen, die auf den globalen und lokalen gesellschaftlichen Wandel reagieren. Hier besteht eine Chance darin, die Laborbe- dingungen, in denen jedes dieser „Siedlungsexperimente“ mangels Permeabilität zu den umgebenden Stadträumen in den vergange- nen Jahrzehnten bestanden hat durch sinnvolle infrastrukturelle Verwebung zusammenfließen zu lassen, wofür beispielsweise die großzügigen Flächenreserven (Aktivierung des Gartenstadtgedan- kens, Planung von Stadtwander- und Fahrradwegen als Kommuni- kationstool, (Not-So-)Urban Gardening.)

Gerade im Bereich der großflächigen aufgelockerten Wohn- bebauung wird sich bei gleichbleibendem Wachstum früher oder später auch die Frage nach möglicher Nachverdichtung ergeben, die die Robustheit der Stadtsysteme auf eine Probe stellen muss. Bei den Lösungsansätzen kann möglicherweise auf Ergebnisse zurückgegriffen werden, die aus der ständigen Beobachtung und Neubewertung der Strukturen in den Bezirksteilen, die einer stär- keren, weil einfacheren Überformung unterworfen sind, gewonnen wurden.

Ein mit insgesamt rund 109 ha schon flächenmäßig60 großes und in absehrbarer Zeit bewertbares Potenzial für den Bezirk tut sich schließlich derzeit im Bereich des neuen Hauptbahnhofes auf. In unmittelbarer Umgebung der Keimzelle Favoritens ist derzeit das Sonnwendviertel gebaute Realität geworden, bestehend aus zum Großteil bereits fertiggestellten Wohngebäuden neben Bürogebäu- den, die sich zum neuen Bahnhofsplatz hin orientieren. Hinter die- ser teils aufgelösten Blockstruktur schließt mit dem Helmut-Zilk- Park ein großflächiger Grünraum an den am dichtesten bebauten Teil des Bezirkes an. Weitere Flächen entlang der Gudrunstraße, sowie auf der den Gleisen zugewandten Seite des Parkes befinden sich bereits in Entwicklung. Auf ehemaligen Gleisflächen, die seit 140 Jahren gewisserweise die Maschekseite des Bezirks abschlossen entsteht nun erstmals eine größere Permeabilität der Außengren- ze Favoritens in Richtung „Mutterbezirk“ Wieden aber auch zur Landstraße, die zweifelsohne auch Auswirkungen auf den Bestand haben wird. Bereits jetzt sind in recht engem Abstand 3 neue Unter- führungen, nämlich im Zuge der Gertrude Fröhlich-Sandnergasse in Verlängerung der Argenitinierstraße, der Sir-Karl-Popper-Straße in Richtung des Schweizergartenss bzw. des Quartier Belvedere und der Alfred-Adler-Straße als Missing-Link zwischen Landgut- gasse und Ghegastraße, unter der Trassenführung der ehemaligen

60 Vgl Katastralgemeinde Favoriten: 524 ha 60 Ostbahn angelegt worden, die die Wahrnehmung der räumlichen Zusammenhänge in der Stadt grundlegend umgewälzt haben. Mit der Südbahnhofbrücke am östlichen Ende des Entwicklungsge- bietes und dem als Fußgänger- und Fahrradbrücke ausgelegten Arsenalsteg sind weitere Verbindungselemente im Entstehen, die zu einer Verknüpfung des neuen Bezirksteils dem Nachbarbezirk Landstraße, aber auch in Richtung Simmering beitragen sollen.

23. Arsenalstraße

24. Alfred-Adler-Straße

61 62 D Entwicklungspotenziale auf Mikroebene

63 „Freilich, wenn man nicht den Muth hat, irgend etwas Be- stimmtes in Aussicht zu nehmen, dann wird sich zuverlässig jedesmal der Miethhausbezirk entwickeln denn in dieser allgemeinen, aber eben deshalb ödesten und charakterlosesten Formation lässt sich zur Noth Alles unterbringen: Werkstätten, Arbeiterwohnungen, Handelshäu- ser, Paläste, etc. Alles kann der Miethhausblock aufnehmen, aber Al- les nur zur Noth, ohne eines der Sonderbedürfnisse ganz und voll zu befriedigen.“61

So zukunftsweisend spitzzüngig dieses Zitat Camillo Sittes in seinem historischen Kontext auch war, genauso anachronistisch schrullig wirkt es auf mich vor dem Hintergrund der in den beiden vorigen Kapiteln beschriebenen gesellschaftlichen und urbanen Entwicklungstendenzen.

1 Funktionalisierung vs. Nutzungsneutralität

Bei der Betrachtung der Mikroebene, also je nach Maßstab auf Block- oder Gebäudeebene, aber sogar auf der Ebene der ein- zelnen Einheiten (um nicht Wohnungen zu sagen) eines Hauses of- fenbaren sich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen je nach Bauweise und –alter. Grundsätzlich stelle ich die These auf, dass das Entwicklungspotenzial proportional zur Spezialisierung des Gebäudes abnimmt. Spezialisierung darf in diesem Kontext nicht rein aufgrund der derzeitigen Nutzung beurteilt werden, sondern wird durch bauliche und räumliche Faktoren bestimmt. Das Ant- onym für Spezialisierung wäre in diesem Sinne die Nutzungsneut- ralität oder aber auch die Wandelbarkeit.

Ein Beispiel: Ein Fabriksgebäude ist bei Errichtung vermeint- lich ein speziell auf die Produktion von bestimmten Waren ausge- richtetes bauliches Konstrukt. Es erfüllt diese Aufgaben so lange gut, wie der Produktionsprozess so funktioniert, wie bei seiner Kon- zeptionierung bekannt. Dem Planer ist im Idealfall der Umstand bewusst, dass die für den Fabrikbetrieb notwendigen Maschinen, Fertigungsstraßen, Lagerräume, etc. im Laufe des Lebenszyklus des Gebäudes einer dynamischen Entwicklung - insbesondere, aber nicht nur - aufgrund des technologischen Fortschritts, unterworfen sind und sich dadurch die räumlichen Anforderungen des Bau- werks verändern können. Diese Wahrheit gab es nicht nur im 19. Jahrhundert - auch heute noch stellt man bei der Betrachtung von Industriearealen fest, dass die Spezialisierung auf Produktion per se noch keine Fixierung auf einen bestimmten Produktionsprozess darstellt. Die Anforderungen an ein Industriebauwerk sind also nicht rein durch den momentanen Produktionsprozess bestimmt, der eine bestimmte Ausformulierung des Baukörpers bestimmt. Die Voraussetzungen für ein Industriebauwerk würde ich um fol- gende Schlagworte erweitern:

61 Camillo Sitte, Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, S.138 64 • räumliche Flexibilität im Inneren, die durch die konst- ruktive Struktur erreicht werden kann

• räumliche Erweiterbarkeit nach Außen, die durch eine beschränkte bauliche Dichte erreicht werden kann

• größtmögliche Flexibilität in Bezug auf die Funktionali- tät der Baulichen Hülle in Bezug auf Belichtung, Belüf- tung, Wärme- und Schallschutz, Beheizbarkeit, usw. also im wesentlichen Bauphysikalische Grundausstattung und Technische Gebäudeausstattung bzw. die Möglichkeit zu deren Nachrüstung.

