die verlagsseiten ANZEIGE taz.die tageszeitung ❂ weltmusik taz. SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013 01 www.taz.de | [email protected] | fon 030 • 25 90 23 14 | fax 030• 25 10 694

Impressum Redaktion:Daniel Bax | Layout: Jörg kohn | Anzeigen: Söntke Tümmler taz.die tageszeitung taz Verlags- und Vertriebs GmbH | Rudi-Dutschke-Straße 23 | 10969 Berlin | V.i.S.d.P.: Ines Pohl Ist das noch Weltmusik?

VON DANIEL BAX ESSAY Dank Youtube & Co gibt es immer in Europa, in den letzten Jahr- zehnten deutlich bunter und ch hasse Weltmusik . mehr Trends, die über Kontinente hinweg funktionieren, vielfältiger geworden. Allerdings So lautete der Titel ei- und Künstler, die mühelos Grenzen überwinden. Nicht beginnen Einwanderer erst lang- Ines berühmten Essays, sam an Einfluss zu gewinnen. So den der amerikanische immer ist klar, was dabei ernst gemeinte Tradition, hat vieles von dem, was hierzu- Rockstar David Byrne vor lande unter „Multikulti“ und 14 Jahren in der New Ironie, Vermarktung oder freies Spiel mit „Weltmusik“ verstanden wurde York Times veröffent- popkulturellen Zeichen ist und wird, mehr mit den Wün- lichte. Seine scharfe schen und Sehnsüchten eines Kritik richtete sich herkunftsdeutschen Publikums weniger gegen zu tun, als dass es die Realitäten die Musik und der Einwanderungsgesellschaft die Musiker, in Deutschland spiegelt. So gibt die gewöhnlich es in ganz Deutschland zum Bei- unter der Be- spiel immer noch kein einziges zeichnung Festival für türkische Musik. „Weltmusik“ rub- riziert werden. Im File Under: Global Bass Gegenteil: Der Witz Aber die Grenzen lösen sich auf. war gerade, dass Da- Was früher in Weltmusik-Ni- vid Byrne selbst in den schen eine kleine Öffentlichkeit USA und darüber hinaus fand, findet heute in der Philhar- weithin als „Mister Weltmu- monie, an der deutschen Oper sik“ bekannt war und ist. Mit und sogar in Techno-Clubs statt. seinem Label Luaka Bop hat er Die großen Konzerthäuser ent- viel dafür getan, insbesondere decken die Einwanderer als po- lateinamerikanische Künstler tenzielles Publikum. Die deut- und Bands über ihren Kontinent kleinen sche Elektronik-Szene entdeckt hinaus bekannt zu machen. Trick: Sie nah- die Kollegen in Afrika und La- Die Polemik David Byrnes men ihren Mu- teinamerika für sich. Interessan- richtete sich vielmehr gegen den sikern – ob aus terweise begeistern sich manche Begriff „Weltmusik“ und die Art Mali, Mazedonien dort gerade für das antiquierte undWeise,vonderermeinte,wie oder von den Kap- Equipment und die altmodi- dieses Genre von einem westli- verden – einfach schen Keyboard-Sounds, die von chen Publikum rezipiert wird. Er ihre Keyboards Weltmusik-Connaisseuren lange beklagte, durch diesen Begriff und Drum-Com- Zeit verschmäht wurde. File Un- werde eine künstliche Trennung puter weg. Dieser der: Ghetto Tech, Global Bass der Welt in „wir“ und „sie“ ze- „acoustic turn“ machte oder Worldtronics. mentiert. Das Moderne, Subver- diese Musik in westli- Wo sich diese Entwicklungen sive und Originelle an dieser Mu- chen Ohren oft anspre- bislang noch am wenigsten wi- sik werde ausgeblendet und auf chender und gefälliger. derspiegeln, sind die deutschen eineregionaleFolklorereduziert. Er erweckte aber auch Medien. Selbst Stars wie die Dis- Am Ende würden damit oft ge- den falschen Eindruck, als sidenten, Shantel, die 17 Hippies, nug nur nationale Klischees be- wären die Entwicklungen La Brass Banda bekommen hier dient, fürchtete David Byrne. der Pop-Moderne an man- nicht die Anerkennung, die sie chen Regionen der Welt völ- Was früher auf „Multikulti“- anderswo erfahren. Dafür Andere Länder, andere Stile lig spurlos vorbeigegangen. Nischen begrenzt war, findet schlägt sich die wachsende Viel- Es gab von Anfang an eine Menge Als hätten solche Musiker falt inzwischen in der Kulturför- Dinge, die einem weltweiten wie Cesaria Evora, Oumou heute von der Philharmonie derung nieder. Wegweisend ist Massenappeal von Künstlern aus Sangaré oder Esma Redzepo- etwa die Initiative des Landes- der sogenannten Peripherie im va all die Zeit, bevor sie von ei- bis zu Techno-Clubs ein breites musikrats Berlin, der nach Kon- Wege standen. Nicht nur die nem westlichen Publikum Publikum trabass, Posaune und Fagott in Sprache, in der gesungen wurde entdeckt wurden, auf einer In- diesem Jahr die Baglama, die tür- – ein Argument, das in den USA sel der Seligen gelebt, ohne kische Langhalslaute, auch Saz und Großbritannien übrigens Steckdosen, Fernsehen und tenkostüme schlüpfen, um ihre fern einem fast jede gewünschte genannt, zu ihrem „Instrument viel schwerer wog als in Deutsch- andere schädliche Einflüsse. modernen Sweater und Sneaker CD überallhin. Und während Ma- des Jahres“ erkoren hat. In eini- land, wo man es gewohnt ist, Das ist mit ein Grund, warum zu verbergen. Oder wenn sie et- jor-Labels Pleite gemacht haben gen Bundesländern ist das In- nicht immer alle Texte zu verste- Weltmusik gern mit Kli- was Djembe-Percussion in ihre und viele kleine Labels schwä- strument bereits ein fester Be- hen. Selbst Nick Gold, der briti- schees wie heiler Welt, Ur- HipHop-Beats einstreuen, um chen, ist Weltmusik aber noch standteil des Wettbewerbs „Ju- sche Produzent des weltweit er- laubsträumen und Exotis- keinen reinen Abklatsch westli- immer ein halbwegs solides Ge- gend musiziert“. folgreichen Buena Vista Social mus assoziiert wird. cher Rap-Vorbilder zu liefern, de- schäftsfeld. Aufgrund seiner Wegweisend ist aber auch das Club, musste sich in seiner Hei- Andere Förderer der Welt- nen sie im Grunde nacheifern. Nachhaltigkeit, könnte man sa- musikpädagogische Programm mat fragen lassen, ob seine alten musik wie etwa Peter Gabriel Allerdings ist die Welt in den gen: weil hier keine schnelllebi- „Jedem Kind ein Instrument“,das Herren aus Kuba nicht auch auf gingen genau den entgegen- letzten 25 Jahren tatsächlich en- gen Trends produziert werden, vor fünf Jahren an Grundschulen Englisch singen könnten. In gesetzten Weg. Sie kombi- ger zusammengewachsen, und sondern weil viele Labels und im Ruhrgebiet eingeführt wurde Großbritannien hielt sich der Er- nierten die Klänge aus aller das hat manche Unterschiede Festivals für künstlerische Quali- und im restlichen Bundesgebiet folg seiner Truppe wohl auch aus Welt mit moderner Ambient- aufgehoben. Es gibt immer mehr tät bürgen. Dass das so ist, er- Nachahmer findet. Neben Gitar- diesem Grund in Grenzen. Elektronik oder aktuellen popkulturelle Trends, die über kennt man zum Beispiel daran, re, Akkordeon, Keyboard, Klavier Ein weiteres Problem stellten Club-Beats oder motzten sie zu Kontinente hinweg funktionie- dass die große Musikmesse Pop- und Schlagzeug können Kinder Geschmacksunterschiede dar, Pop-Produktionen nach westli- ren, und Künstler, die mühelos komm schon vor langer Zeit ihre dort auch Djembé, Cajón oder die sich manchmal nur in Nuan- chem Muster auf, um ein west- Grenzen überwinden. Pforten schließen musste, wäh- Baglama lernen. Damit werden cen zeigen. Was den einen der liches Publikum zu überzeugen. Die Musikszenen haben sich rend die kleine, unabhängige diese Instrumente schon an der letzte Schrei ist, wird von ande- Die eine Methode kommt den angenähert. Und dabei ist Weltmusik-Messe Womex noch Basis vom Ruch des Exotischen ren als kitschig empfunden. Um Erwartungen und Sehnsüchten nicht immer klar, was ernst immer munter weitermacht. befreit. Für die nächste Genera- ein intellektuelles Publikum an- eines westlichen Publikums ent- gemeinte Tradition, Ironie, Es gab viele Versuche, Welt- tion deutscher Musiker wird es zusprechen, musste eine allzu gegen, indem sie an Klischee- Vermarktung und freies musik zu definieren. Einer der dann vielleicht eine Selbstver- grelle Ästhetik oft genug herun- und Wunschbilder von Ur- Spiel mit popkulturellen schönsten stammt von Chris- ständlichkeit sein, die türkische tergedimmt werden. Hinzu kam, sprünglichkeit, Authentizität Zeichen ist. Auch der Main- toph Borkowsky, dem Chef des SazmitRockoderelektronischen dass man sich nicht überall auf und vermeintlich paradiesischer stream ist bunter geworden: Das Berliner Labels Piranha und Mit- Klängen zusammenzubringen, der Welt auf dem gleichen Stand Unberührtheit anknüpft. Die an- zeigen globale Chart-Erfolge wie begründer der Weltmusik-Messe wie das in der Türkei schon lange der Technik und der Mode befin- dere Methode dimmt die kultu- diese hawaiianische Version von Womex: Er betrachtet Weltmu- üblich ist. Es ist nur eine Frage det und befand. Oft genug be- rell-ästhetischen Unterschiede „Over the Rainbow“,der brasilia- sik, analog zum Begriff Weltlite- der Zeit, bis die erste deutsche nutzten Musiker ein veraltetes so weit herunter, damit sie kein nische Country-Schlager eines ratur, als einen Qualitätsbegriff. Band aus dieser Kombination et- Equipmentoderstandenaufmu- Hindernis mehr bilden – und oft Michel Telo oder der Gangnam Nur das, was sich außerhalb der was ganz Neues schafft – viel- sikalische Effekte wie Hall und genug kaum noch zu hören sind. Style aus Korea. lokalen Märkte und Publikums- leicht mit deutschen Texten. Beats vom Drumcomputer, die Beide Methoden haben funk- Heute können Künstler, egal kreise bewähre, falle darunter. in westlichen Ohren altbacken tioniert, auch wenn das Ergebnis wo sie sind, dank Youtube und Dieser Erfolg der Weltmusik ■ Gekürzte und überarbeitete Ver- oder gar trashig klangen. manchmal etwas von Mimikry Spotify per Mausklick ein welt- spiegelt eine gesellschaftliche sion eines Vortrags, gehalten beim Manche Weltmusik-Produ- hatte. Etwa wenn afrikanische weites Publikum erreichen, und Entwicklung wider. Auch Weltmusik-Symposium im März in zenten griffen deshalb zu einem Musiker auf der Bühne in Trach- Amazon und andere Dienste lie- Deutschland ist, wie viele Länder Ludwigshafen  02 SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] taz. thema ❂WELTMUSIK

