FLIEßENDE IDENTITÄTEN DIE DEUTSCH-POLNISCHEN AUTOREN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND NACH 1989 Die vorliegende Monografie u.d.T. Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ist die 5. Nummer der von Maria Ktańska und Katarzyna Jaśfal herausgegebenen Veröffentlichungsreihe des Instituts für Germanische Philologie der Jagellonen-Universität „Krakauer Studien zur germanistischen Literatur- und Kulturwissenschaft“.

Niniejsza monografia zatytułowana Płynne tożsamości. Polsko-niemieccypisarze z tzw. ttem migracyjnym po roku 1989 jest piątą pozycją w serii Instytutu Filologii Germańskiej Uniwersytetu Jagiellońskiego, redagowanej przez Marię Ktańską i Katarzynę Jaśtal „Krakauer Studien zur germanistischen Literatur- und Kulturwissenschaft” („Studia krakowskie z dziedziny literaturoznawstwa germanistycznego i wiedzy o kulturze krajów germańskich”). Agnieszka Palej

FLIEßENDE IDENTITÄTEN DIE DEUTSCH-POLNISCHEN AUTOREN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND NACH 1989

KRAKAUER STUDIEN ZUR GERMANISTISCHEN LITERATUR- UND KULTURWISSENSCHAFT

VOL 5

Wydawnictwo Uniwersytetu Jagiellońskiego Krakauer Studien zur germanistischen Literatur- und Kulturwissenschaft

HERAUSGEBER DER REIHE / REDAKTOR SERII prof. dr hab. Maria Kłańska

WISSENSCHAFTLICHE REDAKTION DER REIHE / SEKRETARZ NAUKOWY SERII dr hab. Katarzyna Jaśtal

GUTACHTER DES BANDES / RECENZENT TOMU prof. dr hab. Maria Kłańska, dr hab. Katarzyna Dzikowska, prof. UŁ

UMSCHLAG / PROJEKT OKŁADKI Agnieszka Winciorek

Publikacja dofi nansowana przez Uniwersytet Jagielloński ze środków Instytutu Filologii Germańskiej Wydziału Filologicznego Gefördert vom Philologischen Dekanat der Jagiellonen-Universität

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ISBN 978-83-233-3944-1

www.wuj.pl

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Einleitung und Problemhorizont ...... 9 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur ...... 17 1.1 Exil versus Migration – Versuch einer Begriffs- und Generationsbestimmung der deutsch schreibenden Autoren polnischer Herkunft ...... 17 1.2 Zu den Anfängen des literarischen Phänomens ...... 22 1.3 Texte der Migranten und der Erwartungshorizont ihrer Rezipienten – einige Bemerkungen ...... 31 1.4 Zur Ästhetik der Migrantenliteratur ...... 33 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung ... 37 2.1 Zum Kulturbegriff – einige Bemerkungen ...... 39 2.2 Die postkoloniale Perspektive und die Migrantenliteratur ...... 44 2.3 Kulturen im Kontakt: Inter-, Multi- und Transkulturalität ...... 50 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens .... 59 3.1 Nationenbildung und Nationalkultur – einige Bemerkungen ...... 59 3.2 Die politische und kulturelle Situation Polens bis 1939 – das kulturelle Erbe Polens ...... 62 3.3 Zu den deutsch-polnischen transkulturellen Verfl echtungen in der Vergangenheit ...... 68 3.4 Die deutsch-polnischen und österreichisch-polnischen Kontakte von 1945 bis 1989 ...... 74 3.5 Die polnischen Migrationen nach Deutschland und Österreich ...... 77 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität ...... 87 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume ...... 101 5.1 Identitätsstiftendes Warmia/Ermland – Beckers literarischer Dreh- und Angelpunkt? ...... 113 5.2 Die kulturellen Grenzüberschreitungen und -erfahrungen ...... 130 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger ...... 135 6.1 Zur Identitätssuche von Knapps Migrantenfi guren ...... 141 6.2 Knapp und die „Exotik des europäischen mittleren Ostens“ ...... 149 6.3 Zum Bild des Westens in Knapps Texten ...... 155 6.4 Grenzübertritte und -erfahrungen in Knapps Texten ...... 157 6 IInhaltsverzeichnis

7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? ...... 163 7.1 Identitätslosigkeit und Identitätssuche von Muszers Figuren ...... 166 7.1.1 Ein hybrides Monster migriert: Die Freiheit riecht nach Vanille (1999) ... 167 7.1.2 Ein groteskes Spiel mit den Identitäten: Der Echsenmann (2001) ...... 174 7.1.3 Die Kritik der globalisierten Welt: Gottes Homepage (2007) ...... 179 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ ...... 187 8.1 Auf den Spuren der eigenen Identität: Konfl ikte im transkulturellen Raum (Katzenberge, 2010) ...... 190 8.1.1 Transnationale Kulturräume: Einige Bemerkungen zum Schlesien- und Galizienbild im Roman ...... 199 8.2 Eine deutsch-polnische Familiengeschichte: Ambra (2012) ...... 203 8.2.1 „Die Stadt am Meer“ – ein transkultureller Identitätsraum? ...... 206 8.3 Zu Grenzübergängen und Grenzerfahrungen in Janeschs Texten ...... 209 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland ...... 211 9.1 Identitäten in Bewegung: Polski Tango ...... 214 9.2 Zu den Heimatkonstruktionen in Polski Tango ...... 221 10. Magdalena Felixa – Migration als existentielle Erfahrung in der Großstadt .. 231 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität ...... 237 11.1 Zu den intertextuellen Verweisen in den Migrantentexten ...... 255 Fazit ...... 263 Verwendete Abkürzungen ...... 273 Literaturverzeichnis ...... 274 Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all denen bedanken, die mich bei der Entste- hung dieser Publikation begleitet und unterstützt haben. Allen voran gilt mein Dank Dr. Hans-Christian Trepte (Institut für Slavistik, Univer- sität ), der mir aufschlussreiche Hinweise und Anregungen geliefert hat, die zur Richtigkeit und Schlüssigkeit dieser Publikation maßgeblich beigetragen haben. Besonderer Dank gebührt Prof. Dr. habil. Elżbieta Dzikowska (Katedra Literatury Niemiec, Austrii i Szwajcarii, Germanistyka, Uniwersytet Łódzki) für inspirierende Impulse und wertvolle Ratschläge, die dieses Habilitationsprojekt erst möglich ge- macht und mir bei meiner Arbeit sehr geholfen haben. Prof. Dr. [emeritus] Gerhard Bauer (Institut für deutsche und niederländische Phi- lologie, Freie Universität ) sei herzlich gedankt für Gespräche sowie seine Empfehlungen zum Phänomen der Inter- und Transkulturalität und der Migranten- literatur. Ich danke sehr herzlich Prof. Dr. habil. Maria Kłańska (Instytut Filologii Germańskiej Uniwersytetu Jagiellońskiego) für ihre begleitende Beratung, ihre Ermunterungen sowie die freundliche Aufnahme dieser Publikation in die von ihr herausgegebene Reihe. Die Studienauftenthalte in Berlin (Freie Universität Berlin) und Marbach am Ne- ckar (Deutsches Literaturarchiv) wurden auch von der ADAMAS Stiftung Goetz Huebner ermöglicht und meine Bibliotheksrecherchen und Materialiensammlung sehr begünstigt. Last, but not least: Das Gelingen dieses Projekts verdanke ich meinen engsten An- gehörigen, die mich stets bedingungslos, tatkräftig und vielseitig unterstützt haben.

Einleitung und Problemhorizont

Die geschichtliche Entwicklung der ost- und westeuropäischen Beziehungen und der kulturellen Nachbarschaft trägt Früchte in Form von literarischen Verwandtschaften. Nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit haben sogenann- te Nationalliteraturen immer von jenen Schriftstellern eine wertvolle Bereicherung erlebt, die immigriert sind und in einer Sprache geschrieben haben, die nicht ihre Muttersprache war und ihre kulturelle Tradition in den anderen Kulturkreis „impor- tiert“ haben. Die Literatur von AutorInnen mit „Migrationshintergrund“ ist heute fester Bestandteil europäischer und somit auch deutscher (sowie polnischer) Kul- tur. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in mehreren Sprachen und Kulturen beheimatet sind, gehören – wie es Immacolata Amodeo formuliert hat – zu den in- teressantesten Vertretern der zeitgenössischen Literatur (AMODEO/HÖRNER/KIEMLE 2009). Lange Zeit fungierte die Herkunft als entscheidender Parameter und diente (dient in vielen Fällen immer noch) dazu, die Künstler den nationalkulturellen Feld- ern zuzuordnen. National-staatliche Grenzziehungen, obwohl sie beispielsweise im europäischen Schengen-Raum eher einen symbolischen Charakter besitzen, werden immer noch als zentrale Markierungen in den Lebensgeschichten betrachtet. In der globalisierten Gesellschaft werden die traditionellen Konzepte von Nation, Kultur und Identität indessen immer brüchiger. In der heutigen Zeit der Globalisierung und Migration mit ihrer Vielfalt an Identitätsentwürfen und kulturellen sowie sprachli- chen Mehrfachzugehörigkeiten als einem prägenden Faktor von Gesellschaften soll- te man die Offenheit besitzen, das Denken in nationalen Kategorien, den verengten monokulturellen Blickwinkel bei der Betrachtung der Kulturphänomene, die Kop- pelung von kultureller Identität an ein nationales Territorium, die Grenzen nationa- ler beziehungsweise kultureller Zuordnung sowie den nationalen Literaturbegriff in Frage zu stellen und neue Perspektiven jenseits nationaler Paradigmen und homoge- nisierender Zuschreibungen zu eröffnen:

Insofern […] in der globalisierten Welt geographische und kulturelle Räume nicht mehr zusammenfallen, wird ein territoriales Verständnis von Kultur zunehmend aufgekündigt, auch wenn die traditionelle Verknüpfung von Nation und Kultur noch präsent bleibt. Zu- nehmend werden statt Nationen aber auch andere Einheiten als Identifi kationsangebote präferiert (GUTJAHR 2006: 114). Es besteht die Möglichkeit, sich von national defi nierter Literatur, homogenisieren- den, essenzialistischen Identitäts- und Kulturkonzeptionen sowie kultureller Zuge- hörigkeit zu lösen und neue zu verhandeln. Die Literatursprache der Autoren oder 10 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 supranationale Räume wie beispielsweise Europa können als präferierte Identifi ka- tionsangebote fungieren. Transkulturelle Theorien, wie die von Stuart Hall, Edward Said, Wolfgang Welsch gehen davon aus, dass „hybride Identitäten“ zunehmend Normalität werden. Die Migration ist ein soziopolitisches, sozioökonomisches, aber auch ein ethnisches Phänomen, das unterschiedliche Erscheinungsformen hat. Die Gründe für moderne Wanderschaften sind unterschiedlicher Art (ökonomischer, politischer etc.) und ins- besondere in der europäischen Geschichte des letzten Jahrhunderts zu fi nden: euro- päische Totalitarismen, die daraus resultierende Spaltung Europas und die dadurch erzwungenen Fluchtwellen. Die Migrationsbewegung nahm im 20. und 21. Jahr- hundert weltweit besonders zu. Migration wird zur universellen, modernen Erfah- rung und die Wahl des festen Wohnsitzes zu einer persönlichen Entscheidung. Laut Madeleine Herren wird das Überschreiten von Grenzen für viele Individuen, die sie als transgressive Subjekte bezeichnet, konstitutiv. Die Grenzüberschreitungen, die gleichzeitig mehrfache „territoriale, nationale, politische und soziale Ordnungsvor- stellungen“ (HERREN 2005: 17) einbeziehen, werden somit zu einem identitätsbe- stimmenden Moment. Im Falle vieler Migranten (und insbesondere der literarisch tätigen) unter ihnen spielen auch sprachliche Grenzüberschreitungen eine bedeuten- de Rolle. Elisabeth Beck-Gernsheim weist in Bezug auf diese Erscheinung auf Folgendes hin:

Längst gibt es erhebliche Gruppen von Menschen, für die das eingeforderte Entweder/ Oder [...] schlicht dem widerspricht, was den Kern ihrer Erfahrung und ihres Lebensge- fühls ausmacht. Das tägliche Leben dieser Einwanderer [...] ist eingebettet in vielfache und dauerhafte Beziehungsnetze über internationale Grenzen hinweg, und ihre öffent- liche Identität umfasst die Beziehung zu mehr als einem Nationalstaat. Dabei ist ihre Herkunftsverbundenheit als Ergänzung, nicht als Widerspruch zu ihrer Niederlassung im ‚Gastland‘ zu begreifen [...] (BECK-GERNSHEIM 1999: 174). Die Migranten bewegen sich laut Beck-Gernsheim „in den transnationalen Räumen ihres Daseins“ (BECK-GERNSHEIM 1999: 174). Diese Bewegung führt zu einer Viel- falt hybrider Lebensweisen, zu neuen Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen, Übergängen, Neuverortungen und kulturellen Transformationen, Multi-, Inter- und Transkulturalität. Die Grenzen sind nämlich verschiebbar. Innerhalb der individu- ellen Identitätsentwürfe können Elemente heterogener Kulturen und Erfahrungs- bereiche vermischt werden. Überlagerungen wie Abgrenzungen von Eigenem und Fremden werden unübersichtlich. Für die modernen „Nomaden“ von heute – im Gegensatz zu den Vertretern der „klassischen“ Emigration – bleibt die Frage der Wahl des Gastlandes, ihrer Identitätsentwürfe meistens eine Frage der freien Wahl.1 Die Globalisierung und die neuen Formen der Weltkommunikation haben die Welt

1 Flaneure, Vagabunden, Spieler und Touristen sind für Zygmunt Baumann die Haupttypen der Postmoderne, die zwar austauschbar sind, aber zusammen die Komplexität postmoderner Identitätsbildung wiedergeben. Der Spaziergänger, der Vagabund, der Tourist und der Spieler bilden zusammen die Metapher für die postmoderne Strategie mit ihrer Angst vor Gebundenheit und Festlegung (vgl. BAUMANN 1997: 149). Einleitung und Problemhorizont 11 schrumpfen lassen und neue Formen der Mobilität ermöglicht. Die postmodernen Kosmopoliten führen oft – im Gegensatz zu den klassischen Kosmopoliten, die meistens einen Ort im Ausland hatten, an dem sie lebten oder mehrere, die sie nach- einander wechselten – sozusagen ein multilokales Leben. Die heutigen Menschen lassen sich immer weniger anhand ihrer Aufenthaltsorte identifi zieren und halten eine eindeutige Verortung für nicht mehr nötig. Das Migrantenphänomen ist auch im polnischen Kulturkreis immer deutlicher zu erkennen. Migrationen zwischen dem germanophonen und polonophonen Gebiet spielten seit Jahrhunderten und spielen auch heute eine wichtige Rolle, sowohl in politischer und wirtschaftlicher, als auch (oder vielleicht vor allem) kultureller Hin- sicht. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und angesichts der neu gewonnenen Reise- freiheit wird Polen mehr und mehr auch ein Einwanderungs- und Transitraum der Ost-West-Migration. Die Forscher klassifi zieren den neuen Typus der internationalen Wanderung, der die traditionellen Formen ergänzt und zur neuen Realität der multi- plen sozialen und kulturellen Orientierung gehört, als die transnationale Mobilität. Diese Form entspricht weder „einer Siedlungs- noch einer »reinen« Pendelwande- rung [...], sondern [ist] begriffl ich dazwischen zu verorten“ (FASSMANN/KOHLBACHER/ REEGER 2004: 11).2 Die Wanderung ist kein einmaliger, zeitlich begrenzter Übergang zwischen verschiedenen, örtlich eindeutig fi xierten Lebenszusammenhängen, sie wird zu einer spezifi schen Daseinsform des gegenwärtigen Individuums. Dieses Phänomen ist auch für die Entwicklung der Literatur von besonderer Bedeu- tung. „Komplexe Erfahrungen von Migration, kultureller Fremde, Hybridisierung und Globalisierung“ werden in vielen Fällen zu Ausgangspunkten einer literarischen Tätigkeit (ESSELBORN 2009: 52) und führen zur Vermittlung, zum Brückenbau zwi- schen den Kulturen (DÖRR 2009: 64) sowie zu einer doppelten Wahrnehmung der alten und der neuen Heimat, einer „perspektivische[n] Wahrnehmung des Anderen mit dem verfremdeten Blick auf das Eigene“ (SCHLOTT 2004: 176). In der Literatur- wissenschaft wird der Versuch unternommen, neue Konzepte zu entwickeln, um die Folgen der globalisierten Umwelt für die Literatur zu fassen und zu beschreiben, wie Elke Sturm-Trigonakis und das Konzept einer hybriden „Neuen Weltliteratur“ (STURM-TRIGONAKIS: 2007) oder Ottmar Ette und sein Begriffsvorschlag einer moder- nen, durch kulturelle Globalisierung veränderten, transkulturellen „nicht-seßhaften Literatur“, einer Literatur „ohne festen Wohnsitz“ (ETTE 2001: 10, 17). Die vorliegende Publikation beschäftigt sich mit einem Ausschnitt des relativ neuen literarischen Phänomens, das in der Literaturwissenschaft mit dem Begriff „Migran- tenliteratur“ bezeichnet wird. Die Vertreter der sog. Migrantenliteratur gehören zu denjenigen deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart, die kulturelle Grenzen bewusst überschreiten. Es sind Lebensszenarien, die monokulturelle Entwicklungen aufbrechen, und so der deutschsprachigen Literatur literarisch und ästhetisch neue Impulse geben.

2 Vgl. u.a. dazu auch: BASCH/GLICK SCHILLER /SZANTON BLANC 1994; ROUSE 1995: 351–380. 12 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Die Literatur der Zuwanderer erzeuge nämlich

Uneindeutigkeit, und zwar nicht nur, weil die Perspektive des Autors und der Schwer- punkt seiner Interessen andere sein können als die eines Einheimischen, sondern weil der emotionelle Hintergrund, der seinem Text zugrunde liegt – die Wahrnehmung und Inter- pretation der Welt – auf einen kulturellen Zwischenbereich verweist (VERTLIB 2007: 39). Es handelt sich im Fall der vorliegenden Arbeit um Schriftsteller, deren Mutterspra- che und kulturelle Herkunft zwar nicht die deutsche ist [einen Sonderfall bildet in diesem Zusammenhang Sabrina Janesch, eine „Deutsch-Polin“ (KITTEL 2010: 28)], die aber mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten. Die literarische Produktion dieser Autoren spielt auch in Bezug auf die kul- turellen Prozesse – den kulturellen Transfer – zwischen Ost- und Westeuropa eine bedeutende Rolle. Als Grenzgänger zwischen den Kulturen lassen sie sich nämlich weder von der einen noch von der anderen Sprache und Kultur völlig vereinnah- men. Die genannten Autoren verbindet ihre schriftstellerische Verankerung sowohl in der deutschsprachigen als auch in der polnischen kulturellen Tradition, die ihr literarisches Werk mitgeprägt haben. Sie repräsentieren die Migrationswellen der Nachkriegszeit aus Polen und sind Vertreter der literarischen Osterweiterung der deutschsprachigen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg. Die polnische Kultur war seit ihren Anfängen auf „fremde“ Einfl üsse angewiesen. Als die prominentesten Beispiele für inter- oder transkulturelle polnische Literatur können die Werke von Joseph Conrad Korzeniowski, Stanisław Przybyszewski, Thaddäus (Tadeusz) Ritt- ner, Eva Hoffman, Witold Wirpsza oder Jerzy Kosiński gelten, mit denen die in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Autoren sozusagen in einer Kontinuitätslinie ste- hen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur „Abkehr von monokulturellen Konzep- tionen von Literatur“ (AMODEO/HÖRNER/HEIDRUN/KIEMLE 2009: 11). Die Positionie- rung von Artur Becker, Dariusz Muszer, Radek Knapp, Adam Soboczynski, Sabrina Janesch und Magdalena Felixa im Rahmen der deutsch-polnischen transkulturellen (transnationalen) Literatur ist dadurch begründet, dass bei diesen Autoren die expli- zite und implizite Refl exion über Transkulturalität im Mittelpunkt vieler Texte steht und somit die Pfl ege transkultureller Verbindungen zwischen dem polnischen und deutschsprachigen Kulturraum ermöglicht. Ihre literarischen Texte sind transnatio- nale Erzählungen, die um Grenzübergänge, Wanderungen, Identität, Geschichte und kulturelle Diversitäten kreisen. Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit sind die Werke aus Polen stammender AutorInnen, die ab Ende der 90er Jahre innerhalb des deutschsprachigen, d. h. des deutschen, österreichischen Literaturbetriebs veröffentlichen. Die deutsch-polnische Migrantenliteratur, die einen Teil der Gegenwartsliteratur bildet, steht hier im Mittel- punkt. Mein Forschungsinteresse gilt den deutsch-polnischen Autoren mit „Migrati- onshintergrund“, d. h. denjenigen Autoren, die zwar polnischer (oder halbpolnischer) Herkunft sind, sich aber frei innerhalb des europäischen Kulturraumes positionieren wollen, als ihre Literatursprache Deutsch gewählt haben und somit einen wichtigen Beitrag zu den zeitgenössischen osteuropäischen, deutschen sowie österreichischen Literatur- und Kulturbeziehungen leisten. Obwohl die Mehrheit der zu behandeln- Einleitung und Problemhorizont 13 den Autoren das Deutsche als zweite Sprache erlernt hat, sind sie zu Schriftstellern deutscher Sprache geworden und betrachten das Deutsche als Ausgangspunkt für ihr künstlerisches Schaffen. Sie schreiben ausschließlich auf Deutsch (Magdalena Felixa, Sabrina Janesch, Radek Knapp, Adam Soboczynski), in zwei Sprachen (Dariusz Muszer) oder sie fanden erst in der Sprache der neuen Heimat ihre eigentliche „Literatursprache“ (Artur Becker).3 Mit dem Fokus auf deutsch-polnische AutorInnen widmet sich die Autorin der vor- liegenden Publikation einem Bereich, der innerhalb der Debatte um „Migrantenlite- ratur“ bisher weitgehend unbeachtet blieb. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist von der Perspektive geleitet, das im deutschsprachigen Raum entstandene literarische deutsch-polnische „Transkulturel- le“ des 20. und 21. Jahrhunderts darzustellen versuchen. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Prosawerke von sechs AutorInnen: Ar- tur Becker, Magdalena Felixa, Sabrina Janesch, Radek Knapp, Dariusz Muszer und Adam Soboczynski. Die Auswahl der Autoren in der vorliegenden Publikation ist auf „Fallstudien“ der Literatur und Kultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts begrenzt. Die deutsch-polnische „Migrantenliteratur“ wird also als ein Phänomen der Gegenwartsliteratur betrachtet. In den Werken der Migrantenautoren fi nden wir die Erfahrung der Migration, des Exils, die Suche nach der neuen Heimat, der Suche nach einer neuen kulturellen Identität, des Schreibens in einer fremden Sprache, der Existenz in der zweiten oder in mehreren Kulturen. Die Autorenauswahl wurde so getroffen, dass vor allem die jüngeren und jüngsten Vertreter der deutsch-polnischen Migrantenliteratur der Nach- kriegszeit und ihre literarischen Werke vertreten sein sollten. Sie schreiben alle auf Deutsch und haben ihren Lebensmittelpunkt in der BRD (Becker, Felixa, Janesch, Muszer, Soboczynski) und in Österreich (Knapp). Es sind Autoren, die inzwischen vorwiegend im deutschen Literaturbetrieb etabliert, von der breiten deutschsprachigen Leserschaft anerkannt und sogar erfolgreich sind, wovon auch ihre namhaften Auszeichnungen zeugen.4 Eine Tendenz der deutsch- sprachigen Literaturkritik zur Hervorhebung einer gewissen „Exotik“ innerhalb der Biografi e der Autoren, statt vor allem die ästhetische Qualität ihrer literarischen Tex- te zu bemerken, ist nach wie vor relativ stark ausgeprägt. Es werden von den Kriti- kern Figuren oder Episoden aus den Texten herausgegriffen und mit dem Lebenslauf der Autoren verglichen oder sogar auch gleichgesetzt. Was den Umfang und die literarische Qualität ihres Œuvres sowie die jeweiligen biografi schen Ausgangssituationen, Selbstverortungen und Poetiken betrifft, un- terscheiden sich die einzelnen AutorInnen stark voneinander. Entsprechend unter- schiedlich gestaltet sich auch die Forschungslage. Nach einer umfassenden Lektüre

3 Becker debütierte als Lyriker 1984 auf Polnisch in der polnischen Zeitung Gazeta Olsztyńska. 4 Zwei von ihnen, Artur Becker und Radek Knapp, sind z.B. mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet worden: Knapp im Jahre 2001, Becker im Jahre 2009. Der Adelbert-von-Chamisso-Literaturpreis der Robert Bosch Stiftung wird seit 1985 jährlich in München verliehen. Ausgezeichnet werden Autoren, deren Muttersprache und kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist und die mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten. 14 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 der deutsch-polnischen Migrantenliteratur, wobei das Hauptinteresse den längeren Prosatexten (Romanen, Erzählungen) galt, um den meritorischen Rahmen festlegen zu können, wurden die Autoren und ihre Texte unter Berücksichtigung folgender Kriterien ausgewählt: – das territoriale Kriterium: die migrantische Herkunft der AutorInnen (die pol- nischen Vorfahren); zum Zeitpunkt der Durchführung der Untersuchung im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich) wohnhaft; – das sprachliche Kriterium: Gebrauch der deutschen Literatursprache, belegt durch Publikationen; durch Interaktionen gestaltete thematische Zugehörig- keit des Textes zum Bereich „Identitätsproblematik“ sowie der Rückgriff auf eine narrative Form; – es handelt sich außerdem um Autoren, die sich im deutschsprachigen Kultur- kreis bislang etablieren konnten und denen es gelungen ist, sich in Deutsch- land einen Namen zu machen. Die vorliegende Arbeit schließt an Blödorns These an, dass sich sprachliche und the- matische grenzüberschreitende Bikulturalität meistens aus den biografi schen Um- ständen der betreffenden Autoren ableiten lässt (vgl. BLÖDORN 2004). Es stellt sich die Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, unter dem Stichwort „Migrationsliteratur“ das literarische Schaffen der Autoren, die als Kinder bzw. Jugendliche (Artur Be- cker, Radek Knapp, Adam Soboczynski, Magdalena Felixa) oder Erwachsene (Dar- iusz Muszer) nach Deutschland/Österreich gingen, mit der Tochter eines deutschen Vaters und einer polnischen Mutter, die in Deutschland geboren wurde (Sabrina Janesch), zusammenzufassen. Trotzdem sollte überlegt werden, ob diese Autoren, deren biografi sche Erfahrungen Kulturkreise und sprachliche Kontexte zueinander in Beziehung bringen, transkulturelle Perspektiven in den deutsch-polnischen Kul- tur- und Literaturkontakten eröffnen. Die literarische Tätigkeit der in dem vorliegenden Buch behandelten Autoren scheint verschiedenen Traditionslinien anzugehören. Artur Becker, Dariusz Muszer und Radek Knapp können in die Reihe polnisch enkulturierter Schriftsteller – neben Stanisław Przybyszewski, Tadeusz (Thaddäus) Rittner, Adam Zieliński – gestellt werden, deren Hauptwerke in deutscher Sprache entstanden sind. Adam Soboczyn- ski, Sabrina Janesch und Magdalena Felixa verfassen ihre literarischen Texte aus- schließlich in der deutschen Sprache. Die Literaturkritiker verweisen aber entwe- der auf ihre osteuropäische (polnische), bzw. „gemischte“ Herkunft (Janesch) oder auf das in ihren Texten behandelte „Migrationsthema“. Alle Autoren haben nämlich einen gemeinsamen Nenner – ihren Migrationshintergrund und ihre Verwurzelung sowohl im polnischen als auch im deutschsprachigen (deutschen bzw. österreichi- schen) Kulturkreis, was in ihren Texten Früchte in Form der kulturellen Durchdrin- gung trägt. Das Ziel ist das Aufzeigen, Sichtbarmachen, Herausheben und Behandeln eventu- eller transkultureller Phänomene. Als fi x angesehene Klassifi zierungen wie „eigen“ und „fremd“ müssen im Falle der deutsch-polnischen Wechselbeziehungen (des Kulturtransfers) zugunsten offener, dynamischer Formen der Selbst- und Fremd- wahrnehmung aufgegeben werden. Es wäre zu untersuchen, ob überhaupt Kultur- Einleitung und Problemhorizont 15 unterschiede von den deutsch-polnischen Migrantenautoren generiert werden und wenn ja, dann wie und ob diese dann als absolut betrachtet werden. Dieser Prozess der Verschmelzung lässt sich an ihren epischen Texten verfolgen, die deutschspra- chige Lyrik, z.B. im Falle von Artur Becker und Dariusz Muszer, muss hier unbe- rücksichtigt bleiben. Die kulturellen Pole (deutsche vs. polnische Kultur) müssen zunächst benannt wer- den, denn ohne Festschreibung kann sich auch keine Interferenz zwischen den bei- den entwickeln. Die Grenze zwischen den Polen oder Kulturen sollte aber keines- wegs verabsolutiert werden, es soll vielmehr der Versuch unternommen werden, die Bewegung, die zwischen diesen stattfi ndet, sowie das Resultat dieser Wechselbe- ziehung zu beschreiben. Nur so kann von Transkulturalität im Sinne von Wolfgang Welsch gesprochen werden. Diese Dynamik und Veränderlichkeit von Identitäten und Kulturen wird in allen angeführten Studien betont, wenn auch unterschiedliche praktische Ansätze gewählt werden. Starre Grenzen haben zwischen der polnischen und der deutschen Kultur nie bestanden, vielmehr hatten wir es seit jeher mit trans- kulturellen und translokalen Phänomenen zu tun. Ob diese Feststellung auch auf die Werke von deutsch-polnischen Migrantenautoren zutrifft, wird die Analyse zeigen. Artur Becker, Magdalena Felixa, Radek Knapp, Dariusz Muszer und Adam Sobo- czynski haben – als Kinder oder Erwachsene – die Grenze zwischen Osten und Wes- ten überschritten, ihre alte Heimat verlassen und in Deutschland oder in Österreich einen neuen Lebensabschnitt angefangen. Dementsprechend sind ihre literarischen Figuren Grenzgänger und Zuwanderer in einem neuen Land. Ihre Texte behandeln Bewegungen zwischen Osten und Westen sowie zwischen zwei Kulturkreisen. Die in Deutschland geborene Sabrina Janesch greift in ihren Romanen diesen für die Migrationsliteratur charakteristischen Problemkreis, wie die Begegnung mit dem Fremden, die Anpassung an die neuen kulturellen Verhältnisse etc., ebenfalls auf. Artur Becker, Radek Knapp oder Dariusz Muszer bekennen sich in ihrer neuen Hei- mat bewusst zu ihrem kulturellen Anderssein, das sie jedoch nicht als Behinderung, sondern als Chance empfi nden und verstehen sich als Vermittler zwischen den Kul- turen, was sie in vielen Interviews zum Ausdruck bringen. Die für die Fallstudien gewählten Autoren (Artur Becker, Radek Knapp, Dariusz Muszer, Magdalena Felixa, Adam Soboczynski und Sabrina Janesch) sowie ihre literarischen Texte wurden vor allem auf die Identitätsproblematik hin untersucht. Die Untersuchung der literarischen Gestaltung von Fragen, die mit der persönlichen Identität, mit Identitätsproblemen und der Suche nach der Identität zusammenhän- gen, profi tiert vor allem von den Erkenntnissen der Psychologie und der Sozial- wissenschaften. Daher wurde als Ergänzung das von Lothar Krappmann entwickel- te Identitätsmodell, die Identitätsbalance, für die Interpretation fruchtbar gemacht (KRAPPMANN 2000).

1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur

1.1. Exil versus Migration – Versuch einer Begriffs- und Generationsbestimmung der deutsch schreibenden Autoren polnischer Herkunft

Angesichts der gegenwärtigen kulturellen Transformationen, politischen Verände- rungen und weltweiten Globalisierungsprozesse sowie der Tatsache, dass die Werke der „nationalen“ Literaturen schon immer von Autorinnen und Autoren mit unter- schiedlichen kulturellen Hintergründen und Erfahrungen verfasst, verbreitet und gelesen wurden, erscheint es berechtigt, zuerst die Frage nach der Bedeutung der Begriffe Exil, Emigration, Migration zu stellen und über die Unterschiede nachzu- denken.5 Der Begriff Exil (lat. exilium, zu ex(s)ul = in der Fremde weilend, verbannt) bezeich- net die Auswanderung eines Menschen oder einer Volksgruppe aus dem eigenen Heimatland, die aufgrund von Ausweisung, Verbannung, Vertreibung, Ausbürge- rung, Zwangsumsiedlung, religiöser oder politischer Verfolgung sowie unerträgli- cher Verhältnisse im Heimatland hervorgerufen wurde und das anschließende Ver- bleiben im Ausland. Das Exil ist daher meist mit gewissen Einschränkungen der freien Entfaltung des Individuums am ursprünglichen Aufenthaltsort verbunden. Wie aus dem Obigen hervorgeht, zielen die Bezeichnungen „Exil“ oder „Emigra- tion“ (lat. emigrare = auswandern) in erster Linie auf die politischen, kulturpoliti- schen bzw. wirtschaftlichen Beweggründe für das Verlassen der Heimat.6 In seiner Geschichte war Polen infolge der geschichtlichen Entwicklungen (vor allem der über

5 Zu den Begriffen „Exil“, „Exilliteratur“ vgl. BEHRING/BRANDT/KLIEMS/TREPTE 2004: 15–65. 6 In der Fachliteratur werden diese beiden Begriffe nicht einheitlich verwendet, sondern mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt und voneinander unterschieden, obwohl eine klare begriffl iche Abgrenzung schwierig ist. Laut Theo Stammen ist „Exil“ ein von „außen aufgezwungener Ausschluß“, infolgedessen man ein Gebiet unfreiwillig verlässt. Bei der „Emigration“ trifft der Betreffende eine Eigenentscheidung, die politisch, religiös oder wirtschaftlich motiviert ist (STAMMEN 1987: 14–16). Den beiden Begriffen liegt aber dieselbe Grundbedeutung zugrunde: Wechsel des Wohnsitzes von einem Staat in einen anderen. 18 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ein Jahrhundert lang bestehenden staatlichen Nichtexistenz Polens, der deutschen Okkupation 1939–1945 und des kommunistischen Regimes in der Nachkriegszeit) mit mehreren Emigrationswellen in verschiedene Länder der Welt konfrontiert. So haben das Wirken der polnischen Exilanten im Ausland und sein Einfl uss auf die „binnenpolnische“ Kultur eine lange Tradition.7 Man könnte sich vielleicht sogar zur Feststellung versteigen, dass die größten Vertreter der polnischen Literatur und Kul- tur im 19. Jahrhundert, Juliusz Słowacki (1809–1949), Zygmunt Krasiński (1812– 1859), Adam Mickiewicz (1798–1855), Cyprian Kamil Norwid (1821–1883), deren Werke an die Polen in der Heimat gerichtet waren, sich bekanntlich an der pol- nischen Problematik orientierten und den Kanon der polnischen Literaturtradition bilden, Emigranten waren. Die grundlegenden ästhetischen und ideellen Kategori- en der polnischen Romantik wurden von Exilschriftstellern geschaffen und wirkten auf alle Arbeiten zur Romantik in Polen zurück, worauf Włodzimierz Bolecki auf- merksam macht (vgl. BOLECKI 2000). Die polnische Nationalhymne ist ebenfalls ein Exilantenlied (BOLECKI 2000: 139f.). Auch im 20. Jahrhundert schrieben wichtige Vertreter der polnischen Literatur [wie u.a. Witold Gombrowicz (1904–1969), Ma- rian Hemar (1901–1972), Gustaw Herling-Grudziński (1919–2000), Marek Hłasko (1934–1969), Jan Lechoń (1899–1956), Czesław Miłosz (1911–2004), Sławomir Mrożek (1930–2013), Jerzy Stempowski (1894–1969), Leopold Tyrmand (1930– 1985), Aleksander Wat (1900–1967), Kazimierz Wierzyński (1894–1969), Józef Wittlin (1896–1976), Włodzimierz Odojewski (geb. 1930), Stanisław Barańczak (1946–2014), Henryk Grynberg (geb. 1936), Adam Zagajewski (geb. 1945)] ihre besten Werke, die die polnische Binnenliteratur immer noch beeinfl ussen, im Exil. Nach 1945 sind viele Polen nach ihrer Flucht aus dem Heimatland 1939 im Ausland geblieben und viele andere haben sich – angesichts der politischen Situation in ih- rem Heimatland – für die Auswanderung entschieden, wobei London und Paris zu wichtigsten politischen und kulturellen Zentren des polnischen Exils in der Nach- kriegszeit wurden.8 Auch die Jahre 1968 (antisemitische und antiintellektuelle Hetz- kampagne) und 1981 (Niederschlagung der Solidarność-Bewegung und Verhängung des Kriegsrechts im Dezember) führten zu neuen Emigrationswellen. Die polnische nationale Tradition und ihre Wirkungsmacht spielten für das Exilan- tendasein in den meisten Fällen eine wichtige Rolle. Vor allem muss man in diesem Zusammenhang auf die identitätsstiftende und -bewahrende Funktion der polnischen Romantik aufmerksam machen. Seit dieser Epoche, deren Ziel der Kampf gegen die

7 Die polnische Exilliteratur ist Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen u.a. in folgenden Publikationen (Auswahl): BAŁASIEWICZ 1983, BEHRING/KLIEMS/TREPTE 2004, BIELATOWICZ 1970, BUJNOWSKI 1988, CORINO 1981, DANILEWICZ-ZIELIŃSKA 1978, DANILEWICZ-ZIELIŃSKA 1987, DEDECIUS 1974, DYBCIAK/KUDELSKI 2000, DYBCIAK 1990, FIK 1992, GAŁECKI/KERSKI 2000, GARLIŃSKI 1994, KLIMASZEWSKI/NOWAKOWSKA/WYSKIEL 1992, KLIMASZEWSKI 2002, KLIMASZEWSKI/LIGĘZA 2001, KLIMASZEWSKI/ LIGĘZA 1993, KRYSZAK 1995, PYTASZ/OLEJNICZAK 1994–1996, RICHTER/OLSCHOWSKY 1995, WILKIEWICZ 1991, ZIELIŃSKI 1990, ZDUNIAK-WIKTOROWICZ 2010. 8 In Westeuropa wurden politische und literarische Exilzeitschriften und -verlage gegründet: Die im Jahre 1947 in Paris gegründete wichtigste polnische Exilzeitschrift Kultura um Jerzy Giedroyc hat das politische Denken im Exil beeinfl usst. Auch die Londoner Wochenzeitschrift Wiadomości, die politische Zeitschrift Aneks der Gebrüder Smolar sowie die in den 1980er Jahren in Paris gegründete Literaturzeitschrift Zeszyty Literackie spielten eine wichtige Rolle im polnischen Kulturleben der Nachkriegszeit. 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 19

Feinde der Nation und die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität war und die in einem besonderen Maße eine Reaktion auf die Besetzung des Landes durch frem- de Mächte beinhaltete, sich schnell in patriotische „politische Rebellion“ verwan- delte und den „Fremden“, also einen „Nicht-Polen“ als einen potentiellen Gegner betrachtete (NAMOWICZ 2003: 307), musste man im Exil, in der Fremde, die eigene nationale Identität und die Tradition des Heimatlandes bewahren. Trotz der Angst vor der Gefährdung der nationalen Identität in der Fremde scheint die Exilerfahrung der polnischen Künstler und Schriftsteller im 19. Jahrhundert positive Auswirkun- gen gehabt zu haben. Eva Behring, Juliane Brandt, Alfrun Kliems und Hans-Christi- an Trepte (Herausgeber und Autoren von Grundbegriffe und Autoren ostmitteleuro- päischer Exilliteraturen 1945–1989) erkennen zu Recht, der „anregende Einfl uß der französischen Kultur“ zur Zeit der polnischen romantischen Emigration hätte „eine gewisse Öffnung bewirkt und allmählich eine kulturelle Osmose in Gang gesetzt, die ihren Ausdruck im spezifi schen Dialog polnischer Künstler und Schriftsteller mit dem Westen fand“ (BEHRING/BRANDT/KLIEMS/TREPTE 2004: 24). Im damaligen Exil ist „eine Literatur von Weltrang“ und „mit internationalem Bekanntheitsgrad“ ent- standen, „die damit wie selbstverständlich in einen nicht mehr herkunftsbezogenen Begriff von Nationalliteratur integrierbar wurde“ (BEHRING/BRANDT/KLIEMS/TREPTE 2004: 25). Im Gegensatz zu einem Teil der polnischen emigrierten Schriftsteller, die die von zu Hause mitgebrachte kulturelle Identität als Schutz gegen die fremden Einfl üsse pfl egten und sich vor der Sprache und Kultur des Gastlandes distanzierten, wirkte der Aufenthalt in der sog. Fremde bei einem großen Teil der Exilschriftsteller der Nachkriegszeit öffnend und erweiternd. Die Schriftsteller der „offenen“ Strömung innerhalb des Exils „widersetzten sich der Wirkung der romantischen Tradition so- wie dem traditionellen Bild des Polentums, der missionarischen Rolle der polnischen Kultur, deren konstitutiven Elementen sowie dem polnischen Ethnozentrismus, der Verklärung der polnischen „‚Leidensgeschichte‘ und der Xenophobie“ (BEHRING/ BRANDT/DÓZSAI/KLIEMS 2004: 303f.). Der romantische Diskurs über die polnische nationale Identität und Tradition prägt die Kultur Polens zumindest teilweise bis in die heutige Zeit.9 Im Polnischen funk- tioniert der von dem polnischen romantischen Exil des 19. Jahrhunderts geprägte Terminus „wygnanie“ (Vertreibung) – eine durch die äußeren Zwänge verursachte Auswanderung (vgl. BEHRING/BRANDT/KLIEMS/TREPTE 2004). Die älteren polnischen Emigrantengenerationen knüpften noch daran an. Die jüngere Exilgeneration, dar- unter z.B. der seit 1981 in den USA lebende (und 2014 verstorbene) polnische Ly- riker, Übersetzer und Literaturwissenschaftler Stanisław Barańczak, distanzierten sich von der Wirkungsmacht dieser Tradition sowie den „veralteten“ romantischen Vorstellungen und davon, die Bezeichnung „wygnanie“ (Vertreibung) auf die eigene

9 Vgl. dazu die Arbeiten von Maria Janion, u.a.: JANION, Maria (1975): Gorączka romantyczna. Warszawa: Państwowy Instytut Wydawniczy; JANION, Maria / ŻMIGRODZKA, Maria (1978): Romantyzm i historia. Warszawa: Państwowy Instytut Wydawniczy; JANION, Maria / ZIELIŃSKA Marta (1986) (Hrsg.): Style zachowań romantycznych. Warszawa: JANION, Maria (2000): Do Europy tak, ale razem z naszymi umarłymi. Warszawa: Sic!. 20 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Lebenssituation zu beziehen. Barańczak stellte folgende Frage: „Wäre es nicht bes- ser, überhaupt auf diesen Begriff zu verzichten und anstelle von „Exilant“ einfach von einem ‚Polen, der im Ausland lebt‘, zu sprechen?“ (BARAŃCZAK 1992: 20).10 Das Nachwirken der meist im 19. und frühen 20. Jahrhundert geprägten nationalen Exiltraditionen und Exilerfahrungen sowie die tradierten Begriffe und die damit zu- sammenhängenden emotionalen Vorstellungen sollen angesichts der neuen Situation in den europäischen Ländern (und natürlich auch in Polen) in Frage gestellt wer- den, wie es der selbst betroffene Stanisław Barańczak tat. Die polnische Exilliteratur als Phänomen konnte 1989 ihren Abschluss fi nden, weil die Wende der Aufteilung der Literatur in den offi ziellen und illegalen Umlauf den Boden entzogen hat (vgl. HENSELER/MAKARSKA 2013). Die ältere Generation der exilierten Autoren traf nach 1989 die Entscheidung, im Exilland zu bleiben.11 Einige ehemalige Exilschriftstel- ler, wie Włodzimierz Odojewski, Janusz Głowacki, Krzysztof Maria Załuski oder Adam Zagajewski, begannen ein Pendelleben zwischen dem Gast- und Heimatland zu führen, weil sie sich für eine dauerhafte Rückkehr aus persönlichen Gründen nicht entscheiden konnten.12 Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem demokrati- schen Umbruch in Europa verschwanden die politischen Kategorien „Exilant“ bzw. „politischer Flüchtling“. Die Aufteilung der polnischen Literatur in einen ersten (of- fi ziellen) und zweiten Umlauf (im Untergrund) ist verschwunden. Die politischen Kriterien und der Wohnort haben als Ordnungskriterien an Bedeutung verloren. Man verkündete auch den Abschied der polnischen Literatur vom Exil (vgl. JARZĘBSKI 1998), da die Exilliteratur mit der Abschaffung der Zensur sowie der neuen politi- schen Situation ihre Existenz beendet hätte. Aus Emigranten sind Migranten, Grenz- gänger, „Pendler“ zwischen Kulturen und Sprachen geworden. Die Exilschriftsteller, so Hans-Christian Trepte, wurden zu „im Ausland lebenden Autoren“ (TREPTE 2008: 190), von denen viele zwischen ihren Wohnorten in Deutschland, Österreich und Po- len pendeln und eine Zuordnung zu Exil-, Auslands- oder Binnenliteratur („literatura krajowa“) ablehnen (MACIEJEWSKI 2001: 18). Der 1956 in Kędzierzyn-Koźle gebo- rene und in lebende polnische Schriftsteller Janusz Rudnicki bezeichnete 2002 seine Lebenslage als einen Spagat zwischen Polen und Deutschland (vgl. RUD- NICKI 2002: 18). Mit Hilfe der Metapher einer Spagat-Existenz und dem Vergleich seines Aufenthaltes im Ausland mit einer Dienstreise (vgl. RUDNICKI 1994: 197) ver-

10 „Czy nie lepiej byłoby w ogóle z tego terminu zrezygnować i zamiast »emigrant« mówić po prostu »Polak mieszkający za granicą«, przy czym należałoby pamiętać o tym, że ani sam fakt mieszkania z jakich- kolwiek względów poza ojczyzną nie dyskwalifi kuje czyjejś polskości czy patriotyzmu, ani sama geografi czna odległość, choćby się mieszkało w Japonii czy Australii, nie jest tak decydującym czynnikiem dziś, kiedy policyjne ustroje upadają, granice otwierają się, a podróżuje się już od dawna nie dyliżansem czy dwukółką, ale odrzutowcem?“ (Deutsche Übersetzung zit. nach: BEHRING/BRANDT/KLIEMS/TREPTE 2004: 18). 11 U.a. Gustaw Herling-Grudziński (1919–2000), Jerzy Pietrkiewicz (1916–2007), Wacław Iwaniuk (1912– 2001), Danuta Mostwin (1921–2010), Marian Pankowski (1919–2011), Kazimierz Brandys (1916–2000), Jan Kott (1914–2001), Janusz Rudnicki (geb. 1956). Sie machten sich mit der Kultur und Sprache ihres Gastlandes vertraut, etablierten sich im jeweiligen Exilland und weigerten sich, ihr Leben wieder in ganz neue Bahnen zu lenken (vgl. MACIEJEWSKI 2001: 17–25). 12 Czesław Miłosz, Sławomir Mrożek kehrten nach Polen (Krakau) zurück. Mrożek lebte aber seit 2008 neuerlich in Südfrankreich, wo er auch gestorben ist. 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 21 sucht Rudnicki die veränderte Lage der emigrierten Schriftsteller nach 1989 – also auch seine eigene – in Worte zu fassen. Von der Forschung wurden Versuche unternommen, das schriftstellerische Werk von Autoren, die einige Zeit im Ausland lebten oder dort immer noch ihren Lebensmit- telpunkt haben, in der veränderten politischen und kulturellen Situation einzuord- nen. Die Forscher (und Emigrierte selbst) kamen zu der Feststellung, dass in Bezug auf die polnische Literatur nicht mehr von einer Exilliteratur im traditionellen Sinne des Wortes gesprochen werden kann, weil wir nach dem demokratischen Umbruch in Europa mit einer Wandlung des Exilverständnisses konfrontiert werden.13 Obwohl man zu keiner einheitlichen Defi nition und Bezeichnung kam, begegnete man un- terschiedlichen Benennungsvorschlägen. Bolesław Klimaszewski schlägt beispiels- weise vor, statt des Begriffs „Exilliteratur“ („literatura emigracyjna“), der nur auf die Jahre 1945–1989 bezogen werden kann, den Terminus „Literatur außerhalb des Heimatlandes“ („literatura powstała poza krajem“) zu verwenden (KLIMASZEWSKI 2001: 38). Wojciech Browarny gebraucht die Bezeichnung „Literatur im Ausland“ („literatura za granicą“) (BROWARNY 2002: 181). Janusz Maciejewski charakterisiert dieses Phänomen als „Literatur in der Fremde“ („literatura na obczyźnie“) (MACIE- JEWSKI 2001)14, Marian Płachecki als „das ausländische Polen“ („Polska zagranicz- na“) (PŁACHECKI 2004) und Bogusław Bakuła als die in den offenen Strukturen der globalen Literatur existierende „Diasporaliteratur“ (BAKUŁA 2001: 35), wobei der Begriff „Diaspora“ metaphorisch verstanden werden muss. Die polnische Forschung schlägt auch die Begriffe der Post- (MACIEJEWSKI 2001: 17), Semi- (KLIMASZEWSKI 2001: 31) und Quasi-Emigration (KLEJNOCKI 2004: 503) vor. Die deutschsprachigen Literaturwissenschaftler Hans-ChristianTrepte und Wolfgang Schlott fi nden den Terminus „emigrierte Literatur“ geeignet (TREPTE 2002: 417) (SCHLOTT 2004), wobei die Zäsur, die die Exilliteratur von der „emigrierten Literatur“ trennt, das Ende der 1980er Jahre setzte. Neben den terminologischen Erwägungen erhebt sich auch die Frage nach einer eventuellen Kontinuität zwischen Exil- und Migrantendasein, worauf auch die von der Forschung vorgeschlagenen Termini hindeuten mögen. Małgorzata Zduniak- Wiktorowicz vetritt den Standpunkt, dass die später auftretenden Phänomene in ei- nem engen Bezug zu einer breit verstandenen conditio des Emigranten stehen und eine „Postemigration“ andere Formen annimmt sowie weitere Perspektiven eröff- net, aus denen heraus man sie betrachten sollte (ZDUNIAK-WIKTOROWICZ 2013: 35f.). Wolfgang Schlott ist der Meinung, dass die „emigrierte Literatur“ solche Themen wie „Emigration“, „Leben in der Fremde“ bewältige, was sich in der kritischen Sichtweise des eigenen Landes in neuen Werten und Wertungen refl ektiert (SCHLOTT 2004: 11). Laut Hans-Christian Trepte ergibt sich die Kontinuität u.a. aus der fort- dauernden Thematisierung eines Fremdheitszustands, kultureller Grenzüberschrei- tungen sowie aus der Auseinandersetzung mit den Fragen der nationalen und kul-

13 Vgl. BARAŃCZAK 1992; CZAPLIŃSKI 1997; JARZĘBSKI 1998; MACIEJEWSKI 2001; TREPTE 2008. 14 Diese Bezeichnung wurde von dem polnischen Literaturhistoriker Wojciech Wyskiel für die nach 1945 im Exil entstandene polnische Literatur vorgeschlagen (vgl. WYSKIEL 1988). 22 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 turellen Identität, die im Falle der Autoren mit Migrationshintergrund „schwankt, doppelt oder bipolar“ (TREPTE 2008: 198) sein kann. All diese Bezeichnungen („Literatur außerhalb des Heimatlandes“,„emigrierte Lite- ratur“, „Literatur im Ausland“ etc.) setzten aber in jedem Fall voraus, dass es sich um Repräsentanten einer Nationalliteratur, einer nationalkulturellen Tradition handelt. Man könnte aber in Erwägung ziehen, ob man bei den zeitgenössischen Autoren mit Migrationshintergrund auf einen nationalen, herkunftsbezogenen Rahmen verweisen kann. Die junge Schriftstellergeneration, zu der auch die deutsch-polnischen (Mig- ranten-)Autoren (Artur Becker, Radek Knapp, Dariusz Muszer, Magdalena Felixa, Adam Soboczynski, Sabrina Janesch) gehören, entzieht sich eindeutiger Zuordnung. Diese Generation der transnationalen Autoren folgt eben der Tradition der transkul- turellen Identitätsbestimmung.15 Für sie ist die Verortung in der europäischen Kul- tur ein wichtiges identifi katorisches Bezugsfeld. Es sind Vertreter einer neuen Ge- neration, die kosmopolitisch ist, ihre Sprachheimat nach persönlichen Präferenzen und Neigungen frei wählt und sozusagen auf diese Weise das zusammenwachsende Europa repräsentiert. Auch das Schreiben in der Fremdsprache kann als ein Verfah- ren der Distanznahme zu dem Nationalen gedeutet werden. Wie in früheren Jahr- hunderten betrachten viele Migrantenautoren den Wechsel von Sprache zu Sprache als Selbstverständlichkeit. Es geht ihnen darum, zwischen den Kulturkreisen durch Aneignung mehrerer Sprachen, Kulturen und Traditionen vermittelnd zu wirken und nicht mit einem Staat oder einer Nation verbunden zu sein. Ihre Position zwischen (oder in) den Ländern, Sprachen und Kulturen kann vorteilhaft und literarisch äu- ßerst produktiv werden. Sie wollen sich unter den neuen kulturellen Bedingungen, in einer anderen Umwelt durchsetzen, sich im Kulturkreis des neuen Landes positi- onieren oder vielleicht sogar ihre kulturelle Identität neu entwerfen. Vielleicht sollte man im 21. Jahrhundert aufhören, die Exil- bzw. Literatur mit „Mi- grationshintergrund“ aus der Perspektive der Binnenliteratur zu betrachten und diese für den Fixpunkt zu halten, der die gegenseitige Wahrnehmung bestimmt und die Migrationsliteratur ihren Kategorien, Normen und Wertungskriterien zu unterziehen. Kann ihr Schaffen unter dem Blickwinkel der einen oder der anderen Nationallitera- tur betrachtet werden? Das wäre meines Erachtens nicht mehr gegenwartsbezogen.

1.2 Zu den Anfängen des literarischen Phänomens

Der Begriff der Emigration bezeichnet nicht nur die erzwungene, sondern auch die freiwillige Auswanderung aus dem Heimatland aus politischen, wirtschaftlichen, re- ligiösen oder persönlichen Gründen. Die Bezeichnung „Exilliteratur“ betrifft somit diejenigen Autoren, die eben aus politischen (oder im 20. Jahrhundert aus wirtschaft- lichen Gründen) zum Verlassen ihres Heimatlandes gezwungen wurden. Die Texte

15 Der Begriff „transnational“ verweist dabei auf gesellschaftliche und kulturelle Dynamiken sowie globale Interaktionen der Gegenwart, die auf Pluralisierungen, Umbrüche und Heterogenitäten deuten. 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 23 der Exilautoren werden meistens in der Muttersprache verfasst und die Migranten- autoren entscheiden sich in vielen Fällen aus verschiedenen Gründen für die Sprache des Gastlandes. Seit dem Fall der Berliner Mauer, des Symbols der Trennung und Teilung Europas, existiert die sog. Exilliteratur in Bezug auf Europäer nicht mehr. So unterscheidet sich auch der Begriff „Exilliteratur“ von dem Terminus „Migrationsli- teratur“/„Migrantenliteratur“, selbst wenn sich die Migrantenautoren in ihren Texten auch mit der Erfahrung auseinandersetzen, in einem fremdkulturellen Bezugssystem zu leben. Für die heutige Situation der Auswanderer zur Zeit der Globalisierung, die eigentlich mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte und durch den Zusammenbruch des Ostblockes und dem Ende der politischen Teilung der Welt eine sehr starke Beschleu- nigung erfuhr,16 wird der Begriff „Migration“ (lat. migratio = Wanderung, lat. mig- rare – wandern) verwendet. Die Begriffe „Exil“, „Emigration“ wurden durch andere wie „Migrant“ oder „Auswanderer“ ersetzt. Das Gewicht von Emigration verlagert sich in Richtung Migration, der eine Bewegung zugrundeliegt. Migrationen wurden auf allen Kontinenten zu charakteristischen Erscheinungen des letzten Jahrzehnts. Darunter wird in der Soziologie eine Form der horizontalen Mobilität, im weitesten Sinne jeder längerfristige Wohnortwechsel eines Menschen verstanden. Im engeren Sinn versteht man unter der internationalen Migration den Wechsel der Heimat und des Wohnsitzes mit Überschreitung einer Ländergrenze, worauf ich mich aufgrund der Themenstellung der Publikation hauptsächlich beschränken möchte. Die kul- turelle Globalisierung und internationale Migrationen sind in der Welt von heute die wichtigsten äußeren Faktoren, die die Nationalkulturen dynamisieren und ihren Wandel (Entwicklung) beeinfl ussen (ROMANISZYN 2002). Die Wandlungsprozesse, die sich in Mittel- und Osteuropa vollzogen haben, haben auch zur Intensivierung der Wanderungsbewegungen von Ost nach West sowie zwi- schen den einzelnen Ländern geführt. Migration bedeutet nicht nur, seine Heimat bzw. sein Geburtsland zu verlassen, sondern ebenfalls vertraute – auch stützende – Systeme hinter sich zu lassen und sich in neue hineinzufi nden (vgl. WOGAU/EIM- MERMACHER/LANFRANCHI 2004: 9). Es ist eine Erfahrung, „in der sich ein Individuum oder eine Familie auf eine Reise durch viele Phasen und soziale Systeme begibt und sich eine neue Heimat schafft“ (WOGAU/EIMMERMACHER/LANFRANCHI 2004: 46). Es bedeutet für den Migranten eine Neuorientierung und einen Neubeginn, sowohl im sozialen als auch im kulturellen Sinn. Begriffe wie Heimat und Nation stellen oft in der heutigen Welt keine stabilen Kategorien mehr dar. Identitätsverlust, bzw. Identitätsgewinn, Verpfl anzung und Neuverortung sind zu wichtigen Themen und Motiven im Leben des Einzelnen und somit in der Literatur geworden. In den 60er und 70er Jahren haben wir in der deutschsprachigen Literatur mit den ersten Anzeichen einer neuen Art von Literatur zu tun, die später, seit den 90er Jah- ren, als Migrations- bzw. Migrantenliteratur im Mittelpunkt des Interesses mancher

16 Zwischen Migration und Globalisierung besteht eine Wechselwirkung. Beide brauchen und fördern einander. 24 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Literaturwissenschaftler steht. Diejenigen Ausländer, die zum Zweck der Arbeits- aufnahme in die Bundesrepublik einwanderten oder in Deutschland politisches Asyl suchten17 und für die in den 60er und 70er Jahren der Begriff „Gastarbeiter“ in Ge- brauch kam, wollten sich literarisch über ihre besondere (wirtschaftliche, soziale), schwierige Situation und kulturelle Identität im fremden Gastland als Ausländer, als Migranten äußern. Es entstanden Texte über18 und von kulturellen Minderheiten der Einwanderer, wobei sich diese literarische Bewegung polyphon artikulierte, weil sie sich aus nationalen Sprachen der kulturethnischen Minderheiten zusammensetzte, die seit 1955 in die BRD gekommen sind (CHIELLINO 2000a: 54). Darunter gab es Autoren, die sich für ihre Herkunftssprache (wie z.B. Marisa Fenoglio, Giuseppe Giambusso aus Italien, Aras Ören, oder Güney Dal aus der Türkei) oder für die deut- sche Sprache als Mittel ihrer Kreativität (wie z.B. Franco Biondi, Gino Chiellino aus Italien, Emine Sevgi Özdamar, Kemal Kurt aus der Türkei u.a.) entschieden. So begann eine eigene, in deutscher Sprache verfasste Migrantenliteratur allmählich Konturen zu gewinnen. Obwohl nicht alle Migrantenautoren von damals Arbeitsmigranten waren und die Arbeitsmigration im eigentlichen Sinne 1973 infolge der wirtschaftlichen Rezession mit dem Anwerbestopp beendet wurde, etablierte sich in der Literaturwissenschaft der 1980er Jahre für die Literatur der Migranten der Begriff „Gastarbeiterliteratur“ (WEINRICH 1984), was man auch als eine begriffl iche Anknüpfung an die Tradition der Arbeiterliteratur in der Weimarer Republik verstehen kann. Von Bedeutung ist ebenso die Tatsache, dass sich manche Vertreter dieser Literatur mit der Bezeichnung („Gastarbeiterliteratur“) identifi ziert haben.19 Zugleich gab es auch Schriftsteller, die die Bezeichnung „Gastarbeiterliteratur“ oder überhaupt Einordnung nach themati-

17 Zu nennen sind v.a.: die Einwanderung aus dem Mittelmeerraum (ab 1955, der Anwerbevertrag mit Italien, Anwerbeverträge mit Spanien und Griechenland – 1960, mit der Türkei 1961, Marokko 1963, Portugal 1964, Tunesien 1965), die politischen Emigranten aus Osteuropa (ab 1968, Anwerbevertrag mit Jugoslawien), aus Lateinamerika (ab 1973) sowie aus Ländern des Nahen Ostens (Libanon, Syrien, Iran) im Laufe der 70er Jahre sowie eine Repatriierung der deutschstämmigen Familien aus Ost- und Südosteuropa in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Die massenhafte Arbeitsmigration wurde 1973 durch den Anwerbestopp beendet. 18 U.a. Reportagen über die Arbeitsbedingungen, Missstände und Diskriminierung wie z.B. von dem Mitbegründer der Dortmunder Gruppe 61 Max von der Grün Leben im gelobten Land. Gastarbeiterporträts (1975), der von Horst Kammrad herausgegebene Gast-Arbeiter-Report (1971), Günter Wallraffs Reportage „Gastarbeiter“ oder der gewöhnliche Kapitalismus aus seiner Sammlung Neue Reportagen, Untersuchungen und Lehrbeispiele (1972) sowie Ganz unten (1986); Mein Name Keskin (1985) von Marlene Schulz (vgl. WEIGEL 1992: 182–229). 19 Aus der Debatte einer Gruppe italienischer Autoren entstand (1975–1977) der Begriff „Letteratura Gast“. Es folgte dann der Begriff „Literatur der Gastarbeiter“ als Kernidee der beim Bremer CON-Verlag ins Leben gerufenen Reihe Südwind gastarbeiterdeutsch (1980–1983). Franco Biondi und Rafi k Schami (1981) haben eine „Literatur der Betroffenheit“ als Projekt vorgeschlagen (vgl. CHIELLINO 2000b). In ihrem Manifest „Literatur der Betroffenheit“ verwiesen Biondi und Schami, die 1980 zusammen mit Suleman Taufi q den „Polynationalen Literatur- und Kunstverein“ (PoliKunst, 1980–1987) gründeten, auf die Affi nität der Gastarbeiterliteratur zur Arbeiterliteratur. Die erste Phase war von existenziellen Fragen geprägt. Sie wollten sich mit dem Schicksal des Gastarbeiters und der Situation der Migranten in der BRD kritisch auseinandersetzen und betonten als ihre Hauptthemen Fragen der Identität, Verlust der Heimat, der Familie, der Sprache, und die Bedingungen, unter denen die Gastarbeiter leben. Es war ein Zeichen der Solidarität den eigenen Landsleuten (der eigenen Minderheit) gegenüber (BIONDI/SCHAMI 1981: 124–125). 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 25 schen sowie nationalen Kategorien ablehnten (vgl. FREDERKING 1985: 49; WIERSCHKE 1997: 181). Manche fühlten sich von deutscher Seite bevormundet und vereinnahmt (ESSELBORN 1997: 55). Die Autoren wehrten sich gegen eine solche Zuordnung auch deswegen, weil man dabei das Außerliterarische, wie die Biografi e, Herkunft und den gesellschaftlichen Statuts in Betracht zieht und das Literarische vernachlässigt. Im Laufe der Zeit setzten sich neue Benennungen für die Literatur durch, die von nicht-deutschsprachigen Autorinnen und Autoren in der Bundesrepublik, in Öster- reich und der Schweiz geschaffen wurde. Man schlug für diese ethnisch, biogra- fi sch und künstlerisch vielfältige Literatur entsprechend verschiedene Bezeich- nungen vor, z.B. „Gastliteratur“20, „eine deutsche Literatur von außen“ (WEINRICH 1983)21,„Migrantenliteratur“ (SCHIERLOH 1984), „Emigrantenliteratur“ (BIONDI 1984), „Literatur in der Fremde“ (CHIELLINO 1989), „Literatur von innen“ (TAUFIQ 1985), „eine Brückenliteratur“ (SENOCAK 1986), „eine nicht nur deutsche Literatur“, „aus- länderdeutsche Literatur“ (ESSELBORN 2010: 108) und „Ausländerliteratur“ (ACKER- MANN/WEINRICH 1986), „Minderheitenliteratur“ (ESSELBORN 2009), „Literatur natio- naler Minderheiten“ (REEG 1988), „Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext“ (RÖSCH 1992), „Literatur in der multikulturellen Gesellschaft“ (ŞÖLÇÜN 1992) oder „grenzüberschreitende Literatur“ (PICCOLO 1999), „multinationale deutsche Litera- tur“ (GRÄF/GRÄF 1995) sowie „Immigrantenliteratur“ (PROBUL 1997). Sigrid Weigel spricht sich für eine „kleine Literatur“ im Kontext der fünf deutschsprachigen Litera- turen“ aus (WEIGEL 1992). Thomas Wägenbaur schlägt als Alternative den Begriff der „interkulturellen Literatur“ (WÄGENBAUR 1995a: 23) vor und Karl Esselborn „Litera- tur der Interkulturalität“ (ESSELBORN 1997). Barbara A. Fennell ist der Meinung, dass die ausländische Literatur in der BRD ihre eigenen Charakteristika schuf, die anders sind als die der Literatur des Heimatlandes und des Gastlandes und die direkt aus der Kontaktsituation entstanden sind, so dass wir vielleicht auch von einer Art Kontakt- literatur sprechen können (FENNELL 2000: 159f.). Bachmann-Medick bezieht sich auf Clifford Geertz und Homi Bhabha und schlägt das Konzept der hybriden „Weltlitera- tur“ vor (BACHMANN-MEDICK 1994).22 So werden unterschiedliche Annäherungen an Texte und AutorInnen signalisiert, aber in den meisten Fällen deutlich gemacht, dass das primäre Klassifi kationsmerk- mal hierbei die Biografi e der Schriftsteller ist und nicht unbedingt die Texte selbst. Schon an dem Ringen um die endgültige Bezeichnung kann man aber auch erkennen, dass diese Art der Literatur eine heterogene Erscheinung ist, die sich gegen Homoge-

20 „Deutsche Gastliteratur“ ist Harald Weinrichs Vorschlag in Anlehnung an den Begriff „Letteratura Gast“ der italienischen Migranten, der aus der Debatte einer Gruppe italienischer Autoren entstand. Sie wollten von Deutschland aus eine italienischsprachige Literatur weltweit produzieren. 21 In dem Sammelband Eine nicht nur deutsche Literatur schreibt Weinrich: „Ich fi nde, alle Namen sind schlecht, ganz gleich, ob man Ausländerliteratur, Zweisprachigkeitsliteratur, Minderheitenliteratur, Immigrantenmliteratur oder sonstwie sagt. Was mich betrifft, so sage ich am liebsten: Chamissos Enkel“ (WEINRICH 1986: 9). 22 Durch die Migration aus ehemals kolonialisierten Regionen hat sich in westlichen Zentren infolge des Nebeneinanders verschiedener Ethnien und Migrantengruppen eine neue postkoloniale hybride Mischkultur und -literatur entwickelt. 26 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 nisierungsversuche wehrt. Der Begriff „Migrationsliteratur“ ist in der deutschen Li- teraturwissenschaft auch deswegen umstritten, weil einige Autoren und Autorinnen befürchten, als „Migrantenautoren“ nur aufgrund ihrer Herkunft wahrgenommen zu werden. Sie verlangen eine Anerkennung als deutsche Schriftsteller, unabhängig von ihrem Migrationshintergrund. Obwohl sich die deutsche Literaturwissenschaft seit einigen Jahrzehnten mit dem Thema „Literatur der Migration“, „Migrantenliteratur“ beschäftigt und nach Kri- terien für eine Zuordnung bzw. Abgrenzung sucht, bereiten die Migrantentexte den Literaturwissenschaftlern immer noch gewisse Benennungsschwierigkeiten und es herrscht – wie Volker C. Dörr bemerkt – in der Literaturwissenschaft eine gewisse Unklarheit darüber, wovon man sprechen soll und worüber man eigentlich sprechen will (DÖRR 2008: 17).23 Die Migrantenliteratur lässt sich nämlich weder auf außerli- terarische, biografi sche, noch auf rein ästhetische, thematische oder formale Aspekte erschöpfend zurückführen (vgl. SCHMITZ 2009). Laut Karl Esselborn erscheint der Versuch einer Subsumtion unter einen gemeinsamen Oberbegriff „fast aussichtslos und wenig sinnvoll“ (ESSELBORN 1997: 49). Der Grund dafür liegt in der Heteroge- nität dieser Literatur, der Vielfalt der ethnischen, biografi schen und künstlerischen Besonderheiten sowie in ihrem ständigen Wandel. Bei der Suche nach Kriterien der Zuordnung bzw. Ausgrenzung stellen sich die Forscher z.B. die Frage, ob die Bio- grafi e der Autoren oder vielleicht Themen und Inhalte (die thematisierten Kulturun- terschiede, Erfahrungen der Fremde, interkulturelle Erfahrungen) entscheidend sein sollen. Wie lassen sich dann die zweisprachig Aufgewachsenen, die Migranten der zweiten und dritten Generation, die im deutschsprachigen Raum geboren und groß geworden sind, für die Deutsch eine selbstverständliche Zweitsprache ist, zuordnen? Und wie soll man deutsche Autoren, die sich literarisch mit der Arbeitsmigration nach Deutschland oder mit dem Exil, mit fremden Kulturen und Ländern auseinan- dersetzen, betrachten? Man überlegt dabei auch, ob es sich im Falle der auf Deutsch schreibenden Migran- tenautoren um eine eigenständige Literatur handelt oder ob sie zu der „deutschen“ bzw. „österreichischen“ Literatur gehört. Gehören Inhalte, Literatursprache und For- men zu der „fremdkulturellen“ oder deutschen Tradition? Oder macht das „Multi- bzw. Interkulturelle“ dieser Literatur ihre Besonderheit aus? Man bietet im Allgemeinen folgende terminologische Unterscheidung an, obwohl sie auch „einige nicht unerhebliche Probleme“ (DÖRR 2008: 18) birgt: Die Litera- tur, die von Menschen mit Migrationserfahrung oder von in Deutschland geborenen Menschen mit familiären Migrationshintergrund geschrieben wird, wird als „Mig- rantenliteratur“ defi niert und von dem Begriff „Migrationsliteratur“ abgegrenzt, der für diejenige Literatur verwendet wird, in der es um Migration geht (DÖRR 2008: 18). Der Begriff „Migrationsliteratur“ ist – laut Maria Brunner – „weniger auf die Bio- grafi e der Autoren und Autorinnen fi xiert, sondern vor allem thematisch orientiert; außertextuelle Analyseraster werden hauptsächlich durch textinhärente erweitert,

23 Zur Darstellung und Kritik aktueller Begriffsprägungen vgl. auch: DÖRR 2010, KEINER 1999, BLIOUMI 2000. 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 27 d. h. über die Zugehörigkeit zur Migrationsliteratur entscheidet weniger die Bio- grafi e der Autoren und Autorinnen, sondern die Form- und Inhaltsebene der Texte, also auch und vor allem die Sprach- und Identitätsthematik“ (BRUNNER 2005: 172). Cornelia Zierau defi niert die Migrationsliteratur als Literatur, „in der es aufgrund der biographischen Erfahrung, in einem fremdkulturellen Bezugssystem zu leben, zu einer textuellen Auseinandersetzung mit kulturellen Identitäten und Differenzen kommt“ (ZIERAU 2009: 22). Seit 1985 wird von der Robert Bosch Stiftung der Adelbert-von-Chamisso-Preis verliehen, zu dessen Preisträgern auch zwei deutsch-polnische Migrantenautoren, Radek Knapp (2001) und Artur Becker (2009), gehören. Die Einrichtung des Cha- misso-Preises geht auf eine Idee des bereits erwähnten Harald Weinrich zurück. Mit diesem Preis werden Autoren ausgezeichnet, „deren Muttersprache und kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist, die mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten“.24 Inzwischen wird sogar von der „Chamisso- Literatur“ gesprochen, worauf Nuria Wrobel aufmerksam macht. Laut Wrobel steht die Bezeichnung für einen Wandel, der sich innerhalb dieser Literatur vollzogen hat: „Autoren nichtdeutscher Herkunft, die heute schreiben, bewegen sich zwar immer noch vor dem Hintergrund ihrer fremden Herkunft, sind jedoch häufi g in Deutsch- land geboren und integriert – im Vordergrund ihrer Texte stehen nicht mehr die Probleme mit der eigenen Identität und der Integration in eine ‚neue Gesellschaft‘“ (WROBEL 2009). Wrobel deutet darauf hin, dass manche Schriftsteller mit Migrati- onshintergrund den Ausdruck „Chamisso-Literatur“ als Stigmatisierung betrachten, weil sie sich gleichermaßen als deutsche Schriftsteller wie muttersprachlich deut- sche Autoren sehen. Die Verleihung des renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises an Emine Sevgi Özdamar im Jahre 1991 markierte eine Wende in der Wahrnehmung der Migrantenliteratur, die seitdem vom Lesepublikum als „ästhetisch avanciert“ (ESSELBORN 2009: 44) aufgenommen wird. Der Begriff „Migrationsliteratur“ ist in der deutschen Literaturwissenschaft eben auch deswegen umstritten, weil einige Autoren und Autorinnen befürchten, als „Mi- grantenautoren“ nur aufgrund ihrer Herkunft wahrgenommen zu werden. Sie ver- langen eine Anerkennung als deutsche Schriftsteller, unabhängig von ihrem Migra- tionshintergrund. Um einen geeigneten wissenschaftlichen Zugang zur Migrantenliteratur zu fi nden, sollen zuerst eine Defi nition der Erscheinung, die literaturwissenschaftliche Rezep- tion und die damit verbundene Terminologie vorgestellt werden. Interesse verdient in diesem Zusammenhang, wie diese Literatur innerhalb des deutschsprachigen Lite- raturbetriebs präsentiert und wahrgenommen wird. Es sollen auch die gängigen Be- griffe, mit denen man dieses Phänomen literaturwissenschaftlich zu fassen versucht, erörtert und die Begriffswahl für die vorliegende Arbeit begründet werden.

24 Die offi zielle Formulierung zit. nach der Homepage der Robert Bosch Stiftung, http://www.bosch- stiftung.de/content/language1/html/4595.asp, [20.09.2012]. 28 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

In den letzten Jahrzehnten wurde eine umfangreiche Sekundärliteratur erarbeitet, die sich auf das Phänomen der Interkulturalität und der Migrationsliteratur bezieht.25 Überlegungen zu dieser Problematik und ihrer Darstellung in der Literatur entstam- men teils der Literaturwissenschaft, teils anderen Wissenschaftsbereichen, in denen sowohl anthropologische und psychologische als auch politologische, historische und sozioökonomische Fragestellungen zu dieser Problematik formuliert und unter- sucht wurden.26 Auf diese Weise wurden die Grundlagen erarbeitet. Die Vertreter/innen des Faches Deutsch als Fremdsprache (u.a. Harald Weinrich und Irmgard Ackermann) haben diese literarische Produktion als eigenen Forschungsbereich entdeckt: Diese Lite- ratur (die Texte der sog. Gastarbeiter) hat möglicherweise den Legitimationsbeweis für das Fach DaF geliefert (vgl. AMODEO 1996: 21; ESSELBORN 1997), weil die lite- rarischen Erzeugnisse der vor allem aus der Türkei stammenden Autoren zunächst als Lernerfolge registriert unter das Patronat der aufstrebenden Disziplin fi elen, wie Volker C. Dörr leicht ironisch bemerkt (DÖRR 2009: 59). Man betonte ihre Bedeu- tung (insbesondere die häufi g thematisierten Fremdheitserfahrungen, die auch die Lern- und Lebenssituation der Migranten im Zielsprachenland betreffen) für die Vermittler wie auch die Adressaten von Deutsch als fremder Sprache im Sprachun- terricht. Mit dem fachbezogenen Hinweis „Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext“ hat Heide Rösch dieselbe zum Forschungsbereich des Faches „Interkultu- relle Erziehung“ erklärt (RÖSCH 1992). Beim interkulturellen Lernen ist nämlich der Erwerb einer interkulturellen literarischen Kompetenz im interkulturellen Diskurs ein wichtiges Lernziel (vgl. HOPSTER 1998; ESSELBORN 1997). Unterschiedliche Faktoren haben dazu beigetragen (z.B. die bundesdeutsche Debatte über interkulturelle Prozesse im Lande als ein Versuch der Teilnahme am internatio- nalen Interkulturalitätsdiskurs), dass die Literaturforschung im Laufe der 80er Jahre auf die interkulturelle Literatur innerhalb der deutschsprachigen Literatur der Gegen- wart aufmerksam geworden ist. Noch in der ersten Hälfte der 80er Jahre betrachtete man die Migrantentexte – im Sinne einer „Literatur der Betroffenheit“ – einseitig und betonte vor allem ihren dokumentarischen Charakter als Beschreibung eigener Migrationserfahrungen und -existenz. Immacolata Amodeo, die sich mit den dama- ligen Tendenzen der Forschung zur Migrantenliteratur kritisch auseinandersetzt, macht darauf aufmerksam, dass die literarische Öffentlichkeit sich „den Texten mit einem Desinteresse an der ästhetischen Beschaffenheit oder mit einer fast grenzen- losen Großzügigkeit im ästhetischen Urteil“ (vgl. AMODEO 1990) näherte. Amodeo kritisiert auch die Verwendung der Bezeichnung „Gastarbeiterliteratur“ für die ge-

25 Als Zeichen für die anhaltende Aktualität des Themas seien folgende Publikationen genannt: ANTOR (2006), BENTHIEN/KRÜGER-FÜRHOFF (1999), BÖHLER/HORCH (2002), BLIOUMI (2002a), CHIELLINO (1995, 2000c), DETERING/KRÄMER (1998), FISCHER/ MCGOWAN (1997), FLUDERNIK/GEHRKE (1999), HA (2004) HOWARD (1997), LAMPING (2001), PROBUL (1997): SCHENK/TODOROV/TVDIK (2004), SCHMITZ-EMANS (2004). 26 Vgl. BADE 1996, BREZOVSZKY/SUPPAN/VYSLONZIL 1999, DIETRICH 2001, DÜSSEL/EDEL/SCHNÖDLBAUER 2001, GLISSANT 2005, HAFNER 1998, HOFFMANN 2003, KOOPMANN/POST 2001, LEZZI/EHLERS 2003, LOHMANN/ WEISSE 1994, MATTES 1992, TERKESSIDIS 2000, THUM 1998, WIEBEL/ZIZEK 1997, WIERLACHER 1993a, WUNBERG/ BINDER 1996. 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 29 samte Literatur der Migranten, zumal sich die Betrachtungsweise dieser Literatur im Laufe der Zeit geändert hat (AMODEO 1996: 36). Inzwischen wird die interkulturelle Literatur als eine „Herausforderung an Konzepte homogener nationaler Identitäten, als Form des Schreibens nach der Aufl ösung von festen nationalen Kulturbegriffen“ sowie als eine „Literatur der Hybridität und der Patchwork-Identitäten“ begriffen, die den Gegebenheiten der Globalisierung angemessener sei (SCHMITZ 2009: 8). Im Laufe der Zeit stellten sich die Literaturwissenschaftler immer häufi ger Fragen nach der ästhetischen Qualität der Migrantentexte. Der Wiedervereinigung folgte das Interesse der Literaturwissenschaft für die Kulturbeziehungen zwischen Ost und West. Die erwünschten Schwerpunkte waren „nationale Eigen- und Fremdbilder“, „außereuropäische Literaturen in europäischen Sprachen“ und „Literaturen von Minderheiten“. Seit den 90er Jahren erscheinen in Deutschland wissenschaftliche Publikationen, die unter Multikulturalität die Zunahme von Bevölkerungsgruppen anderer ethni- scher und kultureller Herkunft im Zuge der Migrationsprozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstehen. Seit den 90er Jahren kann man auch die gestiegene Sensibilität der Literaturwissenschaft und wissenschaftliche Wahrnehmung der Mi- grantenliteratur beobachten. Die Migrantentexte wurden dann als Nachweis für die These vereinnahmt, dass die Gastarbeiter bereit waren, die Sprache der Gastgesell- schaft auf kreative Weise zu bereichern (vgl. CHELLINO 2000b: 387). Der Sprache der Migrantentexte wird ein besonderes Interesse geschenkt. Laut Carmine Chiellino offenbart sich „[ä]sthetische Autonomie […] immer mehr durch die Fokussierung von interkulturellen Themen und durch das Beharren auf einem kreativen Umgang mit der Sprache“, was „eine Revitalisierung der bundesdeutschen Sprache durch Zufuhr von unbekannten Redewendungen und Metaphern“ (CHIELLINO 2000a: 62) bewirken könnte. Die Auslandsgermanistik, orientiert an ,German Studies‘ und kulturwissenschaft- lichen Konzepten, setzt sich ebenfalls mit der Migrantenliteratur auseinander. Die Germanistik in den multikulturellen USA beschäftigt sich mit den Texten der Mig- ranten im Zusammenhang mit der postkolonialen Literatur und dem Minderheiten- Diskurs. In der nordamerikanischen Germanistik zeichnen sich drei Schwerpunk- te ab. Die Germanistin Iman O. Khalil arbeitet seit Mitte der 80er Jahre über die Rezeption von AutorInnen arabischer Herkunft in Deutschland (vgl. z.B.: KHALIL 1997a, 1997b), der Schwerpunkt der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Leslie A. Adelson, die eine interdisziplinäre Erweiterung der Forschungen um eine multikulturell orientierte Kulturforschung fordert, liegt auf den deutschsprachigen AutorInnen türkischer Herkunft (vgl. z.B.: ADELSON 1990, 1997, 2002). Den dritten Schwerpunkt bildet der Bereich der Frauenforschung.27 Mit der Migrantenliteratur beschäftigen sich auch die kulturwissenschaftlich orien- tierte Interkulturelle Germanistik sowie manche Forschungszweige der Komparatis- tik (komparatistische Imagologie). Doris Bachmann-Medick plädiert beispielsweise

27 Es gehören dazu Arbeiten, die auf Deutsch in Deutschland erschienen sind. U.a.: WIERSCHKE (1996). Zu den nennenswerten nordamerikanischen Arbeiten zählen auch: ARENS (2000–2008) sowie BAVAR (2004). 30 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 für eine kulturanthropologische Erweiterung der germanistischen Studien und für eine Öffnung der Interkulturellen Germanistik gegenüber unterschiedlichen Außen- perspektiven auf die deutsche Literatur, gegenüber der Rolle literarischer Texte für die Auseinandersetzung zwischen den Kulturen. Ihrer Meinung nach sollte die Inter- kulturelle Germanistik nationenübergreifende Textkonstellationen untersuchen und die „Minoritätenliteratur“/„Ausländerliteratur“ als Bestandteile der deutschen Lite- ratur anerkennen (vgl. BACHMANN-MEDICK 1996). Das von Carmine Chiellino im Jahre 2000 herausgegebene Handbuch Interkulturelle Literatur in Deutschland gibt einen Überblick über die in der bundesrepublikani- schen Literaturgeschichte anwesenden Autoren, die unterschiedliche Minderheiten repräsentieren. In diesem Handbuch fi ndet man Beiträge zu Literaturen aus den An- werbeländern (Italien, Spanien, Griechenland, ehemaliges Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten, Portugal, Türkei), zu Literatur der Russlanddeutschen, der russi- schen EmigrantInnen, der deutschsprachigen Minderheit Rumäniens, zu brasiliani- schen und spanischsprachigen AutorInnen aus Lateinamerika, sowie zu AutorInnen aus dem arabischen, schwarzafrikanischen und asiatischen Kulturraum. In einem von Klaus-Peter Walter verfassten, eher kurzen Beitrag wird die Literatur osteuropä- ischer Migranten präsentiert (WALTER 2000). Gemeint sind die ehemaligen sozialistischen Länder wie die ehemalige Tschechoslo- wakei, Ungarn, Polen und Bulgarien. Den polnischen Migranten werden in diesem Kapitel des Handbuchs nur anderthalb Seiten gewidmet. In dem äußerst kurzen „pol- nischen“ Unterkapitel wird ausschließlich der 1928 in Bochnia geborene „Wanderer zwischen den Sprachwelten (polnisch, tschechisch und russisch)“ Gabriel Laub als einziger Autor fi ktionaler Prosa besprochen. Außer ihm werden noch Marcel Reich- Ranicki als der „dank seiner Medienpräsenz“ „wohl bekannteste deutsche Literat polnischer Herkunft“ und der „Romancier und Journalist“ Tadeusz Nowakowski (1929–1996), der seine Romane auf Polnisch schrieb, kurz erwähnt (WALTER 2000: 195f.). Elżbieta Katarzyna Dzikowska kritisiert mit Recht, dass sich in diesem „in vielem ungenau recherchierten Bericht im dicht besetzten Umfeld eine verkürzte, weil stark stereotypisierte Wahrnehmung, oder besser gesagt, Nichtwahrnehmung Ostmitteleuropas“ situiere (DZIKOWSKA 2006). Laut Dzikowska hat Klaus-Peter Wal- ter die historischen Prozesse und politischen Kontexte, biografi sche Hintergründe und Prozesse des deutsch-polnischen Kulturaustausches von langer historischer Dauer, unter deren Einfl uss sich die von ihm genannten Autoren in einem bestimm- ten Abschnitt ihres Lebens entschieden haben, in den deutschsprachigen Raum zu gehen, um dort unterschiedliche Wege der Akkulturation bzw. Assimilation einzu- schlagen, völlig ausgespart. Irmgard Ackermann machte 2008 in dem Sammelband Eine Sprache – viele Hori- zonte… Die Osterweiterung der deutschsprachigen Literatur. Porträts einer neuen europäischen Generation auf die „Osterweiterung in der deutschsprachigen Mig- rantenliteratur“ aufmerksam (ACKERMANN 2008). Gemeint sind diejenigen Autoren, die aus Ost- und Südosteuropa in die deutschsprachige Literatur einwandern und die deutsche Sprache zum Medium ihrer literarischen Kreativität machen, wobei die Osterweiterung der deutschsprachigen Literatur nicht erst mit der Wende von 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 31

1989 eingesetzt hat. Schon nach dem Ersten Weltkrieg gab es Einwanderung von osteuropäischen Autoren – oft linksintellektuelle oder jüdische Autoren, oft mit stark kosmopolitischem Hintergrund, meist aus dem ehemaligen österreichisch- ungarischen oder dem deutsch-tschechischen Prager Kulturraum stammend, in den deutschsprachigen Raum und in die deutschsprachige Literatur (ACKERMANN 2008: 14). Die politischen Ereignisse haben eine zweite Welle der literarischen Osterwei- terung hervorgerufen. Laut Ackermann haben wir etwa seit Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts mit einem neuen Abschnitt der Einwanderung in die deutsche Sprache zu tun, der vor allem mit der wachsenden Migrationsbewegung im Zusam- menhang steht (ACKERMANN 2008: 15f.).