Bei der Auseinandersetzung mit gebauten Strukturen und ih- ren Funktionsweisen, im städtischen wie im bauwerklichen Maß- stab und insbesondere beim Vergleich von gründerzeitlicher Sub- stanz mit den Zeugnissen der funktionalistischen Ansätze des 20. Jahrhunderts fällt das Augenmerk zwangsläufig auf diesen elemen- taren Unterschied: Nutzungsneutralität vs. Nutzungsspezifizität.

Im Diskurs der Moderne ist ab den 1910 Jahren die Rede von einer „neuen Sachlichkeit“, einer Neuinterpretation des Bauens und insbesondere auch des Wohnens. Während die Vertreter der Moder- ne in ihrer idealisierten Form und Philosophie unter anderem durch den Einsatz von Beton und Stahlkonstruktionen die Schaffung von noch offeneren Strukturen, in Form von Plan Libre, Raumplan, etc. fordern, gibt es eine starke Diskrepanz mit der gebauten Realität. Das Leitbild der Ratio, aufgrund derer eine Analyse und Auflösung des Lebensmodus des idealisierten Individuums einer fordistischen Gesellschaft stattfindet, diktiert, daraus abgeleitet, die Konfigura- tion von Räumen nach funktionalistischen Gesichtspunkten. Die sozialen Utopien der Werkbundbewegung ab den 1920ern haben beispielsweise experimentelle Siedlungen mit Kleinstwohnungen bzw. -wohnhäusern an den Tag gebracht, die durchaus zukunfts- weisend waren. In der gebauten Realität des Roten Wien jedoch, im Gegensatz zur ursprünglich postulierten freien Grundrissgestal- tung, bilden diese funktionalisierten Räume, kritisch gesprochen, ein in Stahlbeton gegossenes Korsett für den Menschen, der sich so einem zwar gut gemeinten, aber doch wenig anpassungsfähi- gen, präfabrizierten System fügen muss. Diese Verpflichtung zum Funktionalismus und der ökonomischen Errichtung62 schlägt sich, besonders in den sozialistischen Staaten des ehemaligen Ostblocks, in seiner extremsten Ausformung, dem Plattenbau, dadurch nieder, dass es eine Hierarchisierung der einzelnen Funktionen innerhalb einer Wohnung, nicht jedoch zwischen den einzelnen Wohnungen gibt. Es entsteht dadurch also ein Stapel mit hochspezialisierten Rezipienten, eine sogenannte „Wohnmaschine“ im Sinne von Le

62 Der Plattenbau, auch Tafelbauweise setzt von der Bautechnik her auf präfabrizierte Teile und neue Materialien (Stahl, Spannbeton), die weit weniger (teure) handwerkliche Qualität und personellen Aufwand bedeuten, als beispielsweise die in Ziegelmassivbauweise hergestellten Häuser der Gründerzeit. 65 Corbusier, die sich aber nicht an den Nutzer anpasst, sondern ihm vorgibt, wie es „am besten wäre“ zu wohnen.

Von der Intention her, funktioniert das klassische Gründer- zeitzinshaus sehr ähnlich. Hier ist die Struktur des Stapels noch kleinteiliger, es gleicht nahezu einer proletarischen Legebatterie. Die Wohnungen sind mit in der Regel ursprünglich 25 m², klei- ner, in den Funktionsräumen schlechter belichtet und belüftet und verfügen über keine sanitären Einrichtungen. Der Vorteil entsteht hier jedoch aus der Struktur: die strenge Systemtreue der räum- lichen Abfolge an der Straßenfassade gepaart mit der einfachen Funktionstrennung um die Achse der Mittelmauer ermöglicht eine Vielfalt an möglichen räumlichen Zusammenschlüssen um allen möglichen Nutzungen genügen zu können. So kann, aus dem un- differenzierten Setzkasten, den das Gründerzeithaus ursprünglich darstellt, durch konstruktiv bedingt einfache Eingriffe und Ad- aptierung an verschiedenste Anforderungen gleichsam eine hoch- spezialisierte Immobilie, wie auch ein weiterhin strukturell offenes Wohnhaus, das heutigen Ansprüchen genügt, werden.

25. Bauakt Gschwandnergasse

66 2 Das Hochgründerzeitliche Arbeiterzinshaus

2.1 Immanente Potenziale

Wird heute im Bereich der Immobilienwirtschaft von einem „Gründerzeithaus“ gesprochen, so ist dabei zumeist kein speziel- ler Gebäudetypus gemeint, sondern oft eine grobe Zuordnung zur Stilepoche des Historismus63. Diese beginnt bauhistorisch gesehen mit den Enden des Biedermeier in den 1840er Jahren und dauert bis zu den Anfängen des Jugendstils um 1900 an. Da die Gebäu- de aus morphologischer Sicht auf den ersten Blick oft schwer un- terscheidbar sind, wird der Begriff oft auch für ältere Exemplare, die während der Gründerzeit aufgestockt und erweitert wurden (zB 6-7 achsige Vorstadthäuser), oder aber auch für typologisch ähnliche Gebäude aus den 1900er und 1910er Jahren angewandt. Ob eine Distinktion in diesem Kontext notwendig ist, oder ob die Pauschalierung wiederum aus Immobilienwirtschaftlicher Sicht mangels groben Unterscheidungsmerkmalen gerechtfertigt ist, soll nicht Thema dieser Arbeit sein. Um jedoch das Objekt dieser Ar- beit einzugrenzen möchte ich einen Prototypen eines „hochgrün- derzeitlichen Arbeiterzinshaus“ Favoritens genauer unter die Lupe nehmen.

Als prototypischer Vertreter einer, in Massenproduktion her- gestellten, historistischen Stadtrealität, kommt dem hochgrün- derzeitlichen Arbeiterzinshaus eine besondere Bedeutung bei der Evaluierung der Entwicklungspotentiale der gründerzeitlichen Stadt zu. In einem zweibändigen Kompendium beschäftigt sich Kyros Hamidi auf enzyklopädisch-deskriptive Weise mit diesem Bautypus in einem Verbund der insofern interessant ist, weil er im Ganzen und aus einer Hand geplant und erbaut wurde: dem Stra- ßenzug der Wimmergasse in Wien Margareten, den ich nunmehr seit einigen Jahren auch besser kenne, da ich dort wohne. Während seine Arbeit sehr genau auf bauliche Aspekte, die Entstehung und die Entwicklung seither eingeht, soll im fogenden Absatz ein kon- zentrierter Steckbrief eines bestimmten Gebäudetyps gezeichnet werden:

63 Mit dem Historismus verschwindet erstmalig die Einheit des Stils: politische, ideologische und moralische Grundanschauungen rechtfertigen einen stilistischen Pluralismus, dessen Ausformungen Neoklassizismus (in reiner Form zB am Parlament, als „Hilfsstil“ aber im Fassadendekor fast jedes Wohnhauses), Neorenaissance (Staatsoper, Universität) und Neogothik (Rathaus, Votivkirche) besonders das Ensemble der Wiener Ringstraße zu einem eklektischen Abbild dieses Zeitgeschmacks machen. 67 Das Arbeiterzinshaus, auch „Bassenahaus64“ oder Gang-Kü- chen-Haus65 genannt, war in seiner klassischen Form als reiner Straßentrakter eine Weiterentwicklung aus den anfangs ebener- digen oder einstöckigen Reihenhäusern der Vorstädte. Aufgrund der typischen Parzellengrößen war dieser Grundtypus in etwa 6-7 Fensterachsen (ca. 15-16 Meter oder rund 8 Klafter, bei Eckhäu- sern um die 12 Klafter) breit und hatte eine Tiefe von etwa 11,40 Metern (6 Klafter), die nicht zuletzt auch konstruktionsbedingt war, da so etwa jeweils unter 6 Meter lange Dippelbäume bzw. Trä- me zwischen der Mittelwand und den beiden Außenwänden als Decken gespannt werden konnten. Die Konstruktion bestand aus Ziegeln im Alt-Österreichischen Format 29x14x6,5 cm die jeweils im Blockverband verlegt wurden. So bot sich die Möglichkeit bei den Außenwänden in jedem Stockwerk um eine Ziegelschar zu- rückzuspringen um so ein Auflager für die Träme zu bilden. Aus Brandschutzgründen war meist die jeweils unterste und oberste Geschossdecke als Dippelbaumdecke ausgeführt, in Einzelfällen wurden über dem EG auch Ziegelgewölbedecken eingezogen. Die Häuser wurden fast ausnahmslos komplett unterkellert, um dort Einlagerungsräume, Waschküchen, aber auch Magazine oder Vor- rats- und Eiskeller unterzubringen.

Aufgrund der Einfachheit der Bauweise bzw. des konstrukti- ven Systems ist auf Gebäudeebene durch freie Verbindung (Durch- brüche mit Fertigteilüberlager oder Stahlrahmen) oder Trennung (Ausmauern oder Leichtbauwände) nebeneinanderliegender oder sogar übereinanderliegender (Einbau von Stiegen und Wechseln in der Holzdecke) Räume eine große Flexibilität in der Grundriss- gestaltung gegeben. Die Raumhöhen sind in der Regel für viele Nutzungen ausreichend und stellen ein wesentliches Flexibilitäts- merkmal dar, das auch bei der Modernisierung der Technischen Gebäudeausstattung durch Raumreserven Vorteile gegenüber spä- teren Bauweisen birgt.

Die Projektentwicklungspraxis der vergangenen Jahre zeigt, 26. Zusammenlegungsschema Straßentrakter dass schon bei relativ günstiger Adaptierung bestehender Gründer- zeithäuser und -wohnungen auf heutige Anforderungen ähnliche Preise wie auf dem Neubaumarkt erzielt werden.

64 die Bassena bezeichnet eine öffentliche Wasserentnahmestelle am Gang von alten Miethäusern, in denen die Wohnungen noch über keine komfortableren Sanitäreinrichtungen verfügen. Das wienerische Wort ist vermutlich eine zur napoleonischen Zeit – zu der wohl auch die ersten Vertreter den davor üblichen Straßen- oder Hausbrunnen ablösten – eingedeutschte Variante des französischen Wortes für „Becken“: „bassin“. Als zentrale Einrichtung ist sie namensgebend für diesen Haustypus und bezeichnend für den Ort des Hauses, an dem sich die Bewohner zwangsläufig hin und wieder treffen und dort dem sogenannten „Bassenatratsch“ frönen; in gewisser Weise verkörpert sie dadurch also auch eine Gesellschaft mitsamt ihren symptomatischen Umgangsformen.

65 Die Küche der Wohnungen wird direkt vom hofseitig gelegenen Gang erschlossen, wird dadurch über diesen nur indirekt belichtet und belüftet und dient meist gleichzeitig als Vorraum. Das typische Bild von Gängen mit Fenstern zum Hof einerseits und Wohnungseingangstüren und eventuellen Fenstern von Kabinetten und Küchen andererseits macht diesen Typus sehr leicht identifizierbar. 68 2.2 Die Schnittstelle der Halböffentlichkeit

Die Fassade der Gründerzeithäuser fungiert als Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit auf der einen und Privatheit auf der an- deren Seite, die ja in der „Theorie der Stadt“ des Soziologen Hans Paul Bahrdt als zwei polarisierende Sphären eine Ansiedlung erst städtisch machen. In der Vision eines „global village“ verschwim- men bzw. verzahnen66 sich die Grenzen zwischen diesen zwei Sphä- ren jedoch, was sich dadurch abzeichnet, dass Privatheit zusehends auch in die Öffentlichkeit getragen wird und vize-versa, nicht zu- letzt durch die Nutzung von Kommunikationstechnologien (Pri- vate Gespräche am Handy in den öffentlichen Verkehrsmitteln vs. Öffentlichkeit in den privaten Raum ziehen via webcam, social vie- wing oder facebook). Es ist also nur eine logische Konsequenz, dass sich diese Vermengung auch auf gebauten Ebene wiederholt. Es zeichnet sich vor allem im Amerikanischen Stadtmodell in Form von Vorgärten, hinter „picket fences“ schon seit jeher ein breiter Streifen Halböffentlichkeit ab, der sowohl den öffentlichen Raum, als auch den Privaten zurückdrängt. Gated Communities sind der Prototyp einer großen halböffentlichen Welt, die sich in privater Hand befindet. Die Communities, also Gesellschaften, dürfen in diesem Kontext nicht als starres Gebilde gesehen werden, sondern unterliegen Fluktuationen, haben Zu- und Abgänge und bilden da- durch einen dynamischen Organismus der Urbanität. Das Indivi- duum wird in solchen Communities das offene Gefühl der Urbani- tät wiederfinden, das sich jedoch mit der Nestwärme der Privatheit vermengt. Wenn also die (Halb-)Öffentlichkeit in die Wohnhäuser gebauter Strukturen einfließt, worauf die gesellschaftlichen Ent- wicklungen eigentlich fast zwangsläufig hinzudeuten scheinen, so ist ein Umdenken in Bezug auf deren Schnittstelle, insbesondere im Bereich der Erdgeschoße vonnöten.

2.3 Die Erdgeschoßzone: Urbaner Raum?

„die Wertschätzung einer Stadt gegenüber ihren Bürgern“ zeigt sich „an der Großzügigkeit der Bürgersteige“67

Eines der Kernthemen, wenn es um die Stadterneuerung eines bestehenden, prä-automobilen Stadtmodelles geht, ist also die Nut- zung der Erdgeschoßzone. Geht man davon aus, dass die Stadt auf dem Maßstab des Fußgängers und mit seinem Tempo wahrgenom- men wird, so zeichnet sich heute zumeist ein recht düsteres Bild ab. Zwischen mit Rolläden verschlossenen ehemaligen Geschäfts- lokalen, abweisenden Garageneinfahrten und mit satinierten Foli- en abgeklebten Fenstern von Erdgeschoßwohnungen, finden sich

66 Walter Siebel, Die europäische Stadt, S. 129: Ulfert Herlyn – Anmerkungen zur Urbanitätstheorie von H.P.Bahrdt

67 Zitat Dieter Hoffmann-Axthelm, Berliner Stadttheoretiker, aus dem Zeit Online Artikel „Verbauter Blick in die Zukunft“ von Reinhard Seiss, 12.11.2009 69 derzeit leider nur sehr wenige Räume, die dem Straßenraum ein freundliches und vor allem die fußläufige Erschließung überhaupt erst lohnendes Antlitz zuwenden. War dies in der ursprünglichen Konzeption der Rasterstadt auch vielleicht nur ein hintergründiges Thema, so war doch die Nutzung dieser Bereiche für kleine Hand- werks- und Gewerbebetriebe eine Bereicherung für den öffentli- chen Raum.