VON STEFAN FRANZEN sagt sie rückblickend. „Die Men- schen im Süden müssen wissen, napp fünf Monate ist es dass die Musik im Norden verbo- her, dass französische ten wurde und dass viele Tuareg K Truppen in Mali einrück- mit ihren Frauen und Kindern ten und die radikalisla- flüchten mussten“.Es sei wichtig mistischen Milizen, die den Nor- gewesen, diese Information zu den besetzt hatten, in die Flucht verbreiten, sonst hätte ein „Ge- schlugen. Von Frieden ist das nozid“ gedroht, glaubt sie. Land, das vielen im Westen als Seit 15 Jahren lebt Fatoumata Wunderkammer der Weltmusik Diawara in ihrer Wahlheimat Pa- gilt, aber noch weit entfernt. ris und ist dort mit sanften Afro- Der Konflikt hat auch die Re- balladen in den letzten Jahren gion Niafunké, von wo aus der zum Weltmusikstar aufgestie- verstorbene Gitarrist Ali Farka gen. „Wir besitzen gemeinsam ei- Touré einst mit seinem „Desert nen Reichtum, der nicht zerstört Blues“ seinen Siegeszug um die werden darf“,appelliert sie an ih- Welt antrat, erschüttert. Der Gi- re Landsleute in der Heimat. Fast tarrist und Sänger Samba Touré, Empörter Bluesmann in Niafunké: Samba Touré Foto: Glitterbeat Friedensgrüße aus Frankreich: Fatoumata Diawara Foto: World Circuit trotzigfügtsiehinzu:„Wirdürfen ehemaliges Mitglied in Ali Farka die Stabilisierung des Landes Tourés Band, ist dort zu Hause. nicht der Regierung überlassen, „Als die Kämpfe ausbrachen, hat- sondern müssen uns alle zusam- te ich alle Hände voll zu tun, mei- Trouble in Timbuktu men für den Frieden einsetzen.“ ne Familie und Verwandten in Diawara betont, dass sie ihre „Tu- denSüdenzubringen“,erzählter. aregschwestern und -brüder“ lie- „Die Ältesten konnten nicht be, und gibt sich überzeugt, dass reisen und wurden so Zeuge von WESTAFRIKA Mali gilt als Mali auch in Zukunft seine Kraft Vergewaltigungen und Folterun- und Stärke weiter aus seiner kul- gen. Schulen und Krankenhäu- Wunderkammer der turellen Vielfalt schöpfen werde. ser wurden geplündert und zer- stört. Es war ein Schock für uns, Weltmusik, das größte Islamistische Verlockung dass unsere Nachbarn von ges- Kapital des Landes ist Bloßer Zweckoptimismus aus tern plötzlich die Waffe gegen der europäischen Ferne? Die uns richteten. Diese Leute sind seine kulturelle Vielfalt. meisten ihrer Kollegen sehen die mit uns aufgewachsen, sie haben Doch der Krieg hat auch Lage differenzierter und schwan- die Probleme der Region mit uns ken zwischen vager Hoffnung geteilt!“,empört er sich. die Musikszene tief und Unbestimmtheit. Die Sänge- rin und Songwriterin Rokia Trao- Kurzlebiger Staat Azawad gespalten. Eine ré, als Diplomatentochter in Afri- Doch der Konflikt reicht weit zu- Spurensuche, von Kidal ka wie in Europa gleichermaßen rück. Anfang 2012 waren im Nor- zu Hause, sieht die Ursachen des den Malis die Tuareg-Aufstände, bis Bamako Mali-Konflikts in einem breiten die seit Mitte der Neunzigerjahre Versagen der malischen sowie befriedet zu sein schienen, wie- der französischen Politik. Was ei- der aufgeflammt. Soldaten der ner friedlichen Zukunft haupt- malischen Armee putschten des- sächlich im Wege stehe, sei aber halb im März des vergangenen Durchgangsstaat für ihren Dro- die Armut in der Region. Mit ih- Jahres gegen die Regierung, der genhandel zu schaffen, glaubt er. ren einfachen Versprechungen sie Untätigkeit vorwarfen. Die Forderungen der Tuareg nach nach einem himmlischen Para- Tuareg-Rebellen der Nationalen Unabhängigkeit lässt Touré dies würden fundamentalisti- Befreiungsbewegung von Aza- nicht gelten: „Mit dem gleichen sche Kräfte ihren Einflussbe- wad (MNLA) nutzten das Macht- Recht könnten wir Songhai oder reich klammheimlich bis nach vakuum, um blitzartig wichtige auch die Peul, Dogon oder Bozo Bamako ausweiten, wo gewisse Städte im Norden zu besetzen einen eigenen Staat fordern“,fin- Politiker eine schleichende Isla- und dort den unabhängigen det er. Außerdem sprächen die misierung des Landes billigend Staat Azawad auszurufen, von Rebellen nur für eine Minderheit in Kauf nehmen würden, warnt dem sie immer geträumt hatten. der Tuareg. „Die sind unsere Brü- sie. Ihre Hoffnungen ruhen auf Doch rasch entstand eine der und werden es bleiben. Sie jenen, die sie für die kulturellen zweite Front: Radikalislamische waren die Ersten, die unter dem Leistungsträger Malis hält, in der Gruppen wie Ansar Dine und Konflikt leiden mussten. Nun Musik wie in der Literatur oder Kämpfer von al-Qaida im Magh- müssen viele von ihnen in arm- im Film (siehe Porträt Seite 4). reb kündigten ihre anfängliche seligen Flüchtlingslagern vege- Allianz mit den Tuareg-Rebellen tieren“,sagt er. Furcht vor dem Gottesstaat der säkularen MNLA auf und Über 400.000 Malier waren Malis Grandseigneur, der 63-jäh- führten in den Städten des Nor- zeitweise auf der Flucht vor den rige Albino-Sänger Salif Keita, dens, von Gao bis Timbuktu, mit Kämpfen. Als sich Frankreich hingegen zeichnete Anfang des Scharia-Strafen ein Schreckens- entschloss, mit seiner Armee in Jahres im Malis Staatsfernsehen regime ein. Sie verboten jegliche Mali einzugreifen, konnte es die ein unverhohlen resigniertes Musik, störten Radiosender, zer- Islamisten innerhalb weniger Szenario für die heimische Mu- trümmerten Stereoanlagen und Wochen vertreiben. Doch dieser sikszene. „Die Religion ist dabei, duldeten selbst auf den Handys rasche Erfolg täuscht, weiß Sam- sich in die Politik einzumischen. nur noch Koransuren. Sie zer- ba Touré. „Die Situation im Nor- Sollte Mali ein Gottesstaat wer- störten auch die Gräber musli- den ist alles andere als sicher“, den, ist das das Aus für uns Musi- mischer Volksheiliger, die wert- warnt er. „Einige Rebellenban- ker, die schon unter der Raubko- volle Bibliothek von Timbuktu den wurden zerschlagen. Aber piererei zu leiden haben. Das ging in Flammen auf. im Hintergrund lauern andere Nachdenklich: Ousmane Ag Mossa (vorne rechts, kniend) im Kreis seiner Band Tamikrest Foto: Glitterbeat wird unser Leben noch zusätz- Terroristen, und sie spalten sich licherschweren“,orakelteer.„Da- Terror am heiligen Ort in immer mehr Gruppierungen Ousmane Ag Mossa, der Lea- her will ich auch nicht, dass eines Samba Touré kann das bis heute auf. Nach wie vor kann alles pas- der der Band Tamikrest, betrach- meiner Kinder in meine Fuß- nicht fassen: „Wie können diese sieren.“ „Albala“ („Gefahr“) hat tet den Konflikt von einer ande- stapfen tritt und Musiker wird“, Banditen zu einem heiligen Ort der Touré sein neues Album ge- ren Warte. Der Targi stammt aus „Wir haben nie Probleme setzte der 63-Jährige hinzu. wie Timbuktu kommen und vor- nannt. Darauf wendet er sich in Kidal, einer abgelegenen Sied- Noch ist völlig offen, ob Mali geben, uns zu lehren, wie wir den dem Song „Fondora“ direkt an lung nahe der algerischen Gren- mit anderen Völkern nach dem Einmarsch ausländi- Islam zu praktizieren haben?“, die Rebellen und verteidigt die ze, mitten in der Sahara. „Die Si- scher Truppen wieder zu voller fragt er. In Wirklichkeit sei es den Einheit des Staates, sein Songhai- cherheitslage ist okay“, sagt er. gehabt. Nur mit der staatlicher Souveränität zurück- Rebellen darum gegangen, einen Blues klingt düster und traurig. „Aber die Grenze nach Algerien Regierung in Bamako“ finden und als territoriale Ein- ist geschlossen – und wir hängen heit bestehen bleibt. Einiges von den Lebensmitteln ab, die OUSMANE AG MOSSA, TAMIKREST hängt vom Ausgang der für die- von dort kommen.“ sen Juli geplanten Wahlen ab. Sie wad – aber auf friedlichem Wege. Miteinander: Im Januar, fast zeit- werden zeigen, ob sich das Land Tuareg in der Klemme „Es ist immer besser, wenn wir gleich mit dem französischen auf den Friedenspfad macht – Mehr denn je sitzen Tuareg wie unsere Probleme friedlich re- Einmarsch in Mali, versammelte oder gar den Weg zum Gottes- er nun zwischen allen Stühlen. geln“, sagt er. „Doch es kommt die Sängerin und Songwriterin staat einschlägt, wie manche Ousmane Ag Mossa klagt, dass vor, dass wir gezwungen sind, Fatoumata Diawara 40 der pro- fürchten. Ob es bei dem Termin Angehörige der malischen Ar- zur Waffe zu greifen.“ Tamikrest, minentesten Musiker ihres Lan- bleibt, scheint aber noch frag- mee seine Leute erpressten, aber betont er ausdrücklich, haben als des in der Hauptstadt Bamako. lich, da immer noch Zehntausen- auch, dass die Islamisten seine Musiker Privilegien, sie können Gemeinsam mit weltbekannten de der Flüchtlinge aus Mali nicht Musikerkollegen gefoltert und reisen und die Infrastruktur im Größen wie dem blinden Sänger- in ihre Heimat zurückgekehrt ihr Equipment zerstört hätten. Westen nutzen. Im September paar Amadou und Mariam, dem sind und die Tuareg-Rebellen Die Präsenz ausländischer Trup- wird ihr neues Album erschei- Kora-Virtuosen Toumani Diaba- von der MNLA ihre Waffen nicht pen provoziere nun Anschläge nen. Wie schon zuvor arbeiten sie té und der Wassolou-Sängerin niederlegen wollen, solange es der Rebellen, fürchtet der Lo- dafür mit dem Gitarristen Chris Oumou Sangaré sang die 30-jäh- keine echten Verhandlungen mit ckenkopf: „Wir haben nie Proble- Eckman von den Walkabouts zu- rige Newcomerin dort die Frie- der Regierung in Bamako gibt. me mit anderen Völkern gehabt. sammen. denshymne „Mali-ko“ ein. Bei all diesen humanitären Differenzen gab es immer nur Auch wenn die Animositäten und politischen Unwägbarkeiten mit der malischen Regierung, zwischen den Volksgruppen un- Friedenshymne aus Paris steht viel auf dem Spiel – es geht die falsche Informationen über übersehbar sind, beschwören „Ich wollte mit meinem Lied ein um die Zukunft eines der in kul- uns verbreitet.“ Auch er ist zu- manche Künstler noch immer Signal dafür setzen, dass wir alle tureller Hinsicht reichsten Län- mindest für ein autonomes Aza- unerschütterlich das friedliche zusammen handeln müssen“, der des Kontinents.  taz. thema ❂WELTMUSIK SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG 03 Gaddafis Vermächtnis WÜSTENROCK Die Geschichte von Bands wie Tinariwen spiegelt die jüngste Geschichte der Tuareg. Davon erzählt jetzt ein neues Buch