1.3. Texte der Migranten und der Erwartungshorizont ihrer Rezipienten – einige Bemerkungen

Die Schriftsteller mit „Migrationshintergrund“ werden sehr oft mit Klischeevorstel- lungen über „Migranten“ (Einwanderer) und Erwartungshaltungen seitens der Rezi- pienten konfrontiert. Die Literaturkritik setzt oftmals einen grundsätzlichen kulturel- len Unterschied zum deutschsprachigen Lesepublikum voraus. Obwohl die Herkunft und nationale Kategorien in der globalisierten Welt eigentlich weniger wichtig wer- den sollten, prägen nationalstaatliche Grenzziehungen im literarischen Feld nach wie vor den Blick vieler Literaturkritiker. Der Begriff reduziert die Migrantenauto- ren auf ihre nationale und kulturelle Herkunft sowie auf ihre Migrationsgeschichte, also auf das vermutliche „Fremdsein“, auf ihre Position „zwischen den kulturellen Stühlen“, auf das „Dazwischen“ bzw. auf eine Bewegung zwischen zwei Kulturen. Die Betonung der nationalen oder kulturellen Herkunft der Autoren mit Migrations- hintergrund seitens der Literaturkritik kann die Gefahr beinhalten, dass sich die Re- zeption zu wenig mit den eigentlichen literarischen Texten auseinandersetzten kann oder will. Auf diese Weise ist auch sowohl die Erwartungshaltung der Rezipienten als auch die Lektüre der Texte vorgeprägt. Obwohl Immacolata Amodeo darauf ver- weist, dass der Lebenslauf nur eine der möglichen Quellen der schriftstellerischen Inspiration bildet (AMODEO/HÖRNER/KIEMLE 2009: 71), werden die Herkunft des Au- tors und kulturelle Differenzen von den Rezipienten in den meisten Fällen betont, die Biografi e des Schriftstellers wird zur Grundlage der Rezeption, nach deren Spu- ren die Rezensenten in den einzelnen Texten suchen, sowie – bei den deutsch-polni- schen Migrantenautoren – nach dem „Typisch-Polnischen“ bzw. „Slawischen“. Die Migrantenschriftsteller werden in hohem Maße in den Buchbesprechungen und Re- zensionen auf ihre ethnische Herkunft reduziert. Man setzt somit einen grundsätzli- chen Unterschied zwischen dem Autor des Textes und dem deutschen Lesepublikum voraus. Die angebliche, der Migrantenliteratur zugeschriebene „Fremdheit“ wird nicht unbedingt von dem literarischen Text selbst, sondern in vielen Fällen von pa- ratextuellen Elementen, die den Text umgeben, vermittelt. Der Erwartungshorizont 32 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 des Lesers wird durch den Klappentext, Autorenfotos oder den Autorennamen, der „fremdländisch“ klingt, als der letzte vermeintliche Fixpunkt kultureller Zugehörig- keiten, entsprechend gesteuert (DÖRR 2008: 23). Es dürfte in diesem Zusammenhang noch von Interesse sein, dass der Autor heutzutage oft als Marke konzipiert wird und die vom Literaturbetrieb verwendete Vermarktungsstrategie seine „Fremdheit“, bzw. „Exotik“ als einen Teil der Inszenierung mitkonstruiert und den Blick auf den literarischen Text beeinfl usst (vgl. REICHWEIN 2007: 91f.). Diese Marktorientierung wird der Migrantenliteratur von ihren Kritikern oft unterstellt. Die Leser und Kritiker erwarten außerdem, dass die Migrantenautoren vor allem Migration und ihre Erfahrung in ihren Texten thematisieren, obwohl manche Auto- ren mit Migrationshintergrund, wie z.B. Magdalena Felixa oder Adam Soboczyn- ski, zum Teil auch Radek Knapp, im deutschsprachigen Kulturraum sozialisiert und mit der deutschen Sprache (Knapp, Soboczynski) aufgewachsen oder – wie Sabrina Janesch – in Deutschland geboren sind und sich mit vollem Recht als Repräsentan- ten der deutschen Kultur betrachten können. Sie sind keine „Vertreter nationaler Identitäten“ mehr. An die Migrantentexte wird die Forderung der Authentizität gestellt, obwohl die Authentizität des Selbsterlebten als ästhetisches Kriterium veraltet erscheint (vgl. DÖRR 2006: 151) und die angebli- che Authentizität von den Rezipienten selbst konstruiert wird. Harald Weinrich for- derte beispielsweise von der Gastarbeiterliteratur einen „Zuwachs an existentieller und gesellschaftlicher Erfahrung“ (WEINRICH 1983: 917). Es wird seitens der Literaturkritik außerdem oft vorausgesetzt, dass die Autoren über eine begrenzte Auswahl an Themen verfügen. Ihr Thema ist ihr Heimatland oder ihr Leben als Migrant in Deutschland. Dazu gehört auch die oft klischeehafte Vor- stellung, der Migrant fühle sich zwischen zwei Kulturkreisen zerrissen. Daher wird von dem Rezipienten ausgerechnet die Thematisierung dieser Erfahrungen erwartet. Volker C. Dörr stellt fest: „Texte von Migranten werden gelesen als Dokumente eines gewissermaßen ‚interkulturellen Gedächtnisses‘. Und dieses […] konstituiert sich nicht als Summe der betroffenen kulturellen Gedächtnisse, sondern als deren Differenz. Der prototypische Migrant ist eben nicht etwa Türke und Deutscher, son- dern er ist weder Deutsche noch Türke“ (DÖRR 2006: 153, kursiv im Original). Dies schlägt sich auf den Erwartungshorizont gegenüber der Migrantenliteratur nieder. Die SchriftstellerInnen werden in den Interviews als „Kulturbotschafter“ herangezo- gen. Die Literaturkritik verbannt diese Schriftsteller oft auf eine Dazwischen-Positi- on und erwartet, dass diese Migrantenliteratur zwischen zwei Kulturen vermittelt. Es ist „eine Rolle, die sie kaum ausfüllen kann und die es auch gar nicht gibt, weil die beiden Instanzen, zwischen denen vergeblich zu vermitteln ist, so nicht existieren“ (DÖRR 2008: 32). Die einzelnen Autoren begegnen solchen Erwartungshaltungen unterschiedlich: ei- nige bestätigen diese stereotype Wahrnehmung, nutzen sie aus und machen daraus ihre Vermarktungsstrategie (wie z.B. Becker, Knapp), andere wiederum lehnen be- wusst die einseitige Wahrnehmung und das aufgedrückte Etikett als Migrationsautor (also im Grunde als ein „nicht deutscher“ Schriftsteller) sowie die einseitige Re- 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 33 zeption ihrer Texte ab oder aber lassen sich nicht auf diese Art und Weise eindeutig einordnen (Muszer, Soboczynski, Janesch, Felixa). Die angeblichen autobiografi schen Bezüge in den Texten werden von den Rezensen- ten sehr oft erwähnt. Man darf aber die Migrantenschriftsteller nicht auf reduktio- nistische/einseitige Weise betrachten. Das Werk eines Autors kann tatsächlich viele oder nur einige Aspekte aus seinem Leben und seiner Erlebnisse oder Vorstellungen verarbeiten. Diejenigen Orte, an denen er gelebt hat, können die Topografi en seiner literarischen Texte bestimmen. Sie können aber genauso gut einen hohen Fiktiona- lisierungsgrad aufweisen. Die Elemente der eigenen Biografi e können doch (auch bewusst) fi ktionalisiert werden und gar keinen dokumentarischen Charakter haben. Dies kann auch eine bewusst gewählte Strategie der schriftstellerischen Eigenstili- sierung sein. Die Literatur der Migrantenautoren (einschließlich der deutsch-pol- nischen) scheint die Funktion der kulturellen Vermittlung zu haben. Artur Becker und Radek Knapp schreiben ihre Texte oft von ihrem kulturellen (als polnisch mar- kierten) Hintergrund aus. Das eigenkulturelle Element wird auch in den Interviews besonders hervorgehoben und zu einer bewussten Selbststilisierung erhoben. In der Rezeption der deutsch-polnischen Migrantenautoren lässt sich aber auch eine gewis- se Entwicklung bemerken, was im Folgenden gezeigt werden soll.

1.4 Zur Ästhetik der Migrantenliteratur

Um das literarische Phänomen der Migrantenliteratur zu fassen und sie theoretisch zu beschreiben, kamen in Deutschland seit Beginn der neunziger Jahre Konzepte aus der US-amerikanischen Postkolonialismusdebatte zur Anwendung, die die lite- raturwissenschaftliche Herangehensweise an die Migrantenliteratur erweitert haben, vor allem Homi K. Bhabhas „Hybridität“ und „third space“, das „in-between“ als Ort der Hybridität („der dritte Raum“) (RUTHERFORD 1990, BHABHA 1994) sowie die dem Poststrukturalismus verpfl ichteten Ideen, wie das von Gilles Deleuze und Félix Guattari an Kafka (als Beispiel für die Deutsch sprechende jüdische Minderheit in Prag) entwickelte Konzept der „litterature mineure“, einer „kleinen Literatur“ (DE- LEUZE/GUATTARI 1996, vgl. auch: WEIGEL 1992, AMODEO 1996), einer Minderheit, die sich einer großen Sprache bedient: „Eine kleine oder mindere Literatur ist nicht die Literatur einer kleinen Sprache, sondern die einer Minderheit, die sich einer großen Sprache bedient“ (DELEUZE/GUATTARI 1996: 24).28 Eine Veränderung zeigt sich auch im Verhältnis von literarischem Zentrum und Peripherie, die sich unabhängig macht: „Jede Kultur besitzt Mechanismen für die Schaffung eines inneren Polyglottismus, und jede Kultur existiert realiter nur im Kontext anderer Kulturen, wobei die Be- herrschung von deren Sprachen die Situation eines äußeren Polyglottismus schafft“ (LOTMANN 1974: 431). Für Deleuze und Guattari war es die untergangene polyglotte

28 Volker C. Dörr bemerkt aber mit Recht, dass darunter allerdings nicht die Migranten zweiter oder (höherer) Generation fallen, weil sie in der Sprache schreiben, in der sie aufgewachsen sind (vgl. DÖRR 2008: 20). 34 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Welt Prags, die zeigte, dass sich Fremdes und Eigenes nicht ohne Weiteres von ei- nander scheiden ließen. Das Konzept der kleinen Literatur wird von Deleuze und Guattari zu einem allgemeinen ästhetischen Konzept normativ erweitert. Laut Deleuze und Guattari ließen sich „die drei charakteristischen Merkmale einer kleinen Literatur“ unterscheiden: „Deterritorialisierung der Sprache, Koppelung des Individuellen ans unmittelbar Politische, kollektive Aussageverkettung“ (DELEUZE/ GUATTARI 1996: 27). Der „Schreibende“, dessen Literatur ein politisches Potential besitzt, befi ndet sich „am Rande oder außerhalb seiner Gemeinschaft“ und ist in der Lage „eine mögliche andere Gemeinschaft auszudrücken, die Mittel für ein anderes Bewußtsein und eine andere Sensibilität zu schaffen“ (DELEUZE/GUATTARI 1996: 26). Eine kleine Literatur zu schreiben, bedeutet auch „Vielsprachigkeit in der eigenen Sprache verwenden, von der eigenen Sprache kleinen, minderen oder intensiven Gebrauch machen, das Unterdrückte in der Sprache dem Unterdrückenden in der Sprache entgegenstellen […]“ (DELEUZE/GUATTARI 1996: 38f.). Die Existenzweise von Minderheiten wird zur Metapher für ein innovatives, kreatives Verhältnis zur Sprache. Wie schon oben erwähnt, hat sich im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in der literaturwissenschaftlichen Erfassung der Migrantenliteratur, für das Schreiben „zwischen“ den Kulturen, im Anschluss an Homi K. Bhabha, der postkolonialisti- sche Begriff der Hybridität durchgesetzt, der aber auch bestimmte Probleme bei der Erfassung dieses Phänomens bereitet. Hybridität sei keineswegs das Merkmal einer bestimmten zusammengesetzten Kultur, sondern das Merkmal der Kultur schlecht- hin: Hybridität sei „weder ein spezielles Merkmal noch eine zu vermeidende Gefahr, sondern ein grundlegendes Charakteristikum jeder Kultur“ in der gegenwärtigen „Situation der Massenmigration, der globalen Zirkulation von Zeichen, Waren, In- formationen“ (BRONFEN/MARIUS 1997: 14, 17f.). Die Hybridität ersetzt den Begriff des „Dazwischen“. Ein Dazwischen suggeriert nämlich, dass es sich um zwei ho- mogene Kulturen handle, zwischen denen ebenso ein homogenes Drittes entsteht (vgl. VLASTA 2009: 103). Die postkoloniale Theorie und Homi K. Bhabha verwenden stattdessen das Konzept des „Dritten Raumes“, einer spezifi schen Räumlichkeit, in der „die Konstitution und Alterität weder als multikulturelles Nebeneinander noch als dialektische Vermittlung, sondern als unlösbare und wechselseitige Durchdrin- gung von Zentrum und Peripherie […] modelliert wird“ (GRIEM 2004: 269). Man kann aber bei der Verwendung dieses Begriffes häufi g beobachten, dass das Hybride weiterhin als aus zwei Kulturen bestehend betrachtet wird, als ein Zwischenraum oder Brücke zwischen den Kulturen (vor allem in den die deutschsprachige Migran- tenliteratur beobachtenden Augen der Literaturkritik). Immacolata Amodeo plädiert für die Notwendigkeit einer methodischen Erneuerung bzw. Ergänzung der literaturwissenschaftlichen Herangehensweise, um der ästheti- schen Differenziertheit von Migrantenliteratur gerecht zu werden. Eine interessante Alternative bietet ihrer Meinung nach das Rhizom-Modell, das auch auf Gilles De- 1. Einleitende Überlegungen zur Migrantenliteratur 35 leuze und Félix Guattari zurückzuführen ist.29 Dieses Modell (der Mehrfachwurzel) soll den Gedanken der Identität aus einer einzigen Wurzel ersetzen. Wie beim Rhi- zom kann sich jeder Punkt mit jedem verbinden: Dementsprechend kann in einem durch kulturelle Überlappungen und unscharfe Übergänge zwischen verschiedenen Kulturen gekennzeichneten Bereich jede Kultur mit einer anderen eine Verbindung eingehen. Die bisherigen Beurteilungskategorien von Literatur orientierten sich an dichotom determinierten Kriterien, was oft zu einem Vergleich zwischen der Migrantenlitera- tur und Nationalliteratur führte, wobei die eine an der anderen gemessen wurde. Die Ästhetik der Migrantenliteratur sei ein nicht zentriertes „Nebeneinander, Übereinan- der und Miteinander von Fremdem und Eigenem, von verschiedenen Stimmen und Sprachen“ (AMODEO 1996: 123)30, was „aufgrund von Kulturkontakten, Überlage- rungen kultureller Traditionen und aufgrund kultureller Vermischungen“ (AMODEO 1996: 109f.), unabhängig von Hierarchieverhältnissen zustande kommt. Es existie- ren also verschiedenartige und veränderliche Verfl echtungen und Vernetzungen als ein nicht zentriertes und nicht hierarchisches System identitätsbildender Elemente. Das Rhizom-Modell lässt sich auf den Kulturbegriff übertragen und erlaubt bei der Literaturbetrachtung, der Besonderheit der Migrantenliteratur einen Eigenwert zu- zumessen. Amodeo knüpft auch an das von Gilles Deleuze und Félix Guattari an Kafka entwickelte Konzept der „litterature mineure“ an, einer „kleinen Literatur“, einer deterritorialisierten Literatur der Minorität, die sich der „großen Sprache“ ei- ner Majorität bedient (DELEUZE/GUATTARI 1996, vgl. auch: WEIGEL 1992, AMODEO 1996). So kann die Migrantenliteratur nicht unbedingt in Anlehnung an eine auf die Nationalliteraturen ausgerichtete Methodologie und im Hinblick auf einen tra- ditionellen Kanon untersucht werden, weil sie sich ihm entzieht. Die rhizomatische „interkulturelle“ Ästhetik entsteht durch Kulturkontakte, Überlagerungen und Ver- mischung kultureller Traditionen. Sie erlaubt keine eindeutige Unterscheidung der verschiedenen kulturellen Ebenen mehr. Der Begriff der Ästhetik wird verständlich als deskriptiver Terminus ohne normative Implikationen. Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass eine Untersuchung des beschriebenen For- schungsgegenstandes im beabsichtigten Sinne nicht durch eine einzige, bestimmte Theorie oder Methode zu bewerkstelligen ist. Ein Ansatz, der mehrere Perspektiven und Ausgangspunkte vereint, ist in diesem Falle zielführender, um die Komplexität des zu untersuchenden Gegenstands greifen zu können. Einige Ansätze aus den eben besprochenen Studien können für unsere Analyse durchaus übernommen werden.

29 Immacolata Amodeo fordert dieses Modell, um Heterogenität, Synkretismus und Redevielfalt der Migrantenliteratur in ihrer Gleichwertigkeit anzuerkennen (vgl. AMODEO 1996, vgl. auch: DELEUZE/GUATTARI 1977). 30 Für Volker C. Dörr ist dieses „Nebeneinander, Übereinander und Miteinander […] von verschiedenen Stimmen und Sprachen“ für die Migrantenliteratur von besonderer Bedeutung. Ihm zufolge lassen sich nämlich in der Migrantenliteratur unter den Sprachen, verstanden als Nationalsprachen jeweils zwei auszeichnen: „die Sprache, in der oder in die hinein der Text geschrieben ist, und die Sprache, die die Muttersprache der Autorin bzw. des Autors ist.“ Auf diese Weise fi nden sich in einem deutschen Text Spuren einer Fremdsprache: „fremdsprachiges Wortmaterial, ungewöhnliche Lehnprägungen, wörtlich übersetzte Metaphern“ (DÖRR 2008: 22).

2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde innerhalb der Geisteswissenschaften eine intensive Debatte über das Phänomen Kultur eingeleitet sowie nach dem Ver- hältnis von Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft, die bis heute immer noch geführt wird, weiterhin unabgeschlossen ist und einige Kontroversen ausgelöst hat. Es wurden unterschiedliche kulturhistorische und kulturwissenschaftliche Theori- en formuliert, in deren Rahmen man auch die Migrantenliteratur, die die Grenzen kultureller sowie nationalliterarischer Kontexte oder nationaler Literaturgeschichten überschreitet, zu fassen versucht. Die Gründe für dieses Forschungsinteresse lie- gen einerseits in der Entwicklung der modernen Gesellschaften, in denen es infolge der zunehmenden Globalisierung, der globalen Vernetzung und der damit zuneh- menden Mobilität, zu einer weltweiten Verfl echtung in allen Bereichen (Kommu- nikation, Wirtschaft, Politik etc.) und verständlicherweise (oder vor allem) auch zu Annäherung, Begegnung, Vermischung von Kulturen kommt. Dieses Interesse lässt sich andererseits auch aus der Tendenz herleiten, kulturwissenschaftliche Themen- stellungen in die Philologien zu integrieren und mit bestehenden methodologischen Verfahren zu vernetzen. Im Rahmen dieser Neuorientierung wird das gegenwärtige Verhältnis von Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft(en), in der Literatur- wissenschaft die Erweiterung hin zu einer Kulturwissenschaft diskutiert sowie eine literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaft, die das Profi l der Disziplinen berück- sichtigt, gefordert (vgl. dazu BÖHME/SCHERPE 1996; ENGEL 2001; NÜNNING/NÜNNING 2003; NÜNNING/SOMMER 2004; SCHÖSSLER 2006). Man diskutiert über eine Neuaus- richtung der Forschung und der Lehre mit Hilfe von Ansätzen, die an den Grenzen der Einzelfächer arbeiten und eine kulturwissenschaftliche Perspektivierung der je- weiligen Fächer anstreben. Da in der vorliegenden Arbeit auf die Diskussion um die Kulturwissenschaften nicht näher eingegangen werden kann, sollen nur knapp einige wichtige Stimmen berück- sichtigt werden, die wegen ihres programmatischen Charakters die Debatte nach- haltig beeinfl usst haben. Hartmut Böhme und Klaus Scherpe ermitteln beispielswei- se in der Einführung in dem Band Literatur und Kulturwissenschaften (1996) die wichtigsten Gründe für eine Neuorientierung und versuchen, Typen kulturwissen- schaftlicher Richtungen im Rahmen der Philologien auszuarbeiten (BÖHME/SCHERPE 1996). Sie machen darauf aufmerksam, dass die Kulturwissenschaft „eine Form der Moderation, ein Medium der Verständigung, eine Art Kunst der Multiperspektivität darstelle, um die heterogenen, hochspezialisierten, gegeneinander abgeschotteten 38 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Ergebnisse der Wissenschaften zu ,dialogisieren’, auf strukturelle Gemeinsamkei- ten hin transparent zu machen, auf langfristige Trends hin zu befragen, disziplinäre Grenzen zu verfl üssigen“ (BÖHME/SCHERPE 1996: 12). Manfred Engel schlägt vor, die Kulturwissenschaften im Sinne eines methodologischen Baukastenprinzips in die Literaturwissenschaft zu integrieren, den anthropologischen Ansatz für die konkrete Textarbeit zu operationalisieren (vgl. ENGEL 2001; SCHÖSSLER 2006). So könnten die Kulturwissenschaft(en) an literaturwissenschaftliche Verfahren angeschlossen werden. In dem von Claudia Benthnien und Hans Rudolf Velten herausgegebenen Sammelband werden die grundsätzlichen kulturwissenschaftlich ausgerichteten Fra- gestellungen in der Germanistik aus der Perspektive der Älteren und der Neueren deutschen Literaturwissenschaft erörtert und Einblicke in die wichtigsten Theorie- konzepte gewährt (BENTHIEN/VELTEN 2002). Die Literaturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick refl ektiert in ihrer Monogra- phie Cultural Turns (2006) über die Dynamiken des kulturwissenschaftlichen Feldes und steht auf dem Standpunkt, dass „produktive Öffnung gegenüber internationalen Forschungsrichtungen, Anerkennung von Perspektivenvielfalt und Hinwendung zu Untersuchungsfeldern, die quer zu den Disziplinen verlaufen“ (BACHMANN-MEDICK 2006: 12), heutzutage unverzichtbar werden und „dass die Kulturwissenschaften die Geisteswissenschaften geradezu abgelöst haben“ (BACHMANN-MEDICK 2006: 8). Es kommt zwar Bachmann-Medicks Meinung nach zu „Methodenpluralismus, zu Grenzüberschreitungen, eklektizistischen Methodenübernahmen – nicht jedoch zur Herausbildung eines Paradigmas, das ein anderes vorherrschendes vollständig er- setzt“ (BACHMANN-MEDICK 2006: 17f.) Wir haben also mit einer kulturwissenschaftli- chen Neuorientierung, nicht aber mit einem Paradigmenwechsel zu tun. Bachmann- Medick ist davon überzeugt, dass kulturwissenschaftliche Forschung interdisziplinär ist und sich „einem Alleinvertretungsanspruch durch Einzeldisziplinen“ (BACHMANN- -MEDICK 2006: 16) entzieht. Der kulturwissenschaftlich-interdisziplinäre Ansatz kann somit zu einem „Refl e- xions- und Steuerungsmedium für die Modernisierung der Geisteswissenschaften“ (SCHÖSSLER 2006: VIII) werden, obwohl manche Wissenschaftler die Interdisziplina- rität als Chance und Gefährdung zugleich wahrnehmen. Die kulturwissenschaftliche Neuorientierung in den Philologien wird von etlichen Kritikern als Bedrohung für die Unverwechselbarkeit des Literaturkunstwerks betrachtet.31 Der literarische Text wird mit außerliterarischen Bereichen in Zusammenhang gebracht, was eine Depri- vilegierung des Literarischen zur Folge haben kann. Da auch nicht-literarische Texte als Texte, als narrative, rhetorisch organisierte Konstrukte betrachtet werden, scheint der Sonderstatus der Literatur gefährdet (vgl. SCHÖSSLER 2006: VIII; BÖHME/SCHERPE 1996: 8f.). Die kulturwissenschaftlichen Tendenzen stellen ein gemeinsames Forum für interdisziplinäre Arbeit dar, gleichzeitig aber droht die Gefahr der Homogenisie- rung im kulturwissenschaftlichen Diskurs. Klaus Stierstorfer und Laurenz Volkmann versuchen in dem von ihnen 2005 herausgegebenen Band anhand der gesammelten Beiträge zu zeigen, worin das Spezifi kum der kulturwissenschaftlichen Elemente

31 Vgl. die Debatte im Schiller-Jahrbuch 17 (1998), u.a. VOSSKAMP 1998. 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 39 der jeweiligen Fachdisziplinen (Literaturwissenschaft, Gender Studies, Postcolonial Studies, Medienwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Lin- guistik, Fachdidaktik, Anglistik/ Amerikanistik, Romanistik, Germanistik und Me- dizingeschichte), die interdisziplinäre Verzahnung sowie ein reger Austausch von Theorien besteht und dass in einer analytischen Abgrenzung der einzelnen eigen- ständigen Fachrichtungen und Hervorhebung der Unterschiede der interdisziplinäre Dialog ertragreich sein kann (vgl. STIERSTORFER/VOLKMANN 2005). Die Tendenzen und Entwicklungslinien innerhalb der Migrantenliteratur können in Bezug auf unterschiedliche Koordinatensysteme erörtert und analysiert werden. Sie sind verbunden mit neueren Kulturkonzepten, die die Veränderungen der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und demographischen Bedingungen der letzten Jahrzehnte zu fassen versuchen. Postmoderne und postkoloniale Kulturtheorien (mit starken Im- pulsen aus der Literaturwissenschaft) lehnen ein traditionelles Kulturmodell ab und machen auf das permanente Durchmischen kultureller Strömungen aufmerksam. In der modernen globalisierten Welt haben wir mit einer Pluralisierung und Entgrenzung von kulturellen Zusammenhängen und individuellen Lebensentwürfen zu tun.

2.1 Zum Kulturbegriff – einige Bemerkungen

Um im Folgenden an das veränderte, moderne Kulturverständnis anschließen zu können, muss soll zuerst ein kurzer Überblick über die Entwicklung des Kultur- begriffs gegeben werden. Herders Konzept von Kultur, das auf ethnischer Fundie- rung, sozialer Homogenität und interkultureller Abgrenzung basiert, hat im heutigen Diskurs noch deutliche Spuren hinterlassen. Dieses Konzept kann jedoch auf die postmoderne und globalisierte Welt der heutigen Zeit nicht mehr übertragen werden, was eine kritische Auseinandersetzung der zeitgenössischen Wissenschaftler damit zur Folge hat. So werden verschiedene Kulturkonzepte – Multikulturalität, Interkulturalität, Hy- bridität und Transkulturalität – einer kritischen Analyse unterzogen sowie ihre Be- deutung für die Betrachtungsweise der Migrantenliteratur erläutert. Die Wahl des dieser Studie zugrundeliegenden Konzeptes wird begründet. Abschließend soll noch ein Blick auf die sich in der heutigen Welt manifestierenden Identitäten geworfen werden, die – ähnlich wie Kulturen – keine stabilen, dauerhaften und abgrenzba- ren Größen mehr darstellen, sondern vielmehr im ständigen Wandel begriffen sind. Durch die unterschiedlichen Annäherungen an den Begriff wird auch der Versuch unternommen, eine für die Zwecke dieser Arbeit zufriedenstellende und zielführen- de Defi nition des äußerst komplexen Terminus „Kultur“ zu geben. Kultur – ein Wort, das im öffentlichen Diskurs sowie im Diskurs vieler wissenschaft- licher Disziplinen wie Anthropologie, Ethnologie, Philosophie, Soziologie, Psycho- logie, Pädagogik, Musikwissenschaft allgegenwärtig ist, ist ein Begriff, der sich in Europa seit der Antike entwickelt hat und sich auf unterschiedliche Bereiche des 40 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Lebens bezog. Der Ursprung des Kulturbegriffs lässt sich von der Landwirtschaft herleiten. Das lateinische Wort cultura wurde im Sinne von „Felderbau, Bodenbe- wirtschaftung“ verwendet. Cicero (106–43 v.Chr.) übertrug den lateinischen Begriff des Ackerbaus auf die Philosophie – cultura animi – im Sinne der Bebauung und Pfl ege des Geistes. Der allgemeine Sinn des Begriffes ist eben aus dieser Bedeutung des lateinischen Wortes erwachsen. Kultur war den Menschen also nicht unbedingt von Geburt an gegeben, sondern musste „gepfl egt“ werden: die „Veredlung“ der Sitten, insbesondere durch Bildung, Religion, Künste und Wissenschaften. Im früh- christlichen Mittelalter wird Gott für denjenigen gehalten, der als Ackermann das Innere des Menschen wie einen Acker pfl egt und pfl egend besser macht (vgl. PER- PEET 1984: 22). In der Renaissance greifen die Humanisten den Kulturbegriff Ciceros wieder auf. Erasmus von Rotterdam (1466–1536) und Thomas Morus (1478–1535) verstehen unter „Kultur“ cultura ingenii, also die „Kultur des erfi nderischen Geistes“. Bei Francis Bacon (1561–1626) fi ndet man den Ausdruck georgica animi, also die „Kul- tur und Düngung der Geister“ (PERPEET 1984: 22). In der Aufklärung verwendet der Naturrechtsphilosoph Samuel von Pufendorf (1632–1694) in seinen Acht Büchern vom Natur- und Völkerrechte (De iure naturae et gentium libri octo, 1672) das Wort cultura zur Unterscheidung von Mensch und Tier. Die Kultur ist für Pufendorf die Gesamtheit von Tätigkeiten, die den Menschen in seinem Tun vom Tier unterscheidet. Sowohl Mensch als auch Tier besitzen den Selbsterhaltungstrieb, das Tier kann aber auch ohne den Einsatz der Vernunft weiter- leben. Der Mensch muss die ihm von Gott verliehenen Gaben vernünftig einsetzen und pfl egen, um nicht in den „Naturzustand“, also einen Zustand „ohne Gesittung und Erziehung, ohne privat- und staatsrechtliche Bindung“ (PERPEET 1984: 23) zu- rückzufallen. Diesem barbarischen „Naturzustand“ (status naturalis) setzt Pufendorf nun den anzustrebenden zivilisatorischen Zustand (status culturalis) entgegen. In dieser Bedeutung rückt das Wort „Kultur“ in die Nähe des Begriffes „Zivilisation“, synonymisch wurden diese beiden Begriffe in Deutschland aber erst seit Ende des 18. Jahrhunderts verwendet (BEER 2003: 61). Im 18. Jahrhundert entwickelte sich eben die erweiterte Bedeutung des Begriffes, die heute in den Sozialwissenschaften und in der Ethnologie verwendet wird. „Kultur“ des Menschen umfasst all das, was nicht „Natur“ ist, d. h. alles, was zur Umwelt des Menschen gehört und von ihm entwickelt wurde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts prägt Johann Gottfried Herder (1744–1803), Dich- ter und Geschichts- und Kulturphilosoph, insbesondere in seinen von 1784 bis 1791 erschienenen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit den Kulturbe- griff bis heute.32 In der Kulturgeschichte, der Kulturtheorie, der Kulturphilosophie, der Kulturanthropologie wird Herders Einfl uss ausdrücklich betont und sein Kul- turkonzept gilt heute als klassisch. Herders Konzept basiert auf drei Elementen:

32 Herder setzte sich mit Kultur und Kunst auch in anderen Texten auseinander, u.a. in: Fragmente. Über die neuere deutsche Literatur (1766–1767), Über die Würkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten (1781). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 41 dem Volk, der Vereinheitlichung und der Abgrenzung (vgl. WELSCH 1994a, 1994b, 1994c). Kultur soll nach Herder das Leben eines eindeutig defi nierbaren Volkes im Ganzen wie im Einzelnen prägen und jede Handlung und jedes Individuum zu einem unverwechselbaren Bestandteil gerade dieser Kultur machen. Herder defi niert Kultur als Kultur eines Volks, für ihn gilt Kultur als das, was für ein „Volk“ eigen und spezifi sch ist, d. h. was es von anderen Völkern verschieden macht: Das Volk, das an einem Ort sesshaft ist und sich „seiner“ Kultur zugehörig fühlt, wird als Kollektiv aufgefasst und als Träger und Produzent der Kultur verstanden. Einer eventuellen Vermischung mit anderen kulturellen Elementen sollte entgegengewirkt werden: „Je mehr die Länder zusammen rückten, die Kultur der Wissenschaft, die Gemeinschaft der Stände, Provinzen, Königreiche und Weltheile zunahm; je mehr Literatur, so auch Poesie an Raum und Oberfl äche die Wirkung gewann, desto mehr verlor sie an Eindrang, Tiefe und Bestimmtheit“ (HERDER 1964: 413). Der Kulturbegriff von Herder defi niert eine Nation als eine homogene Einheit und beschreibt Kulturen der romantischen, holistischen Vorstellung nach als Inseln oder Kugeln, die nach innen homogen und nach außen ein abgegrenztes organisches Gan- zes darstellen und mit der territorialen und sprachlichen Ausdehnung eines Volkes deckungsgleich sind. Der berühmte herdersche Satz lautet: „Jede Nation [hat] ih- ren Mittelpunkt der Glückseligkeit [...] in sich wie jede Kugel ihren Schwerpunkt“ (HERDER 1994: 39, kursiv im Original), worauf Wolfgang Welsch in seinem Kul- turverständnis eingeht. Laut Welsch basiert das Kulturverständnis von Herder auf „ethnische[r] Fundierung, soziale[r] Homogenisierung und interkulturelle[r] Ab- grenzung“ (WELSCH 2000: 329).33 Herder betont die Konzentration auf das Eigene und Abwehr des Fremden (WELSCH 1999: 48).34 Der Kulturbegriff wird an die Nation gebunden, wobei diese durch Sprache, Territorium und Souveränität gekennzeichnet ist. Die Romantiker betrachteten Nationen als Sprachgemeinschaften, die durch ge- meinsame historisch-kulturelle Wurzeln gestützt wurden (vgl. LÜTZELER 1997: 15). Seit Herder wird der Begriff von Kultur als Bezeichnung für die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Leistungen eines Kollektivs verwendet, die für die Ausbildung ihrer Identität als Gruppe (Nation, sprachliche Gemeinschaft usw.) als grundlegend betrachtet werden kann. So wird am Ende des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert die Kultur auf eine konkrete Menschenmenge bezogen, die sich als Einheit von territorialen, ethnischen, ideologischen, mentalen und linguistischen Kriterien bestimmen lässt. Der Begriff von „Kultur“ bekommt in diesem Fall einen ideologischen Charakter.

33 Unter „ethnischer Fundierung“ versteht Welsch die Zugehörigkeit der Kultur zu einem Volk, Kulturen seien an Völker gebunden, unter „sozialer Homogenisierung“ die Tatsache, dass die Kultur als ein einheitliches Phänomen für alle Teile des Volkes verstanden wird (Das Leben eines Volkes wird auf jeder Ebene durch seine jeweilige Kultur geprägt und geformt). Und unter „interkultureller Abgrenzung” versteht Welsch die Tatsache, dass die unterschiedlichen Kulturen nicht nur intern, sondern auch extern abgegrenzt werden sollen, man sollte Unterschiede zwischen der eigenen Kultur und den Kulturen anderer Völkern in Betracht ziehen. 34 Anscheinend ist Wolfgang Welschs Interpretation des Kulturkonzepts von Herder etwas vereinfacht. Welsch lässt etwa den Unterschied zwischen Herders Philosophie und ihrer politischen Rezeption sowie die Vielschichtigkeit der damaligen geschichtlichen Situation außer Acht. 42 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Dieses traditionelle, statische Kulturkonzept, das auf Herder zurückzuführen ist, wird zwar einerseits für die Grundlage der modernen Auffassung von Kultur gehal- ten, andererseits aber als auf die postmoderne und globalisierte Welt der heutigen Zeit nicht mehr übertragbar angesehen. Die zunehmende Mobilität, die Zu- und Ein- wanderung, die als konstituierende Elemente der modernen Lebensweise angesehen werden, haben, insbesondere in den westeuropäischen Ländern, zu einem sozialen und kulturellem Wandel geführt. Die modernen Menschen setzen sich mit unter- schiedlichen kulturellen Lebenswelten, Sprachen und Literaturen auseinander. Kultur ist kein geschlossener, homogener und statischer Begriff mehr, sie wird heut- zutage als ein Gefüge ohne feste Grenzen betrachtet, das sich keinesfalls nur auf ethnisch homogene Gruppen beziehen lässt (vgl. BEER 2003: 69; SCHIFFAUER 2002). Welsch stellt die traditionelle Annahme in Frage, dass die kulturelle Identität des Individuums vor allem mit seiner nationalen Zugehörigkeit zu tun haben muss. Kul- turen sind von Anfang an Mischungen, ebenfalls die europäische Kultur, die „auf einer komplizierten, in sich widerspruchsvollen Synthese einer Multikultur: nämlich von Hellenismus, römischer Antike, Judentum und christlicher Religion“ (LÜTZELER 1997: 20) basiert. Die Gleichsetzung von Kultur mit Nation stellt nur einen Aspekt des Begriffsspektrums dar. Die Menschen identifi zieren sich nicht unbedingt und nicht immer mit konkreten Gruppen oder Gemeinschaften, sondern auch mit abs- trakten Bezugsgruppen, denen sie zugeordnet werden: mit Komplexen von Wert- vorstellungen, Verhaltens- und Deutungsmustern, die sie im Laufe ihrer Enkultura- tion gelernt haben. Sie sind aber hinsichtlich ihrer kulturellen Orientierungen nicht grundsätzlich festgelegt. Sie können sich an mehreren und manchmal auch sehr ver- schiedenen Bezugssystemen orientieren, weil Kulturen ein dynamisches, prozess- haftes, komplexes Geschehen von Ansammlungen und Vermischungen sind:

Kultur ist weder monolithisch noch als Aneinanderreihung verschiedener Aspekte zu ver- stehen. Sie ist ein dynamischer Prozess, der weit davon entfernt, in einer endlosen Diffe- renzierung auseinanderzufallen, verschiedene Elemente in ihren Beziehungen zu einem mehrdimensional gespannten Netz verknüpft, das sich analytisch nur annäherungsweise erfassen läßt, deren Gesamtheit aber grundsätzlich heterogen ist (HAMMERSCHMIDT 1997: 66). Innerhalb der Gegenwartskulturen existieren auch unterschiedliche alternative Kul- turmuster, die Kulturteilnehmer entweder ablehnen oder als eigen akzeptieren kön- nen. Die Gegenwartskulturen kann man – laut Bernd Thum – nicht „einfach als Er- gebnis der siegreichen historischen Kulturmuster […] sehen. Sie sind eher Resultat der Konfl ikte zwischen den geschichtlichen kulturellen Alternativen. Die zeitweise unterlegenen Formen bleiben, wenn auch verdeckt, präsent: als Defi ziterfahrungen, die man mühsam kompensieren muß, und als alternative Kulturpotentiale, die über- raschend wieder hervortreten können, besonders dann, wenn die etablierten ‚legiti- men‘ Lebensformen versagen“ (THUM 1985: LVf.). Die Kulturen sind außerdem Ergebnis von Migrationsprozessen, denen in der Ver- gangenheit und denen von heute. Sie haben nämlich „eine Geschichte der Wande- rungen und des Austauschs von Ideen, Dingen und Menschen hinter sich“ (KÖSTLIN 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 43

2000: 365). Migrationen gehören zwar seit jeher zur Geschichte der Menschheit, in der Zeit der Globalisierung wurden diese Migrationsprozesse beschleunigt und sie bleiben nicht ohne Wirkung auf das moderne Kulturverständnis, das die zeitge- nössischen kulturellen Phänomene zu fassen versucht. Angesichts der gesteigerten Mobilität und digitalen Vernetzung wird Kultur in dem modernen wissenschaftli- chen Kulturverständnis als dynamisch, offen, heterogen, prozesshaft, in ständigem Wandel, keine klaren Grenzen aufweisend gesehen (vgl. u.a. MÜLLER-BACHMANN 2002: 23; AUERNHEIMER 1991: 84; BARTH 2001: 3; SCHIFFAUER 2002: 13; BEER 2003: 69), weil kulturelle Vielfalt, Austausch, Anpassung und Vermischung zunehmen. Sie ist voller Widersprüche und Ambivalenzen (vgl. HANNERZ 1995: 66f.) sowie auch territorial ungebunden, Die globale Kommunikation verhindert nämlich, dass Kultur an bestimmte geographische Räume gebunden bleibt (vgl. HANNERZ 1995). Manche Forscher bevorzugen heute das Bild von ‚fl ows‘, Flüssen kultureller Bedeutungen, die statt der Grenzen zwischen Kulturen deren Überschreitung beschreiben (vgl. u.a.: APPADURAI 1991; BECK 2001).35 In den letzten zwanzig Jahren gab es vor allem in den Kulturwissenschaften ver- schiedene Ansätze, das Phänomenfeld „Vermischung“ konzepttheoretisch zu erfas- sen. Im Hinblick auf globale gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Um- wälzungen und nicht zuletzt auf die weltweiten Migrationsprozesse, kam es zu einer intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kultur, auf Grund der man zur Ansicht gelangte, dass ein statisches, geschlossenes und holisti- sches Kulturverständnis, das Kultur unmittelbar an eine (ethnische oder nationale) Herkunft koppelt, nicht mehr erklärungskräftig ist. In der wissenschaftlichen Ausei- nandersetzung mit dem Kulturbegriff wurden neue Perspektiven eingenommen, die zu neuen Konzepten und Verständnissen von Kultur geführt haben. Es tauchten neue Begriffe auf, die heute zur Analyse und Benennung kultureller Phänomene in den Sozial- und Kulturwissenschaften angewandt werden. Einige dieser Begriffe haben auch in außerakademische Diskurse Eingang gefunden. So bemühte man sich, diese Vermischung von Kulturen bzw. von Kulturelementen theoretisch zu erfassen, hier seien einige eng zusammenhängende Begriffe genannt: Begegnungen, Kreuzungen, Übergänge, Mischungsverhältnisse, Übersetzungen, Collagen, Kreolisierung (HAN- NERZ 1987)36, kultureller Synkretismus (CANEVACCI 1992: 95ff.), global vernetzte

35 In diesem Zusammenhang kann man noch auf einen interessanten Aspekt der kulturellen Globalisierung aufmerksam machen: die These von dem weltweiten Homogenisierungsprozess. Die These geht davon aus, dass es im Zuge der Globalisierung zu einer weltweiten Angleichung von Kulturen kommt, infolgedessen eine Weltkultur (Einheitskultur) entsteht. Man nimmt an, dass Globalisierung die weltweite Verbreitung ‚westlicher‘ Institutionen, Werte der Aufklärung, Kapitalismus, Nationalstaat und weltweit vereinheitlichter Konsumkultur, bedeutet. Mit der globalen Präsenz der vom Westen dominierten Einheitskultur droht der Verlust lokaler kultureller Traditionen (vgl. dazu z.B. GIDDENS 1995: 214). Die McDonaldisierung („McWorld-Kultur“) und „Cocacolization“ sind die viel zitierten Schlagworte der Homogenisierungsthese (vgl. RITZER 1995; MLINAR 1992). 36 Der Begriff der Kreolisierung, selbst hybrid und nicht eindeutig, stammt aus der Sprachwissenschaft und bezeichnete ursprünglich die neu entstandenen Sprachen in der Karibik und Westafrika, die aus der Vermischung zweier oder mehrerer bestehender Sprachen (z.B. afrikanische Sprachen und Französisch) entstanden (Kreolsprachen). In der Kultur- und Sozialanthropologie wurde der Begriff der Kreolisierung von 44 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Crossover-Kultur (NEDERVEEN PIETERSE 1994: 171; 1998: 116), Melange (vgl. KÖST- LIN 2000), „Leben im Transit“ (vgl. LÖFGREN 1995). Für den Kulturwandel, die Ver- mischung der Kulturelemente und die gegenseitige Beeinfl ussung werden Konzep- te von „Hybridität“, „Interkulturalität“, „Multikulturalität“ und „Transkulturalität“ entwickelt.37 All diese Denkfi guren gehen von einem anderen Kulturverständnis aus und setzen sich mit der traditionellen, starren, abgeschlossenen, homogenen Kul- turvorstellung auseinander, die aus der Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Ethnie, Sprache oder Nation schöpft, und suchen nach den Querverbindungen im Bereich der Kultur. Als eine Alternative wird die Perspektive der Inter-, Multi- und Transkulturalität und Hybridität angeboten, die die Entstehung von variablen, hybri- den, transnationalen Identitäten ermöglicht. Dementsprechend versucht man die Migrantenliteratur nicht nur im inter- oder mul- ti-, sondern auch im transkulturellen und postkolonialen Kontext zu erklären und zu deuten.

2.2 Die postkoloniale Perspektive und die Migrantenliteratur

Wichtige Impulse für die Erforschung der Migrationsliteratur stammen aus den ,Postcolonial Studies‘ und aus der postkoloniale Theorie, die sich mit der histori- schen Kolonisierung sowie mit fortwährenden Prozessen der Dekolonisierung und Rekolonisierung beschäftigt und sich interdisziplinär vor allem in der Geschichts- wissenschaft, der Politikwissenschaft und der Literaturwissenschaft verbreitete. Der Ausdruck „Postkolonialismus“ betont den Kampf um Unabhängigkeit, den die ehemaligen Kolonien durchlaufen mussten und richtet ein besonderes Augenmerk auf das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie, Kolonisator und Kolonisier- ten, auf die von Herrschaft geprägten kulturellen Beziehungen. Die Leitfi guren des Postkolonialismus sind vor allem Edward W. Said (1935–2003), die indische Li-

dem schwedischen Kulturanthropologen Ulf Hannerz für dynamische, fl ießende, wechselseitige Prozesse kultureller Verfl echtungen, besonders im Zeitalter der Globalisierung eingeführt. 37 Infolge der Kritik der Förderung ganz bestimmter Konzepte von Multi-, Inter- oder Transkulturalität wurde von dem aus Südkorea stammenden Philosophen Byung-Chul Han alternativ noch der Begriff der Hyperkulturalität vorgeschlagen. Das Konzept der Hyperkulturalität ist Hans Meinung nach der Epoche der medien- und verkehrstechnischen Entortung und Globalisierung angemessen. Die Übergänge zu den anderen Begriffen sind aber fl ießend. Es handelt sich nämlich nicht um einen anders verstandenen Kulturbegriff. Die heutige kulturelle Verfassung soll nicht das „Trans“, nicht das „Multi“ oder „Inter“, sondern das „Hyper“ kennzeichnen. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass sich Kulturen durch die Globalisierung (u.a. wachsende Vernetzung von internationalen oder auch europäischen Organisationen) zunehmend einander annähern. Kulturelle Ausdruckformen werden weitergegeben und miteinander vermischt. Die kulturellen Ausdrucksformen lösen sich zunehmend von ihrem ursprünglichen Ort und sind in einem globalen Hyperraum der Kultur im Umlauf. Die Grenzen zwischen den Kulturen werden diffus oder sogar aufgehoben und es entstehe eine Hyperkultur als Annäherung und Vernetzung der einzelnen Kulturen (vgl. BYUNG-CHUL HAN 2005). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 45 teraturwissenschaftlerin Gayatri C. Spivak (geb. 1942) und der indische Literatur- wissenschaftler Homi K. Bhabha (geb. 1949), die sich mit den gesellschaftlichen und literarischen Folgen des Kolonialismus und dem Übergang der einst kolonisier- ten Länder aus der Unterdrückung in die Unabhängigkeit auseinandersetzten (vgl. BACHMANN-MEDICK 2006: 189). Die „Postcolonial Studies“ sind in den 80er und 90er Jahren des zwanzigsten Jahr- hunderts vor allem im anglo-amerikanischen Raum, in den Ländern mit kolonialer Vergangenheit, heimisch geworden (England, Amerika, Australien und Indien). Für die Entwicklung dieser Forschungsrichtung war die Erkenntnis wichtig, dass man die meisten Prozesse von Migration und (inter)kulturellen Begegnungen in der glo- balisierten Welt verstehen kann, wenn man sich dessen bewusst wird, dass es sich um Interaktionen zwischen Nachfahren der ehemals kolonisierten Völker und ehe- maligen Kolonialherren handelt. Die postkoloniale Refl exion trug im Bereich der Li- teraturwissenschaft zu einem Umdenken bei. Die Literaturwissenschaftler, die sich mit den Texten der Autoren aus den kolonialisierten Ländern beschäftigten, began- nen die in den ehemaligen Kolonien entstandene Literatur als eigene Entwicklungen zu betrachten. In Deutschland griff zuerst die interkulturelle Literaturwissenschaft die komplexen Beziehungen zwischen Kulturen aus der postkolonialen Perspektive auf (vgl. dazu: WIERLACHER 1987). Doris Bachmann-Medick macht auf eine Wende (postcolonial turn) aufmerksam, die diese postkoloniale Perspektive einleitete, da sie „von der Einsicht [ausgeht], dass koloniale Macht nicht nur ökonomisch, sondern auch diskursiv über das (westliche) Wissenssystem ausgeübt wurde und immer noch wird“ (vgl. BACHMANN-MEDICK 2006: 187). Die Literaturwissenschaft übernimmt eine führende Rolle: Der „Theorieimpuls geht eher von postkolonialen Schreibwei- sen aus“ (vgl. BACHMANN-MEDICK 2006: 191). Dabei wird die „diskursprägende Ge- walt hegemonialer Kulturen […] ebenso beleuchtet wie die zunehmend eigenständi- ge Selbstrepräsentation bisher marginalisierter Gesellschaften, ethnischer Gruppen und Literaturen“ (vgl. BACHMANN-MEDICK 2006: 185). Postkoloniale Ansätze untersuchen Kultur, Identität, kulturelle Differenz sowohl der Kolonialzeit als auch der Zeit danach im Kontext des Kulturkonfl iktes der Koloni- sierten mit der Kolonialmacht: „Postkolonialismus bedeutet zunehmende Unabhän- gigkeit von direkter postkolonialer Herrschaft, Bildung neuer Nationalstaaten, […] neokoloniale Abhängigkeiten, Heranwachsen einer mächtigen lokalen Elite, die die widersprüchlichen Effekte der Unterentwicklung managt. Dabei bleiben Effekte der Kolonialisierung wirksam, indem sie sich von der Achse zwischen Kolonisierern und Kolonisierten weg in Richtung interner Differenzen innerhalb der entkolonisierten Gesellschaft selbst verlagern“ (BRONFEN/MARIUS 1997: 9f.). Das Postkoloniale wird zu einem Kulturkonzept, in dem Kultur als „Widerstreit […] zwischen Repräsen- tationen von Welt, Subjekt, Geschichte usw. ausgeweitet“ (BRONFEN/MARIUS 1997: 11) wird. Die Literatur bringt diese widerstreitenden kulturellen Repräsentations- formen, die Hybridität, zum Ausdruck. Viele Termini, die durch die postkoloniale Perspektive geprägt und konzeptualisiert wurden, bekamen auch in der Migrantenli- teraturforschung besondere Bedeutung. Zu dieser Begriffsgruppe gehören Identität, Hybridität und der Dritte Raum. 46 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Die Suche nach der eigenen Identität ist ein wichtiger Prozess im Rahmen des Post- kolonialismus. Der Kolonialismus brachte nämlich eine Anpassung der Kolonisier- ten an die Kultur der Kolonisatoren mit sich. Das Ergebnis war entweder das Aufge- ben der ursprünglichen Kultur oder eine Unsicherheit der Kolonisatoren dem neuen, anderen Land gegenüber, wodurch in vielen Fällen hybride Kompromisse zwischen der Kultur der Kolonisatoren und der Kultur der Kolonisierten erforderlich waren. Die Einzelnen mussten sich der eigenen Identität und Kultur versichern, sich an die Geschichte der eigenen Herkunft erinnern. Das Schlüsselwort der postkolonialen Theorie ist „Hybridität“, die grundlegende Selbsterfahrung der postkolonialen Welt. Der Terminus, der großes – sowohl posi- tives wie auch negatives – Aufsehen erregt und rege diskutiert wird (vgl. dazu HA 2005: 11ff.; DUBIEL 2007: 150ff.), hat sich in der Forschungslandschaft etabliert und bezeichnet „alles, was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder von Signifi - kantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Bastelns, zustandegekommen ist“ (BRONFEN/MARIUS 1997: 14, kursiv im Original). Man muss dabei aber den letztendlich metaphorischen Charakter dieses Schlüssel- wortes berücksichtigen. Bei der Verwendung des Begriffes „Hybridität“ (und der mit ihm verbundenen Termini) besteht nämlich eine Schwierigkeit in der unterschied- lichen Vorstellung, die sich hinsichtlich Extension und Abgrenzung von ähnlichen oder benachbarten Konzepten mit ihm verbindet, weil der Begriff aus unterschied- lichen Wissenschaftskontexten stammt und sich auf verschiedene Objektbereiche bezieht. Andreas Ackermann macht darauf aufmerksam, dass sich der Begriff ei- ner eindeutigen Verortung verweigert und oft „im Metaphorischen“ bleibt, indem er „Transformation gegen Kontinuität und Mehr- gegen Eindeutigkeit“ setzt (ACKER- MANN 2004: 140). Der Begriff „Hybridität“ (Vermischung), der ursprünglich aus der Biologie stammt und die Kreuzung von unterschiedlichen Rassen oder Gattungen beschreibt und sei- ne Wurzeln im Dialogizitätsmodell Michail Bachtins hat38, wurde zuerst in der Post- kolonialismusdebatte von Edward Said als Bezeichnung des Verhältnisses zwischen den Kolonisatoren und den Kolonialisierten gebraucht. Said wendet sich gegen den traditionellen Kulturbegriff, der Kulturen als in sich geschlossene Einheiten versteht. Er begreift Kulturen im ständigen Austausch: „Alle Kulturen sind, zum Teil aufgrund ihres Herrschaftscharakters, ineinander verstrickt; keine ist vereinzelt und rein“, sie seien „hybrid, heterogen, hochdifferenziert und nichtmonolithisch“ (SAID 1994: 30). Seinem Kulturverständnis liegt ein Machtgefüge in Form von ideologischen und politischen Bestrebungen zugrunde. Der indisch-englisch-amerikanische postkoloniale Theoretiker Homi K. Bhabha hat den wissenschaftlichen Diskurs seit den 80er Jahren maßgeblich beeinfl usst. Für ihn ist das Verhältnis zwischen dem Kolonisator und Kolonialisierten komplexer

38 Der russische Sprachphilosoph und Kulturwissenschaftler Michail Bachtin prägte die Konzepte der „intentionalen“ und der „organischen“ Hybridität, um die Möglichkeit der Sprache zu beschreiben, durch Vermischungen und Kontraste gegenläufi ge Stimmungen zu erzeugen (vgl. BACHTIN 1979). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 47 und nuancierter, als E. Said es darstellte. Er betrachtet die Hybridität als Ort kultu- reller Verhandlung, als Chance zum kulturellen Dialog. Bhabha versteht Hybridität als „active moment of challenge and resistance against a dominant cultural power“ (YOUNG 1995: 23). Bhabha beschreibt mit Hilfe seines Hybriditätskonzeptes die Si- tuation in der Migrationsgesellschaft. Die verschiedenen, in sich vielseitigen Kul- turen beeinfl ussen die Identitäten und ändern somit auch ihre Konstruktion, vor al- lem durch die Kontrastierung von Eigenem und Fremden. Die Hybridität, die die Grundlagenbedingung der postkolonalen Existenz ist, entsteht aus der Vermischung von zwei oder mehreren Systemen (Kulturen), von verschiedenen Tendenzen ver- schiedener Kulturen, aus einer wechselseitigen Interaktion zwischen der Kultur der Kolonisierten und der Kultur der Kolonisatoren und bringt einen neuen Raum des Hybriden, den sogenannten Third Space hervor (vgl. BHABHA 1994). Homi K. Bhab- ha spricht von einem „dritten Raum“ (Third Space), der sich zwischen den Räumen der Träger verschiedener Identitäten herausbilden soll. Als Metapher des Hybriden setzt der „dritte Raum“ eine Öffnung dem Anderen gegenüber voraus, er sei ein „zwischenräumlicher Übergang zwischen festen Identitäten“, der „die Möglichkeit einer kulturellen Hybridität“ eröffnet, „in der es einen Platz für Differenz ohne eine übernommene oder verordnete Hierarchie gibt“ (BHABHA 1997: 127). Dieser „dritte Raum“39 ist kein eigenständiger, fester, geographischer, sondern ein symbolischer, exterritorialer Ort, der als Schnittstelle, Kontaktzone zwischen beiden Kulturen zu verstehen ist, in der – ganz ohne Hierarchien – nicht nur eine Vermischung von kulturellen Elementen stattfi ndet, sondern diese durch die wechselseitige Durchdrin- gung zu etwas eigenem Neuen transformiert werden. Der Prozess der Mischung ist dynamisch, so dass sich immer neue Unterschiede entwickeln können. Es ist aber auch ein Ort der Spannung zwischen den Kulturen, die nicht aufgelöst werden kann, sondern eher als notwendiger Bestandteil multikultureller Gesellschaften, also ins- besondere postkolonialer Gesellschaften, begriffen werden muss (vgl. REHBERGER/ STILZ 2004: 149). Die Aneignung und Verfl echtung von Elementen unterschiedli- cher Herkunft beinhaltet auch ihre Transformation. Doris Bachmann-Medick weist darauf hin, dass das Eigene und das Fremde nicht mehr länger als Entgegensetzung erlebt werden, sondern durch die Erfahrung mehrfacher kultureller Zugehörigkeiten und gebrochener Identitäten Andersheit und Verfremdung unmittelbar in die Selbst- erfahrung hineinreichen (BACHMANN-MEDICK 1999: 521). Die Theorie der kulturellen Hybridität wendet sich gegen Vorstellungen einer ho- mogenen nationalen Kultur. Keine Kultur ist in der modernen Welt von der globalen Zirkulation von Zeichen, Menschen, Informationen unberührt geblieben. Die heuti- ge Kultur ist hybrid (BRONFEN/MARIUS 1997: 18). Die Hybridität prägt Mischformen des individuellen Seins aus und ist das Gegenteil des monokulturellen Selbstver- ständnisses (BLIOUMI 2002b: 31).

39 In Verbindung mit dem „dritten Raum“ (BHABHA 2000: 56) vewendet Homi Bhabha Bilder des Treppenhauses (BHABHA 2000: 5), der Brücke (BHABHA 2000: 7), des Zwischenraumes (BHABHA 2000: 10) und des „Da-zwischen“ (BHABHA 2000: 185). 48 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Die Frage der Identität, des Subjekts wird im postkolonialen Diskurs nachhaltig thematisiert. Die kulturelle Identität, die sich schwer erschöpfend defi nieren lässt40 und aus diesem Grunde immer wieder neu defi niert wird, bedeutet das Zugehörig- keitsgefühl eines Individuums zu einer größeren Gesamtheit (linguistischer, sozialer, ethnischer Natur etc.), zu einem bestimmten kulturellen Kollektiv (Kulturkreis), wo- bei die Kultur als ein Netz von Traditionen, Ein- und Vorstellungen, das auf das Empfi nden, auf die Wahrnehmung, auf das Denken und Urteilen jedes in der Gesell- schaft lebenden Individuums einwirkt und dessen Handeln bestimmt, zu verstehen ist (SIEBEMANN 1992: 233). Kulturelle Identität ist an die Entwicklung und Ausbil- dung gruppenspezifi scher Kulturformen gebunden und wird über die Artikulation von kulturellen Differenzen diskursiv generiert. So sei sie „das in interkultureller Kommunikation ausgehandelte Bild, das eine Gruppe von sich entwirft und mit dem sich ihre Mitglieder aufgrund einer Vorstellung von Gleichartigkeit zumindest temporär identifi zieren können“ (BIRK/NEUMANN 2002: 121f.). Zur Identitätsbildung wird das Gefühl der Zugehörigkeit benötigt, wobei die Möglichkeit des Rückgriffs auf vertraute Strukturen von Bedeutung ist. Dies ermöglicht Identität, wie Bronfen und Marius betonen, sowohl die personale wie kollektive Identität (BRONFEN/MARI- US 1997: 1). Kollektive Identitäten seien keine naturwüchsigen Gegebenheiten, sie hätten spezifi sche kulturelle Konstitutionsbedingungen (BRONFEN/MARIUS 1997: 2). Claire Horst verweist darauf, dass mit dem Ortswechsel (Migration) die Eindeutig- keit der Zugehörigkeit durchbrochen wird, nationale und kulturelle Grenzen über- schritten werden. Auf diese Weise verändern sich Identität und Zugehörigkeit. Die Identität bekommt eine neue Bedeutung, sie sei kein unverrückbares Prinzip mehr (vgl. HORST 2007: 11). Kultur und Gesellschaft sind auch keine eindeutigen, klar voneinander abzugrenzenden Einheiten mehr: „In solcherart hybridisierten Kulturen kann nationale Identität bestenfalls noch eine unter vielen sein“ (BRONFEN/MARIUS 1997: 14). Postkoloniale Theorien verstehen die kulturelle Identität – analog zur personalen Identität – als konstruiert und prozessual-dynamisch (BIRK/NEUMANN 2002: 121). Dementsprechend dient der Begriff der Hybridität zur Beschreibung der Situation von (postkolonialen) Migranten, weil sie als Gegenmodell zu einem abgegrenzten Identitätskonzept verstanden werden kann. In dem „dritten Raum“, in dem Homi Bhabha das Potential erkennt, kann man aus zwei oder mehreren Kulturen schöpfen und Bedeutungen konstruieren. So entstehen „hybride Identitäten“, Mischformen, die aus den Überschneidungen und Verfl echtungen hervorgehen. Infolge der Glo- balisierung und der gestiegenen Migrationsprozesse erfahren auch kulturelle Iden- titäten einen entscheidenden Wandel, was aber der These Bhabhas folgend keine

40 Vgl. z.B. die von Constantin von Barloewen vorgeschlagene Defi nition der kulturellen Identität: „Die kulturelle Identität ist zunächst keine festgelegte Persönlichkeitsstruktur, sondern ein vielschichtiges Resultat einer fortschreitenden und deutenden Aktivität, die von dem einzelnen Menschen als Ergebnis seiner Enkulturation vollzogen wird. Ein Wir-Gefühl, die Zuordnung des Selbst als einem Mitglied einer bestimmten kulturellen Gruppierung, dient als sozialpsychologische Erklärung der kulturellen Identität“ (BARLOEWEN 1993: 307). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 49 negativen Folgen nach sich ziehen kann, weil im dritten Raum im Prozess der Ver- mischung und Durchdringung eine neue, hybride Identität entsteht. Die Hybridität kann als ein Akt der transkulturellen Kommunikation verstanden werden. Die Migranten verkörpern die Hybridität, „insofern sie sich kosmopolitisch zwischen den Kulturen bewegen und ihre mehrfache Zugehörigkeit produktiv ma- chen bzw. kreativ entfalten können sollen“ (BACHMANN-MEDICK 2006: 200). Es liegt auf der Hand, worauf Doris Bachmann-Medick aufmerksam macht, dass gebildete und refl ektierende Subjekte, Künstler und Intellektuelle, viel leichter als Arbeiter und Flüchtlinge „ihre komplexen existentiellen Grenzsituationen für kreative Über- setzungen und Transformationen nutzen [können]. Damit können sie dazu beitragen, verfestigte Vorurteile aufzubrechen und soziale Gegensätze nach ethnischer bzw. na- tionaler Zugehörigkeit, Klasse oder Geschlecht zu überwinden“ (BACHMANN-MEDICK 2006: 201). Das Konzept der Hybridität nach Bhabha beschreibt die Situation in der Migrati- onsgesellschaft und eignet sich somit für die Analyse von Werken der Migrations- literatur. Die postkolonialen Ansätze können für die Erforschung der Migrationsli- teratur einzelner AutorInnen fruchtbar gemacht werden. Es besteht aber die Frage, wie es mit Deutschland und dem Postkolonialismus steht und ob die postkoloniale Theorie auf die Situation der deutschen Migrationsliteratur übertragen werden kann. Deutschland, in dem viele Ausländer leben, hat keine koloniale Vergangenheit im großen Stil gehabt. Bronfen und Marius stellen die Frage, was die Bedeutung der anglo-amerikanischen Debatte über Postkolonialismus und Multikulturalismus für den deutschen Sprach- und Kulturraum bedeuten kann (BRONFEN/MARIUS 1997: 8). „Die Effekte der Massenmigration von Menschen und der globalen Zirkulation von Zeichen, Waren und Informationen sind auch hier zu bemerken. Und darum geht es. Das ,post-‘ in ,postkolonial‘ bedeutet kein einfaches ,danach‘ im Sinne einer line- aren, chronologischen Progression – dann würde die Debatte in der Tat nur die direk- ten Effekte von Kolonialherrschaft betreffen –, sondern es bedeutet die Rekonfi gu- ration des gesamten Feldes, in welches der koloniale Diskurs einmündet“ (BRONFEN/ MARIUS 1997: 14). So wird die Debatte für den deutschen Sprachraum interessant, weil sie die realgeschichtlichen Phänomene der postmodernen Welt (Massenmigrati- on, Zirkulation von Waren, Dienstleistungen, Informationen, Zeichen) soziologisch und kulturtheoretisch untersucht. Man kann indessen auch Bedenken äußern, ob diese Theorie auch auf die Situation der osteuropäischen (in diesem Falle polnischen) Autoren übertragen werden kann. Das zentrale Problem, das dabei in Betracht gezogen werden muss, ist, dass die ost- europäischen Länder (Polen) nicht unbedingt als „postkolonial“ betrachtet werden können. 50 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

2.3. Kulturen im Kontakt: Inter-, Multi- und Transkulturalität

Die Entwicklung einer postkolonialen Literatur- und Kulturwissenschaft hat die De- batten um andere gängige Kulturkonzepte, die sich mit dem Verhältnis zwischen mehreren Kulturen auseinandersetzen, stark beeinfl usst und das Phänomen der Mig- rantenliteratur in deren Kontext diskutiert und erklärt: in dem der Inter-, Multi- und Transkulturalität. Deswegen sollen die genannten Konzepte in diesem Abschnitt vor- gestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, um die wichtige Frage zu beantworten, welches von ihnen der Erfassung der deutsch-polnischen Migran- tenliteratur am geeignetsten erscheint. Die Begriffe der Multikultur, der multikulturellen Gesellschaft sind seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts weithin bekannt. Der Ausdruck „multikulturelle Gesell- schaft“ wurde mit der Absicht verwendet, beispielsweise die Kulturen von Migranten anzuerkennen und zu einem wichtigen Bestandteil der Einwanderungsgesellschaft zu erklären. Der Begriff wird verwendet, wenn „kulturelle Vielfalt, kultureller Plu- ralismus, cultural diversity als gegebene Wirklichkeit gemeint ist, […] in Abgren- zung zum Multikulturalismus mit seinen politischen, pädagogischen, ideologischen Konnotationen“ (MINTZEL 1997: 58). Das Konzept der Multikulturalität bedeutet die Koexistenz vieler verschiedener kultureller Gruppen innerhalb einer Gesellschaft, ein Nebeneinander und Miteinander verschiedener Kulturen, wobei offen bleibt, ob diese Gruppen friedlich oder konfl iktreich nebeneinander leben. Man geht zwar von der Anwesenheit mehrerer Kulturen aus, aber die einzelnen Kulturen werden als verschieden und voneinander getrennt angesehen. Der Begriff der Interkulturalität verweist auf einen bestimmten Umgang mit der Tat- sache der Multikulturalität, wobei die beiden Begriffe nicht deckungsgleich sind, weil – laut Beyersdörfer – wo Multikulturalität herrscht, noch nicht Interkulturalität vorliegen muss und das Umgekehrte, rein begriffl ich, der Fall ist (vgl. BEYERSDÖRFER 2004: 44). Für Alf Mintzel besteht der Unterschied zwischen beiden Begriffen darin, dass der Begriff der Interkulturalität die Verbindungen zwischen Menschen aus ver- schiedenen Kulturen betont (MINTZEL 1997: 61). Das Konzept der Multikulturalität lässt offen, in welchem Maße Verbindungen entstehen und ob sie gefördert oder verhindert werden. Im Gegensatz zur Interkulturalität, die die kulturellen Beziehun- gen zwischen Kulturen über ihre Grenzen hinaus beschreibt, braucht die Multikul- turalität als Nebeneinander von Kulturen den Kulturwandel nicht, und so kommt es auch zu keinem Kulturaustausch (vgl. WÄGENBAUR 1995b: 27ff.). In der Forschung wird auch betont, dass ein Übergang von Multikulturalität zu einer Interkulturalität, die das „inter-‟ als zwischen/miteinander ernst nimmt (vgl. WIERLACHER 1993a: 58), notwendig ist. In der Interkulturalität bezieht sich der Umgang nicht auf das Nebeneinander von Kulturen, sondern auf das „Inter“ selbst, das Zwischen den Kulturen (MINTZEL 1997: 58). Das Konzept der Interkulturalität meint nicht „Interaktion zwischen Kulturen im 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 51

Sinne eines Austauschs von je kulturell Eignem, sondern zielt auf ein intermediäres Feld, das sich im Austausch der Kulturen als Gebiet eines neuen Wissens herausbil- det“ (GUTJAHR 2002: 353). Man geht dabei von den „Interaktionsprozessen aus, bei denen die kulturelle Differenz zwischen eben diesen Werten, Sitten, Gebräuchen und Praktiken als kulturkonstitutiv verhandelt wird“ (GUTJAHR 2002: 353). „Interkultura- lität“ bezieht sich auf interkulturelle Begegnungen zweier oder mehrerer Subjekte, infolge derer relevante Gemeinsamkeiten und kulturelle Differenzen erzeugt werden können. Das Modell der Interkulturalität beruht auf angenom me nen Differenzbe- ziehungen zwischen dem kulturell Eigenen und dem kulturell Anderen, die von der interkulturellen Literaturwissenschaft untersucht werden. In dem Zwischenraum des Interkulturellen kommt es „zur Aufl ösung und Neuschaffung von Grenzziehungen, Macht- und Gewaltverhältnissen und Geschlechterrollen“ (GUTJAHR 2002: 352). Nach Karl Esselborn ist mit „interkulturell“ und „Interkulturalität“ eine Zwischen- position oder eine Überschneidungssituation gemeint, die „auf einer Relation zwi- schen zwei oder mehreren, sich voneinander unterscheidenden, einander „fremden“ Kulturen beruht, welche als Kontakt, Konfl ikt, Dominanz bzw. Ablehnung, Abwehr, Ausgrenzung, Vernichtung oder als Anerkennung, Toleranz, Austausch, Übernahme, Mischung usw. beschrieben werden kann“ (ESSELBORN 2007: 23). Laut Bernd Thum bedeutet das „Interkulturelle“ nicht einfach den Ort „zwischen“ den Kulturen, sondern vielmehr „in“ den differenten Kulturen selbst, in die sich ein Individuum immer wieder neu integrieren müsse (THUM 1998: 36). Es ist damit die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, zur schöpferischen kulturellen Assimilation, zur Vermittlung unterschiedlicher kulturspezifi scher Erkenntnisformen, Werte und lebensweltlicher Elemente gemeint. Eine aufschlussreiche Perspektive eröffnet Ma- ria Katarzyna Lasatowicz, indem sie den Begriff der „empirischen Interkulturalität“ verwendet. Die „empirische Interkulturalität“ (vgl. LASATOWICZ 1999) existiert schon seit langem in der real vorfi ndlichen Wirklichkeit und kann in ihren konkreten Er- scheinungsformen eng mit der Regionalität zusammenhängen, wie z.B. in Schlesien, Pommern, Masuren. Die Migranten, insbesondere die in Deutschland geborenen (der sogenannten zwei- ten oder dritten Generation) leben in einer interkulturellen Situation, die sich nicht unbedingt durch die kulturellen Unterschiede zwischen der „Herkunftskultur“ und der „Mehrheitskultur“ defi nieren lässt. Sie besetzen vielmehr einen „Interraum“, in dem sie eine gemischte (hybride) Identität ausbilden, die sich eindeutigen Zuschrei- bungen verweigert. Sie führen ein Leben zwischen Kulturen unter den Vorausset- zungen einer Pluralisierung kultureller Bezüge. Es besteht für sie die Möglichkeit, sich nicht mit dem nationalstaatlichen Raum, sondern mit einem Kultur-Raum zu identifi zieren. Mit den Fragestellungen der interkulturellen Literaturwissenschaft wird die Migran- tenliteratur in Bezug auf Möglichkeiten und Probleme interkultureller Konstellation, Begegnung, des Verstehens fremder Kulturen hin untersucht. In der Literatur werden interkulturelle Prozesse nicht nur als Gegenstand dargestellt, sondern auch kritisch refl ektiert. Die Literatur gewinnt für die kulturelle Selbstrefl exion einen zentralen Stellenwert (GUTJAHR 2002: 365). 52 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Vorstellungen von Multi- und Interkulturalität zielen auf die Anerkennung von Dif- ferenz und Verschiedenheit und betonen die Koexistenz verschiedener Einzelkultu- ren innerhalb einer Gesellschaft. In der Forschung wurde der Versuch unternommen, bereits behandelte Aspekte durch „eine transkulturelle Perspektive“ zu ergänzen. Auf diese Weise kann man die Auffassungen von Multi- und Interkulturalität als Vorstufen von Transkulturalität betrachten, einem Konzept, das im deutschspra- chigen Raum vorrangig von dem Philosophen Wolfgang Welsch Mitte der 1990er Jahre entwickelt wurde.41 Welsch, dessen Ausgangspunkt die Kritik der Multi- und Interkulturalität ist, verwendet den Begriff ausdrücklich als Gegenentwurf zu den Konzepten der Multi- und Interkulturalität, denen er ein traditionelles und unzeitge- mäßes Kulturverständnis zuschreibt.42 Die Transkulturalität profi liert sich als ein Begriff, der den Kontakt zwischen den Kulturen als wechselseitige Durchdringung betont, die traditionellen Identitätskon- zepte hinterfragt und auf die Zwischenräume hinweist. Laut Welsch haben sich aber die Hoffnungen, die man in die Idee des kulturellen melting-pots („Schmelztiegel“) gesetzt hatte, nicht erfüllt. Er ist der Meinung, dass „Interkulturalität“ nicht das rich- tige Konzept ist, um den Intentionen des interkulturellen Dialogs unter heutigen Bedingungen gerecht zu werden. Die modernen Kulturen mit ihrer geschichtlich veränderten Verfassung (kulturelle Globalisierung) sind mit den herkömmlichen Kulturkategorien nicht mehr zu fassen. Die Multi- und Interkulturalität betonen all- zu sehr das Nebeneinander (Multi-) und das Dazwischen (Inter-) der Kulturen, was immer noch zu stark auf eine Abgrenzung der Kulturen hinweist. Das Nebeneinan- der verschiedener Kulturformen führt nämlich nicht zu einer produktiven Durch- wirkung. Diskurse zur Interkulturalität betonen die Rolle des Austauschs, der Be- gegnung, des Dialogs, der Kontakte zwischen den Kulturen. Es ist die Beziehung zwischen Kulturen in deren Verschiedenheit, wobei die Möglichkeit der Kommuni- kationsaufnahme vorausgesetzt wird. Die Multi- und Interkulturalität basieren daher Welschs Meinung nach auf der klassischen, homogenen Kulturvorstellung. Durch die Verwendung des Begriffes der Transkulturalität, in Bezug auf moderne Kulturen wird in der wissenschaftlichen Diskussion wird der Versuch unternom- men, den Kulturbegriff in seiner Offenheit und Beweglichkeit neu zu bestimmen (vgl. WELSCH 1997). Die Transkulturalität beschreibt nämlich einen durchaus dyna- mischen Prozess. Man betont gemeinsame Elemente innerhalb verschiedener Kultu- ren, die die Kulturen durchdringen. Die Kulturen können nämlich in einer Zeit sich immer stärker manifestierender Globalisierung und der damit zusammenhängenden kulturellen Transformationsprozesse nicht hermetisch verstanden werden. Die neuen Leitkulturen weisen nicht multi- oder inter-, sondern transkulturelle Konturen auf.

41 Es muss aber an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Auffassungen von Multi-, Inter- und Transkulturalität divergieren. Die anglistische Forschung betrachtet Multikulturalität als Vorstufe von Transkulturalität, wobei sie die Interkulturalität als einen Sammelbegriff für unterschiedliche Multi- und auch transkulturelle Konzeptionen des Verhältnisses von Eigerem und Fremden defi niert (vgl. SOMMER 2001: 36). 42 Die erste Veröffentlichung zum Konzept der Transkulturalität von Wolfgang Welsch ist 1992 (WELSCH 1992) erschienen. Weitere Publikationen zum Thema Transkulturalität folgten u.a. 1994 (WELSCH 1994), 1995 (WELSCH 1995), 1996 (WELSCH 1996), 1997 (WELSCH 1997), 1998 (WELSCH 1998). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 53

Wir haben mit mannigfachen Verfl echtungen, Vermischungen, Überschneidungen, Ähnlichkeiten sowie der Entstehung neuer Formen zu tun. Innerhalb der Transkul- turalität werden Kultur sowie kulturelle Identität an sich als dynamische, offene und im Wandel begriffene Prozesse verstanden. Der Begriff löst somit die Eigen-Fremd- Differenz auf. Transkulturalität soll nicht als Akkulturation, also die Assimilation an eine der be- teiligten (meist in der Hierarchie höher eingestuften) Kulturen infolge einer Dekul- turation, d. h. dem Verlust der eigenen Kultur, ergo als Resultat, sondern eher als Inkulturation verstanden werden. Es ist kein Gewaltakt (wie z.B. im Kolonialismus), vielmehr eine wechselseitige Durchdringung der zunächst getrennten Kulturen, in deren Folge in einem steten dynamischen Prozess diverse Elemente aus der einen Kultur in die andere übergehen und umgekehrt. Dieses Kulturverständnis beruht auf der Annahme grundsätzlicher Hybridität. Von fundamentaler Bedeutung sind die ab- solute Gleichwertigkeit aller Kulturen und das Fehlen einer Hierarchisierung zwi- schen den unterschiedlichen kulturellen Systemen. Ein sehr wichtiger Aspekt des Transkulturalitätskonzepts ist die Tatsache, dass der Gegensatz zwischen Eigen- und Fremdkultur abgelehnt wird, anders als es bei der Multi- und Interkulturalität der Fall ist, bei denen die kulturellen Unterschiede mehr oder weniger hervorgehoben werden, weil die Begegnung mit dem Anderen, mit der anderen Kultur Fremdheit konstituiert. Im transkulturellen Ansatz kann das „Eigene“ durch den Einbau fremdkultureller Elemente zustande kommen. Die Fremdheitsfor- schung, die von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen betrieben wird und zu der Anfang der 90er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erste einschlägige kultur- wissenschaftliche Untersuchungen erschienen sind43, hat einen nachhaltigen Impuls zur interkulturellen Perspektiverweiterung der germanistischen Forschung gegeben. Die Interkulturelle Germanistik macht den Begriff „Fremdheit“ zu einem ihrer Rah- menbegriffe und betrachtet es als „Kulturthema“ (WIERLACHER 1993a: 31). Die inter- kulturelle Perspektive geht davon aus, dass für die Migrantensituation die Situation des Fremden, der in einer neuen Kultur ankommt, typisch ist (WIERLACHER 1993a: 40). Das jeweils Eigene wird über die Interpretation einer Person, Sache oder Situa- tion als fremd konturiert, und umgekehrt. Man betrachtet den Fremden als jemanden, der zwischen zwei Kulturen, oder als Heimatloser existiert (vgl. HAMMERSCHMIDT 1997: 59). Der „Immigrant“ sei der Prototyp des Fremden (vgl. HAMMERSCHMIDT 1997: 57), ein Subjekt, das „nur über die Beziehung zu anderen […] seine Identität, sein »Selbst« konstituieren“ kann (vgl. HAMMERSCHMIDT 1997: 196). Der Fremde tritt in eine Beziehung zur neuen Gesellschaft, zur neuen Kultur und gerät gleichzeitig in ein Dilemma. Er muss sich anpassen:

Will er sich anpassen, hat er gegen Ausgrenzung und Vorurteile zu kämpfen, die seine Integration verhindern. Ist er nicht zur Selbstaufgabe bereit oder fähig, mit seiner Vergan-

43 Für die Kategorie Fremdheit interessieren sich u. a die Soziologie, Anthropologie, Ethnographie, Theologie, Pädagogik, Kulturgeschichte, Psychologie und Interkulturelle Germanistik. Zu den einschlägigen Untersuchungen gehören u.a.: ASSMANN/HARTH 1990, BIZEUL/BLIESENER/PRAWDA 1997, KRISTEVA 1990, KRUSCHE 1985, SCHUSTER 1996, WALDENFELS 1999, WIERLACHER 1990. 54 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

genheit und Herkunftskultur zu brechen, genügt er nicht dem dominanten Assimilations- anspruch und wird zum Grenzfall zwischen den Kulturen (HAMMERSCHMIDT 1997: 60).44 Hans-Jürgen Krumm ist aber – ähnlich wie Wolfgang Welsch – der Meinung, dass die Interkulturalität „auf die Gleichwertigkeit von Kulturen, eine Abkehr von An- passungskonzepten [zielt] – als ein Begriff, der Akzeptanz signalisiert, die eine fremde Kultur auch ,fremdʻ bleiben läßt und Anpassung nicht nur bei Minderheiten und Migrant/inn/en, sondern auch in der Mehrheitsgesellschaft einfordert“ (KRUMM 1998: 144). Das „Zwischen zwei Kulturen“ wird aus der interkulturellen Perspektive als eine positive Bedingung betrachtet, „die die Möglichkeit zu Konfl ikt und Versöhnung erst hervorbringt“ (vgl. HAMMERSCHMIDT 1997: 165). Es ist ein positiver Ort, weil dort zwar auch Konfl ikte entstehen können, aber ebenso Versöhnung und neue Er- kenntnisse möglich sind. Das „Zwischen“ bietet dem Migranten viele Möglichkeiten an, die er nutzen kann. Aus der transkulturellen Perspektive sind alle heutigen Kul- turen in einem positiven Sinn durch Mischung und Durchdringung gekennzeichnet, sie ergeben sich aus der Vermischung der Kulturen sowie Übergänge oder Über- schneidungen zwischen Fremden und Eigenem, die im Mittelpunkt stehen. Auf diese Weise scheinen die Kategorien von Eigenkultur und Fremdkultur überholt zu sein. Die Einzelkulturen sind transkulturell bestimmt (vgl. WELSCH 1995: 42). Die Dicho- tomie von ‚eigenʻ und ‚fremdʻ wird überwunden. Da sich jede Kultur laut Foucault auch über ihre Grenzen defi niert, nämlich dadurch, dass sie „etwas zurückweist, was für sie außerhalb liegt“ (FOUCAULT 1995: 9, kursiv im Original), erscheint – ähnlich wie „Fremdheit“ – der Begriff der Grenze als ein Rahmenbegriff interkultureller Germanistik (vgl. u.a.: ASSMANN/HARTH 1990, FABER/ NEUMANN 1995, KASCHUBA 1995, LAMPING 2001, WIERLACHER 1993a, WIERLACHER 1993b, WIERLACHER/WIEDENMANN 1996).45 Die Grenze ist die Voraussetzung für die Existenz erkennbarer kultureller Alterität, die die kulturelle Identitätskonturierung bedingt. Sie funktioniert im Zusammenhang mit der Wechselwirkung vom Eigenen und Fremden, die von der interkulturellen Germanistik untersucht wird. Die inter- kulturelle Germanistik beschreibt die „grenzüberschreitenden kulturellen Beziehun- gen zwischen den Kulturen“ (BLIOUMI 2002a: 29) und versucht eine Antwort auf die Frage zu fi nden, wie Grenzen als Trennungslinien zwischen Kulturen erkannt und fruchtbar gemacht werden können.46 Die Grenze setzt „Unterschiedliches in Be- ziehung“, sie kann „abgrenzen, zuordnen oder verbinden“ (LANGE/SCHÖNERT/VARGA 2002: 10). Für Dieter Lamping ist die Grenze „ein Ort der Differenz“, „eine Begeg-

44 Die von Anette C. Hammerschmidt entwickelte interkulturelle Hermeneutik verbindet soziologische, philosophische und psychologische Perspektiven der Beziehung zwischen dem Fremden und dem Eigenen. 45 Die Problematik der Grenze liefert Anstöße für die Hermeneutik fremdliterarischer Texte. In der Forschung wird versucht, den Grenzbegriff in interdisziplinärer Zusammenarbeit und im synchronen sowie diachronen Zugriff zu untersuchen (vgl. FABER/NEUMANN 1995). 46 Stefan Rieger, Schamma Schahadat und Manfred Weinberg sind der Meinung, dass die Voraussetzung für Interkulturalität die Anwesenheit einer Grenze ist, an der Unterschiede zwischen den Kulturen sichtbar würden (vgl. RIEGER/SCHAHADAT/WEINBERG 1999). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 55 nung mit Anderem“, sie trennt „zwei Territorien und mit ihnen zwei politisch, sozial, kulturell und linguistisch verschiedene Systeme“:

Die Trennung ist jedoch nicht unbedingt absolut. An der Grenze kommt das Verschiedene und das Unterschiedene in einem doppelten Sinne zusammen: Es trifft aufeinander, und es geht ineinander über. Insofern ist die Grenze nicht nur der Ort der Unterscheidung und der Abgrenzung, sondern auch der Ort des Übergangs, der Annäherung und der Mi- schung. Sie ist Anfang und Ende zugleich, und daraus erwächst ihre besondere Dialektik: Keine Grenze ohne Grenzübertritt (LAMPING 2001: 12f.). Die Migrantenautoren, die zu Grenzgängern im archetypischen Sinne des Wortes geworden sind, stehen mit ihren Erfahrungen sowohl in als auch zwischen zwei Kulturen und stellen somit ein besonderes Modell der kulturellen Grenzgänger dar. Sie haben die Grenze überschritten, dementsprechend sind auch ihre Protagonisten in vielen Fällen Grenzgänger, die sich zwischen Ost und West und zwischen un- terschiedlichen Kulturen bewegen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass diese Schriftsteller für den deutschsprachigen Leser in besonderem Maße transkulturelle Vermittler sind, die ihr deutschsprachiges Lesepublikum für die Belange und Erfah- rungen eines Fremden sensibilisieren sollen. Sie versuchen, die eigenen Erfahrungen (und ihre Lebensläufe) literarisch zu erfassen oder vielleicht gar zu dokumentieren. Die Migranten überschreiten die Grenzlinie des Kulturellen und werden als „Grenz- gänger“ – Mittler zwischen verschiedenen Sprach- und Kulturkontexten – betrach- tet. Angesichts der Globalisierung werden traditionelle Kulturgrenzen, nationale Fixierungen, eindeutige Zugehörigkeiten zunehmend fraglich. Das Transkultural- tätskonzept stellt die Grenze als eine zwischen inselförmig voneinander abgegrenz- ten Kulturen vermittelnde Trennungslinie in Frage. In der Welt von heute haben wir nämlich nicht mehr mit einer ausschließlich eth- nisch fi xierbaren Identität zu tun, sondern mit einer wachsenden Vielfalt möglicher Identitäten mit grenzüberschreitenden Konturen (kulturelle Mischlinge), so dass eher von einem transkulturellen Verfl ochten- und Durchdrungensein des nicht mehr homogenen Eigenen und Fremden gesprochen werden sollte statt von deren gegen- seitiger interkultureller Konturierung (vgl. WELSCH 1995: 42f.). Im Transkulturali- tätsmodell sind der Aspekt der Kontaktaufnahme und die daraus folgenden weiteren vielfältigen Durchdringungs- und Mischungsprozesse der kulturellen Elemente, die quer („trans“) durch die Kulturen gehen, von Bedeutung. Wo diese Kontaktaufnah- me stattfi nden soll, stellt kein besonderes Anliegen der Transkulturalität dar. In seiner Offenheit scheint der Begriff der Transkulturalität ein Sammelbegriff für viele Phänomene zu sein. Mit dem Philosophen Wolfgang Welsch teile ich die An- sicht, dass separate Kulturen nicht als Sphären oder Inseln, die nur gelegentlich und punktuell miteinander in Verbindung treten, funktionieren. Die dynamische Vorstel- lung von kulturellen Zentren, die sich herausbilden, auf andere wirken und mit ihnen in Wechselwirkung treten, erscheint überzeugend. Es geht dabei nicht einfach um Einfl üsse und Übernahmen, sondern um Anregungen und Anpassungen, um Über- legungen welche Momente einer fremden Kultur in das eigene Konzept integrierbar 56 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 sind, so dass sich die eigene Kultur aus der Adaption und Ablehnung fremder Ele- mente, im Kontrast, neu konstituiert.