In gewisser Weise könnte man behaupten, dass sich infolge des gesellschaftlichen Wandels die Orientierung eines Hauses im Querschnitt betrachtet in zwei Dimensionen umgedreht hat. Wa- ren es früher die Räume des Erdgeschoßes, die Leben in ein Haus gebracht haben, weil sie kleine Betriebe und Läden, aber auch po- tentiell belästigenden Hinterhofindustrien, vielleicht Wirtshäuser, oder auch nur die Hausbesorgerwohnung beherbergten, so sind es heute die ausgebauten Dachgeschoße, mit ihren Penthäusern und Dachterrassen, Bürolofts und Fotostudios, die Impulse für ein Haus und für das gesamte Grätzel setzen sollen.

Gleichsam war es früher die Straßenseite, zu der sich das Haus gewendet hat. Die scheinbar prunkvoll historistisch dekorierten Straßenfassaden, die die Schnittstelle zwischen den oft spärlichen dahinterliegenden Arbeiterwohnungen und dem auf ersten Blick beeindruckenden68 Straßenraum der gründerzeitlichen Stadt bilde- ten, werden heute oft als lieblich, anachronistisch und teilweise auch als verkommen wahrgenommen. Der Wert, der ihnen beigemessen wird, kommt bei der Betrachtung der Eingriffe bei Sanierungen oft zum Vorschein: Dort wo die Zementgussornamente abgeschlagen oder beschädigt sind, werden sie nur selten erneuert, ergänzt, oder neu interpetiert; die Fassade verliert so ihren letzten Funken an his- torisierender Anmut. Stattdessen wird oft ohne tiefergehende Über- legung eine weitere Schicht Anstrich in einer Zuckergussästhetik69 aufgetragen, die die Darstellung der stilistierten klassizistischen Architekturelemente ad absurdum führt. Die hölzernen Kasten- fenster, an denen über die Jahrzehnte durch schlechte oder man- gelnde Instandsetzung der Zahn der Zeit derart genagt hat, dass 27. Hasengasse, Ecke Siccardsburggasse sie die Ansprüche an Ästhetik, Luftdichte und Wärmedämmung längst nicht mehr erfüllen, werden durch eine eklektische Auswahl von zum Zeitpunkt der Sanierung erhältlichen Kunststoff, oder sel- tener Holz oder Holz-Alu-Verbundfenstern in allen erdenklichen Formen, Fensterteilungen und Öffnungsarten ersetzt. Hier drängt sich wieder der Vergleich der Wahrnehmung zwischen dem un- mittelbaren Straßenraum unter dem ersten Hauptgesimse und dem erweiterten Straßenraum der oberen Stockwerke auf: während das scheinbare Chaos im unteren Bereich das urbane Leben erst her- vorhebt, gibt das unüberlegt zusammengewürfelte Antlitz darüber

68 So lässt es zumindest die subjektive Wahrnehmung vermuten, wenn man dem Tenor von aus unserer Sicht weitaus beeindruckenderen Städten stammenden Besuchern der Stadt Wien glauben schenkt.

69 Siehe Studie Farbgestaltung Historischer Fassaden In Wien von Prof. Friedmund Hueber im Auftrag der MA 19 70 ein trauriges Bild, einer vernachlässigten Urbanästhetik wieder. Die Höfe, auf der anderen Seite gewinnen an Aufmerksamkeit: dort wo Geld investiert wird, Wohnungen zusammengelegt werden, Gang- fenster zu Wohnungsfenstern werden und die Objekte nach und nach auch gewinnbringend oder zumindest kostendeckend vermie- tet oder verkauft werden können, werden Maßnahmen ergriffen, die die Qualität aufwerten: Balkonanbauten und entsprechende Türen und Fenster, thermisch sanierte Hoffassaden (mittlerweile nicht mehr nur in ökologisch bedenklichen VWS-Systemen) und immer öfter auch der Ausblick auf gestaltete Hofflächen die der Allgemeinheit, oder zumindest den Bewohnerrn der Erdgeschoß- wohnungen zur Verfügung stehen.

Betrachtet man diese Entwicklung kritisch, so ist festzustel- len, dass hier gebaute Strukturen, die zeitlich weit vor der funktio- nalistischen Stadt entstanden sind, zusehends wie Gebäude genutzt werden, die eigentlich in die Inselstadt gehören würden. Natürlich halten die Gebäude diesem Vergleich nicht stand, da sie nie dafür ausgelegt waren, daher müssten sie auch anders genutzt werden.

Ein wesentlicher Vorschlag dafür wäre die Reaktivierung der Erdgeschoßzone als Katalysator des städtischen Lebens. Geht man davon aus, dass die reale d.h. zwischenmenschliche Kommunika- tion in der Stadt, im Gegensatz zu der immer dominanteren vir- tuellen, auf dieser Ebene stattfindet, so ist es unumgänglich hier Funktionen anzusiedeln, die eben dieses städtische Leben unter den Wohngeschoßen hindurch ins Innere der Höfe ziehen, wo ja zusehends auch qualitativ hochwertige Räume geschaffen werden.

Wenn man wieder den Vergleich mit der Moderne wagen möchte, dann geht es in diesem Modell darum, aus der Gründer- zeitlichen Stadt eine Art Mini-Cité-Radieuse – mit dem Maßstab des Fußgängers und nicht des Autofahrers – zu machen, indem die Barriere der Straßenfassade im Erdgeschoss durch attraktive Nut- zungen aufgeweicht oder gar aufgelöst wird. So entsteht ein Wohn- bzw. Geschäftsbauwerk auf Pilotis (bzw. in diesem Fall eben einem massiven Gerüst aus Ziegelmauerwerk) unter dem eine Vielzahl an nutzungsneutralen Räumen für die Allgemeinheit Platz finden kann. Aufgabe einer neuen Generation von Projektentwicklern70 wird es sein, diese Räume auf ihre Eignung für verschiedene Nut- zungen hin zu überprüfen. In weiterer Folge könnten von der offi- zieller Seite Anreize gesetzt werden, die Modelle ermöglichen, die eine Abwendung von „klassischeren“ Nutzungen wie Wohnungen oder Büros, hin zu potentiell weniger ertragreichen, aber subjektiv attraktiveren Nutzungen, die beispielsweise der Lebensqualität der Hausbewohner oder des Grätzels71 zu Gute kommen, zu finden.