VON DANIEL BAX Landes einrichten ließ. Viele jun- reg-Band Tamikrest (siehe Arti- ge Tuareg waren damals vor Dür- kel links), in Niger das Duo Tou- ls die Tuareg-Band Tina- re, Arbeitslosigkeit und Unter- mast sowie die Band Bombino. riwen mit ihren indigo- drückung in ihren Ländern gen Fünf Alben haben Tinariwen A blauen Gewändern, im- Norden geflohen. Gaddafi wollte in den vergangenen zehn Jahren posanten Turbanen und aus ihnen eine schlagkräftige veröffentlicht, heute zählen Gesichtsschleiern um die Jahr- Söldnertruppe schmieden, um auch Rockstars wie Robert Plant, tausendwende herum erstmals damit seine Vormacht in der Re- Carlos Santana und Radiohead- auf westlichen Rockbühnen auf- gion zu untermauern. Chef Thom Yorke zu ihren Fans. kreuzte, eilte ihr ein sagenhafter Anfangs waren Tinariwen An ihrem letzten Album „Tassili“ Ruf voraus: Echte Rebellen und nicht viel mehr als das der musi- waren die Alternative-Country- Freiheitskämpfer seien das, die kalische Arm jener Rebellen, die Band Wilco und die Progrock- ihre Kalaschnikows aber gegen Gitarren getauscht hätten, um die Welt mit ihrem energischen Bluesrock zu bezirzen. Diese Mu- sik klang irgendwie vertraut und doch seltsam fremd, wie eine so- Das „Festival au Désert“, zur nische Fata Morgana. Im libyschen Ausbildungslager gegründet: Ibrahim Ag Alhabib (Mitte) mit Tinariwen Foto: Cooperative Music Der britische Journalist Andy Feier der Tuareg-Kultur ge- Morgan verhalf Tinariwen als ihr des Gaddafi-Regimes in Libyen Auch die Rückeroberung des Ge- mischten sich aber Al-Qaida- Manager zu Weltruhm. Heute gründet, fiel in diesem Jahr ist der Konflikt nach Mali zurück- biets stellt Tuareg-Bands wie Ti- Männer unter die Zuschauer, breitet er seine Kenntnisse über aus. Ein Dokumentarfilm hat gekehrt. Hunderte von Tuareg, nariwen nun vor ein Dilemma. und als es wenig später in der Nä- die Tuareg und den Konflikt in die in Gaddafis Armee gedient Einerseits haben sie in ihren Lie- he zu brutalen Überfällen auf Mali in einem Blog aus (andy- die Atmosphäre festgehalten hatten, kamen nach dessen Fall dern immer wieder die Tuareg- Ausländerkam,verlegtemandas morganwrites.com). Sein gesam- zurück nach Mali, schwer bewaff- Kultur besungen und damit den Festival vom Wüstenort Essaka- meltes Wissen ist auch in das net und gut ausgebildet, aber oh- Wunsch auch nach politischer Ei- ne nach Timbuktu. Buch „Music, Culture & Conflict ne jede Perspektive. genständigkeit wachgehalten. IndiesemJahrplantendieMa- in Mali“ eingeflossen, das jetzt 1990 hinter dem Tuareg-Auf- Band TV on The Radio beteiligt. Als Tuareg-Rebellen im ver- Andererseits drohen die Tuareg cher, es als „Festival in Exile“ erschienen ist (220 Seiten, erhält- stand in Mali standen. Doch ihre Für die Aufnahmen mussten Ti- gangenen April im Norden Malis jetzt wieder, zum Opfer größerer nach Burkina Faso verlegen. lich über freemuse.org). Songs machten auf Kassetten in nariwen allerdings in die Oasen- einen eigenen Staat ausriefen, Mächte zu werden. Doch am Ende mussten sie das Es ist eine packende Lektüre, der ganzen Sahara die Runde stadt Djalit nach Algerien aus- waren Tinariwen gerade auf Tour Zur Feier der Tuareg-Kultur Handtuch werfen. Von der be- denn die Geschichte von Bands und verbreiteten ihren Ruf über- weichen. Bei ihnen zu Hause, im in Europa. Es ist eine bittere Iro- wurde zur Jahrtausendwende in sonderen Atmosphäre, die das wie Tinariwen spiegelt die jüngs- all da, wo Tuareg lebten, von Mali Norden Malis, war die Lage dafür nie der Geschichte, dass der Tua- Mali das „Festival au Désert“ ins Festival auszeichnete, kündet te Geschichte der Tuareg wieder. über Algerien und Libyen bis Ni- schon zu brenzlig geworden. reg-Anführer Iyad Ag Ghali, der Leben gerufen. Zwölf Jahre lang derzeit nur noch der Dokumen- Die Anfänge von Tinariwen lie- ger und Burkina Faso. Tinariwen Der Tuareg-Aufstand von Tinariwen einst ihre ersten In- traten dort Musikstars aus dem tarfilm „Woodstock in Timbuk- gen in den militärischen Ausbil- haben so eine ganze Generation 1990 endete 1996 mit einem Ab- strumente sponserte, als Chef Süden Malis neben Tuareg- tu“ der deutschen Regisseurin dungslagern, die der libysche von Tuareg-Musikern geprägt: in kommen in Timbuktu, feierlich der radikalislamischen Gruppe Bands und westlichen Rockstars DesiréevonTrotha,derdieserTa- Diktator Gaddafi Anfang der Mali das von Frauen geführte En- wurden dort 300 Kleinwaffen Ansar Dine dort nunmehr ein wie Damon Albarn, ge in einigen ausgewählten deut- achtziger Jahre im Süden seines semble Tartit und die junge Tua- verbrannt. Doch mit dem Ende striktes Musikverbot verfügte. oder Bono auf. Schon 2007 schen Kinos gezeigt wird.  04 SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] taz. thema ❂WELTMUSIK

VON BAMAKO IN DIE SAHARA

Überdrehte Diskokugel Die Strippenzieherin Bei Salif Keita, dem 63-jährigen Großmeister der malischen Popmusik aus Bamako, stan- AFRO FOLK Malis den die Vorzeichen in den letzten Jahren auf Star-Songwriterin „back to the roots“.Mit „Talé“ hat er auf seine alten Tage das Ruder jetzt aber noch einmal Rokia Traoré geht deutlich herumgeworfen. Der prominente Albino-Sänger mit der goldenen Stimme hat das Produktionszep- ihren eigenen Weg. ter an Philippe Cohen-Solal vom Gotan Project übergeben, und Auf „Beautiful Afrika“ ganz wunschgemäß hat der Franzose fast alle der elf Chansons tanzbar gemacht. zeigt ihr Kompass Die traditionellen Instrumente von Buschharfe über Flöte bis Richtung Indie und Balafon leuchten zwar noch durch, doch nach lyrischem Intro do- miniert dann der Dancefloor-Anstrich. Ein Kopfnickerbass und Alternative-Rock schwüle Streicher erinnern an Chic, die Hitmaker des Discofunk. Dann gibt es ein wenig Dub, ein bisschen Afrobeat, Mandinke- Techno, Salsa-Anleihen. Die Gastauftritte von Bobby McFerrin, Es- VON STEFAN FRANZEN peranzaSpaldingundRootsManuvawirkenetwabemühtundauf- gesetzt. Zum Glück ändert das nichts am Charisma von Keitas ie ist nie den einfachen Stimme und dem majestätischen Grundcharakter der Mandinke- Weg gegangen. Als Diplo- Melodien. Insgesamt aber hat der Patron aus Bamako bei seinem matentochter rebellierte Wunsch, zeitgenössisch zu klingen, die Diskoglitzerkugel doch et- S Rokia Traoré einst gegen was überdreht. SF eine vorgezeichnete Karriere in Salif Keita: „Talé“ (Wrasse/Harmonia Mundi) Brüssel. Als Musikerin experi- mentierte sie mit unerhörten Von Niger nach Nashville Akustiksounds und zog damit den Zorn der Puristen auf sich. Omara Mokhtar alias Bombino ist der neue Sie arbeitete mit dem Kronos HelddesWüstenblues.DerGitarristausNiger Quartet wie mit Popstars, mit Diplomatentochter, die auch undiplomatisch sein kann: Rokia Traoré Foto: Outhere Records hat zwei Rebellionen erlebt, ist geschult an Beatboxern genauso wie mit Gri- den Klängen von Jimi Hendrix und Mark ots. Das neue Wagnis: Auf „Beau- Knopfler und hat mit Keith Richards ge- tiful Africa“ gibt sich Rokia Trao- der Schlendrian der korrupten jammt. Wie es bei momentan fast allen Tua- ré nun ungewohnt rockig – und Vorgängerregierung sei es gewe- reg-Musikern der Fall zu sein scheint, gehört es auch bei ihm zum trotzdem auch melancholisch. sen, der den Vormarsch der Isla- guten Ton, sich einen westlichen Produzenten aus der seelenver- „Meine europäischen Musiker Für die Produktion des Al- misten begünstigt habe – zusam- wandten Bluesrock-Sparte mit ins Boot zu holen. bums sicherte sie sich die Diens- müssen sich nicht mit afrikani- men mit einem französischen Auserkoren hat sich Bombino den Black-Keys-Gitarristen Dan te von John Parish, der unter an- Präsidenten Sarkozy, der all die Auerbach, der hier nochmals eine krachige Schippe mehr drauf- derem für seine Arbeit mit PJ schen Klängen auskennen. Das Warnungen afrikanischer Staats- gelegt hat, als das bei Kollegen wie Tinariwen oder Terakaft derzeit Harvey bekannt geworden ist. chefs in den Wind schlug, welche Usus ist. Die scharfkantigen Gitarren kreisen verzerrter, die Bässe führt nur zu Redundanzen“ „Ich wollte mit jemandem arbei- Folgen ein Sturz von Libyens Dik- pumpen, und ein Schlagzeug packt zu. Als Schaukasten für das ge- ten, der das Gefühl für Rock ein- tator Gaddafi für die Region ha- lungene Teamwork zwischen Niger und Nashville kann der rollen- ROKIA TRAORÉ bringen konnte“,sagt Rokia Trao- ben würde. Doch Sarkozy habe de „Niamey Jam“ gelten – ebenso der Song „Imuhar“, der zudem ré. „John ist keiner, der alles po- sich nur für ökonomische Belan- noch mit originellen Vibrafoneinlagen bereichert wird. Sympa- liert. Er lässt auch kleine Unrein- cken, er bietet so zugleich viel von kurzen Texten meine Zu- ge interessiert, meint sie. thisch, dass Auerbach auch noch etwas Platz für den typisch tra- heiten drin, und damit unter- Platz für intime, stille Sahel-Mo- flucht. Deshalb ist die Melancho- Für Rokia Traoré war es des- benden Tuareg-Rhythmus gelassen hat, etwa in „Imidiwan“. So streicht er die menschliche Seite mente. Die kreisenden Grooves lie für mich auch kein trauriger halb nur recht und billig, dass kann auch Bombinos näselndes Vokalcharisma mal richtig durch- und den natürlichen Groove.