Kultur lässt sich nicht länger als Ansammlung territorialer Container verstehen, sondern erscheint als global vernetzte Gemeinschaftsressource, aus der sich Individuen und sozi- ale Gruppen bedienen, um ihre spezifi schen kulturellen Eigenarten auszuformen (SCHUL- ZE-ENGLER 2006: 46). Laut Dagmar Košálová sind die Begriffe Multi-, Inter- und Transkulturalität nicht „als kontrovers bzw. als konturvage nebeneinander bestehend“ zu betrachten,

sie sind vielmehr als konstituierende Merkmale der angestrebten Prozessualität gegen- wärtiger Entwicklungen zu sehen. Diese reichen vom multikulturellen Nebeneinander als Folge weltweiter Migration und gleichzeitiger wirtschaftlicher und medialer Globalisie- rung über die interkulturell vermittelnde Suche und Refl ektion des jeweils Verbindenden und Trennenden bis hin zum transkulturellen Miteinander als dem angestrebten Ziel der Zukunft (KOŠŤÁLOVÁ 2003: 243). Ottmar Ette macht darauf aufmerksam, dass „neben ein multikulturelles Nebenein- ander und ein interkulturelles Zwischen- und Untereinander“ auch „ein transkultu- relles Durcheinander getreten [ist], in dem sich die verschiedenen Kulturen wechsel- seitig durchdringen und verändern“ (ETTE 2001: 12f., kursiv im Original). Mit dem Konzept der „Transkulturalität“ wird also keine ausschließende Alternative zu bisherigen Beschreibungsmodellen beansprucht. Die Perspektive der Transkultu- ralität problematisiert aber bestimmte kulturelle Phänomene, weil die deutschspra- chige Kultur und Literatur (wie jede andere auch) aus unterschiedlichen kulturellen Formen besteht, die von ganz bestimmten Kontexten gebildet werden. Die Transkul- turalität bezieht sich auf das Entstehen einer neuen kulturellen Vielfalt, die nationale Grenzen überschreitet. Das Präfi x „trans-‟ soll bezeichnen, dass es darum geht, etwas zu überschreiten, zu durchdringen, über etwas hinaus zu gelangen. Die Kulturen sind „keine von einander völlig isolierten und sich abschottenden Gebilde“ (WIERLACHER 2003: 260, vgl. WIERLACHER 2000), bedeutsam ist vielmehr ein „wechselseitiges In- einanderwirken verschiedener, auch antagonistischer Kulturen und Teilkulturen“ in den Kulturen: „Kulturen werden liminal produziert, werden von ihren Grenzen bzw. von Grenzsituationen aus gestaltet“ (BACHMANN-MEDICK 2006: 198). Der Kontakt zwischen der Kulturen als wechselseitige Durchdringung wird betont, die traditionellen Identitätskonzepte hinterfragt und auf die Zwischenräume hinge- wiesen. Das Transkulturalitätskonzept setzt kulturelle Differenzierung voraus und betont die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen, die eine Verständigung in der kulturell heterogenen Wirklichkeit ermöglichen (vgl. WELSCH 2006: 126). Dieser Ansatz wird dem gegenwärtigen Globalisierungsdiskurs gerecht.47

47 Das Konzept wird sowohl den globalen als auch den regionalen Aspekten der Kulturentwicklung gerecht. Mit „Transkulturalität“ wird die Perspektive der Historiographie erweitert , mit der man multiethnische Regionen und Kulturräume, wie etwa die Donaumonarchie oder die siebenbürgisch-deutsche Provinz, in denen es zur gegensetigen Durchdringung von unterschiedlichen Kulturen kommt, adäquater erfassen und deuten kann (vgl. HERZOG o.J.). 2. Migrantenliteratur im Kontext der kulturwissenschaftlichen Neuorientierung 57

Die deutsch-polnischen, bzw. österreichisch-polnischen kulturellen Beziehungen sind in dieser Hinsicht durch eine übergreifende Nähe gekennzeichnet. Diese kultu- relle Nähe geht auf die offensichtliche Tatsache zurück, dass die polnische, deutsche und österreichische Kultur der europäischen Kultur angehören. Die gemeinsamen historischen existentiellen Grunderfahrungen spielen hier auch eine wichtige Rol- le, weil sie im Laufe der Zeit von Kunst und Literatur zu erkennbaren Kulturzei- chen aufgearbeitet und zu Komponenten des kollektiven Bewusstseins wurden. Die Tatsache, dass die Merkmale des Postkolonialismus nicht in jeder Kultur zu fi nden sind, erschwert es manchmal, Bhabhas Modell auf alle kulturellen Phänomene an- zuwenden. Im Falle der deutsch-polnischen sowie österreichisch-polnischen Kul- turnachbarschaft haben wir meines Erachtens weniger mit einer Kolonialherrschaft und dementsprechend mit einer „postkolonialen“ Situation zu tun, sondern eher mit einer Transkulturalität, die auf der 1000 Jahre andauernden Nachbarschaft und der kulturübergreifenden Kommunikation gründet.48 In Folge dieses intensiven Kultur- transfers sind „gemeinsame“ Räume von ethnisch-kultureller Vielfalt (z.B. Masuren, Schlesien, Lodz, Danzig, ehem. Galizien) als kulturell multiple Symbiosen sowie multiple kulturelle Identitäten entstanden.49 So kommt dem Begriff „Grenze“ ein anderer Stellenwert zu. Infolge dieser Nachbarschaft haben sich nach und nach Kon- strukte herausgebildet, die Identität als pluriell und in ständigem Wandel begriffen verstehen. In Folge der plurilokalen Lebensführung wurde (und wird – die deutsch- polnischen Autoren mit „Migrationshintergrund“ dienen hier als Beispiel) auch indi- viduelle Zwei- oder Mehrsprachigkeit praktiziert.

48 Die Verfl echtungen sozialer, politischer, kultureller und ökonomischer Hierarchien und Ungleichheiten in der Geschichte der deutsch-polnischen und österreichisch-polnischen Beziehungen (Teilungen Polens) dürfen dabei nicht völlig außer Acht gelassen werden. 49 Eine aufschlussreiche, komparatistisch angelegte Studie über den deutsch-polnischen Kulturaustausch in den deutsch-polnischen, historisch, kulturell und auch literarisch geprägten Grenzräumen erschien 2013: Izabela Drozdowska-Broering untersucht in ihrer Monographie die deutsche und polnische Prosa der westlichen und nördlichen „Grenzräume“ nach 1989 (Ostpreußen, Ermland und Masuren, Pommern, Schlesien) am Beispiel von ausgewählten Texten von Artur Becker, Tanja Dückers, Paweł Huelle, Artur Daniel Liskowacki, Olaf Müller, Petra Reski, Roswitha Schieb, Mariusz Sieniewicz und Olga Tokarczuk (DROZDOWSKA-BROERING 2013).

3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens

Nach der Aufl ösung des Ostblocks werden die europäischen Traditionen der Multi-, Inter- und Transkulturalität, die im und nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört zu sein schienen, wieder sichtbar. Zum Verständnis des Phänomens der deutsch-polnischen Migrantenliteratur ist eine kurze Rückschau in die polnische Kulturgeschichte und in die polnische Vergangenheit unvermeidlich, wenn man die Entstehung und Existenz der heutigen „Literatur der deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund“ aufschlüsseln will. So muss die Frage beantwortet werden, warum die Schriftsteller polnischer Herkunft sich entschieden haben, ihre literarischen Texte auf Deutsch zu verfassen. Auf den allerersten Blick, scheint die Antwort relativ einfach zu sein. Die kulturell tradierte Anziehungskraft Deutschlands und Österreichs spielt eine wich- tige Rolle. Die Wahl des Deutschen als Literatursprache ermöglicht außerdem eine nicht zu unterschätzende bedeutsame Erweiterung des Lesepublikums, weil an die anhaltende Konjunktur des literarischen Grenzgängertums auf dem deutschsprachi- gen Büchermarkt angeknüpft werden kann. Bei genauerem Hinsehen jedoch, kann die Antwort auch in der Vergangenheit des osteuropäischen (polnischen) Kulturrau- mes gefunden werden. Inter- bzw. Transkulturalität lässt sich im Grunde genommen in allen Etappen der polnischen Kulturgeschichte feststellen. Die polnische Kultur (und Literatur), obwohl heute oft als homogen und autonom dargestellt, war schon immer auf „fremde“ Einfl üsse angewiesen und heterogen. Die polnische Kulturge- schichte (darunter die polnische Literaturgeschichte) war zu keinem Zeitpunkt eine nationale Kulturgeschichte, die „rein“ polnisch gewesen wäre. Sie war schon immer, schon wegen der geographischen Lage Polens, das Ergebnis einer fruchtbaren Ausei- nandersetzung mit der „fremden/anderen“ Kulturtradition und Sprache. Elemente aus unterschiedlichen, auch verschiedensprachlichen, Kulturen fl ossen hier zusammen.

3.1 Nationenbildung und Nationalkultur – einige Bemerkungen

Der Begriff der „Nationalliteratur“ ist ein Produkt der Nationenbildung. Die Na- tionalliteratur sollte das Selbstverständnis der Nation begründen und die spezielle Leistung der nationalen Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Und die Problematik 60 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 der Nation, deren Begriff seinen Ursprung in der vormodernen Zeit hat, nimmt in der geschichts- und gesellschaftswissenschaftlichen Forschung eine wichtige Stellung ein. Nationale Existenz kann nämlich staatlich oder kulturell defi niert werden. Fried- rich Meinecke unterscheidet zwischen Staatsnation und Kulturnation – je nachdem, ob eine Gemeinschaft, die sich als Nation betrachtete, eine staatliche Einheit bildete oder ob sie sich auf eine gemeinsame Sprache und Kultur stützte (vgl. dazu MEINE- CKE 1907; 1962). Otto Bauer betont die entscheidende Rolle einer gemeinsamen Ge- schichte, die die Mitglieder einer Nation zu einer „Schicksalsgemeinschaft“ macht (vgl. BAUER 1907). In seiner Studie Das Europa der Nationen. Die moderne Nations- bildung im europäischen Vergleich weist Miroslav Hroch darauf hin, dass die Nati- on vor allem durch die Beziehungen zwischen ihren Angehörigen (also nicht durch abstrakte Merkmale) bestimmt sei und diese Beziehungen gegenseitig austauschbar seien. Die Gruppe „Nation“ sei immer durch eine Kombination einiger Arten von Bindungen und Beziehungen (sprachlicher, historischer, territorialer, ökonomischer, religiöser, politischer Art etc.) gekennzeichnet. Zur Bestimmung der Nation gehört, so Hroch, dass ihre Angehörigen untereinander durch Kommunikation und gemein- sames Schicksal in höherem Maße verbunden sind als mit den Angehörigen anderer Nationen und dass sie eine Gemeinschaft gleichberechtigter Bürger bilden, die sich als Angehörige einer Nation betrachten (vgl. HROCH 2005: 20f., vgl. auch: HROCH 1968; 1993: 3ff.). Der deutsche Historiker Theodor Schieder unterscheidet drei Typen der Entste- hung von Nationalstaaten in Europa. Die erste Gruppe bilden die Nationalstaaten des „westeuropäischen Typs“ (Frankreich, England), wo sich die moderne Nation durch innerstaatliche Revolutionen konstituierte. Den zweiten Typ bilden die „uni- fi zierenden Nationalstaaten“, die infolge der Vereinigung staatlich getrennter Teile, deren Einwohner sich sprachlich und kulturell nahe standen, entstanden sind (ne- ben Deutschland und Italien wird zu dieser Gruppe auch Polen gezählt). Zur dritten Gruppe gehören diejenigen Nationalstaaten, die sich von übernationalen Großstaa- ten trennten. Diese Typologie wurde von der deutschen Forschung übernommen (SCHIEDER 1991: 110f.). Die Rolle der Kultur in der Nationenbildung wird von vielen Forschern besonders hervorgehoben, weil die Nation auch als „kulturelles Konstrukt“ betrachtet werden kann. Die polnische Soziologin Antonina Kłoskowska defi niert die Nation als eine soziale Gemeinschaft, die den Charakter einer Kulturgemeinschaft hat. Sie besitzt ihre eigentümliche Kultur, die sie von den anderen Gemeinschaften unterscheidet.50 Wichtig ist aber auch zu betonen, dass jedes nationale Kollektiv seine eigene Kultur infolge der Kontakte mit anderen Gemeinschaften entwickelt.

50 „Naród to zbiorowość społeczna o charakterze kulturowej wspólnoty“ [Die Nation ist eine soziale Gemeinschaft mit dem Charakter einer Kulturgemeinschaft – übers. AP]; „Jest to wspólnota o kulturze swoistej i wyodrębniającej od innych analogicznych zbiorowości“ [Es ist eine Gemeinschaft, deren Kultur spezifi sch ist und sie von anderen analogen Gemeinschaften unterscheidet – übers. AP]; „Każdy rozwinięty naród buduje własną i uważaną za własną kulturę w kontaktach z innymi, zwłaszcza, ale nie wyłącznie, z sąsiednimi zbiorowościami“ [Jede Nation entwickelt ihre eigene oder für eigen gehaltene Kultur im Umgang mit anderen Kulturen, insbesondere – aber nicht ausschließlich – im Umgang mit Nachbargemeinschaften” – übers. AP] (KŁOSKOWSKA 2005: 24, 40). 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 61

Wie Andreas Keller mit Recht bemerkt, ist Nation eben „kein naturgegebenes Abso- lutum, sondern ein dynamisch veränderliches Artefakt […], das durch unterschiedli- che Formen der Gedächtnisbildung erzeugt und verändert wird“ (KELLER 2005: 127). In der polnischen Kulturgeschichte – so Keller – haben wir durchaus mit „Kulturpro- dukten aus ethnischen Mischkonstellationen zu tun, die sich frei in einem symbioti- schen oder transkulturellen Raum ansiedeln und keine genetisch klar bestimmbare ‚Nationalstruktur‘ aufweisen“ (KELLER 2005: 127). Damit hängt die wichtige Frage zusammen, wo das Besondere in der Entwicklung der polnischen Kultur liegt, deren Folgen in die postmodernen Zeiten reichen können und in Form der deutsch-polni- schen Migrantenliteratur, die auf sichere Bezugsgrößen, wie „Territorium mit festen Grenzen“ verzichtet, spürbar sind. Es erscheint relevant, darauf aufmerksam zu machen, dass der europäische und ins- besondere der ostmitteleuropäische Raum nie von reinen „Nationalstaaten“ gefüllt gewesen sind.51 Miroslav Hroch macht in seiner Monographie darauf aufmerksam, dass Frankreich, England, Spanien, Portugal diejenigen Staaten sind, in denen die Nationsbildung die direkte Folge der Entstehung einer Zivilgesellschaft auf dem Territorium eines bereits etablierten Staates war, dessen Existenz niemand anzwei- felte und dessen Bildungseliten bereits in der Frühneuzeit ihre eigene Nationalkultur geschaffen hatten, die auch für die Mehrheit der Landbevölkerung verständlich und annehmbar war (HROCH 2005: 52f.). So ist die Staatskultur zur Nationalkultur ge- worden, die Identität mit dem Staat konnte – nicht immer gewaltlos – zur Identität mit der Nation wachsen. Die multiethnischen Monarchien (zu dieser Kategorie der Staaten gehörten Russ- land, die Habsburgermonarchie und das polnisch-litauische Reich), die infolge der Verbindung von mehreren Teilen entstanden sind, haben eine andere Entwicklung durchmachen müssen. Diese Reiche bauten erst allmählich ihre zentralen Instituti- onen auf, wobei Herrscher bzw. Dynastien Träger der Kontinuität waren. In vormo- dernen Gesellschaften verstanden sich nur die Angehörigen der politisch herrschen- den Stände, vor allem der privilegierten Adelsschichten als „Nation“ (HROCH 2005: 11). Die nationalen Eliten empfanden auch das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Nationalkultur. Sie hielten die Kultur für den Ausdruck und Beweis nationaler Ei- genständigkeit (HROCH 2005: 174). Die Machteliten mancher europäischer Reiche schufen keine eigenständige, für alle Regionen und Bewohner annehmbare staatsnationale Kultur, weil sie Konglomerate von Gebieten waren, die eine unterschiedliche Verwaltungs- und Rechtstradition, sehr oft eine eigene Kultur und Sozialstruktur hatten. Die herrschenden Eliten be- nutzten zwar gewöhnlich eine einzige Amtssprache, die aber für die meisten Ein- wohner unverständlich war.52 Die dominierende Rolle des Lateinischen in der Kultur

51 Werner Conze betont noch eine andere wichtige Tatsache aus der ostmitteleuropäischen Geschichte: Das fürstliche Heiratsnetz des 14. und 15. Jahrhunderts weise, von oben her, auf die politisch-kulturelle Verfl echtung der Länder und Nationen Ostmitteleuropas hin (vgl. CONZE 1992: 121f). 52 Bis zur ersten Teilung (1772) des polnisch-litauischen Staates besaß Litauen seine traditionellen Landesämter und eine bestimmte Form von Selbstverwaltung. Hroch weist darauf hin, dass der Versuch des 62 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 und Staatsverwaltung hielt sich bis etwa ins 13.–14. Jahrhundert (HROCH 2005: 60). Seit dem 12. Jahrhundert entstanden in West- und Mitteleuropa, noch im Schatten des Lateinischen, eigenständige Literatursprachen. Mit einer Verspätung von einem Jahrhundert kamen die ersten literarischen Formen im Polnischen. Die Staatssprache musste mit der „nationalen“ Literatursprache, die im 19. Jahrhundert eine nations- bildende Rolle spielte, nicht unbedingt identisch sein: im polnisch-litauischen Staat blieb bis ins 18. Jh. die Sprache der Staatsverwaltung das Lateinische, obwohl in Polen eine reiche muttersprachliche Literatur geschaffen wurde. Die Literaturspra- che war die Sprache der Bildungseliten. Da die Territorien der Staatsnationen eth- nisch nicht homogen waren, sprach die Mehrheit der Staatsbevölkerung (die niede- ren Volksschichten) im vormodernen Europa einen Dialekt einer der Literatur- bzw. Staatsprachen oder eigenständige Dialekte, ohne die offi zielle Staatssprache und die „nationale“ Literatursprache zu benutzen. So betrachtete man in den früheren Jahrhunderten den Wechsel von Sprache zu Sprache als Selbstverständlichkeit. Erst später wurde die Nationalkultur und mit ihr die Nationalsprache nicht nur als Kom- munikationsmittel, sondern als „Identifi kationscode, als Instrument der nationalen Mobilisierung“ gebraucht (HROCH 2005: 178).

3.2 Die politische und kulturelle Situation Polens bis 1939 – das kulturelle Erbe Polens

Immer noch wenig beachtet scheint die historische Tatsache zu sein, dass die Tradi- tion Polens als multikultureller Staat tief in die Vergangenheit zurückreicht und dass in der polnischen kulturellen und gesellschaftlichen Vergangenheit eine inter- bzw. transkulturelle Symbiose praktiziert worden ist. Zwar scheint das Phänomen der Mi- grantenliteratur eng mit den Globalisierungsprozessen von heute zusammenzuhän- gen, doch ist der polnische Kulturkreis schon in der Vergangenheit ein transkulturel- ler Raum gewesen, der häufi g Früchte in Form von kulturellen Mischkonstellationen getragen hat. Polen sind Europäer seit den Anfängen des polnischen Staates, seit dem 10.–11. Jahrhundert.53 Ende des 14. Jahrhunderts ging der polnische Staat eine Personal- union mit dem Großfürstentum Litauen ein. Nach der Lubliner Union, die 1569 geschlossen wurde54, verwandelte sich Polen in einen Vielvölkerstaat, den größten

Übergangs vom multiethnischen Reich zu einem unitarischen Staat in Polen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts infolge der zweiten (1793) und dritten Teilung (1795) scheiterte (vgl. HROCH 2005: 54). 53 Der Begriff „Europa“ besaß (schon in der griechischen und römischen Antike) hauptsächlich einen geographischen Sinn, der allmählich ab dem 13./14. Jahrhundert mit der Komponente „Christentum“ aufgeladen wurde. Bis zum 17.–18. Jahrhundert haben wir mit der Bezeichnung „Respublica christiana“ zu tun, mit der Europa als politisch-mystischer Körper begriffen und von der islamischen Welt abgegrenzt wurde. Erst seit dem 18. Jahrhundert beginnt man unsere Zivilisation als „Europa“ zu bezeichnen. 54 1569 wurde während einer Zusammenkunft des Sejm in Lublin die Union zwischen Polen und Litauen beschlossen, die sogenannte Lubliner Union. Polen und Litauen verschmolzen zur Republik der zwei Nationen, 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 63

Staat des neuzeitlichen Europa, die Republik der polnischen Krone und des Groß- fürstentums Litauen (später als „Rzeczpospolita Obojga Narodów“/„Republik Zwei- er Nationen“ bezeichnet). Die polnisch-litauische Adelsrepublik war ein regional, kulturell, ethnisch und konfessionell stark differenziertes Gebilde. Polen wurde von drei Hauptvölkern bewohnt, Polen, Litauen und Ruthenen. Aus ihnen bestand auch die Adelsschicht, die mit zahlreichen Standesprivilegien, unabhängig von der Spra- che und dem Bekenntnis, bedacht war.55 Die Stadtbevölkerung der Adelsrepublik bestand aus neben Polen und Litauern auch aus Deutschen, Juden, Ruthenen und Ar- meniern. Es gab auch Schotten, Ungarn, Holländer und Böhmen. All diese Gruppen unterlagen keinerlei Diskriminierung wegen ihrer Nationalität und hatten eine um- fassende Selbstverwaltung (vgl. TAZBIR 1977: 69). Wenn es zu einer Polonisierung des armenischen, deutschen oder ruthenischen Bürgertums kam, war es ein völlig freiwilliger Prozess. Wie schon in dem Kap. 3.1 angedeutet wurde, kann man die gesellschaftliche Situ- ation aus dem 14., 15., 16. oder 17. Jahrhundert kaum (oder nur sehr vorsichtig) mit den gegenwärtig gebrauchten Begriffen (wie z.B. Nation, Staat) beschreiben und beurteilen, weil die Nationalitätenfrage damals nicht selbstverständlich war.56 Es gibt in der polnischen Kulturgeschichte zahlreiche Fälle, in denen eine eindeu- tige nationale Zuordnung oder Zugehörigkeit problematisch erscheint. Dies ist ein Beweis dafür, dass monoethnische Nationalkulturen in Ostmitteleuropa eine Fiktion waren. Der bekannteste Fall ist neben Angelus Silesius (vgl. LIPIŃSKI 2004) Nikolaus Kopernikus (Mikołaj Kopernik, 1473–1543), dessen Zugehörigkeit entweder zum polnischen oder zum deutschen Volk bis heute Gegenstand von Kontroversen unter den Biografen war und ist: „[…] zunehmend wird von Kopernikus als dem Eigen- tum Europas und nicht ausschließlich eines Volkes gesprochen“ (MAŁŁEK 1992: 35; vgl. auch: KESTEN 1961; TAZBIR 2003: 123).57 Moderne Defi nitionen des Nationalbewusstseins sind auf das 15. oder 16. Jahrhun- dert, auf die Zeiten der Vielvölkerrepublik (Rzeczpospolita) unübertragbar. Eine eventuelle Lösung bietet der Begriff „politische Nation“. Gemeint sind diejenigen einem dualistischen Unionsstaat. Sie bildete bis zur dritten Teilung Polens (1569–1795) die Grundlage für das Nebeneinander beider Länder im Rahmen eines Staates. 55 Der Adel war zahlreich: im 16. Jahrhundert machte er 8–10% der Bevölkerung des ganzen Staates aus (600 000 – 800 000 Menschen). Laut Janusz Tazbir zog diese Privilegiengemeinschaft die Polonisierung des litauisch-ruthenischen Adels nach sich. Der Assimilationsprozess verlief auf der Grundlage vollkommener Freiwilligkeit (vgl. TAZBIR 1977: 68f.). 56 Wichtig war die Loyalität dem Staat gegenüber. Adam Krzemiński macht auf ein Beispiel aufmerksam. Im 16. Jahrhundert konnte man auf die Frage nach der Identität folgende Antwort bekommen: „canonicus cracoviensis, nationae Polonus, gente Ruthenus, origine Judaeus“ (Krakauer Kanonikus, polnischer Nationalität, gebürtiger Ruthene, jüdischer Herkunft) (vgl. KRZEMIŃSKI 1993: 14). 57 Kopernikus konnte neben Deutsch schon in seiner Jugend Polnisch. Er schrieb sich an der Universität Bologna als Deutscher und in Padua als Pole ein. Seine Briefe verfasste er ausschließlich auf Deutsch oder Lateinisch. Er schrieb auf Lateinisch, denn das war die Sprache der Gebildeten und die Korrespondenzsprache des Ermländischen Domkapitels. Latein war die Sprache der Königlichen Kanzlei in Polen. Laut Janusz Małłek fühlte sich Kopernikus als Preuße und als Bürger des polnischen Staates, als Untertan des polnischen Königs. Am engsten fühlte er sich mit seiner Heimatstadt Thorn verbunden, daneben mit dem Königlichen Preußen und Ermland, auch mit ganz Preußen, einschließlich dem Herzoglichen (vgl. MAŁŁEK 1992: 38). 64 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Schichten (Stände) einer Gesellschaft, die politische Rechte (Privilegien) besitzen und am politischen Leben teilnehmen (vgl. MARKIEWICZ 1999). Im Falle der pol- nisch-litauischen Adelsrepublik stellte ausschließlich der sehr uneinheitliche Adel (Szlachta) die polnische Nation (natio polonica) dar. Die Epoche des modernen Na- tionalstaats und der nationalen Emanzipationsbewegungen und Nationalitätenkämp- fe begann erst im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert, in einer Zeit also, in der Ostmitteleuropa zwischen den beiden deutschen Großmächten Österreich und Preußen und dem Russischen Reich aufgeteilt war. Timothy Snyder macht darauf aufmerksam, dass sich in diesem polnisch-litauischen Vielvölkerstaat, der eine Adelsrepublik war, die katholischen, orthodoxen und pro- testantischen Adeligen polnischer und litauischer Herkunft für Mitglieder der polni- schen Nation hielten:

The nation of this Commonwealth was its nobility, Catholic, Orthodox, and Protestant. Untited by common political and civil rights, nobles of Polish, Lithuanian, and East Sla- vic origin alike described themselves, in Latin or Polish, as ,of the Polish nation‘. They took for granted that, in the natural order of things, the languages of state, speech, litera- ture, and liturgy would vary (SNYDER 2003: 1). Die unterschiedlichen Funktionen der in verschiedenen Kommunikationssituatio- nen gebrauchten Sprachen (offi ziell, umgangssprachlich, literarisch, liturgisch) hat man als selbstverständlich und als etwas vollkommen Natürliches wahrgenommen. Frühere Jahrhunderte betrachteten den Wechsel von Sprache zu Sprache als Selbst- verständlichkeit. Dies galt auch für den Literaturbereich. Laut Monika Schmitz- Emans drückte sich einst in der Verwendung mehrerer Sprachen durch einen Dichter Gelehrsamkeit und Wendigkeit aus (SCHMITZ-EMANS 1996: 282). Das Wechseln der Sprache, zumindest in gebildeten Schichten, hat also im polnischen Kulturkreis eine lange Tradition. Der polnische Historiker Janusz Tazbir macht außerdem auf eine interessante Tatsa- che aufmerksam: Polen und Litauen sind sui generis in diesem Vielvölkerstaat in der Minderheit gewesen. Nur 40 Prozent seiner Bewohner bedienten sich der polnischen Sprache und nur ein Teil davon betrachtete sich als Mitglieder dieser ethnischen Ge- meinschaft (vor allem die Adeligen und die Vertreter des Bürgertums) (vgl. TAZBIR 2006: 9). Polnisch war im 17. Jahrhundert die Sprache der Adelsschicht (Staatssprache), selbst wenn ein Teil zweisprachig war und die Adeligen die Einführung des Deutschen oder Russischen als Amtssprachen verlangten, wobei ihre Forderungen auf Polnisch artikuliert wurden (vgl. LITWIN 1993: 185). In der Adelsrepublik lebten zahlenmäßig starke ethnische Gruppen. Die Religionsfreiheit in Polen, die das Toleranzedikt der Warschauer Konföderation aus dem Jahre 1573 neben vollen Zivilrechten und po- litischer Gleichstellung der Andersgläubigen mit den Katholiken zusicherte, lockte zur Zeit der religiösen Verfolgung religiös motivierte Migrantengruppen nach Polen. Die Demografi e-Forscher betonen, dass Polen im 17. Jahrhundert lediglich 40–45 Prozent der Bewohner der Republik ausmachten (vgl. TAZBIR 1989: 12). Im Laufe der Zeit wurden auch die Stadtbürger polonisiert, wobei der Prozess der Polonisie- 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 65 rung sich ohne Zwang ausweitete. Beispielsweise in Krakau wurde die deutsche Sprache aus dem Gerichtswesen, Zunft- und Stadtbüchern sowie Kirchen erst im 16. Jahrhundert verdrängt – auf Verlangen der Bewohner der damaligen polnischen Hauptstadt, nicht des polnischen Königs (vgl. TAZBIR 2006: 9). Polnisch war somit die Sprache der „politischen Nation“. Janusz Tazbir zufolge war es der Adelsschicht gleichgültig, welche Sprache ihre Untertanen sprechen (vgl. TAZBIR 1989: 23ff.). Erst unter dem Einfl uss der Aufklärung taucht die Idee der ausschließlichen Ver- wendung des Polnischen im öffentlichen und juristischen Bereich mit dem Ziel der staatlichen Vereinheitlichung, der Assimilierung aller Staatsbewohner und somit der Stärkung des Staates – im Bereich des politischen Lebens, der Staatssicherheit, der Bildung und der Rechtsprechung – auf. Man strebte nach der Polonisierung aller gesellschaftlichen Schichten. Die Zugehörigkeit zur „politischen Nation“ bedeutete gleichzeitig die Entscheidung für das Polentum, was früher – selbst innerhalb der Adelsschicht – keine Anforderung war (vgl. TAZBIR 1989: 37). Interessanterweise betrafen diese Bemühungen um die volle Assimilierung weder die Bevölkerung Li- tauens noch die deutschen Bewohner von Polnisch-Preußen. Wesentliche Gründe dafür können die Kenntnis der polnischen Sprache der litauischen Adeligen, die Treue und Loyalität der litauischen und preußischen Bevölkerung der Vielvölker- republik („Rzeczpospolita“) gegenüber sowie die politische Stärke von Polnisch- Preußen gewesen sein (TAZBIR 1989: 39f.). Die Vielvölkerrepublik, einer der größten, bevölkerungsreichsten und mächtigsten Staaten Europas in der Mitte des 16. Jahrhunderts, der sich über ein ausgedehn- tes Gebiet erstrecke und zahlreiche Volksgruppen umfasste, verwandelte sich in- nerhalb von zwei Jahrhunderten in ein ökonomisch rückständiges, politisch wenig handlungsfähiges und militärisch bedeutungsloses Staatsgebilde und ging infolge der Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts unter. Für Polen markieren sie das Ende der polnisch-litauischen Adelsrepublik und gleichzeitig den national-geschichtlichen Tiefpunkt. Dieses historische Ereignis zog nämlich die preußische, österreichische und russische Fremdherrschaft für mehr als ein Jahrhundert nach sich und schärfte das Nationalbewusstsein unter den Polen. Nach den Teilungen begann ein Teil der Patrioten die Nation mit dem Volk und die Nationalität mit der Sprache zu identifi - zieren. Sprache und Kultur bekamen einen festen Platz unter den nationalen Werten und begannen als spezifi sche Merkmale einer Nation zu gelten, sie wurden zum Symbol der nationalen Existenz. Das Polnische wurde zum Instrument der natio- nalen Mobilisierung. Der Aufbau einer Nationalkultur setzte vorwiegend auf dem Gebiet der Literatur ein. Sie hatte die größte Bedeutung für die Verbreitung und Stärkung der nationalen Identität. Diese Aufwertung der polnischen Muttersprache fand ihren Höhepunkt in der Romantik: die Vielsprachigkeit schien „entweder auf ‚Untreue‘ gegenüber der eigenen sprachlichen ,Heimat‘ oder aber auf ,Heimatlosig- keit‘ hinzudeuten“ (SCHMITZ-EMANS 1996: 282). Unter dem Einfl uss Johann Gottfried Herders, eines der Väter des modernen Volks- begriffs, und der Romantik entwickelte sich die Vorstellung von Sprache als einem entscheidenden nationalem Identifi kations- und Unterscheidungsmerkmal, infolge dessen „die Rolle der Nationalsprache und ihrer monoglotten national-patriotischen 66 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Literatur überhöht und verabsolutiert“ wurde (KLIEMS/TREPTE 2004: 357). Herder schreibt von „Natur, Empfi nden, ganze[r] Menschenseele“, die in die Sprache ein- fl ießt, und den „Abdruck in der Seele“ macht.58 Wie Kliems und Trepte mit Recht betonen, maß man in Polen – aufgrund des Verlustes staatlicher Einheit und der politischen Souveränität vom 19. bis in das 20. Jahrhundert, insbesondere nach den drei Teilungen – der polnischen Sprache, Kultur, Literatur und römisch-katholischen Religion große Bedeutung zu. Sprache, Kultur und Religion spielten, da in Polen keine staatliche und politische Einheit vorlag, eine besondere Rolle und entschieden über die nationale und kulturelle Zugehörigkeit des Autors. Die polnische Roman- tik war eine Antwort auf die Besetzung des Landes durch fremde Mächte und die Sprache wurde von dem gemeinsamen Kulturbereich, von der Kultur nicht getrennt (vgl. TREPTE 2000: 249). Dem polnischen Dichter der Romantik Adam Mickiewicz zufolge ist die Sprache eines Volkes ein entscheidendes Element seiner Kultur und seiner nationalen Identität. Die Muttersprache wird gleichgesetzt mit der nationalen Identität, die das Überleben der polnischen Nation und der polnischen Kultur in der Zeit der staatlichen Unfreiheit gewährleisten soll:

Kiedy o tym myślę, nie mogę się bronić przed głębokim upadkiem na duchu. Jest to najcięższa bodaj kara, na jaką może być skazany wygnaniec, gdy musi myśleć, czuć, odtwarzać swe wspomnienia w języku, który nie jest jego własny [Wenn ich darüber nachdenke, kann ich mich nicht einer tiefen Verzagtheit/Mutlosigkeit erwehren. Dies ist wahrscheinlich die schwerste Strafe, zu der ein Verbannter verurteilt werden kann, wenn er denken, fühlen, seine Erinnerungen in einer Sprache rekonstruieren muss, die nicht seine eigene ist – übers. AP] (MICKIEWICZ 1950: 164). Die Treue zur polnischen Muttersprache war für die polnischen Romantiker der wichtigste „Garant nationaler und kultureller Identität“ (KLIEMS/TREPTE 2004: 357). Anders als im Falle der vielen westlichen Nationen, die seit dem 19. Jahrhundert na- tionale Identität durch staatliche Institutionen wie Bildungs- und Erziehungssysteme sowie politische Stabilität festigen konnten, hat sich die nationale Identität der Polen in einem Prozess der geschichtlichen Diskontinuitäten (die polnischen Teilungen, das Fehlen eines Nationalstaates) herausgebildet. Polen identifi zierten sich mit ihrer Nation zunehmend aufgrund der ethnischen und sprachlichen Zugehörigkeit. Diese romantische Auffassung war lange Zeit maßgebendes Kriterium bei der Bewertung von Schriftstellern polnischer Herkunft (insbesondere in den Zeiten der politischen Unfreiheit Polens), die ihre Werke nicht unbedingt in der polnischer Sprache schrie- ben. Man kann an dieser Stelle beispielsweise an Eliza Orzeszkowas Angriffe auf Józef Konrad Korzeniowski (Joseph Conrad)59, oder an den Fall „Kosiński als anti-

58 HERDER, Johann Gottfried: „Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten“. In: Ders.: Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, Berlin 1877–1913, Bd. 8, S. 339. 59 Die polnische Schriftstelerin Eliza Orzeszkowa (1841–1910), die mit ihren sozialkritischen Werken am Ende des 19. Jahrhundertse europaweite Bekanntheit erlangte, äußerte sich in ihrem Artikel Emigracja zdolności gegen das Auswandern von talentierten Polen, weil die Pfl icht der eigenen Nation gegenüber weit wichtiger sei als alles andere, selbst wenn dies Leiden und Entbehrungen nach sich ziehen sollte. In den Mittelpunkt werden die Verbindungen mit dem Vaterland und die Pfl ichten diesem gegenüber gestellt. Sie 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 67 polnischer Schriftsteller“ (vgl. PARK SLOAN 1997, JAKÓBCZYK 1996, ADAMCZYK-GAR- BOWSKA 1997)60 erinnern. Das 19. Jahrhundert, in dem der unabhängige polnische Staat auf der europäischen Landkarte nicht mehr existiert, ist geprägt von Bestrebungen der Wiedererlangung der Einheit und Selbstständigkeit Polens. In den unter Preußen, Österreich und Russ- land aufgeteilten Regionen der ehemaligen Adelsrepublik kommt es zum Aufeinan- derprallen unterschiedlicher kultureller Traditionen, die auf der einen Seite bei der polnischen Bevölkerung mehr und mehr die Entwicklung eines Nationalbewusst- seins fördern, auf der anderen Seite aber auch kommt es zu einer Konfrontation und Begegnung der Kulturen, die die kulturellen Wechselwirkungen intensivieren. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch blieb Europa ohne einen unabhängigen polni- schen Staat. Nach der Überwindung der polnischen Teilungen (1918) war die junge polnische sog. Zweite Republik („II Rzeczpospolita“) in der Zwischenkriegszeit im- mer noch durch einen hohen Anteil an ethnischen Gruppen geprägt. 36% der Be- völkerung galten als Nichtpolen (vgl. CHAŁUPCZAK/BROWAREK 1998: 21–25). Józef Piłsudski, Marschall der Zweiten Polnischen Republik, plädierte für die der Idee ei- nes multinationalen Polens. Nach dem polnisch-sowjetischen Krieg (1920) entstand eine Republik mit etwa 36 Prozent nationaler oder religiöser Minderheiten: Ukrainer mit 5,1 Millionen Personen, Juden mit 3,1 Millionen, Weißrussen mit 2 Millionen, Deutsche mit 800 000, Litauer (200 000), Tschechen (30 000), Russen (140 000), Tataren oder Karaimen (vgl. KESSLER 2003: 452). In dem polnischen Kulturraum kommt es also in der Zeit der Zweiten Republik immer noch zur Überlagerung und wechselseitiger Durchdringung verschiedener kultureller Elemente. warf dem Schriftsteller Józef Konrad Korzeniowski (Joseph Conrad, 1857–1924) nationale Fahnenfl ucht vor: „[…] ten pan, który po angielsku pisuje powieści poczytne i opłacające się wybornie, o mało mię ataku nerwowego nie nabawił. Czułam, czytając o nim, taką jakąś rzecz śliską i niesmaczną, podłażącą mi pod gardło. Jak to! […] Zdolność twórcza to sama korona rośliny, sam szczyt wieży, samo serce serca narodu. I ten kwiat, ten szczyt, to serce odbierać narodowi swemu i oddawać Anglosasom, którym ptasiego mleka nawet nie brakuje, dlatego że drożej za nie płacą! Ależ o tym pomyśleć nawet niepodobna – bez wstydu!” Eliza Orzeszkowa: Emigracja zdolności, in: Kraj, 1899, Nr. 16 (23.IV) (zit. nach: NAJDER 1996: 333). („[…] Dieser Mann, der auf Englisch vielgelesene und ökonomisch sich ausgezeichnet auszahlende Romane verfasst, hätte bei mir fast einen Nervenanfall verursacht. Als ich über ihn las, spürte ich ein rutschiges und geschmackloses Etwas in meiner Kehle. Wie kann das sein! […] Die Kreativität bildet die Krone einer Blume, den Gipfel eines Turmes, das Herz vom Herzen einer Nation. Und diese Blume, diesen Gipfel, dieses Herz der eigenen Nation entziehen und dann sie den Engländern geben, die in Hülle und Fülle leben, nur deswegen, weil sie mehr dafür bezahlen! Daran kann man ohne Scham gar nicht denken!” – übers. AP). Laut Zdzisław Najder stand Conrad unter starkem Einfl uss der polnischen Literaturtradition: in seinem Schaffen fi ndet man nämlich solche Motive wie nationale und moralische Verantwortung, Aufopferung für die Gemeinschaft, Treue und Verrat, Ehre und Schande, Pfl icht und Flucht (vgl. NAJDER 2010). 60 Jerzy Kosiński (1933–1991) – ein polnisch-US-amerikanischer Schriftsteller jüdischer Herkunft, der seine Texte auf Englisch verfasste. Sein Roman The Painted Bird (1965) („Der bemalte Vogel“), in dem er über die Kindheit während des Holocaust berichtet und der als eine Metapher für die menschliche Barbarisierung zu Zeiten der Shoah gedeutet wird, war in Polen wegen antipolnischer Ressentiments lange verboten. In diesem Falle muss aber der politische Kontext in Betracht gezogen werden sowie die Tatsache, dass die Angriffe – sowohl in Polen als auch im polnischen Exilmilieu – im Hinblick auf den sog. Kalten Krieg eher einen ideologischen Charakter hatten, was heutzutage anachronistisch erscheinen mag. 68 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

3.3 Zu den deutsch-polnischen transkulturellen Verflechtungen in der Vergangenheit

Die gegenseitige Wirkung des Deutschen und des Slawischen, die vielfältigen kul- turellen Austauschbeziehungen zwischen dem deutschen (deutschsprachigen) und polnischen Kulturraum, haben eine lange Tradition und sind ein hervorragendes Bei- spiel des Kulturtransfers, zahlreicher Verknüpfungen und Übergangserscheinungen zwischen den beiden Kulturbereichen. Deutsche und Polen deutscher Herkunft ha- ben auch einen bedeutenden Beitrag zur polnischen Kultur geleistet. Innerhalb von Jahrhunderten hatten wir mit einem „multiplexe[n] Verfahren des Austauschs von Informationen, Symbolen und Praktiken, im Laufe dessen permanent Uminterpre- tation und Transformation“ (CELESTINI/MITTERBAUER 2003: 12) stattfand, zu tun. Im Rahmen dieser vielschichtigen Prozesse werden Elemente zwischen Kulturen, „kul- turelle Artefakte“ im Sinne Lüsebrinks also „Texte, Diskurse, Medien und Hand- lungsweisen sowie die kulturelle Dimension von Wirtschaftsgütern und Tauschob- jekten“ (LÜSEBRINK 2005: 29) übertragen. Die kulturellen Artefakte verschiedenster Art „zirkulieren“ zwischen Kulturräumen (LÜSEBRINK 2005: 27) und am kulturellen Transfer waren und sind unterschiedliche individuelle Vermittler (Reisende, Wissen- schaftler, Journalisten, Übersetzer, Künstler, Personen im öffentlichen Dienst, diver- se Händler, usw.) oder vermittelnde Instanzen beteiligt. Große Teile des heutigen Deutschland waren einst slawisch besiedelt. Die „Germa- nia Slavica“ erstreckte sich bis weit westlich der Elbe und wurde erst infolge der Christianisierung deutsch überformt (vgl. LÜBKE 2003). In der frühen Geschichte der deutsch-polnischen (germanisch-slawischen) Beziehungen spielt der hoch- und spätmittelalterliche Kolonisationsprozess („die Ostwanderung des Überschusses deutscher Stämme“ (CONZE 1992: 8) mit der Ausweitung Deutschlands bis nach Westpreußen und Schlesien, in dessen Verlauf gleiche rechtliche Normen und neue technisch-wirtschaftliche Methoden ihre Anwendung fanden, infolge dessen „eth- nische und sprachliche Grenzen aufgehoben“ wurden und integrativ wirkten (vgl. LÜBKE 2003: 30). Die Deutschen erhielten Sonderrechte von den jeweiligen Obrig- keiten zugestanden.

So ergab es sich, daß sprachliche und nationale Eigenart bestimmten sozialen oder stän- dischen Sonderrechten entsprach. Diese national-ständische Kongruenz setzte sich auch in der neuzeitlichen Siedlungspolitik bis zum 18. Jahrhundert fort. Damit ist eine struk- turtypische Eigentümlichkeit Ostmitteleuropas bezeichnet, deren Erblast im Zeitalter der Demokratisierung und des Nationalismus erheblich gewesen ist, weil sie nun erst ange- fochten wurde (CONZE 1992: 9). Deutsche und Juden waren fast über den ganzen Raum des östlichen Mitteleuropas hin verstreut und sind Kulturträger gewesen (CONZE 1992: 9). Die große deutsche Siedlungsbewegung begann im 12. Jahrhundert und erreichte im 13. und frühen 14. Jahrhundert ihren weitesten Umfang (vgl. CONZE 1992: 69). Die Deutschen brachten nicht nur Siedlungs- und Rechtsformen, sondern auch technische Innovati- 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 69 onen in Land- und Stadtwirtschaft sowie Bergbau und vermittelten sie weiter. Laut Werner Conze waren deutsche „Herren, Geistliche, Bürger und Bauern“ die „his- torisch-räumlich vorgegebenen Vermittler des gesamteuropäischen Kulturprozesses nach Osten“ (CONZE 1992: 9f.).61 Der größte Staat Ostmitteleuropas an der Schwelle zur Neuzeit, Polen-Litauen, nahm viele Deutsche auf, wobei westeuropäisch-deutsche Strukturen übernommen wurden. Die Ansiedlung erfolgte nach deutschem Recht. Das deutsche Patriziat do- minierte in Kraków/Krakau, Sandomierz/Sandomir, Biecz/Beitsch, Nowy Sącz/Neu Sandez, Olkusz/Olkusch, Kalisz/Kalisch und Lwów/Lemberg. Die Deutschen nah- men unter den „Wohnpolen“62 in der polnisch-litauischen Adelsrepublik eine deutli- che Vorrangstellung ein und waren als fremdes Fachpersonal verschiedener Art, als „kirchliche Würdenträger, Gelehrte, Söldner, Baumeister, Kaufl eute und Handwer- ker“ tätig (ZYBURA 2007b: 182). Im 15. Jahrhundert erfolgte eine intensive, „gewalt- lose“ Polonisierung der bereits im Mittelalter eingewanderten Deutschen (ZERNACK 2001: 29). Dieser Prozess verlief im westlichen an die deutschen oder bereits germa- nisierten Gebiete grenzenden Groß- und Kleinpolen (Wielkopolska und Małopolska) sowie in den eher geschlossenen Gemeinschaften der Stadtbewohner verständlicher- weise eher langsam (vgl. ZYBURA 2007b: 182f.). Die polnische Republik war für die deutschen Unternehmer wirtschaftlich attraktiv, und so brachten die Einwanderer auch praktische Kenntnisse in den Bereichen Berg- bau und Hüttenwesen, Gießerei, Druckwesen, Papierherstellung, aber auch Finanz- und Kreditwesen (z.B. königliche Bankiers: Familie Boner in Krakau) mit. Wie schon erwähnt, war Deutsch die Sprache von vielen Gemeinschaften, deren Ein- wirkung häufi g unabhängig von ethnischen Bindungen auftrat. Das Deutsche wurde zur „nationalen“ Sprache der Livländer – Nachkommen von Deutschen, Balten und Skandinaviern –, der Preußen, unter denen Deutsche, baltische Prußen, Pommern, Polen zu fi nden waren. Es war die Sprache der deutschen Siedler in Großpolen und die Sprache der deutschstämmigen Stadtbürger in Polen, Litauen und der Rus. Das Deutsche hatte also nicht unbedingt eine „nationstiftende“ Funktion. Das Herzogtum Preußen, das Königliche Preußen wie auch die relativ autonomen Städte Danzig, Elbing und Königsberg unterstanden dem polnischen König (Königsberg und das Herzogtum bis 1660). Im autonomen Preußen Königlichen Anteils63, dem Stände-

61 Was den Sammelbegriff „Deutsch“ anbelangte – betont Conze, dass für die Sonderstellung der fremden Siedler im Bewusstsein der slawischen Umwelt weniger die Frage ihrer Nationalität oder Sprache entscheidend war (unter ihnen gab es auch Wallonen, Flamen oder Holländer), sondern vielmehr ihre herausgehobene Rechtsstellung. In den Urkunden, anhand deren die Rechtsgrundlage der Ansiedlungen festgestellt wurde, wurde der Sammelbegriff ius teutonicum verwendet. Dies bedeutete, dass die Rechts- und Wirtschaftsformen der neuartigen Siedlung von den Siedlern des Deutschen Reiches herrührten und ihnen als Privilegien und durch Rechtsschutz zugesichert wurden (vgl. CONZE 1992: 66f.). 62 So bezeichneten sich die deutschen Ankömmlinge nach Hieronymus Viëtor selbst (vgl. ZYBURA 2007a). 63 Auch Königliches Preußen, Königlich-Preußen, seit dem 17. Jahrhundert auch Polnisch-Preußen – so wurde ab 1466 der westliche Teil Preußens genannt. Das Gebiet war seit 1466 erst in Personalunion, dann seit 1569 (Union von Lublin) in Realunion mit der polnischen Krone verbunden. Danzig, Thorn und Elbing waren als „Quartiersstädte“ des „Preußischen Bundes“ im polnischen Sejm (Reichstag) vertreten. Durch die polnischen Teilungen von 1772 und 1793 kam das westliche Preußen als Provinz Westpreußen zum Königreich Preußen. 70 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 staat, der eigene Landtage mit Deutsch als Verhandlungssprache (Landessprache, linguae vernaculae), seine eigene Landesregierung und eine eigene Münze hatte, hielt der polnische König Ladislaus IV. (Władysław IV) auf dem Sejm in Thorn 1647 seine Ansprache auf Deutsch. Die Bürger von Danzig, Thorn und Elbing sprachen aber gleichzeitig fl ießend Polnisch, wenn die Notwendigkeit bestand. Durch den Ge- brauch der deutschen Sprache sollte die Sonderstellung und Unabhängigkeit dieses Landesteils der polnischen Adelsrepublik (Polen-Litauens) betont werden (vgl. TAZ- BIR 1989: 28f.). Andreas Keller verweist auf eine „lebendige polyethnische Symbiose“ und eine „po- lynationale Mischstaatlichkeit“ auf diesem Gebiet und betont, dass „der Aspekt der Multinationalität und die Konsequenz einer ethnisch übergreifenden Nationenbildung recht eigentlich als altpreußische Spezifi ka zu gelten haben“ (KELLER 2005: 136). In Ostpreußen lässt sich eine „selbstverständliche Zweisprachigkeit der Autoren, ihre bilaterale Wirkungsweise und eine ausgeprägte interkulturelle Praxis“ (KELLER 2005: 136) beobachten. Der Rhetoriker Christoph Kaldenbach verfasst beispielsweise seine Texte in deutscher und polnischer Sprache, der Buchhändler Jakob Weiß in Danzig gibt 1656 auch eine polnische Zeitung heraus, weil in Danzig Deutsch und Polnisch gesprochen wird. Das Herzogtum wird infolge der konfessionellen Veränderungen zum Zentrum der polnischsprachigen Buchproduktion (vgl. KELLER 2005: 136). Sehr wichtig ist auch der polnische Einfl uss auf die Entwicklung der juristischen Institutio- nen im Herzogtum Preußen (MAŁŁEK 1988: 47). Die in Polnisch-Preußen seit dem 17. Jahrhundert immer stärkere Verwendung der polnischen Sprache auf den Tagungen der Ständeversammlung und in den Urkunden bezüglich der Landesverteidigung ist nie formaljuristisch geregelt worden (vgl. TAZBIR 1989: 29). Henryk Litwin bemerkt, dass für Preußen oder Livländer die deutsche Sprache zwar ihre Sonderstellung den Polen gegenüber symbolisierte, obwohl sie andererseits gar nicht nach dem „Zerfl ießen im deutschen Element“ strebten, andererseits aber nicht überall eine identitätsstiftende Rolle spielte (vgl. LITWIN 1993: 182). Die Migran- ten aus dem deutschen Reich betrachteten sich mehr als Sachsen, Bayern, etc. denn Deutsche und konnten sich selbst einfach für Untertanen des polnischen Königs hal- ten. Die Kenntnis der deutschen Sprache war auch nichts Ungewöhnliches. In den Städten (wie Krakau oder Posen) verwendete man das Deutsche im Zunftwesen, in den Stadtbüchern, im Gerichtswesen oder in den Kirchen (vgl. TAZBIR 1989: 27). Eine besondere Rolle spielten zur Zeit der Reformation die deutschen Kirchenge- meinden und die religiöse Literatur. Der Adel bildete traditionell eine europaweite Gemeinschaft, die miteinander über territoriale, sprachliche und kulturelle Grenzen in Kontakt stand. Die Söhne der adeligen Familien wurden gern an die deutschen Höfe geschickt, woher sie die Deutsch- und Kulturkenntnisse mit nach Hause brach- ten. In der polnisch-litauischen Adelsrepublik wurde die von den Stadtbürgern in der Mitte des 15. Jh.s verwendete deutsche Sprache im Laufe des 16. und 17. Jahrhun- derts langsam verdrängt. In Großpolen verdankt sie ihr Überleben der Reformations- bewegung, in anderen Regionen wurden die deutschstämmigen Stadtbürger langsam sprachlich polonisiert. 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 71

Eine wichtige Zäsur in den deutsch-polnischen Kulturprozessen bilden die Teilun- gen Polens Ende des 18. Jahrhunderts (1772–1795), die zum Verlust der staatlichen Existenz der ehemaligen polnisch-litauischen Adelsrepublik führten, die aber auch einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Zonen intensiver grenzüberschrei- tender Kulturkontakte in Ostmitteleuropa leisteten. Die multikulturell geprägten Regionen Mitteleuropas werden von Peter Olivier Loew in Rückgriff auf die De- fi nition von Philipp Ther als „Zwischenräume‟ bezeichnet. Es sind Gebiete „zwi- schen unterschiedlichen sprachlichen und religiösen Einfl üssen, zwischen verschie- denen kulturellen und nationalen Identifi kationen“, mit „ethnische[n], kulturelle[n], sprachliche[n] Überlagerungen‟ (LOEW/PLETZING/SERRIER 2006: 9f.) Es sind beson- dere Kontaktzonen der deutschen und polnischen Kultur, ein Kontaktbereich, der durch das Aufeinandertreffen der Kulturen im Laufe der Jahrhunderte entstand (und immer noch entsteht). Ein Teil des ehemaligen polnisch-litauischen Reiches (Galizien) geriet infolge der Aufteilung des Staatsgebietes unter österreichische Herrschaft und somit in die un- mittelbare Einfl usssphäre des Wiener Hofes und seines Kulturerbes, die westlichen Gebiete (Westpreußen und die Provinz Posen) wurden Preußen einverleibt und im Zuge der Nationalisierungspolitik in altes deutsches bzw. ,germanisches’ Territorium umgedeutet. Polen wurde zum Symbol des nationalen Kampfes gegen die Herrschaft der Großmächte – Russland, Preußen und Österreich. In Preußen, einem „Staat zwi- schen zwei Nationen“ (ZERNACK 1991: 106), lebten 3,3 Millionen Polen. Die östli- chen preußischen Provinzen waren weitgehend polnisch. Berlin war neben Posen ein zentraler politischer und kultureller Bezugspunkt für die polnisch-preußische Aris- tokratie und das polnischsprachige Bürgertum in Preußen (vgl. KERSKI 2011a: 38). Die Einbeziehung Westpreußens gestaltete sich durch einen hohen deutschen Bevöl- kerungsanteil noch relativ problemlos, in Posen jedoch, wo die Polen die Mehrheit bildeten, widersetzten sich sie der Verpreußung und beteiligten sich aktiv an dem Aufstand unter Tadeusz Kościuszko im Jahre 1794. Zuerst aber war die preußische Obrigkeit relativ liberal und ließ der polnischen Bevölkerung eine gewisse Auto- nomie. Im Laufe der Zeit aber ließ sich in den Preußen einverleibten Gebieten eine Dominanz der preußischen (deutschen) Kultur über die der Minderheit beobachten, die auf die Diskriminierung typischerweise mit der Ausbildung einer trotzig-stolzen kulturellen Widerstandsidentität reagierte. Die Deutschen waren in diesem Fall die „Kulturträger“, an die sich die Polen anpassen sollten. Preußen wollte mit seiner Politik den kulturellen Unterschied aufheben und übte einen starken Assimilations- druck aus. In den preußischen Teilungsgebieten war nämlich „Germanisierung“ und „Verpreu- ßung“ angesagt. So wurden in Preußen infolge der „negativen Polenpolitk“ (ZER- NACK 2003: 161) Widerstandskräfte gegen das preußisch-deutsche Teilungsregime geweckt, was dem modernen polnischen Nationalismus einen kräftigen Schub gab. Preußen führte eine Politik der Zurückdrängung der polnischen Sprache und Kultur sowie der Unterdrückung der polnischen politischen Opposition. Auf administrati- vem Weg traf man bestimmte Maßnahmen gegen die polnischstämmige Bevölke- rung, wie z.B. die Verdrängung der polnischen Sprache im öffentlichen Gebrauch. 72 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Der Schulunterricht in der polnischen Sprache wurde systematisch eingeschränkt. 1873 wurde in der Provinz Posen und in Westpreußen Deutsch als alleinige Unter- richtssprache in Volksschulen (die Fächer Religion und der Kirchengesang ausge- nommen) eingeführt, die Zehntausende von Schülern nicht verstanden. Deutsch als alleinige Schul-, Amts- und Gebrauchssprache wurde 1873 eingeführt. 1908 wurde das Reichsvereinsgesetz erlassen, das fremdsprachige Versammlungen nur noch an Orten mit mehr als 60 Prozent fremdsprachiger Bevölkerung erlaubte und das pol- nische Vereinswesen treffen sollte. Preußen betrieb seit Mitte der 1880er Jahre auch die „Germanisierung des Bodens“ durch Ausweisungen, Kolonisation (SCHIEDER 1992: 41). Die polnischen Grundbesitzer sollten vertrieben werden, teils mit geziel- tem Landaufkauf, teils mit Repressalien (Hausbauverbot). Der deutsch-polnische Kulturkontakt trug also unterschiedliche Früchte: einerseits war er von nationalen Spannungen überschattet, die nach 1848 intensiviert wurden und zu einem nationalen Konfl ikt führten,64 der die Förderung der polnischen kultu- rellen Identität und des Nationalbewusstseins der Polen zur Folge hatte, andererseits aber, besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (nach dem Wiener Kongress), strebte die preußische Regierung eine Assimilierung der Polen und Kaschuben an. Etwas anders verliefen die kulturellen Begegnungen in den von der Donaumonar- chie annektierten Gebieten. Die kulturelle Symbiose im Vielvölkerstaat Österreich- Ungarn, in dem die sog. Inter- bzw. Transkulturalität schon lange Realität gewesen waren, ehe man überhaupt den Begriff dafür defi nierte, war eine besonders inten- sive. Die gegenseitige Durchdringung von Elementen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Ethnien war in der Donaumonarchie sozusagen eine Notwendigkeit. Seit der Zeit der ersten und dritten Teilung Polens und der österreichischen Ein- gliederung „Galiziens und Lodomeriens“ gewann die Bedeutung des Wiener Bildes im Nationalbewusstsein sowie in der polnischen kulturellen Tradition an Intensität. Südpolen, das sog. Kleinpolen, wurde zum österreichischen Kronland. Wien galt in der Verfassungsära als die Hauptstadt der „mildesten“ von den drei Teilungsmächten (vgl. BAZILEVSKIJ 1996: 201). Die frühe Zeit der österreichischen Herrschaft war von der Unterdrückung des polnischen Adels und der Begrenzung seiner Machtbefugnis- se gegenüber dem Bauernstand sowie von der Germanisierungspolitik geprägt. Man versuchte die Gegensätze zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen, besonders zwischen dem Adel und den Bauern auszunutzen, was in den tragischen Ereignissen des galizischen Blutbades von 1846 mündete. Mit der Einführung der liberalen Ver- fassung vom Dezember 1867 gewährten die Habsburger allen Kronländern, darunter auch Galizien, Autonomie.65 1869 wurde die polnische Sprache zur Amtssprache,

64 Die Mehrheit der deutschen Nationalversammlung erklärte in der Paulskirche den territorialen Bestand Preußens (also einschließlich Posens) zur Grundlage eines zukünftigen deutschen Nationalstaates. 65 Im Rahmen der Autonomie hatte Galizien bereits 1861 einen Landtag und als dessen Vollstreckungsorgan den sog. Landesausschuss erhalten. Der Landtag hatte eine sehr breite Kompetenz und war für Kultur, öffentliche Bauten, Wohltätigkeitsanstalten (Krankenhäuser, Waisenhäuser), Land- und Forstwirtschaft sowie für das Schulwesen verantwortlich. Im polnischen historischen Bewusstsein funktioniert aber auch ein negatives Stereotyp Galiziens, dessen Gründe in der Unterwürfi gkeit und der konservativen Politik des galizischen Landadels (nach der Gewährung der Autonomie infolge des Östereichisch-Ungarischen Ausgleichs 1867) 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 73 wodurch die Verwaltung und das Schulwesen polonisiert wurden.66 Dank der politi- schen Autonomie konnten sich in Galizien auch wissenschaftliche und kulturelle In- stitutionen entwickeln (die polnischen Universitäten in Lemberg und Krakau). Man beging feierlich die großen nationalen Jahrestage. Das rege polnische Literatur- und Theaterleben entwickelte sich ohne Schwierigkeiten, Polen konnten Ämter beklei- den, hatten Einfl uss auf die Staatsverwaltung der Monarchie und die Möglichkeiten zu politischen Aktivitäten. Lucjan Puchalski bemerkt, dass das pluralistische geistige und politische Klima der österreichischen Monarchie in vielerlei Hinsicht der polyphonen Identität der alten polnisch-litauischen Adelsrepublik entsprach, so dass sich der Adel verhältnismä- ßig leicht in der Realität Galiziens nach den Teilungen zurechtfand (vgl. PUCHALSKI 2003: 179). Wien war das Zentrum eines mitteleuropäischen Kulturraumes, das von gegenseitiger Durchdringung der Kulturen geprägt war. Man durchlief das gleiche Schulsystem und studierte an den gleichen Universitäten, man las dieselben überre- gionalen Zeitungen, war – obwohl zum Teil auf entgegengesetzter Seite – in die glei- chen politischen Auseinandersetzungen verwickelt und verfolgte dieselben künstle- rischen Ereignisse, die Ausstellungen der Sezession und die Premieren am Wiener Burgtheater. Man spricht von der literarischen Moderne in Wien, in Budapest, in Krakau. Die polnische Betrachtungsweise der österreichisch-ungarischen Monarchie nahm im Laufe der Geschichte „nostalgische“ Züge an als der „Galizien- bzw. Öster- reichmythos“ – der Mythos vom „glücklichen Österreich“, vom Ideal der friedlichen Koexistenz der verschiedenen Ethnien innerhalb der Grenzen eines Vielvölkerstaa- tes. Angesichts des Zusammenbruchs (Ausbruch des Ersten Weltkriegs) einer relativ heilen Welt wurde im Bewusstsein der breiten Bevölkerung der ehemaligen Habs- burgermonarchie die Vergangenheit idealisiert. Im polnischen Kulturkreis wurde die „Gemeinsamkeit in vergangenen Zeiten“ („Galizienmythos“) und ihre Idealisierung erst nach 1945 zur Zeit des sog. Realsozialismus ins polnische Nationalbewusstsein gehoben (vgl. WIEGANDT 1988). Der österreichische Teil Polens bekam eine durch- aus „brückenschlagende“ und bereichernde Funktion zwischen dem polnischen und dem österreichischen Kulturkreis.67 sowie in der wirtschaftlichen Rückständigkeit Galiziens liegen. Als Kronland der Habsburgermonarchie war Galizien inneren und wirtschaftlichen Spannungen ausgesetzt. Der polnische Landadel war nur wenig an der Entwicklung Galiziens interessiert, Polen blieb für ihn die eigentliche Heimat, mit Galizien wollte man sich nicht identifi zieren. Nur die Idee der Monarchie und die Figur des Kaisers hatten eine integrierende Funktion (vgl. BAZILEVSKIJ 1996: 202). 66 Im Laufe der Zeit wurden Galizien auch die bürgerlichen Freiheiten, wie die Freiheit der Presse (1862), die Freiheit von Wissenschaft und Unterricht (1867) und das freie Vereinsrecht (1867) gewährt. 67 Es soll an dieser Stelle nur an einige Beispiele erinnert werden: Der hervorragende polnische Künstler der Jahrhundertwende Stanisław Wyspiański (1869–1907) war beispielsweise Mitglied der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs – Wiener Sezession – seit ihrer Gründung im Jahre 1897 bis zu seinem Tod im Jahre 1907. Seine plastischen Werke wurden auf einigen Ausstellungen der Wiener Sezession ausgestellt und in der Monatsschrift „Ver Sacrum“ abgedruckt. Die vollständigste Präsentation des bildnerischen Schaffens Wyspiańskis in Wien fand anlässlich der im Februar 1908 eröffneten Ausstellung der Vereinigung „Hagenbund“ statt (vgl. TABORSKI 1996: 533). In Wien lebte auch Ludwik Szczepański (1872–1954), der 1897 in Polen die führende Zeitschrift der polnischen Moderne „Życie“ begründete und ihr erster Redakteur war. In Wien 74 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Das Wiederentstehen eines unabhängigen polnischen Staates brachte für die Polen eine neue soziokulturelle Situation mit sich. Viele bisher in Wien lebende Polen, vor allem Beamte, Offi ziere, aber auch Kulturschaffende siedelten nach Polen um, um zum Aufbau des unabhängigen Staates ihren Beitrag zu leisten. Es gab aber auch eine zahlreiche Gruppe von Polen, die im österreichischen Rumpfstaat verblieb und wei- terhin zugunsten der Erhaltung der engen Kontakte zwischen Polen und Österreich arbeitete.68 Ludwik Mroczka weist in seinem Aufsatz darauf hin, dass das „nachkai- serliche“ Österreich, vor allem Wien, als das für Polen nächstgelegene Kultur- und Bildungszentrum nicht viel an Attraktivität einbüßte (vgl. MROCZKA 1995: 342). In den 1920er Jahren studierten an österreichischen Hochschulen zahlreiche Polen. Die transkulturellen deutsch-polnischen Verbindungen manifestierten sich auch in den grenzüberschreitenden Biografi en. Die prominentesten Bespiele des Transkultu- rellen im literarischen Bereich sind wahrscheinlich Stanisław Przybyszewski (1868– 1927), Tadeusz Rittner (1873–1921), die ihre literarischen Texte auf Deutsch und auf Polnisch verfassten und deren Biografi en und Werke eng mit dem deutsch-polnischen (Przybyszewski) und polnisch-österreichischen (Rittner) Kulturraum verbunden sind.

3.4 Die deutsch-polnischen und österreichisch- -polnischen Kontakte von 1945 bis 1989

Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten sich die gesellschaftspolitischen, wirt- schaftlichen, konfessionellen und nationalen Verhältnisse in Ostmitteleuropa grund- sätzlich. Es kam zu einschneidenden Grenzveränderungen und Bevölkerungstrans- fer. Dies betraf viele Länder und Völker, in erster Linie aber Polen und Deutschland. Nach dem Krieg und deutscher Besatzung war Polen weitgehend verwüstet, Mil- lionen von Menschen waren umgekommen oder verschleppt worden. Polen verlor sowohl 46 Prozent seines Staatsterritoriums (vgl. JUCHLER 1986: 173) als auch die neben Warschau und Krakau wichtigsten kulturellen Zentren: Wilna und Lemberg. Die Ukrainer, Weißrussen, Litauer (und z.T. auch Polen) wurden sowjetische Bürger. Viele Weißrussen und Ukrainer verließen Polen, entweder freiwillig oder sie wurden zwangsausgesiedelt.69 Die polnische sozialistische Staatsverwaltung entschied sich für ethnisch defi nierte Grenzen und eine in nationaler Hinsicht einheitliche polni- sche Gesellschaft, um den Staat vom „inneren Feind“ im politischen Sinne zu be- freien. Die polnische Kultur hatte ihren national-staatlichen Rahmen erlangt. Dies erschienen 1897 seine zwei ersten Gedichtbände: Srebrne noce. Lunatica [Silberne Nächte] und Hymny [Hymnen]. 68 Es waren vor allem Kulturschaffende, Mitarbeiter der Staatsverwaltung und diejenigen, die vor der russischen Front nach Wien fl üchteten. Laut Roman Taborski lebten in Wien im Jahre 1923 40 000 Polen. Davon bedienten sich 7 000 der polnischen Sprache (vgl. TABORSKI 2001: 208). 69 Zwischen 1944–1947 verließen ca. 489 000 Ukrainer und 36 000 Weißrussen Polen (vgl. SAKSON 2000: 61). 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 75 schien der Ausgang einer langen multinationalen polnischen Geschichte der polni- schen Vielvölkerrepublik, einem Gebilde aus unterschiedlichen Nationen, Sprachen, Kulturen und Religionen, zu sein. In der neuen Volksrepublik Polen (Polska Rzecz- pospolita Ludowa) gewann das Modell eines ‚monoglotten‘ (einsprachigen), weit- gehend homogenen Nationalstaates. Nach den Umbrüchen des Zweiten Weltkriegs hatte Polen seinen multinationalen Charakter verloren:

Dies hatte verschiedene Ursachen: Die Ausrottung der polnischen Juden durch das Dritte Reich, die Verschiebungen der Staatsgrenzen als Folge der Abkommen von Jalta und Potsdam sowie die stalinistische Politik in der Nationalitätenfrage. Dies führte dazu, daß Polen in der Nachkriegszeit zu einem Land wurde, in dem die Polen 97% der ganzen Bevölkerung bildeten (vgl. SAKSON 2000: 61).70 Polen wurden ca. 103 000 km² ehemals deutschen Bodens im Westen als Ausgleich für die von der Sowjetunion annektierten östlichen Grenzgebiete Polens zugespro- chen (vgl. BORODZIEJ/ZIEMER 2000: 11). Die territoriale Westverschiebung des polni- schen Staatsgebietes (der Anschluss der West- und Nordgebiete, die bisher die östli- chen Provinzen des Deutschen Reiches gebildet hatten) bedeutete einen kulturellen Gewinn, weil der polnische Staat in Besitz von Gebieten kam, die seit Jahrhunderten überwiegend von Deutschen besiedelt und kulturell geprägt waren. In den Kriegsjahren hatten die deutsch-polnischen Beziehungen ihren Tiefstand er- reicht. Obwohl Polen und Deutsche über Jahrhunderte miteinander und nebenein- ander gelebt hatten und die beiden Kulturkreise eng miteinander verbunden waren, stand die gegenseitige Wahrnehmung insbesondere in dieser Zeit unter dem Vorzei- chen einer emotionalen Vorbelastung. Das Verhältnis der Polen zur sog. deutschen Frage und zu Deutschland selbst machte im Laufe der Nachkriegszeit eine Wand- lung durch. Das kommunistische Polen verstand sich als ein antideutscher Staat (vgl. dazu auch: SAKSON 2008: 11). Die polnische Gesellschaft teilte – infolge der grausamen Okkupationserfahrungen – in den ersten Nachkriegsjahren die damals massenhaft verbreitete Deutschfeindlichkeit. Man versuchte, als Folge der Erinne- rung an die deutschen Kriegsverbrechen in Polen, die historischen Gemeinsamkeiten zu verdrängen. In der polnischen soziologischen Literatur funktionierte sogar der Begriff des „deutschen Syndroms“, d. h. einer bestimmten – infolge der historischen Erfahrungen, insbesondere aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs – Sensibilisierung der polnischen Gesellschaft gegenüber den Deutschen, die in einer bestimmten Ein- stellung und in Verhaltensweisen – sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben – ihren Ausdruck fand: „Dieses Syndrom umfasst sowohl die Erinnerung an früher erlittenes Unrecht und Leid als auch einen Respekt vor der ökonomischen und zivilisatorischen Stärke Deutschlands, der allzu oft nicht weit von einem pol- nischen Minderwertigkeitskomplex entfernt ist“ (SAKSON 2008: 10). Natürlich muss hier zwischen der Ebene der offi ziellen Politik der staatlichen Behörden in den Jah- ren 1945–1989 und der Ebene der polnischen Gesellschaft (die katholische Kirche,

70 Vgl. auch: SAKSON 2008: 91. 76 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 die antikommunistische Opposition, Intellektuelle – vor allem in den 80er Jahren) unterschieden werden. Diese Situation veränderte sich auf der offi ziell-staatlichen Ebene nach der Grün- dung der DDR. Der polnische Staat betrachtete die Freundschaft und Zusammenar- beit mit der DDR als eine wichtige Garantie der Sicherheit Polens und unterstützte die Anerkennung der DDR-Souveränität. Die BRD dagegen stellte für die kommu- nistische Partei eine Bedrohung der Friedensordnung in Europa dar. Was die polnische Gesellschaft und die sog. deutsche Frage anbelangt, so gab es in den Jahren 1945–1989 neben der Überzeugung von der Bedrohung der polnischen Nation und des polnischen Staates, den Ressentiments und negativen Stereotypen, auch die Meinung, dass nicht alle Deutschen „Mörder und Verbrecher“ seien und dass man nicht alle Deutschen mit dem Nationalsozialismus und den Nazi-Verbre- chern gleichsetzen dürfe. Insbesondere die mit der katholischen Kirche verbundenen Intellektuellen versuchten das Verhältnis zu den Deutschen unter moralischem As- pekt zu betrachten. Die polnischen Bischöfe der katholischen Kirche wandten sich 1965 an die katholischen deutschen Bischöfe mit einer Versöhnungsbotschaft („Wir vergeben und bitten um Vergebung.“). Im Laufe der 60er und der 70er Jahre kam es zu einem allmählichen Abbau der negativen Vorstellungen über die Deutschen (vgl. auch: SAKSON 2008: 11). Dabei spielten insbesondere der zeitliche Abstand zum Zweiten Weltkrieg und das Heranwachsen einer neuen Generation junger Polen, so- wie die direkten Kontakte mit den Deutschen eine wichtige Rolle. Der Zweite Weltkrieg belastete die polnisch-österreichischen Nachkriegsbeziehun- gen weniger. Die Besetzung Österreichs – ebenso wie Deutschlands – 1945 durch die Armeen der Siegermächte, die Aufteilung in Besatzungszonen und endlich die Zusicherung der „immerwährenden Neutralität“ des österreichischen Staates im ös- terreichischen Staatsvertrag (1955) eröffneten ein neues Kapitel der österreichisch- -polnischen Beziehungen. Trotz der gesellschaftspolitischen Zuordnung in Europa nach 1945 sind die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen Polen und Österreich im Vergleich mit denen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutsch- land weniger problematisch gewesen. Dabei hat – trotz der Westorientierung Öster- reichs und der Zeit des Bestehens des sog. Eisernen Vorhanges – die österreichische Verpfl ichtung zu einer „immerwährenden Neutralität“ eine wesentliche Rolle ge- spielt. Auf Grund seines Neutralitätsstatus konnten im Rahmen der österreichisch- polnischen Beziehungen mit den Staaten des Warschauer Pakts Kooperationsberei- che entwickelt werden, weil Österreich sich unter den sog. westlichen Staaten einer Sonderstellung erfreute. Viele polnische Intellektuelle (u.a. Aleksander Jackiewicz, Stanisław Jerzy Lec, der in den vierziger Jahren als polnischer Presse- und Kulturat- taché in Wien arbeitete, und Stanisław Lem, der sich in Österreich als Schriftsteller großer Popularität erfreut) lieferten einen bedeutenden Beitrag zur Aufrechterhal- tung des österreichisch-polnischen kulturellen Dialogs. Die in Österreich existente Demokratie westlichen Musters und der wirtschaftliche Erfolg stellten im Vergleich zu dem unter dem sowjetischen Einfl uss stehenden polnischen Staat mit seinen Kri- senjahren 1956, 1970, 1980/1981, 1988/1989, eine politische Alternative oder öko- nomische Notwendigkeit für viele Polen dar, die nach Österreich ins Exil gingen. 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 77

Wien war sozusagen ein historisch vertrautes Terrain, weil ein Teil Polens bis 1918 staatspolitisch zum Habsburgerreich gehört hatte. Viele Einwanderer aus dem ost- mitteleuropäischen Kulturkreis lebten in dem vor allem in Wien konzentrierten Völ- kergemisch und assimilierten sich somit an die österreichische Kultur.