70 Mit Projektentwicklern sind in diesem Zusammenhang nicht die klassischen Developer gemeint, sondern eben jene Vertreter des Urbanen Menschen, die aus der Not heraus die Potenziale von Leerständen systematisch auszunützen versuchen. Wie zB das Projekt Urbanauts der Kollegen Kohlmayr, Lutter, Knapp.

71 71 An Ideen für mögliche Funktionen mangelt es anscheinend nicht. An verfügbaren Flächen in den Erdgeschoßen mangelt es genausowenig. Wie kommt also die Funktion in ihren Raum? Wie kann vermittelt werden?

Wie dem Anspruch, die bestmögliche Nutzung für diese Räu- me zu definieren, entsprochen werden kann, ist eine gesellschafts- politische Frage.

2.4 Über den Dächern der Stadt

Die Themen Stadterneuerung und Nachverdichtung bergen natürlich nicht nur die Frage nach der Um- und Ausnutzung be- reits bestehender baulicher Kubaturen, sondern auch die Frage nach der örtlichen Erweiterung in Form von potenziell neu zu errichten- den Räumen. Bereits seit den 1980er Jahren wurde gerade in Wien, das hier eine Sonderstellung innehat (vgl. Dachgeschoßausbauten Wien vs. Berlin), das Dachgeschoß als Erweiterungsterrain er- kannt. Am heutigen Immobilienmarkt teilen sich die ausgebauten Dachgeschoße von Gründerzeithäusern im ehemaligen Vorstadt- bereich mittlerweile das Spitzensegment mit Stadtrandvillen und Wohnungen in Innenstadtpalais, die bis zu 100% höhere Verkaufs- preise pro m2 in der Vermarktung erzielen als die darunterliegen- den Obergeschoße.

Auch wenn er bautechnisch mitunter eine große Herausfor- derung darstellt, so birgt der Ausbau der baurechtlich verwertba- ren Kubatur über der letzten Geschoßdecke die Möglichkeit zur Schaffung von Wohnraum, der allen Anforderungen eines Neu- baues entsprechen kann. Im Wesentlichen kann die Bauaufgabe eines Dachausbaues auch damit verglichen werden: es handelt sich um einen sehr speziellen Neubau, auf einem statisch wie flächen- mäßig eingeschränkt nutzbaren Grund, mit komplexer Auf- und Erschließungsthematik und streng reglementierter Bebaubarkeit. Die Praxis zeigt jedoch, dass das Angebot in diesem Bereich sehr gut angenommen wird und die Rahmenbedingungen daher in den meisten Fällen keine technischen Probleme sondern höchstens bau- liche „Herausforderungen“ bergen, die ich versuchen werde in den nächsten Absätzen zu erläutern und schließlich mit den Vorzügen dieser Art von Nachverdichtung abzuwägen.

Aus statischer Sicht stellen die meisten Dachausbauten heute einen eigenständigen Baukörper in Skelett- bzw. Leichtbauweise mit „Flachgründung“ dar, das mit dem darunterliegenden bestehenden Bauwerk mit unsicherer Tragfähigkeit, meist mittels einer schubstei- fen Verbunddecke aus bestehenden Dippelbäumen und Stahlbeton zur Erhöhung der Erdbebensicherheit, kraftschlüssig verbunden ist. Insbesondere die gestiegenen Anforderungen an die Erdbeben- sicherheit (Eurocode 6) der letzten Jahre haben zunächst zu einer Stagnation der Bautätigkeit in diesem Bereich geführt, bis die Bau-

72 praxis sich an die neuen baurechtlichen Vorschriften angepasst hat. Eine grundlegende Unterscheidung, nicht nur baurechtlich, son- dern auch konstruktiv stellt jene zwischen Ausbau (Diktion bei der Wiener Baupolizei ist „Dacheinbau“) des bestehenden Dachrau- mes, oft unter Beibehaltung des existierenden Sparrendachstuhles und Erweiterung / Aufstockung (hier wird meist von „Zubau“ ge- sprochen) unter Ausnutzung oder gar Ausreizung (Ausnahmebe- willigungen im Sinne der §§ 69, 81 der maximal zulässigen Kuba- tur mit Errichtung einer völlig neuen Außenhaut. In beiden Fällen werden die Eigenlasten des Bauwerks in Form von reinen vertika- len Druckkräften über die tragenden Außenmauern, bzw. teilweise auch über die Mittelmauern in das bestehende Fundament geleitet. Besonderes Augenmerk muss bei solchen Bauvorhaben also auf der Tragfähigkeit der historischen Konstruktion liegen – zu diesem Zweck wird seitens der Baubehörden neben dem Konstruktions- entwurf auch die Erstellung eines Ingenieurbefundes sowie eines Kapazitätsnachweises für das darunterliegende Gebäude gefordert, was den Kostenaufwand für die Planung aus statischer Sicht im Vergleich zum Neubau zusätzlich erhöht.

Aus bauphysikalischer Sicht ergeben sich durch die Spezifizi- tät der Bauaufgabe bei der reinen Betrachtung des Dachgeschoßes gleich mehrere Herausforderungen. Durch die Prämisse der Leicht- bauweise fällt die Möglichkeit zur Ausnutzung der thermischen Trägheit (natürlich auch der akustischen Vorzüge) (mit Ausnahme der Verbunddecke) von massiven Bauteilen weg. Außerdem besitzen Dachausbauten aufgrund der weitestgehend festgelegten bebauten Fläche in Verbindung mit einer Einschränkung der Gebäudehöhe eine ungünstigere Kompaktheit (A/V Verhältnis), wodurch Trans- missionswärmeverluste stärker zu Buche schlagen als im Neubau. Weiters stellt die verstärkte Wirkung der Sonneneinstrahlung einer- seits geometrisch durch die schrägen Dachflächen, anderseits auch architektonisch durch den Wunsch nach dem Einsatz großflächi- ger Verglasungen eine Herausforderung besonders in Bezug auf die sommerliche Überwärmung dar, der planerisch Herr zu werden ist. Demgegenüber besteht jedoch die Möglichkeit zum Einsatz mo- dernster Baustoffe für die Ausbildung der Gebäudehülle, ohne die Notwendigkeit zur Anpassung an vorgefundene Konstruktionen (vgl. Problematik gegliederte Fassaden mit außenliegender Wärme- dämmung). In Wien hat sich aufgrund dieser Anforderungen der Einsatz von ökologisch-vorteilhaften Holzkonstruktionen in Ele- ment- oder Riegelbauweise durchgesetzt, die zudem die Möglich- keit von hohen Vorfertigungsgraden und dadurch zeit- und kosten- sparenden Bauführungen bei hoher Qualität bergen.

Aus architektonischer Sicht schließlich, liegt der skulpturale Gestaltungsfreiraum im Spannungsfeld zwischen dem baurechtlich zulässigen Gebäudeumriss und dem Vorstellungsvermögen nicht nur der Bauherrschaft, sondern letztlich auch der für das Stadtbild verantwortlichen Organe (MA19, BDA,…). Die derzeitige Aus-

73 baupraxis sieht in erster Linie zwei unterschiedliche Szenarien vor: einerseits werden “klassische” Dachformen realisiert, andererseits unorthodoxere Gebäudeskulpturen auf die bestehenden Objekte “draufgesetzt”.