“ der E-Gitarre verpartnern sich Zustand: Ich brauche sie regel- Frankreich unter der neuen Füh- dringen. SF Angekündigt hatte sich Rokia mit der Spießlaute Ngoni, fein- recht als Inspiration“,sagt sie. rung von François Hollande mit Bombino: „Nomad“ (Nonesuch/Warner) Traorés Neuorientierung in gliedrige traditionelle Percus- Ihrem bevorzugten Seelenzu- militärischer Hilfe die Scharte Richtung Rock schon auf dem Al- sion und zarte Backgroundchöre stand hat sie ein Lied auf Franzö- auswetzte. „Ich habe wie viele Benefiz für Mali-Flüchtlinge bum „Tchamantché“,auf dem sie mischen malische Farben mit hi- sisch gewidmet, im dazugehöri- meiner Landsleute eine klare mit Gretsch- und Silvertone-Gi- nein. Und Rokia Traorés Marken- gen Clip tanzt sie selbstverges- Vorstellung von Mali“, schließt Als Tuareg-Rebellen und radikalen Islamis- tarren experimentierte. Auf zeichen, ihre geradezu philoso- sen. Und aus der Zurückgezogen- sie ihre politischen Betrachtun- ten im vergangenen Jahr den Norden Malis „Beautiful Africa“ geht sie einen phischen Verse auf Bambara, ge- heit ist auch der reizendste Titel gen mit einer Portion National- überrannten, flüchteten viele Menschen aus Schritt weiter. Es kracht ordent- hören selbstredend auch zum In- des Albums entstanden: In „Tuit stolz. „Auch wenn wir einen der der Region in die Nachbarländer. Auch nach lich, die Kompassnadel ist auf In- ventar. Tuit“ begibt sich Rokia Traoré in niedrigsten Lebensstandards der dem Einmarsch französischer und afrikani- die und Alternative ausgerichtet. „Ich schreibe meine Texte in direkten Kontakt mit der Natur. Welt haben, verfügen wir über ei- scher Truppen in Mali herrscht noch kein Wenn Rokia über die Produk- einer sehr aufrichtigen Art. In Zu einem leichtfüßigen E-Gitar- nen hohen Level an Intellektuali- wirklicher Frieden. Bis heute sind viele Flüchtlinge deshalb noch tion ihres neuen Werks spricht, meiner Dichtung möchte ich ein ren-Groove duettiert sie mit den tät. Wir haben großartige Filme- nicht wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. legt sie viel Selbstbewusstsein an Gleichgewicht herstellen zwi- Vögeln, die sie jeden Morgen im macher, kluge Minister, die eine Der Sampler „Songs for Desert Refugees“ macht auf dieses den Tag. Vorbei die Zeiten, in de- schen meiner eigenen Wahrheit Garten ihres kleinen Hauses in Menge für ganz Afrika auf den Flüchtlingsdrama aufmerksam, das sich in den vergangenen Mo- nen westliche Pultmeister pater- und der der anderen. Denn die Bamako aufwecken, wenn sie ge- Weg gebracht haben, und ich hal- nate – weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit – in der nalistisch in die Musik ihrer afri- eine Wahrheit gibt es nicht“, rade dort ist. te Amadou Hampate Bâ für ei- Wüste abgespielt hat. Die Compilation versammelt Tuareg-Musi- kanischen Schützlinge hinein- sagt sie. Im Stück „Kouma“ be- Gar nicht mehr besinnlich nen der größten Schriftsteller ker von Algerien über Mali bis Burkina Faso, die größtenteils bis- polterten. Rokia Traoré selbst zeichnet sie Sprache als „Mille- klingt es dann aber im Titelstück der Welt. Deshalb bin ich zuver- her unveröffentlichte Aufnahmen beigesteuert haben. Es sind hält die Fäden in der Hand. „Es ist Feuille“, als Blätterteig, mit der des Albums, in dem sie ihr sichtlich, dass wir aus dieser mo- praktisch alle dabei, die Rang und Namen haben in der Tuareg- von Vorteil, dass sich die europä- man verschiedene Schichten der „Afrique je t’aime“ so trotzig he- mentanen Klemme wieder her- Rockszene, von Tinariwen, den Begründern des Genres, bis zu ischen Musiker in meiner Band Bedeutungoffenlegen,aberauch rausschreit, als wollte sie gegen auskommen.“ Oder, wie sie es im Newcomern wie dem Gitarristen Bombino aus Niger. gar nicht mit afrikanischen Klän- wieder zurückziehen kann. Als den Konflikt in Mali und die an- Text zum Titelstück formuliert So erhält man nebenbei auch einen guten Überblick über den gen auskennen, das würde nur Tochter eines Diplomaten, die deren Brandherde des Konti- hat: „In meinen afro-progressi- aktuellen Stand ihres „Wüstenblues“-Genres. Die Einnahmen ge- für Redundanz sorgen. Denn mit ihrer Familie öfters den nents anbrüllen. Im Gespräch ven Venen brennt Bambara-Blut, hen an anerkannte NGOs, die in der Sahara und Sahelregion aktiv wenn ich ins Studio gehe, habe Wohnort wechselte, hat sie ge- fordert sie, die Politiker in Bama- aufgeladen mit Hoffnung.“ sind. BAX ich ja alle Arrangements schon lernt, das Alleinsein nicht als komüsstensichjetztanstrengen, „Songs for Desert Refugees: A Compilation in Aid of the im Kopf“, stellt sie klar. Der Nachteil zu sehen. „Schon im um das Vertrauen der Bevölke- ■ Rokia Traoré: Beautiful Africa Refugees from Northern Mali“ (Glitterhouse) Sound ist stripped down und tro- Kindesalter wurde das Schreiben rung zurückzugewinnen. Erst (Outhere Records)  taz. thema ❂WELTMUSIK SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG 05

„Die Sonne scheint für jeden. Auch für Idioten“

POP-CHANSON Die Landwirtschaft, in der Wirt- Was könnenDeutsche von Fran- Ich habe die Neigung, laut zu re- schaft, in der Art, wie wir woh- zosen lernen? den und sehr expressiv zu reden. Sängerin Zaz über nen. Sie machen Dinge, die einen Sich einfach etwas lockerer ma- Meine Stimme ist etwas ange- humanistischen Geist und den chen? Nein, es kommt darauf an. schlagen, weil ich die ganze Zeit politischen Einsatz, Respekt vor der Natur spiegeln. Die Leute, die in Deutschland zu rede. Ich schreie und kreische ihren späten Erfolg – Alles Geld, das ich mit Merchan- meinen Konzerten kommen, las- auf der Bühne. Das ist meine dising verdiene, fließt an sie. sen sich in einem positiven Sin- Identität und meine Persönlich- und Klischees von Musette, Gipsy Swing, Piaf- ne gehen, während die Franzo- keit. Wenn ich längere Zeit nicht Frankreich, die sie Chansons: In Ihrer Musik gibt sen auf meinen Konzerten viel singe, habe ich allerdings eine es viele Elemente, die typisch introvertierter sind. Aber dann viel höhere Stimme. genervt haben französisch sind. Überrascht es gibt es natürlich auch eine Sorte Sie haben schon lange Musik Sie, dass das auch in Deutsch- von Deutschen, die sehr rigide gemacht, bevor Sie Ihren gro- INTERVIEW ZONYA DENGI land so gut ankommt? und unflexibel sind, und wenn ßen Durchbruch erlebten. Wie Nun, ich bin Französin, also man sie bittet, etwas anders zu haben Sie den plötzlichen Er- taz: Frau Isabelle Geffroy alias kommt es mir nur natürlich vor, machen, dann wird es sehr kom- folg verkraftet? Zaz, freuen Sie sich, dass Sie mit wenn meine Musik auch einen pliziert. In Frankreich ist es um- Am Anfang war das schwierig. IhremHit„Jeveux“vordreiJah- französischen Einschlag hat. gekehrt: Man ist grundsätzlich Singen, das konnte ich. Aber der ren das Ende der Ära Sarkozy Aber ich möchte vor allem Emo- flexibler, sich auf Neues einzu- ganze mediale Aspekt war mir eingeläutet haben? tionen rüberbringen. Ich glaube, stellen. Aber zugleich etwas stei- Die persönlichen Angriffe haben ihr zugesetzt: Zaz Foto: Sony zunächst fremd. Denn plötzlich Isabelle Geffroy: Nein, für mich die Leute mögen meine Energie fer und formeller im Alltag...... Es ist musste ich von mir erzählen. hatte der Song nichts mit Sar- auf der Bühne, und dass meine etwas widersprüchlich. Zaz zwei Stunden Sport treiben. Ich Wenn man im Rampenlicht kozy zu tun. Ich möchte auch Stücke eine positive Botschaft Was können Franzosen von ...... liebe die Herausforderungen, steht, gibt es Leute, denen es ge- nicht über Politik sprechen. transportieren. Deutschland lernen? ■ Mit „Je veux“ wirbelte Zaz alias und ich mag es, mir Ziele zu set- fällt, dich anzuspucken. Darauf War die antimaterialistische Gibt es Frankreich-Klischees, In Deutschland gibt es diese Nä- IsabelleGeffroyvordreiJahrendie zen. Nicht um in Wettbewerb zu war ich nicht vorbereitet, denn Botschaft des Songs nicht eine die Sie persönlich nerven? he zur Natur. Sie haben viele Chartsauf.Jahrelangwarsiezuvor treten, sondern um an meine ich selbst bin nicht so. Ich versu- Antithese zu jenem „Bling- Ich war mal in Kolumbien und Parks, darum beneide ich sie. alsStraßenmusikerin,Varieté-und Grenzen zu gehen. che immer das Beste in den Men- bling“,für das Sarkozy stand? wurde gefragt, ob esstimmt, dass Sie haben mal ein Konzert auf Jazzsängerin um die Welt getin- Wie halten Sie Ihre ungewöhn- schen zu sehen, denen ich begeg- Mit „Je veux“ wollte ich nur aus- wir nie duschen und deshalb so dem Montblanc gegeben. Wie gelt. Auf ihrem neuen Album, liche Stimme in Form? ne. Man ist ja nicht nur schwarz drücken, dass Geld nicht der Mo- viel Parfüm benutzen? Da habe naturverbunden sind Sie? „Recto Verso“ (Sony), wandelt die Ich rauche nicht, trinke nicht, oder weiß. tor ist, der mich antreibt. Son- ich gestaunt. Und als ich in Russ- Das ist meine Leidenschaft, seit 33-Jährige wieder zwischen Mu- mache jeden Morgen zwei Stun- Wofür wurden Sie in Frankreich dern Erfahrungen zu machen, land war, hieß es, ich sei so ro- ich klein war. Ich kommuniziere sette-Pop, Jazz und Chanson. den Sport und versuche, mög- kritisiert? die mich bereichern. mantisch. Ich finde, die Russen mit der Natur und den Tieren so, lichst viel Schlaf zu finden, damit Als meine Musik im Fernsehen Hat sich die Atmosphäre in sind viel romantischer. Sie ha- wieichmitMenschenkommuni- sich meine Stimme regenerieren lief, haben mir manche meine Frankreich unter François Hol- ben eine Kultur der Blumen, ich ziere – auf eine andere Art, nicht Auf jede Weise: Rafting, Klettern, kann. Es ist ein Muskel, und je antimaterialistische Botschaft lande verändert? könnte dort einen Blumenladen mit Worten. Die Natur gibt dir be- Canyoning, Paragliding, Tau- mehr man ihn trainiert, desto nicht abgenommen. Man kann Man sollte nicht darauf warten, eröffnen. Aber es gibt ein Kli- dingungslos – bei Menschen fin- chen, Wandern, Rennen. Ich bin besser funktioniert er. Natürlich so einen Erfolg aber nicht pla- dass die Regierung etwas unter- schee, das stimmt: dass die Fran- det man diese Eigenschaft eher verliebt in die Natur, ich liebe die gibt es Tage, an denen ich nicht nen, dass ein Song überall läuft. nimmt. Ich bin der Meinung, zosen immer meckern. Sie zei- selten. Die Sonne scheint bedin- Erde: die Gerüche, die Farben, die so viel Energie habe. Aber durch Es gab Leute, die dachten, ich wä- dass es an uns selbst liegt, die Ge- gen gern ihre Unzufriedenheit. gungslos für jeden Menschen, ob Vielfalt der Pflanzen. die Musik und das Publikum ge- reeinWitzodereinreinesMarke- sellschaft zu verändern. Ich bin Das sagt man den Berlinern er ein Idiot ist oder ein netter Sie hätten auch Sportlerin wer- winne ich viel Energie zurück, es tingprodukt. Heute ist mir das deshalb Partner der Association auch nach. Mensch. den können? ist ein Austausch. egal. Ich bin, wer ich bin, und ma- Colibris – das ist eine NGO, die Na, dann haben wir ja etwas ge- Auf welche Weise genießen Sie Oh ja, im Grunde bin ich es. Auf War Ihre Stimme immer schon che, was ich mache, und weiß, wo neue Projekte kreiert: in der meinsam. die Natur am liebsten? der Bühne, das ist manchmal wie so rau? ich hinwill.