3.5 Die polnischen Migrationen nach Deutschland und Österreich

Obwohl die polnischen Migrationen nach Deutschland bzw. Österreich auf eine lan- ge Geschichte zurückschauen können, herrscht immer noch eine gewisse Unkennt- nis hinsichtlich der Geschichte der Migration von Polen nach Deutschland, was sich auch im Forschungsstand widerspiegelt.71 Polen war schon immer ein wichtiges Her- kunftsland für Deutschland und Österreich, was auf die räumliche Nähe, die histo- rischen Entwicklungen und – last but not least – auf die kulturellen Verbindungen zurückzuführen ist. Die Migranten kamen als Flüchtlinge, Aussiedler, Vertriebene, Asylbewerber, Zwangs- oder Gastarbeiter. Darunter befanden sich auch zahlrei- che Künstler, die z.B. das Gastland Deutschland72 oder Österreich73 gewählt haben. Die Entwicklungen im Deutschen Reich, insbesondere die fortgeschrittene Indust- rialisierung Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, leisteten ihren Bei- trag zur Intensivierung der Wanderungen der polnischen Migranten. In der zwei- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten größere Migrationsgruppen, darunter: Arbeitssuchende, Handwerker, Grubenarbeiter aus Schlesien (etwa eine dreiviertel

71 Darauf macht Christoph Pallaske in der von ihm 2001 herausgegebenen Studie Die Migration von Polen nach Deutschland. Zu Geschichte und Gegenwart eines europäischen Migrationssystems aufmerksam (PALLASKE 2001), auf die ich mich im Folgenden stütze. Nur der Forschungsstand zur polnischen Zuwanderung ins Ruhrgebiet ist inzwischen als gut zu bezeichnen. Abgesehen von verschiedenen Aufsätzen ist die erste umfassende Darstellung zu diesem Thema im Jahre 2000 erschienen (vgl. WOLFF-POWĘSKA/SCHULZ 2000). 2011 erschien der von Basil Kerski und Krzysztof Ruchniewicz herausgegebene Sammelband Polnische Einwanderung. Zur Geschichte und Gegenwart der Polen in Deutschland, in dem Aleksander Żerelik eine umfangreiche Bibliographie der polnischsprachigen Forschungsliteratur berücksichtigt hat (ŻERELIK 2011). 72 An dieser Stelle sollen u.a. folgende Autoren genannt werden: Józef Ignacy Kraszewski (1812–1887), Stanisław Przybyszewski (1868–1927), Witold Gombrowicz (1904–1969), Tadeusz Nowakowski (1917–1996), Witold Wirpsza (1918–1985), Marek Hłasko (1934–1969), Włodzimierz Odojewski (geb. 1930), Natasza Goerke (geb. 1962), Brygida Helbig-Mischewski (geb. 1963), Maria Kolenda (geb. 1956), Iwona Mickiewicz (geb. 1963), Joanna Manc (geb. 1959), Krzysztof Mik (geb. 1960), Krzysztof Niewrzęda (geb. 1964), Leszek Oświęcimski (geb. 1959), Piotr Piaszczyński (geb. 1955), Piotr Roguski (geb. 1945), Janusz Rudnicki (geb. 1956), Ewa Maria Slaska (geb. 1949), Wojciech Stamm (geb. 1965), Artur Szlosarek (geb. 1968), Krzysztof Maria Załuski (geb. 1963). Vgl. dazu u.a.: http://www.polonika.opole.pl/html/p_ludz4.htm, [06.12.2012]; PIASZCZYŃSKI/ZAŁUSKI 2000. 73 In Österreich lebten für einen begrenzten Zeitraum oder dauerhaft u. a. folgende Schriftsteller (in jedem einzelnen Fall müssen die historischen Umstände in Betracht gezogen werden: die Existenz der Habsburger Monarchie (bis 1918) sowie (bis 1918) die Nichtexistenz eines unabhängigen polnischen Staates): Tadeusz Rittner (1873–1921), Ludwik Szczepański (1872–1954), Zenon Miriam Przesmycki (1861–1944), Adam Nowicki (1865–1949), Stanisław Lem (1921–2006), Adam Zieliński (1929–2010). 78 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Million – vgl. PALLASKE 2001: 10) vor allem in die deutschen Industrialisierungszent- ren an Rhein und Ruhr, nach Berlin und Hannover, sowie in die Hafenstädte Lübeck, Bremen und Hamburg, und in das mitteldeutsche Braunkohlerevier aus (vgl. KLESS- MANN 1978; MURZYNOWSKA 1972; KOZŁOWSKI 1987). Seit 1865 sind auch die ersten polnischen Organisationsformen bekannt.74 Man be- obachtete im Kaiserreich und in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg starke Arbeits- migrationen, vor 1918 zumeist von Polen aus den vom Zarenreich annektierten Re- gionen, später von polnischen Staatsbürgern. Während des Zweiten Weltkriegs wurden 1,7 Millionen Polen in das Deutsche Reich zur Zwangsarbeit verschleppt (vgl. PALLASKE 2001: 11). In den ersten Nachkriegs- jahren hielten sich in den vier Besatzungszonen die aus der Vorkriegszeit stammen- den Angehörigen der polnischen Minderheit sowie auch über 1 000 000 polnische Staatsbürger auf: Zwangsarbeiter, ehemalige polnische KZ-Häftlinge und Kriegsge- fangene (Displaced Persons), von denen viele entweder nach Polen zurückkehrten oder nach Übersee auswanderten.75 Rund 100 000 der nach Deutschland verschlepp- ten Polen blieben als Displaced Persons dauerhaft in den Westzonen bzw. in der Bundesrepublik, während sie aus der Sowjetischen Besatzungszone fast vollständig „repatriiert“ wurden (vgl. PALLASKE 2001: 11). Obwohl Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren angesichts der deutschen Kriegsverbrechen für die Mehrzahl der Polen kein akzeptables Einwanderungsland war, wurde die Volksrepublik Polen in der späteren Nachkriegszeit eines der wichtigsten Herkunftsländer von Zuwanderern in die BRD. In den Jahren 1945-1989 nahm, durch das politische System und die wirtschaftliche Lage verursacht, die Migration (politische Migration bzw. Arbeits- migration) der Ostmitteleuropäer in den sog. Westen zu. In den Jahren 1976–1989 haben wir mit Massenausreisen von Deutschen aus Polen zu tun, die sich auf ihre deutsche Abstammung beriefen, um in der Bundesrepub- lik bleiben zu können. Autochthone mit deutscher Nationalität, wie diese Bevölke- rungskategorie damals bezeichnet wurde, versuchten in den 70er Jahren im Rahmen der sog. Familienzusammenführung in die BRD auszuwandern (vgl. KURCZ 2011:

74 Z.B.: „Towarzystwo Polsko-Katolickie“ – „Die Polnisch-Katholische Gesellschaft“, „Towarzystwo Przemysłowców Polskich“/„Gesellschaft Polnischer Industrieller“, „Towarzystwo Oświatowe Polskich Robotników i Rzemieślników – Jedność“ – „Bildungsgesellschaft Polnischer Arbeiter und Handwerker – Eintracht“ (seit 1876), „Sokół“-Vereine (Berlin 1889) (vgl. KOZŁOWSKI 1987: 23f.). Dementsprechend waren auch polnischsprachige Veröffentlichungen auf dem deutschen Boden präsent (vgl. KALCZYŃSKA 2001). Das Lexikon von Kalczyńska enthält in alphabetischer Reihenfolge 173 biografi sche Angaben zu Personen, die in Deutschland leben bzw. im Laufe der Forschungen lebten oder verstorben sind. Der zeitliche Rahmen umfasst das Ende des 20. Jahrhunderts, die Anfangszäsur bildet der Beginn der neunziger Jahre. Besonders nach dem Scheitern des polnischen Novemberaufstandes 1831 wurde das Interesse an polnischer Literatur verstärkt. Die sog. polnische Frage war fast in allen Bereichen des deutschen öffentlichen Lebens präsent. Kalczyńska nennt auch die wichtigsten polnischen Verlagsanstalten auf dem deutschen Büchermarkt: Julian Marchlewski und Co. – Verlag Slavischer und Nordischer Literatur (München), Jozef Kawaler (Oberhausen), Ernest Gunthers Verlag (Leipzig), Pawel Rhode Verlags-Buchhandlung (Leipzig), Wedel-Daniel Verlag (Berlin) und der Verein Polnischer Drucker in Berlin (vgl. KALCZYŃSKA 2001: 21). 75 Vgl. „Die polnische Minderheit in Deutschland vor dem Hintergrund der anderen Bevölkerungsgruppen“, bearbeitet von Heinrich Mrowka, Dokumentation Ostmitteleuropa, Jahrgang 20 (44), August 1994, Heft 3/4, Marburg an der Lahn: Herder-Institut 1994. 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 79

187f.). Zu den sog. Spätaussiedlern gehörten Menschen, die sich auf ihre deutschen familiären Wurzeln beriefen, auch viele polonisierte Deutsche. Vielen folgten dann auch polnische Familienmitglieder. Die deutschen Familienwurzeln ermöglichten auf legalem Weg den Ostblock zu verlassen. Nach 1945 hielt man die ethnisch deut- sche Bevölkerung, die vor allem in den westlichen und nördlichen Gebieten Po- lens lebte, offi ziell für Deutsche, die ausgesiedelt werden sollten. Neben ethnischen Deutschen lebten in Polen der Nachkriegszeit sog. Autochthone, die die polnische Staatsangehörigkeit erhielten (vgl. OSĘKOWSKI 1994). Es waren ehemalige deutsche Staatsbürger polnischer Abstammung, vor allem Schlesier, Kaschuben, Masuren und Ermländer. Den Familienangehörigen von Vertriebenen, „deutschstämmigen“ Aussiedlern und Spätaussiedlern, den ehemaligen deutschen Staatsbürgern wurde bis 1990, gestützt auf das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1913, ohne Schwierigkei- ten die Aufnahme in die Bundesrepublik gewährt. In den Jahren 1956–1972 reisten allein ca. 120 000 Menschen aus Masuren und Ermland in die beiden deutschen Staaten aus (vgl. SAKSON 2008: 76).76 Die sog. Spätaussiedler waren polonisierte Deutsche oder auch Menschen mit binationalem Hintergrund. Da viele unter ihnen kein Deutsch sprachen und sich in der neuen Heimat fremd fühlten, pfl egten sie ihre kulturellen Verbindungen zur polnischen Kultur (vgl. KERSKI 2011b: 203). Dank den Eingliederungshilfen und der schnellen Einbürgerung fanden die meisten Einwande- rer aus Polen ihren Platz in der deutschen Gesellschaft. Viele der sog. Spätaussiedler haben ihre kulturellen Verbindungen nach Polen erhalten und pfl egen ihre doppelte kulturelle Identität, wie z.B. manche Schriftsteller mit Migrationshintergrund (Artur Becker, Adam Soboczynski) und werden somit zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen und der polnischen Kultur. Die innenpolitische Situation in Polen und die daraus folgenden politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten lösten große Auswanderungswellen vor allem in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts aus: etwa 1 Million polnischer Bürger verließ die Volksrepublik und wanderte ins Ausland aus. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde Österreich mit einer großen Anzahl von Asylanträgen seitens polnischer Staatsbür- ger konfrontiert.77 In die Bundesrepublik Deutschland kamen – von den über 1,4 Millionen seit 1950 zugewanderten Aussiedlern aus Polen – mehr als die Hälfte, über 800 000, in den 1980er und 1990er Jahren (vgl. PALLASKE 2001: 9). Hans-Chris- tian Trepte deutet auf die Tatsache hin, dass die BRD mit (West)Berlin und München als großen internationalen Exilzentren auf viele Exilanten aus Ostmitteleuropa eine spürbare Anziehungskraft ausübte und auch in der veränderten historischen Situati- on der Nachkriegszeit sich in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen und beliebten Exilland entwickelte und ein Zu- fl uchtsort für zahlreiche polnische Künstler und Schriftsteller war (vgl. TREPTE 2004:

76 Laut Andrzej Sakson kann man nach 1989 bei Masuren und Ermländern (wie auch bei den Oberschlesiern) eine sichtbare Wendung hin zum Deutschen beobachten. Das durch administrative Maßnahmen unterdrückte Deutschtum wurde in den 90er Jahren zum neuen Charakteristikum dieser Bevölkerungsgruppe. 77 Von den 34 557 in Österreich gestellten Anträgen im Jahre 1981 entfi elen rund 85% auf polnische Asylbewerber. Vgl. http://www.integrationsfonds.at/oeif_dossiers/polnische_migranten_in_oesterreich, 06.12.2012 f.]. 80 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

89). In der Zeit der Legalisierung der Gewerkschaft Solidarność nahmen die Mög- lichkeiten zu einer Ausreise in den Westen zu, und so wurde die BRD für viele Polen zur Hoffnung auf ein besseres Leben, zu einer Art Gelobtem Land (vgl. LEWAN- DOWSKI 2013: 29). Hans-Christian Trepte bemerkt aber mit Recht, dass Deutschland aufgrund historischer Konstellationen im Schatten anderer europäischer Exilländer wie Frankreich oder Großbritannien stand (in London residierte seit der Kapitulation Frankreichs die polnische Regierung) und das in Deutschland existierende polni- sche Exil wurde weitgehend als ein peinlicher Tatbestand umgangen und weder von polnischen Exilkreisen noch in Polen selbst entsprechend akzeptiert und gewürdigt (vgl. TREPTE 2008: 187f.). Wie aus den oben genannten Zahlen hervorgeht, bildeten die polnischen Zuwanderer in Deutschland eine bedeutsame Minderheitengruppe, die auch ein reges kulturelles Leben und Bindungen untereinander entwickelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind zahlreiche Verlage, Buchhandlungen und andere kulturelle Einrichtungen entstan- den, die polnische Printmedien verbreiten. Zu den wichtigsten kulturellen Zentren gehört bis heute das 1980 gegründete Deutsche Polen-Institut in Darmstadt, das in der deutschen Öffentlichkeit in erster Linie als eine literaturwissenschaftliche Ein- richtung bekannt ist. In das Zentrum des Institutsinteresses rücken neben der Be- schäftigung mit der polnischen Literatur auch Politik, Geschichte und Gesellschaft. Der nächste wichtige Umbruch fi el mit dem Anfang der achtziger Jahre zusam- men, als ein beträchtlicher Teil polnischer Intellektueller infolge ihrer Aktivität in der Solidarność-Bewegung, dem Kriegszustand und der Zensur nach Deutschland emigrierte. Viele polnische Exilanten betrachteten Deutschland nicht unbedingt als ihre Endstation, sondern eher als einen Transitraum, der ihnen die Weiterreise in die westeuropäischen Länder ermöglichen sollte, wobei die Wahl des Exillandes in vielen Fällen reiner Zufall war (vgl. TREPTE 2006). Berlin, Hamburg, München und Köln wurden zu wichtigen Zentren des polnischen politischen und kulturellen Le- bens, in denen wichtige Institutionen einer eigenen kulturellen Kommunikation ge- gründet wurden (vgl. TREPTE 2008: 188).78 Westberlin schloss sich schon Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts den zwei wichtigsten Zentren der polnischen Emigration – Paris und London – an. In München wurde das Radio Free Europe mit dem polnischen Sender des Radios Freies Europa (RFE) gegründet, ein Projekt, das eine bedeutende Gruppe polnischer Literaten und Intellektueller (wie z.B. Tadeusz Nowakowski) nach München zog, die für das Radio arbeiten wollten. Nach der Einführung des Kriegsrechts in Polen entstanden in Berlin Emigranten- -Exilverlage, wie „Pogląd“ (1982–1990) von Wiesław Klimczak, „Archipelag“ (1983–1987) von Andrzej Więckowski und der „Veto Verlag“ (1986–1990). In West- berlin entstand in dieser Zeit „Verein Solidarność“ (Związek Solidarność), der die Zeitschrift Pogląd herausgab. In den Jahren 1983–1987 wurde hier auch die Monats- zeitschrift Archipelag herausgegeben. Es wurden auch andere wichtige kulturelle

78 In der Bundesrepublik und in Westberlin gab es zu Beginn der 80er Jahre sieben Exilbuchhandlungen, mehr als zwanzig Buch- und Presseverlage, achtzehn polnische Klubs, einen Fernsehsender, eine Radiostation und eine Druckerei in Schlossberg (vgl. GÓRSKI/TYMOCHOWICZ 1990: 12f.). 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 81

Einrichtungen gegründet: außer dem bereits erwähnte „Veto Verlag“ (1986-1990) der Deutsch-Polnische Literarische Verein WIR (der die deutsch-polnische Litera- tur fördern sollte), das „Literarische Colloquium Berlin“, die Neue Gesellschaft für Literatur („Nowe Towarzystwo Literackie“), Radio Multi-Kulti sowie der Verlag „Kurier Polonica“ (Deutsch-Polnische Zeitung für Deutschland, seit 1997 in Berlin herausgegeben, erscheint zweisprachig) (vgl. TREPTE 2006: 277). In den 90er Jahren entstehen neue Zeitschriften (WIR, Kolano). Der 1994 in Berlin gegründete Verein zur Förderung der Deutsch-Polnischen Literatur „WIR“ (Polsko-Niemieckie Towar- zystwo Literackie „WIR“) ist ein Zusammenschluss von deutschen und polnischen Autorinnen und Autoren. Der Verein gibt die Deutsch-Polnische Literaturedition WIR heraus, in der zweisprachige Texte von polnischen und deutschen Autoren pu- bliziert werden. Über 1000 zeitgenössische Autoren und Autorinnen aus Polen und Deutschland traten mit ihren Werken bzw. in einem Interview in WIR auf.79 Piotr Mordel, Adam Gusowski, Leszek Oświęcimski u.a. gründeten in Berlin den „Club der polnischen Versager“ (die offi zielle Eröffnung des Clubs fand am 01.09.2011 statt), wo sie verschiedene Events, Theaterprojekte, Ausstellungen, Autorenlesun- gen, Abendveranstaltungen, Konzerte organisieren.80 Seit Juni 1993 erscheint in Deutschland die Quartalsschrift B1, die für junge polnische Literatur und Kunst wirbt. Die Zeitschrift veröffentlicht Poesie, Prosa, Essays, Briefe, Kulturchroniken aus Polen und Deutschland sowie auch Texte mit einem publizistischen und infor- mativen Charakter.81 Seit 2001 wird in Messel das Kulturmagazin Zarys herausgege- ben, das seit 2007 zweisprachig ist.82 Auch München ist ein wichtiges Zentrum der polnischen Kultur in Deutschland (bis 1994 existierte hier der Sender „Radio Freies Europa“/ Radio Free Europe, RFE). Die Polen in Deutschland stellen – mit 400 000 Personen – die drittgrößte Gruppe von Ausländern in Deutschland (vgl. KERSKI 2011b: 202). In Deutschland leben – nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwas mehr als eine Million Bürger mit polnischem Migrationshintergrund. Es ist die drittgrößte Gruppe nach Personen aus der Türkei und der Russischen Föderation (vgl. KERSKI 2011b: 202). Neben der BRD entwickelte sich auch Österreich zu einem beliebten Einwande- rungsland für die polnischen Migranten.83 Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts spielten die Polen in der Geschichte des österreichischen Staates und sei-

79 „WIR“ (mit seiner Chefredakteurin Ewa Maria Slaska) organisiert in Zusammenarbeit mit anderen Kultureinrichtungen auch verschiedene deutsch-polnische Kulturprojekte. Die Gründerinnen der Zeitschrift waren Dichterinnen, Publizistinnen und Schriftstellerinnen, die in den 1980er Jahren Polen verlassen haben und mit dem Verein und der Edition ein Forum des deutsch-polnischen Dialogs schaffen wollten (vgl. SLASKA 2000; BRANDT 2013a). 80 http://www.polnischeversager.de; Leszek Oświęcimski ist – zusammen mit Adam Gusowski – auch Begründer und Redakteur der Zeitschrift Kolano (mit dem Untertitel „Unkultivierte Literaturzeitschrift“), deren erste Nummer im August 1995 erschienen ist. 81 Eine umfangreiche und detaillierte Darstellung des polnischen Literaturbetriebs in Deutschland liefert Maria Kalczyńska: KALCZYŃSKA 2004. 82 http://www.zarys.de, Chefredakteur: Roman Ulfi k, Literaturredakteur: Piotr Roguski. 83 Die Zuwanderung der Polen nach Österreich stellt ein sozialwissenschaftlich relativ wenig bearbeitetes Forschungsfeld dar. Vgl. dazu z.B: FASSMANN/KOHLBACHER/REEGER 1995; BLASCHKE 2001. 82 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ner Gesellschaft eine besondere Rolle. Wie Ewa Nowak bemerkt, war – wegen der Aktivität der polnischen Migranten – die zweite Hälfte des 19. und der Anfang des 20. Jahrhunderts die bedeutendste Zeit für die Geschichte der polnischen Auswan- derung nach Österreich (vgl. NOWAK 2007: 36). Im Rahmen der Binnenmigration wanderten aus Galizien insbesondere die ökonomisch motivierten Bewohner (vor allem jüdischer Herkunft) auf der Suche nach einer fi nanziellen Perspektive aus, weil die galizische Region wirtschaftlich wegen des Verfalls der Landesindustrie, der primitiven Landwirtschaft und der schlechten agrarischen Struktur rückständig geblieben war (daher das sprichwörtliche „galizische Elend“). Die meisten polni- schen Migranten siedelten in die Metropole, nach Wien um.84 Die österreichische Hauptstadt mit ihrem Völkergemisch zog Arbeiter, Intellektuelle und Künstler an. Manche Polen übten in Wien höhere Staatsfunktionen aus, viele von ihnen bekleide- ten hohe Stellen in der österreichischen Exekutive, Legislative und im juristischen System.85 Die polnischen Vereine, in denen sich die aktivsten von ihnen versammel- ten, erlebten in dieser Zeit ihre Blüte.86 Im „polnischen“ Milieu in Österreich Anfang

84 Viele wohnten auch in Graz und Leoben. Leoben als das Zentrum der Schwerindustrie lockte vor allem die polnischen Arbeiter an. Die jungen Polen zogen nach Wien, Innsbruck, Graz und Leoben, um zu studieren. Die sog. Massenemigration der Polen nach Österreich nahm ihren Anfang in der Zeit der Jahrhundertwende. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfolgte auch eine große Migrationswelle. 1914 betrug die Zahl der polnischen Migranten 40 000 (vgl. NOWAK 2007: 38–40). 85 Zu den prominentesten Persönlichkeiten, die politische Karrieren in Wien machten und in höchste k.u.k. Ämter gelangten, gehören u.a.: Karol Lanckoroński – Vizepräsident des Staatsdenkmalamtes und Generalkonservator für Galizien, Franciszek Smolka – Präsident des k.u.k. Parlaments (1848–1849), Agenor Gołuchowski (der Ältere) – österreichischer Minister für Inneres (1859–1860) und Statthalter von Galizien (1849–1859, 1866–1868 und 1871–1875) Agenor Gołuchowski (der Jüngere) – k.u.k. gemeinsamer Außenminister Österreich-Ungarns (1895–1906) , Alfred Józef Potocki – Premierminister (1870–1871), Kazimierz Badeni – Premierminister (1895–1897), Julian Dunajewski – Finanzminister (1880–1891), Leon Biliński – österreichischer Finanzminister (1895–1899 im Kabinett Badeni und 1909–1911 im Kabinett Bienerth), k.u.k. gemeinsamer Finanzminister Österreich-Ungarns (1912–1915). 86 Die ersten Organisationen der polnischen Migranten entstanden in Wien im 19. Jahrhundert. Unter den polnischen Vereinen in Österreich, die eine wichtge Rolle insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielten, sind vor allem folgende zu nennen: der polnische Handwerker- und Arbeiterverein „Siła“ (gegründet 1892), Stowarzyszenie Polskie „Zgoda“ (polnischer Verein „Zgoda“, 1878–1894), Związek Polaków w Austrii „Strzecha“ (Verband der Polen in Österreich „Strzecha“) – der in älteste Europa heute noch existierende Verein der Auslandspolen (gegründet 1894), Towarzystwo „Biblioteka Polska“ in Wien (Bildungsgesellschaft „Polnische Bibliothek“, 1864–1920), die eine polnische Schule führte, Polskie Akademickie Stowarzyszenie „Ognisko” (Polnischer Studentenverein „Ognisko“, gegründet 1864, bis 1951 aktiv). Die Mitglieder der polnischen Vereine („Ognisko“, „Zgoda“, „Strzecha“, „Biblioteka Polska“) waren Initiatoren einer in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts geplanten und 1908 realisierten Bildungseinrichtung unter dem Namen „Dom Polski“ („Das Polnische Haus“) in Wien. In diesem Haus wurden Bildungsstätten, ein Kindergarten, eine polnische Schule, eine Bibliothek und ein Lesesaal für die Auslandspolen im habsburgischen Österreich-Ungarn eingerichtet. Im „Polnischen Haus“ wurden Vorträge, wissenschaftliche Vorlesungen, Fachlehrgänge und Deutschkurse für polnische Arbeiter sowie gelegentliche Veranstaltungen organisiert (vgl. TABORSKI 2001: 208-210). Die 1755 bis 1763 errichtete Gardekirche am Rennweg in Wien wurde im Jahre 1897 von Kaiser Franz Joseph dem polnischen Priesterorden der Resurrektionisten zugesprochen. Seit ihrer erneuten Eröffnung 1898 steht die sog. Polnische Kirche den polnischen Gemeindemitgliedern zur Verfügung. Sie erfüllte in der Vergangenheit (und tut es immer noch) eine wichtige soziale und kulturelle Funktion im polnischen Migrantenmilieu. Der polnische Orden erhielt im Jahre 1906 noch die Kirche am Kahlenberg (vgl. TABORSKI 2001: 208–214f.). 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 83 des 20. Jahrhunderts gab es auch eine rege Pressetätigkeit (in der polnischen und in der deutschen Sprache), obwohl die genaue Zahl der Titel von der Forschung noch nicht bestimmt wurde.87 In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen unterhielten die beiden Staaten, die 1918 entstandene Republik Österreich und die polnische Zweite Republik diploma- tische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen. Die beiden Regierungen unter- zeichneten 1923 ein bilaterales Abkommen über die landwirtschaftliche Saisonarbeit der Polen in Österreich, in dessen Rahmen in den nächsten Jahren einige Hundert polnische Saisonarbeiter nach Österreich (vor allem nach Niederösterreich und Stei- ermark) pendelten (vgl. KUCHARSKI 1994: 21).88 Da die 1930er Jahre im Zeichen des steigenden Einfl usses des nationalsozialistischen Deutschland, des Anschlusses Ös- terreichs und dann, 1939–1945, des Zweiten Weltkrieges standen, setzten sie (ähn- lich wie im Falle der deutsch-polnischen Beziehungen) eine Zäsur. Am Ende des Zweiten Weltkrieges hielten sich auf dem österreichischen Gebiet ca. 80 000 Polen auf, die während des Krieges deportiert und ins Dritte Reich verschleppt wurden. (Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, Flüchtlinge verschiedener Art).89 Im Hinblick auf den Neutralitätsstatus des österreichischen Staates nach 1955 und seiner sich daraus ergebenden Sonderstellung unter den sog. westlichen Ländern, wie schon oben erwähnt, konnten im Rahmen der österreichisch-polnischen Beziehun- gen mit den Staaten des Warschauer Pakts Kooperationsbereiche entwickelt werden. Laut Emil Brix blieben zwischen Polen und Österreich zahlreiche Gesprächsebenen erhalten, weil beide Staaten nicht vollständig in das politische und gesellschaftli- che Ost-West-Schema integriert waren (vgl. BRIX 1996: 367). Wegen des Eisernen Vorhanges waren die offi ziellen Kontakte eher selten, die kulturelle Kooperation funktionierte ohne größere Störungen, obwohl das sowjetische Regime auch den Bereich der Kultur zunehmend instrumentalisierte. Ähnlich wie die Bundesrepub- lik Deutschland wurde Österreich in den 1980er Jahren, als die Ost-West-Migration begann, mit einer großen Anzahl an Asylanträgen seitens polnischer Staatsbürger konfrontiert, deren Gründe sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Natur waren. Die größte durch die innenpolitische Situation in Polen verursachte Welle polnischer Migration gelangte nach Österreich 1981/1982, nach der Verhängung des Kriegs- rechts.90 Für den größeren Teil der polnischen Flüchtlinge war Österreich lediglich

87 Für die Jahre 1914–1918 beläuft sich die Zahl der Titel auf ca. 32. Zu den meist gelesenen gehörten: „Nowy Tygodnik Polski”, „Nowy Głos Wiedeński”, „Wiedeński Kurier Polski” (vgl. KUCHARSKI 1994: 140). 88 Roman Taborski beruft sich in seiner Publikation auf Angaben aus dem Jahr 1923, nach denen in Wien zu diesem Zeitpunkt 40 000 Polen lebten, 7 000 davon bedienten sich der polnischen Sprache (vgl. TABORSKI 2001: 208). 89 Es ist eine schätzungsweise Bestimmung der Zahl der polnischen DPs in Österreich (vgl. KUCHARSKI 1994: 38). Nach den Angaben von Andrzej Pilch reichen die Schätzungen von 80 000 bis 350 000 Personen (vgl. PILCH 1994: 21–44). 90 Zu dem Zeitpunkt reisten zwischen 120 000 und 150 000 Polen offi ziell nach Österreich ein, von denen rund 33 000 um politisches Asyl ansuchten. Von 1980 bis 1986 gelangten weitere 38 661 Asylbewerber ins Land (vgl. FASSMAN/KOHLBACHER/REEGER 2004: 22). Die Autoren der Monographie betonen, dass die polnische Zuwanderung im Verlauf der 1990er Jahre zu einem wichtigen Bestandteil der österreichischen 84 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 eine Durchgangsstation, sie reisten in Drittländer weiter, um in einem anderen euro- päischen Land, in Kanada oder in den USA festen Fuß zu fassen (vgl. TREPTE 2004: 101). In Österreich wurde von den staatlichen Stellen in Zusammenarbeit mit kirch- lichen und privaten Organisationen die Flüchtlingsbetreuung (die sog. Polenhilfe) organisiert (vgl. WISCHENBART 1995: 199). Für viele Polen stellte die Republik Österreich in den Krisenjahren der Volksrepub- lik Polen 1956, 1970, 1980/1981, 1988/1989 eine verlockende Alternative dar. Die polnisch-österreichischen historischen Gemeinsamkeiten sowie die kulturellen Ver- fl echtungen spielten dabei auch eine äußerst wichtige Rolle. In Österreich erfolgte die polnische Migration in erster Linie in die östlichen Bundesländer, vor allem nach Wien, was wahrscheinlich mit der geringen Distanz und den kulturellen sowie histo- rischen Verbindungen im Zusammenhang stand.91 Die polnischen Zuwanderer in Österreich waren auch bemüht, ein kulturelles Le- ben und auch ein gesellschaftliches Miteinander im Gastland zu entwickeln. Polni- sche Vereine oder kirchliche Einrichtungen konnten inzwischen auf eine langjährige Geschichte zurückblicken. Der Verband „Strzecha“ sowie die Polnische Kirche am Rennweg in Wien seien als Beispiele genannt. Viele Organisationen knüpften daher nach dem Zweiten Weltkrieg an die traditionellen Vereinstrukturen an. Der 1894 gegründete und gegenwärtig immer noch aktive Verband der Polen in Österreich „Strzecha“, zu dessen Programmaufgaben u.a. Förderung der polnischen Kultur und Sprache mittels Kultur- und Bildungsaktivitäten gehört(e), nahm seine Tätig- keit schon 1945 auf. Im Jahre 1974 wurde das Polnische Institut Wien gegründet, das polnische Kultur, Wissenschaft, Geschichte sowie Wissen über das zeitgenössische Polen und seine Gesellschaft vermittelt und die Zusammenarbeit zwischen österrei- chischen und polnischen Kulturinstitutionen fördert. Polnische Emigranten, die mit der Solidarność-Bewegung verbunden waren, gründeten kurz nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen den „Polnisch-Österreichischen Klub für Information und Kultur – Sierpień 80‟, der die Wochenzeitung Polskie Wiadomości (später das Bulletin Sierpień 80) herausgab. Zu den Hauptaufgaben des Klubs gehörte u.a. die Flüchtlingshilfe für die polnischen Flüchtlinge in Österreich. In den 80er Jahren ent- standen auch Vereine der polnischen Migranten, die kulturelle und wirtschaftliche Aktivitäten entwickelten, wie z.B. „Vienna – Österreichisch-Polnischer Verein für

Zuwanderungsszene wurde. Außerdem wächst heutzutage die Gruppe der transnational mobilen Polen, die legal oder illiegal in Östereich beschäftigt sind (vgl. FASSMAN/KOHLBACHER/REEGER 2004: 22). 1981 lebten und arbeiteten legal in Österreich 5 911 polnische Staatsbürger, im Jahre 1991 stieg die Zahl auf 18 321. Dazu kamen weitere 8 932 Polen, welche zwischenzeitlich eingebürgert worden waren (vgl. FASSMAN/KOHLBACHER/REEGER 2004: 25). In Österreich leben rund 57 600 Personen polnischer Herkunft, also polnische Staatsangehörige oder in Polen geborene ÖsterreicherInnen. Polinnen und Polen stellen somit die siebtgrößte Zuwanderungsgruppe dar. Etwa zwei Drittel leben in Wien, gefolgt von Nieder- und Oberösterreich (vgl. http://www.integrationsfonds. at/de/oeif_dossiers/polnische_migranten_in_oesterreich/, [06.12.2012]). 91 Laut Fassmann, Kohlbacher und Reeger ist der Zuzug aus Polen in erster Linie ein ostösterreichisches Phänomen: vor allem wegen der geographischen Nähe (vgl. FASSMAN/KOHLBACHER/REEGER 2004). 1981 lebten laut Statistik 2 653 polnische Staatsbürger in Wien, 2001 waren es 21 841, 2008 – nach dem EU-Beitritt Polens – 36 775 (vgl. http://www.m-media.or.at/wirtschaft/polen-in-wien-die-unsichtbaren-erfolgreichen- migranten/2009/10/14/, [12.11.2012]). 3. Einem Phänomen auf der historischen Spur: Zur Kulturgeschichte Polens 85

Kultur und Touristik“ (1983), der „Österreichisch-Polnische Künstlerverein“ (1988), der „Österreichisch-Polnische Verein für Kunst und Freizeit – Polonez“ (1989) (vgl. WALDRAUCH/SOHLER 2004: 339f.). Die Polnische Buchhandlung in Wien, die 1984 gegründet wurde, verkaufte bis 1989 damals in Polen verbotene, im Exil publizierte Bücher und Zeitschriften. In der ers- ten Phase ihrer Tätigkeit organisierte und animierte die Buchhandlung auch das kul- turelle und gesellschaftliche Leben der in Wien lebenden Polen. Seit 1990 begannen die polnischen Vereine und Organisationen im „Forum von Po- len in Österreich – Arbeitsgemeinschaft Polnischer Organisationen“ zusammenzuar- beiten.92 Das „Forum“ will u.a. die Annäherung zwischen Polen und Österreich, pol- nische Sprache und Kultur sowie die Integration der in Österreich lebenden Polen in die österreichische Gesellschaft fördern. Gemeinsam mit seinen Mitgliedsvereinen veranstaltet das Forum seit den 1990en Jahren „Polnische Kulturtage in Österreich“. Der Mauerfall und später die Osterweiterung der Europäischen Union riefen bei den Polen unterschiedliche Reaktionen hervor. Auf der einen Seite wurde der Zerfall des sozialistischen Staates mit Freude begrüßt, andererseits kamen die zunehmende Skepsis gegenüber den negativen Folgewirkungen der wirtschaftlichen und politi- schen Transformation und das Gefühl der Bedrohung zum Ausdruck, das die nega- tiven Klischees, insbesondere den Deutschen gegenüber, wieder aufl eben ließ (vgl. SAKSON 2008: 40). Nach den Jahren der Teilung Europas wurden aber gleichzeitig im polnischen Kulturkreis nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Trans- formationen beschleunigt. Die großen Wanderungsbewegungen, die Prozesse der wirtschaftlichen, politischen Globalisierung und verschiedene Formen der globalisierten Kultur prägen auch die polnische Gesellschaft und die polnische Kulturlandschaft. Die kulturell-künstleri- sche Produktion und Rezeption sowie ihre Reichweiten veränderten sich intensiv. Es stellt sich die Frage, ob die deutsch-polnischen und österreichisch-polnischen gegenseitigen kulturellen Berührungen, der seit dem Mittelalter bestehende Kultur- austausch sowie Vermischungen der Bewohner ihren Charakter seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes und im Zeitalter der Globalisierung, in dem nationalstaat- liche Grenzen nach und nach ihre Relevanz verlieren, tatsächlich ihre Form radi- kal veränderten. Das deutsch-polnische und österreichisch-polnische transnationale Aufeinandertreffen hat seine Wurzeln in den wechselseitigen Beziehungen in der Vergangenheit, die schon längst den transkulturellen Typus konstituiert hat.

92 1993 kam es zur schlussendlichen Gründung eines Verbandes, in dem 19 polnische Organisationen aus dem gesamten Österreich mitwirkten (vgl. WALDRAUCH/SOHLER 2004: 342).

4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität

Als Migrantenliteratur bzw. Literatur der Autoren mit Migrationshintergrund be- zeichnet man in der Regel Literaturtexte, deren Autoren einen einschneidenden Kul- tur- und meistens auch Sprachwechsel hinter sich haben. Die Tatsache, dass die Mig- rantenautoren nicht nur in zwei Kulturen, sondern auch in mindestens zwei Sprachen leben, beeinfl usst natürlicherweise das literarische Werk dieser Schriftsteller. Der US-amerikanische Schriftsteller polnisch-jüdischer Herkunft Jerzy Kosiński (1933– 1991) bezeichnete sich selbst beispielsweise in einem Interview als „homo tripex“ als „Pole, Amerikaner und Schriftsteller, dem eine Wirklichkeit zur Verfügung steht, die er in seinen Werken beliebig gestaltet“ (zit. nach: JAKÓBCZYK 1996). Unter Sprachwechsel, einem „der irritierendsten literarischen Phänomene der Mo- derne“ (LAMPING 1996: 33), wird der Wechsel eines Individuums von einer Sprache zu einer anderen verstanden. Es ist eine freie, subjektiv vollzogene Entscheidung des Einzelnen, eine andere Sprache zum künstlerischen Ausdrucksmittel zu machen (vgl. TREPTE: 2000: 247) und kann als ein Merkmal der Moderne bzw. Postmoderne aufgefasst werden. Die Aufhebung der kulturellen Grenzen in den Zeiten der Glo- balisierung kann auch auf die Sprache bezogen werden. Die literarische Tätigkeit in der Muttersprache bildet heutzutage nicht mehr „den einzigen authentischen Weg zum kreativen Schreiben, zur Wahrheit oder dem letzten Grund“ (BHATTI 1998: 349). Saša Stanišić, selbst ein deutschsprachiger Autor mit Migrationshintergrund, macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die Sprache „das einzige Land ohne Grenzen“ sei (STANIŠIĆ 2008: 109).93 Laut Renata Cornejo wird die Exterritorialität selbst ein Zeichen für den Status eines modernen Schriftstellers (CORNEJO 2012: 144). Die neue Sprache ermöglicht den Zugang zu einer neuen, anderen, unbekannten Kultur und vielleicht infolgedessen auch zu einer neuen kulturellen Identität. Der Sprachwechsel ermöglicht außerdem eine gewisse Distanz zum Heimatland, seiner kulturellen Tradition und auch der Muttersprache sowie einen bewussten Umgang mit der Sprache überhaupt. Der Sprachwechsler trennt sich von den Traditionen seiner Muttersprache und gleichzeitig von sprachlichen und kollektiven Tabus und Mythen, Normen und Verhaltensmustern. Diese Trennung kann auch als eine Art Befreiung empfunden werden. Wenn man seine Sprache wechselt, bildet diese Entscheidung aber eine markante Zäsur sowohl im Privatleben als auch – im Falle der Schriftsteller – in ihrem li-

93 Saša Stanišić (geb. 1978), Sohn einer Bosniakin und eines Serben, kam als Kind und Flüchtling aus Bosnien und Herzegowina nach Deutschland. 88 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 terarischen Schaffen. Wichtig ist es zu unterscheiden, ob es sich dabei um einen freien Entschluss handelt, oder ob diese Entscheidung durch die Lebensumstände sozusagen erzwungen worden ist. Eine wichtige Rolle kann dabei selbstverständlich auch die sprachlich-kulturelle Anziehungskraft des Gastlandes (der neuen Heimat) spielen. Viele Sprachwechsler wollen „mit ihrem Schritt den Zwängen nationaler Wertehierarchien entgehen, sich im Sprach- und Kulturraum des Gastlandes behaup- ten, in dessen Literatur und Kultur eingehen“ (KLIEMS/TREPTE 2004: 371). Durch den Sprachwechsel schreiben die Migrantenautoren absichtlich für einen anderen Adres- satenkreis und fi nden Eingang in einen anderen Sprach- und Kulturraum. Dadurch werden die nationalen und kulturellen Zugehörigkeiten aufgegeben. Die Folgen des Wechsels können positiver und negativer Natur sein. Eine positive Wirkung für den Schriftsteller ist seine doppelte Sprachbürgerschaft mit ihrer per- manenten Auseinandersetzung mit beiden Sprachen (mit beiden Sprachcodes) sowie die potentielle Eroberung einer neuen, fremdsprachigen Leserschaft, der Gewinn eines neuen Adressatenkreises, Überwindung der Fremdheit, in vielen Fällen sogar der schriftstellerische Erfolg und Anerkennung in dem neuen Kulturkreis, als nega- tiv können ein mögliches Gefühl der Zerrissenheit, die Gefahr des Sprachverlustes, der Verlust (das Ausbleiben) von traditionellen sprachlichen und kulturellen Bin- dungen, sogar die Entwurzelung betrachtet werden. Die Wahl einer anderen Sprache kann dann auch Folgen nach sich ziehen: die Einfl üsse auf den Sprachgebrauch und auf den Stil des jeweiligen Autors. Die polnische Muttersprache kann andererseits auch die Produktion der Texte beeinfl ussen, sie färbt und formt manchmal auch die Zweitsprache. Die in der vorliegenden Publikation zu behandelnden deutsch-polnischen Migran- tenautoren sind mit der deutschen Sprache in unterschiedlichen Momenten ihres Le- bens in Kontakt gekommen. Artur Becker, Radek Knapp und Dariusz Muszer haben das Deutsche als die Sprache ihres literarischen Ausdrucks bewusst gewählt. Becker, der in beiden Sprachen literarisch tätig ist, betrachtet das Deutsche als seine „dienstliche“ Sprache (SCHUSTER 2009: 32), „seine Dienst- und Literatursprache“ (zit. nach: PAVLOVIC 2009: 6, vgl. auch: BALZER 2008: 2, 2009b). Die Entscheidung, seine Texte auf Deutsch zu schreiben, war durch den Wunsch motiviert, das deutsche Lesepublikum erreichen zu können (vgl. AMODEO/HÖRNER 2010: 130).94 Becker siedelte 1985 als 17-Jähriger ohne Deutschkenntnisse in den Westen über, er musste „im Grunde […] bei Null“ anfangen (BALZER 2008: 2) und die deutsche Spra- che habe ihn „fast getötet“ (zit. nach: LISCHKA 2006). Für den Schriftsteller Becker gebe es kein Zurück in die alte Sprache: „Aus dem Polnischen bis ich herausgewach- sen“ (zit. nach: BALZER 2008: 2). Als „Zweitmuttersprachler der deutschen Sprache“ (so Artur Becker) vertraue er „bedingungslos“ der deutschen Sprache, seine Her- kunft aus Osteuropa stehe „der Liebe zum deutschen Sprechen und Schreiben nicht im Wege“ (BECKER 2006b: 15). Der Sprachwechsel ist aber für den Schriftsteller kein einfacher Prozess gewesen. Artur Becker meint, dass es eine Herausforderung

94 Vgl. dazu auch Beckers Äußerung: „Ich werde nur im Deutschen meine Leser erreichen. Und ich wollte nicht für die Schublade schreiben” (zit. nach: LISCHKA 2007). 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität 89 für ihn war, die Sprache zu wechseln, ein schmerzhafter Prozess, der lange gedau- ert habe: „Es war ein sehr schmerzhafter Prozess, weil ich mich von etwas lösen musste“, meint der Schriftsteller (zit. nach: AMODEO/HÖRNER 2010: 128). „Ich weiß, dass ich dafür auch einen bestimmten Preis zahle. Indem ich mich für das Land und für das Deutsche entschieden habe, zahle ich einen bestimmten Preis“ (zit. nach: AMODEO/HÖRNER 2010: 129). In einem anderen Interview stellt der Schriftsteller fest: „Ich habe so viele Zweifel, so viele Ängste jedes Mal. Ich neige deshalb zu einer Genauigkeit, die manchmal nerven kann, manchmal dem Text gut tut. […] Weil wir anders geprüft werden, weil wir nicht Muttersprachler sind“ (zit. nach: LISCH- KA 2007). Becker betont, dass ihn immer noch Zweifel, Unsicherheiten und Fragen plagen, er nennt es ein „Ringen um die deutsche Sprache“ (zit. nach: SOLTAU 2009). „Dieser Sprachwechsel hat dazu geführt, dass ich weiß, wie zerbrechlich die Sprache ist. […] Durch diesen Sprachverlust und durch den Sprachwechsel weiß ich, dass die Sprache und die Nationalliteratur völlig egal sind. Die Poesie ist ganz woanders“ (zit. nach: AMODEO/HÖRNER 2010: 134). Die sprachliche Kreativität sei also nicht an eine bestimmte Sprache gebunden. Für Becker ist das Deutsche seine Literaturspra- che, ein Mittel, ein Instrument, sich literarisch ausdrücken zu können. Der 1959 in Górzyca (Lebuser Land) in Polen geborene Dariusz Muszer, der 1988 nach Hannover umsiedelte und wie Becker zweisprachig literarisch tätig ist, stellt fest: „Ich mag es, auf Deutsch zu schreiben, weil das für mich eine ungeheure He- rausforderung ist“ (zit. nach: PRIEN 2007). In Interviews nach der Wahl der Litera- tursprache gefragt, antwortet Muszer, dass sein deutschsprachiger Debütroman (Die Freiheit riecht nach Vanille, 1999) zu ihm „auf Deutsch gekommen ist“ und somit auf Deutsch verfasst wurde (ZAŁUSKI 2000, vgl. auch: PLESS 2000; CZANIECKA-KUFER 2002). Radek Knapp, 1964 in Warschau geboren, seit 1994 im deutschsprachigen Raum schriftstellerisch tätig, wuchs bei den Großeltern in Polen und seit 1976 bei seiner Mutter in Wien auf.95 Das Deutschlernen war für ihn, der am Anfang „nur Polnisch gedacht und geschrieben“ habe, wie er behauptet, „wirklich ein Schock“ (vgl. KNAPP 1996b: 146). Knapp meint: „Deutsch zu lernen ist für einen Polen kein Vergnügen. Noch dazu, wenn dieser zwölfjährig ist. Dann ist Deutsch für ihn nicht nur ein kan- tiges, raues Kauderwelsch, sondern auch noch die Sprache des Feindes“ (KNAPP 2007b: A8).96

95 Radek Knapp: „Da musste ich schon eine Woche später in eine fremde Schule, fremdsprachig, total unbekannt. Am Anfang wollte ich gar nicht Deutsch lernen. Das war wirklich ein Schock. Das nächste halbe Jahr wollte ich praktisch weglaufen, zurück nach Polen. Da wurde ich sozusagen aus dem Sattel gerissen, bevor ich noch etwas sagen konnte. Ich muss zugeben: Da war es vorbei mit meiner Jugend!“ (vgl. KNAPP 1996: 146). 96 Vgl auch Radek KNAPP (2007c): „Mein erstes Schragl.“ In: Christa STIPPINGER: Best of 10. Anthologie. 10 Jahre Exil-Literaturpreise „Schreiben zwischen den Kulturen“ 1997–2006. Wien: edition exil 2007, S. 7. Aus dieser Feststellung Knapps wird noch eine historische Tatsache ersichtlich: Der Gebrauch der deutschen Sprache war im polnischen kollektiven Bewusstsein der Nachkriegszeit durch die negativen Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges belastet. Deutsch war die Sprache der Nazis, der Mörder und sein Gebrauch eine gewisse Form des ,nationalen Verrates‘. 90 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

In seinem kurzen Text, der den Titel Kurze Geschichte meiner Sprache trägt, erklärt Radek Knapp seine Entscheidung, literarisch in der deutschen Sprache tätig zu sein:

Ich habe in der Fremde eine Sprache gefunden, die mir auf den Leib geschnitten ist. Ich werde sie zwar nie so gut beherrschen wie meine Muttersprache, aber ich werde sie im- mer dann benutzen, wenn von meinen Gefühlen die Rede sein wird. Sie ist inzwischen nicht nur zu meiner eigenen Sprache geworden, sie ist der rote Faden, der mich zwischen den Kulturen führt, in denen ich lebe. Ich weiß, sie wird mich, und ich werde sie nicht im Stich lassen (KNAPP 1998: 8). Knapp gibt keine präzise Auskunft darüber, warum er ausgerechnet in der deutschen Sprache, und nicht in seiner Muttersprache, seine persönlichen Gefühle und Erleb- nisse ausdrücken kann und will. Er schreibt auf Deutsch, „weil [er] die entscheiden- de Literatur auf deutsch gelesen ha[t]: Mickymaus und Goethe“ (zit. nach: FRITSCH 1995: 95), bemerkt er ironisch. Wie Artur Becker betrachtet auch er das Deutsche als seine Arbeitssprache (vgl. KNAPP 1996: 147). Der Gebrauch der deutschen Sprache ist in seinem Falle auch in der Möglichkeit begründet, in Westeuropa literarisch tätig zu sein und ein größeres Lesepublikum anzusprechen.97 Ähnliches gilt auch für Da- riusz Muszer: „Ich beschreibe die Gesellschaft, in der ich lebe. Und ich schreibe für sie. Deshalb schreibe ich auf Deutsch“ (zit. nach: OBERSTEIN 2000, vgl. auch: CZA- NIECKA-KUFER 2002). Die Aufgabe eines Schriftstellers ist, Muszers Meinung nach, neue Welten zu öffnen. Wenn dies einem Schriftsteller in seiner Muttersprache nicht gelingt, weil er keine Leser fi ndet, soll er die Sprache wechseln.98 Sabrina Janesch (1985 als Tochter eines Deutschen und einer Polin in Deutschland geboren), Adam Soboczynski, der 1975 in Polen geboren wurde und im Alter von sechs Jahren (1981) mit seiner Familie in die BRD kam, und Magdalena Felixa (1972 in Polen geboren, mit neun Jahren in die Schweiz umgesiedelt, lebte in den Vereinigten Staaten und Wien) sind durch ihren biografi schen Hintergrund mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Auf diese Weise sind sie nicht direkt vor die Wahl der Literatursprache gestellt worden. Diese Wahl scheint in ihrem Falle eher etwas Selbstverständliches und Natürliches gewesen zu sein. Soboczynski stellt sogar fest: „Doch genauso, wie ich als Kind deutsch geradebrecht habe, habe ich heute Schwie- rigkeiten mit dem Polnischen“ (zit. nach: (STH) 2007). Die Wahl des Deutschen als literarisches Ausdrucksmittel und die damit zusammen- hängende Zweisprachigkeit der in der vorliegenden Publikation zu behandelnden deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund (Sabrina Janesch ausgenom-

97 „Es ist ziemlich wichtig, dass man eine Weltsprache beherrscht, wenn man schreiben will. Wie ein Wissenschaftler [...] muss ich Bücher von Autoren, die mich interessieren, lesen, wenn sie gerade erschienen sind. Das ist im Polnischen unmöglich, auch heute noch“, meinte Radek Knapp in einem Interview aus dem Jahr 1996 (vgl. KNAPP 1996: 147f.). 98 „Zadaniem pisarza jest otwieranie nowych światów. Jeśli nie może tego robić w języku ojczystym, bo nie znajduje czytelników, to niech zmieni język. Obojętnie na jaki, byleby tylko otwierał te światy. Choćby wytrychem” [„Die Aufgabe eines Schriftstellers besteht darin, neue Welten zu öffnen. Wenn es ihm in seiner Muttersprache nicht gelingt, weil er keine Leser fi ndet, soll er die Sprache wechseln. Egal welche Sprache, Hauptsache, die Welten werden geöffnet. Sogar mit einem Dietrich“ – übers. AP] (zit. nach: ZAŁUSKI 2000: 16). 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität 91 men) kann als Folge der Migration betrachtet werden, weil sie ihren Lebensmittel- punkt dauerhaft in ein fremdsprachiges (deutschsprachiges) Land verlegt haben. Im Falle von Sabrina Janesch haben wir mit dem bilingualen Erstspracherwerb zu tun, weil Janesch aus der gemischtsprachigen Familie kommt, in der die Eltern unter- schiedlicher nationaler Herkunft sind und unterschiedliche Muttersprachen besitzen (polnische Mutter, deutscher Vater). Den gängigen Lexika nach bezeichnet der Begriff ,Zweisprachigkeitʻ oder ‚Bilingu- alismus‘ die Fähigkeit eines Menschen neben seiner ersten Sprache (Muttersprache) eine zweite mit ähnlich hoher Kompetenz zu gebrauchen, d. h. sich in beiden Spra- chen in allen Lebenslagen und sozialen Kontexten mit derselben Wirkkraft oder mit sehr hoher Kompetenz auszudrücken. Der Zeitpunkt des Spracherwerbs ist in dem Prozess bedeutend. Das Alter beim Zweitsprachenerwerb spielt zweifellos eine Rol- le: auf den verschiedenen Altersstufen kommen jeweils alters- und situationsgerech- te Sprachlernfähigkeiten zur Geltung (vgl. REICH/ROTH 2002: 11). Die Zweisprachig- keit, auch ihre „späte“ Form, kann jedoch so weit entwickelt werden, dass die Person in den meisten Kontexten beide Sprachen mit sehr hoher Kompetenz gebrauchen kann. Da die Migrantenautoren Deutsch als ihre Literatursprache bewusst gewählt haben und sie in ihrer ästhetischen Funktion gebrauchen, die Kreativität im Umgang mit Sprache erfordert, dürfen wir wohl von der höchsten Kompetenz sprechen. Muttersprachliche Zweisprachigkeit scheint bis zum Lebensalter zwischen zwei und drei Jahren möglich zu sein (vgl. TRACY/GAWLITZEK-MAIWALD 2000). Die Forscher machen aber auch darauf aufmerksam, dass dies keine Aussage über die später er- reichbaren Kompetenzen in den beiden Sprachen einschließt (vgl. REICH/ROTH 2002: 11). Renata Corejo betont, dass den neuesten Theorien der Gehirnforschung zufolge der Spracherwerb eine größere Hirnaktivierung im späteren Alter bei der grammati- kalischen Beurteilung aufweist. Semantische Prozesse scheinen dagegen nur wenig durch das Erwerbsalter beeinfl usst zu sein (vgl. CORNEJO 2010: 99f.). Der Spracher- werb ist ein dynamischer Prozess und wird, abgesehen vom Spracherwerbsalter der zweiten Sprache durch weitere, individuelle Faktoren bedingt wie Lernmotivation, -art, Umgebung, Sprachniveau. Die deutsch-polnischen Migrantenautoren können als jüngere (Becker, Muszer, Knapp, Felixa) und jüngste Generation (Janesch, Soboczynski) bezeichnet werden. Sabrina Janesch kam in Deutschland zur Welt. Artur Becker und Dariusz Muszer gelangten als Asylanten in ihr neues Heimatland. Radek Knapp, Adam Soboczynski und Magdalena Felixa sind noch im Kindesalter durch die Entscheidung ihrer Eltern in eine deutschsprachige Umgebung versetzt worden. Sie sind sie mit ihren Familien auf der Suche nach einer besseren Lebensalternative ausgewandert. Sie kamen in das für sie fremde Land im Kindes- (Knapp, Soboczynski, Felixa), Jugendalter (Becker) oder sogar als Erwachsene (Muszer), so dass ihre Sozialisierung und ‚Einschulungʻ (außer Muszer) zum Teil schon im neuen Land stattfand. Dies beeinfl usste die An- eignung der Fremdsprache und ihre Integration. Diese deutschschreibenden Autoren mit Migrationshintergrund setzten auch in einem gewissen Sinne die langjährige, in 92 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 der polnischen Adelsrepublik bestehende Tradition der Transkulturalität und Mehr- sprachigkeit fort, die ihr abruptes Ende mit den polnischen Teilungen erfuhr.99 Mit einem additiven Bilingualismus haben wir bei Radek Knapp, Adam Soboczyn- ski und Magdalena Felixa zu tun, die im Alter von 12 Jahren (Knapp), 9 (Felixa) und 6 (Soboczynski) in den deutschsprachigen Raum gingen und die deutsche Sprache in der deutschsprachigen Umgebung bereits im Kindesalter erlernen mussten.100 So wird der vollkommene Sprachwechsel vor allem von der jüngeren Generation voll- zogen, die erst in ihrem neuen Heimatland in der Fremdsprache debütierte, worauf auch Kliems und Trepte aufmerksam machen (vgl. KLIEMS/TREPTE 2004: 371). In den weiteren zwei Fällen (Dariusz Muszer und Artur Becker) kann vom späten Bilingualismus gesprochen werden, dem man begegnet, wenn sich ein Individuum im Jugend- oder Erwachsenenalter (Becker im Alter von 17 Jahren, Muszer von 29), also in einem für den Spracherwerb höheren Alter, in ein anderssprachiges soziales Umfeld begibt (infolge der Migration) und sich die Sprache seiner Umgebung durch den unmittelbaren Kontakt aneignet.101 Manche Autoren verfassen ihre Texte in zwei unterschiedlichen Versionen, je nach- dem, ob der jeweilige Text für das deutschsprachige oder polnische Lesepublikum bestimmt ist: als Beispiel kann an dieser Stelle die Erzählsammlung Franio von Radek Knapp angeführt werden. Auf diese Art und Weise können sie die kulturelle Umgebung des Adressaten stärker im Auge behalten. Über den Sprachwechsel wird der Versuch unternommen, einen neuen Adressaten- kreis zu gewinnen, in der neuen Heimat Fuß zu fassen und sogar Erfolg und Aner- kennung in einem anderen Kulturkreis zu gewinnen. Dariusz Muszer schreibt:

Literatura pisana przez autorki i autorów żyjących na emigracji lub pracujących z dala od swojej ojczyzny, niezależnie od tego, czy powstaje w ich języku ojczystym, czy też w nowym języku, wyuczonym, jest siecią mostów przerzuconych ponad granicami. Nie tyle o granice państwowe w tym wypadku chodzi, co o granice, jakie każdy z nas ma w sobie: granice kulturowe, religijne, ekonomiczne; granice między tym, co nam obce, nieznane, i tym, co bliskie, godne zaufania. Opuszczanie kraju rodzinnego, stan rozdarcia między dawnym a nowym miejscem pobytu, podwójna tożsamość, a także spotkanie

99 Französisch (die lingua franca des europäischen Adels) wurde weiterhin vom osteuropäischen (auch polnischen) Adelsstand verwendet. 100 Mit dem additiven Bilingualismus haben wir zu tun, wenn jemand eine zweite Sprache lernt, ohne seine erste zu vernachlässigen, seinem Ausdrucks- und Interaktionsvermögen etwas hinzufügt, also nicht nur seine sprachlichen, sondern auch seine kognitiven und sozialen Potenziale erweitert. 101 Dariusz Muszer und Artur Becker publizieren manche Texte auch in der polnischen Muttersprache. Durch die Verwendung zweier Sprachen, der Erstsprache sowie der Exilsprache, zeichnet sich ein partieller Sprachwechsel aus. Diesen Weg wählen diejenigen Autoren, die den „Kulturdialog zwischen ihrem Herkunfts- und ihrem Gastland“ suchen, aber auch diejenigen, die „auf ein bereits im Herkunftsland entstandenes muttersprachliches Œuvre zurückblicken konnten und sich nun mit Hilfe literarischer Zweisprachigkeit auf zumindest zwei Adressatenkreise ausrichten wollten“ (KLIEMS/TREPTE 2004: 368). Kliems und Trepte sind der Meinung, dass partielles language-switching manchmal zu einem Wandel in der literarischen Orientierung, zu funktionalen Genrepräferenzen führt, die abhängig vom jeweiligen Lesepublikum sind (vgl. KLIEMS/TREPTE 2004: 369). 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität 93

z innością, odkrycie nowych lądów i ludów, doświadczenie odrzucenia i obcość – to klasyczne motywy i tematy pojawiające się w twórczości autorów żyjących między kul- turami […] (MUSZER 1996: 4).

[Diejenige Literatur, die von den in der Emigration lebenden bzw. weit von ihrer Heimat entfernt arbeitenden Autorinnen bzw. Autoren verfasst wird – unabhängig davon, ob sie in der Muttersprache oder in der neuen erlernten Sprache wirken, ist ein Netzwerk von Brücken über Grenzen. In diesem Fall handelt es sich nicht um Staatsgrenzen, sondern um diejenigen, die jeder von uns in sich selbst trägt: kulturelle, religiöse, wirtschaftliche Grenzen; Grenzen zwischen dem, was uns fremd, unbekannt vorkommt und dem Nahen, Zuverlässigen. Verlassen des Heimatlandes, Zerrissenheit zwischen dem alten und dem neuen Aufenthaltsort, doppelte Identität, Begegnung mit dem Fremden, Entdecken von neuen Ländern und Völkern, Erfahrung von Ablehnung und Fremdheit – dies sind die klassischen Motive und Themen der zwischen den Kulturen lebenden Autoren […] – übers. AP]. Mit der Wahl einer Sprache oder ihrem Wechsel hängt das Problem der kulturellen Identität zusammen. Sprache ist nämlich ein konstituierendes Merkmal für die Iden- tität von nationalen, ethnischen oder kulturellen Gruppen.102 Mit ihrer identitätsstif- tenden Funktion bildet die Sprache eines von mehreren Kriterien, anhand derer sich eine Nation defi niert. Die Bedeutung der Sprache für die Identität einer Gruppe ist enorm. Andrée Tabouret-Keller ist der Meinung, dass „a single feature of language use suffi ces to identify someone’s membership in a given group“ (TABOURET-KELLER 2000: 317). Im Hinblick auf die Migrantenliteratur entsteht die Frage, ob die kultu- relle Identität durch Sprache bedingt wird und ob der Sprachwechsel einen Identi- tätswechsel oder doppelte Identität nach sich zieht.103 Georges Lüdi unterscheidet zwischen „unwillkürlich ‚manifestierter‘ Identität (iden- tité manifestée) und ‚beanspruchter‘ Identität (identité revendiquée)“ (LÜDI 2007: 43), wobei das Individuum durch die Wahl der Sprache seine „beanspruchte“ Iden- tität ausdrücken kann.104 Der Sprachwechsel und die Wahl der Schreibsprache ist ein äußerst wichtiges Pro- blem des individuellen und kollektiven Identitätsverständnisses in der Fremde. Die- ter Lamping ist der Meinung, wenn „ein Schriftsteller seine Sprache wechselt und fortan in einer zweiten Sprache oder gar in zwei Sprachen schreibt, bedeutet [dies] nicht weniger, als daß er die – auch von Philologen für natürlich genommene – Bin- dung eines Werkes an eine Sprache und damit an eine Nationalliteratur aufkündigt“ (LAMPING 1996: 33). George Steiner stellt sich die Frage, ob es sich beim Sprach- wechsel um ein Merkmal exterritorialer Schriftsteller der Moderne handelt. Laut Steiner bewirkt der Sprachwechsel eine grundlegende Trennung vom Regelsystem

102 Georges Lüdi betont, dass der Sprache in den Identitätsprozessen eine Schlüsselrolle zukommt (LÜDI 2007: 43). 103 Diese Fragen stellt sich Hans-Christian Trepte in seinem Beitrag (vgl. TREPTE 2000: 248). 104 Vgl. „Individuals relate the patterns for their linguistic behaviour so as to resemble those of the group or groups with which from time to time they wish to be identifi ed“ (LE PAGE/TABOURET-KELLER 1985: 18). 94 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 und von den Traditionen der Sprache, in welcher der Schriftsteller aufgewachsen ist. In der Muttersprache (in der Lexik, Grammatik und Syntax) sei die Erfahrungsfül- le der jeweiligen Kulturgemeinschaft kodiert. Der Wechsel kann nämlich zu einer Befreiung von sprachlichen und kulturellen Tabus, kollektiven Mythen, ethnischen Normen sowie herkömmlichen Verhaltensmustern führen (vgl. STEINER 1971).105 Obwohl frühere Jahrhunderte in der polnischen Kulturgeschichte den Wechsel von Sprache zu Sprache, auch im Literaturbereich, als Selbstverständlichkeit betrachte- ten und die Zwei- oder Mehrsprachigkeit sowie der Sprachwechsel, zumindest in ge- bildeten Schichten, im polnischen Kulturkreis eine lange Tradition hat, begann man in der veränderten historischen Situation (nach dem Verlust der staatlichen Unabhän- gigkeit) denjenigen Schriftstellern, die diesen Schritt wagten, nach der maßgeben- den romantischen Auffassung, mit Zurückhaltung zu begegnen. Wie schon im Kap. 3.2 der vorliegenden Arbeit näher beschrieben wurde, entschied in der polnischen von der Romantik geprägten Kultur- und Literaturgeschichte die Sprache über die nationale und kulturelle Zuordnung des Schriftstellers. Identität und Sprache wurden auf eine Stufe gestellt, die Treue zur polnischen Muttersprache gefordert. Im polni- schen Kulturraum – als Konsequenz der verlorenen staatlichen Existenz – wurde die Rolle der Sprache, Literatur und Religion bei der Bewahrung der kulturellen Identi- tät besonders hervorgehoben und als ihr entscheidendes Element angesehen. Diese romantische Auffassung war lange Zeit maßgebendes Kriterium bei der Bewertung von Schriftstellern polnischer Herkunft (insbesondere in den Zeiten der politischen Unfreiheit Polens), die ihre Werke nicht unbedingt in der polnischen Sprache schrie- ben.106 Die Autorität und Wirkung der polnischen Romantik hatten eine kulturelle und sprachliche Vereinheitlichung der einst kulturell und auch sprachlich heteroge- nen Elemente in der polnischen Literatur zur Folge. Heute, im zusammenwachsenden, multi-, inter- und transkulturell geprägten Europa scheinen der Sprachwechsel und die doppelte Sprachbürgerschaft immer selbstver- ständlicher zu werden. Vor dem Hintergrund der veränderten Kulturkonzepte muss auch die Kategorie der kulturellen Identität neu refl ektiert werden. Es kommt, wo- rauf Hans-Christian Trepte aufmerksam macht, zu einer Hinterfragung und gleich- zeitigen Neubewertung ethnischer und kultureller Identität, wobei Begriffe wie Hei- mat und Nation oft nicht länger stabile Kategorien darstellen (vgl. TREPTE 2000: 248). Die Migrantenautoren kann man meines Erachtens nicht unbedingt als die zu der jeweiligen Nationalliteratur und -kultur Zugehörigen betrachten. Sie scheinen eine Sonderkategorie zu bilden und im Transkulturellen situiert zu sein.

105 Interessant ist auch die Problemstellung von Pierre Bourdieu, der sich die Frage stellt, inwieweit diejenigen Autoren, die in einem Sprach- und Kulturumfeld leben und schreiben, das nicht identisch mit dem ihrer Herkunftsländer ist, den Regeln des jeweiligen „literarischen Feldes“ unterliegen (vgl. BOURDIEU 1992). 106 Vgl. Kap. 3.2, Józef Konrad Korzeniowski (Joseph Conrad) und Jerzy Kosiński. In der polnischen Exilforschung versuchte man die in der fremden Sprache schreibenden Schrifteller begriffl ich zu erfassen. Wojciech Wyskiel schlägt für die polnischen Sprachwechsler – in Anlehnung an den englischen Terminus transplanted writers – den Begriff przeszczepieniec (Verpfl anzter) vor. Es sind diejenigen Autoren, die außerhalb des eigenen Heimatlandes literarisch tätig sind, ihre Lebenssituation als freiwillig betrachten und den neuen Kulturraum als ihren eigenen annehmen (vgl. WYSKIEL 1988: 22; 1985). 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität 95

Hans-Christian Trepte macht einen Begriffsvorschlag. Trepte schlägt nämlich – in Anlehnung an die tschechische Exilschriftstellerin Vera Linhartová – den Begriff des „Nomaden“ (nomads) vor: Der Nomade wird in der zeitgenössischen Literatur oft zum Inbegriff von Beweglichkeit und Freiheit, er steht für das Wandern zwi- schen den Welten, für den Willen, den vertrauten Raum (seine Heimat, den vertrau- ten Kulturkontext) zu verlassen und Neues, Unbekanntes zu wagen. Der Nomade ist zu einer positiv besetzten Figur in den gegenwärtigen globalisierten Gesellschaften geworden, weil sie von den Individuen Mobilität und Flexibilität fordert. Der mig- rierende Autor wird als Nomade (Transmigrant) wahrgenommen, der eine ,nomadi- sche‘ Begegnung mit dem Anderen sowie dem Anderssein wagt. Die „Sesshaften“ bleiben ihrer Muttersprache im Gastland treu, isolieren sich gewollt (absichtlich) von der neuen kulturellen Umgebung, für sie besteht somit kein Identitätsproblem. Für die ‚Nomaden‘ kann jeder Ort, den sie betreten zur Heimat werden. Die Heimat als „kein Ort nirgends“ (quasi als Niemandsland), als ein Zustand des Unbehaust- seins kann „mit der freien Wahl der Sprache einhergehen“ (TREPTE 2000: 255, vgl. LINHARTOVÁ 1997). Hans-Christian Trepte ist zu Recht davon überzeugt, dass das nomadisierende Un- terwegssein „im Dschungel der Weltmetropolen“ den Blick des „fremden Ankömm- lings frisch“ hält und eine schöpferische Herausforderung darstellt: „Sich dem Le- ben in der Fremde zu stellen, wird so mit einem erneuten ‚Auf-die-Welt-Kommen‘ verglichen, der eigentlich ein Akt des ‚In-die-Welt-Kommens‘ darstellt, der einer zweiten Geburt, einem zweiten Leben gleicht“ (TREPTE 2000: 255). Die „Schrift- stellernomaden“ betrachten die eigene Kultur mit anderen Augen und lernen, die „erstaunlichen Möglichkeiten eines ‚Zu-Hause-Sein im Nicht-Zuhause‘ zu schätzen. Sie sind überall zu Hause, gleich einer Schnecke, die – wohin sie sich auch bewegt – ihr Schneckenhäuschen mit sich trägt“ (TREPTE 2000: 255, vgl. auch: TREPTE 2013a: 92). Die Vergangenheit wird zur Erinnerung, die sie auf den Weg mitnehmen und mit der sie als Künstler kreativ umgehen. An dieser Stelle kann man an das Cicero-Zitat „Ubi bene, ibi patria“ (Wo man sich wohl fühlt, da ist Heimat) erinnern, dass die Hei- mat die Stätte unserer Herkunft sei oder der Platz, an dem wir leben, uns geborgen und zu Hause fühlen. Daher könne man an mehreren Orten dieser globalisierten Welt daheim sein. Diese Lebenssituation kann als Möglichkeit einer neuen Selbstschöp- fung verstanden werden. Die „Schriftstellernomaden“ passieren Grenzen, bewegen sich im Grenzgebiet und sind in der Lage oder werden vielleicht durch die neuen Schaffens- und Lebensum- stände dazu gezwungen, ihre kulturelle Identität neu zu formulieren bzw. eine Wahl zu treffen. Manche identifi zieren sich als bi- oder sogar plurikulturelle Personen. Die Migrantenschriftsteller, oder nach Trepte „Schriftstellernomaden“, entwerfen ihre Identität neu, aber bei „einer gleichzeitig beibehaltenen Verwurzelung in der ursprünglichen geokulturellen (sozialen) Landschaft, die (noch) Ursache kultureller Fremdheit ist“, woraus sich – im durchaus positiven Sinne – „ein doppeltes Sehen“ und „hybride kulturelle Mischformen“ ergeben (TREPTE 2000: 257). Auf einen interessanten Versuch, diese „nomadische“ Situation aus der Perspektive eines Betroffenen zu bezeichnen, stoßen wir in der polnischen Literatur- und Kul- 96 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 turgeschichte. Die doppelten, mehrfachen Identitäten wurden von dem in Guate- mala lebenden polnischen Exilschriftsteller Andrzej Bobkowski (1913–1961) als „Kosmopolacy“ („Kosmopolen“ – ein Neologismus aus „Kosmopolit“ und „Pole“) bezeichnet. „Kosmopole“ zu sein bedeutet, jegliche nationalistische Einstellung zu verweigern, eigene kulturelle Wurzeln nicht zu verleugnen sowie sich fremden kul- turellen Einfl üssen gegenüber aufgeschlossen und interessiert zu zeigen.107 Auch der Migrantenschriftsteller Artur Becker greift auf diesen Begriff von Bobkowski zu- rück und träumt davon, dass es „irgendwo im Universum – vielleicht bloß nur in uns – einen Ort geben muss, an dem man mit der Schöpfung nicht mehr hadert. […] [D]en Ort der geistigen Harmonie […]“ (BECKER 2012a: 11). Der Schriftsteller, ein moderner Nomade, nennt sich selbst „Kosmopole“ und diesen Ort „Kosmopolen“:

Zwischen Himmel und Erde liegt diese Gegend, in der es keine Vergangenheit und Zu- kunft gibt, sondern nur die Gegenwart. […] Kosmopolen, das ist auch ein gefährliches Land, weil man sich in ihm vor der Welt verstecken kann: vor der Wirklichkeit und Ma- trix unserer Staaten und Gesellschaften. […] [Das] Land der Freiheit und Träume […]. […] Und wir lieben es, so zu leben, als wären wir ständig auf Reisen – einerseits; anderer- seits sind wir glücklich in unserem bundesrepublikanischen Zuhause, das wir als liberal und offen empfi nden. Wir haben keine Komplexe, und die Staatsgrenzen, die uns einst trennten, haben wir längst vergessen. Wir können uns diesen kulturgeschichtlichen Luxus leisten, […] unser europäisches Bewusstsein ist frei von uralten Vorurteilen […] (BECKER 2012a: 13,17).

107 „Epatujemy się obcymi pisarzami, ale jak jakiś nasz pisarz napisze coś i nie umieści w tym Polski, Polaka, malw i maków, strzechy, łanów, służącej, ciąży i skrobanki (jeden z narodowych problemów), to on jest zły Polak. Jak Conrad, który raz wreszcie wpadł na świetną myśl pisania po angielsku. I nie o strzechach i malwach. I pomimo że zrobił dla Polski więcej reklamy, niż nawet Sienkiewicz, to Orzeszkowa uważała za stosowne mu nawymyślać. I nawet ludzie, którzy się nim zachwycali, nie potrafi li jednak robić tego bez jakiejś głębinowej pretencji »że nie wrócił«. Nie wrócił, bo mu się lepiej podobało w Anglii i każdy człowiek powinien mieć prawo żyć tam, gdzie mu się najbardziej podoba” (25.03.1943) (BOBKOWSKI 1985: 237) [Wir begeistern uns für die fremden Schriftsteller und wenn unser Schriftsteller etwas verfasst und darin kein Polen, keinen Polen, keine Malven oder Mohnblumen, keine Strohdächer, keine Kornfelder, Dienstmädchen, Schwangerschaften oder Schwangerschaftsabbrüche (eines von unseren nationalen Problemen) thematisiert, ist er ein schlechter Pole. So wie Conrad, der auf die hervorragende Idee gekommen ist, auf Englisch zu schreiben. Weder über Strohdächer noch Malven. Und obwohl er Werbung für Polen gemacht hat, mehr sogar als Sienkiewicz, Orzeszkowa hat mit ihm geschimpft. Und sogar diejenigen, die sich für seine Texte begeisterten, konnten dabei nicht auf den Vorwurf verzichten, dass er »nicht zurückgekommen sei«. Er kam nicht zurück, weil es ihm in England besser gefi el und jeder Mensch soll das Recht haben, dort zu leben, wo es ihm am besten gefällt” – übers. AP]. „Być Polakiem, to naprawdę nieraz piekielnie skomplikowane. Mit narodowości to jeden z wielkich mitów, który nie ma zamiaru rozlecieć się w pył. […] Ten mit ma jeszcze wielką przyszłość przed sobą” (30.07.1944) (BOBKOWSKI 1985: 415.) [Es ist wirklich höllisch kompliziert, ein Pole zu sein. Der Mythos der Nationalität gehört zu denjenigen großen Mythen, die nicht zu Staub werden wollen. […] Dieser Mythos hat noch eine große Zukunft vor sich – übers. AP]. „Bądźmy szczerzy, ale tak naprawdę: emigracja to nie ucieczka DLA Polski, to ucieczka OD Polski, od grobów, od nieszczęść, od ciągłych próżnych wysiłków. Ucieczka od ciągłego kłopotu, od ciągłej pracy bez wynagrodzenia, od entuzjastycznej śmierci” (07.08.1944) (BOBKOWSKI 1985: 420) [Seien wir ehrlich, aber wirklich ehrlich: die Emigration ist keine Flucht FÜR Polen, es ist eine Flucht VOR Polen, vor den Gräbern, dem Unglück, den ununterbrochenen vergeblichen Anstrengungen. Die Flucht vor den ständigen Scherereien, ununterbrochener Arbeit ohne Entgelt, vor dem enthusiastischen Tod. – übers. AP]. 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität 97

Das von Homi Bhabha entwickelte Konzept des „dritten Raumes“, des „in-between“ als dem Ort der Hybridität, also die Vorstellung von der eigenen kulturellen Identität zwischen zwei getrennten homogenen kulturellen Identitäten, scheint auch überzeu- gend zu sein, weil es dadurch zu einer Position und somit zum Schreiben zwischen den Kulturen kommen kann (vgl. LÜTZELER 1996). Die gegenwärtigen Globalisie- rungsprozesse tragen dazu bei, dass die Massenmedien supranationale Symbole (z.B. Kleidung, Haartracht), kulturelle Muster und Lebenseinstellungen vermitteln und die „kommunikative Erzeugung von Identität […] sich nicht mehr mit den nati- onalen Grenzen“ deckt (SIMANOWSKI 1998: 39). Die Identität kann – im Gegensatz zu den traditionellen Ansätzen – nicht mehr als etwas Statisches, Gleichbleibendes, sondern eher als etwas Dynamisches, Prozess- haftes, Veränderbares verstanden werden. Eine traditionelle Position im Rahmen der sozialpsychologischen Problemstellung geht auf Erikson zurück. Er betrachtet das Identitätsgefühl einer Person als „das sub- jektive Gefühl einer bekräftigenden Gleichheit und Kontinuität“ (ERIKSON 1970: 15). Erikson geht davon aus, dass die Identität das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses sei und dass das Individuum bis zu seinem Eintritt ins Erwachsenenalter seine stabile Identität gefunden haben sollte. Dieses Konzept einer stabilen und unveränderlichen Identität eines Individuums gilt in der Postmoderne als unzeitgemäß und veraltet. Dazu Lothar Krappmann:

In der sozialpsychologischen Problemsicht ist die Identität einer Person nicht durch Sub- stanz, Bewußtsein oder Existenz garantiert, sondern Identität ist eine ungesicherte Qua- lität des Teilnehmers an sozialen Handlungsprozessen, die erworben und mit anderen ausgehandelt wird, die man erstrebt oder die gegenseitig abverlangt wird, die erfolgreich behauptet oder zerstört werden kann (KRAPPMANN 1987: 132). Nach Anthony Giddens entwickelt sich in der gegenwärtigen postmodernen Gesell- schaft eine qualitativ neue Radikalisierung und Universalisierung des Individualisie- rungsprozesses. Alte gesellschaftliche Zuordnungen würden obsolet (veraltet), die Pluralisierung von Lebensstilen nehme weiter zu, Identitäts- und Sinnfi ndung werde zur individuellen Leistung. Im Zusammenhang mit der posttraditionellen Ordnung wurde das Ich zum refl exiven Projekt. Die Individuen entscheiden über ihren Le- bensstil durch Auswahl unter einer Vielzahl verschiedener Optionen:

In the post-traditional order of modernity, and against the back drop of new forms of mediated experience, self-identity becomes of refl exively organised endeavour. The re- fl exive project of the self […] takes place in the context of multiple choice as fi ltered through abstract systems. In modern social life, the notion of lifestyle takes on a particular signifi cance. The more tradition loses its hold, and the more daily life is reconstituted in terms of the dialectical interplay of the local and the global, the more individuals are forced to negotiate lifestyle choices among a diversity of options. […] Yet because of the ,opennessʻ of social life today, the pluralisation of contexts of action and the diversity of ‚authoritiesʻ, lifestyle choice is increasingly important in the constitution of self-identity and daily activity (GIDDENS 1997: 5). 98 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

The self is seen as a refl exive project, for which the individual is responsible […]. We are, not what we are, but what we make of ourselves (GIDDENS 1997: 75). Der mit den sozialen Rollen „gegebenen“ und kaum veränderbaren Identität der vor- modernen Zeit steht die moderne (postmoderne) Identität gegenüber. Die fortschrei- tende Modernisierung und Globalisierung hat die Identitäten viel stärker veränder- bar gemacht. Tomas Venclova ist der Meinung, dass die globalisierte Gegenwart ein großes Grenzgebiet sei und der moderne Mensch ständig gezwungen werde, Gren- zen zu passieren (vgl. VENCLOVA 2001: 12). Die Identität offenbart sich durch die Art und Weise, wie ein Individuum sich selbst und andere wahrnimmt. In dem Falle einer Existenz im kulturellen, gesellschaftli- chen, ethnischen oder religiösen Grenzgebiet gewinnt die Frage der gesellschaftli- chen und individuellen Identität an Bedeutung. Die gesellschaftliche und individuelle Identität eines Individuums im Grenzgebiet zwischen verschiedenen Kulturtradi- tionen, verschiedenen Gesellschaften wird sozusagen auf der Wahl aufgebaut, die der Mensch im Grenzraum treffen muss. Das Individuum zieht Vergleiche, schafft Bezüge zwischen verschiedenen Kulturen, Werten und Haltungen. Somit formt das Grenzgebiet eine neue Identität, sein gesellschaftliches und kulturelles Bewusstsein (vgl. SZLACHCICOWA 1999: 72). Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang ebenfalls die Rolle der deutschen Sprache. Das Deutsche, das an der Schnittstelle zwischen dem germa- nophonen und polonophonen Gebiet seit Jahrhunderten als Verkehrssprache diente, erfüllt die Funktion, wenn man sich der Raummetapher bedienen will, eines Transit- raumes, einer -zone (vgl. ADAM/HAHN/PUCHALSKI/ŚWIATŁOWSKA 2007b), eines Zwi- schen- oder transkulturellen Raumes, eines Ortes des Übergangs, der gegenseitigen Durchdringung und Verfl echtung der Kulturen und der Transformation nationaler Zugehörigkeiten und der kulturellen Identität, die einen transnationalen Charakter bekommt. Die Grenzen dieses Transitraumes müssen ständig aufs Neue ausgehan- delt und bestimmt werden, weil er „im Wandel gerade auch durch die Verhandlung von Differenz entsteht und nicht durch eine homogene, geteilte Kultur und Her- kunft“ (ADAM/HAHN/PUCHALSKI/ŚWIATŁOWSKA 2007a: 13). Es sei – den Autoren des Vorwortes des Sammelbandes Transitraum Deutsch. Literatur und Kultur im trans- nationalen Zeitalter folgend – ein „Möglichkeitsraum“, „ein Feld in Bewegung“, in dem „die Suche nach stabilen, kulturellen Inhalten“ aufgegeben werden muss, der „durchwandert werden kann“ (ADAM/HAHN/PUCHALSKI /ŚWIATŁOWSKA 2007a: 13, kursiv im Original). Das Deutsche als literarisches Ausdrucksmittel verliert dabei seine „klassische“ Funktion, homogene nationale Identitäten zu begründen. In die- sem Rahmen können die deutschsprachigen Texte der AutorInnen mit Migrations- hintergrund gelesen und interpretiert werden. Durch „Internationalisierung und Globalisierung[,] haben Begriffe wie Identität, Kultur und Sprache entscheidende Veränderungen erfahren“ (DE FLORIO-HANSEN/HU 2007: S. VIII). Die Identität wird heute als ein Prozessgeschehen betrachtet (vgl. KEUPP/AHBE/GMÜR/HÖFER/MITZSCHERLICH/KRAUS/STRAUS 2002: 30). Das Individuum hat unbegrenzt viele Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten. In diesem Sinne soll 4. Sprachwahl, Sprachwechsel und Identität 99 der Identitätsbegriff auch in der vorliegenden Arbeit verstanden werden. Anna De Fina, Deborah Schiffrin und Michael Bamberg weisen darauf hin, dass vor allem bei wichtigen Veränderungen im Leben, also im Falle einer Migration, das Individuum vor große Anforderungen gestellt wird und die neuen Identitätsangebote für die ei- gene Identität ausprobieren muss (vgl. DE FINA/SCHIFFRIN/BAMBERG 2006: 345).108 Die Kommunikationssysteme der modernen Gesellschaften bilden im Kontext der transnationalen Mobilität hybride Identitäten heraus. Die hybriden bzw. multiplen Identitäten der Transmigranten werden in der Forschung auch als „fl exible“ (ONG 1999), „post-national[e]“ (SOYSAL 1994) oder „transnational[e]“ (BAUBÖCK 1994) be- zeichnet. Die Identität kann dabei nicht als etwas Stabiles oder Statisches betrachtet werden.

108 „The experience of change and of physical or moral displacement leads people to revisit and question their past inventory of identities in order to rebuild a sense of self.“

5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume

Artur Becker, der Chamisso-Preisträger von 2009, inzwischen im deutschsprachi- gen Literaturbetrieb etabliert109, wurde 1968 in Bartoszyce (Polen, Warmia/Erm- land) geboren. Beckers Geburtsort, Bartoszyce (früher Barsztyn, dt.: Bartenstein, lit.: Barštynas, prussisch: Bartanstabs) im Norden des heutigen Polen, am Ufer des Flusses Łyna (dt. Alle) liegt in der historischen Provinz Ostpreußen. Der Schriftsteller stammt also aus einem besonderen kulturellen Grenzgebiet, einem „Zwischenraum“, dessen „[…] frühere Einwohner vertrieben wurden und [deren] neue Bewohner durch Konstruktion bzw. Rekonstruktion des lokalen bzw. regiona- len Gedächtnisses einen Zwischenraum ex post entstehen lasse“ (LOEW/PLETZING/ SERRIER 2006: 10). Dieses Gebiet ist ein Beispiel für die enge Verfl echtung unter- schiedlicher Kulturen, was Artur Becker in seinen literarischen Texten mit Vorliebe und immer von Neuem thematisiert. Die Schauplätze seiner Werke liegen meistens in seiner Herkunftsregion. Die Identität der Bewohner des ermländisch-masurischen Grenzgebietes ist komplex und hat einen transnationalen Charakter. Es sind Men- schen, die im Wirkungsbereich zweier (oder mehrerer) Kulturen stehen. Andrzej Sakson zufolge stellen die Bewohner des Grenzgebietes eine Gruppe dar, die durch Prozesse gestaltet wurde, die für Grenzgemeinschaften charakteristisch sind: Ein- fl üsse und gegenseitige Durchdringung von kulturellen Erscheinungen der benach- barten Bevölkerungsgruppen unter Bedingungen der Überordnung oder der Gleich- rangigkeit, ohne jedoch Verbindungen mit dem eigenen Volksgebiet zu zerstören. Es ist also eine Region, in der

eine Aufrechterhaltung von Gemeinschaftsfakten verbunden mit zwei kulturellen Kon- kurrenzmustern auftritt, gleichzeitig sich aber ein Prozeß der Bildung von neuen, anders- artigen Werten vollzieht, die im Ergebnis ihres Zusammenpralls erwachsen. […] Das Grenzgebiet zeichnet sich durch eine Übernahme von für eine Gruppe bezeichnenden Werten durch Vertreter der Konkurrenzgruppe aus (SAKSON 1990: 333).