Im ersten Fall erfolgt die Ausbildung einer Dachlandschaft ab der zulässigen oder konsensgemäßen Gebäudehöhe mit Dach- schrägen bis zu 45 Grad, oft mit der Realisierung von Gaupen, Ein- schnitt von Terrassen und darüber teilweise horizontalem Abschluss durch den Wohnungen zugeschlagenen Flachdach-Terrassen. Es sind auch flachere Dachneigungen möglich, zB bei durch einen hohen Kniestock erleichterter Beibehaltung der ursprünglichen Dachkonstruktion mit zumeist 35-38 Grad, oder in Ausnahme- fällen sogar steilere Dachneigungen, sofern das Stadtbild das auch vorsieht, oder eine Sondergenehmigung erwirkt werden konnte, in Form von mansardenartigen Bebauungen. Zur Vergrößerung des nutzbaren Raumes ist von Bauherrnseite oft die Ausbildung von Gauben gewünscht, deren architektonische Ausformulierung nicht zuletzt auch in Hinblick auf eine Stellungnahme durch die MA19 besondere Sensibilität erfordert. Eine interne Weisung der MA37 aus dem Jahr 2012 hält dazu fest: “Gemaß § 81 Abs. 6 BO darf der Gebaudeumriss durch Dachgauben uberschritten werden. Die ein- zelnen Dachgauben mussen in ihren Ausmaßen und ihrem Abstand voneinander den Proportionen der Fenster der Hauptgeschoße so- wie dem Maßstab des Gebaudes entsprechen. Ob ein Bauteil als Dachgaube anzusehen ist, ist von der MA 19 aus architektonischer Sicht zu beurteilen.” Da die Ausbildung von “hundehüttenartigen” Einzelgaupen über den Fensterachsen einer zeitgemäßen Nutzung (Stichwort Dachloft) und einer wirtschaftlich wie bauphysikalisch sinnvollen Ausnutzung des zulässigen Drittels der Länge der Ge- bäudefront oft entgegensteht, hat sich in den letzten Jahren eine Besonderheit etabliert. Auf Anstoß des Leiters der architektoni- schen Begutachtung der MA19, Robert Kniefacz, wird bei raum- umfassenderen Gaupen die Einhaltung des Gebäudemassstabes erreicht, indem die Gaupenfront selbst um 22,5 Grad gegenüber der Senkrechten geneigt und dadurch die Dominanz dieses unter- 28. Landgutgasse, Ecke Leebgasse geordneten Bauteiles aus der Strassenperspektive geschwächt wird. Diese “Kniefacz-Gaupen” prägen die Formensprache der Dachaus- baupraxis seit einigen Jahren und stellen zugegebenermaßen eine zeitgemäße und optisch ansprechende Interpretation dieses histori- schen Überbleibsels dar, allerdings ist mit Ihnen eine zunehmende - ja offensichtlich angestrebte - Uniformisierung der Formensprache am Dach eingetreten, die Gefahr läuft den “Stempel ihrer Epoche” zu tragen und dadurch “zeitgeistig” statt zeitlos zu wirken! An der, der Strassenfront abgewendeten Innenseite der gründerzeitlichen Blockrandbebauung hat sich - mangels öffentlichem Fokus - eine ästhetisch leider auch nicht immer vorteilhafte, liberalere Begut- achtungspraxis durch die MA19 etabliert. Die Bauordnung sieht in Ausnahmefällen, die vom jeweiligen Bauausschuss zu genehmigen sind, Graupenbreiten bis zur Hälfte der jeweiligen Gebäudefront

74 vor, bei Eckhäusern kommt sogar noch die “geschenkte”, weil bei der Berechnung nicht berücksichtigte, “Ichsengaupe” hinzu. De facto kommt es so sehr oft zu einer tatsächlichen Überschreitung der im Bebauungsplan vorgesehenen Gebäudehöhe. Das Resultat ist eine durch die Ausreizung von Gesetzestexten gebildete “Ruck- sackarchitektur”, wie sie ja im Neubau durch das Hinzufügen von Volumina jenseits der grundsätzlich zulässigen Gebäudeumrisse noch häufiger entsteht - die Sicherstellung der gestalterischen Qua- lität liegt hier also nicht mehr in der Hand von dazu sensibilisier- ten, für die Stadtgestaltung verantwortlichen Kollegen, sondern von Juristen, die die Gesetzestexte so formulieren, dass zwar prin- zipiell niemandem geschadet, aber andererseits auch niemandem (zumindest ästhetisch) geholfen ist!

Im zweiten Fall wird im Wesentlichen versucht, sich aus dem Korsett der Bebauungsbestimmungen zu befreien und dadurch “der Herbeiführung eines den zeitgemäßen Vorstellungen ent- sprechenden örtlichen Stadtbildes”72 Sorge zu tragen. Die Schwie- rigkeit dieses Unterfangens schlägt sich zumeist in der Dauer des entsprechenden Bewilligungsprozesses nieder und stellt natürlich eine dementsprechende Herausforderung für alle Beteiligten und insbesondere den Planer dar: der Wiener Architekt Georg Podusch- ka schreibt 2009 in seinem Kommentar „Pure Verschärfung oder strukturelle Verbessung“ zu dem novellierten „Ausnahmeparagra- phen“, dem § 69 der Wiener Bauordnung: “Bisher wurden gewis- se, in einem Katalog gelistete Abweichungen vom Bebauungsplan im Einzelfall bewilligt, wenn die Abweichung unwesentlich, also von geringem Ausmaß war. Also das, was eh fast so wie eigentlich vorgesehen war, wurde bewilligt, wenn der Nachweis gelang, dass es fast genug ist“ und „Der neue 69er spricht nicht mehr von der Unwesentlichkeit. Das „fast“ ist ab jetzt irrelevant. Abweichungen vom Bebauungsplan werden dann bewilligt, wenn das Projekt trotz Abweichung die Zielrichtung des Bebauungsplanes nicht unter- läuft und wenn durch die Abweichung bestimmte positive Effekte auftreten”73.

In der Tat gibt es speziell im gehobenen Segment einige sehr gute Beispiele für solche auf die Dachlandschaft “draufgesetzten Ufos”, in denen es geschafft wurde, ua. durch Nachweise der Be- lichtung, Kubaturausgleich, Überzeugungsarbeit in Form von schriftlichen Argumentationen und Simulationen und natürlich auch unter Einsatz modernster Methoden der Bautechnik, Pro- jekte zu realisieren, die sich von der landläufigen Definition eines Konventionellen Daches stark abheben. Gestalterischer Schlüssel ist hier oft die bewusste Juxtaposition von avantgardistischer For- mensprache mit fortschrittlicher Materialität und histori(sti)schem Bestand, getrennt durch das akzentuierte Hauptgesimse im Trauf- bereich.

72 BO für Wien §69(2).3.

73 Publikation PPAG – Speaking Architecture S.388 75 3 Spezialfall Favoriten?

Was für die gründerzeitliche Stadt im Allgemeinen gilt, gilt auch für Favoriten im Speziellen. Besondere Merkmale sind jedoch die Abwesenheit von Schutzzonen, sowie die morphologische Viel- falt im gründerzeitlichen Stadtsystem.