...... ie Schweiz scheint ein guter auch hier tektonische Verschie- DOrt zu sein, um sich Gedan- MUSIKDISKURS&POPTHEORIE bungen gegeben, wie man am kenüberEntwicklungenim VON Beispiel des koreanischen Rap- globalen Pop machen. An der DANIEL BAX pers Psy sehen konnte. Ist diese Schnittstelle europäischer Kul- Faszination für das Ausgefallene turräume und von mehreren und Randständige nicht auch Sprachgrenzen durchzogen, Auf der Suche schoneineFormdesExotismus? fällt es hier schwerer, den eige- DasBuchistfreilichaucheine nenStandpunktzuverabsolutie- nach dem Collage,diekeinenAnspruchauf ren und von einer vermeintlich Vollständigkeiterhebt,undtrotz höheren Warte aus zu urteilen. Fortschritt poppigem Layout immer noch Das könnte der Grund sein, war- gut lesbar bleibt. Illustriert wer- umeinigederspannendstenIm- den die Kapitel mit Fotos von pulse für den theoretischen Mu- bunten Voodooshop-Partys in sikdiskurs in den letzten Jahren São Paulo, von Underground- ausderSchweizgekommensind. Musikern in Beirut, der queeren Seit zehn Jahren bündelt das „Sissi Bounce“-Rap-Szene in Online-Magazin Norient.com, NewOrleansoderJurte-Musikin dessen Homebasein Bernzu fin- der Mongolei, mit Konzertpos- den ist, Reportagen, Interviews tern und ausgefallenen CD-Co- und Essays zu popkulturellen vern, ein Glossar listet Fachbe- Phänomenen aus aller Welt, und griffe von A wie Afrofuturismus bietet Musikwissenschaftlern, bis W wie „Weltmusik 2.0.“. Popjournalisten, Künstlern und Das ist fröhliche Wissen- Bloggern ein Forum. Norient ist schaft, trotz aller universitären damit zu dem geworden, was die Anbindung. Dass die meisten Musikzeitschrift Spex in Autoren studierte Musikologen Deutschland zeitweise einmal sind, tut dem Vergnügen keinen war: ein Thinktank, der über den Abbruch,sondernsorgtfürfach- globalen Mainstream der Min- kundige Einordnung der Phäno- derheiten reflektiert. Die Aktivi- mene. So erfährt man, wie aus täten der Macher umfassen Ra- Dabke,einemReihentanzausSy- dioshows, audiovisuelle Vorträ- rien,derNewWaveDabkewurde, ge und DJ-Sets. In Bern haben sie Rutledge, der in München auf aus Cumbia in Kolumbien die außerdem das jährliche Nori- seinem Label Outhere Records Cumbia Digital und aus Highlife ent-Musikfilm-Festival ins Le- junge HipHop-Bands aus Afrika in Ghana der Hiplife. ben gerufen. protegiert. Aber wie lange lässt sich der Der Reader „Out of the Absur- Immer aber nehmen die Au- Fortschritt noch kartographie- dity of Life“ presst dieses wilde toren die These des britischen ren?DasfragtsichJulioMendivil Denken nun zwischen zwei Popautors Simon Reynolds mitdemBerlinerMusikethnolo- Buchdeckel. Die Autoren bieten ernst,derinseinemBuch„Retro- gen Martin Greve, der seinem einen Einblick in die globale mania“ schrieb, dass musikali- Fach einmal dessen „notwendi- Bass-Culture und die Avantgar- scherFortschrittbisaufWeiteres ges Verschwinden“ prophezeite, den des Südens und richten ih- nur aus Ländern der bisherigen ohne eine Antwort zu finden. renBlickvorallemaufdieAspek- Peripherie – also aus Afrika, La- Löblich ist, dass der Blick der te Parodie, Protest und Hyper- teinamerika und Asien – zu er- Autoren auch die Lage vor der Pop. Manchmal geht es ihnen warten sei. Der Musikwissen- HaustürerfasstunddieStraßen- vorwiegend um ästhetische Fra- schaftlerThomasBurkhalterhat proteste gegen das Clubsterben gen – wie im Interview mit DJ dafür den Begriff „Weltmusik in Bern oder die Neue Volksmu- Marcelle aus Amsterdam, die in 2.0.“ geprägt. Vorwerfen kann sikinderSchweizBeachtungfin- die Fußstapfen der BBC-Radiole- man den Autoren, die er in dem den. Denn die Schweiz kann, wie gende John Peel tritt. Manchmal Reader versammelt hat, höchs- gesagt, pars pro toto für trans- gehtesumgesellschaftlichePro- tens, dass sie sich mehr für die kulturelle Prozesse stehen: die zesse, so im Kapitel zu „Under- besonders schrillen Phänomene Welt im Kleinformat. ground-Rock und Demokratisie- dieser „Weltmusik 2.0.“ interes- rung in Indonesien“. Und sieren und weniger für die zum ■ Theresa Bayer, Thomas Burkhal- manchmalumVermarktungslo- Massenphänomen gewordene ter (Hrsg.): „Out of the Absurdity of gik, etwa im Interview mit Jay Normalität. Dabei hat es gerade Life. Globale Musik“. Norient 012  06 SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] taz. thema ❂WELTMUSIK

VON CALYPSO BIS GIPSY-POP „IchbindieMutter,eristderOpa“ Aufgemöbelte Alltagsmoritaten Richtige Calypso-Klänge hat man schon lan- CANTAORA Die Sängerin Amparo Sánchez über die Krise in Spanien, ihre häufigen Reisen nach ge nicht mehr gehört. Seit den großen Zeiten Lateinamerika, die junge Mestizo-Szene in und ihren Förderer Manu Chao von Harry Belafonte in den fünfziger Jahren ist das Traditionsgenre aus Trinidad und To- INTERVIEW ZONYA DENGI ter, im Stillen. Der Kampf geht je- bago aber auch ziemlich aus der Mode ge- den Tag weiter. kommen. Doch mit dem Kanadier Drew taz: Frau Sánchez, wie ist die Tangiert Sie der Drogenkrieg, Gonzales kommt nun ein Erneuerer um die Stimmung in Spanien derzeit? der in Mexiko tobt? Ecke gebogen, der sich aufgemacht hat, mit seiner Band Kobo Amparo Sánchez: Die Leute sind Die Zapatisten leben im Süden – Town den karibischen Stil von Grund auf zu entrümpeln. desillusioniert, es gibt täglich de- nicht im Norden, wo sich das Aufgewachsen in Port of , in der gleichen Straße wie die primierende Nachrichten. Man Narco-Problem konzentriert, Calypso-Legende Lord Kitchener, zog der junge Drew Gonzales als hört von Menschen, die Selbst- und nicht in den Städten, son- Teenager mit seiner Mutter nach Kanada. Dort ließ ihn der Calyp- mord begehen, weil sie auf die dern abgeschieden, in den Ber- so-Groove nicht mehr los. Mit seiner Band, die aus trinidadischen Straße gesetzt wurden oder die gen. Sie haben vor allem Proble- Expats besteht, dem renommierten Produzenten Ivan Duran aus Kredite für ihre Häuser nicht me mit der Regierung und der Belize und der Chuzpe eines Straßenmusikers möbelt der Multiin- mehr bezahlen können. Und die Gewalt der Paramilitärs. Drogen strumentalist seine Calypso-Kompositionen gehörig auf, lässt be- Regierung macht das Gegenteil und Alkohol sind bei ihnen kom- schwipste Bläser, scheppernde Percussions und glückselige Gitar- von dem, was sie vor den Wahlen plett verboten, weil sie zu Gewalt ren erklingen und wagt Seitensprünge zu Ragga, und Soca. versprochen hat. führen, das haben die Frauen so Seine kleinen Alltagsmoritaten drehen sich mal um einen geis- Was ist vom Sozialprotest der durchgesetzt. Sie arbeiten auf tig behinderten Flaschensammler, mal um Terrorparanoiker oder „Indignados“, der „Empörten“, den Feldern und bestellen das Elendstouristen im Slum. Während er mit Kobo Town das Genre in Spanien geblieben? Land mit Mais und Kaffee. musikalisch modernisiert, knüpft er mit glossierenden Zeitkom- Es gibt ihn noch, aber er hat sich Was ist aus der Szene der Mesti- mentaren und Sozialkritik wieder an dessen Ursprünge an. Eine in verschiedene Gruppen aufge- zo-Bands in Barcelona gewor- charmante Wundertüte. ZD teilt. Er richtet sich vor allem ge- den? Gibt es sie noch? Kobo Town: „Jumbie in the Jukebox“ (Cumbancha) gen drei große Probleme: gegen Es gibt eine neue Generation von die Privatisierung des Gesund- jungen Bands wie Bongo Botrako Ein Prost auf die Roma heitssektors, gegen das Bil- und Che Sudaka, die den Geist dungssystem – und gegen die des Mestizo, dieser Melange der Manche werfen dem serbischen Filmmusik- Banken. Jede Woche gibt es des- Stile, weitertragen. Die Szene ist Komponisten und Balkan-Popstar Goran wegen Proteste. Aber die Leute größer geworden: Diese Bands Bregovic („Time of the Gypsies“) vor, sich wie sind müde von den vielen Kor- spielen auf großen Festivals, lau- einst Elvis Presley schamlos bei einer ande- ruptionsskandalen, die uns bis fen im Radio und ziehen ein sehr ren Musikkultur nur bedient zu haben. Doch hin zum Königshaus täglich er- junges Publikum. Sie sind über in Zeiten wie diesen, in denen Roma in Osteu- schüttern. Sie müssen erst wie- das Internet gut vernetzt und be- ropa diskriminiert und von rechtsradikalen Schlägern verfolgt der ihre Kräfte sammeln. sitzen viel Energie, Engagement undinWesteuropaausgewiesenwerden,setztereinStatementder Sie sind viel in Lateinamerika und Illusionen. Unsere Genera- Solidarität. Mit „Champagne for Gypsies“ spricht Bregovic einen unterwegs. Warum? tion war im Vergleich dazu noch Toast auf die Minderheit aus, deren Musik ihn wie keine andere in- Anfangs habe ich Ranchero-Lie- sehr limitiert. Aber ich lerne von spiriert hat – und umgibt sich mit Kollegen, die allesamt einen Ro- der ausMexiko und Son aus Kuba Reist gerne ohne viel Gepäck: Amparo Sánchez Foto: Promo ihnen – den Umgang mit den