109 Außer dem Adelbert-von Chamisso-Preis im Jahre 2009 wurde Becker mit mehreren Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a. mit: dem Preis „Das neue Buch in Niedersachsen und Bremen“ für den Roman Der Dadajsee (1997), Autorenförderung des Deutschen Literaturfonds Darmstadt für den Roman Onkel Jimmy, die Indianer und ich (2000/2001) sowie den Roman Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken (2007), DIALOG-Preis der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband für seinen literarischen Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung. Becker ist auch Mitglied des Deutschen Schriftstellerverbandes. 102 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Beckers Vater stammt aus einer deutschen Familie. Seine deutsche Großmutter Erna, geborene Serreck, hatte in Bartenstein (Bartoszyce) ihre Kindheit verbracht. Ihr Mann, Artur Beckers Großvater, Jan soll von einer jüdischen Mutter abgestammt haben. Beckers andere Großmutter, Natalia Frankowska, war polnisch-litauischer Herkunft (bis 1939 hat sie in der Nähe der Stadt Kalisz in Großpolen gelebt) (vgl. BECKER 2006b: 15; BALZER 2009b).110 Man kann also die Feststellung wagen, dass Artur Beckers kulturelle Identität per se einen hybriden Charakter hat. Artur Becker verließ Polen 1985 und siedelte im Alter von 17 Jahren als sog. Spät- aussiedler nach Deutschland (Verden bei Bremen) über, wo schon seine Eltern lebten, die die Volksrepublik Polen früher verlassen hatten. Seine Familie entschied sich für die Bundesrepublik Deutschland als zweite Heimat. Mit seinen Eltern gehört er zu der Emigrationswelle, die Anfang der 80er Jahre aus politischen und ökonomischen Gründen nach Deutschland, „ins sogenannte Paradies“ (SCHELLER 2009: 30) ging. Er zog nach Bremen, wo er Kulturgeschichte Osteuropas sowie Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft studierte. Die Auswanderung nach Deutschland zog auch wichtige Folgen für den zukünftigen Schriftsteller nach sich. Für Becker wurden die feinen kulturellen Gegensätze erst mit der Verlagerung seines Lebensmittelpunktes nach Deutschland, aus der Distanz heraus, sichtbar (vgl. AMODEO/HÖRNER 2010: 31). Erst durch seine Emigration habe er aus der Distanz einen „differenzierten Blick auf die Ausgangskultur werfen“, die „mitteleuropäische Mentalitätsgeschichte studie- ren“ (zit. nach: AMODEO/HÖRNER 2010: 32) und sich damit auseinandersetzen können. Artur Becker verfasst Romane, Erzählungen, Gedichte und Aufsätze und ist auch als Übersetzer tätig.111 Christian Prunitsch verweist auf die Tatsache, dass Becker in seinem Werk verschiedene Traditionslinien zu verklammern scheint: Man kann ihn sowohl in der Tradition „deutscher Polenliteratur“ (vgl. JAWORSKI 1999) lesen als auch in die Reihe polnisch enkulturierter Autoren (wie Stanisław Przybyszewski, Tadeusz Rittner, Radek Knapp, Adam Soboczynski, Dariusz Muszer) stellen (PRU- NITSCH 2013: 227f.). Auf Beckers Texte kann man auch den Begriff deutsch-polni- sche Migrantenliteratur beziehen und ihn selbst als einen „Schriftstellernomaden“ betrachten, der seine Identität zwar neu zu entwerfen versucht, bei „einer gleich- zeitig beibehaltenen Verwurzelung in der ursprünglichen geokulturellen (sozialen) Landschaft, die (noch) Ursache kultureller Fremdheit ist“, woraus sich „ein dop- peltes Sehen“ und „hybride kulturelle Mischformen“ ergeben (TREPTE 2000: 257). Wie sein Schriftstellerkollege Radek Knapp steht Becker mit seinen Erfahrungen

110 Die Heimat von Beckers Großeltern ist „[m]ütterlicherseits Litauen bzw. Großpolen, denn sie sind ausgewandert aus Litauen. Die Dörfer um Konin herum wurden ihnen ein Zuhause, bis 1947. Danach Masuren. Väterlicherseits Galizien, Lemberg, dann später Ostpreußen. Großvater ist Galizier, Großmutter Erna Ostpreußin. Natangerin, baltisch-masurische Indianerin.” LISCHKA, Konrad: „Interview mit Artur Becker zum Thema Heimat“, Februar 2006. In: Bücher-Magazin, http://www.arturbecker.de/Presse/varia/artikel010. html, [20.03.2011]. 111 Sein Roman Kino Muza wurde von Dariusz Muszer ins Polnische übersetzt (BECKER, Artur (2009): Kino Muza. Olsztyn: Wydawnictwo Borussia). Mit der polnischen Übersetzung des Romans Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken wurden Joanna Demko und Magdalena Żółtowska-Sikora beauftragt (BECKER, Artur (2013): Nóż w wódzie. Olsztyn: Wydawnictwo Borussia). 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 103 vielmehr in als zwischen zwei Kulturen und stellt somit ein besonderes Modell der (deutsch-polnischen) Transkulturalität dar. Artur Becker, der sich selbst als „Kosmopole“ bezeichnet und das Gefühl hat, dass er in der BRD „eine Gastrolle“ spiele (BECKER 2012a: 14), obwohl er sich in „[seinem] neuen Land tatsächlich nicht mehr fremd“ fühle (BECKER 2012a: 16), veröffentlichte bisher sieben Romane: Der Dadajsee (1997), Onkel Jimmy, die Indianer und ich (2001), Kino Muza (2003), Das Herz von Chopin (2006), Wodka und Messer (2008), Der Lippenstift meiner Mutter (2010), Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Nieder- gang (2013), den Erzählband Die Milchstraße (2002) sowie zwei Novellen Die Zeit der Stinte (2006) und Sieben Tage mit Lidia (2014). Becker ist auch als Lyriker tätig. Bisher sind folgende Gedichtbände, die in der vorliegenden Publikation unberück- sichtigt bleiben müssen, erschienen: Der Gesang aus dem Zauberbottich (1998), Jesus und Marx von der ESSO-Tankstelle (1998), Dame mit dem Hermelin (2000), Ein Kiosk mit elf Millionen Nächten (2009). Das Migrantendasein, das Wechseln des Ortes, des Landes, der Kultur sowie die kulturelle Identität bzw. Identitätsverlust sind wichtige Themen seiner literarischen Texte. Auf die Frage nach der Bedeutung der Identitätsproblematik in seinem lite- rarischen Schaffen antwortet der Schriftsteller, dass es ihm um die wichtige Frage der polnischen Identität gehe. Die homogene polnische Nation sei, nach der langen Zeit der polnischen Teilungen, in der Polen ein „zersplittertes Land mit sehr vielen Identitäten“ gewesen sei, „noch ganz frisch, also gar nicht so alt“ (zit. nach: SCHEL- LER 2009: 30). Und der Emigrant sei gezwungen, „sich neu zu defi nieren“ (zit. nach: SCHELLER 2009: 30). Der Migrant Becker wird im Alltag mit der Frage der Identität oft konfrontiert. Artur Becker, der seine deutsche Literatursprache als „Dienstspra- che“ betrachtet (vgl. SCHRADER 2010), fühle „sich ganz klar als Pole“ (vgl. SCHRADER 2010), sei „gerne Pole und Osteuropäer“ und habe im Laufe der Jahre gelernt, „Di- stanz zu beiden [der deutschen und der polnischen – Verm. AP] Mentalitäten und Völkern zu zelebrieren“ (BECKER 2006b: 15), obwohl er mit der Zeit ein „deutscher Autor“ geworden sei (BECKER 2012a: 16). Becker ist der Meinung, er habe sich „eine neue Identität borgen“ und „in der deutschen Sprache und der internationalen Lite- ratur verstecken“ müssen, um sich „eine neue Identität zu bauen und zu suchen. Und um einen Ersatz zu fi nden“ (zit. nach: NOWAK 2006). Becker, der sich immer noch auf der „Suche nach einer beständigen und universellen Identität“ (BECKER 2012a: 17) befi ndet, bekennt sich zu seinem Migrationshintergrund, ist sich seiner Rolle als Grenzgänger bewusst und ist der Meinung, dass – „auf jeden Fall mustergültig inte- griert“ (zit. nach: SCHRADER 2010) – er „ein doppeltes Leben lebt als Deutscher und Pole“, verweist dabei auf die „gebrochene Identität“, aus der man schreibend nicht rauskomme (zit. nach: GROSSMANN 2008) und stellt fest:

Es ist bestimmt so, dass ich eine Rolle angenommen habe und spiele. […] Manchmal ist es, als ob ich ein T-Shirt mit dem polnischen Adler trage und damit durch die Gegend laufe, ein anderes Mal halte ich mich für einen guten Repräsentanten der Bundesrepublik, der für diese moderne, kunterbunte Gesellschaft steht (zit. nach: SCHRADER 2010). Der Schriftstellernomade Becker bemerkt: 104 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Deutschland wird nie mein richtiges Zuhause sein. Das Zuhause ist dort, wo man die Muttersprache gelernt und seine Kindheit verbracht hat. Trotzdem bin ich Deutschlands zweites Kind geworden und habe in diesem Land meine zweite Heimat gefunden. […] Die Fremde empfi nde ich in Deutschland nicht mehr. Ich bin ein deutscher Autor gewor- den, obwohl ich mich für einen Polen und Ermländer halte (zit. nach: LISCHKA 2006). Deutschland ist zwar „kein richtiges Zuhause“, aber „tatsächlich durch und durch [sein] Land geworden“ und Becker bezeichnet die Deutschen als „seine eigenen Landsleute“ (HILLGRUBER 2009: 34f.), seine alte und neue Heimat als seine beiden „Zuhäuser“.112 Die Länder und Kulturen verschmelzen. Artur Becker versteht das West-Östliche im Sinne eines europäischen Zusammenwachsens (vgl. AMODEO/HÖR- NER 2010: 29). In den Interviews deutet der Schriftsteller oft auf seine „masurische“ Identität hin: „Also ich bin Masure!“ (zit. nach: SCHLENTER 2004) und macht auf die kulturelle Hybridität dieser Region aufmerksam, die ihn als Schriftsteller prägte. Becker, ein „individueller Autor mit individueller (mehr regionaler als nationaler) Geschichte und ebensolcher künstlerischer Intention“ (PRUNITSCH 2013: 228), verweist auf sei- ne multiethnische Abstammung und behauptet Ostpreuße zu sein, in dessen „Adern […] das Blut von vier Sippen: deutsches, polnisches, russisches und jüdisches“ fl ie- ße (KÜBEL 2006). Becker meint, er komme aus einem Gebiet, „das eine sehr, sehr geschichtsträchtige Vergangenheit hat. Es gehört eigentlich niemandem, weder den Deutschen noch den Polen, […] Das ist ein Gebiet, in dem es unheimlich viele Spra- chen und Religionen, Vorstellungen gab. Das wirkt sich auf das literarische Gemüt, das literarische Schreiben und Geschichtenerzählen aus“ (zit. nach: NOWAK 2006). Die von Uwe Pörksen für Migrantenautoren aufgestellte These trifft auch auf Artur Becker zu: in der Fremde entdeckt der Schriftteller „ganz den Ort [seiner] Herkunft […] – [sein] Ithaka –, und daraus entsteht ein Werk der Weltliteratur“ (PÖRKSEN 2008: 9). Beckers Themen und Schauplätze sind offensichtlich autobiografi sch geprägt und liegen in seiner ermländisch-masurischen Region, dem Ort seiner Kindheit, und einem Gebiet mit identitätsstiftendem Potential. Beckers Heimat, Warmia/Ermland, ist in seinen Werken literarischer Dreh- und Angelpunkt geworden, der eine tragende Rolle in seinen Texten einnimmt, nicht nur von ihrer Komposition, sondern auch von dem inhaltlichen Aufbau her. Die biografi sche Disposition des Schriftstellers beeinfl usste die Darstellungs- und Erzählperspektiven seiner Texte entscheidend. Das Erzählen über das Heimatland scheint für den Schriftsteller ein identitätserzeugender Gestus zu sein, der übrigens eine bedeutende Rolle nicht nur für Artur Becker, sondern für viele Exilautoren spielt (vgl. BEHRING/BRANDT/DÓZSAI/KLIEMS 2004: 330–348). Seine „mitgebrachte“ Identität als nationale Kultur- und Bildungstradition ist dabei von großer Bedeutung (vgl. BEHRING/BRANDT/DÓZSAI/KLIEMS 2004: 295–312). Laut Christian Prunitsch nimmt Beckers literarisches Schaffen in der vielsträngigen kulturellen Tradition einer Region (Warmia/Ermland, Masuren) seinen Anfang und

112 „Natürlich ist mein Zuhause in Deutschland. Aber ich habe auch ein Zuhause in Masuren“ (zit. nach: SCHRADER 2010). 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 105 scheine auch dort sein Ziel zu fi nden (PRUNITSCH 2013: 228). Nicht ohne Grund. Für den Schriftsteller ist „Heimat“ ein wichtiger literarischer und kulturgeschichtlicher Begriff, denn da er – wie er es in einem Interview formuliert – seit 23 Jahren in der Emigration lebe, wisse er, was es heiße, sein Kindheitsparadies zu verlieren (vgl. SCHELLER 2009: 30). Zwar betrifft der Verlust der östlichen Provinzen 1945, der für die Einwohner Flucht, Vertreibung, Erfahrung einer neuen Existenz in der Fremde bedeutete, das auslösende Moment für eine Literatur, die Ostpreußen als literari- sche Erinnerungslandschaft thematisierte (vgl. OSSOWSKI 2004; ŻYTYNIEC 2007), den Menschen Artur Becker nicht persönlich, weil er erst 1968 zur Welt kam. Doch die Erfahrung des Heimatverlustes und der Suche nach der neuen Identität kann dem Autor nicht unvertraut sein, weil er selbst als der sog. Spätaussiedler in den 1980er Jahren in die BRD umsiedelte und sich wegen des Verlustes des „Kindheitspara- dieses“ (vgl. SCHELLER 2009: 30) mit seiner „alten“ Heimat in seinen literarischen Texten intensiv auseinandersetzt. Die alte Heimat wird retrospektiv vor allem durch die Verlusterfahrung literarisch rekonstruiert. Die kulturelle Zugehörigkeit zu einem bewusst Besonderen wird von dem Schrift- steller oft betont. Beckers alte Heimat, als ein besonderer Erfahrungsraum, spielt eine bedeutende Rolle nicht nur in seinen Texten, sondern, wie es scheint, auch im Alltag seiner Wahlheimat. Der Autor selbst nimmt dazu in den Medien folgender- maßen Stellung:

Ich verstehe Masuren als meine eigene Landschaft. Hier in meiner neuen Heimat Verden an der Aller bei Bremen fühle ich mich oft als Zaungast, obwohl ich schon so lange hier lebe und Deutsch meine Literatursprache ist. Es ist nun mal nicht meine Heimat und ich werde immer ein Gast bleiben, was ich nicht als unangenehm empfi nde. Als wäre ich ein Dieb, der von einer fremden Torte isst (zit. nach: NOMMEL 2008).

Jeder Schriftsteller hat bestimmte Hausaufgaben. Und meine Aufgabe und Pfl icht ist es, mich mit meiner Heimat zu befassen, also von Masuren zu erzählen und diesen Raum zu erschließen.113

Meine Heimat ist die Natur Warmias. Ich bin aufgewachsen in einem intakten Paradies. Zumindest was die Natur angeht. Und ich wurde aus diesem Paradies vertrieben. […] Meine Heimat liegt in der Erinnerung. In der Suche nach dem verlorenen Paradies (zit. nach: VOIT 2006).

Das ist mein Material. Bartoszyce mit dem Dadajsee, Bremen in Deutschland, das sind die Orte, die mich beeinfl ussen (zit. nach: REICHEL 2009). Das Land seiner Kindheit bildet einen Gegensatz zu der neuen, deutschen Heimat, die dem Schriftsteller unpoetisch, „sehr leer“, vorkommt:

Ich spüre hier keinen Blues, keine Natur, keine Tragödien, keine Komik. Es ist ein Ar- beits- und Schlafzimmer. Ein Aufbewahrungsort ohne Vergangenheit und Gegenwart.

113 Zit. nach: Autoren/2010/Artur Becker (Deutschland). Biographie. Internationales Literaturfestival Berlin, http://www.literaturfestival.com/teilnehmer/autoren/2010/artur-becker, [19.07.2012]. 106 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Zukunft nur vielleicht. Ich liebe die deutsche Sprache, aber das Land ist mir etwas gleich- gültig. Und die Deutschen? Normale Menschen wie überall. Mit eigenartigen Macken, aber welche Nation hat sie nicht? (zit. nach: SCHNITZLER 2002a) Wenn man Beckers Biografi e mit dem Lebensweg seiner Figuren vergleicht, kommt man zu der Feststellung, dass seine Texte grundlegende autobiografi sche Züge nahe- legen. Die Schnittfl äche von Autobiografi e und Fiktion in Beckers Werken wird auch von der Literaturkritik oft erwähnt. Der Autor selbst betont es auch in seinen Medien- äußerungen und weist relativ oft darauf hin, dass in seinen Texten autobiografi sche Erfahrungen verarbeitet worden sind und dass er auf die eigenen Kindheitserlebnisse zurückgreift.114 Für ihn sei die Kindheit in Warmia/Ermland ein verlorenes Paradies, so betrachtet er die Verarbeitung dieses literarischen Themas als eine innere Notwen- digkeit: „Ich fl iehe in meinen Büchern vor der Wirklichkeit. Das hat mit dem Verlust der sogenannten Heimat, der Kindheit und Jugend zu tun. So kommen meine Bücher zustande, und doch glaube ich wie Isaac B. Singer, Welten retten zu müssen, die es nicht mehr gibt“ (zit. nach: SCHRADER 2010). In einem Interview wurde der Schrift- steller explizit gefragt, inwiefern seine Romane autobiografi sche Züge tragen. Artur Becker, dessen Texte sich allem Anschein nach in Richtung einer Verbindung von fi ktionalen und nicht-fi ktionalen Elementen bewegen, antwortet, dass er diese Frage sehr ernst nehme, denn er könne sich nicht vorstellen, dass es etwas Wichtigeres ge- ben könnte als die Autobiografi e, weil die Schriftsteller, wenn sie erzählen, nur „die Geschichten haben, die [ihnen] geschenkt wurden“ (REICHEL 2009). Der Schriftteller Becker gibt zu, dass er im Grunde seine eigene Kindheit und Jugend verarbeitet, „allerdings auch die Gegenwart“ mit einbeziehe (zit. nach: REICHEL 2009). Er nennt sich selbst sogar einen „Kindheitsautor“ (LISCHKA 2007).115 In den Pressepublikati- onen, Verlagsmaterialien, seinen Äußerungen für die Medien und in den von ihm gegebenen Interviews informiert der Schriftsteller oft und gern über seine „ermlän- disch-masurische“ Heimat, die ihn beeinfl usst und kulturell geprägt hat. Wie Jerzy Kałążny mit Recht bemerkt, können solche Äußerungen natürlich als eine schrift- stellerische Selbststilisierung Beckers betrachtet werden (vgl. KAŁĄŻNY 2012: 122). Es lässt sich aber nicht leugnen, dass Beckers Protagonisten ständig zwischen der ermländischen (osteuropäischen) und der deutschen (westlichen) Welt pendeln, ihr Glück in der westlichen Fremde suchen, aber andauernd den Versuch unternehmen, in ihre alte Heimat, nach Warmia/Ermland – ohne Erfolg übrigens – zurückzukehren. Dieses Pendeln wird zum charakteristischen Merkmal der Migrantenexistenz seiner Protagonisten und gleichzeitig zum übergeordneten kompositorischen Organisati- onsprinzip von Beckers Romanen. Was seine „schriftstellerische“ Identität anbelangt, verortet sich Artur Becker er- staunlicherweise eher in der polnischen Kultur und sieht sich selbst nicht gern als deutscher Autor polnischer Herkunft, sondern als polnischer Schriftsteller, der in

114 „Bei mir ist fast alles autobiografi sch, weil ich nicht mit der Fiktion klarkomme“, behauptet der Schriftsteller in einem Interview (zit. nach: HIPPEN 2001: 23). 115 Zur Bedeutung der Vergangenheit und Kindheit in Beckers Schaffen vgl. auch: WILLFURTH 2006, NOWAK 2006. 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 107 deutscher Sprache schreibt, worauf er oft vehement hinweist (NEUBAUER 2009a: 18; BALZER 2008: 2)116, obwohl er in Bezug auf sich selbst manchmal auch die Be- zeichnung „deutschsprachiger Schriftsteller“ (vgl. dazu: BECKER 2007a: 17; NOWAK 2006; MOSIG 2004; LISCHKA 2006) oder „deutscher Autor“ (vgl. MOSIG 2004; LISCHKA 2006), dessen Themen aber „sehr eigen“ seien (zit. nach: NOWAK 2006), gebraucht. Auf diese Weise will Becker vermutlich eine bipolare Zuschreibung vermeiden, um nicht ausschließlich als polnischer Migrantenautor abgestempelt zu werden. Das „Polnische“ in seinen Texten sei außerdem „eine Rettung gegen die deutsche Nüch- ternheit und gegen den deutschen Ästhetikwahn“ (zit. nach: SCHNITZLER 2002b). Auf die Frage nach literarischen Bezugspunkten verweist Artur Becker auf mehrere Schriftstellernamen. Er bewegt sich dabei innerhalb eines weit gefassten literari- schen Referenzrahmens und geht davon aus, dass er durch ein breites Spektrum lite- rarischer Vorbilder beeinfl usst wurde. Becker nennt Günter Grass [„weil er enger mit der polnischen Erzähltradition verbunden ist und sich immer mehr mit dem Absur- den beschäftigt hat“ (zit. nach: SCHELLER 2009: 30)], Witold Gombrowicz und Isaac B. Singer (weil er, als ein Autor, der in der Emigration lebt, „sicherlich im Laufe der Zeit auch in die Rolle eines Chronisten schlüpfen“ werde (zit. nach: SCHELLER 2009: 30, vgl. dazu auch: GIERSBERG 2008). In anderen Interviews verweist Becker auch auf „Johannes Bobrowski, Ernst Wiechert, Siegfried Lenz, Hans Joachim Schädlich und Wolfgang Hilbig“ als seine literarischen Orientierungspunkte (vgl. MOSIG 2004; LISCHKA 2006).117

116 Becker unterstreicht in einem Interview: „Ich betrachte mich nicht ausschließlich als einen deutschsprachigen Autor, sondern auch als einen polnischen Autor der deutschen Sprache“ (zit. nach: HILLGRUBER 2009: 34, vgl. auch: BALZER 2009b). Seiner eigenen Meinung nach schreibe er „polnische Literatur in deutscher Sprache“ (zit. nach: HÜBNER 2010: 28). 117 Becker: „Ich habe während meines Germanistikstudiums Siegfried Lenz als meine Vaterfi gur gefoltert und umgebracht, ohne zu ahnen, dass ich eines Tages im selben Verlag wie er veröffentlichen würde. Siegfried Lenz schätze ich sehr, weil er einer der besten deutschsprachigen Erzähler ist. Der ständige Vergleich mit ihm ist aber in vielen Punkten nur eine Hilfe für den Rezensenten, der sich orientieren will, und meistens werden Klassiker zitiert und herangezogen. Was habe ich mit Siegfried Lenz zu tun? Er wurde in Lyck geboren, vor 1945. Ich in Bartoszyce, nicht mehr in Bartenstein, und nach 1945. Er musste fl iehen, ich bin mehr oder weniger freiwillig gegangen – zu meinen Eltern, die in der BRD lebten. Ich glaube, uns verbindet zwar eine Tragödie des 20. Jahrhunderts, nämlich die des deutschen und russischen Wahnsinns unter Hitler und Stalin, aber wir haben sie beide anders erlebt“ (zit. nach: SCHNITZLER 2002a). Seinen literarischen Texten stellt der Schriftsteller unterschiedliche Zitate in der Form von Mottos voran: In Das Herz von Chopin sind es Zitate von Isaac B. Singer („Old Love. Geschichten von der Liebe“) und Witold Gombrowicz („Trans-Atlantik“); in Kino Muza – Zitate von Czesław Miłosz („Was groß war“, 1959), Dialogzitat (Film „Drei Tage des Condor“, 1975) oder aus dem Song der polnischen Rockgruppe „Republika“ „New Situations“ (LP „1984“, 1984); in Die Zeit der Stinte – Zitate von Thomas Merton und Charles Bukowski; in Wodka und Messer – ein Nabokov-Zitat („Das wahre Leben des Sebastian Knight“); in Der Lippenstift meiner Mutter – Zitate aus dem Matthäus-Evangelium, aus einer Studie zu Bartenstein von Johann Gottlob Behnisch (1836) und aus dem Pink Floyd-Album „The Dark Side of the Moon“; in Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang – (in der deutschen und in der polnischen Sprache): ein Zitat „Vom Aufgang der Sonne/ Bis zu ihrem Niedergang/Sei gelobet der Name des Herrn!“ (Psalm 113, 3) sowie ein Zitat aus dem Gedicht von Czesław Miłosz „Piosenka o końcu świata” (Gedichtband „Ocalenie”, 1944). Die Vielfalt der Verweise und Mottos soll nicht nur den Leser konditionieren und dessen Erwartungshorizont abstecken, sondern auch manifestieren, dass Becker seine Romanhandlungen im Dialog mit der Weltliteratur bzw. -kultur erzählen will. 108 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Beckers Prosatexte, die nicht unbedingt dem ästhetischen Zweck dienen, gehören zur gehobenen Unterhaltungsliteratur und sind an ein breites Lesepublikum gerich- tet. Die Handlungsmuster wiederholen sich von Werk zu Werk, die Texte sind formal konventionell, die Erzählweise linear (eine Ausnahme bilden die Romane Wodka und Messer (2008), Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang (2013). Wort- schatz und sprachliche Differenzierung sind eher begrenzt, das Deutsche der Alltags- sprache näher, die Figuren oft typisiert. Die in den Texten vorhandenen erotischen Szenen ziehen das Lesepublikum von Unterhaltungsliteratur an. Der Schriftsteller verzichtet auf sprachliche, stilistische und darstellerische Experimente zugunsten der Allgemeinverständlichkeit. Wirklichkeitsnähe, Dynamik der Ereignisse, farbige Schilderung der Figuren, Interesse für Probleme der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit, insbesondere für die jüngste Geschichte des sozialistischen Polens, auch eine gewisse soziale Sensibilität charakterisieren Beckers Schaffen. Die Texte von Artur Becker fesseln vornehmlich durch den reizvollen Stoff, manchmal durch Spannung. Der Schriftsteller bezieht sich in den Interviews – wie schon erwähnt – oft auf seine „ermländisch-masurische“ Verwurzelung, auf die besonders prägenden kulturellen Spuren, die seine Herkunft in ihm hinterlassen hat. Die literarische Aus- einandersetzung mit dem „ermländisch-masurischen“ Thema wurde auch zu dem wichtigsten Charakteristikum seines Schaffens. Seine Faszination für diese beson- dere, transkulturelle Gegend spiegelt sich im Bereich des Inhaltlichen seiner Texte wider, womit der Schriftsteller anscheinend auf die Erwartungen des Lesers und den Lesegeschmack des breiten Publikums eingeht. Für Artur Becker ist Ostpreußen eine bedeutende literarische Landschaft, die er – sozusagen aus regionaler Erfahrung – in seinen Texten thematisiert, wodurch er in die Reihe der anderen deutschsprachigen Nachkriegsautoren des ostpreußischen Kulturgrenzraums (Ernst Wiechert, Wolfgang Koeppen, Siegfried Lenz, Hans Hellmut Kirst, Johannes Bobrowski, Arno Surmin- ski u.a.), die in ihren Texten mehr oder weniger ostpreußische Themen aufgegriffen und die geographischen, kulturellen und ethnischen Besonderheiten dieser Gegend behandelt haben, einzutreten versucht. Die Schriftsteller mit „Migrationshintergrund“ werden sehr oft mit Klischeevorstel- lungen über „Migranten“ (Einwanderer) und Erwartungshaltungen seitens der Re- zipienten konfrontiert. Der Literaturkritik scheint eine entscheidende Rolle in der Prägung des Bildes von Migrantenautoren und ihren Werken zu spielen. Die Kritiker setzen sehr oft einen grundsätzlichen kulturellen Unterschied zum deutschsprachi- gen Lesepublikum voraus und reduzieren die Migrantenautoren häufi g auf ihre na- tionale und kulturelle Herkunft, also auf das vermutliche „Fremdsein“ bzw. auf ihre „Dazwischen-Position“. Diesen spezifi schen Erwartungshorizont kann man auch in den Literaturkritiken der Texte von Artur Becker, der zweifelsfrei zu den im deutschsprachigen Literaturbe- trieb etablierten Autoren gehört, beobachten. Der Schriftsteller selbst wird nicht von allen Rezipienten zum allgemeinen Literaturbetrieb gerechnet, sondern von den Me- dien oft mit dem Etikett „Migrationsautor“ und „Grenzgänger“ versehen und in diese Kategorie eingeordnet. Die Identität des Autors, meint eine Kritikerin, sei keine ein- fache Sache, sondern von jener doppelten Natur, die er auch seinen Figuren andichte 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 109

(wie Kuba aus dem Roman Wodka und Messer, der in seinem Bauch den Embryo des Zwillingsbruders beherbergt) (vgl. SCHUSTER 2009: 32). Becker wird von der Kritik als „deutsch-polnischer Schriftsteller“ (vgl. u.a. ÄRGERSTEIN 2008: 1; BRAUN 2010: 21; EBITSCH 2006: 31; KLEIN 2012: 17; MORAWITZKY 2009: 14; MÜLLER 2010a: 14), „ein Wanderer zwischen den Welten“ (BRAUN 2010: 21), „ein Grenzgänger zwischen Deutschland und Polen“ (HÜBNER 2011), „der literarische Emissär Polens“ (MÜLLER 2008: 20), „ein Slawist und Deutschland-Kenner, ein Germanist und Polen-Kenner, also ein Glücksfall für dieses Land [d. h. für Deutschland – Verm. AP]“ (SCHRADER 2010) betrachtet, dessen Werk als „Literatur der Migration und der Interkulturalität […] längst in Deutschland angekommen“ (BRAUN 2010: 21) ist, von „Bewegungen zwischen Ost und West“ (PLATH 2005: 46) erzählt und dessen „literarische Stimme […] Verbindungen zwischen Polen und Deutschland“ schafft (HÜBNER 2011). Be- cker sei „ein Grenzgänger zwischen Polen und Deutschland“ (BONGARTZ 2008a: VII; BONGARTZ 2008b: 15), der „seinen literarischen Ton […] im Deutschen gefunden“ habe (BALZER 2008: 2), dessen Bücher sich „mit diesem leichten, anheimelnden, slawischen Ton zwischen Heiterkeit, Melancholie und schier unglaublicher Tragik“ (RÜDENAUER 2008: 20) bewegen. Seine Geschichten seien „Geschichten von Grenz- gängern aus Auswanderern“ (GIERSBERG 2008). Er ist aber ein Schriftsteller, der „nie so recht [in Deutschland] angekommen“ (HALTER 2008: 13) sei. Der Literaturwissen- schaftler Christian Prunitsch bezeichnet Beckers literarische Texte ausdrücklich als „polnische Romane in deutscher Sprache“ (PRUNITSCH 2013: 247). Oft wird auf die Vermittlerrolle des Schriftstellers Becker hingewiesen. Für den deutschsprachigen Leser ist Artur Becker in besonderem Maße ein transkultureller Vermittler zwischen Ost und West, zwischen der polnischen und der deutschen Kul- tur. Im Falle von Becker – wie auch von manchen anderen osteuropäischen Migran- tenautoren (z.B. Radek Knapp oder Wladimir Kaminer118) kann man den Eindruck gewinnen, dass er weniger die Vermittlung künstlerisch-ästhetischer Werte in das Zentrum ihres literarischen Wirkens stellt, sondern vielmehr seine Aufgabe darin sieht, sein neues Heimatland für die Belange und Erfahrungen Ostmitteleuropas zu sensibilisieren. Artur Becker, so Klaus Hübner, gehöre zu denjenigen Künstlern, die dazu beitragen, „ein Deutschen und Polen gegenwärtiges Bewusstsein einer gemein- samen mitteleuropäischen Identität entstehen zu lassen“ und sei ein „Chronist ver- sunkener, in der Erinnerung jedoch lebhaft präsenter und mit Phantasie und Sprach- lust ausgemalter Welten und Zeiten“ (HÜBNER 2011). Urs Heinz Aerni bezeichnet Beckers literarische Produktion als „osteuropäische Literatur deutscher Zunge“ (AE- RNI 2009). Er zeige „den Osteuropäer im Westen als Grenzgänger, der zum Osten wie zum Westen, zu Beruf wie Bindung die gleiche Distanz verspürt“ (PLATH 2005: 46). In seinen Texten fi nde man „keine neuen Bilder von Ost und West – sie entkernen die vorhandenen und versehen sie mit ironischen Indizes“ (PLATH 2005: 46). Becker ge- höre, so Ulrich Rüdenauer, „in eine Reihe von Autoren, die mit effektvoll-einfachen Mitteln einen enormen kulturellen Assoziationsraum mittransportieren“ (RÜDENAUER

118 Wladimir Kaminer (geb. 1967), deutscher Schriftsteller russisch-jüdischer Herkunft. 110 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

2001a: III). Jörg Plath bemerkt, dass Beckers Texte vor allem für „ein junges Lese- publikum“ bestimmt seien (PLATH 2005: 46, vgl. auch: PLATH 2004). Man versucht in den Rezensionen, die Texte des Migrantenschriftstellers gattungs- mäßig zuzuordnen. Der Schelmenroman als Gattung scheint dabei für deutsch-pol- nische Migrantenautoren, wie Artur Becker, eine wichtige Rolle zu spielen. Der Be- griff „Schelmenroman“ taucht schon in den Kritiken des ersten Romans von Becker (Onkel Jimmy, der Indianer und ich) auf (RÜDENAUER 2001a: III) und wird konse- quent wiederholt. Laut Jörg Plath schreibt Becker „Schelmenromane ohne Schelm, ernst wie meist die polnische Literatur. Die Welt in ihnen ist undurchdringlich, oft absurd, aber die Helden reagieren darauf nicht mit der Subversion des Witzes, son- dern mit gesteigerter Männlichkeit. Die Beziehungen zu Frauen besitzen kolportage- hafte Züge, geliebt wird die masurische Heimat“ (PLATH 2005: 46). Die Literaturkritik unterstreicht erklärlicherweise die besondere Rolle, die Beckers Heimatregion, Warmia/Ermland („Warmia und Masuren“ BAS 16), in seinen Texten spielt. Beckers Prosa, die „feinfühlig und derb von einer Rückkehr in das Kindheits- paradies Masuren erzählt“ (MORAWITZKY 2009: 14), einem Thema, mit dem er sich „dermaßen intensiv“ (OLSCHEWSKI 2003a: 36) befasst, wobei sie einen gewissen Hang „zu Nostalgie und Wiederholung“ aufweisen (MECHLENBURG 2003: VI). Die Rezen- senten arbeiten mit gängigen Klischees und wollen die exotische Folklore in Beckers Texten fi nden. Becker erinnert sich in einem Interview, dass ein Juror des Ingeborg- Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt, an dem der Autor mit seinem Roman Onkel Jimmy, die Indianer und ich (2001) teilnahm, Beckers Heimat Ermland-Masuren als ein „folkloristische[s] Land“ bezeichnete (HIPPEN 2001: 23). Die Kritiker befi nden sich dementsprechend auch auf autobiografi scher Spurensuche. Die autobiografi - schen Bezüge in den Texten (wie z.B. in dem Roman Der Lippenstift meiner Mutter) werden oft betont, weil Becker laut Literaturkritik mit seinem Protagonisten zumin- dest die Erfahrung einer Jugend im sozialistischen Polen der früher 80er Jahre teilt (vgl. DOERING 2011: 32; SCHRÖDER 2010: 32; SCHUSTER 2009: 32). Die Suche nach autobiografi schen Elementen in den Texten und der daraus folgende Blick des Rezi- pienten werden von dem Autor aber selbst mitkonstruiert. Seinem vorletzten Roman Der Lippenstift meiner Mutter (2010) stellt der Autor einen Paratext voran: „Dies ist kein autobiographischer Roman, obwohl man lebende und verstorbene Personen aus der Umgebung des Autors in diesem Buch wiedererkennen mag“ (BL 10).119 Beatrix Langner verweist auf Beckers Erzählweise, die ihrer Meinung nach „fi l- misch, szenaristisch opulent und zugleich surreal, inspiriert von nouvelle vague und dabei durchsetzt mit vulgärsprachlicher Überdeutlichkeit“ ist (LANGNER 2009: 25). Becker habe den Typus des „wehmütigen, ein bisschen schlitzohrigen, ein bisschen verrückten, jedenfalls volkstümlichen polnischen Immigranten“ erfunden (LANG-

119 Auch im Roman Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken fi nden wir die trickreiche Formulierung: „Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht ausgeschlossen, jedoch vom Autor dieses Buches nicht beabsichtigt, und historische Gestalten dienen lediglich der hier erzählten Geschichte, die der Einbildungskraft des Autors entsprungen ist“ (BWM 10, vgl auch BAS 8). 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 111

NER 2009: 25).120 Man macht darauf aufmerksam, dass in den Texten „sprachlich nicht groß experimentiert, wenig konstruiert, sondern erzählt [wird], wie einem der Schnabel gewachsen“ ist (PETER 2003: 32). Die Kritik macht auf die die „skurrilen Gestalten“, „bizarren“ (vgl. SCHRÖDER 2010: 32; DOERING 2011: 32; BRAUN 2010: 21; HÜBNER 2010: 28) Figuren aufmerksam, die „zwischen dem spröden Deutschland und [der] Herzensheimat Masuren“ (HALTER 2008: 13) zerrissen seien, den Roman (Der Lippenstift meiner Mutter) bevölkern und ein „schillerndes Panoptikum kleinstädtischer Lebenswelt“ (DOERING 2011: 32) und „ein[en] masurische[n] Totentanz der Begierden“ (OVERATH 2010: 21), ein „Wim- melbild, ein Flickteppich von Biografi en“ SCHRÖDER 2010: 32) entstehen lassen und an „beste Traditionen des magischen Realismus“ erinnern (HÜBNER 2010: 28).121 Be- ckers Texte seien „ironisch“, „eigensinnig-verschroben“, „eine gute Mischung aus Schelmenstück plus magischer Realismus“ (PAVLOVIC 2009: 6). Der Roman Der Lip- penstift meiner Mutter gerät laut Sabine Doering „angesichts der zahlreichen famili- ären und erotischen Verwicklungen […] streckenweise zur Freakshow, bei dem man leicht den Überblick über die vielfältigen Beziehungen verlieren kann“ (DOERING 2011: 32). Michael Braun verweist auf die „barocke Opulenz, gedämpft von leichter Ironie“ (Der Lippenstift meiner Mutter) und nennt den Roman einen „Glücksfall für die deutsche Literatur“ (BRAUN 2010: 21). Beckers Romane „drohen an einigen Stellen zu kippen, der Autor gefährdet deren Statik, vielleicht auch ohne Absicht“, weil der Autor sich „ungern an Grenzen hält“ (BALZER 2008: 2). Die „Zeitgeschichte wird […] zu einem Kuriositätenkabinett“ (DOERING 2011: 32). Die erzählte Welt sei „bizarr und letztlich chaotisch in Ordnung wie ein überdekorierter Glitzerkalender“ (OVERATH 2010: 21). Die Literaturkritike- rin Sabine Doering hätte dem Roman „etwas mehr Ruhe und die ordnende Hand eines besonnenen Erzählers“ gewünscht (DOERING 2011: 32). Uli Gellermann wirft Beckers Roman Wodka und Messer – Lied vom Ertrinken vor, er sei „eine bemühte Folklore, die das verrottende Dorf in Masuren umweht“, der Text, der „wie ein mo- dernes Volksmärchen begonnen hat“, werde „zum trunkenen Zerrbild“ (GELLERMANN 2009: 10). Beckers literarische Texte werden der Unterhaltungsliteratur zugeordnet. Beat- rix Langner, die eine Kritik des Romans Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken (2008) verfasste, empfi ehlt den Text als einen „Roman für Freunde der gehobenen Unterhaltung“, „die angestrebte Synthese von basic instincts, Seelenwanderung und Geschichtsaufarbeitung [sei] so grandios dahingegangen […], weil statt Spannung nur zweithändig kolportierter Überbau erdrückend und reichlich rätselhaft über dem Ganzen liegt, als hätte jemand aus Wiecherts »Totenwald«, Polanskis »Messer im Wasser« und Czeslaw Miłosz’ intellektueller Autobiographie »Das Land Ulro« ein Hollywood-Drehbuch machen wollen“ (LANGNER 2009: 25). Thomas Meissner kri-

120 Beatrix Langner nennt in diesem Zusammenhang Beckers Romane Der Dadajsee (1997), Kino Muza (2003), Das Herz von Chopin (2006). 121 Zum „magischen Realismus“ in den Texten Beckers vgl auch: DW 2009: 34; HALTER 2008: 13; MÜLLER 2008: 20 – in Bezug auf den Roman Wodka und Messer. 112 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 tisiert indessen „klappernde Dialoge“ (MEISSNER 2006: 32).122 Die „Unebenheiten, Störungen, die bisweilen holprig wirken“, können aber von den Rezipienten „als ei- genwillige deutsch-polnische Poetologie geschätzt werden“ (SCHNITZLER 2010: 36). Den Rezensenten missfällt der „holzschnittartige Erzählstil“, der sich nicht damit aufhalte, „Orte oder Personen genau zu differenzieren“ (GNAM 2003: 37, vgl. auch: OLSCHEWSKI 2003a: 36). Artur Becker schreibe „pathetisch, sentimental, aggressiv“, „mehr aus dem Bauch als aus dem Kopf“ (HALTER 2008: 13). Seine Texte hätten zwar „poetische Kraft und Originalität“, wirkten aber auch manchmal „unbeholfen oder nachlässig“, schuld daran seien „hölzerne Dialoge, umgangssprachliche Wen- dungen am falschen Ort“, „männlich-rustikale Suff- und Sexszenen“, „dünne“ und „schwach motivierte“ Charaktere und Handlungsfäden, „gelegentliche Geschwät- zigkeit“ (HALTER 2008: 13). Der Kritiker Kuno Päffkes ist hart in seinem Urteil:

Es waren Werke von Möchtegern-Hemingways mit albernen Attitüden vom brutalen Le- ben, das mit Courage und Sarkasmus erduldet wird. Verbissene Unbeugsamkeit, über die ich schlaff und bucklig eindöste. Was mich schließlich aufrichtete, war keine breitbeinige Sturheit, sondern kräftiger Wein. […] Artur Beckers Erzählband Die Milchstraße wäre ebenso abgesoffen. Die Zeiten sind hart, die Umgebung ist rau, doch zähe Männer – vor- nehmlich an der polnisch-ukrainischen Grenze – grinsen schief und schlagen die Mücken auf ihren Unterarmen tot, weil sie sich dann wie Großwildjäger fühlen. Fast wie Heming- way. Sie sind zwar nur belangloser Abklatsch, wären aber gerne selbst Originale mit geschwelltem Kamm, breiten Schultern und der grimmigen Frage auf schmalen Lippen: Wer ist schon dieser Hemingway? (PÄFFKES 2003: 85f.) Die Rezensenten suchen auch nach literarischen Bezugspunkten, vor allem in der deutschsprachigen Literaturtradition. Die Kritiker verweisen auf die Nähe von Be- ckers Texten zu denjenigen von Siegfried Lenz und Günter Grass: „Becker steht dem Blechtrommler dabei näher als der Zärtlichkeit Suleykens“ (HALTER 2008: 13, OL- SCHEWSKI 2003a: 36). Auch die Zugehörigkeit des Autors zur polnischen bzw. deut- schen Literaturtradition wird von manchen erwähnt. Michael Braun schreibt von „polnische[r] Literatur in deutscher Sprache“ (BRAUN 2010: 21), womit er mit dem Schriftsteller selbst übereinstimmt, der sich nicht gern als deutscher Autor polnischer Herkunft, sondern als polnischer Schriftsteller, der in deutscher Sprache schreibt, sieht (vgl. NEUBAUER 2009b: 18; BALZER 2008: 2; BALZER 2009b: 9).123 In manchen Kritiken fi nden sich aber auch die Bezeichnungen „der deutsche Schriftsteller“ (SCHELLER 2009: 30), „deutscher Autor“, der aber Bücher „zwischen dem Phantas- ma Masuren und der realen Heimat Niedersachsen, problembewusst, lakonisch und mutterwitzig, herrlich polnisch eben“ schreibe (SCHNEIDER 2008: 42). Klaus Hübner ist der Meinung, dass Becker „die deutsche Literatursprache derart virtuos [hand- habt], dass man ihn mit einigem Recht als deutschen Schriftsteller bezeichnen darf“ (HÜBNER 2011).

122 Adam Olschewski bemängelt ebenfalls die Dialoge in Beckers Erzählungen Die Milchstraße (vgl. dazu: OLSCHEWSKI 2003a: 36). 123 Becker betont in einem Interview: „Ich betrachte mich nicht ausschließlich als einen deutschsprachigen Autor, sondern auch als einen polnischen Autor der deutschen Sprache“ (zit. nach: HILLGRUBER 2009: 34f.). 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 113

So wird Artur Becker auch dank der Literaturkritik zum untrennbaren Bestandteil des deutschsprachigen Literaturbetriebes und der deutschsprachigen Literatur.

5.1 Identitätsstiftendes Warmia/Ermland – Beckers literarischer Dreh- und Angelpunkt?

Artur Becker, der schon längst im deutschsprachigen Literaturbetrieb etabliert und sogar Träger des von der Robert Bosch Stiftung initiierten und alljährlich gemein- sam mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verliehenen Adelbert-von- Chamisso-Preises ist (2009), fühle sich in seiner „neuen“ Heimat Verden an der Aller bei Bremen „oft als Zaungast“, weil es „nun mal nicht [s]eine Heimat“ sei (zit. nach: NOMMEL 2008). Eine mögliche Rolle, in die die Migrantenautoren schlüpfen können, ist die des (transkulturellen) Vermittlers zwischen zwei „Welten“ – der Welt ihrer Heimat und der des Gastlandes, womit die kulturvermittelnde Funktion der Literatur im Sinne des Goetheschen Konzeptes der Weltliteratur ganz besonders hervorgehoben wird. Für diese Strategie entschied sich auch der Schriftsteller Artur Becker, der in Inter- views seine „ermlämländisch-masurische“ Identität und die Rolle seiner Kindheit in Ermland für seinen schriftstellerischen Werdegang betont. Für die literarischen Texte der meisten Migrantenschriftsteller sind das Heimatverständnis – die literari- sche Heimatverarbeitung versus die Gastlandverarbeitung charakteristisch: von der Idealisierung und nostalgischen Verklärung über Indifferenz und Distanzierung bis hin zu Provokation und Beschimpfung. Dies trifft auch auf die Texte von Becker zu. Becker gehört (ähnlich wie sein Schriftstellerkollege Dariusz Muszer) zur letzten polnischen Emigrantengeneration der 1980er Jahre, deren soziale und politische Si- tuation im Polen dieser Zeit in fi ktionalisierter Form auch Eingang in seine litera- rischen deutschsprachigen Texte fi ndet und sich in den Lebensläufen seiner Prota- gonisten niederschlägt: die Solidarność-Bewegung, die Wirtschaftskrise, politische Gewalt während des Kriegszustands, die sozialen und existentiellen Probleme in Po- len sowie die daraus resultierenden Migrationsbewegungen, die Zeit der Wende (u.a. Onkel Jimmy, die Indianer und ich, Kino Muza, Wodka und Messer, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang). Die Landschaft von Beckers Kindheit, Warmia/Ermland, stellt die wichtigste Ins- pirationsquelle für den Schriftsteller Becker dar und seine narrativen Entwürfe von der alten Heimat als imaginiertem Identitätsraum und Ausdruck der existentiellen Dimension eines menschlichen Daseins sind im Laufe der Zeit gleichsam zu seinem Markenzeichen geworden. Seine „neue“ Heimat Deutschland erwies sich nämlich als ein emotional mangelhafter Lebensraum. Es sei, so Becker, für ihn als Autor zu „unpoetisch und unerotisch“ (zit. nach: HALTER 2008: 13). Dies kann der Grund sein, warum seine Protagonisten ununterbrochen zwischen Deutschland und ihrer alten Heimat pendeln oder früher oder später sogar aus Deutschland nach Warmia/Erm- 114 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 land zurückzufl iehen versuchen. Becker lässt seine Protagonisten einen bestimmten Habitus verkörpern: Seine im Zentrum der Handlung stehenden Männerfi guren sind Grenzgänger mit einer transnationalen Identität, „kulturelle Mischlinge“, die aus Ermland bzw. Masuren stammen und nach Deutschland migrieren. Typisch für Be- ckers Protagonisten ist eben auch das dauernde Hin und Her zwischen der alten Welt, die sie verlassen, und der neuen Welt, in der sie niemals wirklich zu Hause sind. Sie haben sich zwar eine Existenz in Deutschland aufgebaut, tragen aber ihre Herkunft immer mit sich und unternehmen Reisen zu ihrer ermländischen Heimat und somit in die eigene Vergangenheit (z.B. Der Dadajsee, Kino Muza, Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang). Nach Jahren des Identitätsverlustes im Gastland versuchen sie in der Abgeschiedenheit der heimatlichen, ermländisch-masurischen Landschaft ihre eigentliche Identität wiederzufi nden sowie den Weg zu neuer Zuversicht zu fi nden. Die Texte des Schriftstellers können im Sinne einer Identitätssuche unter den ver- änderten Lebensumständen in einer neuen Gesellschaft und im neuen Kulturkreis interpretiert werden. Die ermländische Heimat und das Wandern zwischen zwei Welten sind Motivkom- plexe, die eine zentrale Stellung in Beckers literarischen Texten haben, seit seinem Romandebüt im Jahre 1997 (Der Dadajsee) bis zu dem letzten, 2013 erschienenen Roman Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Seine Romane und Erzäh- lungen spielen fast ausnahmslos in der „ostpreußischen“ Landschaft. Die Landschaft, in der Becker seine Figuren handeln lässt, ist von kulturellen ‚Be- rührungen‘ und ‚Übergängen‘ gekennzeichnet. Es ist eine Landschaft, wo Fremdes und Vertrautes einander begegnen. Die Transkulturalität dringt in die Identitätsstruk- turen der Individuen. Die Identitätskonstruktionen von Beckers Figuren folgen nicht immer den nationa- len Vorgaben, auch innerhalb des nationalen Rahmens. Sie haben ihre eigene Dyna- mik, die sich nicht an einem nationalen Zentrum orientiert. Die kulturelle Vielfäl- tigkeit wird zu einem wichtigen Element des Selbstverständnisses. Beckers Figuren stammen aus einer Grenzregion mit ihren Wechselwirkungen, und diese Herkunft ist identitätsstiftend. Sławomir Piontek verweist mit Recht darauf, dass der Schriftsteller „die Territorialisierung der Identität“ sowie „die Dominantsetzung räumlicher Ver- hältnisse als Kodiermodus für die Identität“ seiner Protagonisten vorschlage (PION- TEK 2012: 138). Ermland-Masuren wird einerseits als ein konkreter geografi scher Raum, andererseits aber auch als imaginärer Ort konstruiert. Ein wichtiger Aspekt sind seine kulturelle Vielfältigkeit und die gegenseitige Wechselwirkung des Kultu- rellen sowie die materiellen Spuren realer Vergangenheit. Das Transkulturelle von Beckers Figuren ist überall präsent, in ihren hybriden Identitäten, in den familiären Wurzeln, in den Namen und Ortsbezeichnungen und scheint Bestandteil des Be- wusstseins zu bilden. Dieses „Gemischtsein“ (diese kulturelle Heterogenität) personifi zieren in Beckers Texten die Protagonisten, die somit auch ihre Herkunftsregion und die ermländische komplexe hybride Identität auf eine besondere Weise repräsentieren: 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 115

Die Hauptfi gur aus der Erzählsammlung Die Milchstraße (2002), Marek Blome, ist deutscher Abstammung und hat „deutsche Papiere von [s]einem Vater: Geburtsur- kunden, den Soldatenausweis vom Großvater“ (BM 14). Auch die Figur aus der Erzählung Die Zwölfte Insel, August Klugowski, „sei weder Pole noch Deutscher – er sei Warmier: Ermländer“ (BM 104). Kulturell heterogen ist ebenfalls Mirosław Korońrzeź „selbst ein halber Mensch: Pole und Weißrusse zugleich“ (BM 135), ein polnisch[er] Weißrusse“ (BM 139). Mirosław Korońrzeź alias Jimmy Koronko aus Czerwonka in Polen, der zur Hauptfi gur in Beckers Roman Onkel Jimmy, die India- ner und ich (2001) wird, bezeichnet sich selbst als „Weißrusse aus Kanada“ (BO 20) und ist „ein ehemaliger Zwangsarbeiter, jüdisch-weißrussischer Herkunft“ (BO 14). Teofi l Baker, der Ich-Erzähler desselben Romans, der eine russische Urgroßmutter und einen ostpreußischen Vater hat, trägt in seinem Portemonnaie „das Foto eines Wehrmachtssoldat[en])“, seines Großvaters, eines „Soldat[en] der ersten Stunde, der um vier Uhr fünfundvierzig Polen überfallen hat“ (BO 23). Diese territorialisierte (ermländische) Identität bereitet der Hauptfi gur des Romans Der Dadajsee (1997), Jurek, Schwierigkeiten: „Ich weiß nicht, wer du bist […] ich weiß nicht einmal, wer ich bin“, meint er zu seiner Mutter Barbara (BD 156). Beckers Prosatexte folgen einem ähnlichen Schema: Die im Zentrum der Handlung stehenden, aus Ermland (bzw. Masuren) stammenden „kulturellen Mischlinge“ mit einer transnationalen aber stark territorialisierten Identität verlassen ihre ermlän- disch-masurische Heimat und werden zu Migranten, Grenzgängern, deren Erfah- rungen bzw. erfolglose Suche nach einer neuen Identität rekonstruiert und refl ektiert werden. Antek/Antoni/Arnold Haack/Hak, der 1953 geborene Protagonist des Romans Kino Muza (2003) (vgl. BK 36f.), arbeitet als Kartenabreißer im Kino „Muza“ in Barto- szyce der 1980er Jahre und hat ebenfalls einen ermländisch-ostpreußischen Hinter- grund. Der Sohn der Deutschstämmigen Inge (Inga) Döhring und Berthold (Bartek) Haack, eines „Ostpreußen, [des] doppelzüngigen Osteuropäer[s] aus Bartoszyce- Bartenstein“ (BK 226), fl üchtet als Spätaussiedler aus dem sozialistischen Polen der 80er Jahre nach Deutschland (wie viele oder fast alle von Beckers Protagonisten), ist im Gastland als Pfl egehelfer tätig und führt eine erotische Doppelbeziehung mit einer polnischen und einer deutschen Frau. Sein polnisch klingender Vorname „An- toni“ wird von einem Beamten im Grenzdurchgangslager in Friedland „kostenlos“ (BK 13) in „Arnold“ verdeutscht, was dem Protagonisten, einem „Mann mit Akzent aus dem Osten“ (BK 15), „einige Unannehmlichkeiten ersparen“ (BK 13) soll und die Wandlung seiner Identität vollkommen macht. Die deutschen „Papiere“ bestäti- gen seine Zugehörigkeit „zu seinem neuen Volk“ (BK 15). Als Dissident, ehemaliger Anhänger der polnischen Solidarność-Bewegung, der in seiner alten Heimat kein „Spitzel werden“ (BK 234) wollte, möchte er seine eigene (polnische) Vergangen- heit aus Angst vor Verfolgung „loswerden und abschütteln wie Regentropfen“ (BK 17), obwohl er aus sich „keinen Deutschen“ machen lässt und will (BK 239). Er möchte in Deutschland Geld verdienen, um in seiner Heimatstadt das Kino „Muza“ zu kaufen, er „muss wieder zurück!“ (BK 32). Die Vergangenheit in Gestalt angeb- licher polnischer Staatssicherheitsagenten (Geheimdienstagenten) und seines Ver- 116 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 folgungswahns holt den Dissidenten in Deutschland ein, worauf er im deutschen Gastland Selbstmord begeht (vgl. auch BAS 225). Die Hauptfi gur des 2006 erschienenen Romans Das Herz von Chopin, der aus Bar- toszyce an der Łyna stammende und in die BRD emigrierte Gebrauchtwagenhändler (Jahrgang 1965) mit polnischem Akzent, den er manchmal als ostpreußisch ausgibt, nennt sich Chopin. Seine Identität ist doppelter Natur: ein „Erdling aus Masuren und Bremen“ (BH 206). Chopin versucht seine Herkunft im deutschen Gastland zu tarnen und bietet je nach Bedarf unterschiedliche Varianten (Strategien) an: Er will nicht, dass „man [ihn] zum polnischen Immigranten, der es zu etwas gebracht hatte“, abstempelt und behauptet, Ostpreuße zu sein, wenn jemand an seiner „germanischen Herkunft Zweifel“ (BH 81) hegt oder wenn er seinen Gesprächspartnern mitteilt, dass in seinen „Adern […] das Blut von vier Sippen: deutsches, polnisches, russi- sches und jüdisches“ fl ieße (BH 81). Seinen polnischen Landsleuten gegenüber gibt er sich als Schwede aus (BH 160). „In Suff“ bleibt der Gebrauchtwagenhändler „ein gottverdammter Pole […]. Scheiß slawische Romantik, Scheiß slawischer Messia- nismus – Chopenismus pur“ (BH 248). Beckers Helden bauen sich zwar eine Existenz in ihrer neuen deutschen Heimat auf, tragen aber ihre ermländische Herkunft immer mit sich und unternehmen – früher oder später – eine Reise in ihre alte Heimat, wo sie nach Jahren des Identitätsver- lustes, in der emländisch-masurischen Landschaft ihre eigentliche Identität wie- derzufi nden versuchen. Der deutsch-polnische Chrystian Brodd (seine Mutter war Polin, sein Vater deutschstämmig), ein in Bremen lebender arbeitsloser Magister, der Protagonist der Novelle Die Zeit der Stinte (2006), dessen Großmutter mütter- licherseits „eine echte Masurin […], baltische Indianerin mit polnischen Wurzeln“ (BZ 77) gewesen ist, macht eine Reise nach Ermland-Masuren an die Orte seiner Kindheit, die er seit der Wendezeit nicht mehr gesehen hat. Die Brodds, „Kinder des Nordens“ (BZ 10) stammen aus dem polnischen Iława, das vor dem Zweiten Weltkrieg Deutsch-Eylau hieß und in Ostpreußen lag. Chrystian, der sich in Mona Juchelka, eine Jüdin, deren Eltern aus „Bromberg – Bidgoschtsch“ (BZ 87) stam- men, verliebt, lebt in Bremen. Seine Eltern, Gustaw („Mitbegründer der antikom- munistischen Widerstandsbewegung KOR“) in Iława (BZ 16), und auch Danusia leben in einem Hochhaus in Bremen zusammen mit Vertretern anderer Kulturkreise: Russen, Kasachen, Wolgadeutschen und Türken. Chrystians Identität ist – wie bei anderen Figuren Beckers – hybrid: er hat einen „slawische[n] Instinkt“ (BZ 77) und „germanische[n] Ordnungssinn“ (BZ 78) und ist ein „polnischer Ossi“ (BZ 177), „eine Promenadenmischung“ (BZ 141). Aus einer kulturell hybriden Gegend stammt auch Kuba Dernicki (Wodka und Mes- ser, 2008), gleichfalls deutsch-polnischer Herkunft. Er ist der Sohn des Ostpreußen Adelbert Dernicki. Seine katholischen ermländischen Großeltern mütterlicherseits, Renia und Kostek Podlichowie, die Kuba erzogen, lebten in Wilimy. Kubas Vater stammt aus Najdymowo, wo „vor allem Protestanten“ (BWM 22), „die Teufel, die bösen Deutschen“ (BWM 22) lebten. Seine Großeltern mütter- und väterlicherseits wohnten „an zwei verschiedenen Orten“ und dienten „zwei verschiedenen Göttern […] die Bewohner von Wilimy der Gesegneten Jungfrau Maria und die von Najdy- 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 117 mowo dem Übersetzer Martin Luther“ (BWM 89). „Die Vorfahren der Dernickis waren angeblich vor dreihundert Jahren […] aus Westfalen nach Ostpreußen einge- wandert, und die der Podlichs waren […] aus Litauen nach Warmia angerollt“ (BWM 408). Kubas Identität ist territorialisiert und „gemischter“ Natur: Er betrachtet sich als ein Nachkomme von Podlichs und Dernickis, von Polen und Deutschen, deren „Urväter […] Barten“ (BWM 407) hießen und der „westbaltischen Indianerstämme“ (BWM 407), die in die „familieneigenen Geschichten, Anekdoten und Legenden eingeschleust“ (BWM 407) wurden: „I‘m a Natanger…“ (BWM 408). Im Ausland behauptet er „provokativ“, Europäer zu sein (BWM 408). Auf die Ambivalenz von Fremdem und Eigenem, die doppelte Natur von Kuba Dernicki wird auch auf der Ebene der Körperlichkeit hingedeutet. Kuba, selbst Vater von Zwillingen (Jasmin und Sebastian), ist ein „Mann mit zwei Bauchnabeln“ (BWM 17) und hat – wegen einer charakteristischen bauchnabelähnlichen Operationsnarbe am Bauch – den Bei- namen „Zweibauchnabel“ („Dwupępek“, BWM S. 24, 388).124 Die tragische Famili- engeschichte des Protagonisten, die ihn geprägt hat, wird ebenfalls zur Metapher der historischen Belastungen der deutsch-polnischen Beziehungen: Sein deutscher Vater ermordet aus Eifersucht seine polnische Frau, daher lernt der kleine Kuba seine El- tern nie richtig kennen. Auch die familiären Wurzeln von dem im masurischen Städtchen Dolina Róż125 le- benden Bartek, dem fünfzehnjährigen Protagonisten des Romans Der Lippenstift meiner Mutter (2010), sind hybrider Natur und bilden ein Mosaik einer Vielzahl von Kulturen. Der Name des Protagonisten ist eine Anspielung auf die pruzzischen Bar- ten, abgeleitet vom Ortsnamen Bartenstein (Bartoszyce/Rosenthal): Seine Mutter hatte nämlich beschlossen, „dass ihr erster Sohn den edlen Namen des pruzzischen Prinzen bekommen würde: Bartłomiej erinnerte selbst in seiner einfachsten Kose- form, Bartek, an den heidnischen Prinzennamen […]“ (BL 243). Barteks deutsche Großmutter väterlicherseits, Oma Hilde [„eine uralte Ostpreußin“ (BL 48)], ist evan- gelisch und hat „als Einheimische mühselig Polnisch gelernt“ (BL 300f.). Sein Opa „Monte Cassino“, „Sohn einer polnischen Mutter und eines österreichischen Vaters“ (BL 54f.), verbrachte seine Kindheit in Galizien und wurde zum Dienst in der Wehr- macht gezwungen, weil er Deutsch konnte und infolgedessen seine beiden Beine „im Krieg für Hitler geopfert“ (BL 59) hat. Nach dem Krieg betrachteten ihn „die polnischen Kommunisten“ als einen „Vaterlandsverräter“ (BL 54). Nach seinem Tod fi ndet die Totenmesse nicht in der evangelischen Kirche statt, sondern in der katholi- schen, weil er sich „von Martin Luther abgewendet und Christus und Maria als seine Eltern wiederentdeckt“ hatte (BL 292).

124 Als Kuba 12 Jahre alt war, wurde aus seinem Bauch der Embryo seines Zwillingsbruders Kopernik, den er als versteinerten toten Fötus im Bauch trug, herausoperiert. In seinem Bauch „hauste […] die verirrte Seele seines Bruders“ (BWM 6). Sein toter Zwillingsbruder Kopernik redet noch jetzt aus ihm und macht Kuba zu einem Bauchredner. 125 Rosenthal (poln. Dolina Róż) ist der ehemalige (bis 1332 geltende) Ortsname des Städtchens Bartenstein (Bartoszyce), des Heimatortes von Artur Becker. Mit dem Namen „Dolina Róż“ verfremdet Becker diesen Ort biografi scher Beziehungen im Roman literarisch. Auf diese Weise versucht er den Raum zu fi ktionalisieren. 118 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Der andere Opa von Bartek, „Franzose“ (den Spitznamen verdankt der seiner be- sonderen Kultiviertheit), ist ein „polnisch-galizischer Opa“ (BL 49), ein ehemaliger Bergen-Belsen-Häftling, der in der Ukraine „im Hause eines polnischen Gelehrten und Postdirektors“ geboren wurde (BL 43). Der „Heimatlose“ (BL 308) ging nach Ermland-Masuren, in den „Wilden Westen“ (BL 44), in „das neue Polen“ (BL 43), das „einst von deutschen Astronomen und Gräfi nnen und Grafen besiedelt war“ (BL 122), wo die Deutschen „verjagt worden“ (BL 43) sind. Der „Opa Franzose“, dessen katholische Frau, Oma Olcia, aus Großpolen stammt, kann einerseits „als einer der Wenigen Neuankömmlinge“ (BL 44) Polnisch, Russisch, Deutsch und Französisch schreiben und lesen, andererseits ist er „Eisenbahner, Geigenspieler und Vagabund“ (BL 63).126 Das masurische Städtchen Dolina Róż wird von Migranten bewohnt. Barteks Freund, Schuster Lupicki, ist jüdischstämmig, aus Lwów (Lemberg) gebür- tig, „ein ukrainischer Chassid“ (BL 47), dessen Eltern „Juden, und dann Trotzkisten und dann Polen“ (BL 282) waren und der selbst eine Kippa trägt. In seiner Werk- statt, dem „private[n] Europa“ (BL 56), arbeiten ein ehemaliger Wehrmachtssoldat („Monte Cassino“), ein Pole (namens Michał Kronek) und ein „verkappter Chassid und ukrainischer Jude, der sich für einen polnischen Patrioten“ (BL 56) ausgibt, zusammen, obwohl „Monte Cassino“ und der Pole Michał Kronek Erzfeinde sind (BL 121). Eine andere Figur aus dem Roman Wodka und Messer, Eugeniusz (alias Kazimierz, dessen wirklicher Name Aaron Gersztlejn lautet), ist wie Lupicki jüdischer Abstam- mung und aus Wilna gebürtig. Er war Rabbi, wurde getauft und in Warschau zum Priester geweiht. Kazimierz/Eugebiusz nahm am Warschauer Aufstand teil, war kur- ze Zeit Mitarbeiter des polnischen Sicherheitsdienstes und ist Vater von Justyna (wie Kuba eine ehemalige Emigrantin), in die Kuba verliebt ist. Man entsandte ihn Mitte der fünfziger Jahre nach Ermland und Masuren, wo, „in den ehemaligen deutschen Gebieten, ein Mangel an katholischen Seelsorgern herrschte“ (BWM 124). Eugeni- usz wurde Abt in dem ermländischen Wallfahrtsort „Święta Lipka, dem […] bekann- ten Kloster bei Reszel“ (BWM 123). Er meint, dass er kein „guter Jude“, „kein guter Rabbiner, Pole und Jesuit“ gewesen sei (BWM 440). Eugeniusz bzw. der Priester Kazimierz kann somit als eine transgressive Figur gesehen werden. Auch in seinem bisher letzten, im Herbst 2013 erschienenen Roman Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang weicht Becker von seinem Lieblingsschema nicht ab und bleibt und seiner bevorzugten Thematik treu, indem er die Roman- handlung (und somit seine Figuren) im hybriden polnisch-deutschen Raum situiert. Arek (Arkadiusz) Duszka, die 1964 in Bartoszyce geborene Hauptfi gur, der Sohn einer „waschechte[n] Masurin“ (BAS 52), sitzt – wie andere Protagonisten Beckers – ebenfalls „zwischen zwei Stühlen“ (BAS 113), stellt damit aber in seiner masu-

126 Der „Opa Franzose“ erzählt seinem Enkel seine Lebensgeschichte in Anlehnung an das „Lied von der Perle“ (BL 146–149), das ein Teil der Thomasapokryphen ist: Die Parabel von der Entsendung eines Prinzen aus dem Osten zu einem verborgenen Schatz, der Perle, nach Ägypten, die er nach zeitweiligem Vergessen seines Auftrags erringt. Dadurch wird er zugleich zur Heimkehr veranlasst, die ihm glückt. Czesław Miłosz hatte bereits in seinem gleichnamigen Gedichtband („Hymn o perle“, 1982) das polnische Publikum mit der Übertragung des Textes vertraut gemacht. 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 119 rischen Familie keinen Ausnahmefall dar. Schon seine Großmutter hatte sich „nach 1945 […] zu ihrer neuen Nation bekennen müssen“ (BAS 270) und stellte sich als Polin vor, weil man sie sonst für eine Deutsche gehalten hätte, obwohl sie Polnisch „mit Akzent“ (BAS 270) sprach. Sein Großvater – den Figuren in Beckers frühe- ren Romanen ähnlich – „hatte unfreiwillig in der Wehrmacht dienen müssen“ (BAS 272). Der Romanprotagonist selbst emigriert 1988 nach Deutschland, weil er nach einer dreimonatigen Gefängnisstrafe wegen seiner regimekritischen Artikel für Unter- grundzeitungen von den polnischen Behörden einen „Einwegreisepass“ (BAS 39) bekommt, „in Polen [die] Zelte abbrechen“ muss (BAS 123) und seinen 1983 nach Bremen als Spätaussiedler ausgewanderten Eltern folgt.127 Die neue Heimat ist für den Romanprotagonisten, der mit „große[r] Mühe“ den „Kopfsprung ins kalte Was- ser, in eine neue Sprache“ (BAS 55) meistert, sein „angenähte[s] Land der Findlinge, Sachsen und […] der evangelischen Friedhöfe, im Orkanauge der deutschen Spra- che“ (BAS 16). Der Emigrant, „in die Welt ausgespuckt“ (BAS 47), hat in seiner neuen deutschen Heimat „das Gefühl […], an einem falschen Ort zu sein“ (BAS 142).128 Seine Ausreise betrachtet der Protagonist als einen Fehler. Er schraubt im Gastland „seine Ansprüche auf ein Minimum“ (BAS 90) herunter, lebt „in hanseati- scher Einsamkeit“ (BAS 94) und kann in der Fremde keine Freunde fi nden, „weder unter den Einheimischen noch unter den Emigranten“ (BAS 90). In seinem neu- en deutschen Zuhause, das ihm „eher wie ein Provisorium“ vorkommt (BAS 343), wird er „dauernd nach seiner Herkunft und seinem slawischen Akzent“ gefragt (BAS 338). Die Hauptfi gur hält sich für einen „politische[n] Emigrant[en]“ (BAS 343) und für ihr „eigentliches Zuhause […] [das] Universum, aus dem wir alle kommen“ (BAS 340). Ähnlich wie Kuba Dernicki, die Hauptfi gur des Romans Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken, ist auch Arek Duszkas Identität territorialisiert: Er sei im Grunde aus Warmia/Ermland „gar nicht ausgereist, er hatte Bartoszyce nie verlassen“ (BAS 58), da ihn selbst seine neue Heimat in Verden an seinen Geburtsort in Bartoszyce erinnert (BAS 56).129 Beckers Prosatexte sind nach einem ähnlichen Schema gebaut: Im Zentrum der Handlung stehen Grenzgänger, Migranten, die ihre ermländisch-masurische Heimat verlassen, um nach Deutschland, in ihre neue Heimat auszuwandern. Nach einiger

127 Areks Eltern fi nden ihre neue Heimat an einem geschichtlich belasteten Ort: In der Nähe von Bremen (Verden/Sachsenhain), unweit von dem ehemaligen Thingplatz und ausgerechnet demjenigen Bauernhof, wo Areks Großeltern während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit leisteten. 128 Arek Duszka vermisst die polnische „Aufbruchsstimmung – den kollektiven Kampf um Freiheit“ der 1980er Jahre (BAS 46). Auch den Vater des Protagonisten, „de[n] ehemalige[n] Gewerkschaftler und Streikführer des August 1980“ (BAS 21) plagen in seiner Emigrantenexistenz Sehnsuchtsgefühle: Sein „einst wacher und strahlender Geist hatte angesichts der fremden Übermacht der Einheimischen kalte Füße bekommen und den ewigen Winterschlaf gewählt“ (BAS 19). Die Ausreise aus Bartoszyce nach Deutschland sei für ihn die „Vertreibung aus dem Paradies“ (BAS 141). 129 Die Einwohnerzahl stimmt überein, Verden liegt an der Aller, und der Fluss von Bartoszyce (Łyna) „hatte bis 1945 Alle geheißen“ (BAS 56, vgl. auch 85). 120 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Zeit kehren die Figuren aber nach Ermland, dem Land ihrer Kindheit und Jugend, zurück oder präziser formuliert: Sie unternehmen einen Rückkehrversuch – leider ohne Erfolg. Chopin fl üchtet nach Aufhebung des Kriegsrechts 1983 in Polen aus Bartoszyce nach Deutschland: „[Seine] Wahl fi el auf Deutschland. Es war unser bes- ter Nachbar und Feind. Außerdem wurde [er] in Bartoszyce geboren, und bis 1945 hieß [sein] Geburtsort Bartenstein. […] [Er] hatte also gute Voraussetzungen, […] eines Tages ein Bundesdeutscher zu werden, zumindest auf dem Papier, und mehr erwartete [er] nicht“ (BH 26f.). Chopin schreibt danach seinem in Polen verblie- benen Freund Andrzej auf Deutsch eine „amtliche Freundschaftskündigung“ (BH 282), um „eine neue [deutsche] Uniform anziehen“ (BH 285) zu können. Er dient „plötzlich einer Armee, die [ihr] Feind war“ (BH 285) und betrachtet sich selbst da- her als „Verräter“ (BH 285). In Deutschland studiert er und Mitte der 1990er Jahre wechselt er in den Autohandel, wo er gutes Geld verdient, hat eine Freundin und beginnt gleichzeitig, ernsthaft über den Sinn seiner Existenz in Deutschland nach- zudenken. Mit dem polnischen Emigrantenmilieu in Westdeutschland kann Chopin nichts anfangen und er versucht seine alte Heimat aus dem Herzen zu verbannen und aus seinem Gedächtnis zu streichen, obwohl er es ununterbrochen in die Erinnerung zurückruft, und sich einbildet, in Ermland am Dadajsee zu sein, „die Reinkarnation von Chopin“ (BH 254), eine Antithese des historischen Chopin, was vielleicht als eine „Ironisierung der polnischen Romantik“ gedeutet werden kann.130 Er ist auf der Suche nach einer neuen Identität: Seine alte Heimat, Bartoszyce, soll „ausradiert werden“ (BH 28). Chopin muss „noch einmal schwimmen lernen“, indem er einen „Kampf mit der deutschen Sprache“ (BH 76) absolviert. Obwohl er sich auf der einen Seite für einen „polnische[n] Autohändler aus der BRD“ (BH 180) oder einen Menschen „aus B.“ hält, sei er auf der anderen „als Pole mit einer lebhaften Phanta- sie ausgestattet“ (BH 253). Doch im Laufe der Zeit entdeckt er, dass er in der Liebe zu einer Frau „hier in Bremen plötzlich auch eine Geschichte [hat], und die war so alt und fordernd wie [s]eine eigene aus Masuren“ (BH 253f.). Er entdeckt, dass er Bre- men liebt und „zugleich“ hasst (BH 264). Es gibt auch Augenblicke, in denen er sich in Bremen, unter seinen Freunden in „[s]einem neuen Land“ wie „[z]uhause“ fühlt und „Deutschland, Bremen, […] selbst [s]einen Job“ (BH 89f.) liebt. Sein deutscher Freund sagt ihm aber offen, dass er für die Deutschen „immer der Fremde sein“ wird, woran er sich gewöhnen muss, obwohl sie selbst gern „Chopin gewesen wären“ (BH 263), weil die Deutschen „kollektiv immer die anderen sein“ (BH 263) wollen. „Aus dieser Selbstverneinung sind unsere [deutsche] Genialität einerseits, unsere Bestialität andererseits entstanden“ (BH 263). Chopins „Kampf“ um eine Rückkehr in die alte Heimat sowie die Etablierung der „identifi katorischen Selbstverortung in einer transkulturellen Existenz“ (PIONTEK 2012: 133) sei aber – Chopins eigener Meinung nach – „verloren“ (BH 286). Seine alte Heimat ist ihm in der neuen Heimat eher zu einem Fremdkörper geworden. Der Protagonist verliert auch seinen Kampf um die „kapitalistische“ Assimilation, gibt den Autohandel auf und geht nach Ber-

130 Kurz vor seinem Tod verfügte der Komponist, der seit seinem 21. Lebensjahr in Paris lebte – in Erinnerung an seine Herkunft – dass seine Gebeine in Paris bestattet werden sollten, sein Herz aber in Polen. 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 121 lin, das nicht so weit wie Bremen von Warmia/Ermland entfernt liegt, dem „Sehn- suchtsort“, einem emotional besetzten Ort, einer Art Materialisierung des kulturellen Gedächtnisses (vgl. HEERO 2009: 208), dem Stück Vergangenheit, das man nicht aufgeben will und das einen wichtigen Bestandteil der Identität von Beckers Figuren bildet.131 Beide Orte, Warmia/Ermland und Deutschland, sind ein wichtiger Teil der Identität des Helden. In Berlin soll er einen Antiquitätenladen seiner Tante führen. Laut Sławomir Piontek stellt der Antiquitätenladen als „harmonische, örtliche und zeitliche Zusammenführung verschiedener Kulturen […] ein schönes, symbolisches Ziel“ (PIONTEK 2012: 141) des Migranten dar. Man kann die Frage stellen, ob dies als ein Hinweis auf den Dritten Raum, in dem Grenzziehungen zwischen Kulturen und Nationen neu verhandelt werden, gedeutet werden kann. Der aus Bartoszyce stammende Antek/Arnold Haack/Hak (Kino Muza) pendelt zwischen Deutschland und Warmia/Ermland, muss „immer wieder zurück“, weil er „nicht aus Bartoszyce weggehen“ (BK 93), „nirgendwo jemals […] weder in West- berlin noch in San Francisco“ (BK 32) ankommen kann und „mit Wohlstand nichts anzufangen“ weiß und sich wie ein richtiger Pole „nur in Krisenzeiten wirklich her- ausgefordert“ (BK 32) fühlt. Der deutsch-polnische Protagonist des Romans Wodka und Messer Kuba Dernicki, der in den Jahren 1980/81 zum jugendlichen Solidarność-Aktivisten wird und dessen große Jugendliebe Marta bei der Flucht vor dem Geheimdienst im Dadajsee ums Leben kommt, verlässt Polen und sein Heimatstädtchen Najdymowo (Neudims) in den 80er Jahren (nach der Verhängung des Kriegszustands) und wandert nach West- deutschland aus, wo er als Sohn seines „ostpreußische[n] Vater[s]“ (BWM 28) ohne Probleme den Aussiedlerstatus zuerkannt bekommt. Dernicki arbeitet in Deutsch- land als Programmierer in einem virtuellen Schlachthaus, einem Rechenzentrum, das die Daten von deutschen Zuchttieren speichert und führt „mit dem Land, das ihn als einen Aussiedler des untergangenen Dritten Reiches friedlich aufgenommen hatte, […] eine Zweckehe“ (BWM 37). Der Protagonist bemüht sich, seine polnische Vergangenheit zu vergessen und die mit ihr verbundenen traumatischen Erlebnisse zu überwinden: den Tod seiner schwangeren Freundin im Dadajsee sowie seiner von dem betrunkenen eifersüchtigen Vater erstochenen Mutter. Die im Westen verbrach- ten Jahre mit ihrer geregelten Existenz sind aber in seinen Augen verlorene Jahre gewesen. Er macht sich nach mehr als zwanzig Jahren ohne seine deutsche Frau und die beiden Kinder (Zwillinge) auf den Weg heim nach Warmia/Ermland, in die eige- ne Vergangenheit. Die in Deutschland verbrachte Zeit betrachtet er als „die langen Jahre des Wartens auf die Wiederbegegnung mit seinem Heimatort“ (BWM 94) und nur seine alte Heimat ermöglicht dem Helden ein wahrhaftiges Leben. Obwohl seine polnische Muttersprache „so lange Zeit mehr oder weniger kaltgestellt“ (BWM 48) war, dass sie zu einer „[t]ote[n] Sprache – seine[r] tote[n] Zunge“ (BWM 48) wurde, stellt er nach der Ankunft fest, dass er Wilimy (Fischersiedlung am Dadajsee) eigent-

131 Der Protagonist des Romans Kino Muza erklärt den Namen seines ermländischen Heimatortes Bartoszyce folgendermaßen: „Bara [auf Hebräisch] bedeutet: erschaffen, bresheet: am Anfang. Wie in der Bibel“ (BK 256). 122 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 lich „nie richtig [habe] verlassen können“ (BWM 220), dass „[s]eine Ausreise in die BRD […] nie stattgefunden“ (BWM 50) habe und „[s]eine alte Zeit […] bis zu [s] einer Rückkehr angehalten worden“ sei (BWM 81):

Kuba schlief mit der Hoffnung ein, dass nichts von dem, was er in Deutschland erlebt hatte, wahr gewesen war. Das Land existierte für ihn plötzlich nur in einem Atlas und wurde gelegentlich in einer Zeitung oder in Fernsehbeiträgen erwähnt. Er sprach kein Deutsch, er besuchte die erste Klasse des Lyzeums in Biskupiec und musste jeden Tag von Wilimy nach Czerwonka zum Linienbus trampen oder zu Fuß gehen. Er war wieder sechzehn (BWM 50). Kuba will auch das Messer, mit dem sein Vater seine Mutter umgebracht hat, im Da- dajsee versenken und sich auf diese Weise von seiner Vergangenheit trennen. Er ist sich aber gleichzeitig dessen bewusst, dass eine Rückkehr zu dem alten Leben in der alten Heimat eigentlich unmöglich erscheint: „Die Masuren gab es praktisch nicht mehr, […] und […] Ermländer […] waren keine Deutschen mehr, sondern Bewoh- ner eines wiedergeborenen polnischen Staates auf dem heidnischen Pruzzengebiet der Natanger und Barten“ (BWM 197, vgl. auch BAS 28). Die Masuren seien „ver- schlossene, schwer zugängliche Wesen“ (BAS 148), die „von der Weltgeschichte Ausgespuckten“ (BWM 197), deren Heimat ein „Niemandsland“ (BWM 197, vgl. auch BAS 149) sei. „So ein Ausgespuckter hatte Kuba nie sein wollen“ (BWM 197). Der Protagonist beschreibt seinen Aufenthalt in Deutschland als einen Prozess der Entfremdung von der alten Heimat, in die es kein Zurück mehr gibt: „Die Emigrati- on ist eine Fünfstufenrakete. Eins – man fl ieht; zwei – man gewöhnt sich; drei – man vergisst; vier – man erinnert sich; und fünf – man will zurückkehren, aber es geht nicht mehr“ (BWM 428). Dernicki – wie Arek, die Hauptfi gur des Romans Vom Aufgang der Sonne (2013) – versucht, in das Land seiner Kindheit und Jugend, nach Warmia/Ermland („Warmia und Masuren“ BAS 16), den nicht mehr erreichbaren „Sehnsuchtsort“ zurückzukehren, jedoch ohne Erfolg. Da für den Migranten und Grenzgänger aus Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang (2013) die Rückkehr in das alte ermländisch-masurische Heimatland unmöglich ist, wird der Romanprotagonist zu einem „Zeitreisende[n]“ (BAS 138) und seine Reise in seine alte Heimat somit zu einer „Zeitreise“ (BAS 386), weil er in seinen Erinnerungen an die in Bartoszyce und in Poznań verbrachte Zeit und somit in die polnische Geschichte der 70er und 80er Jahre reist. Für Beckers Protagonisten scheint „eine Rückkehr […] nur in [seiner] Fantasie möglich zu sein“ (BAS 142). Der Schauplatz transkultureller Lebensformen ist in Beckers Texten der ermlän- disch-masurische Raum (die ehemalige nordöstlichste deutsche Provinz), in Anleh- nung an Sławomir Piontek ein „Interferenzraum“ (PIONTEK 2012: 140), ein Gebiet, in dem wechselseitiger kultureller Austausch und gegenseitige Einfl ussnahme stattge- funden haben. In der ermländischen Landschaft, in den Dörfern und Kleinstädten um den Dadajsee, spielen fast alle seine Texte. Der Schriftsteller Becker setzt Heimat mit Provinz gleich und man kann den Eindruck gewinnen, dass er ihre Idyllisie- rung, Mythisierung und – zum Teil – Idealisierung anstrebt. Es ist „ein Dritter Raum imaginärer Geographie“, der „quer […] zu den Realitätszwängen wirklicher Städte, 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 123

Länder und Nationen“ (BACHMANN-MEDICK 1998: 30, 32) zu verlaufen scheint. Die- ser Raum kann auch als Ausdruck von Identität verstanden werden, die andererseits konstitutiv für den Raum sein kann. Obwohl bei der Beschreibung auch feste, konstante Strukturen der Landschaft be- nutzt werden und die Repräsentationsformen der „ermländischen“ Umgebung, mit authentischen Ortschaften und topografi schen Koordinaten in den Texten vermittelt werden, wird der ermländisch-masurische Raum neu konstruiert und verortet. Die ermländisch-masurische Heimat, ein emotional besetzter Ort, der „Sehnsuchtsort“ der Protagonisten, jedoch nicht ohne Schattenseiten, bildet – wie schon oben er- wähnt – einen wichtigen Bestandteil der Identität von Beckers Figuren. Der Raum ist ihr Zufl uchtsort, zu dem sie aus (oder vor) dem „deutschen“ Alltagsleben fl üchten. Warmia/Ermland scheit für ihn ein hybrider kultureller Zwischenraum zu sein, der durchaus auch als ein transkultureller Raum begriffen werden kann. Ostpreußen mit seinen historischen, geographischen, kulturellen und ethnischen Besonderheiten hat in Beckers Prosatexten die Funktion eines besonderen (fast mythischen) Raumes, einer Grundlage, auf der es zur Überlagerung und Vermischung diverser Kulturele- mente kommt. Hier vermischen sich polnische, deutsche, ukrainische und jüdische Elemente sowie die Vergangenheit mit der Gegenwart. Polen, Katholiken, Ostpreu- ßen, Lutheraner, Masuren, Ukrainer und Juden leben auf dem ehemals „heidnischen Pruzzengebiet der Natanger und Barten“ (BWM 197, vgl. auch BK 137). Beckers Texte vermitteln die besondere Atmosphäre dieses palimpsestartig strukturierten kulturellen Grenzraumes, in dem kulturelle Austauschprozesse zwischen Angehöri- gen verschiedener Kulturkreise verortet sind, wo „Norgalls und Dernickis, Schutt- kowskis und Willms, Kolodziejczyks und Burris, Dauters und Drogomirs, Jagusckis und Grinders, Loschs, Jeromins und andere Sippen, deren Vorfahren und Nachkom- men […] alle zusammen […] das ewige Leben“ unter dem „Dadajhimmel“ (BWM 243) lebten. Das ostpreußische Johanniter-Krankenhaus in Dolina Róż (Rosenthal, Bartoszyce-Bartenstein) (Kino Muza, Das Herz von Chopin, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang) diente „den Deutschen und Juden als eine Geburts- und Todesstätte“ (BAS 224): In dem Gebäude sind „Tausende, Abertausende von Menschen […] zur Welt gekommen und gestorben: Deutsche, Polen, Ukrainer und Juden“ (BL 33). Viele Häuser in dieser Grenzregi- on, „die toten Körper der Weltgeschichte“ (BL 51), seien „erheblich älter […] als die Großeltern [ihrer Bewohner] aus Galizien, Litauen und der Ukraine, die man zur Umsiedlung gezwungen hatte“ (BL 51). In den Wäldern begegnet man „längst Verstorbenen“ (BAS 166), in den Kellern und auf dem Dachboden spuken „Juden und Deutsche […] als Dämonen und arbeitslose Engel“ herum (BL 117) sowie die „Wehrmachtssoldaten“, die sich in den „Kellerräumen der ehemaligen Wehr- machtskaserne“ verstecken und „noch immer auf das Ende des Krieges warten“ (BL 133). In dem nahliegenden Lutrysee „wohnen“ „ertrunkene Soldaten und Generäle der Wehrmacht, ertrunkene Fischer […] und Politiker aus Warschau und Olsztyn“ (BAS 327). Die ermländisch-masurische Heimat gewinnt an vielen Textstellen Züge des My- thischen, einer Utopie (vgl. MECKLENBURG 1982: 17f.). Dies geschieht insbesondere 124 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 durch die Evokation spezifi scher sinnlicher Komponente wie Farben, Töne und Düf- te, die auf eine imaginäre, mythische Ebene zurückgehen. Es ist eine ursprüngliche Landschaft, wo die Winter „hartnäckig, das Eis auf dem See hart wie Stein und die Temperaturen auf minus siebenundzwanzig Grad gesunken“ (BWM 17) sind. Eine ikonische Bedeutung wird Naturphänomenen beigemessen. Es riecht „überall nach blühendem Tang und totem Fisch und frisch gewaschener Bettwäsche“ (BWM 42), „nach nassem Gras, Heu und Pfefferminze“ (BK 186) bzw. nach „Heringen, Sauerkraut und Wurstwaren Made in Poland“ (BK 36). Auf den Wiesen grasen „die pomadigen Kühe“ (BWM 51) bzw. „[d]ie Ziegen und die Scha- fe“, (BK 88) in der Nacht „[wetteiferten] Feldgrillen und Hunde […] miteinander“ (BK 86). Der Himmel ist „absolut klar und mit Tausenden von winzigen Sternen übersät“ (BK 86). Die Straßen, „unendliche Baumalleen“ (BAS 155), säumen „hun- dertjährige Linden und Erlen“ (BWM 34), „Moosteppiche und Farnmeere [bede- cken] den Lärchenwaldboden“ (BWM 34). Die Milchstraße ist „als eine graue Gar- dine am hiesigen Himmel deutlich zu sehen“ (BWM 42) und die Welt dreht sich „um einen herum […] im Schrittempo“ (BWM 42). Es ist eine Gegend, in der „die Zeit […] stehen geblieben“ (BK 66, vgl. auch BAS 260) ist und in der die „die Langsam- keit, die schwermütige und zäh fl ießende Zeit […] erbarmungslos herrscht[-]“, eine „Landschaft der verlorenen und eingefrorenen Zeit“ (BAS 155): Die Zeit, die hier „keinen Anfang und kein Ende“ besitzt sowie „keinen Lärm der Weltgeschichte“ mag, „verkroch sich […] in den alten Häusern auf dem ostpreußischen Marktplatz und in den sozialistischen Plattenbausiedlungen“ (BAS 260). Diese heimatliche Landschaft prägt das Gemüt der Protagonisten. Die Natur, wie Kultur und Geschichte verbinden die Menschen in diesen Grenzre- gionen, „in der entlegensten Provinz Polens“ (BAS 382), miteinander. Die natur- wüchsige Landschaft, fern vom Zentrum, in der Peripherie in einem „Niemands- land“ gelegen, steht für Freiheit und Natürlichkeit, für den sozialen Freiraum. In den „regenbogenfarbenen“ (BWM 62) Gärten, die „Rot, Blau, Violett und Gelb […] von weitem ins Auge“ stechen (BWM 62), wachsen „Sonnenblumen und Malven, […] Korn- und Mohnblumen […], Rhabarber“ (BWM 43), „Rittersporn, Kapuzinerkres- se und immer wieder Mohn und Malven und Astern“ (BWM 62). „Feldgrillen, Bie- nen und Hummeln belagerten die Margeriten, den Bärenklau und die Schilfgräser“ (BWM 222). „Das grobmaschige Netz von Sternen und Wolken [ist] […] überwälti- gend“ (BAS 382). Riesige Wiesen brummen „vor lauter Geschäftigkeit den ganzen Tag in der Hitze“ (BWM 222). Es ist eine „toskanische[-] Moränenlandschaft der pruzzischen Stämme“ (BAS 23), wo „der Geruch der Kiefern intensiver“ ist (BAS 47) und man „mit den Maikäfern, Feldgrillen, Ameisen und Staren“ (BAS 177) spre- chen kann. „Ein deutsches Autokennzeichen [sei] hier keine Überraschung […]“ (BZ 131). Die ausländischen Touristen, zu denen „in erster Linie deutsche Touristen oder Exilpolen mit ostpreußischer Herkunft, Devisenbringer“ (BWM 144) zählen, sind „auf der Suche nach neuen Natur- und Hippieparadiesen“ (BWM 52). Der Fixpunkt in Beckers Grenzregion ist seine ermländische Heimatstadt Bartoszyce (ehem. Bartenstein, Rosenthal) (Das Herz von Chopin, Kino Muza, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang), eine „ostpreu- 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 125

ßische Garnisonsstadt“ (BK 47) und von unterschiedlichen kulturellen Traditionen geprägte Region, deren Zugehörigkeit zu den interagierenden konfessionellen, po- litischen und kulturellen Großräumen uneindeutig ist, weil die Grenzen permanent verschoben und dadurch Ausgangspunkte und Ressourcen für die Konstruktion neuer Zugehörigkeiten und Identitäten bereitgestellt wurden. In diesem Raum hat- ten „die Kreuzritter die pruzzischen Heiden, die Barten und Natanger, die Galinder und die Warmier, bekehrt und getötet“ (BK 137) und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Straßennamen durch polnische ersetzt (vgl. z.B. BK 51). Es sei „das Städtchen des Deutschen Ordens und der Kriege Napoleons, Hitlers und Stalins“, „das neue Zuhause der aus Vilnius, Lemberg und der Ukraine Vertriebe- nen oder Gefl üchteten“ (BAS 142). Es ist eine kulturell heterogene, multiethnisch, multikonfessionell und multikulturell geprägte Region mit einer pruzzisch-deutsch- polnischen Vergangenheit, auf die der Schriftsteller Artur Becker in seinen Texten unermüdlich immer wieder anspielt und das Transkulturelle des Grenzraums litera- risch modelliert. Die Hauptfi gur des Romans Kino Muza, Antek Haack/Hak, beschäftigt seit seiner Jugendzeit die in seiner Heimatstadt Bartoszyce (Bartenstein) präsente deutsch-pol- nische Begegnungsgeschichte:

Mal vergrub er sich in alten Stadtplänen von Bartoszyce. Er verglich die alten deutschen Straßennamen mit den polnischen und fragte sich, wer in diesen Straßen, deren manches Haus seit 1945 unverändert geblieben war, einmal gewohnt haben mochte. Er konnte viele Stunden über bräunlichen, vergilbten Fotos verbringen, die ein unbekanntes Gesicht seiner Stadt zeigten. Die Synagoge und das Schloss der Kreuzritter gab es nicht mehr. Aber die eiserne, zusammengenietete Balkenbrücke, die über der Łyna, der Alle, hing, war immer noch da. Sie verband die Altstadt mit der Neustadt, wo die Plattenbauten, die Wohnblöcke und das neue Krankenhaus standen (BK 50f.).