Aufgrund der vermeintlich geringeren Attraktivität des Be- zirks im Sinne der von Immobilienmaklern vielzitierten 3 Ls: „Lage, Lage, Lage“, ist ein großer Teil Favoritens noch nicht den üblichen Prozessen (Kauf, Sanierung, Dachausbau, Parifizierung, Abverkauf) der Projektentwicklungspraxis zum Opfer gefallen, was für die Zukunft die Möglichkeit von sensiblerem Umgang mit den bestehenden städtischen Ressourcen und insbesondere auch für eventuelle blockübergreifende Projekte, wie jene die die Gebietsbe- treung Stadterneuerung 2013 in der Kreta und dem Sonnwendvier- tel initiiert hat, birgt.

Offenbar wiegen für den Immobilienmarkt tradierte Defizite („Arbeiterbezirk“) schwerer als tatsächliche Einflussfaktoren wie der exzellenten verkehrstechnischen Infrastruktur (überregional: A23, A2, S1, Hauptbahnhof, regional: U1 + Ausbau, S-Bahn, lokal: Enges Netz an Straßenbahnen und Bussen, außerdem fußgänger- freundlicher Zuschnitt der Blöcke), der sehr guten Nahversorgung (Stichwort „Türkische Greißler“, Märkte, auf der Fuzo in den dich- ten Baubestand eingebettete Einkaufsmöglichkeiten), relativ nahen Grünräumen und aufgrund der flexibleren Stadtstruktur generell die Möglichkeit von „Stadtverbesserungen“ im Umfeld.

Generell besteht für die Stadtentwicklung überall dort großes Potenzial, wo die Stadtnutzer gewillt sind, an Veränderungspro- zessen teilzunehmen oder diese sogar initiieren. Die große Anzahl an Einzelhandelsunternehmen bzw. Selbstständigen in Favoriten, insbesondere auch bei der aus dem Ausland zugezogenen Bevöl- kerung, wo das Unternehmertum mitunter auch kulturell tiefer verankert ist, als in der traditionellen „Favoritner Arbeiterschaft“, lassen prinzipiell auf ein großes Interesse an Selbst- und Mitbe- stimmung und daraus folgend an der Gestaltung des Stadtraumes 29. Rotenhofgasse, Ecke Senefeldergasse schließen. Um diese „menschlichen Potenziale“ für die Stadtentwk- clung zu aktivieren bedarf es eines Abbaus der Sprach- und sons- tigen Barrieren, stärkerer sozialer Durchmischung, und Förderung des Dialoges zwischen den einzelnen Akteuern. Maßnahmen zur Ermöglichung dieser Ziele werden unter anderem von der Gebiets- betreuung Stadterneuerung verfolgt.

76 77 78 E Conclusio

79 Favoritner Freiheit

Es braucht neue Werkzeuge, um aus alten Mauern neue Städte zu errichten!

Wenn Wien als Gründerzeitliche Stadt bzw. Favoriten als Be- zirk mit Gründerzeitlichem Erbe also nicht in der Zwischenstadt aufgehen sollen, weil sie es aus ihrer Definition heraus, meiner Mei- nung nach gar nicht können, warum sollte in ihnen dann nicht an der Entstehung einer eigenen Urbanität gearbeitet werden, wie sie andere Städte mit ähnlicher historischer Bedeutung haben? Warum 30. Favoritenstraße, 1899 nicht ein bisschen vom multikulturellen Selbstverständnis Istan- buls? Warum nicht etwas von der prestigiösen Großzügigkeit der Freiräume von Paris? Warum nicht ein bisschen „arm aber sexy“ wie Berlin? Vielleicht kann Wien, wenn es von Favoriten lernt, so- gar Vorreiter sein? Vielleicht müssen wir diese Stadt nur anders in- terpretieren, sie nicht als städtebauliche Skulptur unter einer gläser- nen Glocke, sondern als den dynamischen Prozess selbst verstehen, der den Mauern erst das Leben eingehaucht hat.

31. Favoritenstraße, 1958 Veränderung kann nicht nur durch Gentrifzierung, d.h. durch das Verdrängen und Verschieben sozialer Strukturen, stattfinden, sie kann auch überall gleichzeitig passieren, sie braucht dafür je- doch Impulse, die möglichst flächendeckend homogen in Kraft tre- ten - ähnlich wie die liberaleren Gesetzgebungen der 1860er Jahre, die dazu geführt haben, dass die Stadtentwicklung der Gründerzeit in so rasantem Tempo voranschreiten konnte. Was aufgrund der vielfach kritischen Ansichten über diesen großbürgerlichen Bau- boom, der letztlich nur einige wenige bereichert hat und den Mas- sen keinen zufriedenstellenden Wohnraum zur Verfügung gestellt 32. Favoritenstraße, 2015 hat, oftmals vergessen wird, ist, dass zum damaligen Zeitpunkt gar keine andere oder „bessere“ Lösung des akuten Wohnungsman- gels möglich war. Man darf die Entwicklung in der Gründerzeit nicht an heutigen Maßstäben messen. Rund 50 Jahre vor dem „roten Wien“, in dem aufgrund der veränderten politischen Situ- ation die Gemeinde erstmalig Verantwortung für Wohnraum und -qualität übernommen hat, war man froh, dass innerhalb kurzer Zeit in stabiler Ziegelbauweise ganze Stadtteile buchstäblich aus der Erde gestampft wurden. Wie heutige Untersuchungen zeigen, ist das klassische Gründerzeitzinshaus nicht nur konstruktiv von überraschend hoher Qualität , sondern aufgrund seiner baulichen Struktur viel flexibler als die Stahlbetonbunker, die in den Zwi- schenkriegsjahren, sowie zu Beginn der zweiten Republik von der Gemeinde Wien auf Basis ganz spezifischer Anforderungen an den Wohnraum erbaut worden sind.

Ein wesentlicher Punkt um zu verstehen, wieso die Überfor- mung dieser angeblich so vorteilhaften gründerzeitlichen Viertel nur sehr schleppend vonstattengeht ist die Eigentümerstruktur. Während die großen Grundherrschaften durch die neue liberale