ma-Hintergrund besitzen. gesungen, ohne je in diesen Län- neuen Technologien zum Bei- Mediterran beginnt das Album mit dem Rumba-Pop der unver- dern gewesen zu sein. Die Musik spiel. wüstlichen Gipsy Kings, die für Stimmungshits wie „Bamboleo“ ist der Grund, warum ich reise: Haben Sie noch Kontakt zu Ma- berüchtigt sind. Mit dem rumänischen Manele-Star Florin Salam Ich entdecke andere Länder und nu Chao, der Sie am Anfang Ih- taucht er tief in den Balkan ein, mit dem Schweizer Songwriter Ste- Menschen wegen der Musik. Ich „Die Bewegung der Zapatisten rer Laufbahn unterstützt hat? phan Eicher in alpenländische Folklore und Mundart. Dazwischen liebe die Klänge Mexikos und Ku- Er hat gerade eine Tournee in schiebt Bregovic noch eine berauschte Balkanversion des alten ist mir sehr wichtig. Ich möchte bas. Und es gibt viele Querver- Australien hinter sich gebracht Partisanenschlagers „Bella Ciao“ und singt ein Duett mit der jun- bindungen zwischen Spanien und war kürzlich mal wieder in gen Irin Selina O’Leary – der ersten „Fahrenden“ ihres Landes, die ihnen zurückgeben, was sie und Lateinamerika. Es gibt noch Barcelona. Er wird im Sommer in der Carnegie Hall in London aufgetreten ist. Am harmonischs- viel zu entdecken. mir gegeben haben“ Konzerte in Galicien und Anda- ten gelingt das Zusammenspiel allerdings mit Eugene Hütz von Wie erleben Sie die Stimmung lusien geben. Er hat viele neue der US-Band Gogol Bordello, mit dem Bregovic eine gewisse in Lateinamerika? AMPARO SÁNCHEZ Stücke, aber die sind in seinem Punkattitüde teilt. BAX Als ich die ersten Male in Argen- Computer: Er will im Moment Goran Bregovic: „Champagne for Gypsies“ (Mercury/Universal) tinien und Mexiko war, herrsch- Die meisten Stücke bestehen rückgeben, was sie mir gegeben kein neues Album aufnehmen. te dort eine revolutionäre Stim- nur aus Gitarre, Kontrabass und haben. Der Song ist all jenen ge- Wie ist sein Verhältnis zu der Sozialistische Völkerfreundschaft mung. Jetzt ist die Stimmung in Stimme: Warum so ein redu- widmet, die sich für andere Men- Szene in Barcelona? Lateinamerika viel optimisti- ziertes Soundgewand? schen einsetzen, aber nicht im Wir müssen ihm dankbar sein, er Im ehemaligen Jugoslawien hatten die Roma scher, positiver. Alle meine ar- Ich wollte ein nacktes, akusti- Rampenlicht stehen. hat die Tür für die Szene in Bar- eine Stimme. Anders als heute, wurden sie gentinischen Freunde, die nach sches Album machen. Die Leute Was beeindruckt Sie an den Za- celona geöffnet. Wären sonst so unter Tito als offizielle Minderheit aner- Spanien gezogen waren, sind in- sind aufmerksamer, wenn es patisten? viele Journalisten nach Barcelo- kannt, der Staat förderte ihre Sprache und zwischen wieder nach Argentini- nicht zu viele Instrumente gibt, Ihre Form der Selbstorganisa- na gereist, um Bands wie Ojos de Kultur. Über Titos Allianz mit „blockfreien“ en zurückgekehrt. Jetzt hat sich die sie ablenken. Es hat aber noch tion, ihr Respekt vor der Natur. In Brujo oder Macaco dort aufzu- Staaten wie Indien kamen zudem Bollywood- die Lage umgekehrt: Diesen Län- einen Vorteil: Man hat nicht so den indigenen Gemeinden der spüren? Wir sind wie eine große Filme ins Land, durch die viele Roma-Musiker eine Verbindung zu dern geht es gut. Und uns hat die viel Gepäck zu tragen. In Mexiko Zapatisten leben Zapatisten und Familie, jeder kennt jeden, und ihrer indischen Herkunft aufzunehmen glaubten. Krise eingeholt. war ich einmal ganz allein unter- Nichtzapatisten zusammen. Alle manchmal feiern wir auch zu- Der Sampler „Stand Up, People“ entführt auf eine faszinierende Ihr Album heißt „Alma de Can- wegs, nur ich und meine Gitarre. für einen, nichts für uns – das ist sammen. Er ist der Großvater der Zeitreise in jene Ära, als Roma-Stars wie Esma Red žepova und Sa- taora“, die Seele der Sängerin. Das gibt mir Freiheit. Ich muss ihr Motto. Ich war kürzlich in Sa- Szene, ich bin die Mutter. ban Bajramovic am Anfang ihrer Karrieren begannen und die Mu- Wer ist damit gemeint? nicht alles mit einer Gruppe ab- ragossa, auf einem Treffen von sikszene des Vielvölkerstaats prägten. Die Macher der britischen ...... Man ist eine Cantaora, wenn man sprechen und vorbereiten. Zapatisten und ihren Unterstüt- Labels Vlax Records haben auf Flohmärkten gestöbert und sind Amparo Sanchez singt, was man singen muss. In Im Song „La Flor de la Palabra“ zern. Es ist immer noch eine sehr ...... tief ins Archiv hinabgeklettert. Die Songs, die sie gefunden haben, Spanien werden damit Flamen- zitieren sie den Subcomandan- interessante Bewegung – ich lade ■ Mit der Band „Amparanoia“ atmen ein unverkennbares Sixties-Feeling. Mal hört man das Echo co-Sängerinnen bezeichnet, in te Marcos. Warum? jeden ein, sich selbst ein Bild zu wurde sie bekannt, seit 2006 ist indischer Filmsongs, mal von US-Schlagern, mal von türkischer Lateinamerika alle Sängerinnen. Die Bewegung der Zapatisten ist machen. Die Hoffnung, die Ener- Amparo Sanchez als Solo-Sänge- Psychedelic heraus. Ein informatives Booklet rundet die Sache ab. Es gab eine Zeit, in der es unüb- mir sehr wichtig. Es ist schon 13, gie, das ist etwas Besonderes. Sie rin unterwegs, zuletzt auch häufig Ein guter Grund, nostalgisch zu werden. BAX lich war, eine Frau auf der Bühne 14 Jahre her, dass ich das erste sind nicht mehr so stark in den mit Calexico. Ihr neues Album „Al- Sampler: „Stand Up, People“ zu sehen. Es ist eine Hommage Mal in ihrer Region war, in Chia- Nachrichten. Manche denken ma de Cantaora“ (Galileo) hat sie (Vlax Records/Asphalt Tango) an die ersten Frauen, die sich das pas. Das war eine besondere Er- deshalb, es ist wie eine Mode, die mit wenig Instrumenten, aber vie- getraut haben. fahrung. Ich möchte ihnen zu- vorbei ist. Aber sie arbeiten wei- len Freunden aufgenommen.  taz. thema ❂WELTMUSIK SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG 07

fan Dettl festgestellt. „Unser A&R stammt von Ariola, jemand an- CREOLE 2013 /14 deres kommt von Columbia. Es macht Spaß, mit solchen Profis Bis zum 17. Mai konnten sich zusammenzuarbeiten.“ Bands und Musiker aus ganz Für die Ausverkaufsvorwürfe DeutschlandfürdenWettbewerb mancher Fans haben die Musiker anmelden, jeweils in ihrer Re- Verständnis. „Die Fans wollen ei- gion. In Nordrhein-Westfalen nen immer lieber in kleinen und Rheinland-Pfalz wurde der Clubs sehen“, sagt Stefan Dettl. Anmeldeschluss jetzt allerdings „Ich würde auch die Rolling um drei Wochen verschoben , auf Stones gerne in kleinen Clubs se- den 7. Juni. Und in Nordrhein- hen. Aber das geht nicht“ – dafür Westfalen kann man sich sogar sei die Nachfrage inzwischen zu noch bis zum 15. Ju- groß. Mit 45 Konzerten werden ni bewerben. LaBrassBanda in diesem Jahr wohl vor mehr als einer halben Million Leute spielen. Da sei es gut, eine größere Infrastruktur Es geht um einen der größten im Rücken zu haben als bisher. Musikwettbewerbe Deutsch- lands , der die Lücke zwischen Laptop und Lederhose? „Jugend musiziert“ und diversen Verkörpern LaBrassBanda aber TV-Casting-Shows füllt. Zum inzwischen nicht eine Spur zu vierten Mal findet dieser „Wett- perfekt das Bayern-Image von bewerb für Globale Musik“ in „Laptop und Lederhose“? Für Ste- diesem Jahr statt. Er gliedert sich fan Dettl steht fest, dass die Glo- in acht Regionalwettbewerbe – balisierung längst auch die bay- jeweils in Norddeutschland, Nor- rische Provinz erreicht hat. „Ich drhein-Westfalen, Berlin und find’s spannend, wenn Leute Brandenburg, Bayern, Hessen, vom Land nach Australien oder dem Südwesten und Mittel- Afrika gehen“,sagt er. „Wenn das deutschland. Seit dem Start von das Lebensgefühl ist, für das wir „creole“ vor sieben Jahren haben stehen, dann tun wir das gerne.“ mehr als 2.500 Musikerinnen Und was ist mit dem anderen und Musiker bei den Wettbe- Auf nackten Sohlen unterwegs: Mit ihrer Single „Nackert“ beschwören LaBrassBanda schon jetzt den Sommer Foto: Gerald von Foris/Promo Erfolgsmodell der Region, dem werbskonzertengespieltundum FC Bayern München? „Solche die Gunst des Publikums und ei- Verbindungen scheuen wir“, ner Jury geworben – mal mit Eth- winkt Schlagzeuger Manu Da no-Pop, mal mit Jazz, HipHop Coll ab. Das Trikot seines Lieb- oder Elektroklängen oder avant- Barfuß den Gipfel stürmen lingsvereins würde er sich auf gardistischer Neuer Musik. der Bühne nie überziehen. „Ob- Am 24. Juni wird die endgülti- BAVARIAN BRASS Auch ohne einen Auftritt beim Eurovision Song Contest in Malmö wollen wohl, beim Ärzte-Konzert könn- ge Teilnehmerliste bekannt ge- ten wir das ja mal probieren“, geben. Dann steht fest, welche LaBrassBanda jetzt das Ausland erobern. Ihr selbst gestecktes Ziel lautet: „Europa“ schlägt Stefan Dettl vor. Musiker, Bands und Formatio- Vor sechs Jahren sind LaBrass- nen aus ganz Deutschland in die- ast wären LaBrassBanda te haben LaBrassBanda seit ihrer Banda und dem englischen Be- erscheint dort nun auf dem Sub- Banda noch mit Mopeds und ser Saison bei „creole“ antreten beim Eurovision Song Con- Gründung vor sechs Jahren ge- griff „Brass Band““. Ihre Musik label „Europa“,das eigentlich für Traktor zum Fußball-EM-End- undsich imHerbstininsgesamt F test in Malmö aufgetreten spielt, von Schützenfesten und dagegen ist eine Mischung aus Kinderkassetten und Hörspiele spiel nach Wien gefahren und sieben regionalen Vorentschei- und hätten dieser barfüßi- kleinen Clubs bis zu großen Pop, Bläserfunk und Alpenmu- wie „Die drei ???