Er hatte in der Schule gelernt, dass seine Stadt einmal Bartenstein geheißen hatte. Er besaß alte Karten mit den ursprünglichen Namen. Aber ganz am Anfang, als Gott Elohim Adam schuf, als die Kreuzritter die pruzzischen Heiden, die Barten und die Natanger, die Galinder und die Warmier, bekehrt oder getötet, […] hieß seine Stadt noch anders: Rosental (BK 137, kursiv im Original). Der ebenfalls aus Bartoszyce stammende Chopin (Das Herz von Chopin) absolvier- te (wie Arek Duszka, der Protagonist des Romans Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang) seine Ausbildung in der Grundschule seiner Heimatstadt, in der „ehemaligen Wehrmachtskaserne“, als „auf dem katholischen Friedhof in der Nähe der ostpreußischen Molkerei […] immer noch Grabsteine mit deutschen Inschriften“ standen (BH 27), was „gute Voraussetzungen [schafft], […] eines Tages ein Bundes- deutscher zu werden, zumindest auf dem Papier“ (BH 26f.). Um dem Stadtbild von Bartoszyce gerecht zu werden, wird auf die Figur des Pa- limpsestes zurückgegriffen. Die kulturellen Vorgänger-Diskurse sind nämlich in die Architektur des Raumes eingefl ossen und verraten ihre Präsenz: Beispielsweise „ein Goethe-Denkmal, das die Ostpreußen vor langer Zeit errichtet hatten“ (BL 24, auch 244), die ehemalige „Ratsapotheke“, in der man jetzt „Strumpfhosen und Da- 126 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 menunterwäsche“ kaufen kann (BL 41), ein mittelalterliches „Kreuzrittertor mit der Turmuhr“ (BL 46, vgl. auch BAS 223), die „angesichts der historischen Tatsachen wenigstens so freundlich [war], praktisch für immer zu verstummen, in einer einge- frorenen Zeit des Deutschen Ritterordens zu verharren und zu schlafen“ (BL 248), oder ein „zerstörtes Schloss der Kreuzritter […] auf einem Hügel“ (BL 62). Der „Pruzzenkönig Widewut“ besucht, „zusammen mit seiner Tochter, der Prinzessin Gustabalda, und seinem Sohn, dem Prinzen Bartel […] von Zeit zu Zeit spontan die deutsche Villa“ im Rosenthaler Wald (BL 242, vgl. auch BK 229, BAS 220), um den Protagonisten Bartek zu treffen. Die Protestanten dürfen „in ihrer eigenen Kirche auf Deutsch singen und beten, und auch die orthodoxen Christen [versammeln] sich jeden Sonntag unter ihresgleichen“ (BAS 223). Der evangelische Gottesdienst, dem „Spitzel des SB“ (BL 107, kursiv im Original) beiwohnen, fi ndet ebenfalls jeden zweiten Sonntag statt, obwohl der Protagonist des Romans Der Lippenstift meiner Mutter „nie eine eindeutige Antwort darauf [bekommt], ob dieser in deutscher Sprache gehalten“ wird (BL 107). Auch Kuba Dernickis Heimatstädtchen, Najdymowo/Neudims mit seiner multieth- nischen Geschichte, wird als ein „Dorf der Ostpreußen und Lutheraner dargestellt, in dem auch Ukrainer und Juden gelebt hatten“ (BWM 197). Najdymowo, das „ost- preußische[-] Geisterdorf am Dadajsee“, ähnelt der versunkenen Stadt Pompeji, des- sen kulturelle Mehrstimmigkeit nur noch in den Ruinen erhalten ist (BWM 243). Am Beispiel der Familiengeschichte von Kuba werden die nationalen Antagonismen des Grenzlandes und sein Konfl iktpotential zwischen unterschiedlichen Herrschafts-, Lebens- und Kulturformen thematisiert. Der ermländisch-masurische Raum kann daher geradezu exemplarisch als Grenzraum im doppelten Sinne – in trennender und verbindender Rolle – betrachtet werden. Kubas deutscher Vater, Adelbert Dernicki, tötet seine polnische Ehefrau aus Eifersucht, was zur unversöhnlichen Verfeindung der beiden Familien führt und wofür er selbst lebenslang ins Gefängnis in Barczewo kommt, „wo auch der Gauleiter Ostpreußens, Erich Koch […] seine lebenslange Strafe verbüßte“ (BWM 22). Der Schriftsteller informiert seine Leser über die Befi ndlichkeiten der deutschen Minderheit in der Volksrepublik Polen:

Es war damals, in der Volksrepublik Polen, nicht einfach, ein Niemiec, ein Deutscher, zu sein […]. Die Jäger von der Warthe nannten ihre Mitbewerber aus dem Westen die Stum- men, niemi – und das vor tausend Jahren, so die Legenden –, weil sie die slawische Spra- che nicht verstanden. Und so ein Niemiec, so ein Stummer, war auch Kubas Vater, der Neudims nach seiner Geburt nie richtig verlassen hatte (BWM 243, kursiv im Original). Das Zentrum der von Becker kreierten „ostpreußischen“ Landschaft scheint der sinnbildlich aufgefasste Dadajsee in Ermland/Warmia zu bilden, der das Ursprüng- liche und Dämonische, das Geliebte und Verhasste symbolisiert. Idyllisch gelegen inmitten freier Natur: „Kormorane, Kraniche und Möwen [fl iegen] zu den Inseln und [planschen] in ihren Uferwassern. Im Schilf [wälzen] sich Hechte und Barsche“ (BWM 53). Die Möwen sorgen „für einen Höllenlärm“ und die „gewaltigen Schwär- me kreischender Vögel [steigen] in die Luft“ (BWM 146). „Auf den Wiesen zirpten 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 127 die Grillen, von weitem ließ sich das Geschnatter und Gegacker der Wildgänse ver- nehmen, die im Schilf mit ihren Flügeln schlugen“ (BWM 172). Die Naturidylle trügt. Der Dadajsee prägt sowohl die Landschaft auf eine mythische Art und Weise wie auch schicksalhaft das Leben der Figuren (z.B. für Kuba Derni- cki ist Dadaj „[s]eine wirkliche Mutter und zugleich [s]ein wirklicher Vater“ (BWM 53f.). Der See, in dem man „Hechte und Barsche“ (BWM 53) fangen kann und des- sen Name „bei den Westbalten »Milch«“ (BWM 31) hieß und dessen Legende „aus der heidnischen Zeit der Pruzzenstämme, die von Kreuzrittern und Polen vernich- tet wurden“ (BWM 31), stammt, sei aber „unersättlich“ (BWM 17), „gefährlich“ (BWM 55), „böse“ (BM 196), „ein rieseriger Soldatenfriedhof“ (BWM 108), und fordert „immerfort neue Opfer“ (BWM 17), „Menschenopfer“ (BM 196): Janek aus der Erzählung Kobra ist ein „Dadajopfer“, er ertrinkt im Dadajsee. „Die Opfer [sind] vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch betrunkene Soldaten und Hochzeits- gäste, Touristen, Tramper und Obdachlose, die es an diesen Ort verschlagen hatte“ (BWM 19f.). Kuba Dernickis erste Liebe, Marta (Wodka und Messer), fl ieht mit ihm zusammen zur Zeit der Solidarność-Bewegung wegen politischer Aktivitäten vor der Staatssicherheit über den gefrorenen Dadajsee, sie bricht ein und ertrinkt dabei. Kubas Reise nach Warmia/Ermland (Wodka und Messer), in das Land seiner Kind- heit und Jugend, wird mit der Reise in das im Roman mehrmals erwähnte Land Ulro von Czesław Miłosz (Ziemia Ulro, 1977) verglichen. Wie bei Miłosz ist es ein „Land der Illusionen, das sich zwischen Himmel und Hölle befi ndet“ (BWM, Glossar, 473). Mit diesem symbolischen Begriff wird die ermländisch-masurische Gegend zur geistigen Heimat der innerlich Verletzten, Entwurzelten und Leidenden, die man aber im Grunde nicht verlassen kann:

Aber jetzt war die Landschaft fest in der Hand von Zockern, Dieben, Betrügern und Spekulanten, die die Gunst der Stunde zu schätzen wussten. Goldgräberstimmung schlug einem an jeder Ecke entgegen. In jedem Dorf, jeder Stadt. Billige Attrappen ahmten Ame- rikas Straßenwerbung nach, und die Supermärkte trugen ausländische Namen: Tesco, Auchan, HIT, Lidl. […] Sein Land hatte eine neue Haut bekommen, […] eine Anferti- gung aus Brüssel (BWM 33). Der Dadajsee an dem „gezeltet, geangelt, Wodka getrunken“ (BD 82) wird, bildet in Beckers Romanen ein Zentrum der Raumtopografi e. Jurek, eine Figur aus dem Roman Der Dadajsee (1997), hasst diesen See, weil er ihn „zum Schwächling hat werden lassen“, er sei zu schwach, „um in der Welt zu überleben“ (BD 176). Der See kann auch Grausamkeit und Brutalität in den Figuren wecken. Kuba Dernicki (Wodka und Messer) spielte in seiner Kindheit mit seinem Freund Leszek in den Da- dajwiesen und im Groß-Ramsauer Wald grausame Spiele, wo sie den Hitler-Bunker nachbauten sowie Minilabolatorien anlegten, die sie „Konzentrationslager nannten und in denen sie die Anatomie der Insekten studierten. Sie experimentierten mit Schmetterlingen, Feldgrillen, Mist-, Kartoffel- und Maikäfern, schnitten ihnen bei lebendigem Leib mit einer Rasierklinge die Beine, Flügel oder Fühler ab […]. Sie beschimpften ihre gefangenen Insekten als Polacken und Zigeunerschweine“ (BWM 76). Der Dadajsee „vergiftet“ Adelbert Dernicki, den Vater von Kuba „mit der Eifer- 128 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 sucht“ (BWM 181), sodass er seine eigene Frau, Kubas Mutter Lucyna, im Suff aus rasender Eifersucht tötet. Jurek wirft den abgeschnittenen Kopf seines Vaters in den Dadajsee, „zu den freien Fischen“ (BD 195). Andererseits fühlt man sich in dem See, der „den heidnischen Namen der Pruzzen“ (BH 82) trägt und in dem „ostpreußische Teufel“ (BH 82) leben, „so leicht und frei“ (BD 151). Die alte Heimat Warmia/Ermland mit ihrem Mittelpunkt, dem Dadajsee, erscheint Beckers Migrantenfi guren als eine utopische Enklave, das auch im deutschen Gast- land Präsenz beansprucht: „Der Dadaj [befi ndet] sich in einem anderen Raum, in einer anderen Zeit, nicht in Polen, Masuren, im Ermland oder auf der Erde“ (BH 188). Für den Protagonisten des Romans Das Herz von Chopin, der im Ausland auch „[s]einen Fluss aus B., die allwissende Alle, die Łyna […]“ (BH 253) vermisst, ist der Dadajsee „eine Zufl ucht“ in seinen Träumen auf der Dachterrasse seines Hauses in Bremen, ohne die er sein „Leben in Deutschland schwer [hätte] ertragen kön- nen“ (BH 188), ein Ort „in einem anderen Raum, in einer anderen Zeit“ (BH 188). Das Land um den Dadajsee ist ein Sehnsuchtsort der Protagonisten (vgl. HEERO 2009), zu dem es aber – nach dem Aufenthalt in der Fremde – kein Zurück mehr gibt. Der Dadaj ist ein mystisches Wesen, das seine eigene Sprache besitzt und mit Menschen sprechen kann. Kuba Dernicki (Wodka und Messer) hält den Dadajsee für „[s]eine wirkliche Mutter und zugleich [seinen] wirkliche[n] Vater“ (BWM 53f.) und ist imstande, mit ihm zu sprechen, weil er „die Sprache des Dadajsees“ (BWM 200), „dieses Katzengeheul“, das ihn „in den Wahnsinn treibt“ (BWM 128), ver- steht. Kuba Dernicki (Wodka und Messer) erkennt den Geruch des Dadajsees, der „genauso intensiv […] wie der Duft der Lärchen und Fichten im Wald“ (BWM 42) ist, sofort nach seiner Ankunft in Wilimy. Der Dadajsee lässt ihn sich von seiner neuen, deutschen Heimat entfremden und sich dessen bewusst werden, dass er seine alte ermländische Heimat eigentlich nie verlassen hat:

Zweibauchnabel! Du denkst, du hast es in deiner neuen Heimat zu etwas gebracht! Eine große Karriere gemacht! Doch du täuschst dich! Wilimy hat auf dich gewartet. Deine alte Zeit ist bis zu deiner Rückkehr angehalten worden, und nun tickt deine hiesige Uhr wieder weiter (BWM 81). Ein wichtiger Punkt in Beckers Warmia/Ermland ist auch das „Kaff“ Rothfl ieß/ Czerwonka (Onkel Jimmy, die Indianer und ich, Die Milchstraße, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang), mit dem „ostpreußischen“ (BM 136) Bahnhof, der das Zentrum des Städtchens markiert und „an dem die Züge Moskau-Paris und um- gekehrt nicht halten“ (BM 136). Die Protagonisten des Romans Onkel Jimmy, die Indianer und ich verlassen ihr ermländisches Heimatdorf Rothfl ieß/Czerwonka und fahren nach Winnipeg. „Und du, du roter Bahnhof, du wirst mir fehlen, weil ich dich liebe, weil du mich stark gemacht hast, für diese Reise, du bist der einzige in meinem Leben, wo immer ich auch meine Reisen beginnen werde – jeder Bahnhof wird Rothfl ieß oder Czerwonka heißen und mit deinem Feuer brennen!“ (BO 42) Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber für Jimmy und Teofi l scheint die Zeit in Rothfl ieß stillgestanden zu haben, wie sie nach ihrer Rückkehr aus Winnipeg in ihr 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 129

Heimatdorf feststellen. Am Bahnübergang in Czerwonka verläuft die Grenze „zwi- schen dem Dadaj- und seinem Schwestersee Lutry“ (BWM 61). Ab und zu entpuppt sich das Arkadische an der Heimat infolge der Konfrontation mit der Realität der Gegenwart als bloße Einbildung. Das Politische wird aber nicht ge- mieden. Becker setzt sich auch mit der ernsten Problematik der jüngsten „ostpreußi- schen“ und polnischen Geschichte auseinander, die ihre Spuren in dieser Landschaft hinterlassen hat. Er porträtiert Käuze und Sonderlinge, wie man sie in der Literatur des Kulturgrenzraums häufi g fi ndet. Die Grenzregion Warmia/Ermland wird als eine deutsch-polnische Erinnerungsland- schaft dargestellt, die von den kollektiven deutschen, polnischen als auch jüdischen Erfahrungen geprägt ist, in der „polnisches und deutsches Gedächtnis ihre Erinne- rungen lokalisieren“ (ŻYTYNIEC 2007: 32). Doch die Spuren der Vergangenheit ver- sucht man zu tilgen. In dem ehemaligen deutschen Hof, wo ein Außenlager des KZs Stutthof und die Häftlinge untergebracht worden waren, gibt es „jetzt Fremdenzim- mer. Der Rasen, frisch gemäht, [lädt] zum Golfen und Purzelbäume-Schlagen ein. Eine Kuh aus Kunstharz, lebensgroß, […] [steht] im Garten“ (BZ 147). „Die meisten deutschen Friedhöfe waren verschwunden. Die Bagger hatten Erde, Grabsteine und Skelette eingeebnet wie eine Müllhalde. Man musste Häuser bauen und brauchte Platz“ (BZ 141). Die Ziegel aus der Mauer wurden „von den Umsiedlern aus Gali- zien, Litauen und der Ukraine abgetragen und für den Bau eines Stalls“ (BZ 161) wieder benutzt. Das Grenzland ist der Schauplatz von kriegerischen Auseinandersetzungen. Nach dem Krieg wütete in den Dörfern eine „rache- und zivilisationssüchtige Befreierbande“ (BWM 324), die Rotarmisten, „die Fahrräder, Armbanduhren und Frauen raubend“ (BWM 324). Die Häuser tragen „mit Fassung Einschussstellen von MG-Salven der Rotarmisten“ (BZ 128). Diese Grenzregion sei ein „von Sturmtruppen zertrampelte[s] Land“ (BZ 166). Der Dadajsee wird als „ein riesiger Soldatenfriedhof“ bezeichnet, weil in „all den vergangenen Jahrhunderten […] über den Eis Soldaten mit Pferden, Kanonen und Fahrzeugen gezogen [waren], um Russland zu besiegen. […] viele er- tranken bei diesen Wintermärschen“ (BWM 108). Die Warschauer Straße in Dolina Róż trug vormals den Namen Adolf Hitlers (BL 35). Auch „Aktionen gegen die Deutschen und Masuren“ (BL 238) werden erwähnt. Die ostpreußische Großmutter des Protagonisten des Romans Der Lippenstift meiner Mut- ter behauptet, „ihre Landsleute, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Rosenthal ge- blieben seien wie sie selbst und sich nicht schriftlich zum Polentum hätten bekennen wollen, habe man so lange gefoltert, bis sie die Erklärung unterschrieben hätten“ (BL 238). In der in den Texten von Becker dargestellten, als entlegene Provinz stilisierten Grenzregion wird „erobert und verkauft, geteilt und geschlagen, […] ein herren- loser Planet“ (BK 206), sie sei „abgelegene, von den großen Nationen schon oft verspottete und verlachte Gegend“ (BL 31), die ein „verfl uchtes Land“ (BWM 83), „Lieblingsfriedhof und Sterbelabolatorium“ (BAS 219) sei, wo „Fischer und Ar- beitslose, Säufer und Taugenichtse, Kinder und Bauern [wohnen], welche die Gänse [füttern] und die Touristen mit frisch gelegten Eiern und kaltem Bier [versorgen]“ 130 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

(BWM 18), „ihre eigene Sprache, die unübersetzbar“ sei (BK 223), sprechen, sich „zu Tode“ trinken oder sich „vor Liebeskummer“ umbringen (BH 23), um auf den dortigen Friedhöfen „mit deutschen, polnischen und russischen Gräbern von Zivi- listen und Soldaten“ (BK 224) begraben zu werden. Für Beckers Protagonisten ist es „das Land der Kindheit und des Sozialismus“ (BAS 43), das in der Zeit ihres Deutschlandaufenthaltes aber zu einem „unerreichbare[n] Planet[en] geworden zu sein“ (BAS 47) scheint. Das kommunistische Polen erscheint als ein Land der Ver- sklavung: einerseits durch den Kommunismus, die „Rote Fahne“ (BH 11, 286), an- dererseits durch den Katholizismus, die Ewige Nacht“ (BH 11, 286). In Bartoszyce „grassieren zwei Krankheiten: der Tod und die Liebe“ (BH 23) und es herrscht „die Ewige Nacht des Dezembers“ (BH 23). Es kommt einem vor, „als würde [man] von November bis Ende Januar am Nordpol wohnen, wo seit Tausenden von Jahren – seit der Sintfl ut quasi – die längste Nacht der Menschheit herrschte“ (BL 25). Da „so gut wie niemand ein Auto [besitzt], […] [marschieren] die Frauen, Männer und Kinder in Dolina Róż jeden Morgen zu ihren Schulen, Fabriken und Büros“ (BL 25) zu Fuß. Polen und mit ihm auch die Grenzregion bekam nach der Wende „eine neue Haut […] – eine Anfertigung aus Brüssel“ (BWM 33). Die Landschaft sei jetzt „fest in der Hand von Zockern, Dieben, Betrügern und Spekulanten (BWM 33) „Hinter jedem Baum spukte es, hinter jedem Baum lauerte ein Zuhälter, ein Wilderer, ein Autodieb, eine Hure, ein Mörder oder eine frische Leiche“ (BWM 34). Auch im Roman Das Herz von Chopin wird der Leser mit einem ähnlichen Polenbild konfrontiert: Polen wird seit 2004 „von der EU und […] der Brüsseler Guillotine enthauptet“ (BH 225). Im Gegensatz zu dem polnischen „sozialistischen Gottesstaat“ (BH 187) erscheint der deutsche Staat dem Protagonisten des Romans Das Herz von Chopin als geldgie- riger „Menschenfresser“ und „Sklavenhalter“, dessen Interesse „nur dem Geldschef- feln“ gilt (BH 36), den man also nur mittels Steuerhinterziehung bekämpfen kann. Angesichts der Öde seiner Existenz in der neuen Heimat steigt Chopins Alkoholkon- sum, von dem er dann zum Drogenkonsum (Marihuana) wechselt.

5.2 Die kulturellen Grenzüberschreitungen und -erfahrungen

Der Begriff der „Grenze“ hat unterschiedliche Bedeutungen: man wird mit unter- schiedlichen „Grenzen“ konfrontiert, mit denen auch verschiedene Erfahrungen verbunden sind. Grenzen können territoriale, zeitliche, existenzielle Beschränkun- gen darstellen. Die Grenzen fungieren als „Demarkationslinien zwischen Vergan- genheit und Gegenwart, zwischen Altem und Neuem“ (HEERO 2009: 208). Es sind spezifi sche Erfahrungsorte und eben diese Erfahrungen der Migranten mit Grenzen sind in vielen Fällen in ihre literarischen Texte eingegangen. Dementsprechend re- konstruiert und refl ektiert die Migrantenliteratur verschiedene Grenzübergänge und -erfahrungen. Die deutsch-polnischen Migrantentexte stellen diesbezüglich keine Ausnahme dar. 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 131

Beckers Romane und Erzählungen spielen auf beiden Seiten der Grenze. Auszug und Heimkehr sind typische Motive seiner Texte und seine Figuren sind Grenzgän- ger, die ständig zwischen ihrer Heimat in Warmia/Ermland und Deutschland, zwi- schen „Staaten, Systemen und Kulturen“ pendeln (MECKLENBURG 2004) und dabei kulturelle sowie gesellschaftliche Grenzen überschreiten. Das Leben der Hauptfi gu- ren ist ein stetiger Wechsel zwischen Polen und Deutschland sowie von Deutschland nach Ermland, was vielleicht durch die eigene Biografi e des Autors angeregt sein mag. Diese Reisen beginnen und enden meistens in Ermland, wie die Reisen in die ermländisch-masurische Heimat in Der Dadajsee. Roman (1997), Die Milchstraße. Erzählungen (2002), Die Zeit der Stinte. Novelle (2006), Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken. Roman (2010), Der Lippenstift meiner Mutter. Roman (2012), Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Roman (2013) oder die Amerikareise Onkel Jimmy, die Indianer und ich. Roman (2001), die Flucht nach Deutschland Das Herz von Chopin. Roman (2008), Kino Muza. Roman (2003). Die Figuren reisen zwar in den Westen (Deutschland, Amerika), kehren aber wiederum in ihre alte erm- ländische Heimat zurück, obwohl eine endgültige Rückkehr unmöglich erscheint. Beckers Helden können sich im Grunde für keine Seite entscheiden, nur für die Grenze, für das ständige Überqueren, Pendeln zwischen den Seiten, zwischen Eige- nem und Fremdem. Die „territorialen“ Grenzen sind in die Landschaft eingeschrieben, deren unzertrenn- bares Element sie sind: Beckers Figuren stammen alle aus dem Grenzland, geogra- phisch aus der Peripherie, und ihr Leben teilt sich stets in das Hier und das Dort. Die Schauplätze seiner Werke liegen meistens in seiner Herkunftsregion Warmia/Erm- land und Masuren, in den Dörfern und Kleinstädten, die nach dem Zweiten Welt- krieg polnisch geworden sind. Die Figuren agieren in der Gegenwart, es wird aber bei Becker immer wieder auf die Vergangenheit angespielt. Dieses Grenzgebiet wird als eine kulturell „gemischte“ Region, als der gemeinsame Kulturraum mehrerer Nationen (Ethnien) betrachtet und dargestellt, der von kulturell „gemischten“ Men- schen bewohnt wird. In Beckers Texten ist die Grenzerfahrung, mit der der Schrift- steller spielt, eine wirkliche, nicht nur eine metaphorische. Das Grenzland wird als eine „gottlose Gegend“ (BH 280) dargestellt, als ein „Nie- mandsland zwischen zwei Staaten, wo kein Fremder je einen Menschen vermuten würde“ (BM 15), „wo einem der Teufel Gute Nacht sagt“ (BM 39) und am Hori- zont „Wachtürme der Grenzposten“ (BM 15) zu erkennen und am Flussufer „Pfade von Soldaten und Schmugglern“ (BM 14) gelegen sind. In diesem „Niemandsland“ (Rothfl ieß) messen „die Uhren die Zeit verkehrt […]: Was Asche ist, wird wieder Mensch oder Tier und Pfl anze, und wer träumen kann, taucht mit Barschen und Ma- ränen in den sonnigen Staub der Nächte ein […]“ (BM 138f.) In dem „Kaff“ Roth- fl ieß/Czerwonka (BM 135), gebe es „nur diesen alten ostpreußischen Bahnhof […], an dem die Züge Moskau-Paris und umgekehrt nicht halten“ (BM 136). Es ist eine Gegend, in der Straßen Sackgassen sind und an „Mauern, Friedhöfen, Kasernen und Wäldern [enden], in denen Mörder Frauen- und Kinderleichen vergruben“ (BH 26). Die zunächst konkreten Grenzübertritte im territorialen Sinne werden oft „zu Model- len oder Metaphern, sei es existentieller, sozialer oder kultureller, stets aber empha- 132 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 tisch verstandener Grenzüberschreitungen. Grenzen überschreiten heißt dann etwa: eigene Befangenheiten überwinden, neue Möglichkeiten erproben oder gewinnen“ (LAMPING 2001: 14). Chopin (Das Herz von Chopin) schwört sich „kurz vor der Grenze, ein besserer Mensch zu werden“ und schmiedet Pläne für seine Zukunft in Deutschland (BH 29). Die Figur aus Beckers Erzählung Kobra (Die Milchstra- ße), Janek Nacktarsch, kehrt nach Hause zurück, um seine tote Mutter zu begraben und noch seinen Namen zu „verpfl anzen“ (BM 220). Er ändert zwar seinen Namen Nacktarsch in Markowski, fi ndet aber an demselben Tag im Dadajsee den Tod. Den Namenswechsel seiner Figur setzt Becker gleich mit einer Grenzüberschreitung, die die radikale Trennung von der Vergangenheit auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Übergang vom Leben zum Tod bedeutet. Für diejenigen Figuren, die die Grenze im Auto überqueren, beginnt nach dem Grenzübergang „die Schlacht mit den LKWs“ (BWM 29) und sie werden mit „gi- gantischen Warnschildern […] über die Unfallopfer“ (BWM 29) sowie mit den am Straßenrand stehenden, aus „Bulgarien oder der Ukraine“ stammenden „Nutten“ (BH 126) konfrontiert. Mit Grenzerfahrungen kann auch Schmerz verbunden sein. Wie beispielsweise im Falle von Beckers Figur Onkel Jimmy, der bei dem Übergang entweder „vor Auf- regung rote Flecken im Gesicht“ (BO 48) hat, „mit den Nerven völlig runter“ (BO 48) ist oder sogar in Ohnmacht fällt und nach dem Erwachen feststellt: „er würde sich fühlen wie Matrioschka, hätte mindestens zehn Arme, Köpfe und Beine, jedoch immer noch nur einen Verstand, und dagegen, gegen diese seltsame Spaltung, könne nur eins helfen, nämlich eine kalte Dusche“ (BO 52). Der Flughafen in Frankfurt, wo die Figuren auf der Rückreise umsteigen, wird zu einem Gefängnis; sie können den Ausgang nicht fi nden, „den Exit, wo ist das verfl uchte Tor zur Welt?“ (BM 136). Der Grenzübertritt ist im Falle von Onkel Jimmy nicht nur auf die Passkontrolle, auf die Begegnung mit der staatlichen Autorität reduziert, es ist die Begegnung mit dem Ungewohnten. Zwei andere Gestalten des Romans, Teofi l und Agnes, verlieren beim Grenzübertritt auf dem JFK-Airport „endgültig den Glauben an alle Götter und höhere Mächte“ (BO 51) und erleben einen Alptraum. Auf der Flucht im Zug in den Westen (nach Westberlin) betrinkt sich Chopin (Das Herz von Chopin) „in Rekord- zeit“ (BH 28) auf der Toilette. Die Grenze passiert er im Zustand einer unter dem Druck des Schaffners künstlich erzeugten Nüchternheit. Sławomir Piontek deutet diesen Grenzübergang Chopins im „Zustand einer künstlichen Wachsamkeit zwi- schen alkoholischer Betäubung und Katzenjammer“ als eine Umkehrung der gängi- gen Symbolik (PIONTEK 2012: 139). Grenzübergange lassen Erinnerungen an die Familiengeschichte, an die Kindheit und somit an die eigenen Wurzeln wach werden. Man gelangt an den Ort, „wo alles begann“ (BZ 126). „Jetzt sind wir in dem Land, wo unsere Mütter geboren wurden“ (BZ 126), meint die Jüdin Mona Juchelka zu dem deutsch-polnischen aus Ermland stammmenden Chrystian Brodd. Über die Grenze kehrt man „an den Ort seiner Kindheit“ (BZ 136) zurück, wo man sich „zu Hause und gleichzeitig fremd“ (BZ 140) fühlt. Diesen scheinbar unerlässlichen Schritt, eine wichtige, zu erledigende Aufgabe zugleich, tun fast alle Figuren Beckers. Boreas/Tobias – der in der neuen 5. Artur Becker und die deutsch-polnischen Zwischenräume 133

Heimat, in Deutschland, geborene Sohn des Protagonisten der Novelle Die Zeit der Stinte Chrystian Brodds „ist der erste Brodd, der nirgendwohin zurückkehren muss“ (BZ 137). Das Grenzgebiet wird von hybriden, aber auch skurrilen Gestalten bewohnt, wie beispielsweise von der hexenartigen Frauengestalt aus der Erzählung Der Pass (Die Milchstraße), die bei Stopki, an der Grenze zwischen Polen und Russland lebt und über die vielen Kriegs- und Vertreibungsopfer, die unter der Erde liegen, Wache hält und Ukrainisch spricht sowie „polnisch, aber mit einem Akzent, [der] aus der Ge- gend von Lemberg bekannt war“ (BM 15). Die Grenzregion, in der sie lebt, war das Objekt militärischer Auseinandersetzungen zwischen Staaten und ist durch die (po- litischen) Umstände zum Todesstreifen, einer Übergangszone zwischen Leben und Tod, Raum des Sterbens und des Todes geworden. Es ist eine Region, wo verschiede- ne Ethnien ihre kulturellen Spuren hinterließen und an ihre gemeinsame Geschichte erinnern, worauf im Kap. 5.1 der vorliegenden Publikation näher eingegangen wird. Der Begriff „Grenze“ muss nämlich nicht unbedingt im Sinne der Trennung, sondern vielleicht vor allem im Sinne der kulturellen Transgression, der Osmose, gedeutet werden (vgl. FABER/NEUMANN 1995; KOSCHORKE 1990; GÖRNER 2001; DÜSSEL/EDEL/ SCHÖDLBAUER 2001). Jede Grenze hat auch viel Verbindendes für beide durch sie ge- trennten Bereiche. Grenzen trennen zwar, sie verbinden aber auch. So ist die Grenze, wie Dieter Lamping mit Recht betont, nicht nur der Ort der Unterscheidung, der Abgrenzung, sondern auch der Ort des Übergangs, der Annäherung, der Mischung (LAMPING 2001: 13). Die Grenzen können zum Ort der Kommunikation werden. Ohne ihren Übergang, ihre Überwindung ist die Grenze selbst kaum denkbar.

6. Radek Knapp - ein österreichisch- -polnischer Grenzgänger

Radek Knapp, wie Becker Chamisso-Preisträger (2000), 1964 in Warschau geboren, wuchs bei den Großeltern in Polen auf, wanderte 1976, seiner Mutter folgend, nach Österreich aus. Knapp studierte Philosophie an der Wiener Universität und arbeitet seit seinem literarischen Debüt (Franio, 1994), mit dem er den „aspekte“-Litera- turpreis des ZDF für die beste deutschsprachige Prosaveröffentlichung des Jahres gewann, als freier Schriftsteller. Im Jahre 2001 wurde der Schriftsteller für seinen Roman Herrn Kukas Empfehlungen, mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet. Radek Knapp schreibt über sich selbst, dass er, als er „vor genau 35 Jahren nach Wien und somit zu [s]einem persönlichen und höchst privaten Kakanien“ kam, „den Mund“ habe halten müssen, weil er nur „zwei Sätze auf Deutsch“ beherrschte, die er „in polnischen Kriegsfi lmserien aufgeschnappt hatte“, und wo er gleich – wegen sei- ner mangelnden Kenntnisse des Wiener Dialekts – als „Nichtwiener“ entlarvt wurde (KNAPP 2011: IV).132 Der Schriftsteller deutet auch oft und gern auf seine „slawischen Wurzeln“ hin (u.a. KNAPP 2011: IV). Er funktioniert als „Pendler zwischen zwei Kul- turen“, für den „Wien und Warschau zu einer Stadt zusammengeschmolzen“ [sind], „die eben aus zwei ganz verschiedenen Teilen besteht“ (KNAPP 1996b: 147). Wie Becker betrachtet auch Knapp das Deutsche als seine Arbeitssprache (KNAPP 1996b: 147) und pendelt ununterbrochen – wie er es selbst bezeichnet – zwischen zwei Kul- turen: „der unverbrauchten und etwas chaotischen slawischen und der westlichen, die sehr geordnet, aber manchmal auch ein bisschen langweilig ist“ (WÖRGÖTTER 1997: 8). Die Gegenüberstellung der beiden Welten ist auch in seinen Texten Franio, Herrn Kukas Empfehlungen und Gebrauchsanweisung für Polen, in denen er sich mit seinem Herkunftsland Polen sowie mit seiner neuen Heimat, Österreich bzw. Westeuropa, literarisch auseinandersetzt, das zentrale Thema, wobei sich seine ironi- sche Distanz zu den beiden von ihm beobachteten und erfahrenen kulturellen Wirk- lichkeiten bemerken lässt. Der Schriftsteller und literarische Kulturvermittler kennt die Kontraste zwischen den beiden Kulturen: Seine Prosawerke, sind eine ironisch- kritische Refl exion über die eigentümlichen sozial- und kulturspezifi schen Differen- zen der beiden kontrastierten Gesellschaften, Polens und Österreichs, oder besser

132 So Knapp: „Der erste Satz lautete: „Wo ist der Sturmbannführer Stettke?“ und der andere „Mein Gewehr hat eine Ladehemmung““ (KNAPP 2011: IV). 136 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 des sog. Westens und Ostens. Zu den hervorstechenden Merkmalen der literarischen Werkstatt von Knapp gehört der Gebrauch von klischeehaften Elementen, die er be- wusst und konsequent in seine Texte einbaut, mit denen er permanent spielt, um daraus literarische Figuren, ihre Charaktere und Handlungsstränge zu konstruieren. Die Klischees sind Teil einer wirklichen – wenn auch übertriebenen – Erfahrung und Knapps ironisches Spiel mit ihnen seine literarische Reaktion auf bestimmte fest- gefahrene Vorstellungen. Wenn die Rezipienten schon nahe daran sind, den Autor wegen der verwendeten Stereotype zu kritisieren, zeigt er uns mit Hilfe seines satiri- schen Humors, dass er sich selbst darüber lustig macht. Die erzeugte Situations- und Charakterkomik mildert die Wirkung der Verallgemeinerung. Zur humoristischen Strategie seiner Texte (insbesondere des Romans Herrn Kukas Empfehlungen, auch Gebrauchsanweisung für Polen) gehört nämlich die Demaskierung von Stereoty- pen. Der Autor erzielt seine Effekte bewusst, Naivität der Darstellung simulierend, scheint die Klischees fast zu akzeptieren, er bauscht sie gleichzeitig so auf, dass die darin steckende Absurdität klar wird. Die kalkulierte Ironie (auch Selbstironie) und Absurdität ermöglichen eine erneute, aufmerksamere Lektüre. Knapps Leser werden sozusagen gezwungen, den Gegenstand, die landläufi gen kollektiven oder individu- ellen Vorstellungen und Vorurteile sowie die stereotype Sichtweise der sog. west- und osteuropäischen Beziehungen zu überdenken. Die Ironie, dank der sich der Autor von der politisch-sozialen Wirklichkeit sowie von nationalen Zuordnungen distanziert, scheint ein charakteristisches Merkmal von Knapps Schaffen und Lebenseinstellung überhaupt zu sein. Der Schriftsteller nimmt beispielsweise auch mit Distanz und Ironie Stellung zu seiner Position als Grenzgän- ger in den deutschsprachigen Massenmedien:

Ferner hatte man uns [in der Warschauer Schule – Verm. AP] beigebracht, dass im al- ten Kakanien so viele Nationen unter einen Hut gebracht waren, dass es schon fast an ein Wunder grenzte, dass sie sich überhaupt untereinander verständigen konnten. […] Anfangs hatte ich von diesem neuen Kakanien erwartet, dass man zumindest in seiner Hauptstadt Wien in vielen Sprachen redete. Ich hätte somit reichlich Gelegenheit, meine slawischen Wurzeln zu pfl egen. Aber leider hatte auch hier die Zeit das ihre getan. Das einst reiche Sprachreservoir war auf eine Grundsprache geschrumpft, die zwar offi ziell Hochdeutsch hieß, praktisch aber nicht vorhanden war. Das Hochdeutsch […] wurde in mehrere Dialekte aufgesplittert, die seitdem in den diversen Bezirken ein durchaus üppi- ges Dasein fristen. Kurzum: In Wien herrscht eine Dialektvielfalt wie im Kongobecken, und naiv ist derjenige, der glaubt, überall mit gleichem Erfolg durchzukommen. So rätsel- haft der Wiener Dialekt auch war, so schnell wurde mir klar, warum er erfunden wurde: um jeden Nichtwiener zu entlarven (KNAPP 2011: IV). In Kurze Geschichte meiner Sprache erklärt Radek Knapp seine Entscheidung, lite- rarisch in der deutschen Sprache tätig zu sein:

Ich habe in der Fremde eine Sprache gefunden, die mir auf den Leib geschnitten ist. Ich werde sie zwar nie so gut beherrschen wie meine Muttersprache, aber ich werde sie im- mer dann benutzen, wenn von meinen Gefühlen die Rede sein wird. Sie ist inzwischen nicht nur zu meiner eigenen Sprache geworden, sie ist der rote Faden, der mich zwischen 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 137

den Kulturen führt, in denen ich lebe. Ich weiß, sie wird mich, und ich werde sie nicht im Stich lassen (KNAPP 1998: 8). Knapp gibt keine präzise Auskunft darüber, warum er ausgerechnet in der deutschen Sprache, und nicht in seiner Muttersprache, seine persönlichen Gefühle und Erleb- nisse ausdrücken kann und will. Der Gebrauch der deutschen Sprache, Knapps Ar- beitssprache (KNAPP 1996b: 147), ist aber auch in der Möglichkeit begründet, in Westeuropa literarisch tätig zu sein und ein größeres Lesepublikum anzusprechen.133 Das Leben in verschiedenen Sprachen und Kulturen ermöglicht den Migrantenau- toren, in die Rolle eines Vermittlers zwischen Kulturen und Sprachen zu schlüpfen. Der Schriftsteller Radek Knapp weigert sich nicht, auf seine Herkunft hinzuweisen. Er betont sogar sein Polnischsein und übernimmt anscheinend gern die Funktion eines literarischen Kulturvermittlers. Knapp macht seine polnische Herkunft zum Markenzeichen seiner schriftstellerischen Tätigkeit, um sich wahrscheinlich auf die- se Weise innerhalb des deutschsprachigen Literaturbetriebs zu positionieren. Seine schriftstellerische Integrationsstrategie beruht auf dem Bekenntnis zum Eigenen. Seine Themen und Schauplätze (Franio, Herrn Kukas Empfehlungen, Gebrauchs- anweisung für Polen) scheinen offensichtlich autobiografi sch geprägt zu sein und liegen in Polen, dem Ort seiner Kindheit (Franio, Gebrauchsanweisung für Polen), oder in Wien, der Stadt, wo er jetzt wohnt (Herrn Kukas Empfehlungen). Knapps Figuren bewältigen den Weltenwechsel zwischen Ost und West (Franio, Herrn Ku- kas Empfehlungen). Die Relation zwischen dem Differenten wird selbst zum Thema (Franio, Herrn Kukas Empfehlungen, Gebrauchsanweisung für Polen). Der Schriftsteller hat bereits drei Romane (Herrn Kukas Empfehlungen, 1999; Der Papiertiger, 2003; Reise nach Kalino, 2012), einen Erzählungsband (Franio, 1994) und einen essayistischen Reiseführer (Gebrauchsanweisung für Polen, 2005) auf Deutsch veröffentlicht. Dem polnischen Publikum ist der Name Knapp inzwischen auch bekannt: Der Roman Herrn Kukas Empfehlungen wurde 2003 von Sława Li- siecka ins Polnische übersetzt. Die polnische Übersetzung des Erzählbandes Franio (von Radek Knapp und Marek Szalsza) erschien 1995 in Poznań im Verlag Kantor Wydawniczy SAWW. Es ließ sich aber nicht feststellen, in welchem Ausmaß Knapp an dieser Übersetzung beteiligt war. Knapp selbst hat 2004 die Selbstübersetzung von Franio auf den polnischen Büchermarkt gebracht. Knapps letzter Roman Reise nach Kalino erschien in der polnischen Übersetzung 2014.134 Als Radek Knapp 1994 mit dem „aspekte“-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet wurde, reagierten die deutschsprachigen Literaturkritiker auf Knapps literarisches Debüt anerkennend und verwendeten Bezeichnungen wie: „begnadeter Erzähler“ (HORN 1994), „genuiner Erzähler“ (FIAN 1995a: 12), „brillantes Debüt“ (ROTHENBÜH-

133 „Es ist ziemlich wichtig, dass man eine Weltsprache beherrscht, wenn man schreiben will. Wie ein Wissenschaftler [...] muss ich Bücher von Autoren, die mich interessieren, lesen, wenn sie gerade erschienen sind. Das ist im Polnischen unmöglich, auch heute noch“, meinte Radek Knapp in einem Interview aus dem Jahr 1996 (KNAPP 1996b: 147f.). 134 KNAPP, Radek (2014): Podróż do Kalina, übers. von Anna Makowiecka-Siudut. Katowice: Wydawnictwo Sonia Draga. 138 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

LER 1995), „ein seltenes, ganz eigenständiges Talent“ (OHRLINGER 1994: VI), „eine Karriere-Explosion“ (STROHAL 1995: 7). Auf der anderen Seite kritisierten manche Rezensenten die Figurendarstellung als „eindimensional und klischeehaft“ (VERTLIB 1995: 86) und die Form als „altertümelnde Schwelgerei und schepperndes Wortge- klingel“ (OHRLINGER 1994: VI), „überstrapazierte Bilder und abgedroschene Phra- sen“ (VERTLIB 1995: 86). Die Rezensenten charakterisierten den Erzählband Franio als „skurrile Dorfgeschich- ten“ (ANONYM 1995), „humorvoll“ (ZOBL 1994: 5), „altmodisch“ (REICHENSPERGER 1995: 7), deuteten auf „Groteske“ (OHRLINGER 1994: VI), und „Skurrilität“ (vgl. SPIE- GEL 1994: 73f.; STROHAL 1995) hin und betonten die Ähnlichkeiten mit Sławomir Mrożek und anderen „Ostblock-Satirikern“ (STROHAL 1995). Man betonte „den kind- lich-fremden Blick auf das Vertraute, oder richtiger: die ironische Simulation dieses Blickes“ (KEHLMANN 1999: 9). Knapp sei ein Schriftsteller, der „sehr bewusst seine Effekte aus der Vortäuschung von Naivität gewinnt“ (KEHLMANN 1999: 9). Wie seine Schriftstellerkollegen Artur Becker und Dariusz Muszer wird auch Radek Knapp von der deutschsprachigen Literaturkritik oft mit stereotypen Erwartungs- haltungen („Migrationshintergrund“) konfrontiert und somit auf seine nationale und kulturelle Herkunft bzw. sein kulturelles Grenzgängertum reduziert. Diese „Schub- lade“ scheint aber den Autor Knapp nicht zu stören. Ganz im Gegenteil. Er betont nämlich sein Polnischsein und macht es sogar zum Markenzeichen seiner schriftstel- lerischen Tätigkeit. Und dementsprechend wird er von seinem deutschsprachigen Lesepublikum und auch von der Kritik rezipiert. Schon sein Debütband wurde von den deutschsprachigen Kritikern als „eine Auseinandersetzung mit dem Herkunfts- land“ bezeichnet (VERTLIB 1995: 85f.). Radek Knapp wird von der Kritik als „der polnische Schriftsteller“ (vgl. BITTER 2012), der „polnische Dichter mit Wohnsitz in Wien“ (NAPETSCHNIG 2012: VI), „der austro-polnische Autor“ (WALLNER 2008: 16), „der polnisch-österreichische Schrift- steller“ [(MAK) 2008: 28, vgl. auch: GSTETTNER 2012; MENSING 2005: VI], „Wanderer zwischen zwei Welten“ (MENSING 2005: VI), „ein sympathischer und witziger junger Pole“ (FELDMANN 1999: 104) betrachtet, der „das Zusammentreffen zweier Kultu- ren“ (TOMASOVSKY 2007: 19) thematisiert und eine „große Gabe als Geschichtener- zähler“ besitze (KRAFT 2000: 37), „der in Wien lebende deutsch schreibende Pole“ (SZ 1999: IV), der seine „Helden auf den schmalen Grat zwischen den Kulturen, zwischen Vorurteil und Wahrheit“ (BLAZON 2001: 14) schickt und als Grenzgänger „die gleiche Distanz“ sowohl zum Westen wie auch zum Osten hält (PLATH 2005: 46) und dabei die schon vorhandenen Bilder von Ost und West entkerne und sie „mit ironischen Indizes“ versehe (PLATH 2005: 46). Der Schriftsteller, „ein waschechter Wiener“ (CERNY 2006) vermische „seine osteuropäischen Wurzeln mit den Erfahrun- gen in der westlichen Welt“ (GSTETTNER 2012). Knapp spielt „das geistreiche Spiel mit dem stereotypen westeuropäischen Blick“ (MENSING 2005: VI). Auch auf die kulturelle Vermittlerfunktion des Schriftstellers Knapp wird hingewie- sen. Knapp erzähle, wie z.B. in seinem Roman Herrn Kukas Erzählungen, „vom Leben in Osteuropa lange vor dem Mauerfall bzw. von den Erfahrungen der Prota- gonisten als Ankömmlinge im freien Westen“ (HENSEL 1999: 62f.). Der „distanziert- 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 139 belustigte, aber nie hämisch-aggressive Blick des ‚Fremdenʻ auf das deutschspra- chige ‚Eigene‘“ sei das literarische Verfahren in Knapps Texten (UFFELMANN 2003: 28). Die Literaturkritiker verweisen darauf, dass dank dem Roman Herrn Kukas Empfehlungen die deutschsprachigen Leser die „vertraute Welt mit fremden Blick wahrnehmen können“, weil der Text „auf ironische, unsentimentale Weise von der ganz anderen Welt der Arbeitsmigranten, der sogenannten ,illegalen Ausländer‘“ er- zählt (FELDMANN 1999: 104). Manche Kritiker stellen Radek Knapp eindeutig als einen „polnischen Schriftsteller“ (FUNCK 2003: 13; FRITSCH 1995: 95) bzw. „polnische[n], auf deutsch schreibende[n] Erzähler“ (SPIEGEL 1994: 74) dar, der aber (so Sibylle Fritsch) „zur Creme der öster- reichischen Autorenschaft“ gehöre (FRITSCH 1995: 95). Andererseits fungiert Knapp als „der österreichische Schriftsteller“ (KIJOWSKA 2005: 32), der über „ein beacht- liches satirisches Talent“ (KIJOWSKA 2005: 32) und „viel Wortwitz“ (BLAZON 2001: 14) verfüge. Man deutet auch auf Knapps „augenzwinkernde Ironie“ hin (NÜCHTERN 1995). Wie im Falle von Artur Becker machen die Kritiker auf die biografi schen Bezüge in Knapps Roman Herrn Kukas Empfehlungen und Papiertiger aufmerksam (vgl. TOMASOVSKY 2007: 19; PLATH 2005: 46). Seine Vorbilder sollen, laut Jörg Plath, aus „tschechischen Schelmenromanen“ stam- men (PLATH 2005: 46), womit der Kritiker vermutlich vor allem auf Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk von Jaroslav Hašek verweisen will, dessen Protagonist sich wie Knapps Waldemar (Herrn Kukas Empfehlungen) mit List und Witz durchs Leben schlägt. Der Roman Herrn Kukas Empfehlungen wird von der Kritik als „Schelmenroman“ (vgl. u.a.: ALBATH 1999: 7; FELDMANN 1999: 104; SCHMID 1999: 35) bzw. als „Bildungsroman“ (vgl. SPIEGEL 2001: IV; FELDMANN 1999: 104) einge- stuft. Die besondere Qualität von Knapps Texten liegt „allerdings weniger in der Handlungsführung als vielmehr in der quicklebendigen Sprache“ (SCHMID 1999: 35). Laut Ulrich Schmid dürfte sich der „frech-frische Ton, der die stilistische Dominante dieses Textes [Herrn Kukas Empfehlungen, Franio – Verm. AP] ausmacht, […] bald zu Knapps literarischem Markenzeichen entwickeln“ (SCHMID 1999: 35). Die pro- phetischen Worte des Rezensenten aus dem Jahre 1999 haben sich tatsächlich erfüllt. Die Tendenz der Literaturkritik, das Erzähltalent des Autors Knapp hervorzuhe- ben, ist besonders stark ausgeprägt. Man lobt insbesondere seinen Debüterzählband Franio: „ungeheuer komische“ (ROTH 1994: III), „charmant erzählte“ (FELDMANN 1999: 104), „liebenswerte, wundersam-skurrile“ (SPIEGEL 1994: 74), „wundersam- magische“ (WERTH 1999: V1/4), „pfi ffi g aufpolierte Dorfgeschichten in charmantem Tonfall eines längst verschollenen Erzählens“ (NÜCHTERN 2003: 57), die gutes Er- zählen und ausgefallene Charaktere“ (WIRTZ 1999: L5) und „das Polnisch-Kauzige“ (ALBATH 1999: 7) zu bieten haben. Mit seinen Erzählungen, die „raffi niert in ihrer Einfachheit“ (LÖHNDORF 1994: 40)135 seien, habe „ein seltenes, ganz eigenständiges Talent auf sich aufmerksam gemacht“ (OHRLINGER 1994: VI). In Bezug auf den Er-

135 Vgl. auch: „[…] Franio […] bewegt sich in jenem heute selten begangenen Reich einfacher, wiewohl nicht unraffi nierter Geschichten […]“ (ROTH 1994: III). 140 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 zählband Franio schreibt die Literaturkritik von einer „Apotheose des mündlichen Erzählens“ (NÜCHTERN 1995) und deutet auf Knapps „unbändige Freude am Fabu- lieren“ hin (OHRLINGER 1994: VI) sowie auf die Tatsache, dass der Schriftsteller, ein „geborener Erzähler“ (BUTTERWECK 1994: 22) sei. Man betont die „raffi nierte Einfachheit“ seiner Sprache (BUTTERWECK 1994: 22) und verweist auf die „gut ge- launten, unkomplizierten“ Sätze (Franio) (LÖHNDORF 1994: 40). „Sein Stil ist nicht prunkend, er kriecht nicht in die Seelenwindungen seiner Figuren hinein. Er betrach- tet sie von außen, und das aufs genaueste“ (LÖHNDORF 1994: 40). Antonio Fian meint, dass Knapps Erzählen „in ein anderes Jahrhundert gehört“ und dass „ein genuiner Erzähler hier am Werk ist“ (FIAN 1995b: 102). Das, was Fian nicht ganz gefällt, ist das „Beharren des Autors auf der Fortsetzbarkeit einer Erzähltradition, die, wie er zweifellos weiß, so ungebrochen nicht ist“. Ein Autor, „von seinem Format“, solle darüber nachdenken, „in welcher Form sich gegenwärtig noch erzählen läßt“ (FIAN 1995b: 102). Der Schriftsteller Knapp ist, laut Hubert Spiegel, ein Erzähler, der „die Figur des lächerlichen Helden“ liebt, die „an den kleinen Widrigkeiten des Alltags“ scheitert, ein Erzähler, der gerne zeigt, dass „die Gemütlichkeit auch ihre diaboli- schen Seiten“ hat (SPIEGEL 2001: IV). Es fi nden sich auch vereinzelt negative Kritikstimmen: Franio sei beispielswei- se eine Geschichte, wo „aus Stimmigkeit und Eleganz ganz schnell altertümeln- de Schwelgerei und schepperndes Wortgeklingel“ werden (OHRLINGER 1994: VI). Antonio Fian bemerkt „kleine[-] Nachlässigkeiten“, „überfl üssige[-] Attribute[-]“, „funktionslose[-] Füllsätze[-]“, die „ein aufmerksamer Lektor leicht hätte eliminie- ren können“ (FIAN 1995b: 102). Knapps zweiter Roman, Papiertiger, wurde von der Kritik vorwiegend negativ beurteilt: man verweist auf den „hölzernen“ Erzählton, auf die Tatsache, dass die Handlung „die Überraschungsqualitäten einer Vorabend- serie“ besitze (PLATH 2003: 32, vgl. auch: OLSCHEWSKI 2003b: 35) und das Werk eine „eher pfl ichtschuldig abgelieferte literarische Konfektionsware“ sei (BARON 2003: 4). Die Kritik bemängelt einerseits „holzschnittartig“ angelegte Figuren, „holprige“ und „bemühte“ (OLSCHEWSKI 2003b: 35), „mit Gymnasiastenhumor gespickte“ Di- aloge (NÜCHTERN 2003: 57), auf der anderen Seite lobt man „vorzügliche Dialoge“, die „nach der Bühne rufen“ (PATSCH 2003: 16). Der Schriftsteller Radek Knapp genießt seit seinem Debüt im Literaturbetrieb die Anerkennung des deutschsprachigen Lesepublikums und der österreichischen und deutschen Rezensenten. In der 2005 von Milo Dor herausgegebenen Anthologie der nach Wien (nach Österreich) zugereisten Autorinnen und Autoren wird Radek Knapp in eine Reihe u.a. mit Vladimir Vertlieb, Dimitré Dinev, Doron Rabinovici, Denis Mikan gestellt, mit Autoren also, die sich „inzwischen einen Namen gemacht [haben], sodass sie zur österreichischen Literatur gehören, obwohl das von manchen ‚Patriotenʻ nicht gern gesehen wird“ (DOR 2005: 10). 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 141

6.1 Zur Identitätssuche von Knapps Migrantenfiguren

Die Handlung des Debüterzählbandes Franio (1994) spielt hauptsächlich in der Ort- schaft Anin, die zum Inbegriff der polnischen Provinz wird. Alle Figuren stammen aus dem polnischen Kulturkreis und auf diese Weise erscheint ihre Identität fest, die Kultur eindeutig. Sie tragen typische polnische Vor- und Nachnamen, die auf ihre ethnische und kulturelle Zuordnung verweisen136 und agieren eingebettet in dem kulturell polnischen Raum. Durch die Typizität der Handlungsfi guren sowie der Na- men anderer im Text erwähnter polnischer Städte (Anin, Warschau, Posen, Lublin, Krakau, Ratibor, Tschenstochau) werden der Handlungs- und dadurch auch der Kul- turraum unverkennbar lokalisiert. Franio, die Titelfi gur, „ein Analphabet“ (KF 61), behauptet, seine Heimat verlassen und die nationale sowie kulturelle Grenze überschritten zu haben. Franio reist zwar durch Zufall nach Wien („schwarz mit einem Zug“, KF 55), freut sich aber deswegen (der Protagonist wollte nämlich „schon immer das Grab von Kaiser Franz Joseph sehen“, KF 55) und ist von der Schönheit der Stadt beeindruckt:

Wien ist [...] schöner als Warschau, schöner als Krakau..., die Straßen sind voller Men- schen, die nichts anderes tun als herumspazieren und die Auslagen anschauen. Wenn ih- nen langweilig wird, kaufen sie sich ein Eis und essen ganz langsam. Die Leute scheinen es dort überhaupt nicht eilig zu haben. […] Wahrscheinlich arbeiten sie gar nicht, denn die meisten sitzen in Kaffeehäusern oder fahren mit der Straßenbahn herum. Obwohl sie nicht arbeiten, hat dort jeder einen Titel (KF 55). Das Leben dort scheint ihm „viel interessanter“ zu sein, und die Menschen „viel besserer Laune […] weil sie nicht einfach Nowak oder Kilinski heißen…“ (KF 56). Franio beobachtet das Leben in Wien, das im Text zum Modell der modernen Welt, einer Metropole, dem Ort kultureller und zivilisatorischer Überlegenheit wird, und nimmt seine Identität in einem neuen größeren Kontext wahr. Die im „fremden“ Westen gesammelten Erfahrungen teilt er nach seiner Rückkehr nach Polen seiner Familie und Bekannten mit. Doch seine Reise nach Wien entpuppt sich als eine von ihm erdachte Lügengeschichte (KF 93). Eine andere Figur des Erzählbandes, der Automechaniker Lukas, der bei den Frauen „ungewöhnlich beliebt“ ist (KF 109), schmiedet zwar Pläne, nach Paris, Berlin, Prag oder London zu fahren, um die dortigen Frauen zu erobern, verlässt aber sein Hei-

136 Z.B.: Nowak (Herr Trombka und der Teufel), Bogumil Trombka, Koralik (Herr Trombka und der Teufel), Malinka (Herr Trombka und der Teufel), Miodek (Herr Trombka und der Teufel), Maniek (Herr Trombka und der Teufel, Julius geht nach Hause), Smolny (Herr Trombka und der Teufel, Der Komet, Julius geht nach Hause), Motill (Herr Trombka und der Teufel), Franio (Franio), Antoni Muschek (Franio, Der Komet), Wacek (Franio), Janek (Franio), Frantischek (Franio), Maj und Majowa (Franio), Lukas (Der Komet), Ludmilka (Der Komet), Krysia, Monika, Sosia, Kamila (Der Komet), Julius (Julius geht nach Hause), Kasia, Lusia (Julius geht nach Hause), Sawka (Julius geht nach Hause), Pasur (Schwager Wilhelm), Felix (Schwager Wilhelm), Mostek (Schwager Wilhelm), Hanka (Schwager Wilhelm), Jola (Schwager Wilhelm). 142 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 matstädtchen nicht. Der Gemüsehändler Maniek fährt nach Deutschland und kommt nach zwei Tagen mit einem (vorn) fehlenden Zahn wieder zurück. Die einzige Figur, die ihre Heimat verlässt, um ins Ausland zu fahren, ist der Bäcker Mostek. Er besucht Wien, „wo er dem Begräbnis seines Schwagers Wilhelm“ (KF 138) beiwohnt. Mostek schwärmt von seiner Wien-Reise, den Kaufhäusern, dem Sarkophag der Kaiserin Maria Theresia, der Kathedrale im Stadtzentrum, dem An- sichtsturm an der Donau. Die „Weltstadt“ Wien (KF 138) dient als Projektionsfl äche für eigene (unbewusste) Wünsche: „In Sachen Kultur hinken wir [die Polen – Verm. AP] mindestens um dreißig Jahre nach“ (KF 144); „Das weiß doch die ganze Welt, dass die Wiener Spitäler die besten sind“ (KF 143). Der seit zwanzig Jahren in Wien lebende Verwandte Wilhelm wurde angeblich in seiner Wahlheimat regelmäßig von zwei Banditen überfallen, wobei er sein rechtes Auge sowie seinen rechten Arm verlor, um im Endeffekt mit seinem Briefmesser getötet zu werden. In Wirklichkeit verstümmelt Wilhelm seinen Körper selbst, weil er „nur mehr Ekel gegen [s]einen Körper“ (KF 150) verspürt und auf diese Weise Selbstmord begeht. Das „westliche“ Begräbnis ist „ein richtiges Fest. Wie eine Hochzeit bei uns“ (KF 140). Die einzige Figur Knapps, die migriert, ihre Heimat verlässt, um in dem neuen, fremden Kulturkreis ihre eigene Identität zu fi nden versuchen, ist der Ich-Erzäh- ler des Romans Herrn Kukas Empfehlungen (1999). Der „Ostler“ Waldemar/Waldi (KHK 37) verlässt das vertraute eigene nationale und kulturelle Universum und fährt in den Westen, um auf diesem Wege die eigene Identität zu fi nden. Waldemar ist von der Welt der „Westler“ (KHK 38) fasziniert. Als Sinnbild des Westens gilt im Roman die österreichische Hauptstadt. Wien wird zum Zentrum und Modell für die moderne, westliche Welt, die vom Konsum bestimmt ist, aber zugleich zum Raum von Wunschträumen wird. Die Wiener Realien werden zu Symbolen von allgemei- ner Bedeutung. Das kulturell „Eigene“ wird im Roman sehr stark dem „Anderen“ gegenübergestellt, wobei dem „Anderen“ die Eigenschaften eines „Besseren“ zuge- schrieben werden. Zu den Merkmalen, die untrennbar mit dem Wienbild und somit mit dem Bild der anderen Kultur zusammenhängen sind vor allem: die Sauberkeit, „eigentümliche, unerklärliche Langsamkeit“ (KHK 38) die Höfl ichkeit der Wiener, der spezifi sche Lebensstil und die Eleganz der großen Welt. Die Wiener Lebensart, die traditionsreiche Stadt und deren Lebenswelt wirken sich auf den Ich-Erzähler aus. Beim Eintritt in die Ordnung der neuen Kultur und im Prozess der Akzeptanz der Werte dieser Gesellschaft spielen erlernte Fähigkeiten eine wesentliche Rolle. Der Protagonist lernt allmählich die neue Kultur kennen. Die Spannung zwischen dem Eigenen und dem Fremden ist aber nicht leicht auszuhalten und ruft auch existen- tielle Angst vor dem Scheitern hervor. Der junge Mann, der sich auf dem Weg zu menschlicher und zugleich kultureller Vollwertigkeit befi ndet, muss sich in der für ihn anfangs feindlichen und bedrohlich erscheinenden Umwelt bewähren, um am Ende dieser Übergangsphase ein vollkommenes Individuum zu werden, das mit wichtigen Normen und Werten der Gesellschaft vertraut ist. Diese „Abhärtung“ ist ein wesentliches Merkmal kultureller Initiation. Der Protagonist muss (als Ausländer in Wien) ums Überleben in der westlichen Welt kämpfen. Der naive, unerfahrene 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 143

Mensch muss sich bewähren und versucht sein Glück in allen möglichen Unterneh- mungen. Im Westen, in der Fremde, wird er zum Außenseiter und ist gezwungen, mit illegalen oder halblegalen Mitteln zu überleben. Er wird durch den Existenzkampf im Westen und andere Notlagen zum Handeln gezwungen. Er tut dies ohne besonde- ren Plan, sondern von Fall zu Fall, von Not gedrungen. So muss er zuerst im Freien auf einer Bank im Park übernachten, erlebt als ein Ausländer bei der Arbeitssuche im Westen absurde Rückschläge, lernt „Toleranz und Demut“ (KHK 95) sowie den Ar- beiterstrich kennen, wird von seinen Landsleuten und Einheimischen betrogen, trifft die Wiener Skinheads, die ihn verprügeln wollen und berichtet über die Befi ndlich- keit des Fremden im schönen Westen, die Befi ndlichkeit einer „slawischen Seele“ im Ausland. Durch seine Erfahrungen bereichert und korrigiert er seine ursprünglichen Vorstellungen vom „Westen“, die ihm sein heimatlicher Mentor Kuka vermittelt hat. Die kulturelle Herkunft der Protagonisten scheint am Anfang eine Rolle zu spielen, kulturelle Differenzen zwischen dem kulturell „Eigenen“ und dem „Fremden“ wer- den markiert. Waldemar ist als kulturell Fremder äußerlich ebenfalls „stigmatisiert“: Seine polnischen Turnschuhe bilden Stigmata in der westlichen Wiener Konsumwelt, die ihn in der „fremden“ Welt gegenüber den Touristen besonders auffällig werden lassen: „Zwar besaß ich keine Sony-Kamera, keine Goretex-Jacke, nicht mal eine Sonnenbrille, aber dafür hatte ich dem österreichischen Fremdenverkehr zwei wach- same Augen und meine Tennisschuhe mit schwarzem Rand anzubieten“ (KHK 66). Die „Ostblockschuhe“ (KHK 90) werden als ein wichtiges Signal in der westlichen Welt betrachtet, das von der Umwelt sofort als etwas „Nicht-Eigenes“ entschlüsselt wird: „Wenn du es hier zu was bringen willst, musst du in deine Schuhe investieren. Mit denen hier kommst du gerade am Arbeiterstrich durch“ (KHK 114) – erfährt der Hauptheld von einem erfahrenen Landsmann, dessen Schule schon „westlich“ aussehen: „Westqualität. Braunes Leder. [...] er hatte keine Jeans an, sondern eine alte Cordhose. Von jemandem wie ihm konnte man wirklich etwas lernen“ (KHK 115). Dieses Stück Kleidung symbolisiert den Status des vollmündigen Bürgers der westlichen Kultur, der am äußeren Erscheinungsbild abgelesen werden kann. Der Prozess der Aneignung des Fremden als Individuationsleistung vollzieht sich aber unaufhaltsam und der Protagonist beginnt neue Schuhe zu tragen, die er von seinem deutschen Mitbewohner Lothar geliehen bekommt. Im Verlauf des Selbstfi ndungsprozesses erweitert Waldemar seinen sozialen und kulturellen Erfahrungshorizont. Sinn und Bedeutung der Symbole des neuen Kul- turraumes müssen erlernt und in ihrem Gebrauch erprobt werden. Waldi muss die Fremde und die neuen Kulturcodes „zähmen“ lernen. Interesse verdient in diesem Zusammenhang die spielerische Verwendung des Begriffes „Lipizzaner“, durch die mit ironischer Distanz die jugendliche (und kulturelle) Naivität der Hauptfi gur her- vorgehoben wird. „Lipizzaner“ – das Symbol der Spanischen Hofreitschule und der österreichischen Tradition – wird dem Ich-Erzähler vor seiner Reise nach Wien als „ein österreichisches Spezialdessert“ empfohlen, das man „unbedingt bestellen“ soll, wenn man in einem Kaffeehaus ist (KHK 13). Der Empfehlung folgend versucht der Protagonist, dies im Kaffeehaus Aida zu bestellen. Die Kellnerin „lächelte [ihn] an, als wäre [ihm] ein ganz guter Witz gelungen, und sagte: ‚Wäre ein bisschen zu groß 144 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 für diese Karte, fi nden Sie nicht?‘“ (KHK 79). Erst am Ende seines Wienaufenthaltes wird dieses Missverständnis aufgeklärt: zum Geburtstag bekommt er „ein kleines Pferd aus Porzellan“, „kein Pferdchen, sondern ein[en] Lipizzaner“ (KHK 238). Das Wiener Kaffeehaus, das das wichtigste Symbol der sog. Wiener Art, eine Institu- tion, die untrennbar mit dem Stadtbild verbunden und eine Kulturform ist, an der ein Individuum, unabhängig von seiner ursprünglichen kulturellen Zugehörigkeit teil- haben kann, erfüllt im Prozess der Aufnahme in (eine) andere Kultur sowie bei der Erweiterung der kulturellen Identität eine wichtige Funktion. Der Besuch in einem Kaffeehaus ermöglicht dem Ich-Erzähler sogar eine Identifi kation mit der „anderen“ Kultur. Waldemar besucht das Kaffeehaus Aida in der Nähe des Stephansdomes, weil er „endlich wie ein Wiener an einer Melange nippen“ will (KHK 72). Er fühlt sich wohl in diesem „berühmten, traditionsreichen Wiener Kaffeehaus“ (KHK 82), atmet „die gleiche Luft wie die reichen Westler“ (KHK 81) und bestellt eine „köst- liche Mehlspeise“, nämlich die „Kardinalschnitte“ (KHK 78). Die rosa Innenaus- stattung des österreichischen Cafés, die „fl inke“ Bedienung und die „professionell fotografi erten Torten und Eisdesserts“ (KHK 79) in der Menükarte vermitteln dem Helden ein „Glücksgefühl“ (KHK 81). Dank dem Kaffeehaus-Besuch in Wien über- windet er sein „Fremdsein“ und in einem Brief an seine Eltern in Polen schreibt er, dass er sich „schon ein bisschen wie ein echter Wiener“ fühlt (KHK 82). Der Migrant Waldemar bemüht sich, seinen eigenen Lebensweg zu fi nden, entwi- ckelt dabei eigene Sozialbeziehungen und wächst allmählich in die neue Kultur hinein. Der Protagonist gewinnt neue Freunde außerhalb von Familie und Heimat und bekommt die Möglichkeit, die eigene Vergangenheit aus kulturvergleichender Sicht heraus zu bewerten und frühere Bedeutungen zu überprüfen. Waldemar wird inzwischen ein „großer Wienexperte“ (KHK 198), fi ndet endlich eine Stelle als Ver- käufer in einem Spielzeugladen, tauscht die Bank im Park gegen eine bessere Un- terkunft ein, wohnt zur Untermiete bei seinen in der Fremde gefundenen Freunden: einem Polen (Bolek) und einem Deutschen (Lothar), der in Wien Medizin studiert, Polnisch spricht, ein raffi nierter und erfolgreicher Ladendieb ist und zum Urheber eines absurden Banküberfalls mit einer Wasserpistole wird, an dem Waldi ebenfalls teilnimmt. Hier wird man mit dem nächsten Aufnahmeritual in die Welt der Erwach- senen konfrontiert: Der Protagonist entdeckt in der kulturell neuen Welt die eigene Sexualität und erlebt ein fl üchtiges sexuelles Abenteuer mit einer Landsmännin, die seine Mitbewohner als eine spezielle Überraschung zu seinem Geburtstag engagie- ren. Der bisher unerfahrene Jüngling wird von ihr verführt. Seine Liebeserlebnisse sind aber nicht nur auf das Sexuelle reduziert, er lernt in der kulturell neuen Welt die wahre Liebe kennen. Diese Liebe kann eigentlich als ein ent- scheidender Faktor beim Eintritt des jungen Mannes in die Ordnung des neuen Kul- turraumes und im Prozess der Akzeptanz der neuen Werte betrachtet werden. Irina erinnert ihn an die Herbstgrazie im Belvedere-Springbrunnen, in dem er am Anfang seines Aufenthaltes in Wien badet. Die symbolische Berührung des Marmorbau- ches dieser Skulptur des Springbrunnens im Belvedere-Park hat – am Anfang seines Wienaufenthaltes – die „gute Laune“ des Protagonisten zur Folge (KHK 81). Wegen ihrer verblüffenden Ähnlichkeit mit der Herbstgrazie aus dem Belvedere-Park hilft 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 145

Irina als identitätsstiftendes Bindeglied zwischen der traditionsreichen kulturellen Vergangenheit und der Gegenwart der Aufnahmegesellschaft dem Protagonisten bei seinem letzten Individuationsschritt. Der Ich-Erzähler kann damit eine Synthese von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fi nden und einen erheblichen Schub in sei- ner kulturellen Entwicklung erfahren. Die Schlussszene des Romans hat somit eine symbolische Bedeutung: Waldemar und Irina stehen gemeinsam im Springbrunnen im Park Belvedere. Er stellt sich selbst und Irina Fragen nach dem wahren Grund seiner Reise, dem Sinn seiner Grenzüberschreitung. Irina, die „Zwillingsschwester“ der „dreihundert Jahre alte[n]“ Grazie aus Marmor (KHK 246), fl üstert dem Verlieb- ten den Zweck seiner Reise zu: „Um hier zu sein“ (KHK 251). Die Wiener Kulisse ermöglicht dem polnischen Migranten Waldemar, seine Identitätssuche erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Der Aufenthalt in Wien hat die durch die Begegnung mit dem „kulturell Anderen“ hervorgerufene Veränderung seiner Selbstidentität zur Folge. Das Ziel der Bildung eines neuen, integrierten transkulturellen Selbst des Protagonisten scheint damit erreicht zu sein, die wichtigen Individuationsschritte – „Geburt als Individuum“, „Geburt als Erwachsener“ und „Geburt als Weltbürger“ – sowie der Wandlungsprozess seiner Persönlichkeit werden vollendet (MACHLEIDT 2007: 15). In seinen nächsten literarischen Texten scheint der Schriftsteller Knapp nicht beson- ders an der Identitätsproblematik seiner Figuren interessiert zu sein. Die Hauptfgur des Romans (der fünf eher lose miteinander verknüpften Erzählungen) Der Papier- tiger. Eine Geschichte in fünf Episoden aus dem Jahre 2003, die die Rezensenten als eine Satire auf das Schriftstellerdasein und den Literaturbetrieb bezeichnen (vgl. z.B.: POPP o.J.), der dreißigjährige, in Wien wohnende Walerian Gugania, dessen Name „wie das Pseudonym eines Clowns aus einem ungarischen Zirkus“ (KP 13) klingt, schlägt sich als Krankenpfl eger, Wärter eines Paviangeheges, Weihnachtsen- gel der Firma „Schenken von Oben“ durchs Leben, bis er eines Tages mit seinem Text „Papiertiger“ einen renommierten Literaturpreis gewinnt und somit zu einem „an einer Debütantenallergie“ (KP 102) leidenden Schriftsteller wird. Im Roman fi nden sich jedoch keine schlüssigen Indizien dafür, dass der Protagonist über einen Migrationshintergrund verfügt. Die Migrantenfi guren prägen aber das Wiener Stadtbild im Text. Sie sind vorwie- gend den unteren Schichten der Gesellschaft zugehörig. Ein Wiener Taxi wird von einem dunkelhäutigen Ausländer (KP 32) gefahren und im Krankenhaus arbeiten „Krankenschwestern aus Polen“ (KP 102). Bei der Firma „Schenken von Oben“, de- ren Konkurrenzfi rma „Kinderhimmel“ „vorwiegend russische Weihnachtsmänner“ (KP 29) anstellt, bewerben sich um eine eher schlecht bezahlte Arbeitsstelle neben Walerian auch Migranten, „Engelsanwärter“, aus „Ex-Jugoslawien“ (KP 23), Philip- pinen und „dunkelhäutige Kandidaten“ (KP 24) sowie solche mit einem „litauischen Akzent“ (KP 25). Der Chef der Firma, der angeblich schon jahrelang mit Ausländern arbeitet, spricht wie seine Arbeitnehmer ein fehlerhaftes Deutsch, indem er – ähnlich wie die Figuren der Grenzkontrollbeamten im Roman Herrn Kukas Empfehlungen – u.a. nicht-konjugierte Verbformen (Infi nitiv-Gastarbeiterdeutsch) gebraucht, weil er inzwischen nicht „wie ein Mensch“, sondern „wie ein litauischer Weihnachtsmann“ 146 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

(KP 26) zu reden gelernt hat. Diese Stilform soll – ähnlich wie im Roman Herrn Kukas Empfehlungen – provozieren, weil auf diese Weise Stereotype in Bezug auf die Fremden angedeutet werden, wie z.B.:

Ich brauche Engel, weiß wie Mehl und unterernährt. Jedenfalls nicht schwarz wie Teufel. Wie in unsere europäische Bibel – verstehen oder nicht verstehen? (KP 24) Ihr arbeiten bis 22 Uhr und morgen schlafen wieviel wo ihr wollen! (KP 25) Ihr geht mit Fuß zu Arbeit. Frische Luft für euch (KP 25). Ihr können mit Taxi zu erste Adresse. Rest Füße (KP 26). Da in diesem unterhaltsamen Roman aber vor allem das ironische Bild der uner- warteten Schriftstellerkarriere eines jungen Mannes im Mittelpunkt steht, wird die kulturelle Bindung des Protagonisten nicht thematisiert. Der Leser erfährt nur, dass Guganias Familie in Wien wohnt. Die österreichische Hauptstadt ist Walerians Le- bens- und Erfahrungsraum, ein Bezugsort, an dem er sich heimisch fühlt. Der Debü- tant selbst startet seine Schriftstellerkarriere mit einer anschließenden Lesereise im deutschen Literaturbetrieb. Im Jahr 2005 erschien in der vom Piper Verlag herausgegebenen Reihe „Gebrauchs- anweisung für…“, die inzwischen mehr als 100 Titel verzeichnet, die meist mit iro- nischem Unterton in die Besonderheiten eines bestimmten Landes oder einer Stadt einführen, Gebrauchsanweisung für Polen, eine Sammlung von neunzehn Geschich- ten, die offenkundig für das deutschsprachige Lesepublikum, für „Westeuropäer“ (KGP 25) bestimmt sind. Der Adressatenkreis lässt sich vor allem daran erkennen, dass Radek Knapp das Bild Polens – Osteuropas – mit Westeuropa konterkariert und – wie in Franio oder Herrn Kukas Empfehlungen – immer wieder diejenigen Stereo- type und Vorurteile aufgreift und behandelt, die im deutschsprachigen Kulturkreis fungieren. Die Gebrauchsanweisung für Polen ist ein literarischer Reiseführer für deutschsprachige Reisende, in dem Knapps detailreicher ironischer Blick von außen auf längst Vertrautes fällt. Knapps Gebrauchsanweisung lässt sich mit Polski Tango von Adam Soboczynski vergleichen. Wie Soboczynski bringt auch Knapp in seinem Reisetext – dank der informationsvermittelnden Funktion dieser Textsorte – nicht nur politische bzw. his- torische Themen, sondern auch soziokulturelle Aktualitäten Polens zur Diskussion. Die beiden Reiseberichte sollen also sowohl über das bereiste Land, über die Menta- lität der Bewohner, ihre Kultur, manchmal auch über die Geschichte Auskunft geben als auch über „das kulturelle Selbstverständnis des reisenden Autors […]“ (WOLTING 1998: 324). Der Text soll ein Medium für das Verstehen der polnischen, allgemeiner gesagt, der „slawischen Seele“ (KGP 7, 9, 10, 24) darstellen. Er soll Neugier auf das Nachbar- land wecken, denn „[e]s sind immer die Neugierigen gewesen, die sich in Polen am wohlsten gefühlt haben“ (KGP 11). Durch die Lektüre soll der westeuropäische Leser nicht nur eine andere – die polnische – Welt kennen lernen, sondern sich selbst und die eigene Welt aus einer anderen Perspektive wahrnehmen. Man muss aber auch betonen, dass es sich – sowohl in Polski Tango von Soboczyn- ski als auch in Knapps Gebrauchsanweisung für Polen – um literarische Kunstwer- 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 147 ke, um eine Mischung aus exakter Informationsvermittlung und bewusster Subjekti- vität der Auffassung des Autors handelt, der sich einer essayistischen Schreibweise bedient. Dem Erzähler fehlt der fremde, distanzierte Blick und er verzichtet auf sys- tematische und erschöpfende Analyse des Sachwertes zugunsten einer assoziativen, das Thema „Polen“ von verschiedenen Seiten belichtenden Gedankenfügung. Anders aber als Adam Soboczynski in Polski Tango befi ndet sich der Erzähler von Gebrauchsanweisung nicht auf der Suche nach der eigenen Identität, weil diese fest- gelegt zu sein scheint, sondern schlüpft in die Rolle des Kulturvermittlers, der einem westeuropäischen Leser seine „Neugier an dem Land an der Weichsel“ (KGP 11) zu wecken hilft. Es sind subjektive Aufzeichnungen von polnischen Städten und Landschaften, die die Erzählerfi gur für sich neu zu konstruieren scheint, indem dem deutschsprachigen Leser sozusagen ein alternativer Blick auf die bekannten polni- schen Orte geliefert wird. In Gebrauchsanweisung für Polen identifi ziert sich der Erzähler mit seiner polni- schen Heimat und dem polnischen Kulturkreis, indem er sich im Vorwort an seine „lieben und widerspenstigen Landleute“ (KGP 7) richtet und die Personalpronomen „wir“, Refl exivpronomen „uns“ sowie Possessivpronomen „unser“ verwendet, wo- mit in erster Linie seine Identifi zierung und Solidarisierung mit „[s]einen Landsleu- ten“ (KGP 144) zum Ausdruck gebracht werden soll (vgl. KGP 7, 10, 100, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 154). Der Erzähler erinnert sich an seinen polnischen Großvater (KGP 130f.), seine polnische Schulzeit und an die „Jungs in [s]einer Schulklasse“, die in zwei bekannte Repräsentantinnen Polens, entweder in Pola Negri oder Gräfi n Maria Walewska, verliebt gewesen seien (KGP 105), sowie an seine erste große Lie- be, die in Polen, „dort, in einem kleinen Dorf […] geschehen [ist], und seitdem kann [er] es [sich] nirgendwo anders vorstellen“ (KGP 113). Dieses in der polnischen Heimat des Erzählers stattgefundene Ereignis wird zu einem wichtigen identitäts- stiftenden Ritual. Im Herbst 2012 wurde der bisher letzte Roman von Radek Knapp veröffentlicht: Reise nach Kalino. Wie im Falle des Romans Papiertiger wird der kulturellen Iden- tität des Protagonisten sowie seiner Herkunft keine besondere Bedeutung beigelegt, was als ein Versuch des Schriftstellers, seiner Schubladisierung als Autor „mit Mig- rationshintergrund“ und Kulturvermittler zu entkommen, gedeutet werden kann. Der Protagonist, ein Privatdetektiv, dessen ethnische oder kulturelle Herkunft nicht ein- deutig identifi zierbar ist, Julius Werkazy kann sich mit seinem Namen, dem „zwei- felhaften Pseudonym“, mit dem ihn „eine bösartige Macht“ (KRK 5) bedacht hat und der eine individuierende Manifestation der eigenen Identität sein sollte, nicht identifi zieren und vermeidet es sogar, am Telefon seinen Namen zu nennen. Werkazy wird in eine futuristische Stadt gerufen, die „vollkommen abgeschottet von der Au- ßenwelt“ (KRK 12) ist, um einen Mord aufzuklären. Die Parallele zu Alfred Ku- bins Die andere Seite (1909) ist hier offensichtlich. Kubin thematisiert in seinem phantastisch-symbolischen Roman die Reise des Ich-Erzählers ins Traumreich bzw. in die Traumstadt „Perle“ irgendwo im fernen Asien, die von Claus Patera gegründet worden ist. Patera herrscht wie ein Zauberer aus seinem gigantisch-stummen Palast durch einen magisch-hypnotischen Seelenbann über seine Untertanen. Die von ihm 148 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 selbst ausgewählten Menschen leben, vom Rest der Zivilisation abgeschirmt, un- ter ständig trübem Himmel, wo alles in ein gleichförmiges Grau getaucht ist. Der scheinbar normale Alltag ist geprägt von einer düsteren Atmosphäre und absurden, makabren Situationen, sowie sinnloser formalistischer Bürokratie. Knapps Kalino ist ebenfalls hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen, von einem „Zaun, der extremes magnetisches Feld erzeugt“ (KRK 13) umgeben, durch den „kein Signal rein- oder rauskommt“ (KRK 13). Der Zaun, eine Trennwand, kann als eine An- spielung auf den ehemaligen Eisernen Vorhang, eine Barriere zwischen den Ein- fl usssphären der ehemaligen Sowjetunion und Westeuropas, der West- und Ostkultur interpretiert werden. Die scheinbar perfekten Kalinianer, die in einer geschlossenen, hoch technisierten Welt leben, werden täglich dem Prozess der „Extraktion“ (KRK 32), dem „Heilungs- prozess“, unterzogen. Sie sind makellos schön, sportlich, denken rational, kennen keine Verbrechen und keine Krankheiten, lernen sich mittels Computer-Simulationen kennen, essen hochwertige Nahrung und altern nicht. Sie wissen nichts vom Tod und halten sich für unsterblich. Kalino ist eine Stadt des Konsums und des Schönheits- wahns. Dies kann als eine Satire auf die „westliche“ Konsumkultur gelesen werden. F. Osmos ist – wie Kubins Claus Patera – der Gründer und absolute Herrscher der Stadt Kalino, einer von der Welt isolierten Metropole, eines Zerrbildes der westli- chen Wohlstandsgesellschaft.137 Der Name der Stadt soll m. E. an osteuropäische Städte erinnern.138 Osmos will die Lebenskultur seiner Stadt nach außen bringen und aus allen Menschen Kalinianer machen, weil „die Nachfrage nach Kalino […] rie- sengroß“ (KRK 224) sei und alle Menschen „ein hübsches Gesicht und das Gefühl [wollen], dass sie so bis in alle Ewigkeit weitermachen können“ (KRK 224). Wie Herkules Bell, die Figur aus dem Roman von Alfred Kubin, kommt der Privatdetek- tiv Julius Werkazy in die Stadt, um eine Revolte gegen die Macht Osmos’ in Gang zu bringen, die zum Untergang des Reiches beitragen soll. Knapps Reise nach Kalino kann als Kriminalroman (Detektivroman), satirische Ge- sellschaftsutopie und als Schelmenroman, eine für Knapps Schaffen charakteristi- sche Gattung, zugleich angesehen werden. Die Auseinandersetzung mit der kultu- rellen Identität der Figuren bzw. ihrer Kulturzugehörigkeit hat in diesem Text keine Priorität mehr. Die Erklärung dafür kann vielleicht in dem Versuch des Autors, seine Schubladisierung zu überwinden und neue Wege in seiner schriftstellerischen Tätig- keit zu beschreiten, gefunden werden.