80 Gesetzgebung von 1867 zusehends dazu gedrängt wurden ihre Flä- chen zu parzellieren und zu veräußern, erlebt das Bürgertum zur selben Zeit einen massiven wirtschaftlichen Aufschwung und sucht aus diesem Grund nach stabilen Wertanlagen. So werden ganze Straßenzüge von einem einzigen Bauunternehmen errichtet und die einzelnen Parzellen sofort an aufstrebende bürgerliche Famili- en oder Industrielle weiterverkauft. Somit befinden sich die meis- ten Gründerzeitzinshäuser ab ihrer Errichtung in Privateigentum, das außerdem zumeist eines oder wenige einzelne Gebäude um- fasst und nur sehr selten größere Blöcke. Die Grundbuchaufzeich- nungen zeigen, dass es eine große Bandbreite bei der Entwicklung der Eigentumsverhältnisse in den letzten 140 Jahren gegeben hat. Während manche Häuser in Familienbesitz geblieben sind, andere von kleineren oder größeren Immobilienunternehmen aufgekauft worden sind und eine nicht unwesentliche Anzahl parifiziert und dadurch in eine noch kleinteiligere Eigentumsstruktur zerfallen sind, gibt es nur recht wenige Häuser dieser Typologie die in das Eigentum einer größeren Gebietskörperschaft übergegangen sind. Die Gründe dafür sind vielfältig: nachdem auch die Stadt versu- chen muss mit geringstem Aufwand möglichst rasch sichtbare Re- sultate zu liefern (was nicht zuletzt am demokratischen Druck auf die Politik in den kurzen Legislaturperioden unserer Zeit liegt), ist für eine Besserung der Wohnsituation eine Neubebauung von frisch gewidmetem Grund, oder ein Abbruch älterer Bausubstanz zugunsten einer großflächigen Verbauung von Straßenblöcken ein- facher. Diese derzeitige Entwicklung zeigt sich in Wien vor allem anhand der Zielgebiete des STEP 05, wo 8 von 13 die Erschließung von Neuland im weniger dicht bebauten Stadtgebiet betreffen.

Während die Stadt jedoch aufgrund eines weitaus größeren fi- nanziellen Hebels und der direkten Möglichkeit der Beeinflussung von Umwidmungs- und Bewilligungsprozessen ein Leichtes hätte für eine Aufwertung eben jener Viertel zu sorgen, können kleine pri- vate Eigentümer oft nur auf geringe Förderbeiträge, die zudem oft an bauliche Maßnahmen gekoppelt sind, die kaum möglich sind, bzw. im Widerspruch zur Bewilligbarkeit der Umbaumaßnahmen stehen (zB Reduktion des HWB durch außenliegende Dämmung und Fenstertausch vs. Positive Stellungnahme MA19, Barrierefrei- heit vs. Topographie) zurückgreifen und sind zudem aufgrund der vollen Anwendbarkeit des MRG auf „Objekte die vor 1945 errich- tet wurden“, in der Möglichkeit der Amortisation der Investitio- nen durch eine Anhebung der Mieten an ein marktübliches Niveau stark eingeschränkt. Konkret bedeutet das, dass ein einzelne pri- vate Hauseigentümer, die aus offensichtlichen Gründen gewinn- bringend oder zumindest werterhaltend wirtschaften möchten, mit einer geringen Anzahl an vermieteten Wohnungen gesetzlich dazu verpflichtet sind, das Mietenniveau an jenes anzupassen, das von

81 einer großen Gebietskörperschaft mit etwa 220.000 vermieteten Wohnungen, die für eine zahlungsschwächere Gesellschaftsschicht vorgesehen sind, samt dazugehörigen Verwaltungsapparat, die zu- dem sozusagen unter (annähernd) Idealbedingungen errichtet und erhalten werden können und deren Verpflichtung zum wirtschaftli- chen Erfolg aufgrund des gesellschaftlichen Auftrages in die Waag- schale des Wählers und dadurch der Willkür der Politik ausgesetzt ist, vorgegeben werden kann.

Diese Kritik mag harsch klingen und im Vergleich zur idealis- tischen Ausrichtung dieser Arbeit ein finsteres Bild des Verhältnis- ses zwischen öffentlicher Hand, Eigentümern und Mietern zeich- nen, ich denke aber, dass gerade in diesem Spannungsfeld einer der wichtigsten Gründe für die nur sehr zögerliche Aufwertung von Wohn- und öffentlichem Raum in den Wiener Gründerzeitvierteln liegt.

War es im 19. Jahrhundert die Industrialisierung, die den Nährboden für die Gründerzeit bot und damit den Bedeutungs- gewinn der Stadt einläutete, so sind es heute im Spannungsfeld zwischen Globalisierung, Dienstleistungsgesellschaft und Postma- terialismus abstrakte Werte wie Internationalität, Flexibilität und strukturelle Offenheit, die das große Potenzial der Stadt und des Bezirkes bedeuten.

Favoriten war seit seiner Entstehung sozusagen eine große „Arbeitsmaschine“ im Hintergrund der Ringstraßenmetropole. Die Prunkbauten, die heute den einzigen wahren Boulevard Wiens säumen, entstammen dem lehmigen Boden an den Hängen des Wienerberges und sind erst durch die Hände der ersten Generation von Favoritnern ihrer Bestimmung zugeführt worden. Man könnte fast sagen, dass das, was Wien seit seiner Blütezeit74 internationa- les Ansehen verschaffte, aus Favoriten geformt wurde: Einem Be- zirk, der in sich irgendwie immer „eifrig dahinfunktioniert“, sich nach außen hin aber immer recht intransparent gab - quasi einem „G‘schamster Diener“ Wiens, der sich, durch das sich abzeichnen- de, teilweise Aufbrechen des Gatters in Form der Eisenbahntrassen, die seit seiner Geburtsstunde eine gleichberechtigte Verflechtung verunmöglichten, langsam von seinem Herren emanzipiert.

74 Damit sollen nicht die Wiener Internationalen Gartenschauen 64 in der Donaustadt und 74 in Favoriten gemeint sein! (im Zuge letzterer hatte der Bundeskanzler Bruno Kreisky den nunmerigen Kurpark Oberlaa als „ein Schönbrunn des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet) 82 33. Wien, 1877/78

83 84 F Verzeichnisse

85 1 Abbildungsverzeichnis

1. Dorian Gustavson, 2015

2. Dorian Gustavson, 2015

3. Georg Matthäus Vischer: Die kaiserliche Favorita bei Wien, 1672, Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H., http://www. habsburger.net/de/medien/georg-matthaus-vischer-die-kaiserliche- favorita-bei-wien-kupferstich-aus-topographia?language=en

4. Wien, Karte um 1850, Wikimedia Commons

5. August Stauda, Hinterhof in der Liechtensteinstraße 117, Wien-Als- ergrund (IX.), 1899, Blickfänge einer Reise nach Wien - Fotografien 1860-1910; Ausstellungskatalog des Wien Museums, 2000/2006

6. Gradkartenblatt Zone 13 Colonne XV Section a3 (später 4757/1c). Inzersdorf, Favoriten, Simmering. Franzisco-josephinische (3.) Lan- desaufnahme der österreichisch-ungarischen Monarchie. Aufnahme- blatt 1:12.500. Aufgenommen 1872, Archiv des Militärgeographi- schen Institutes

7. Harald Eschenlor, Wien-Favoriten, S.20

8. Generalstadtplan 1912, Lithographie, Maßstab 1 : 3.500, Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kartographische Sammlung 1701a., htt- ps://www.wien.gv.at/kulturportal/public/grafik.aspx?bookmark=Hg hVRu3LHka3qVxFyIrjRByBtRFVxBvuhpcoGdQ3

9. Dorian Gustavson, 2015

10. ottreinisch .architecture, 2013, http://www.ottreinisch.at/lang. php?show=sub-aktuelles&content=taubald/index.php&year=2013

11. Luftperspektive Österreich, http://www.luftperspektive.at/

12. Dorian Gustavson, 2015

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