“ oder „Fünf haben spontane Freiluft-Konzer- dungen messen dürfen. gen Dänin dort ernsthaft Kon- Rockfestivals wie in Roskilde und sik, die Anleihen bei und Freunde“ bekannt ist. Konzept te auf öffentlichen Plätzen gege- Die sieben Gewinner treten kurrenz machen können. Nicht beim „Hurricane“ in Scheeßel. Techno nimmt. Man darf aber oder Gag, die Band wollte das je- ben. Seither sind sie auf allen im Mai nächsten Jahres beim so wie diese Eurotrash-Combo Ihr neues Album „Europa“ ist auch ruhig Volksmusik dazu sa- denfalls so: „Wenn schon bei so großen Festivals Mitteleuropas „creole“- Finale in Hannover an. Cascada. Beim Vorentscheid zum nun wie gemacht, um einen wei- gen, findet Andreas Hofmeir, einem großen Label, dann bei ei- aufgetreten, der Regisseur Mar- Dort kürt dann eine Jury am 17. Eurovision Song Contest im Feb- teren Schritt auf der Erfolgsleiter denn man greife man nun mal nem, mit dem wir etwas verbin- kus Rosenmöller hat einen Film Mai 2014 die drei besten Bands, ruar lag die barfüßige Blaskapel- zu erklimmen. Es eröffnet mit Einflüsse aus verschiedenen re- den“, sagt Stefan Dettl . Alle hät- über sie gedreht, und sie wurden die sich unter den breiten Ober- le aus Bayern beim Radio-Publi- betont technoiden Beats, ohne gionalen Traditionen aus. „Pop- ten sich da gleich an ihre Kind- zum Eurovision-Song-Contest- begriff „Global Music“ fassen las- kum klar vorne, die Hörer der öf- den bewährten Bläser-Sound zu musik ist auch nur ein anderes heit mit „TKKG“ und Pumuckl- Kandidaten der Herzen gewählt. sen. Die Gewinner von 2011 hie- fentlich-rechtlichen Popwellen – verleugnen. Es sind mehrere In- Wort für Volksmusik“, stimmt Kassetten erinnert gefühlt. Was soll jetzt noch kommen? ßen übrigens Cyminology (per- von 1-Live im Westen bis Radio strumentalnummern dabei, und ihm Schlagzeuger Manuel Da Außerdem passt der Label-Na- Drummer Manuel Da Coll ver- sisch inspirierter Jazz), Kavper- Fritz im Osten – wählten sie ge- die Stücke tragen auffällig oft eu- Coll zu. Andreas Hofmeir bringt me jetzt zum Albumtitel, und für spricht: „Bald gibt’seinen Panini- saz (anatolische Avantgarde) und schlossen auf Platz eins. Doch ropäische Ländernamen wie es auf die Formel: „Unsere Musik die tägliche Arbeit macht die Ab- Sammelband von uns.“ Kellerkommando (eine fränki- dann machte ihnen vor allem die „Holland“,„Schweden“ und „Bul- schließt nichts aus, sondern teilung ohnehin keinen Unter- sche HipHop-Combo). Wertung der Jury einen Strich garien“ als Titel. schließt alles mit ein.“ schied. „In so einem Konzern ar- ■ LaBrassBanda: „Europa“ (Sony/ durch die Rechnung. Wenn sie nicht gerade mit La- beiten alle zusammen“, hat Ste- Europa). Erscheint am 14. Juni www.creole-weltmusik.de „Niemand von uns ist belei- „Europa“ als Programm BrassBanda unterwegs sind, rei- digt, dass es nicht geklappt hat“, War der Auftritt in Malmö also tet jeder der Musiker sein eige- behauptet Schlagzeuger Manuel schon einkalkuliert? Zumindest nes Steckenpferd. Schlagzeuger da Coll beim Gespräch in einem wollen die Musiker in Zukunft Manuel Da Coll hat ein Elektro- Berliner Hotelzimmer. „Es war wieder öfter im Ausland auftre- Duo namens Pollyester. Andreas lustig, einmal zu sehen, wie so et- ten,weildasindenletztenJahren Hofmeir lehrt als Professor am was funktioniert.“ Und Stefan etwas zu kurz gekommen sei. „Es Mozarteum in Salzburg, gibt Tu- ba-Workshops und klassische Konzerte. Und Sänger Stefan Dettl hat eine Rockband gegrün- det, in der er mit bayrischem Di- „Man darf zu unserer Musik alekt singt. Posaunist Manuel Winsbeck war vor seinem Jazz- auch Volksmusik sagen. Unse- studium Kirchenmusiker in Graz. Und Oliver Wrage, der Bas- re Musik schließt nichts aus, sist, hat die Indie-Band WEITER sondern schließt alles mit ein“ gegründet. Doch in diesem Jahr wird sich bei ihnen alles nur ANDREAS HOFMEIR, TUBIST noch um LaBrassBanda drehen. Kindheit mit Pumuckl Dettl, der Trompeter und Sänger, ist spannend, wo zu spielen, wo Zunächst werden die Blasmusi- meint: „Es hat sich für uns jetzt sie einen wirklich nicht verste- ker diesen Sommer im Vorpro- schon ausgezahlt“, reklametech- hen“, sagt Stefan Dettl. „Da be- gramm der Ärzte spielen, zum nisch. Außerdem habe die Ab- kommt man keine Vorschusslor- Auftakt gleich im Fußballstadion stimmung der Radiohörer sie beeren, da zählt nur die Musik. in Köln. „Da freue ich mich schon selbst überrascht, denn von vie- Da wollen wir wieder hin.“ drauf“,sagt Stefan Dettl über die len Radiosendern wird ihre Mu- Kennen gelernt haben sich die Kulisse. „Bisher haben wir nur sikgarnichtgespielt.Umsoüber- fünf Musiker von LaBrassBanda einmal bei St. Pauli in der Pause raschender war deshalb das Er- vor sechs Jahren beim Studium gespielt,aberdashatkeineninte- gebnis beim Vorentscheid. „Die am Richard-Strauss-Konservato- ressiert.“ Die Veröffentlichung Leute, die unsere Musik hören, rium in München. Eine Partyrei- von „Europa“ wird im Juli zu sind aktive Menschen“, erklärt he in ihrer Region, „International Hause im Chiemgau gefeiert, mit sich Sänger und Trompeter Ste- Bohemia“ genannt, bei der be- einem großen Konzert auf der fan Dettl den Erfolg: „Die gehen freundeteDJs regelmäßigBalkan Felsenburg Stein an der Traun. in Konzerte und sind im Internet Brass, Gipsy Punk und Latin Ska „Da gibt es große Wiesen und ei- unterwegs. Und die beschäftigen auflegten, brachte Bandgründer ne große Bühne“, schwärmt An- sich auch damit, wie so ein Ra- Stefan Dettl auf die Idee, etwas dreas Hofmeir vom Panorama. dio-Voting funktioniert.“ Ähnliches mit Harmonien aus Weil der wachsende Erfolg sie Die Bläserformation um Ste- der bayrischen Volksmusik und zu überfordern drohte, sind LaB- fan Dettl hat es in den vergange- bayrischer Mundart zu versu- rass Banda im vergangenen Jahr nen Jahren auf nackten Sohlen chen. So kam es zu LaBrassBanda vom kleinen Indie-Label Trikont, weit gebracht, vom Chiemsee in – schon der Name ist eine Kreu- bei dem alles begann, zum Sony- die weite Welt. Über 500 Konzer- zung aus dem italienischen La Konzern gewechselt. Ihr Album  08 SONNABEND/SONNTAG, 25./26. MAI 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] taz. thema ❂WELTMUSIK Verblassende Bilder von Beirut ELEKTRO-AUTORENPOP Yasmine Hamdan ist eine Ikone des libanesischen Undergrounds. Auf Ihrem Solodebüt „Ya Nass“ sortiert sie das musikalische Erbe ihrer Region neu

heute ins Schwärmen, wenn sie fernab von orientalisierenden und zu sammeln, ist uns fremd. sieht eine Menge Leute vom Golf, an sagenhafte Auftritte vor dem Klischees. Auf „YaNass“ dominie- Darum gibt es in der arabischen die Urlaub machen. Es ist ver- König von Jordanien oder in ei- ren vielschichtige Texturen und Welt kaum Nationalarchive“,sagt rückt, wie die Erinnerung ausge- nemGarteninSyriendenkt:„Am somnambule Sounds, Bauch- sie. Die Künstler hätten deshalb löscht und durch das Gegenteil Ende standen dreißig Leute auf tanz-Perkussion und schluch- die Aufgabe, die kollektiven Erin- ersetzt wurde“, sagt sie. Für den der Bühne: Die einen tanzten tra- zende Geigen sucht man hinge- nerungen zu bewahren. Clip zu ihrem Song „Beirut“ hat ditionelle Dabke-Schritte, ande- gen vergeblich. Yasmine Ham- Mit Wehmut denkt Yasmine sie auf private Super-8-Aufnah- re machten HipHop-Bewegun- dan legt Wert darauf, von den Hamdan daran, wie das Stadt- men zurückgegriffen, verblas- gen, dazwischen kleine Mäd- Cocteau Twins und Arvo Pärt, zentrum von Beirut nach dem sende Bilder von Beirut, die ein chen, es war fantastisch.“ aber auch von somalischen und Ende des Kriegs in eine sterile Freund von ihr dort auf einem Mit dem wachsenden Ruhm asiatischen Klängen beeinflusst Shopping-Mall-Hölle verwan- Flohmarkt erstanden hat. Die Er- kamen die Verlockungen: „Ich worden zu sein. „Ich muss nie- delt wurde. „Vor dem Krieg hatte innerungsstücke ihrer eigenen bekam verrückte Angebote. Familie sind teilweise verloren Ägyptische Musikmanager ka- gegangen, sie wurden im Krieg men wie in einem schlechten verbrannt oder gestohlen. „Das Mafiafilm auf mich zu und frag- ist Teil unserer Geschichte – dass ten mich: ‚Willst du einen Scheck bestimmte Dinge ausgelöscht über 50.000 Dollar?