137 Seinen eigenen Worten zufolge will Knapp „die westliche Wohlstandsgesellschaft aufs Korn“ nehmen (zit. nach: AXMANN 2012). 138 Die Rezensenten platzieren die Stadt Kalino „im Osten“ (vgl. FRANSSEN 2013; FERK 2012). Rudolf von Bitter identifi ziert den Protagonisten Julius Werkazy erstaunlicherweise sogar als einen Polen (vgl. BITTER 2012). Tatsächlich sind alle in Wirklichkeit existierenden Ortschaften namens „Kalino“ in Osteuropa vorzufi nden: in Polen, Bulgarien und in Russland. 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 149

6.2 Knapp und die „Exotik des europäischen mittleren Ostens“139

Der Schriftsteller Radek Knapp, der das sog. Osteuropa als seine Heimat betrach- tet (vgl. WALLER 2012), ist starken polnischen sowie deutschen und österreichischen Kultureinfl üssen ausgesetzt und übernimmt – sowohl bei seinen öffentlichen Auftrit- ten als auch in seinen Texten – die Rolle eines Kulturvermittlers zwischen Ost und West, zwischen dem deutschsprachigen (also westeuropäischen) und dem polnischen Kulturraum. Sowohl seine fi ktionalen Texte (Franio, Herrn Kukas Empfehlungen) als auch der Band Gebrauchsanweisung für Polen, der eher einen Ratgeber-Charak- ter hat, sind von Auseinandersetzungen und dem Zusammenspiel des deutsch- und des polnischsprachigen kulturellen Kontextes geprägt. Dementsprechend entwirft er in drei Erzähltexten - in den Erzählungen Franio (1994), dem Roman Herrn Kukas Empfehlungen (1999) und dem essayistischen Reiseführer Gebrauchsanweisung für Polen (2005) – ein literarisches Bild seiner Heimat, wobei er sich gern deutscher Polen-Klischees bedient. Die von dem Schriftsteller angenommene Kulturvermitt- lerrolle beeinfl usste auch seine literarische Werkstatt. Knapp baut nämlich in seine Texte bewusst gewisse stereotype Elemente ein, die auf bestimmte Erscheinungen der Kultur oder auf ein Gruppenphänomen seiner alten und neuen Heimat zielen, geht mit dem deutschen (bzw. österreichischen) Polenbild spielerisch um und seine ironi- sche Distanz zu den von ihm beobachteten kulturellen Wirklichkeiten wird deutlich erkennbar. Wie schon erwähnt, macht Knapp von manchen Stereotypen Gebrauch, spielt damit, um daraus literarische Figuren, ihre Charaktere und Handlungsstränge zu konstruieren. Der Schriftsteller sucht dabei einen komischen Effekt zu erreichen. Die Klischeehaftigkeit und Eindimensionalität der Figuren, die manche Literaturkri- tiker dem Schriftsteller zum Vorwurf machen, und die damit verbundene Ironie, Ko- mik, manchmal Groteske, scheinen ein bewusst von Knapp gewähltes schriftstelleri- sches Verfahren zu bilden. Als „Ostler“ (KHK 37) geht Knapp auf die Vorstellungen und Erwartungen seines deutschsprachigen (westeuropäischen) Lesers ein: Seine li- terarischen Texte, die die Ost-West-Kulturbeziehungen thematisieren (Franio, Herrn Kukas Empfehlungen, Gebrauchsanweisung für Polen), sind Texte über (nationale) Stereotype, über stereotype (individuelle oder kollektive) Vorstellungen eines West- europäers über Osteuropa (und umgekehrt), über – laut Maciej Drynda – „gar nicht so weit entlegene[-] Exotik des europäischen mittleren Ostens“ (DRYNDA 2010: 341). Die deutschsprachige Literaturkritik nimmt merkwürdigerweise das z.B. im Erzäh- lungszyklus Franio dargestellte Polen-Bild ernst, als würde es fast der Wirklichkeit entsprechen (vgl. z.B. ZOBL 1994: 5; VERTLIB 1995). Richard Reichensperger stellt in seiner Rezension in Bezug auf den Zyklus sogar die Frage: „Ist das, lieber Radek Knapp, nicht etwas viel Idylle, im Verhältnis zu einem Polen, das in wirtschaftlicher und angeblich auch in moralischer Krise steckt?“ (REICHENSPERGER 1995: 7)

139 DRYNDA 2010: 341. 150 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Die Handlungskulisse im Debütsband Franio (1994) bildet ein dörfl ich-kleinstäd- tisches „kleines Nest namens Anin“ (KF 11), angeblich in der polnischen Provinz, obwohl es nur „fünfzig Kilometer von Warschau“, der Hauptstadt Polens entfernt ist (KF 11). Es handelt sich um ein vergangenes und verklärtes polnisches Kindheits- land. Die Zeitbestimmung ist vage, Realität vermischt sich mit Magie und Über- natürlichem, das Komische mit Tragischem und Groteskem, was zur literarischen Stilisierung gehört. Der Schriftsteller kennzeichnet die polnische Provinz als einen idyllischen, gemütlichen Ort, voller Naturschönheit. Um diese rückständige Gegend, wo „sogar die Wolken anders sind als überall sonst“ (KF 131), macht „der Fort- schritt aus irgendeinem Grund einen Bogen“ (KF 46). Dem Leser wird auf der einen Seite der Konservatismus und die Rückständigkeit des Polenbildes vermittelt, auf der anderen die ursprüngliche und heile Welt der polnischen Provinz, wo „hundert Gläubige“ (KF 11) in einer einzigen Kirche beten, in der Schule statt Biologie im- mer noch Anatomie unterrichtet wird, die meisten Häuser „mit schwarzer Teerpappe gedeckt“ (KF 37, 64) sind und „die Lokomotiven noch mit Kohle angetrieben“ (KF 10) werden, der Schnellzug aus Krakau jeden dritten Tag durchfährt, wo man nicht viel von Großstädten hält, weil da „Menschen zu Alkoholikern und Atheisten“ (KF 12) und die Selbstmörder „außerhalb der Friedhofsmauer bestattet“ (KF 26) werden. Mit dem Bild der polnischen Provinz ist bei Knapp das Motiv der katholischen Kir- che und der stereotypen polnischen Volksfrömmigkeit aufs Engste verbunden. Man- che Figuren verbringen ihre Freizeit gerne in dem einzigen Dorfl okal, wo sie mit Vorliebe Grasovka bestellen. Die klischeehafte Wodkafl asche wird vom Autor als Requisit relativ oft gebraucht (u.a.: KF 8, 128, 130, 131), wobei der Wodka selbst in Gebrauchsanweisung für Polen beispielsweise als „kein primitives Alkoholgetränk, sondern auch ein Symbol für die slawische Offenheit“ (KF 90) fungiert. Zu der von Knapp dargestellten Welt der polnischen Provinz hat große Politik keinen Zutritt: „Wir wussten nur vom Hörensagen, dass in Warschau Aufmärsche organisiert und begeisternde Reden gehalten wurden. Man sah im Fernsehen berühmte Namen, die in dicken Lettern über den Schirm fl ackerten“ (KF 46f.); „Es waren große Namen, die da draußen die Welt veränderten. Bei uns lösten sie Ratlosigkeit aus. Wir konnten uns nichts darunter vorstellen und schalteten gleich auf das andere Programm, in der Hoffnung, dass dort eine brasilianische Serie laufen würde“ (KF 47).140 Knapp übt auf humorvolle Weise Kritik an politischen oder gesellschaftlichen Vorgängen in Polen, wie z.B. im Erzählband Franio an angeblichem Analphabetismus, mangeln- dem Arbeitsethos, Privilegiertheit der katholischen Kirche und Moral ihrer Priester, Alkoholismus, Intoleranz der polnischen Gesellschaft, gesellschaftlichem Neid u.a. Ein besonders beliebtes, von dem Autor in Franio, Herrn Kukas Empfehlungen und in der Gebrauchsanweisung für Polen stereotyp verwendetes Motiv ist das des Storches. Der Storch hängt im deutschen kulturellen Code eng mit der polnischen kulturellen Landschaft zusammen. In dem Text wird der Storch klischeehaft als ein

140 In den Zitaten sind Anspielungen auf die polnische Gegenwart zwischen 1945 und 1989 enthalten, wahrscheinlich auf die politischen Manifestationen und Demonstrationen der 80er Jahre, die im Text äußerst selten vorkommen. 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 151

Element der „polnischen Exotik“ verwendet: es drückt die Anziehungskraft der ur- sprünglichen, unberührten Landschaft aus, die einem deutschsprachigen Touristen erlaubt, in die eigene (deutsche) Vergangenheit zurückzukehren. Die polnische Pro- vinz erscheint somit als das Sehnsuchtsland der Deutschen. In seinem Romanerstling, dem Schelmenroman Herrn Kukas Empfehlungen (1999), für den Knapp mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet wurde, stoßen die Leser auf ein dem deutschsprachigen Geschmack angepasstes Polenbild. Das Aufeinandertreffen beider Kulturen, der österreichischen (westeuropäischen) und der polnischen, bildet das Thema des Romans. Der junge unerfahrene Pole Wal- demar, ein Schelm ohne Brieftasche, ein Parzival der guten Manieren, dem die Schuld erspart bleibt (vgl. WIRTZ 1999: L5), fährt in den Westen, nach Wien, wo er fast ums Überleben kämpfen muss, und berichtet über die Befi ndlichkeit einer „slawischen Seele“ in der westlichen Welt. So werden zwei verschiedene Welten einander gegen- übergestellt: die Welt des „Ostens“, die Waldemar sowie andere Polenfi guren reprä- sentieren, und die Welt des „Westens“. Die Landsleute der Hauptfi gur, Träger des Polen-Bildes, sind geldgierige, schlaue Polen, die in Wien auf Geldsuche zu allem bereit sind und zum Alkoholmissbrauch neigen. Es sind Schmuggler, Schwarzarbei- ter, „zum Stehlen geboren“ (KHK 99), die ihren Landsmann ausnutzen sowie betrü- gen und den Arbeiterstrich in Wien nicht meiden, aber als „ein katholisches Volk“ (KHK 49) regelmäßig in der polnischen Kirche an der Messe in der Muttersprache teilnehmen, da auch ihre polnischen Mitbürger treffen, Informationen einholen und diverse Transaktionen durchführen. Die polnische Kirche in Wien sieht aber nicht so aus, „wie man es von Kirche erwartet“. Sie ist „von Verkaufsständen umstellt, auf denen sich Zigaretten, Büchsenöffner und eine Menge anderer Dinge [stapeln], die man offenbar hier in Wien zum Leben“ braucht (KHK 49). Die pejorativen Elemente dieser stereotypen Polendarstellung wurden einseitig ausgebaut und überspitzt. Die- se einseitige Verzerrung hat einen eindeutig provozierenden Charakter. In dem unterhaltsamen, humoristisch-satirischen Reiseführer Gebrauchsanweisung für Polen (2005), der eher ein Essay ist, in dem Fakten und Anekdoten vermischt werden, wird das stereotype Polenbild der Deutschen von Radek Knapp als „Aus- gangspunkt“ betrachtet. Das vermittelte Polenbild wird ironisch dargestellt und dies trägt m. E. zu seiner Dekonstruktion bei. Das im Text mit Hilfe von Stereotypen konstruierte Polenbild dekonstruiert der Text (und Knapps Ironie) selbst. Wie sehr Knapp seinen Text als ein Spiel mit der klischeehaften Polenwahrnehmung versteht, geht aus der Vorrede an seine „lieben und widerspenstigen Landsleute“ (KGP 7f.) hervor, in der er sie auf die Fähigkeit zum Ertragen von Selbstkritik aufmerksam macht (KGP 8), aus Angst vor der eventuellen Reaktion des polnischen (!) Lese- publikums auf seine ungewohnt freimütige Darstellung der polnischen Zustände, wenn sie die Sicht des Autors mit ihrem Selbstbild konfrontieren. Die bewusste Subjektivität der Auffassung und der bewusste Verzicht auf eine systematische und erschöpfende Analyse statistisch-objektiver Daten zugunsten mosaikhaft lockerer, das Thema „Polen“ von verschiedenen Seiten fast willkürlich, assoziativ belichten- der Gedankenfügung sind für diesen Text charakteristisch. Gebrauchsanweisung für Polen ist offensichtlich an einen westlichen Empfänger adressiert und seinem Ge- 152 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 schmack angepasst. Das in dem Text vermittelte Polenbild entspricht, wie in Knapps früheren Texten, im Grunde der klischeehaften Polenvorstellung, über die ein durch- schnittlicher deutschsprachiger Leser verfügt, wobei wieder der für Knapp charakte- ristische ironische Erzählton zum Ausdruck kommt. Der Schriftsteller versucht aber auch, die deutsche Wahrnehmung Polens (Stereotype und Vorurteile) auf humorvolle Weise zu korrigieren, indem er, von einem Klischee ausgehend, auf bestimmte Ent- wicklungen und Veränderungen in diesem Bereich aufmerksam macht. Der Schrift- steller bedient sich der intertextuellen Bezugnahme auf Heinrich Heine, nämlich auf dessen bekannten Reisebericht Über Polen (1823). Knapp verwendet direkte Zitate und verweist somit seinen deutschsprachigen Rezipienten auf das bekannte literarische Polenbild des deutschen Dichters. So verfährt der Autor beispielsweise bei der Beschreibung der gegenwärtigen Lebensbedingungen der polnischen Bauern (KGP 58, 60f.), um seinem westeuropäischen Leser zu zeigen, wie sich diese im Laufe der zwei Jahrhunderte – „seit Heinrich Heine […] vorbeigeschaut hat“ (KGP 58) – verändert haben, und versucht auf diese Weise, eines der Polenklischees zu entkräften:141 „Die polnischen Dörfer sind längst keine chaotischen, rückständigen Käffer mehr, wo die Leute noch den Mond anbeten und den Gaul vor den Pfl ug span- nen. Im Gegenteil. Achtzig Prozent aller Bauernhöfe sind voll technisiert, und die Hälfte davon entspricht bereits den hohen EU-Standards“ (KGP 59). Auch bei der Beschreibung der polnischen Frauen, die – wie bei Heinrich Heine – unter verschiedenen Aspekten (Charakter, Äußeres, Rolle in Gesellschaft und Po- litik) charakterisiert werden, zitiert Knapp die entsprechende, dem deutschsprachi- gen Leser vertraute Passage über den Charme der Polinnen aus dem Reisebericht Heines (KGP 98f.):142 „Wenn Heinrich Heine heute Polen bereisen würde, würde er staunen, wie sehr sich seine Weichsel-Aphroditen verändert haben“ (KGP 102). Die von Heine dargestellte schöne Polin tritt in Gebrauchsanweisung für Polen als eine zwar immer noch äußerlich attraktive, aber auch selbstbewusste Frau auf, die „au- ßergewöhnlich resistent […] gegen momentane gesellschaftliche Entwicklungen“ ist (KGP 101f.) und über einen in der Zeit des kommunistischen Regimes und der frei- en Marktwirtschaft entwickelten ausgeprägten „Sinn fürs Praktische“ verfügt (KGP 100). Radek Knapp thematisiert auch die zwischen West- und Osteuropäern angeblich be- stehenden Mentalitätsunterschiede, die ebenfalls mit Ironie betrachtet werden. Polen werden in Gebrauchsanweisung – ähnlich wie in Franio und Herrn Kukas Empfehlungen – zu Repräsentanten der „slawischen“ Welt, die der „westlichen

141 Heine-Zitate in Knapps Text: „In diesen kleinen Lehmhütten lebt der polnische Bauer mit seinem Vieh und seiner übrigen Familie, erfreut sich seines Daseins und denkt an nichts weniger, als an die ästhetischen Pustkuchen [sic!]“ (KGP 58). „Leugnen läßt es sich indessen nicht, daß der polnische Bauer oft mehr Verstand und Gefühl hat, als der deutsche Bauer in manchen Ländern. Nicht selten fand ich beim geringsten Polen jenen originellen Witz, der bei jedem Anlaß mit wunderlichem Farbenspiel hervorsprudelt…“ (KGP 60f.). 142 „Jetzt aber knien Sie nieder, oder wenigstens ziehen Sie den Hut ab – ich spreche von Polens Weibern. Hätte ich den Pinsel Raphaels, die Melodien Mozarts, so gelänge es mir vielleicht, Ihnen ein Gefühl in die Brust zu zaubern, das Sie empfi nden würden, wenn eine wahre Polin, eine Weichsel-Aphrodite, vor Ihren Augen leibhaftig erschiene. Ja, mein Lieber, wer in ihre Gazellenaugen blickt, glaubt an den Himmel…“ (KGP 98f.). 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 153

Welt“ gegenübergestellt wird. Die Slawen seien „schrecklich sensibel“ (KF 130), „ein bisschen eigenartig“ (KF 150) und hinken – der westlichen Welt gegenüber – „[i]n Sachen Kultur […] mindestens um dreißig Jahre nach“ (KF 144). Sie hätten – wie andere Slawen – eine „spielerische Mentalität“ (KGP 30), seien „schrecklich humorvoll“ (KGP 147) und denken „gar nicht an morgen“ (KGP 153). Knapps Wahrnehmung der Polen wird mit Begriffen gefasst, die dem deutschen Re- zipienten bekannt sind: zu ihren Charaktereigenschaften gehören – neben der polni- schen Gastfreundschaft (KGP 24, 88) – die polnische Freiheitsliebe (KGP 95), die „für jedes autoritäre Regime oder eine Diktatur auf die Dauer reines Gift sind. Zum einen ist es das eingefl eischte Misstrauen gegenüber Autoritäten, besonders gegen- über der eigenen Regierung, zum anderen ist da die an Magie grenzende Fähigkeit, Chaos zu erzeugen, wo kurz zuvor noch Ordnung herrschte“ (KGP 66). So fällt die Wendung „polnische Freiheit“ in der Bedeutung von „Chaos“ mit dem Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“ zusammen. Der stereotypen Vorstellung der polnischen Wirtschaft begegnet der Leser auch im Motiv der polnischen Straßen, die „im allge- meinen als nicht besonders gut“ (KGP 15, vgl. auch 21) gelten sowie in den gleich in der schon oben angesprochenen Vorrede („An meine lieben und widerspenstigen Landsleute“) erwähnten polnischen Autodieben (KGP 7, vgl. auch 19). Die Polen werden auf der einen Seite als „glühende Patrioten“ (KGP 10), „eine Nation mit Potential“ (KGP 8) beschrieben, die „[d]ie zahlreichen Aufstände und Partisanenkämpfe […] auf Dauer zu Spezialisten des ‚Hinterhalts‘ und des zivilen Ungehorsams“ machten (KGP 35). Andererseits sind sie „passionierte Neinsager, leidenschaftliche Dichter, geborene Schwätzer, fi nden kinderlose Ehen suspekt“ (KGP 10). Polnischer Katholizismus sowie die Rolle der polnischen katholischen Kirche (KGP 79–84, 95) und der polnische Minderwertigkeitskomplex (KGP 147), dessen Wur- zeln in der polnischen Geschichte liegen, werden von dem Schriftsteller ebenfalls thematisiert: „Diese vierzig Jahre bedingungsloser Huldigung an den Westen haben bei den meisten Polen eine Menge Pawlowscher Refl exe hinterlassen, unter denen der unerschütterliche Glaube an den guten Fremden nur einer von vielen ist“ (KGP 24). Den historischen Einfl üssen wird eine wichtige Rolle bei der Erklärung der polnischen Kultur und Mentalität zugeschrieben. So wird der Leser über manche wichtige Ereignisse aus der polnischen Geschichte – wie z.B. über die polnischen Teilungen und den Novemberaufstand (KGP 35), den Warschauer Aufstand (KGP 36) und die Zeit des Kommunismus (KGP 36, 56 u.a.) – informiert. Knapp widmet auch der polnischen Küche (KGP 85–92) sowie den Besonderheiten der polnischen Sprache, „eine[r] der schwierigsten der Welt“ (KGP 27), und manchen ihrer Merk- male ein separates Kapitel (KGP 27–31). In seinem Reiseführer stellt der Schriftsteller seinem deutschen Lesepublikum u.a. die repräsentativen polnischen Städte und Gegenden mit ihren Besonderheiten und touristischen Attraktionen vor: Warschau (KGP 33–43) mit einigen Informationen aus der Stadtgeschichte, seinen Sehenswürdigkeiten (v.a. dem Kulturpalast) sowie seiner Gründungs-Legende vom Fischer Wars und seiner Frau Sawa (KGP 34) und Krakau (KGP 45–51), wobei diesen beiden Städten separate Kapitel gewidmet sind, 154 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 sowie Danzig, Kaschubien (KGP 54) und Masuren, „[dem] ehemals ostpreußische[n] Gebiet“ (KGP 55). Das „ideal im Zentrum des Landes“ (KGP 33f.) platzierte War- schau wird „ironisch als Hongkong Osteuropas“ (KGP 33) bezeichnet. Die „[a]ußer- halb des Zentrums […] nach dem Muster einer amerikanischen Stadt“ (KGP 37) wiederaufgebaute polnische Hauptstadt mit ihren „neu gebauten Hochhäusern“, auf deren Dächern „in großen Neonbuchstaben die Worte Marriott, Hilton oder Hypo- Vereinsbank“ (KGP 40) angebracht sind, „Gucci- und ZSL-Geschäfte[n]“ (KGP 42) und „teuren Restaurants“, die „zumeist auf ausländische Geschäftsleute oder polni- sche Neureiche eingestellt“ (KGP 39) seien, erscheint eine Verkörperung der kapi- talistischen Ideologie. Krakau, „das genaue Gegenteil von Warschau“, das Wien Osteuropas (KGP 45), „einer der schönsten Orte Europas“ (KGP 51), eine „Kulturkneipe“ (KGP 45), wird durch seine kulturelle und geschichtliche Nähe zu Österreich charakterisiert. Es sei eine Stadt, die im Schatten der eigenen Vergangenheit steht, von der Vergangenheit träumt, „als wäre es eine bevorstehende Zukunft“ (KGP 47). Krakau „gibt auch stän- dig seiner heimlichen Neigung nach: der Liebe zur k.u.k.–Monarchie“ (KGP 47): „All jene, die aus Wien kommen [, bekommen] eine Extrabehandlung“ (KGP 47). Hier ist im polnischen kulturellen Kontext die „magische[-] Kraft der k.u.k.-Mon- archie“ (KGP 47) ständig präsent, in der sich „die Kultur und Künstler […] wohler fühlen, als im Schatten des Warschauer Kulturpalastes“ (KGP 48). Der deutschsprachige Leser wird außerdem auch über die polnische Zeitungs- (KGP 115–119) und Fernsehlandschaft sowie die populärsten polnischen Kultserien in der Vor- und Nachwendezeit (KGP 121–125) informiert. Knapp stellt seinem Lesepubli- kum zudem die bekanntesten Schriftstellernamen und Titel der polnischen Literatur vor (KGP 48, 127–134) und macht dabei auf ihre eventuellen Berührungspunkte mit dem deutschsprachigen Kulturkreis aufmerksam.143 Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang die für die polnische Geschichte bedeutenden Persönlich- keiten144 sowie diejenigen, die gewissermaßen die Funktion der Repräsentanten der polnischen Kultur in der westlichen Welt übernehmen. So werden die aus dem polni- schen Kulturkreis stammenden und dem westeuropäischen (deutschen oder österrei- chischen) Leser mehr oder weniger vertrauten Namen erwähnt (KGP 135–141), als Beispiele für „polnische Karriere[n] [...] in Westeuropa“ (KGP 138), u.a. Frederik Chopin (KGP 10), der Astronom Alexander Wolszczan, „die polnischen Kameraleu- te“ Andrzej Sekula und Janusz Kaminski, Marcel Reich-Ranicki, Franciszek Kul- czycki, Tadeusz Kościuszko, Maria Skłodowska-Curie. Der Leser wird aber auch über manche Ausländer informiert, die „im Land an der Weichsel“ bekannt wurden, wie z.B. „Steffen Möller aus Wuppertal“, der als einer „der beliebtesten Schauspieler

143 Adam Mickiewicz, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska, Joseph Conrad (Józef Korzeniowski), Witold Gombrowicz, Ryszard Kapuściński, Henryk Sienkiewicz, Stanisław Lem, Marek Hłasko, Leopold Tyrmand, die Jugendbuchautoren Edmund Niziurski und Zbigniew Nienacki. Knapp deutet auch auf ihre Berührungspunkte mit dem deutschsprachigen Kulturkreis (Deutschland oder Österreich) hin, wie Lems Bindungen zu Wien, Hłaskos Aufenthalt in der BRD und seine Heirat mit der Schauspielerin Sonja Ziemann. 144 Könige: Zygmunt Waza III. (KGP 34), Jan Sobieski (KGP 136), Papst Johann Paul II. (KGP 9, 82, 96), Lech Wałęsa (KGP 9, 63–70), General Jaruzelski (KGP 70). 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 155

Polens […] in einem nahezu akzentfreien Polnisch alle möglichen Klischees, unter denen die Deutschen weltweit zu leiden haben, pulverisiert“ (KGP 140), den aus Afrika stammenden Radioredakteur Brian Scott und den Fußballspieler Olisadebe. Auch Polens Natur, die einem westeuropäischen Touristen relativ unberührt und rückständig erscheinen kann, ist durch „zwei Tierarten“, denen „eine tendenziell größere Aufmerksamkeit eingeräumt wird als allen anderen“ (KGP 57), vertreten: Der Storch, dessen Motiv auch in Franio eine wichtige Funktion im Polenbild zuge- schrieben wird, und der Wisent [„slawische Variante des Bisons“ (KGP 57)] dürfen im Polenbild Knapps nicht fehlen. Der Storch als „eine romantische Komponente“ (KGP 59) auf dem Dach des Bauern- hauses, ist ein stereotypes Element der „polnischen Exotik“. Dieses Bild wird aber mit einem für Radek Knapp charakteristischen Ironiesignal verknüpft: Der Storch sitzt nämlich „startbereit“ auf dem Dach und beginnt „sofort […] vor laufender Ka- mera [des westeuropäischen Kamerateams] seinen frischgeschlüpften Nachwuchs zu füttern und hin und wieder mißtrauisch ins Objektiv zu blicken“ (KGP 59). Der polnische Storch verhält sich den Gästen gegenüber wie der Autor Knapp selbst, der das in seinen Texten kreierte Polenbild an den Erwartungen seines deutschsprachi- gen Publikums orientiert. Wie der Storch auf dem Dach entpuppen sich die National- trachten der Bäuerinnen sowie „eine Pferdekarre mit einem gebückten, vermummten Vierschröter“ (KGP 58) als eine Inszenierung für die westlichen Touristen, deren Bedürfnis nach der intakten Natur und jener romantischen Komponente auf diese Weise befriedigt werden soll. Wie in seinen anderen Texten über Polen, die aber im Gegensatz zur Gebrauchsan- weisung einen fi ktionalen Charakter haben (Franio und Herrn Kukas Empfehlun- gen), geht Knapp auch in diesem Fall auf die Erwartungen und Vorstellungen eines westlichen Lesers ein. Der Autor macht in seinen Texten von vielen Stereotypen Ge- brauch und vermittelt seinem deutschsprachigen Rezipienten ein literarisch fi xiertes, stereotypes Polenbild. Eine ähnliche Strategie verwendet auch Wladimir Kaminer, ein deutsch-russischer Migrantenautor. Dies kann auch als das Erfolgsrezept von Knapp (oder Kaminer) gedeutet werden, nämlich dem deutschsprachigen Rezipien- ten, der eine „germanische Seele“ (KGP 19) besitzt, ein zwar ironisches, aber ver- einfachtes, populäres Fremdenbild zu präsentieren, ohne dabei in die Tiefe zu gehen.

6.3 Zum Bild des Westens in Knapps Texten

Die Auseinandersetzung mit kulturellen Klischees des deutschen Polenbildes scheint in den Texten Knapps ein wesentliches, geradezu konstitutives Merkmal zu sein. Knapp konfrontiert sein deutschsprachiges Lesepublikum mit dessen Fremd- und Selbstbildern sowie kulturellen Kategorisierungen. Der osteuropäischen Welt, dem „rettende[n] Ufer der Rückständigkeit (KGP 60) sowie der „Unberechenbarkeit“ (KGP 154), wo man der „slawischen Seele“ (KGP 41) begegnen kann und „gar nicht 156 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 an morgen“ (KGP 153) denke, wird in Knapps Texten das Bild des „Dschungel[s] der westlichen Welt“ (KIJOWSKA 2005: 32) gegenübergestellt, wobei in Franio und Herrn Kukas Empfehlungen die österreichische Hauptstadt Wien zum Sinnbild des Westens, der modernen Welt sowie des Wohlstandes, zum Ort kultureller und zi- vilisatorischer Überlegenheit und Raum von Wunschträumen der Protagonisten wird. Knapp bedient sich meist wieder der stereotypen, im kollektiven Bewusst- sein verankerten Vorstellungen von Wien als der Stadt des Walzers, der Operette, des Kaffeehauses, der „blauen“ Donau, der Sorglosigkeit sowie Gelassenheit, der „eigentümliche[n], unerklärliche[n] Langsamkeit“ (KHK 38). Dabei ist das Wiener Kaffeehaus (vgl. KF 138, 139, KHK 3, 69, 72, 77, 78, 81, 82, 160) ein wesentlicher Bestandteil und die Visualisierung der sog. Wiener Art. Das Bild des Westens wird aus der „osteuropäischen“ Perspektive konstruiert: Die Wiener Metropole wird in beiden Texten Knapps (Franio, Herrn Kukas Empfeh- lungen) sozusagen mit den „polnischen“ Augen der Figuren bzw. des Erzählers be- trachtet. Dieser Stadt der „westlichen“ Welt werden die Eigenschaften eines „Besse- ren“ zugeschrieben, weil sie als Projektionsfl äche für eigene (unbewusste) Wünsche dient. Auf diese Weise refl ektieren die Figuren ihre eigene Situation und spiegeln die Bilder und Haltungen wider, die „von außen“ an sie herangetragen werden. Wien, eine „schöne und ruhige Stadt“ (KHK 69), „ein Riesenmuseum“ (KHK 13), ein Ort der „feine[n] Leute“ (KHK 165) und eleganter Geschäfte, von denen eines „rei- chen würde, um bei uns [in Polen] ein Jahr lang eine Kleinstadt zu ernähren“ (KHK 40), verwandelt sich in den Augen der aus dem Osten stammenden Figuren visuell zu einer Märchenstadt: „[Das Belvedere] wurde von allen Seiten von Scheinwerfern beleuchtet und sah aus wie aus einem Märchen“ (KHK 63); „[Die Karlskirche] sah aus wie aus einem Märchen. Es lag an der Beleuchtung“ (KHK 136); „So ein Spital in Wien ist wie ein Palast. Die Patienten liegen in großen Betten wie Könige. Die Ärzte spazieren von einem Bett zum anderen und unterhalten sich über Literatur und ernste Musik. Und erst die Krankenschwestern! Die meisten kommen aus exotischen Ländern. Sie sind schöner als alle unsere Schönheitsköniginnen zusammengenom- men“ (KF 142). Der Westen, in einem gewissen Sinne eine „andere[-] Wirklichkeit“ (KGP 25), ist derjenige Raum, den solide Beschaffenheit sowie „westliche Qualität“ (KHK 75) charakterisiert, wo die Bäume „gerade wie Laternen“ und deren Äste „in rechten Winkel vom Stamm“ stehen, was aber „jedem Naturgesetz“ wiederspricht: „Dafür aber [fügen] sie sich ideal in die allgemeine Symmetrie der Häuser, Schilder und Liftfasssäulen“ (KHK 37). Den Westen charakterisiert auch die dem Ankömm- ling aus dem Osten nicht vertraute Sauberkeit, „als wäre gerade vor einem Moment ein riesiger Staubsauger vorbeigefahren und hätte alles, was nicht niet- und nagelfest war, in sich aufgesaugt“ (KHK 37). Mit der bewussten Inszenierung der Klischeebilder passt sich Radek Knapp in seiner „Kulturvermittler-Rolle“ der spezifi schen Erwartungshaltung des deutschsprachigen (westlichen) Rezipienten an. Die Klischees sind nicht nur lose Reproduktionen der gesellschaftlich bestehenden Stereotype, sondern spiegeln durch ihre Literarisierung gleichzeitig die Erwartungen der deutschen Leser, womit manche stereotype Bilder geradezu verfestigt werden können, obwohl seine Texte sich dabei auch als ein ironi- 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 157 sches Spiel bzw. als Kritik am stereotypen Polenbild der Deutschen lesen lassen. Mit ironischem Humor, vorgetäuschter Naivität des Erzählers, überspitzter Darstellungs- weise sowie Distanz zu den beiden Kulturkreisen wird die schematische tradierte Darstellung des „Ostens“ und des „Westens“ verspottet.

6.4 Grenzübertritte und -erfahrungen in Knapps Texten

Wie schon oben erwähnt, rekonstruiert und refl ektiert die Migrantenliteratur, der auch Knapps Texte angehören, unterschiedliche Grenzübergänge und -erfahrungen. Die Figuren, die eine Grenze passieren wollen, stehen meistens vor dem Ungewohn- ten, Anderen, Fremden, was die eigene Identität gefährden könnte und somit dem Überqueren einer Grenze einen Wagnischarakter verleiht. Rüdiger Görner vertritt die Meinung, dass der Übergang der transitorische Ort sei, an dem sich „das Unver- hoffte, Ungewöhnliche ereignen“ könne (GÖRNER 2001: 10). Laut Dieter Lamping ist das Überschreiten der Grenzen ein „eigenes Erlebnis, nicht selten ein Einschnitt im Leben“, weil die Grenze ein herausgehobener Raum sei, der durch Zeichen und Ritu- ale markiert werde: ein Ort der Differenz (LAMPING 2001: 12). An der Grenze gelten eigene Gesetze. Die Grenze ist auch eine Begegnung mit dem Anderen. Die Grenze trennt zwei Territorien und „mit ihnen zwei politisch, sozial, kulturell und linguis- tisch verschiedene Systeme“ (LAMPING 2001: 12f.). Nach Bernhard Streck schafft die Abgrenzung vom Anderen eigene Identität (vgl. STRECK 1995: 186). Der Psychiater und Psychotherapeut Wielant Machleidt versteht die Aneignung des Fremden nach der Migration in eine andere Kultur als Individuationsleistung. Ge- burt, Adoleszenz und Migration sind – laut Machleidt – Grenzüberschreitungen. Der Adoleszent verlässt die Ursprungsfamilie und tritt in die Gesellschaft ein. Der Mi- grant verlässt seine Heimat bzw. Ursprungskultur und tritt in eine fremde Kultur ein. Das Verlassen des vertrauten eigenen nationalen und kulturellen Universums durch Migration ist eine Grenzüberschreitung in ein „fremdes, unbekanntes Terrain, vergleichbar dem Verlassen des familiären Raumes in der Adoleszenz“ (MACHLEIDT 2007: 15f.). Machleidt bezeichnet den dritten Individuationsschritt als „Geburt als Weltbürger“, die der „Geburt als Individuum“ und der „Geburt als Erwachsener“ folgt (MACHLEIDT 2007: 15). Er betrachtet die Migration als die dritte Individuati- onsphase oder als „kulturelle Adoleszenz“. „Die kulturelle Adoleszenz als Entwick- lungsschritt kann als Metapher für die mentalen und sozialen Veränderungen bei der Migration verstanden werden“ (MACHLEIDT 2007: 18). In beiden Fällen haben wir es mit Übergangsriten zu tun: erstens mit der Trennung von dem alten Zustand (von der vertrauten Kultur), zweitens mit der Zwischenphase und drittens mit dem eigentlichen Initiationsritus (mit dem Eintritt in die Ordnung der neuen Kultur). Es handelt sich dabei um einen Prozess, bei dem die Persön- lichkeit als Ganzes einen Wandel durchmacht. Das Individuum erwirbt infolge der Migration eine bi- oder mehrkulturelle Identität. Das Verlassen der eigenen Kultur 158 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 erfordert ähnlich wie in der Adoleszenz die Ablösung von den kulturtypischen Be- ziehungsobjekten, die durch kulturfremde ersetzt werden. Laut Wielant Machleidt erfordert dies „eine kulturelle Verfl üssigung von Identität und Ich-Struktur ähnlich wie in der Adoleszenz“ (MACHLEIDT 2007: 13). Es werden dabei neue Wertesysteme gebildet, neue Rollen in der Aufnahmegesellschaft übernommen. Die Erfahrungen ihrer „kulturellen Adoleszenz“ können dementsprechend auch in den Texten der Migrantenliteratur literarisch fi ktionalisiert werden. Ein interessantes Beispiel der Fiktionalisierung dieses Prozesses fi nden wir eben in Knapps Roman Herrn Kukas Empfehlungen (1999), in dem der Protagonist seinen eigenen Weg in einem fremden Kulturkreis zu fi nden versucht, seine Ursprungskultur verlässt und die Aneignung des Fremden als eine wesentliche Integrationsleistung bewältigt. In seinem Falle handelt es sich um einen kulturellen Individuationsprozess. In Knapps Texten fi nden wir auch einen „existenziellen“ Grenzübergang vom Kind zum Erwachsenen, was ebenfalls in den von Artur Becker kreierten Figuren verle- bendigt wird (wie z.B. die Figur von Janek Nacktarsch im Erzählungsband Milch- straße), was das Erwachen der Selbstständigkeit, das Erwachen der Sexualität zur Folge hat. Das Verlassen der polnischen Heimat durch den Ich-Erzähler des Romans Herrn Kukas Empfehlungen bedeutet das Verlassen der Kindheit und den Übergang in die kulturell neue Welt, in die Welt der Erwachsenen, also einen Grenzüberschritt von lebensentscheidender Bedeutung. Es ist der Prozess einer Loslösung in der Per- sönlichkeitsentwicklung von vertrauten Menschen und kulturellen Strukturen. „All dies geschieht letztlich mit dem Ziel der Bildung eines neuen, integrierten bi-kultu- rellen Selbst“ (MACHLEIDT 2007: 13). Der kulturelle Kontext ist im Fall des Roman- protagonisten besonders wichtig. Waldemar möchte in den „Westen“ – aus Neugierde und eben um erwachsen zu werden. Der junge Mann ist auf der Suche nach neuer Identität. Der nächstliegende Weg, eine eigene Identität aufzubauen, ist – entsprechend seiner Vorstellung – eine Abgrenzung von der „alten“ Kultur. Die Einführung in das Wissen um die fremde Kultur (die Welt der Erwachsenen) wird von einem gewissen Herrn Kuka gewähr- leistet, einem „hundertfünfzig Zentimeter großen“ Bekannten der Familie (KHK 6) und dem „kultiviertesten Wodkatrinker“ (KHK 9) zugleich, der den jungen Mann in die notwendigen Fähigkeiten und anerkannten Tugenden der westlichen Welt ein- führt und die dafür grundlegenden Kenntnisse vermittelt. Herr Kuka übernimmt die Funktion des Vaters von Waldemar, der seinem Sohn eine selbstständige Reise in den Westen nicht erlauben will. Herr Kuka, der als Experte für Westreisen gilt, lenkt und führt den Jungen, erteilt ihm Ratschläge über sein Verhalten in der westlichen Welt und wird dabei zum satirischen Spiegelbild eines Mentors: „Es ist nicht wichtig, wohin du fährst, denn Westen ist überall Westen, sondern wie du zurückkommst“ (KHK 8); „Westliche Kacke und östliche Kacke sind identisch“ (KHK 10); Die Po- len seien „keine Europäer. Deshalb darfst du niemals zugeben, woher du wirklich kommst. Sogar wenn sie dich foltern, sag, du bist aus England oder meinetwegen China. Beim Wort Polen kannst du gleich wieder nach Hause gehen“ (KHK 11f.). Kuka empfi ehlt dem Protagonisten eine kostenlose Unterkunft in Wien und schenkt ihm zum Abschied ein altes Feuerzeug als Glücksbringer. 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 159

Die Reise nach Wien trägt deutliche Züge von Übergangsriten für den jungen uner- fahrenen Waldemar. Sein Entschluss, in den Westen zu fahren, führt zur Trennung von seiner Familie. Der Protagonist verspürt den adoleszenten Drang, Grenzen zu überschreiten und die Grenze wird in seinem Fall bewusst überschritten. Er tut es, „weil er schrecklich neugierig [ist], wie es dort aussieht“ (KHK 7). Der neue kultu- relle Raum wird somit zu einem Sinnbild für eine neue Freiheit, in der der bewusste Wechsel als Gewinn gegenüber den Einschränkungen einer eindeutigen familiären – bzw. kulturellen – Zugehörigkeit empfunden wird. Das Fremde ist in diesem Falle erwünscht in Übereinstimmung mit dem Land der Wahl: Österreich/Wien. Die abenteuerliche Fahrt der Hauptfi gur in einem polnischen Schmugglerbus der Firma „Dream Travel“ in den Westen, dessen Passagiere „von der Schmuggelorgie angesteckt“ sind (KHK 27), hat einen starken Symbolcharakter und wird zum fast mythischen Übergang aus der behüteten Kindheit ins Erwachsenwerden. Das Ver- lassen des primären kulturellen Raumes bedeutet für den Ich-Erzähler einen Neuan- fang: In dem Bus sieht Waldemar einen toten Nachtfalter im Fenster, dessen Flügel im Fahrtwind weiterfl attern. Er fühlt sich bei diesem Anblick plötzlich „merkwürdig glücklich“: „Ab jetzt trug ich für alles die Verantwortung“ (KHK 25). Aus anthropo- logischer Perspektive wird das Motiv der Reise als Lebensfahrt oder transitorisches Stadium zwischen zwei Lebensphasen gedeutet. Es symbolisiert nämlich menschli- che Entwicklungsfähigkeit und erlaubt dem Helden, sich reisend in einen anderen zu verwandeln. Auf dem Weg in den neuen kulturellen Raum, an der Grenze, die als eine Trennli- nie „zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Altem und Neuem“ (HEERO 2009: 208) fungiert, begegnet der Junge den bösartigen und einfältigen österreichi- schen Zöllnern, an deren Gürteln „diskret Pistolen und Handschellen“ (KHK 28) hängen und vor denen die Einreisenden „demütig die Augen“ (KHK 29) senken. Die Beamten sind bewaffnet, erscheinen in Begleitung eines Schäferhundes namens Schimanski, versuchen die Einreisenden zu demütigen, bezeichnen die einreisenden Polen als „Bagage“ (KHK 35) und kommunizieren mit den Buspassagieren in gram- matikalisch inkorrekter Sprachform, dem simplem Infi nitiv-Gastarbeiterdeutsch (ei- nem vereinfachten, ‚gebrochenen‘ Deutsch, dem sogenannten „Foreigner Talk“), wo- bei dieser Stilbruch als offen diskriminierende Sprachhandlung provozierend wirken soll. Diese Stilform, die auf die Diskriminierung in der Kommunikation verweist, steht damit in der Nähe von Klischees und Stereotypen in Bezug auf die Fremden in Österreich und soll die Fremdenfeindlichkeit der Grenzkontrolle veranschaulichen, z.B.:

Du hören mit dem Kaugummi auf. […] Ich sonst dich nicht können identifi zieren und du dableiben. […] Was du bringen nach Österreich mit? […] Und nix Zigaretten? Kein Wodka? […] Wieviel haben du davon da drinnen? […] Warum du zu Austria wollen? (KHK 31f.) 160 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Das an die Alltagserfahrungen eines Migranten angelehnte Gastarbeiterdeutsch als Mittel der Komik hat auch eine ästhetische Funktion und kennzeichnet den für den Fremden im Raum der deutschen Sprache vorgesehenen Ort des Marginalisierten.145 Knapp beachtet die Regeln der Unterhaltungsliteratur, denn die Verhältnisse an der Grenze und das Ritual der Grenzkontrolle werden im Grunde humoristisch darge- stellt. Die Grenze wird in diesem Falle zu einem komischen Motiv. Ein Schild mit der Aufschrift „Servus in Österreich“ (KHK 35) begrüßt die Passagiere des Busses gleich nach dem erfolgreichen Überschreiten der Grenze. Fast sogleich wird der Pro- tagonist von seinen polnischen Mitreisenden, den Schmugglern, Schwarzarbeitern, „zum Stehlen geboren“ (KHK 99), zum Alkoholkonsum gezwungen – die Szene er- innert an die männliche Initiationsprobe, an ein Aufnahmeritual in die Männerwelt. In dieser Darstellung des Grenzübergangs scheint sich auch der verborgene (ver- kappt) politische Charakter dieses auf den ersten Blick unpolitischen Romans zu zeigen. Die Passkontrolle erscheint als Manifestation eines feindlichen Staates, der seine Macht und seinen bedrohlichen Charakter demonstriert. Waldemar muss auf sein Glück hoffen. An der Grenze ist die „rotweißrote“ Schranke vorhanden, die Waldemar den Weg in die andere Welt, in die andere Kultur versperrt (KHK 27). Die Grenzschranke hat die Funktion eines Hindernisses, das bewältigt werden muss. Das Motiv der „rotweißen Schranke“, der Grenze in ihrer Funktion der Trennungsli- nie von zwei Kulturräumen wird auch in dem Reiseessay Gebrauchsanweisung für Polen (2005) erwähnt. Der Erzähler entwirft dabei ein humorvolles Bild des polni- schen Grenzübergangs aus der Zeit vor 1989, den man nur „halbwegs unbeschadet […] mit geradezu diabolischer Gerissenheit gesegnet“ (KGP 13) überwinden konnte und der bei zahlreichen Polen zur Verinnerlichung eines „Verhaltenskodex“ (KGP 13) führen sollte.146 Die „rotweißrote“ Schranke (KHK 27) markiert nämlich die Trennungslinie zwi- schen zwei Welten, zwei „Ordnungen“, zwei Kulturräumen: dem Westen und dem Osten: Zwischen dem Bereich, in dem der Wald wie „kein anderer [...] auf der Welt“ riecht (KHK 25), aber mit „ulkig klingenden Ortschaften [...], von denen es in un- serem Land nur so wimmelt“ (KHK 21), und dem Raum, wo die Bäume „gerade wie Laternen“ und deren Äste „in rechten Winkel vom Stamm“ stehen, was „jedem

145 Mit dem Gebrauch von simplem Infi nitiv-Gastarbeiterdeutsch, der als ein in der Nähe von Klischees und Stereotypen in Bezug auf die Fremden stehender Stilbruch provozierend wirken soll, wird der deutschsprachige Leser auch in Muszers Texten, in seinem Debütroman Die Freiheit riecht nach Vanille (1999) (bei der Darstellung des Grenzübergangslagers Friedland) sowie in Der Echsenmann (2001) (als Idiom der in Deutschland lebenden Türkenfi gur) konfrontiert: „Die Tür von alleine, ich nicht schuldig“ (MF 57), „Nix gekommen. […] Nix verstehen. Sie wieder sagen. […] Alles klar, klingeln bei Haarmann, alles klar. Besorgen Tankstelle, Flasche, Bier, Kiste Wodka, vier Zigaretten…“ (ME 78f.). 146 „1) Beim Anblick der rotweißen Schranken schnell ein Glas Wodka kippen. Niemals jedoch mehr als drei. 2) Den Grenzbeamten niemals als erster ansprechen. Geschweige denn lächeln. Kein Grenzbeamter glaubt, daß Ihre Freundlichkeit aufrichtig ist. Und damit hat er auch recht. 3) Erlaubt ist lediglich eine sachliche Unterhaltung über die Pferdestärke und den Benzinverbrauch des Autos (falls frei von Schmugglergut). Der Grenzbeamte ist immer ein Autofanatiker, auch wenn er auf einem Flughaften arbeitet. Äußern Sie die Informationen jedoch zurückhaltend. Schnelles Sprechen wird Ihnen nämlich umgehend als Nervosität ausgelegt. 4) Anschließend Schmiergeld oder Geschenke bereithalten“ (KGP 14). 6. Radek Knapp - ein österreichisch-polnischer Grenzgänger 161

Naturgesetz“ widerspricht. „Dafür aber [fügen] sie sich ideal in die allgemeine Sym- metrie der Häuser, Schilder und Liftfasssäulen“ (KHK 37). Die Grenzen seiner eigenen Kultur und somit seines eigenen kulturellen Raum-Codes werden überschritten. Der Held des Romans Herrn Kukas Empfehlungen bricht aus dem Bereich des Eigenen, Vertrauten ins „Fremde“ herein: aus der eigenen Welt, der ihm bekannten und vertrauten Gesellschaft und Kultur in die Kultur anderer. Die Reise über die Grenze der Eigenwelt hinaus ermöglicht ihm auch die Änderung seines Blickwinkels. Er kann nicht nur die „andere“ Kultur von innen betrachten, er gewinnt auch den Einblick von „außen“ in die eigene Welt.

7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“?

Der Lyriker und Prosaist Dariusz Muszer, im Privatleben ein Freund von Artur Be- cker (vgl. BECKER 2012a: 17), wurde 1959 in Górzyca (Lebuser Land/Ziemia Lubus- ka) geboren. Er absolvierte 1985 ein Jurastudium an der Adam-Mickiewicz-Univer- sität in Poznań und verlegte als 29-Jähriger 1988 seinen Lebensschwerpunkt in ein anderes Land, in die Bundesrepublik Deutschland nach Hannover, wo er heute als Schriftsteller, Übersetzer, Journalist und Feuilletonist lebt. Neben den persönlichen oder politischen Gründen spielten bei seiner Auswanderung auch die ökonomischen eine Rolle: die Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen.147 Im Jahre seiner Umsiedlung nach Deutschland konnte Muszer auf ein gelungenes ly- risches Debüt und mehrere Publikationen in Polen zurückblicken, doch er hatte sich schließlich für Deutsch als seine Literatursprache entschieden und debütierte auf dem deutschsprachigen Literaturmarkt 1999 als Epiker mit dem Roman Die Freiheit riecht nach Vanille. Dem Debütroman folgten weitere: 2001 Der Echsenmann und im Jahre 2007 Gottes Homepage. Im Gegensatz zu den anderen, in der vorliegenden Publikation behandelten Autoren nimmt Muszer am literarischen Leben sowohl in Deutschland wie auch in Polen regen Anteil, weil er sich nicht nur auf die deutschsprachigen Texte konzentriert, sondern für den polnischsprachigen Rezipienten auch auf Polnisch – einschließ- lich seiner ursprünglich auf Deutsch verfassten Texte – publiziert.148 Die Gründe

147 In Polen arbeitete Muszer als Anwalt und Journalist, Musikant, Theaterleiter, Tischler, Kellner, Taxifahrer und Beleuchtungstechniker. 1988 wurde ein Verfahren gegen Muszer wegen illegaler Herausgabe von Presseerzeugnissen in Gang gesetzt. 148 Romane: MUSZER, Dariusz (1993): Ludziojad. Hannover: Archipel Verlag; MUSZER, Dariusz (2006): Niebieski. Szczecin: Wydawnictwo Forma; MUSZER, Dariusz (2008): Wolność pachnie wanilią. Szczecin: Wydawnictwo Forma (Selbstübersetzung seines deutschsprachigen Romans Die Freiheit riecht nach Vanille); MUSZER, Dariusz (2009): Lummick. Olsztyn: Wydawnictwo Borussia; MUSZER, Dariusz (2013): Homepage Boga. Szczecin: Wydawnictwo Forma (Autoversion seines deutschsprachigen Romans Gottes Homepage). Lyrik: MUSZER, Dariusz (1987): Cudowny świat zepsutych mrówek. Warszawa: Okolice; MUSZER, Dariusz (1987): Zatrzymane wersy. Gorzów: Biblioteka Literacka GTK; MUSZER, Dariusz (1989): Pestki i ogryzki. Warszawa: MAW; MUSZER, Dariusz (1995): Panna Franciszka, pomylony akordeon i inne wiersze z lat 1983 – 1987. Hannover Erulier Verlag; MUSZER, Dariusz (1996): Księga zielonej kamizelki. Liryczne zapiski z wędrówek po Norwegii w latach 1992–1994. Sopot – Hannover: Topos – Erulier Verlag; MUSZER, Dariusz (2004): Jestem chłop. Szczecin: Wydawnictwo 13 Muz; MUSZER, Dariusz (2004): Wszyscy moi nieznajomi. Szczecin: Wydawnictwo 13 Muz; MUSZER, Dariusz (2012): Zapomniany strajk (Poznań, 29 stycznia–19 lutego 1981). Toronto: Ofi cyna FJ 2012. 164 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 für seinen Sprachwechsel wurden schon im 4. Kapitel erwähnt. Wie Becker und Knapp wollte auch Dariusz Muszer vor allem ein größeres Lesepublikum anspre- chen: Laut ihm soll ein Schriftsteller neue Welten öffnen, [w]enn dies einem Autor in der Muttersprache nicht gelingt, weil er keine Leser fi ndet, so soll er die Sprache wechseln.149 Der Schriftsteller, der sich selbst als „Reisender zwischen den Welten“ beschreibt (zit. nach: PRIEN 2007), kommt sogar zu der etwas provozierenden Fest- stellung, dass ihm – aus der heutigen Perspektive gesehen – nichts Besseres hätte zustoßen können als das mangelnde Interesse der polnischen Literaturkritik und der polnischen Verleger für sein Schaffen (vgl. ZAŁUSKI 2000: 17). Die bitter klingenden Worte des Schriftstellers zeugen allem Anschein nach von seiner Enttäuschung über den geringeren Bekanntheitsgrad beim polnischen Publikum und die mangelnde An- erkennung seitens der polnischen Literaturkritiker, woraufhin er seine Literaturspra- che wechselte.150 Die Wahl der Literatursprache begründet Muszer auch mit seinem aktuellen Wohnort, denn er adressiert seine Texte an die Gesellschaft, in der er lebt (vgl. OBERSTEIN 2000; CZANIECKA-KUFER 2002). In Interviews nach der Wahl der Li- teratursprache gefragt, bemerkt er, dass sein Debütroman (Die Freiheit riecht nach Vanille) zu ihm „auf Deutsch gekommen ist“ und somit auf Deutsch verfasst wurde (ZAŁUSKI 2000, vgl. auch: PLESS 2000; CZANIECKA-KUFER 2002). In einem anderen Interview betont er auch, dass er sich als Autor an diejenige Gesellschaft wendet, in der er lebt, also an eine multikulturelle Gesellschaft, auch an einen deutschsprachi- gen Perser, Türken oder Albaner (vgl. CZANIECKA-KUFER 2002: 4). Das Schreiben in der deutschen Sprache hält der Schriftsteller zwar für eine mühsame, aber im Grunde angenehme Arbeit (vgl. IWASIÓW 2013: 7). Der Schriftstellernomade will aber auf sein polnischsprachiges Lesepublikum nicht verzichten. Dariusz Muszer, für dessen Texte schwarzer Humor und Satire als sub- versive Strategien kenntlich sind, ist in beiden Sprachen, auf Deutsch und Polnisch, literarisch tätig und versucht auf beiden Literaturmärkten präsent zu sein. Daher hält sich der Schriftsteller für keinen Emigranten, weil er sein Heimatland im Grunde nie verlassen habe. Er trage es immer mit (sich) und in sich (vgl. ZAŁUSKI 2000: 17). Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Frage nach den Stimmen der Li- teraturkritik. Im Fall Muszers tendieren die deutschsprachigen Rezensenten ebenfalls

149 „Zadaniem pisarza jest otwieranie nowych światów. Jeśli nie może tego robić w języku ojczystym, bo nie znajduje czytelników, to niech zmieni język. Obojętnie na jaki, byleby tylko otwierał te światy. Choćby wytrychem” [„Die Aufgabe eines Schriftstellers besteht darin, neue Welten zu öffnen. Wenn es ihm in seiner Muttersprache nicht gelingt, weil er keine Leser fi ndet, so soll er die Sprache wechseln. Egal welche Sprache, Hauptsache, die Welten werden geöffnet. Sogar mit einem Dietrich“ – übers. AP] (ZAŁUSKI 2000: 16). 150 Für seine schriftstellerische Tätigkeit wurden dem Schriftsteller in Polen und Deutschland einige Preise und Stipendien zuerkannt, u.a.: der Hauptpreis im Julian-Przyboś-Lyrikwettbewerb, Warszawa 1985, der Hauptpreis im Cyprian-Kamil-Norwid-Lyrikwettbewerb 1986, der Hauptpreis für Prosa und der Hauptpreis für Poesie im Internationalen Marek-Hłasko-Literaturwettbewerb, Wien 1992, der Preis „Das neue Buch in Niedersachsen und Bremen“ für den Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“. In Polen war er Mitarbeiter der Zeitschrift „Poezja“ und „Radio Zielona Góra“, publizierte seine Texte in anerkannten und bekannten Literaturzeitschriften: „Twórczość“, „Miesięcznik Literacki“, „Tygodnik Kulturalny“. Obwohl er seinen Wohnort nach Deutschland verlegte, veröffentlicht er seine polnischsprachigen Gedichte und Artikel in „Pogranicza“, „List Oceaniczny“, „Topos“. 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 165 zu einer gewissen Schubladisierung. Die Literaturkritik betont in ihren Rezensionen fast ausnahmslos Muszers Herkunft (vgl. z.B.: (AK) 2003; ANSULL 2000; BOSCHBACH 2001; FARYN 2001: 45; FOEDROWITZ (O.J.); FÜLLGRABE 2001; HÖGE 2000; KIJOWSKA 1999; LEDERER 2008; LÄSSER 2007; (PF) 2002; SCHULZ 1999, 2001; SEEHAFER 2002; ZELLER 1999; (ANONYM) 1999, und weigert sich, Muszer als einen deutschen Autor zu bezeichnen. Eine Ausnahme bildet Michael Zeller, der in seiner Rezension Musz- er einen „deutschsprachigen Schriftsteller“ nennt (ZELLER 2002), gleichzeitig aber das „Polnische“ seiner Texte, den „schwarzen Humor und fantastische Überschläge“ hervorhebt (ZELLER 1999). Der Kritiker Jan Gardemann ist auch davon überzeugt, dass Muszer „neue deutsche Literatur“ schreibe (GARDEMANN 2007). Einige Rezen- senten nennen Dariusz Muszer eindeutig einen „polnischen Schriftsteller“ (BECKER 2007c: 21; MEIER 2008; SEIDEL 2003; ZELLER 1999), Kersten Flenter dagegen einen „hannoverschen Autor“ (FLENTER 2001, vgl. auch NIEDENTHAL 2000) und für Oskar Ansull ist Muszer sogar ein „deutsch-polnischer-polnisch-deutscher Autor“ (ANSULL 2000: 9). Manche Rezensenten verwenden Bezeichnungen wie „zweisprachiger Au- tor“ (LEDERER 2008), „Grenzgänger zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Wahrheit und Fiktion“ (LEDERER 2008). Laut Clemens Niedenthal ist Muszer ein „Wahl-Hannoveraner“, der „im vielzitierten Spannungsfeld zwischen zwei Kultu- ren“ (NIEDENTHAL 2000) lebt, was allerdings genau der Erwartungshaltung der Rezi- pienten der Migrantenliteratur gegenüber entspricht. Die polnischen Rezensenten machen darauf aufmerksam, dass der in Deutschland lebende Muszer sowohl in Polnisch als auch in Deutsch literarisch tätig ist (vgl. BRZEZIŃSKA 2008) und weisen – nicht ohne einen gewissen Stolz auf seinen literari- schen Erfolg auf dem deutschsprachigen Literaturmarkt – hin, wobei hervorgehoben wird, dass seine Texte nicht die deutsche, sondern die polnische Literatur repräsen- tieren (NIEWRZĘDA 2000a, 2000b; SASINOWSKI 2008). Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang auch die Frage der Beurteilung der einzelnen Romane Muszers sowie die von der Kritik erwogene Frage der gattungs- mäßigen Zuordnung seiner Texte. Laut Oskar Ansull ist Muszers Debütroman Die Freiheit riecht nach Vanille weder ein Hannover-Roman noch eine Autobiografi e, sondern ein Emigrantenroman (vgl. ANSULL 2000: 8). Michael Zellers Meinung nach ist der Text Der Echsenmann gattungsmäßig als zeitgenössischer Großstadtroman (ZELLER 2002) einzuordnen. Petra Faryn verwendet den Begriff der Fantasy-Story, obwohl der Autor sich eigentlich nicht auf ein Genre festlegen lasse, sondern die verschiedenen Elemente „kunstvoll verwebt“ (FARYN 2001: 45). Aus der Sicht von Kersten Flenter ist der Roman Der Echsenmann „ein Entwicklungsroman der be- sonderen Art“ (FLENTER 2001). Der Schriftstellerkollege Artur Becker sieht Gottes Homepage nicht als klassischen Science-Fiction-Roman, sondern eher als Satire- Roman (BECKER 2007c: 21, vgl. auch: LÄSSER 2007). Einerseits loben die literarischen Beurteiler zwar die „skurrile Fantasie“ des Autors, „verbunden mit einer großen Erzählfreude“ (FARYN 2001: 45), seine Freude am Fa- bulieren sowie „anarchische und humorige Dialoge“, die „treffsicher und präzise“ seien (FLENTER 2001), tadeln aber auf der anderen Seite die „etwas zu ereignisreiche Handlung, die man statt mit Neugier mit einer gewissen Anstrengung verfolgt“ sowie 166 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 die Tatsache, dass „vieles in dem Buch […] allzu sehr auf einen sicheren Effekt be- dacht zu sein scheint“ (Die Freiheit riecht nach Vanille) (KIJOWSKA 1999), wie auch die „etwas abwegigen Einfälle und die seltsame Betonung auf Nebensächlichkeiten“ (Gottes Homepage) (GARDEMANN 2007). In seinem Roman Gottes Homepage, der gattungsmäßig als „Science-Fiction-Roman“ eingestuft wird, bedient sich der Au- tor laut der Kritik einer „schelmischen, hintergründigen Erzählweise“ (GARDEMANN 2007). Oskar Ansulls Meinung nach gibt es in dem Roman Die Freiheit riecht nach Vanille „zahlreiche Irritationen, Sprünge, Ungereimtheiten“ (ANSULL 2000: 8). Wie im Falle der Romane von Artur Becker und Radek Knapp werden auch Muszers Romane (insbesondere sein Debütroman Die Freiheit riecht nach Vanille) von der deutschsprachigen und auch der polnischen Literaturkritik als Schelmenroman be- zeichnet (vgl. ANSULL 2000: 8; OBERSTEIN 2000).151 Ähnlich wie im Falle der meisten Autoren mit Migrationshintergrund suchen die deutschen und polnischen Kritiker auch in den Romanen von Dariusz Muszer nach der Authentizität des Selbsterlebten und nach autobiografi schen Spuren (vgl. z.B.: BOSCHBACH 2001; BRZEZIŃSKA 2008; FÜLLGRABE 2001; HÖGE 2000). Muszers Provozierfreude stößt bei einigen auch auf Kritik. Peter Oberstein verweist auf Muszers „Neigung zur Provokation“ (OBERSTEIN 2000), worauf die polnischen Rezensenten ebenfalls aufmerksam machen (vgl. SASINOWSKI 2008; WIEDEMANN 2001). Stefan Stosch vertritt gleichermaßen die Ansicht, dass „die vielen überhol- ten, aufgesetzten Provokationen“ die Leser eher ermüden (STOSCH 1999: 13). Die polnische Literaturkritik macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Muszers Prosa gewisse Stereotype in Bezug auf das deutsche Polenbild sowie das polnische Deutschlandbild konserviert (vgl. PIELKA 2008; SASINOWSKI 2008). Musz- ers provokante literarische Konstruktionen, die aus nationalen sowie kulturellen Ste- reotypen gebaut sind, stoßen sowohl bei den deutschsprachigen als auch den polni- schen Rezensenten auf ein negatives Echo.

7.1 Identitätslosigkeit und Identitätssuche von Muszers Figuren

Muszers deutschsprachiger Debütroman Die Freiheit riecht nach Vanille, von dem sein Autor behauptet, dass dieses Werk „ein einmaliger Streich, ein Spiel und eine Art der Vergewaltigung der deutschen Sprache und von mir selbst“ sein sollte (CZA- NIECKA-KUFER 2002: 3)152, wurde 1999 veröffentlicht. Seine nächsten Romane, Der

151 Auf die Tradition des Schelmenromans deutet auch die polnische Literaturkritik hin (vgl. BRZEZIŃSKA 2008; WIEDEMANN 2001). 152 „Książka ta miała być jednorazowym wybrykiem, zabawą i formą gwałtu na języku niemieckim i na samym sobie.” 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 167

Echsenmann und Gottes Homepage, konnte das deutschsprachige Lesepublikum 2001 und 2007 kennen lernen. Die Identitätsproblematik sowie die Migrationserfahrung scheinen in den deutsch- sprachigen Narrationen von Dariusz Muszer, in denen sich phantastische und märchenhaft-magische Elemente mit realistischen Darstellungen vermischen, das thematische Zentrum auszumachen, wobei der Schriftsteller – ähnlich wie Becker, Felixa, Soboczynski, Janesch sowie andere Autoren mit Migrationshintergrund – mit hybriden Identitäten experimentiert.153 Schon in seinem ersten an die deutschspra- chige Leseöffentlichkeit adressierten Schelmenroman mit dem Titel Die Freiheit riecht nach Vanille (1999) wird die Identität bzw. Identitätslosigkeit des Haupthel- den literarisch verarbeitet.