‘ ‚Willst du „Meine Wurzeln sind in der und verschwunden sind“, sagt Spielt im neuen Jim-Jarmush-Film mit: Yasmine Hamdan Foto: Crammed einen Mercedes?‘ Es war surreal, sie. „Als Künstlerin trage ich aber auch lustig.“ Doch eine Kar- arabischen Welt, das ist mein Fragmente zusammen und stelle VON ZONYA DENGI sischen Bürgerkrieg geflohen riere als kommerzielles Pop- so ein Narrativ wieder her.“ war, kehrte Yasmine Hamdan sternchen kam für sie nicht in- Material. Aber ich kann damit Mit dem Schlagwort „Arabi- uf der Straße in Berlin 1991 mit ihren Eltern und Ge- frage. Stattdessen zog sie vor sie- machen, was ich will“ scher Frühling“ kann Yasmine dreht sich niemand schwistern ins stark zerstörte ben Jahren nach Paris. Dort lebt Hamdan nur wenig anfangen: A nach ihr um. Das könnte Beirut zurück und tauchte als Ju- die heute 37-Jährige nun mit ih- YASMINE HAMDAN „Ich war sehr hoffnungsvoll und sich ändern, denn sie gendliche in die aufkeimende rem Mann, dem palästinensi- bin es noch“,sagt sie über die Ent- spielt im nächsten Film von Jim Underground-Kulturszene der schen Starregisseur Elia Sulei- mandem beweisen, dass ich eine die Gegend einen besonderen wicklungen in ihrer Region, doch Jarmush mit. In mehreren arabi- Stadt ein. „Beirut war im Um- man (53). Die beiden bilden so et- arabische Sängerin bin“, betont Charakter, dort waren die Suqs, Radikalismus und Gewalt ma- schen Ländern ist Yasmine Ham- bruch,undwirwareneinTeildie- was wie das Traumpaar der ara- sie. „Meine Wurzeln sind in der mein Großvater hatte dort einen chen ihr Angst. Sie fürchtet, der dan aber schon jetzt eine Größe, ser Veränderung“, sagt sie rück- bischen Off-Kulturszene. arabischen Welt, das ist mein Ma- Laden“,erzählt sie. Bürgerkrieg in Syrien könnte auf zumindest in studentischen und blickend über ihre Zeit mit Soap- Auf ihrem ersten Soloalbum terial. Aber ich kann damit ma- Während des Bürgerkriegs ihre Heimat übergreifen: „Der Li- intellektuellen Kreisen. Als Ge- kills – der Name der Band war ein „Ya Nass“ („Oh Leute“) sortiert chen, was ich will.“ verlief die Frontlinie mitten banon ist ein sehr seltsamer Ort. sichtundStimmederBandSoap- sarkastischer Kommentar zu der Yasmine Hamdan jetzt das musi- Wenn sie auf klassische Vorla- durch Stadt, das Zentrum wurde Man hat immer das Gefühl, es kills, einem progressiven Indie- Art und Weise, wie die blutige kalische Erbe ihrer Region auf gen zurückgreift, dann geht es komplett zerstört. Nach dem liegt eine gewisse Spannung und Elektro-Duo aus Beirut, stieg sie Vergangenheit im Libanon nach überraschende Weise neu. Inspi- Yasmine Hamdan weniger um Krieg wurden die Ruinen nach Nervosität in der Luft, als könne zwischen 1997 und 2005 zum dem Krieg einfach abgewaschen riert von libanesischen Poeten Nostalgie, als vielmehr um eine und nach abgeräumt, um einer jederzeit an jedem Ort irgendet- Aushängeschild der alternativen und verdrängt wurde. ausden40erJahren,vonkuwaiti- andere, eine private Art der Ge- glatten Konsumwelt Platz zu ma- was hochgehen.“ Musikszene des Libanon auf. Bald drang der Ruf des Duos schen Sängerinnen oder ägypti- schichtsschreibung. „Wir kom- chen. „Jeder trägt hier Gel und Aufgewachsen in Kuwait, wo- auch über den Libanon hinaus. schen Songklassikern, sucht sie men aus einer oralen Kultur. Die teure Klamotten, raucht Wasser- ■ Yasmine Hamdan: „Ya Nass“ hin ihre Familie vor dem libane- Yasmine Hamdan gerät noch einen persönlichen Ausdruck Neigung, etwas zu archivieren pfeife und isst Hummus. Man (Crammed Discs)

William Dampier: Neue Reise um die Welt Die alte Wut ist immer noch da Der Freibeuter kombinierte ein abenteuerliches Leben mit bahnbrechenden wis- senschaftlichen Leistungen. ROCK ’N’ RAI 1683 bis 1691 umrundete Auf seinem er die Welt und beschrieb ausführlich und akkurat, was er dabei sah und erlebte. neuen Album „Zoom“ ISBN 9783941924024, 1024 Seiten, Leinen, mit Abbildungen und Karten, einem kommt der französische Register sowie vielen Erläuterungen und Kurz- biographien. www.verlag-der-pioniere.de Rockstar Rachid Taha dem Geist seiner Vorbilder von ziemlich nahe

enn man sich mit Rachid Taha in ei- W nem Berliner Hotel- zimmer zum Inter- view trifft, kann es passieren, Rose de Freycinet: dass man es betrunken verlässt. Briefe von der »Uranie« Während des Gesprächs Der erste Bericht einer macht der Musiker mit seinem Frau über ihre Reise um linken, gesunden Arm eine Fla- die Welt (1817–1820). sche Wein nach der anderen auf. Ein Gentleman genießt und raucht: Rachid Taha Foto: Naive »Ein wunderschön gestaltetes Buch für Dabei erzählt er, dass er in Paris Fernwehmütige und historisch Interes- ein Festival mit arabischen Rock- trockene Lautenspiel seines algerischen Kaffeehaussängers dem er aufzählt, woraus die Rea- sierte.« (Katharina Döbler, RBB »Kulturradio«) bands aus dem Irak, Palästina Kompagnons Hakim Hama- Dahmane El Harrachi. Und seine lität vieler Musiker wirklich be- ISBN 9783941924017, Leinen, mit über 70 teils und dem Maghreb plant. Dann douche trifft, dann erinnert das Version von „Rock The Casbah“ steht: nicht aus Spritztouren mit farbigen Abbildungen, Karten, Hintergrundinfor- mationen und 150 Kurzbiographien der erwähnten springt er vom Bienensterben zu an düstere Vorgängeralben wie war grandios. dem Cadillac, sondern aus der Personen. www.verlag-der-pioniere.de seinem Dauerthema, dem Ras- „Made in Medina“ (2000) und Auch sein neues Album atmet Sorge um Visum, Pass und Auf- sismus in Frankreich, und erläu- „Tékitoi“ (2004). ganz den Geist von The Clash. Als enthaltsberechtigung. Und „Fa- tert dabei, dass der Koran das Taha liebt das Spiel mit Pop- die britische Punkband 1981 in kir“ klingt, als hätte Rachid Taha Trinken von Wein nicht verbiete, zitaten und interkulturellen Paris ein Konzert gab, soll der „In The Summertime“ von Mun- nein, er habe einen Freund, der Querverweisen. Im Titelsong junge Rachid Taha seinen Idolen go Jerry verhackstückt. bete und trinke drei Gläser pro „Zoom sur Oum“ jagt er ein ein Demo-Tape seiner damali- Das Album schließt mit ei- Tag, er sei ein Sufi, und übrigens, Sample der ägyptischen Sänge- gen Maghreb-Rockabilly-Band nem Remake seines antirassisti- der beste Whisky komme aus rin Oum Kalthoum durch den Carte de Séjour zugesteckt ha- schen Tracks aus dem Jahr 1993, . Fleischwolf und beschwört mit ben. Als kurz darauf ihr Song „Voilà, Voilà“. Für die Neuauflage Der algerischstämmige Rock- suggestivem Sprechgesang ihre „Rock The Casbah“ erschien, seines Klassikers hat er gute star Rachid Taha ist der agent Aura. Den Elvis-Evergreen „It’s fragte sich Rachid Taha deshalb, Freunde im Studio versammelt, provocateur der französischen Now Or Never“ – der auf dem ne- ob er dafür wohl Pate gestanden und der Afrobeat-Erbe Femi Kuti Musikszene. Auf seinem neuen apolitanischen Gassenhauer „O hatte. Bei den Aufnahmen zu steuert seine Saxofonkaskaden Album „Zoom“ schlägt der 54- sole mio“ beruht – entführt er „Zoom“ stand Rachid Taha dafür bei. Zwanzig Jahre später hat das Jährige nun wieder deutlich ro- aus Memphis in ein arabisches nun,wiezurRevanche,derClash- Stück nichts von seiner Dring- ckigere und elektronischere Teehaus. Er singt ihn mit einem MitbegründerMickJoneszurSei- lichkeit verloren. Die alte Wut ist Klänge an als zuletzt. Da ist, wie Lächeln auf den Lippen, während te. Im dubbigen„Algerian Tango“ immer noch da. Der Rassismus gewohnt, der kehlige, raue und der Hintergrundchor dazu hin- gleitet Rachid Taha, von dessen habe sich in Frankreich längst doch einschmeichelnde Gesang. gebungsvoll säuselt. berühmter Stimme begleitet, nicht erledigt, im Gegenteil, fin- Neu sind dagegen die Gitarren- Mit solchen Coverversionen wie durch die Kulissen einer det Rachid Taha: „Ich möchte, klänge, die an einen Spaghetti- feierte Rachid Taha stets seine Geisterstadt. In „Khaloumi“ lässt dass Marine Le Pen an die Macht western erinnern. Die Lagerfeu- größten Erfolge: Seinen Durch- Taha ursprünglichen Maghreb- kommt“,behauptet er nach dem erstimmung auf „Zoom“ lässt bruch hatte er mit dem französi- sound auf Punkattitüde prallen, Motto: Es muss erst schlimmer mal an einen Cowboytreck durch schen Chanson-Nationalklassi- seine durch einen Vocoder ver- werden, damit es besser wird. den Mittleren Westen, mal an ein ker „Douce “, den er mit zerrte Stimme trifft auf rauen „Sie repräsentiert heute die Mit- Berberfest in der Sahara denken. hartem arabischen Akzent sang. Rai-Gesang. te der Gesellschaft.“ DANIEL BAX Und wenn der hypnotische Sog Sein bekanntester Hit ist „Ya Ra- Im bluesigen „Les Artistes“ be- tribaler Maschinenbeats auf das yah“, ein Chaabi-Schlager des erdigterdenKünstlermythos,in- ■ Rachid Taha: „Zoom“ (Naive)