7.1.1 Ein hybrides Monster migriert: Die Freiheit riecht nach Vanille (1999)

Der 37-jährige Ich-Erzähler des Erstlingsromans Muszers, nach seinen eigenen Wor- ten „das kleinste schwarze Arschloch im Universum, […] ein Massenmörder“, der sogar sich selbst verschlingt (MF 5)154, „die kleinste, schwärzeste, löchrigste Quas- selstrippe des Universums“ (MF 6), ist für die Medien der deutschen Mehrheitskul- tur „ein Massenmörder“ (MF 5), Psychopath und Verbrecher. Zur gesellschaftlichen Randstellung der Figur kommt noch ihre spezifi sche Verhaltensmethode hinzu: Sie verkompliziert ihre Identität bewusst und vermeidet jede feste Zuschreibung. Nie- mand kennt ihren richtigen Namen und auch über ihr Aussehen sind „verschiedene widersprüchliche Gerüchte im Umlauf“ (MF 5). Der Romanerzähler, der vor vielen Jahren stumm geworden ist und in „guten Tagen“ nur grunzen kann (MF 6) und den „durchdringende Träume von [seiner] alten Heimat“ (MF 7) plagen, lebt in Hanno- ver, einer deutschen Stadt, „die niemals schläft, aber immer schläfrig ist“ (MF 5), einer Stadt „ohne Eigenschaften, ohne Charakter, ohne Gesicht“ (MF 5), einer „Stadt der Untoten“ (MF 39). Als eine Stadt der Migranten wird Hannover von „fremden Eingeborenen“ bewohnt, die an dieser „stets vernebelte[n] Haltestelle […] auf ein besseres Leben, bessere Liebe, bessere Verbindungen“ (MF 39) warten. Sowohl die Wahl der neuen wie auch der alten Heimat, des Geburts- und Lebensortes, wird in Muszers Roman als Zufall thematisiert. Die Hauptfi gur ist ein Wesen von einem

153 Die Grenzgänger-, Migranten- und Identitätsproblematik dominiert inzwischen die Prosatexte des Schriftstellers. Dariusz Muszer greift sie nicht nur in seinen in der vorliegenden Publikation behandelten deutschsprachigen Büchern auf, sondern auch in den für das polnischsprachige Lesepublikum bestimmten Werken, Ludziojad (1993) und Lummick (2009) sowie selbstverständlich den Selbstübersetzungen, Wolność pachnie wanilią (2008) und Homepage Boga (2013). Im Roman Lummick wird der Leser ebenfalls mit dem Thema der Geschichte (einschließlich der deutsch-polnischen) und der deutsch-polnischen kulturellen Nachbarschaft konfrontiert. 154 Muszers polnischsprachige Selbstübersetzung des Romans erschien 2008: MUSZER, Dariusz (2008): Wolność pachnie wanilią. Szczecin: Wydawnictwo Forma. Zu der Selbstübersetzung Muszers vgl. den Beitrag von Renata Makarska (MAKARSKA 2013b). 168 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 anderen Planeten, genauer ein „außerirdische[s] Chamäleon[-]“ (MF 22), dessen Heimat, eines neben anderen die Ich-Identität bildenden Identifi kationsfelder, blo- ßer Zufall ist und der „keine leibliche Mutter“ (MF 9), sondern „ein Mutterloch“, „das große Schwarze Loch“ (MF 10) hat. Muszer bedient sich der Metapher eines außerirdischen Wesens und verleiht dadurch seinem Protagonisten eine universelle Dimension: Er ist die Verkörperung des Fremden schlechthin. Seine überirdische Herkunft lässt ihn außerdem die Fragen der nationalen Zugehörigkeiten aus einer gewissen außerirdischen Distanz betrachten. Statt bei seiner Geburt auf die Erde, in seine „wirkliche Heimat“ (MF 8), nämlich in „Svingen, Telemark, Südnorwegen“ (MF 8) herabzustürzen, wird die Figur „auf idiotische und grausame Weise ausge- trickst“ (MF 8) und landet „irrtümlicherweise auf uralten sorbischen Gräbern“ (MF 8). Der Außerirdische wird auf einem an der Oder liegenden sorbischen Grabstein geboren, der sich „an der heutigen deutsch-polnischen Grenze […] auf der polni- schen Seite“ (MF 9) befi ndet. Dem Motiv der Grenze wird in Muszers Prosa eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Es ist ein symbolischer Ort der deutsch-polni- schen Nachbarschaft, der sich ebenfalls als Metapher deuten lässt. Der Geburtsort an der deutsch-polnischen Grenze, der „zufällig“ (MF 9) ist, aber einen symbolischen sowie prägenden Charakter hat, bestimmt sein weiteres Leben: „Hundert Meter weiter westwärts wäre [seine] Kindheit ganz anders verlaufen und [er] ein anderer Mensch geworden“ (MF 9). Diese deutsch-polnische Grenze an der Oder stellt auch eine Lebensgefahr dar. Sie trennt sozusagen zwei verschiedene Welten, zwei ideo- logische Lager voneinander: „1958, im Jahre [seiner] vermutlichen Entstehung, war es unmöglich für einen Deutschen beziehungsweise für eine Polin, die Grenze an der Oder zu passieren und lebend auf die heimatliche Seite des Flusses zurückzukehren“ (MF 14). Der Geburtsstein wird auch mit symbolischer Bedeutung versehen, die auf histori- sche Belastungen der germanisch-slawischen bzw. deutsch-polnischen Beziehungen in dieser Grenzregion verweist: Der Stein wurde von den Sorben, Angehörigen „eines westslawischen Volksstammes“ (MF 8), die im Laufe der Zeit „zivilisiert“ (MF 9), d. h. eingedeutscht worden sind, für zeremonielle Zwecke als Opferaltar benutzt, auf dem auch „die diplomatischen Vertreter benachbarter Stämme, meistens Westgerma- nen“ (MF 9) geopfert wurden. Sein Geburtsort enttäuscht den Außerirdischen „riesig“ (MF 10), worauf er mit Wut und Tränen reagiert. Als Außerirdischer fühlt sich der Ich-Erzähler in seiner zufälligen irdischen Heimat von Geburt an „falsch am Plat- ze“ (MF 12). Dies betrifft nicht nur sein kulturelles, sondern auch sein sprachliches Umfeld, in das er hineingeboren wurde. Im dem von Muszer verwendeten Motiv der Zunge als dem Ort der Wahrnehmung und Artikulierung sprachlicher und kultureller Erfahrung verdichtet sich die große Bedeutung des Sprachwechsels, die sich in zahl- reichen Texten der Migrantenliteratur fi nden lässt.155 Die Zunge des Ich-Erzählers

155 Man denke nur an einen der bekanntesten Vertreter der deutschsprachigen Migrantenliteratur, Elias Canetti, der durch mehrere Sprachwechsel hindurchging und dem ersten Teil seiner Autobiografi e den Titel Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend (1977) gab. Weitere Beispiele sind u.a. Emine Sevgi Özdamar 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 169 wurde „von den Engeln für den Gebrauch nordischer Sprachen hergestellt“ (MF 11) und er fi ndet die slawische Sprache, in die er hinabstürzt, „grauenvoll“ (MF 11). Die Identität des Protagonisten stellt eine hybride Konstruktion dar, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt: Zu der „slawischen“ und „germanischen“ kommt noch die jüdische hinzu. Im Alter von sechs Jahren wird der Außerirdische nämlich beschnitten, wobei die Beschneidung, ein religiöser Akt wie die christli- che Taufe, zum Wesen des Judentums gehört und als zentraler Bestandteil jüdischer Identität betrachtet werden kann. Im Laufe der Zeit fi ndet der Außerirdische Nalet- nik weitere Anhaltspunkte für seine Suche nach der eigenen, gemischten, transkul- turellen Identität. Obwohl der Protagonist, „ein Slawe“ (MF 50), der „slawisch-ger- manisch-jüdische Mischling“ (MF 126, 213), „ein slawisch-germanisch-jüdischer Köter“ (MF 213), „ein gefälschter Germane, […] ein europäischer Köter“ (MF 143), „ein richtiger Abendländer“ (MF 212), weil er sich für das Schicksal anderer Men- schen nicht interessiert, noch in Polen „eine jüdische Heidin“ (MF 26) heiratet, ent- deckt er die „jüdische“ Komponente seiner Identität erst in Deutschland. Es stellt sich heraus, dass sein Großvater mütterlicherseits, ein gewisser Bernhard Naletnik, Wehrmachtsoldat an der Ostfront war. Erst in Deutschland trifft der Protagonist seine Halbschwester Sarah, „eine richtige Jüdin“ (MF 109). So erfährt der Außerirdische Naletnik, dass er „ein Vierteljude“ (MF 110) sei, weil er der Sohn eines aus Czort- ków stammenden. „jüdisch-polnischen“ Vaters, Jakub Servas, und einer „deutsch- sorbischen“ Mutter (MF 117) ist.156 Naletniks Identität wird auf diese Weise bewusst verkompliziert. Er ist ein Sorbe, ein Deutscher, ein Pole, ein Jude, ein außerirdi- scher Grenzgänger. Durch die Verlagerung in eine kosmische Dimension wird seine Andersartigkeit noch stärker radikalisiert, worauf Brigitta Helbig-Mischewski mit Recht hinweist (vgl. HELBIG-MISCHEWSKI 2013: 173). Seine Vorfahren, Polen, Deut- sche, Juden und Sorben, die „Henker und Opfer zugleich“ sind, repräsentieren das „von grausamer Gewalt geprägte historische Erbe Europas“. Das determiniert den Helden und macht aus ihm ein Monster (vgl. HELBIG-MISCHEWSKI 2013: 171). Wie im Falle der Hauptfi gur des Romans von Artur Becker Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken (2008) wird die tragische Familiengeschichte von Muszers Protagonisten Naletnik, ebenfalls zur Metapher der historischen Belastungen der deutsch-polnisch- jüdischen Beziehungen: Naletniks deutscher Großvater Bernhard, Hauptmann der Wehrmacht, tötet während des Zweiten Weltkrieges seinen anderen Großvater, der sich als Jude bekennt und den „Davidstern auf dem Ärmel seines Mantels“ (MF 113) trägt. Naletniks Vater kommt „[d]urch puren Zufall“ (MF 115) nach Westpo- len, obwohl er „eigentlich Deutschlands Ostgebiete“ (MF 113) erreichen wollte und zeugt „mit der Tochter eines Mörders ein Kind“ (MF 116). Ich teile die Meinung von Brigitta Helbig-Mischewski, dass dieses gewalttätige Erbe seiner Ahnen den Grund zu Naletniks Aggression und kriminellen Gewalthandlungen gegen Deutsche,

Mutterzunge (1993), Zafer Şenocak Zungenentfernung: Bericht aus der Quarantänestation (2001) oder Dimitré Dinev Engelszungen (2003). 156 Naletniks Großmutter väterlicherseits Temerel war jüdischer Abstammung und ihr Mann Henryk, Naletniks Großvater, polnischer. 170 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Polen und seine eigene Familie legt. Wie seine Mutter wird Muszers Protagonist selbst zum Mörder (vgl. HELBIG-MISCHEWSKI 2013: 170).157 Die „jüdische“ Identität Naletniks hilft ihm aber in der Konfrontation mit den fremdenfeindlichen deutschen Polizisten in seiner neuen Heimat, Angst einjagenden „schwarze[n] Engel[n], bis an die weißen Zähne bewaffnet“, „breitbeinig, höfl ich und gnadenlos“ (MF 78), die sich weigern, einen Juden zu schlagen, obwohl sie einem „Scheißpole[n]“ (MF 132) gegenüber keine diesbezüglichen Hemmungen haben, weil „die meisten [von ihnen] […] als ausgezeichnete Prügelknaben für die Deutschen auf diese Erde gekommen“ (MF 132) seien. Naletnik, der die Ängste der Deutschen und ihre Korrektheit kennt, nutzt sein „Jüdischsein“ aus: „Zum ersten Mal spürte ich am eigenen Leibe, daß es überhaupt nicht schlimm ist, in Deutschland ein Jude zu sein. Jedenfalls tausendmal besser als ein beschissener Polacke“ (MF 132). Da Naletnik es in Polen „streng genommen zu nichts […], jedenfalls im materiel- len Sinne“ (MF 35) bringt und „aus dem Konzentrationslager namens Polen leben- dig herauskommen“ (MF 32) will, beschließt er, sein Paradies „gleich nebenan, im Abendland, jenseits der zwei Grenzen“ (MF 31) aufzusuchen. Diese Entscheidung ist für ihn folgenreich. Als einer der „Wanderer[-] dieser Welt“ (MF 35) entscheidet er sich nämlich für „[e]in Leben ohne Heimat, ohne stinkende Zigaretten, […] ohne Hoffnung auf Zugehörigkeit [...] eine ziemlich traurige Sache“, die „mit der Zeit an die Nieren, [sic!] und aufs Herz“ geht (MF 35). Die Wahl seiner zweiten Heimat auf der Erde beruht – wie im Fall seiner ersten – ebenfalls auf einem Irrtum. Der Grund ist seine „falsche […] zerfetzte polnische Fahrkarte“ (MF 33). Der Protagonist wird dafür von dem Schaffner zuerst „in seinem Dienstabteil“ interniert (MF 33)158, um dann ausgerechnet in Hannover aus dem nach Paris fahrenden Zug geworfen zu werden. In dem neuen, deutschen Land beginnt Naletnik 1988 auf dem Bahnhof ei- nen neuen Lebensabschnitt, womit er sich selber am Rande der Gesellschaft verortet (MF 155). In dem „zufälligen“ Gastland merkt der Protagonist sofort, wonach „die Freiheit [riecht]. […] Der bezaubernde Duft [zieht ihn] an“ (MF 34) und macht ihn „glücklich (MF 47). Im Gegensatz zu seiner „bisherigen Heimat“, die nach Zigaretten „fürch- terlich stank“ (MF 34), riecht seine neue nach Vanille. Er taucht auf dem Bahnhof in einer „unterirdische[n] Stadt mit Sondergesetzen“ (MF 34) unter, die „nachts von gesellschaftlichen Versagern“ (MF 34) besetzt ist. Der aus einer Stadt der Migranten stammende Migrant Naletnik159, landet in Hannover, das als „eine verfl uchte Stadt,

157 Die kriminelle Anlage scheint vererbbar zu sein. Naletniks irdische Mutter ist „die erbarmungsloseste Kindermörderin der Nachkriegsgeschichte in Westpolen“ (MF 21). 158 Es ist eine Anspielung auf die Situation der politischen Systemkritiker in der Volksrepublik Polen. Die Figur des polnischen Schaffners, der sich entscheidet, Naletnik zu „internieren“ (MF 33), wird zum Vertreter des kommunistischen Staates und betrachtet den Protagonisten als einen politischen Gegner, nimmt ihn in staatlichen Gewahrsam und „die einzige Möglichkeit, [ihn] wirklich loszuwerden“, besteht darin, ihn „einfach aus dem Zug zu zerren“ (MF 33), was er im Endeffekt in Hannover tut. 159 Der Protagonist wächst in Reppen (Rzepin) auf, „in [dem] hauptsächlich polnische Übersiedler aus den ehemaligen Ostgebieten zwangsweise angesiedelt wurden, nachdem man Deutsche nach Westen über die Oder vertrieben hatte“ (MF 13). Nicht nur das Problem der Zwangsumsiedlung wird somit angesprochen, es wird 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 171 eine Stadt der Untoten“ (MF 39), gleichfalls als eine Stadt der Migranten und der Migration, „eine zufällige, stets vernebelte Haltestelle“ (MF 39) erscheint, wo es „kaum noch echte Eingeborene“ (MF 39) gibt, weil sie entweder „ausgerottet“, aus- gestorben oder ausgewandert seien. „Ihren Platz haben fremde Eingeborene einge- nommen, die auch besser leben wollten“ (MF 39). Als Migrant fi ndet der Protagonist eine Sozialwohnung in einem „unpersönlichen Hochhaus“ (MF 120), in dem er zusammen mit anderen arbeitslosen „Ausländer[n], Aussiedler[n], vergessene[n] Abfälle[n] der germanischen Herrenrasse“ (MF 120) wohnen muss. Das Bild des deutschen Gastlandes wird von Muszer mit Hilfe von Stereotypen konstruiert, die im (polnischen und europäischen) kollektiven Bewusstsein erhalten sind. Durch den Gebrauch dieser stereotypen Zuschreibungen scheint der Autor in seinem Text – wie andere Migrantenautoren auch – nicht die kulturelle und per- sönliche Situation seiner Migrantenfi guren zu refl ektieren, sondern spiegelt gerade auch die Bilder und Haltungen wider, die im Gastland ‚von außenʻ an sie herange- tragen werden, wobei dieses ‚Außen‘ ebenfalls als ein Konstrukt betrachtet werden kann. Im Gegensatz zur polnischen Heimat des Protagonisten, in der eine „mie- se Wirtschaftslage“ und „Mangel an Lebensmitteln“ herrschen (MF 64), erscheint Deutschland, „ein verfl uchtes Land, wo 80 Millionen Untote ihr böses Spiel treiben“ (MF 161), wie „ein wahres Paradies auf Erden“ (MF 34) und ein „Land der Milli- onen Termine und der Pünktlichkeit“ (MF 55). Es ist ein Land mit „unzählige[n] beleuchtete[n] Straßen“ (MF 134), den „wunderbaren deutschen Errungenschaf- ten, Bürgersteige[n], beschnittene[n] Bäume[n], brennende[n] Straßenlaternen“ (MF 152), ein Land der klischeehaften Ordnung und Sauberkeit (MF 203), aber unmenschlich zugleich, weil man „doch immer zuerst an die Sauberkeit und dann an die Menschen“ (MF 203) denkt. Man kann in seiner neuen Heimat zwar „alles kau- fen“ (MF 72), es lebt hier aber „eine Sachgesellschaft“ (MF 40), die „eines Tages“ „schicke, bequeme, beleuchtete Lager“ für „gefährlich aussehende Arschlöcher“ (MF 40) baut.160 Das Gastland verliere nämlich im Konsumrausch jegliche morali- sche, religiöse und kulturelle Orientierung. Der Außerirdische, der sich als „geistesgestört“ und „Slawe“ (MF 50, 142) bezeich- net und in der neuen Heimat „Deutsch mit slawischem Akzent“ (MF 130) spricht, immer noch den „Kaffee auf polnische Art“ (MF 142) trinkt und gern den aus Polen mitgebrachten Roman „Robinson Crusoe“ (MF 32, 80, 202) liest161, wird in der Stadt

auch auf den deutsch-polnischen Konfl ikt in den ehemaligen deutschen Gebieten Oberschlesiens aufmerksam gemacht. Die Oberschlesier werden nach dem Zweiten Weltkrieg von den Polen für Deutsche gehalten: „Du bist ein verfl uchter Deutscher, ja, ein Niemiec!“ (MF 60). 160 Auf die stereotype Fremdenfeindlichkeit der Deutschen wird auch in der schon oben erwähnten Szene der gewaltvollen Konfrontation des Protagonisten mit den deutschen Polizisten angespielt (MF 130–132). 161 Die Lektüre des Romans Robinson Crusoe (1719), der Geschichte eines Schiffbrüchigen, der auf einer einsamen Insel strandet (die Situation des Exils) und sich diese Insel nach und nach als seinen Herrschaftsbereich erobert, erhält in diesem Zusammenhang eine symbolische Bedeutung: Robinson Crusoe kämpft nämlich ums Überleben, besiegt weitab von seiner Heimat die feindliche Umgebung und bleibt den religiösen und zivilisatorischen Mustern seiner Heimat treu. 172 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 der Migranten mit anderen Mischlingsfi guren konfrontiert, wie z.B. mit den aus Po- len ausgewanderten Vertretern „des ostjüdischen Volkes“ (MF 143)162 oder mit ei- nem rothaarigen aus Oberschlesien stammenden Landsmann, Skunk dem Karotten, einem Räuber, der sich auf den „osteuropäischen Markt spezialisiert“ und „von wei- ten einen Polen, Tschechen oder Russen riechen“ kann (MF 37). Skunks Identität, eines „Aussiedler[s] deutscher Herkunft“ (MF 46), ist hybrid. Skunk sei daher „kein richtiger Abendländer, obwohl er die Hälfte seines Lebens im Abendland verbrach- te“ (MF 45), sondern ein „aus dem feurigen Osten und dem vom Glauben an den Verstand besessenen Westen zusammengesetzter Mischling“ (MF 45). Zu den Migrationserfahrungen gehört auch der Identitätswechsel, dessen Themati- sierung in Die Freiheit riecht nach Vanille einen breiten Raum einnimmt. Die neue Identität suchend und dabei dem Rat seines Freundes Skunk folgend, unternimmt der Protagonist einen Fußgang, einen „Canossagang für Arme, [einen] Bußgang für jeden Aussiedler deutscher Herkunft“ (MF 46), eine Art rituelle Wanderung oder Pilgerschaft nach Friedland in Niedersachsen, wo sich das „Grenzdurchgangslager“ (MF 47), eine Sammelunterkunft für Flüchtlinge und Vertriebene, befi ndet, in dem man die Emigranten auf ihre neue Existenz in der Bundesrepublik vorbereitet, Auf- enthaltsgenehmigungen erteilt, die Individuen kulturell formiert und „aus norma- len, gewöhnlichen Menschen, zur Zeit hauptsächlich aus dem östlichen Europa und Asien, richtige Deutsche macht“ (MF 48). Das Lager ist nicht nur ein physischer Ort, sondern lässt sich als Metapher lesen und steht für die Exilsituation („Durch- gangssituation“) als solche (vgl. MAKARSKA 2013a: 134). Das Grenzdurchgangslager in Muszers Roman eröffnet aber auch viel breitere, kollektiv verfügbare Assoziati- onsfelder, die in einen engen Zusammengang mit den deutsch-polnischen Beziehun- gen und emotionsgeladenen, historischen Erfahrungen gebracht werden. Obwohl der Erzähler jegliche Ähnlichkeiten mit „anderen Lagern aus Deutschlands Geschichte“ verneint, weckt die Darstellung des Durchgangslagers, in dem die Migranten Ent- wertung sowie Demütigung erfahren, beinahe Assoziationen mit den Konzentrati- onslagern der Nazizeit:

Man darf das Lager von Friedland mit anderen Lagern aus Deutschlands Geschichte unter keinen Umständen verwechseln! Das möchte ich betonen, damit niemand auf falsche Ge- danken kommt! […] Friedland ist ein Lager der besonderen Art. Man nennt es bescheiden

162 Muszers deutschsprachiger Debütroman kann als eine literarische Auseinandersetzung mit der eng miteinander verwobenen problematischen Geschichte seines Herkunfts- und Gastlandes betrachtet werden, insbesondere mit dem Holocaust sowie dem deutschen und polnischen Antisemitismus, worauf in der vorliegenden Publikation aber nicht näher eingegangen werden kann. Der deutschsprachige Leser erfährt von den dunklen Flecken der polnischen Geschichte und der Verdrängung der polnischen Kriegsverbrechen, mit denen sich die Polen auseinandersetzen müssen, wie z.B. die Verstrickung eines Teils der polnischen Bevölkerung in die Judenpogrome der unmittelbaren Nachkriegszeit – „Kielce 1946, […] [e]in Pogrom“ (MF 142f.) – wird nur am Rande erwähnt, weil die jüdische Figur, ein Opfer, darüber „nicht mehr reden“ (MF 144) will. Die fl üchtige Erwähnung kann nur von einem Rezipienten entschlüssselt werden, der über das entsprechende kontextuelle Wissen verfügt. (Als Pogrom von Kielce werden die am 4. Juli 1946 in der polnischen Stadt Kielce erfolgten Ausschreitungen bezeichnet, in deren Folge über 40 polnische Juden ermordet und weitere 80 verletzt wurden. Der Pogrom von Kielce gilt als der bekannteste Übergriff auf Juden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und hatte eine jüdische Emigrationswelle aus Polen zur Folge.) 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 173

und phantasielos das Grenzdurchgangslager. […] Man vernichtet dort keine Menschen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie man das früher, in jüngster Geschichte, gemacht hat. Hierher kommen die Menschen sozusagen aus freien Stücken […] (MF 47). In dem Umsiedlungslager fi ndet, wie in einer Fabrik, eine kulturelle Vereinheitli- chung der Menschen statt: An diesem Ort des Übergangs in die neue Identität werden „Deutsche haufenweise“ (MF 48) produziert und es fi ndet eine „volle Verwandlung“ eines „Russe[n], Litauer[s], Pole[n], Rumäne[n] oder Kasache[n]“ (MF 48) statt, wobei „aus einer Puppe […] ein Schmetterling“ oder aber – von Muszer provokant formuliert – ein „ungeheure[s] Ungeziefer“ (MF 48) entstehen kann. Der Aufenthalt im Lager scheint für die Verwandlung und Formung der ‚neuen‘ Identität des Ro- manprotagonisten entscheidend zu sein: „Die Deutschmacher von Friedland“ schen- ken ihm „eine deutsche Nationalität und eine deutsche Staatsangehörigkeit“, retten „gewissermaßen [sein] Leben“, machen aus ihm „einen richtigen Menschen“, „ein perfektes Geschöpf“, „[e]in Ungeziefer deutscher Herkunft“ (MF 48). Demzufolge ist das Lager ein Ort der kulturellen Metamorphose (Germanisierung): Die bisheri- ge Identität wird abgelegt und eine neue (deutsche) angenommen. Auf diese Weise wird der literarische Held durch seine neue (bisher fremde) Umgebung defi niert. Die kulturelle Identität wird – in einem Prozess des „Deutschmachens“, der Massenpro- duktion von Deutschen – der Figur von außen aufgesetzt (aufgezwungen). Im „Grenzdurchgangslager“ wird der Außerirdische mit „Abschreckungs [gegen- ständen]“ (MF 52) (wie z.B. „ein sehr moderner [Wasserh]ahn“), die den „Spät- aussiedlern Angst einjagen und sie dazu bringen, daß sie schleunigst Deutschland [verlassen]“ (MF 52), sowie mit anderen Flüchtlingen „mit beschränktem Verstand“ (MF 53), Repräsentanten der osteuropäischen Welt konfrontiert. Ein bundesdeut- scher Beamter, ein „Bösewicht“ mit „nordischen Augen“ und einer „glänzende[n] goldene[n] Brille“ (MF 53f.) wird zum Vertreter der „Maschinerie“, die „[s]einen Fall […] bearbeiten“ (MF 55) soll. Der Protagonist kommt an dem Ort mit unter- schiedlichen „Bürokraten“ (MF 56), „Lagerangestellten“ (MF 62) in Berührung, die allem Anschein nach nett, hilfsbereit und freundlich zu ihm sind (MF 56). Schon nach wenigen Tagen im Lager verwendet er in Bezug auf die deutsche Kul- tur, mit der er sich zu identifi zieren beginnt, das Possessivpronomen „unsere“ (MF 71), womit die Figur ihre Zugehörigkeit zum Ausdruck bringt. In der dortigen Cari- tasstelle wird ihm neben der Bibel „ein buntes, dünnes Büchlein mit dem geheimnis- vollen Titel Struwwelpeter“ (MF 72) geschenkt, was man auch als eine Art kulturel- ler ritualisierter Einweihung verstehen kann: Einerseits sind die drastisch-grausigen Struwwelpeter-Geschichten von Heinrich Hoffmann (1845) mit ihrer pädagogischen Botschaft untrennbar mit der deutschen Kultur, mit deutschen Werten verbunden, andererseits stehen sie in der Tradition des Grotesken und Bizarren, denn die bös- artige Struwwelpeter-Figur unterminiert die Stabilität der bürgerlichen Ordnung in Deutschland vollständig, womit die weiteren Ereignisse aus dem Leben des Erzäh- lers und Protagonisten vorweggenommen werden. Die Hauptfi gur verlässt das Lager „[a]uf eigenen Beinen […], und nicht durch einen Schornstein“ (MF 75), womit wieder auf die vermeintliche Ähnlichkeit des „Grenz- 174 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 durchgangslagers“ mit einem KZ angespielt wird. Naletnik, dessen Seele „weder Fisch noch Fleisch“, weder slawisch noch deutsch“ (MF 75) sei, bekommt wie ein „Schäferhund deutscher Abstammung“ (MF 74) eine Registrierschein-Nummer, die er sich später auf den Arm eintätowieren lässt und sich somit als ein „zum deutschen Volk“ Gehöriger (MF 76), als bereits „frisch gebranntes Vieh“ betrachtet (MF 78). In dieser grotesken Kulmination der Identitätsmanifestation kehrt der mit Motiven des Zweiten Weltkrieges spielende Muszer auf ironische sowie provokante Weise die symbolische Bedeutung der die KZ-Häftlinge stigmatisierenden eintätowierten Häftlingsnummer um: Naletnik, der Sohn eines von den Nazis verfolgten Juden und angeblicher Enkel eines Nazi-Verbrechers, der selbst „eine Nummer am Unterarm […] [u]nd […] auch zwei Runen“ (MF 76) hatte163, entscheidet sich aus eigenem Antrieb für eine entwürdigende Stigmatisierung, die auf seine neue Identität ver- weisen soll. In der Figur steckt aber ein „slawisches“ subversives Vermögen und so entschließt er sich, „anders zu handeln als verlangt“, als „die deutsche Regierung von [ihm] erwartet“ (MF 75). Er fährt – der erteilten Genehmigung gemäß – nicht nach Jever, sondern nach Hannover und wird „ein frisch gebackener Hannoveraner“ (MF 76). Naletniks Migrantenexistenz in seiner neuen Heimat ist aber eine gescheiterte: In Han- nover, „der Stadt der Untoten“ (MF 211) verliert er seine Sprache und entscheidet sich für den Freitod. Er verbrennt sein „ganzes ungewolltes Erbe, […] alle [s]eine Papiere, die [er] von allen möglichen deutschen Behörden ausgestellt bekommen [hat]“ (MF 213) und schneidet in einem symbolischen Akt seine „Tätowierung, [s]eine Regist- rierschein-Nummer“ aus und isst sie auf (MF 213), um „dort“, im Jenseits, auf einem fremden Planeten, nicht für „einen echten Germanen“, sondern für einen „slawisch- germanisch-jüdisch[en] Köter gehalten zu werden, der den Weg eines Außenirdischen gewählt hat, um zu überleben“ (MF 213).

7.1.2 Ein groteskes Spiel mit den Identitäten: Der Echsenmann (2001)

Wie in Muszers Debütroman spielt die Handlung des 2001 veröffentlichten Romans Der Echsenmann, den die Literaturkritiker „ein[en] Entwicklungsroman der beson- deren Art“ nennen (FLENTER 2001) und der sich nicht auf ein Genre festlegen lässt und dank seiner mehrschichtigen Handlung auch als Liebes- oder Kriminalgeschich- te gedeutet werden kann, in Hannover und wieder erfährt das Schicksal des Protago- nisten eine satirische Verzerrung sowie groteske Deformierung, mittels derer auch hier die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verwischt werden. Wie in seinem ersten deutschsprachigen Roman werden auch hier Auffassungen zu nationaler und kultureller Identität einer kritischen Refl exion unterzogen.

163 Eine Anspielung auf die auf dem Oberarm eintätowierte Blutgruppe der SS-Männer. Die Blutgruppentätowierung war ein Kennzeichen der Mitglieder der SS-Verfügungstruppe, der SS- -Totenkopfverbände und später des größten Teils der Waffen-SS. 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 175

Der Romanheld, „der letzte Spaziergänger, der sich zufällig in der Welt verirrt hat“ (ME 5), der sich selbst Espen Askeladden nennt164, wechselt ununterbrochen zwi- schen Tier- und Menschengestalt sowie Nationalitäten und lässt sich auf diese Weise keiner nationalen Gruppe eindeutig zuzuordnen. Wie ein Chamäleon variiert „der Echsenmann“ seine Körperform und kann die Umwelt imitieren. Er tarnt sich, um sich anzupassen und sich gleichzeitig zu entziehen. Die Titelfi gur ist je nach Situati- on mal Italiener, Holländer, Bulgare, Schotte, Rumäne oder Norweger und entwirft ein Bild seiner selbst als Verkörperung von Identitätslosigkeit, was als eine Meta- pher des Migrantenschicksals oder des modernen Menschen in der globalisierten Welt gelesen werden kann. Muszers Figur scheint an die in Ralph Ellisons Roman Invisible Man (1953) herausgearbeiteten Taktiken im Sinne der Camoufl age und des „Unsichtbarwerdens“ sowie Chamäleon-Strategien anzuschließen. Der namenlose Protagonist des Romans von Ellison, der paradigmatisch die Problematik der afro- amerikanischen Identität beschreibt, agiert als Stimme, fühlt sich unsichtbar und ist auf der Suche nach einer einheitlichen Identität. Wie dem „Unsichbaren Mann“ mit seiner Identitätslosigkeit können Askeladden unterschiedliche Rollen und Identitä- ten zugewiesen werden, mit keiner dieser Rollen oder Identität kann er sein „Ich“ jedoch vollkommen identifi zieren: „Wenn Sie also wollen, kann ich mich für Sie dünner oder kleiner machen oder auch ganz verschwinden. Sie müssen mir nur sa- gen, wie Sie mich haben wollen. Sich anpassen ist für mich das höchste Gebot“ (ME 14). Er schlüpft permanent in ihm von außen zugeschriebene Rollen und identifi ziert sich mit dem identitätslosen Schicksal von Ellisons Invisible Man. Seine praktizierte Identitätslosigkeit soll ihm dabei helfen, sich der deutschen Gesellschaft anzupassen und erfolgreich zu sein. Askeladden will sein „wahres Ich“ nicht offenbaren. Im An- schluss an den Postkolonialismus von Homi K. Bhabha und Said wird am Beispiel von Muszers Figur deutlich, dass die Kultur nicht genetisch, national oder geschicht- lich vorgegeben ist, sondern eine Konstruktion, die je nach der Subjektivität des jeweiligen Betrachters anders aussieht. Askeladden ist eine fl exible Person ohne präzise Herkunft, die völlig austauschbar ist. Neben der Wurzel- wird auch die Heimatlosigkeit des Protagonisten betont. Die Figur erscheint isoliert sowie ziel- und heimatlos, sie habe „keine Heimat und habe nie eine gehabt“ (ME 145): Sie sei „heute Nacht ein Osteuropäer“ (ME 30) und „wander[t] auf osteuropäische Art und Weise durch die Stadt“ (ME 10), obwohl der Protagonist „keinen richtigen osteuropäischen Vater“ (ME 10) hatte.165

164 Muszers Protagonist ist nach der gleichnamigen Figur der norwegischen Märchenwelt benannt: Askeladden, ein sympathischer Nichtsnutz, wird stets unterschätzt und besiegt jedes Mal wider alle Erwartungen seinen Gegner. 165 Es wird nicht explizit erläutert, welcher Herkunft Muszers Protagonist ist, im Text fi nden sich aber Signale, die seine eventuelle osteuropäische (polnische) Herkunft verraten können: er sei „damals katholisch“ gewesen (ME 71), „da, wo er damals lebte, gab es keine Salben […]. In der einzigen Drogerie in der Stadt, die sich auf dem Marktplatz neben dem Fleischer befand, konnte man höchstens eine kleine Flasche Salizylspritus erbetteln […]“ (ME 74), was man als eine Andeutung auf die wirtschaftliche Krise in den osteuropäischen Ländern deuten könnte. Der Protagonist erwähnt „das einzige Wiegenlied, das er noch aus seiner Kindheit kennt, ein Lied über zwei graubraune Kätzchen, einen mit Sternen übersäten Himmel und ein kleines Mädchen, das nicht einschlafen will“ (ME 182), womit auf ein populäres polnisches Wiegenlied angespielt wird („Ach, śpij 176 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Espen Askeladden, der sich selbst als „Höhlenmensch“ (ME 32) bezeichnet und sein Zimmer als „sein Reich, sein heiliges Revier, seine Höhle, in der er sich einigerma- ßen geborgen fühlt“ (ME 28) betrachtet, wohnt in Hannover „in einem respektablen Haus in der Stadtmitte“ (ME 25), trägt eine Baseballmütze, weil er, „Samson, Son- nenmann“, sein Haar „seine ganze Männlichkeit, seine ganze Stärke“ (ME 35) ver- loren hat und sein Kopf „empfi ndlich gegen Temperaturschwankungen“ (ME 13) ist, arbeitet als Taxifahrer, spricht Deutsch „mit einem Akzent“ (ME 10). Als Taxifahrer befi ndet er sich auf einer permanenten Durchreise, ständig in Bewegung, was ihm einerseits Kontakte mit verschiedenen Menschen erlaubt, andererseits befi ndet sich die Figur dadurch ständig in einer Transit-Situation, was für die anderen Migranten- fi guren, die man aus den Werken anderer Autoren mit Migrationshintergrund (etwa Becker, Felixa, Knapp) kennt, charakteristisch zu sein scheint. Muszers Figur wird von seinen Kunden auf seinen osteuropäischen Akzent angespro- chen, worauf sie mit Humor reagiert: „Dass ich kein Deutscher bin, das hört man, das sieht man und das riecht man deutlich“ (ME 10). Der osteuropäische Akzent von Askeladden scheint aber ein angenommener zu sein. Er erlaubt sich nämlich, „mit einem osteuropäischen Akzent zu sprechen“ (ME 18): „Irgendein unheilbringender Osteuropäer muss seine Akzenterreger auf mich übertragen haben, mein sprachli- ches Immunsystem angegriffen und mich vergiftet haben. Meinen unangenehmen Akzent müssen Sie mir wirklich verzeihen“ (ME 18). Dann auf einmal spricht er wieder akzentfrei und behauptet, aus dem Norden zu sein (ME 19). Die Figur fl üchtet in unterschiedliche Identitäten und hat eine multiple Persönlich- keitsstruktur, weil sie davon ausgeht, dass in der heutigen globalisierten Welt, einer „Schnellimbisswelt“ (ME 30) oder „Pommes-frites-Welt“ (ME 44), die nationale Zugehörigkeit keine Rolle mehr spielt:

Wer weiß, vielleicht bleibe ich noch ein paar Nächte lang dabei oder ein paar Monate oder sogar Jahre. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Niemand von uns weiß das. In unserer Schnellimbisswelt gibt es Menschen, die ihre Staatsangehörigkeit öfter wechseln müssen als ihre Beischlafpartner. Ich gehöre zu diesen Menschen. Im Leben geht es nicht um Nationalität und Zugehörigkeit, sondern ums blanke Überleben (ME 30). Die Figur versucht sich anzupassen und unterwirft sich dem Druck der Mehrheits- kultur. Es wurden nämlich

auf unserer wunderbaren Erde schon längst Grenzen gezogen. Man nennt sie Staatsgren- zen. Ohne gültige Papiere und ohne vollen Geldbeutel darf man sie unter keinen Um- ständen überqueren. Wer so etwas Ungeheuerliches tut, ist ein Schwerverbrecher und gehört ins Lager. Dann wird er entsorgt, also zurückgeschickt. Um ein Recht auf Leben zu haben, muss man sich für diesen oder jenen Staat entscheiden, sonst bleibt man ein Flüchtling, ein Wanderer ohne Rechte, den jeder mit einem Baseballschläger oder einem Abschiebungsbefehl wegjagen darf. [Er] wurde gezwungen, die Staatsangehörigkeit un-

kochanie”, Text von Ludwik Starski, Musik von Henryk Wars, zum ersten Mal gesungen von Adolf Dymsza i Eugeniusz Bodo im polnischen Film „Paweł i Gaweł“ aus dem Jahre 1938). 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 177

seres Staates anzunehmen. Sie wollten [ihn] nach Australien abschieben, und [er] wollte in Europa bleiben (ME 31). Seine Identität soll selbst seinen nächsten Mitmenschen gegenüber im Verborgenen bleiben. Mit einem Therapeuten aus dem Internet spricht er im anonymen Chatroom und „verstellt“ dabei seine Stimme (ME 66), indem er lispelt. Zu Susan, „kein[em] richtige[n] deutsche[n] Mädel“ (ME 46) mit „holländische[m] Akzent“ (ME 46), der Frau, zu der er eine besondere Beziehung entwickelt, meint der Protagonist, er stamme aus einem Volk, das „Samen“ heiße, bekannt auch unter dem Namen „Lappen“ (ME 48): Er sei „auf einer Insel am Inarisee im hohen Nor- den geboren“ (ME 48) und „Samen seien Wanderer“ (ME 48). Auf ihre Frage nach seinem richtigen Namen, antwortet er „Aslak von Looy“ (ME 49) und sein Vater sei „ein richtiger Holländer“ gewesen (ME 49), der einer „Lappin zur Verfügung gestellt“ wurde, als er vor dreißig Jahren im Norden auf der Jagd war. Der Name des Protagonisten, in dem sich die Identität des Individuums ausdrücken soll, ist – ebenfalls wie sie selbst – ein bewusst angenommener. Espen Askeladden, ist „nichts Besonderes“, „ein Held aus den norwegischen Märchen, ein Trottel und ein Glückspilz“ (ME 31). Askeladden hat seinen Namen geändert, als er „gezwun- gen wurde, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. [Er] dachte, es kann nicht schaden, ein wenig von Askeladdens Glück abzubekommen“ (ME 31). Früher hatte er gar keinen Namen, er war namenlos (ME 31). „Im Sinne der Gesellschaft habe ich überhaupt nicht existiert. […] Ich war eines von Millionen Papiertaschentüchern, die man jeden Tag gedankenlos in den Mülleimer schmeißt“ (ME 31f.) Die Hauptfi gur nimmt den Namen und eine neue Identität an und fängt erst dann an zu existieren. Auf die Flexibilität der Figur wird auf der Ebene der Körperlichkeit verwiesen. Muszer stellt seinen Helden Askeladden als einen Mutanten dar, der auch zu einer körperlichen Mutation, Verwandlung in Tierform fähig ist. Unerwartet kann er sich nämlich in eine „Riesenechse“ mit einer „keilförmige[n] Zunge“ (ME 94) verwan- deln:

Mit Entsetzen betrachtet Askelladden die Hornschuppen, die aus der Oberfl äche seiner Hände wie kleine, fl ache Insekten herauswachsen und ein schindelartiges Muster bilden. […] Sein Schädel dehnt sich nach vorne aus, er hat jetzt keine Nase, keine Ohren, keine Stirn und keinen Hals mehr. Zwei feuchte Glotzaugen mit riesigen dunklen Pupillen […]. Ein breites, sichelförmiges Lächeln durchschneidet seine Wangen (ME 93). Muszer lässt in seinem Roman eine fi ktionale Welt entstehen, die ebenfalls wie in seinem ersten Roman, von diversen skurrilen Gestalten „mit Migrationshintergrund“ bevölkert ist. Diese Figuren repräsentieren unterschiedliche Herkunftskulturen und geben die Fremdheitserfahrungen eines Migranten wieder. Mit „Lokisa Doneleitienie“ (ME 133), einer Frau litauischer Abstammung, die zum Haupthelden nach ihrem Verschwinden in seinen Träumen immer noch Litauisch spricht (ME 65) und die ihn angeblich verlassen hat, schloss er eine Scheinehe, „weil es anders für sie unmöglich gewesen wäre, in Deutschland zu bleiben“ (ME 147). As- keladden wohnt mit einer gewissen Chantal zusammen, seiner „Lieblingsfrau“ (ME 178 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

39) einer Prostituierten, die „eine slawische Frau“ ist (ME 39) und aus Czortków, einer „ukrainischen Kleinstadt“ (ME 38) stammt und in ihrer neuen Heimat einen ebenfalls Fremden als Beschützer hat: Jaros, „ein[en] stämmige[n] Halbkroate[n] und Halbserbe[n]“ (ME 37). Besondere Aufmerksamkeit verdient die Figur von Askeladdens bestem Freund Ja- dollah, der seine Fremdheit deutlich manifestiert, seine im Zusammenhang mit der Fremdheit gesammelten Erfahrungen durch sein Äußeres vermittelt und auf diese Weise seine kulturelle Differenz inszeniert. Er war zwar in „seinem vorigen Leben […] ein Mensch persischer Abstammung […], aber über zwanzig Jahre Leben in Europa haben bei ihm dauerhafte Schäden hinterlassen“ (ME 42). Als „ein Garten- zwerg“ (ME 41) trägt er eine „rote Zipfelmütze“, „Strickjacke, grüne Hose und Pelz- stiefel“ (ME 43). Früher war Jadollah ein Mensch und

hat bis heute menschliche Züge und menschliche Verhaltensweisen beibehalten, er kann es jedoch nicht ertragen, wenn man ihn, wie er sagt, als Menschen beschimpft. Mit aller Kraft wehrt er sich dagegen, besonders gegenüber den Behörden, die ihn unerschütterlich und beharrlich für ein menschliches Wesen halten (ME 41). Wahrscheinlich aus Angst vor Intoleranz verbirgt Jadollah seine wahre Identität vor der Außenwelt hinter der Maske (und dem Gewand) eines Gartenzwergs: „Niemand, aber wirklich niemand soll unseren richtigen Namen kennen, sonst kann er uns ver- nichten, ja, abrasieren, wie einen lebenslang gepfl egten Bart“ (ME 44).166 Die Maske wird zu einem Bestandteil seiner Identität in der neuen Heimat, verschmilzt mit ihr: „Er glaubt an eine Evolutionstheorie, in der sich das Gartenzwergweltall in ständiger Expansion bleibt und die Menschen sich im Laufe der Jahre in Gartenzwerge ver- wandeln“ (ME 42). Wie Muszers Debütoman spielt auch dieser Roman mit bewussten Inszenierungen von nationalen Stereotypen und kulturellen Klischeebildern, die auf verschiedene Weise durch ihre Demaskierung konsequent zu einem Bruch mit denselben führen. Die stereotypen Zuschreibungen beziehen sich sowohl auf persönliche Eigenschaf- ten wie auch auf nationale Unterschiede. Man fi ndet im Text zahlreiche Beispiele: Die Türkenfi gur spricht das sog. Gastarbeiterdeutsch mit Hilfe von Infi nitivkons- truktionen. Der als Taxifahrer arbeitende Protagonist behauptet gegenüber seiner deutschen Kundin, einer älteren Dame, ein Bulgare zu sein (ME 113), Bulgaren fühlen sich nämlich „an manchen Stellen weicher“ an (ME 114) und man kann sie „deutlich [am] trillernden Zungenschlag erkennen. Nur die Bulgaren sprechen so deutsch“ (ME 114). „Bulgaren [seien] besonders langlebig“ (ME 115), weil sie viel Knoblauch essen und daher stinken (ME 115). Auf die Frage eines anderen Fahrgas- tes antwortet die Hauptfi gur, sie komme „[a]us der Walachei. […] Ziemlich weit, in Rumänien, zwischen Südkarpaten und Donau“ (ME 117). Er „spiele keine Geige, tanze schlecht, und wenn [er] Blut sehe, kriege [er] Magenkrämpfe oder falle in Ohn-

166 Die Anspielung auf Rumpelstilzchen ist dabei am auffälligsten: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!“ Wie Rumpelstilzchen, der facettenreiche, unberechenbare und nicht kontrollierbare Märchenheld der Gebrüder Grimm, hält Jadollah seinen Namen geheim. 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 179 macht“ (ME 117). Durch die bewusste Inszenierung der Klischeebilder spiegelt der Protagonist die Bilder und Haltungen wider, die ‚von außen’ an ihn herangetragen werden und karikiert sie zugleich: „Die Bewohner der Walachei sind sprachbegabt […]. Es kommt vor, dass man in einer einzigen Familie mehrere Sprachen gleich- zeitig benutzt, um sich zu verständigen. […] der Vater spricht rumänisch, die Mutter ukrainisch, die Tante ukrainisch und die Kinder arabisch, türkisch oder bulgarisch. Und alle verstehen sich prächtig. […] In den tiefen Wäldern sprechen manche auch deutsch“ (ME 118). Dabei liegt die Besonderheit in der Wirkung, die diese Inszenierungen bei den Rezi- pienten auslösen, denn Muszers auf Deutsch verfasste Texte richten sich auch dezi- diert an eine deutsche Leserschaft, konfrontieren die Leser nicht nur mit bestimmten Kulturbildern, sondern spiegeln auch deren eigene Vorurteile und stereotype Vorstel- lungen wider. Die dargestellten Stereotype sind nämlich Reproduktionen der gesell- schaftlich bestehenden Klischees. Die Figuren entlarven sie und refl ektieren gleich- zeitig über die Wahrnehmung der Außenstehenden. Zugleich wird jedoch mit diesen Fremd- und Selbstbildern gebrochen. Der Protagonist ist eben nicht derjenige, als der er in seinem Gastland wahrgenommen wird.

7.1.3 Die Kritik der globalisierten Welt: Gottes Homepage (2007)

Einen anderen Ansatzpunkt für die Beschäftigung mit der Problematik der kultu- rellen Identität und der Migration bietet der 2007 veröffentlichte Roman Gottes Homepage, dessen Rahmenhandlung in der näheren Zukunft angesiedelt ist und der laut Artur Becker, Muszers Schriftstellerkollegen und Freund zugleich, kein klassi- scher Science-Fiction-Roman, sondern eher ein Satire-Roman ist (BECKER 2007c: 21). Wie in seinen vorangegangenen Romanen, Die Freiheit riecht nach Vanille und Der Echsenmann, schöpft Muszer auch in diesem Fall aus verschiedenen Genres. Gottes Homepage ist neben dem Science-Fiction-Roman auch ein Liebes-, Aben- teuer- und Schelmenroman, in dem es oft zu einer Brechung der räumlichen und zeitlichen Kontinuität kommt. Die Geschehnisse folgen einander locker, denn der Handlungsablauf wird durch eingeschobene einzelne Episoden, diskontinuierliche Handlungsfetzen, zahlreiche Vor- und Rückblenden immer wieder gebrochen. Um dem Textganzen zu folgen, muss der Leser ständig zwischen Zeit- und Raumebenen oszillieren. Der Roman lässt sich aber auch in die Gattung der Anti-Utopie einord- nen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart entwirft Muszer ein Zerrbild für die menschliche Zukunft, wobei der Schriftsteller – wie in einer cha- rakteristischen Ausprägung der Anti-Utopie (vgl. dazu z.B.: SCHULTE-HERBRÜGGEN 1960; SUERBAUM/BROICH/BORGMEIER 1981; MEYER 2001; ESSELBORN 2003) – seine zeitbezogene gesellschaftliche Kritik und die Totalitarismuskritik anhand einer ne- gativen Zukunftsvision sowie seinen Zweifel an der globalisierten Zukunft mit ihren totalitären Tendenzen zum Ausdruck bringen und die Unvermeidlichkeit des Ver- falls suggerieren will. Er nimmt auch historische Aspekte auf (der Zweite Weltkrieg und die Existenz der beiden totalitären Systeme in der Geschichte Europas) und 180 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

fi ktionalisiert sie in seinem Text. Der Leser fi ndet im Roman visionäre Bilder einer globalisierten, totalitären Welt sowie der Absurdität der globalisierten menschlichen Existenz. Muszers Anti-Utopieentwurf analysiert die bisherigen Erfahrungen mit den totalitären Systemen und imaginiert – darauf aufbauend – eine neue globalisier- te, bedrohlich erscheinende Gesellschaft, in der diverse Mittel zur Gleichschaltung angewendet werden. Die Intention des im sozialistischen Polen geborenen Schrift- stellers scheint zu sein, Refl exionen über den Totalitarismus nach nationalsozialis- tischem und stalinistischem Vorbild anzuregen und seinen Text als Reaktion gegen totalitäre Systeme zu gestalten. Auf eine detaillierte Zusammenfassung aller Einzelheiten soll hier verzichtet wer- den. Vielmehr geht es um eine überblicksartige Darstellung, so dass grundlegen- de Strukturen der „globalisierten“ Welt sowie der von Muszer im Text aufgegrif- fenen Identitätsproblematik deutlich werden. Die Handlung des Romans mit einer bis in die sprachliche Gestaltung durchgehaltenen ironischen Erzählhaltung spielt im „Achtundachtzigsten Violetts“ (MGH 5), im Zeitalter des Regenbogens in der Zukunft, nach zwei Weltkriegen um die Luft, deren Auswirkungen den Menschen selbst sowie die Zustände in der Welt (auch die kulturellen) völlig veränderten. Die (künftige) Erde, die vom wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in hohem Maße geprägt ist, wird nur noch von wenigen echten Menschen bewohnt, weil Ho- logramme und Geklonte die von den außerirdischen „Niebieskis“ (Himmelblauen, wie sie sich „in ihrer Sprache nennen“, MGH 5) kontrollierte Welt bevölkern.167 Das gesellschaftliche sowie private Leben ist strikt organisiert und manipuliert. Es gibt keine dem heutigen Menschen bekannten Nationen und Sprachen, keine „richtigen“ (MGH 9) Familien mehr, Konsum und Vergnügen sind einziger Lebenszweck. Die Menschen können und dürfen nicht mehr rauchen, sich nicht mehr vermehren (Ge- burtenkontrolle) und die Arbeit wird von Sklaven verrichtet, weil die Gesellschaft sich durch materiellen Überfl uss auszeichnet und die Menschen „fortwährend Ur- laub [haben] und [...] umsonst essen und trinken“ (MGH 193) sowie – mit Erlaubnis der Himmelblauen – Runderneuerugen der menschlichen Körper durchführen kön- nen. Falls der Mensch aber seine ihm zugewiesene „Rolle in der Gesellschaft […] schlecht spielt, wird er ausgewechselt oder entsorgt“ (MGH 41). Die „tägliche“, von den Erdlingen verwendete Sprache ist „Anglos“ (MGH 23), die Einwohner werden „von der PC-Kommission […] auf Freundlichkeit gegenüber fremden Lebewesen

167 Der polnischsprachige Leser Muszers wurde schon 2006 mit der Figur des außerirdischen Himmelblauen konfrontiert. „Niebieski” („Der Himmelblaue“) ist nämlich die Titelfi gur seines 2006 veröffentlichten polnischsprachigen Romans, vgl.: MUSZER, Dariusz (2006): Niebieski. Szczecin: Wydawnictwo Forma. Der „Niebieski”, eine christusähnliche, blauhäutige Figur in einem ebenfalls himmelblauen Raumanzug und mit einer gleichfarbigen Pilotenhaube auf dem Kopf, wird mit einem Flugzeug, das von zwei gefl ügelten Piloten gefl ogen wird, auf die Erde gebracht, um den „Krieg zu beenden“ (MUSZER 2006: 1) und die Menschen von ihrem Feind zu erlösen, wobei es sich hier um eine mit vielen Anspielungen und Verweisen auf biblische Mythen, Figuren und Motive versehene Erlösungsgeschichte in grotesker Verzerrung handelt, in der die aus der Bibel vertrauten Bilder grotesk verzerrt sowie absurd erscheinen. Der außerirdische „Niebieski“, der sich selbst als ein „Grenzgänger“, ein „Grenzenloser“, „Unbegrenzter“ (MUSZER 2006: 42) defi niert, wird nach einem grotesken Passionsweg auf einer Leiter gekreuzigt, die er dann als Raumschiff benutzt, um zurück zur „Zentrale” zu gelangen. 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 181 geprüft“ (MGH 22) und die Namensnummern werden „wegen der intergalaktischen Political Correctnesss […] im unteren Bereich des Hinterkopfs“ tätowiert (MGH 26). Die Zahl der Stadteinwohner wird auch von „Vater Staat“ (MGH 42) „regu- liert“, indem die Zahl der Geklonten „unter Anwendung eines Software-Grippevi- rus“ (MGH 14) reduziert wird. Die Eizellen der „Mischlinge“ gelten auf der einen Seite als besonders wertvoll und werden für die Herstellung eines „genetisch wert- vollen Supereuropäer[s]“ (MGH 195) verwendet, andererseits werden im zivilisier- ten Westeuropa „unerwünschte“ Kalmücken mit ihrer allzu großen Verschiedenheit der Gene mit einem „Reproverbot belegt“ (MGH 195) und sterilisiert. Die „Niebies- kis“, die „Himmelblauen“, Bewohner eines fremden Planeten, der einen polnischen Namen, „Niebo“ (dt. „Himmel“) trägt und auf die „himmlische“ Herkunft eindeutig verweist, stellen auf der Erde nach den Weltkriegen das öffentliche Leben wieder her, manipulieren das Wetter und zwingen die Menschen zu einer einzigen Sprache und einer einzigen Weltregierung. „[Z]ähe und anpassungsunfähige Völker, die Ru- mänen und die Polen […] wurden assimiliert“ (MGH 98). Vom Kosmonet, „Gottes Homepage“, die ebenfalls von den „Niebieskis“ kontrolliert wird, kann man alle Informationen über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herunterladen, wo- bei das Motiv der Geschichtsfälschung auf eine Verwandtschaft mit Orwells 1984 verweist. Auch in diesem anti-utopischen Werk bleibt der Schriftsteller der Identitäts- und Migrantenthematik (in ein dystopisches Gewand gehüllt) treu. Der Ich-Erzähler des Romans, Herr Gepin, ein Veteran des Zeitalters der Kriege und Bürgerkriege, „hun- dertachtundzwanzig Jahre grau“ (MGH 5), der zu den wenigen Menschen gehört, die ihre Erinnerungen bewahrt haben, soll in Südnorwegen im Auftrag der Zentral- kulturbehörde der globalisierten Welt seine Memoiren in der ausgestorbenen deut- schen Sprache, der Sprache der „Helden und Propheten“ (MGH 22), die auch dem Erzähler selbst „fremd geworden ist“ (MGH 48), schreiben. Die Haupthandlung des Romans bildet die teilweise in der zweiten Hälfte der „XX. Epoche des Nichtre- genbogens“ (MGH 44), also des 20. Jahrhunderts, angesiedelte Lebensgeschichte des Ich-Erzählers Gepin, die die Binnenerzählung und den inhaltlich entscheidenden Teil des Textes ausmacht, wobei die beiden Ebenen (Rahmen- und Binnenerzählung) sich abwechseln.168 Wie in den anderen Romanen Muszers ist die Hauptfi gur ein Mischling mit einer hybriden Identität. Gepin defi niert sich selbst als Pole (MGH 90, 110, 119), denkt und träumt auf Polnisch (MGH 21), das seine erste Muttersprache ist. Die zweite Muttersprache, die er schon vergessen hat, sei aber merkwürdigerweise „Altrus- sisch“ (MGH 22). Seine polnische Mutter, Natalia Filipowna Gepin, deren Name eher auf ihre russische Herkunft hindeutet, die „gerne russische und polnische Ly-

168 Im Text werden genaue Jahresdaten angegeben, wie beispielsweise das Geburtsjahr von Gepins Frau Freyja – 1964 (MGH 49), 1974 – Umzug des Protagonisten nach Kraków in Südpolen (MGH 87), 1979 – Gepins neunzehnter Geburtstag, der „Vergessene Kurzkrieg 1939–1945“ (MGH 44), 1995 lernt der Erzähler seine Frau kennen (MGH 51). Man fi ndet auch Anspielungen auf bedeutende historische Ereignisse, wie das sozialistische System in der Volksrepublik Polen (MGH 86), den Mauerfall und die „Wiedervereinigung, […] Einverleibung des DDR-Staates“ (MGH 88, 91). 182 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 riker“ las und Cyprian Kamil Norwid169 „vergötterte“ (MGH 90), war eine in der Sowjetunion tätige Naturwissenschaftlerin. Gepins Vater, Ruslan Ludminski, ein aus dem „westmongolischen Volk“ (MGH 37) stammender Kalmücke, ein Kosmo- naut, „ein Versuchskaninchen“ der russischen (osteuropäischen) Weltraum-Industrie (MGH 32)170 wurde von den Sowjets in den Kosmos geschickt und weilt seitdem „im grenzenlosen All“ (MGH 36). Die „wirkliche Heimat“ von Ruslan Ludminski – wie der Hauptfi guren aus Muszers früheren Romanen – sei aber wieder eine au- ßerirdische. Seine Abstammung „direkt von den Himmelblauen“ (MGH 38) macht Muszers Protagonisten zum Nachkommen außerirdischer Lebensformen, eine Me- tapher, die auch in seinem Debütroman Die Freiheit riecht nach Vanille vorkommt. Dadurch wird seinem Protagonisten eine universelle Dimension verliehen. Wegen seiner Hybridität wird er übrigens mit einem „Reproverbot belegt“ und sterilisiert, weil kulturell fremde, „vollständig verseucht[e]“ Individuen mit ihrer allzu großen Verschiedenheit der Gene sich nicht vermehren dürfen (MGH 195). Wie in Muszers anderen Romanen ist auch hier der Ich-Erzähler ein Migrant und die Migration eine erlebte Realität: Gepin führt von Kindesbeinen an ein „Nomaden- dasein“ (MGH 87) und verkörpert die existenzielle Situation eines zum Nomaden gewordenen Migranten in der globalisierten Welt. Für die „Nomaden“ kann jeder Ort, den sie betreten, zur Heimat werden. Die Heimat ist für Muszers Figur ein Zu- stand des ständigen Unbehaustseins. Nach Aufenthalten in Sibirien – in „einem exo- tischen Land“ (MGH 82), in der Volksrepublik Polen, wo er ein Jahr in Warszawa und fünf Jahre in Kraków verbringt), geht der Ich-Erzähler „unfreiwillig“ (MGH 89) in den Westen, nach West-Berlin „i[ns] alte[-] Germanien“ (MGH 90) und dann „in die nächste Verbannung“ (MGH 91) nach Hannover, wo ihm eine Sozialwohnung in einem „frisch gegründete[n] russische[n] Ghetto“ (MGH 92) zugewiesen wird, weil man ihn „aus unerklärlichen Gründen für [einen] Russen“ hält (MGH 92), „wie den letzten Dreck“ behandelt (MGH 92). Gepin arbeitet als „Spion“ (MGH 93) und lernt im Jahre 1995 seine Frau Freyja kennen. Freyja ist die in Hamburg geborene Tochter deutsch-polnischer Eltern, die den Namen der nordgermanischen Göttin der Liebe und der Ehe trägt. Freyjas Vater, Jan Jagoda, ist ein „Nachkomme polnischer Zwangsarbeiter, die nach dem Zweiten Weltkrieg […] im damaligen Germanien ge- blieben“ (MGH 49) sind und ihre Mutter (Katherina Eiszapfen) stammt aus einer seit vielen Generationen in Ostfriesland ansässigen Familie. Freyja ist also ebenfalls ein „Mischling“, weil sie „von Eltern verschiedener Rassen“ (MGH 194) abstammt und ihre Gene in der „globalisierten“ Welt als „wertvoll“ gelten. Ihre Eizellen wer- den daher für die „Herstellung genetisch identischer Lebewesen“ (MGH 194) eines „genetisch wertvollen Supereuropäer[s]“ (MGH 195) verwendet, was eindeutig als eines der vielen Ironiesignale Muszers entschlüsselt werden muss. Die Elemente der

169 Cyprian Kamil Norwid (1821–1883) – polnischer Dichter der Romantik, der den Großteil seines Lebens im Exil verbrachte. 170 Im Roman werden Namen und Einzelheiten aus dem Leben und den Karierren der echten historischen sowjetischen Piloten und Kosmonauten genannt und beschrieben, wie z.B. Ledowski, Schaborin, Mitkow, Walentin Bondarenko, Wladimir Iljuschin, Jurij Aleksejewitsch Gagarin (MGH 32–34). 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 183

Ironie und Satire, mit denen sich der Autor von der politisch-sozialen Wirklichkeit zu distanzieren versucht und dabei weder Polen und die Polen noch Deutschland und die Deutschen verschont, sollen Muszers totalitarismuskritische Haltung verdeutli- chen. Wegen seiner kulturellen Hybridität wird der Protagonist, ebenso wie die Hauptfi gur aus dem Roman Der Echsenmann, von seinen Mitmenschen auf unterschiedliche Identitäten festgelegt. Von den Vertretern der „germanischen Völker[-]“ (MGH 104) – und interessanterweise auch von den Polen – wird Gepin eine russische Identität zugeschrieben, weil „Polen, Russen, Tschechen, Ukrainer […] alle gleich“ (MGH 110) seien, obwohl er sich selbst als Pole bezeichnet (MGH 110, 119) und sich – den Polen gegenüber – der polnischen Sprache bedient. Im Krieg wird er von den Polen gefangen genommen und in ein „provisorisches Lager für Internierte“ (MGH 122) gebracht, dessen Insassen als Feinde von den Polen – ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit („Deutsch, Tschechisch, Türkisch und Arabisch“, MGH 122) – als Repräsentanten des Russischen behandelt und gequält werden. Von den Türken, „dunkelhäutige[n] Männer[n] mit zottigen Bärten“ (MGH 125), deren klischeehaf- tes äußeres Erscheinungsbild auf ihre „fremde“ Herkunft hinweisen soll, wird Gepin für einen Deutschen gehalten, obwohl er „Deutsch mit Akzent“ spricht (MGH 125). Nach dem Aufenthalt in dem Konzentrationscamp verstärkt sich die innere Zerris- senheit des Protagonisten, Gepin beginnt sogar, ein „zweigleisiges Leben“ (MGH 164), ein Doppelleben in „zwei verschiedenen Dimensionen“ (MGH 165) zu führen. Andere Akteure der Romanhandlung stammen, wie der Ich-Erzähler, ebenfalls aus unterschiedlichen Kulturkreisen, wie z.B. Adalbert Lesginka, ein deutschstämmiger Ukrainer (MGH 58), Simon Replet, ein gebürtiger Belgier (MGH 65), Joseph aus Schlesien (MGH 72), die Polen – (Förster Grabicz, Hauptmann Ruczaj, Orendowski, Pani Minczakowa) sowie Türken – (Mehmet, Clavin, Ali) oder Russenfi guren (Ma- jor Ratuszkin/Ratuschkin, seine Tochter Tanja). Wie in seinen anderen Texten spielt Muszer provokativ auch in Gottes Homepage mit bewussten Inszenierungen von Stereotypen und kulturellen Klischeebildern, wobei die gewollte Übertreibung das Grotesk-Parodistische des Werkes ausmacht. Die Stimmung variiert, nimmt zynische oder groteske Formen an, die durch ent- sprechende Bilder erzeugt werden. Die typisierten, parodistisch gezeichneten Re- präsentanten der deutschen Kultur im Krieg um die Luft, die als xenophobische, intolerante, „schwer bewaffnete“ (MGH 135), „boshaft lächelnd[e]“ (MGH 137), naziähnliche Figuren mit „Kapitän Jörg“ (MGH 136) an der Spitze dargestellt wer- den und mit Peitsche, in Begleitung von dröhnender Musik, ihre Gefangenen zur Arbeit zwingen, werden mit ihrer Darstellung in einen engen Zusammenhang mit den deutsch-polnischen Beziehungen und emotionsgeladenen, historischen Erfah- rungen gebracht. Die Darstellung des Lagers erweckt eindeutige Assoziationen mit den Konzentrationslagern der Nazizeit. Die Gefangenen des Lagers, das letzten En- des von den „russischen Streitkräften“ (MGH 151) befreit wird, müssen sich einer Prozedur unterziehen, die unmissverständlich an KZ-Rituale erinnert: sie müssen sich ausziehen, duschen, sich einer „Ganzkörperrasur“ und Desinfektion unterziehen (MGH 137), um dann in ein hinter einem Tor mit einem „große[n] Schild mit einer 184 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Aufschrift“ (MGH 136) liegendes Camp „Schattige Eiche“171, „Ort der Verdamm- nis“ (MGH 140), gebracht zu werden, wo sie „in Birkenstocksandalen durch den lehmigen Boden“ (MGH 138) waten, in Stockbetten aus Holz schlafen, „sinnlose Knochenarbeit“ (MGH 141) leisten müssen, geschlagen, mit Stromschlägen und Aufputschmitteln behandelt und „zum Appell gerufen“ werden (MGH 138). Die „koreanische Leichenverbrennungsmaschine“ darf aber wegen der „Umweltvor- schriften“ und der fehlenden „Sondergenehmigung“ der „EU-Bürohengste“ (MGH 145) in dem „Konzentrationscamp“ (MGH 146) nicht benutzt werden, woran sich Muszers Hang zu satirischer Auseinandersetzung mit der Gegenwart erkennen lässt. Statt der „Steckrübensuppe, die „gemäß der Tradition die Hauptnahrungsquelle in jedem anständigen Camp sein“ (MGH 145) sollte, essen die Häftlinge aber Ravi- oli in Tomatensauce (MGH 145) und Sauerkraut (MGH 141). Auch der Name des Lagerkommandanten, „Massa Rudolf“ (MGH 139) kann als eine parodistische An- spielung auf Rudolf Höß, den Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, interpretiert werden.172 Als deutsch-polnischer Schriftsteller setzt Muszer die Elemente des Unrealistischen, Fantastischen ein, benutzt die Mittel der Parodie und Satire und hat eine Vorliebe für das Groteske und Absurde, die als wichtige Komponenten seiner sowohl polnisch- als auch deutschsprachigen Texte erscheinen. Muszer bedient sich dieser Mittel, um mit starren, schematischen Vorstellungen zu spielen und um sich vielleicht möglichst universell literarisch äußern zu können. Auch die sozialkritische Funktion des Gro- tesken darf in diesem Zusammenhang nicht unbeachtet bleiben. Das Groteske hält laut Sinic den Leser dazu an, selbst stärker über bestimmte Probleme zu refl ektieren, da „das Groteske mit unseren Normen, Vorstellungen und Werten spielt und eine Analyse dieses Phänomens zugleich auch eine Analyse unserer Denkschemata ist“ (vgl. SINIC 2003: 285). Brigitta Helbig-Mischewski verweist mit Recht darauf, dass die Migrationserfahrung den Einsatz dieser Mittel begünstigt (vgl. HELBIG-MISCHEW- SKI 2013: 164). Es sind Strategien, die für die Migrantenliteratur charakteristisch zu sein scheinen, weil die Autoren oft mit einem ironisch-satirischen, mitunter grotes- ken Blick ihre alte und neue Heimat, „alte“ und „neue“ Kultur sowie das Migranten- und Menschenschicksal betrachten, was wiederum die erzählten Ereignisse komisch und verfremdet erscheinen lässt. Für Peter Fuß besteht die wichtigste Funktion des Grotesken in der „Liquidation symbolisch kultureller Ordungsstrukturen“ und diese „destruktive Komponente ist eine notwendige Bedingung der kreativen Transformation kultureller Formationen“

171 Der Name des Lagers („Schattige Eiche“) ist in diesem Zusammenhang mit Sicherheit als Ironiesignal zu verstehen. Die Eiche als schon bei den antiken Autoren mehrfach bezeugtes Charakteristikum Germaniens und als das nationale deutsche Symbol für Stärke, Dauerhaftigkeit und Heldenmut ist seit Generationen ein fester Bestandteil der deutschen nationalen Symbolik (vgl. DEMANDT 2009; BREDNICH/SCHMITT 1997). 172 Der Lagerkommendant vetritt die Meinung, dass „Bauen und Verwalten von Konzentrationslagern […] [e]ine polnische spécialité de la maison“ sei, weil Polen „während des letzten Weltkrieges die besten Konzentrationslager bauten“ (MGH 146f.). Dies kann als Versuch der Auseinandersetzung mit der historisch falschen Formulierung der „polnischen Lager“, mit der die auf dem Gebiet Polens errichteten deutschen Konzentrationslager bezeichnet werden, gedeutet werden. 7. Dariusz Muszer – ein aus dem Osten kommender „Barbare“? 185

(FUSS 2001: 154). Der Schriftsteller Muszer reproduziert die gesellschaftlich be- stehenden Stereotype, spielt mit vorhandenen starren Vorstellungen, ironisiert und destruiert kulturelle Zuschreibungen und stellt sie somit in Frage.

8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“173

Im Falle der 1985 in Gifhorn (Niedersachsen) geborenen Sabrina Janesch, die die junge Generation der deutsch-polnischen transkulturellen Literatur repräsentiert, kann man nur bedingt von einer Vertreterin der Migrantenliteratur sprechen, wenn man als das primäre Klassifi kationsmerkmal die Biografi e der Autoren annimmt und die Tatsache berücksichtigt, dass Janeschs Mutter einen Deutschen geheiratet hat und Janesch selbst nicht nach Deutschland ausgewandert ist, sondern schon in der BRD geboren wurde und zweisprachig aufgewachsen ist. Sabrina Janesch kann tatsächlich kaum mehr als „Migrantenautorin“ bzw. Autorin mit „Migrationshinter- grund“ bezeichnet werden. Adäquater erscheint die Verwendung der begriffl ichen Alternativen der „interkultu- rellen“ Literatur (vgl. WÄGENBAUR 1995a: 23) oder der „mehrkulturellen Literatur“, die die Thematisierung von Interkulturalität und interkulturellen Erfahrungen in den Texten als Kriterium haben (vgl. ACKERMANN 1994, 1996). Doch ich folge in dieser Hinsicht Maria Brunner, laut der der Terminus „Migrantenliteratur“ „weniger auf die Biographie der Autoren und Autorinnen fi xiert, sondern vor allem thematisch orientiert [ist] […] [und ] über die Zugehörigkeit zur Migrationsliteratur entschei- det weniger die Biographie der Autoren und Autorinnen, sondern die Form- und Inhaltsebene der Texte, also auch und vor allem die Sprach- und Identitätsthematik“ (BRUNNER 2005: 172). So kann man die Migrantenliteratur als Literatur defi nieren, „in der es aufgrund der biographischen Erfahrung, in einem fremdkulturellen Be- zugssystem zu leben, zu einer textuellen Auseinandersetzung mit kulturellen Identi- täten und Differenzen kommt“ (ZIERAU 2009: 22). In Deutschland geboren, zweisprachig aufgewachsen, konnte Sabrina Janesch ihren Kontakt zu der in Schlesien verbliebenen Familie als auch zur polnischen Sprache weiter pfl egen. Von 2004 bis 2009 studierte sie Kreatives Schreiben und Kulturjour- nalismus in Hildesheim, außerdem zwei Semester Polonistik in Krakau. Seit ihrem Diplom im Sommer 2009 arbeitet sie als Schriftstellerin und Publizistin. Ihr Debüt brachte Janesch Lob und Anerkennung der deutschsprachigen Literaturkritik ein. Für ihren Debütroman Katzenberge wurde sie 2010 mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste Romandebüt des Jahres und 2011 mit dem Nicolas-Born-Förderpreis sowie dem Anna-Seghers-Preis ausgezeichnet.

173 (C/A) (2012). 188 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Von den Rezensenten wird Sabrina Janesch als eine Schriftstellerin „mit Migrati- onshintergrund“ (ANONYM 2011a: 140) bzw. mit einem „deutsch-polnischen Hinter- grund“ (BAUREITHEL 2010: 22), als „deutsch-polnische Autorin“ (vgl. dazu: PLATT- HAUS 2012: 27; WALTER 2012a: 23, 2012b: 32; LANGE 2012) oder „eine polnische Deutsche, oder eine deutsche Polin“ (WOJCIK 2011) vorgestellt, die als „Deutsch- -Polin […] akzentfrei zwei Sprachen“ (KITTEL 2010: 28) spricht und „zwischen den Herkunfts-Stühlen“ (GELLERMANN 2012) schreibt. Man verweist auf ihre deutsch- polnische Herkunft, dadurch wird ihr Thema der deutsch-polnischen Familienge- schichten sozusagen vorgegeben (vgl. MAGENAU 2011; KROHN 2012; GELLERMANN 2012). Janesch wird von der Kritik als „eine wunderbare Hoffnung des jungen deut- schen Romans“ gelobt (GELLERMANN 2012). Ihr Debütroman Katzenberge (2010), der ein Erfolg im deutschsprachigen Literatur- betrieb war, wurde von den Kritikern hoch gelobt (vgl. WALTER 2012a: 23, 2012b: 32). Der Roman wird als „autobiographisch gefärbter Erstling“ (WALTER 2012a: 23, 2012b: 32), als „Beitrag der deutsch-polnischen Geschichte“ (JÄHNIGEN 2010a: 26), der eine deutsch-polnische Familiengeschichte in Schlesien und Galizien erzählt, betrachtet. Der Roman sei „eine Migrationsgeschichte“ (ANONYM 2011a: 140), „ma- gischer Realismus auf deutsch-polnisch“ (ROHLF 2010: 31), ein „intelligentes, sinnli- ches Buch über Heimat und Fremde“ (JÄHNIGEN 2010a: 26), „mit Humor, melancho- lischer Fabulierkunst und einer wunderbaren Leichtigkeit komponiert“ (JÄHNIGEN 2010a: 26), entfalte „einen melancholischen Zauber“ (APIN 2010). Die Rezensenten verweisen auf die autobiografi schen Elemente im Roman und die Erzählerin Nele, die einen deutsch-polnischen Hintergrund hat, sich laut Literaturkritik „zwischen den beiden Herkünften zerrissen“ (BAUREITHEL 2010: 22) fühlt. Die Autorin entfalte „eine für die jüngere Literatur ungewöhnliche Sprachkraft“ (SCHÄRF 2010: 30) und erzähle „rational, aber poetisch, wortmächtig und inhalts- schwer […] von den vielfältigen Facetten der Fremde“ (SCHWESIG 2010: III). Auch Janeschs zweiter Roman Ambra (2012) sei eine „deutsch-polnische Familien- saga“ (vgl. WALTER 2012a: 23, 2012b: 32; PLATTHAUS 2012: 27) sei „schwungvoll“, „dicht“, „spannend“ (WALTER 2012a: 23, 2012b: 32), „voll magisch-mystischem Realismus“ (SCHUMACHER 2012). Den deutsch-polnischen Wurzeln der Autorin zum Trotz werden Janeschs Texte in die deutsche Literaturtradition eingereiht. Birgit Walter macht in ihrer Kritik darauf aufmerksam, dass das Werk eine „reife, ernste, historisch detailgenaue“ literarische Darstellung sei, die „wegen ihrer Sujets schon auf Vergleiche mit und Günter Grass reagieren musste, dazu einen klassische-traditionellen Erzählstil pfl egt“ (WALTER 2012a: 23).

Mit ihrer „transkulturellen Identitätsbildung“ von Kindesbeinen an stellt die junge Schriftstellerin quasi ein Ergebnis der voranschreitenden europäischen Integration dar. Auch in ihrem Fall kann man eine gemischte, hybride Identität vermuten, was die persönlichen Aussagen der Schriftstellerin bestätigen. Janesch betrachtet sich selbst als eine „Halbpolin, deren Großeltern aus Niederschlesien stammen“, „eine junge, deutsche Schriftstellerin“ (JANESCH 2010b: 7). Sie fühle „sich halb als Deut- sche, halb als Polin“ (zit. nach: SCHWESIG 2010: III). Ihr „Kopf gehört zu Deutsch- 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 189 land, das Herz zu Polen“ (KROHN 2009: V2). Ihren eigenen Worten zufolge hat die Schriftstellerin eine hybride/doppelte Identität: „Wenn ich in Deutschland bin, um- geben nur von Deutschen, dann fi nde ich mich sehr polnisch. Wenn ich in Polen bin, dann glaube ich manchmal, dass ich die deutscheste Person auf diesem Planeten bin, wirklich“ (zit. nach: BÖTTCHER 2010). Dieses Erleben von Andersheit, Fremdheit so- wie Interkulturalität thematisiert Sabrina Janesch gern in ihren literarischen Texten. Die deutsch-polnische Abstammung der Schriftstellerin beeinfl usst auch ihren lite- rarischen Werdegang. Für Sabrina Janesch bildet Schlesien, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat, eine wichtige literarische Kulisse.174 Sie wählte bewusst als Schauplätze ihres Debütromans Katzenberge (2010) sowie des 2012 veröffentlich- ten Romans Ambra bedeutende Regionen des Völkerkontakts und der Völkervermi- schung, somit musterhafte Räume des kulturellen Nebeneinanders in Europa: Schle- sien und Galizien (Katzenberge) sowie Danzig, eine Stadt vieler Kulturen (Ambra).175 Der kulturelle Kontext ist in diesem Fall von entscheidender Bedeutung. Die Gebiete Schlesiens, Galiziens und die Stadt Danzig, in denen der wechselseitige kulturelle Austausch und die gegenseitige Einfl ussnahme stattgefunden haben – jahrhunderte- lang „eine Brücke“ zwischen germanischer und slawischer Welt, „auf der Polen und Deutsche sich begegneten“ (BIENIASZ 1993: 541) – bekommen in Janeschs Romanen die Funktion von besonderen (fast mythischen) Kulturgrenzräumen, einer Grund- lage, auf der es zur (nicht immer konfl iktfreien) Überlagerung und Vermischung diverser Kulturelemente kommt. Viele Migrantentexte thematisieren die Probleme der kulturellen Zugehörigkeit so- wie die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Selbstverortung. Sabrina Janesch, selbst eine junge Grenzgängerin zwischen dem deutschen und dem polnischen Kul- turkreis, scheint in diesem Zusammenhang keine Ausnahme zu bilden, sie verwen- det das in der Migrantenliteratur gern benutzte Motiv der Reise176 und schickt – in den beiden bisher veröffentlichten Romanen (Katzenberge, Ambra) – ihre Figuren gern in den (deutsch-polnischen) kulturell multiplen Raum auf die Suche nach der eigenen Identität, wobei diese Suche in die Tiefen der deutsch-polnischen (Katzen- berge, Ambra) und polnisch-ukrainischen (Katzenberge) Geschichte führt. Die Ich- Erzählerinnen der beiden Romane sind Grenzgängerinnen mit einer transnationalen Identität: Nele Leibert (Nelunia, Katzenberge) ist Tochter eines deutschen Vaters und einer polnischen Mutter. Kinga Mischa, die Protagonistin des Romans Ambra, ist eine in Norddeutschland aufgewachsene Deutschpolin. In beiden Fällen wird der

174 In einem Interview nach der Heimat aus ihrer Sicht gefragt, antwortete die Schriftstellerin, dass Heimat für sie in ihrer Erinnerung stattfi nde, in den Orten ihrer Kindheit, dann aber auch „in kleinen Dingen wie Gerüchen, Geräuschen, Geschmäckern“ (vgl. CYNYBULK o.J.). 175 2012 veröffentlichte Janesch, die in Danzig ein halbes Jahr als Stipendiatin des Deutschen Kulturforums Östliches Europa und der Stadt Danzig (Stadtschreiber-Stipendium) verbrachte, im Berliner Aufbau Verlag ihren Roman, Ambra. 176 Wie bei Artur Becker, Radek Knapp, Adam Soboczynski verdeutlicht die Reise auch bei Janesch die innere Entwicklung der Protagonisten und erscheint in den Texten als eine herausfordernde Auseinandersetzung „mit fremden Kontexten und Wertvortellungen“ sowie als „die Überwindung eines Lebensmodells, das durch die Herkunft vorherbestimmt scheint“ (GUTJAHR 2008: 127, 131). 190 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Leser mit einer deutsch-polnischen Familiengeschichte, die in einem engen Zusam- menhang mit den geschichtlichen Entwicklungen steht, und der Suche der Figuren nach ihrer Herkunft, nach der eigenen, hybriden (transkulturellen) Identität konfron- tiert. Die von Janesch dargestellten Schauplätze können als transkulturelle Räume gedeutet werden, in denen es zur Überlagerung und Vermischung diverser Kultur- elemente kommt. Diese Vermischung verläuft aber nicht unbedingt konfl iktfrei, son- dern ist mit Irritationen und Störungen verbunden.

8.1 Auf den Spuren der eigenen Identität: Konflikte im transkulturellen Raum (Katzenberge, 2010)

Nele („Nelunia“) Leibert, die deutsch-polnische Protagonistin des mit der in Polnisch verfassten Widmung „mojej Rodzinie“ (d.h. „meiner Familie“) versehenen Debüts- romans Janeschs, eine junge Grenzgängerin (halb Deutsche, halb Polin: Tochter ei- nes deutschen Vaters und einer polnischen Mutter), wohnt in Berlin-Charlottenburg, arbeitet in einer Berliner Redaktion, befi ndet sich im Privat- und Familienleben am Scheideweg, bemüht sich Polnisch „so akzentfrei wie möglich“ zu sprechen (JK 25), sie denkt aber und erzählt auf Deutsch. Die Ich-Erzählerin fährt von Berlin aus in das Land ihrer Kindheit, nach Schlesien, zur Beerdigung ihres Großvaters, Stanisław Janeczko. Es ist eine Reise „in die Vergangenheit“ (JK 12) ihrer eigenen Familie mütterlicherseits. Sie unternimmt diese Reise, um sich sowohl von ihrem Großva- ter als auch „von der alten Zeit“ (JK 17) zu verabschieden und vor allem um in der Geschichte des ‚Djadjo‘ (ihres polnischen Opaleins, poln. „dziadzio“) ihre eigene Identität zu fi nden. Wie die Protagonisten der Romane von Artur Becker, Dariusz Muszer oder Radek Knapp passiert auch Nele die deutsch-polnische Grenze mit einem Zug, wobei ihre Erinnerung erst in dem Moment einsetzt, als sie die Oder überquert (vgl. JK 20) und die Luft – wegen der nicht funktionierenden Klimaanlage immer „dicker und unerträglicher“ wird (JK 21), als eine Metapher für die Gemütslage der Hauptfi gur. Diese Spurensuche führt die Erzählerin von Schlesien aus tief ins östliche Polen und über die Grenze in die heutige Ukraine (bis ins ehemalige Galizien), wo „die bekannte Welt zu Ende“ (JK 95) ist, in die Heimat ihres Großvaters Janeczko, hin- aus. In Nele komme nämlich „die väterliche [deutsche] Seite“ durch, „wonach alles genau gewusst und bekannt werden sollte“ (JK 97). Sie folgt dabei aber auch dem Rat ihrer polnischen Mutter: „Eben nicht alles, was deinen Großvater betrifft, ist hier in Schlesien. Hier in Schlesien, […], ist höchstens die Hälfte. Und genau das ist der Punkt“ (JK 42). Was die Protagonistin dazu motiviert, sich auf diese Reise zu begeben, ist der Wille, das Land ihrer Vorfahren, das ehemalige Galizien, zu be- suchen sowie ihren verstorbenen Großvater zu verstehen. Diese imaginäre Heimat wurde in den Erzählungen des Großvaters, die die Erzählerfi gur aus ihrer Kindheit kennt, verbalisiert und festgehalten. Die Fahrt soll „so etwas wie ein letzter Gruß für 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 191

Djadjo sein“ (JK 137). Die galizische Welt des Großvaters, seine verlorene Heimat, ist wiederum für Nele ein von Grund auf kulturell fremdes Terrain, das vertraut ge- macht werden soll. Die Reise der Ich-Erzählerin zu den Wurzeln der eigenen Familie führt somit in die Geschichte Mittel- und Osteuropas. In parallelen Handlungssträn- gen stellt Sabrina Janesch die Heimatreise ihrer Protagonistin und die Flucht ihres Großvaters aus seiner galizischen Heimat nach Schlesien einander gegenüber. Der galizische ‚Djadjo‘ der Erzählerin wurde mit seiner Familie einst aus Galizien (aus dem Dorf Zastavne in der heutigen Westukraine, das einst Żdżary Wielkie hieß) ver- trieben und nach Schlesien, in die Nähe von Breslau umgesiedelt. Er musste sich an diesem neuen Ort behaupten, sich in dieser für ihn fremden Welt verorten und – wie seine Enkelin einige Jahrzehnte später – eine neue Identität fi nden. Neles Identität ist hybrider (transkultureller) Natur: In Polen fühlt sich Nele, die „Halb-Deutsche“ (JK 150) deutsch, in Deutschland, als „Halb-Polin“ (JK 164) merkt sie, wie polnisch sie ist. Sie betrachtet sich selbst als in Deutschland angekommen, fühlt sich von den Deutschen und den Polen jedoch immer der anderen Seite zuge- ordnet. Nele hat deutsch-polnische Wurzeln, besitzt ein Zugehörigkeitsgefühl gegen- über beiden Kulturen und vereint somit „beide Teile […], von drüben, von jenseits der Oder, und von hier [Schlesien]“ (JK 27), verkörpert aber auch den kulturellen Prozess, der in Schlesien stattgefunden hat: „In [Nele] habe alles zusammengefun- den: das galizische Blut [ihrer] Großeltern, die kommen mussten, und das deutsche Blut der väterlichen Familie, die gehen musste“ (JK 51). Dieser schwierige Prozess, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzt wurde, ist aber immer noch nicht abgeschlossen: In den Augen ihrer polnischen Familie, in der sie viele „Deutschland- Polen-Diskussion[en]“ (JK 57) ertragen muss, ist sie auch „das arme Mädchen, das in Deutschland aufwachsen musste […]. Trägt halt jeder sein Kreuz“ (JK 11). Sie spricht zwar akzentfreies Polnisch, „bei dem geringsten Deklinationsfehler merk- te [sie] aber, wie sich [ihr] die Gesichter misstrauisch zuwendeten“ (JK 128). Ihr Deutsch-Sein sorgt auch manchmal für Probleme: „Ich sage, ich bin Deutsche, und erst dann erschrecken sich die Leute“ (JK 183), gibt die Protagonistin zu. Für die polnischen Bewohner Schlesiens ist Nele eine Deutsche (vgl. JK 38) und gehört „zur Hälfte den anderen“, zu denjenigen, die „im Sommer in dicken Autos über die Grenze rollten, […] sonderbar langsam fuhren, die Fensterscheiben herunterließen und ihre feinsten Gesichter herausstreckten […], vorbei an Kühe hütenden Jungen, die [ihre] Freunde waren“ (JK 93f.). Für die deutschen Besucher, die sich wie Nele auf die Suche nach den Spuren ihres Identitätsraums begeben, ist Schlesien eine Gegend mit „endlosen schlesischen Fichtenwälder[n]“ (JK 29), „wie Deutschland vor hundert Jahren ausgesehen haben muss“, ursprünglich. naturnah, „archaisch“, „[s]pannend“ (JK 19). In Schlesien wird Nele als einer Deutschen mit demselben Misstrauen begegnet, das ihr später in der Ukraine als einer Polin entgegenschlägt, weil die Bewohner Angst davor haben, dass die früheren Besitzer, auf deren Grund und Boden sie sich eingerichtet haben, zurückkommen könnten:

[…] das deutsche Kennzeichen war faszinierend und alarmierend zugleich. Noch nach über vierzig Jahren war man auf der Hut, darauf gefasst, sein Hab und Gut verteidigen zu 192 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

müssen gegen jemanden, der kam und sagte: Das ist mein Land, diesen Brunnen, diesen Stall habe ich gebaut, oder: Das ist mein Land, diesen Brunnen, diesen Stall hat mein Vater gebaut (JK 94). In dem Zitat wird das Hauptthema des Romans zum Ausdruck gebracht. Janeschs Roman thematisiert nämlich die Geschichte einer langsamen, konfl iktreichen Annä- herung und gegenseitigen Einfl ussnahme diverser Kulturelemente in dem hybriden kulturellen Zwischenraum Schlesiens (und Südostpolens, des ehem. Galiziens). Die- ser Prozess ist mit Irritationen und Konfl ikten verbunden, weil infolge der histori- schen Entwicklung und auf Grund der kulturellen Differenzen zwischen den „alten“ und „neuen“ Bewohnern eine gewisse historische Kontinuität und Homogenität der („deutschen“) Kultur und Tradition in Schlesien (und auch der „polnischen“ Kultur im ehem. Galizien) durchbrochen wurde. Die Figur des Großvaters, Stanisław Janeczko (1920–2007), die Janesch in histori- schen Zusammenhängen verortet und somit auf transnationale und transkulturelle Verfl echtungen verweist, ist laut der Romanautorin selbst „der Kern des Romans“, an deren Beispiel sie das Schicksal vieler Polen dargestellt habe (vgl. CYNYBULK o.J.). Ihm wurde durch den Verlauf der Geschichte, infolge des Zweiten Weltkrieges, seine alte ostpolnische Heimat genommen und eine neue Heimat in Schlesien sozu- sagen aufgezwungen. Janeczko ist aber auch diejenige Migrantenfi gur, die das neue Land, die Erde seiner neuen Heimat, „urbar“ macht (JK 109), obwohl er ihr „aus tiefster Seele“ (JK 40) misstraut, und viel „für das Land und die Leute; Polskość, […] Polnischkeit“ (JK 38) tut. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Eingliederung ganz Schlesiens in den pol- nischen Staat, die Aussiedlung der Deutschen und die Ansiedlung der Polen aus dem Osten. Das deutsche Schlesien wurde ausgelöscht und von einem polnischen bzw. einem für manche seiner Einwohner ukrainischen Schlesien abgelöst. Es kam ebenfalls zur Umsiedlung von ungefähr zwei Millionen Polen aus den östlichen Wojewodschaften der bis 1939 existierenden Zweiten Polnischen Republik (den sogenannten Kresy).177 Sowohl Polen als auch Deutsche sollten nach dem Zweiten Weltkrieg Gebiete verlassen, die von ihnen seit Jahrhunderten bewohnt worden wa- ren und mit denen sie durch starke emotionale, traditionelle und historische Bande verknüpft waren. Neles Großvater wird zum Opfer der Umsiedlung und der neuen Grenzziehungen in Europa nach 1945.178 Aus Ost- und Zentralpolen, unter anderem

177 Für die polnische, im Osten „verlorene Heimat“ wird in Polen der Begriff „Kresy“ („das östliche Grenzland“) verwendet (vgl. dazu: ORŁOWSKI 1993). Sabrina Janesch bezeichnet in ihrem Roman Janeczkos Heimat als „Galizien“, obwohl im Geburtsjahr der Romanfi gur Janeczko, die Region Galizien als Teil der Habsburgermonarchie nicht mehr bestand. Galizien als topografi sch wie kulturell konnotierter Raum und das multikulturelle galizische Erbe sind im kollektiven Gedächtnis haften geblieben und dienen als Projektionsfl äche von symbolischen Aneignungen. 178 Janesch verarbeitet in ihren beiden Romanen auch den Themenkomplex „Flucht und Vertreibung“. In diesem Sinne können ihre Romane auch als Deprivationsliteratur bezeichnet werden. Unter „Deprivation” versteht man einen psychischen Zustand, der sich aus dem Entzug von wesentlichen (biologischen, sensorischen, emotionellen, kulturellen, sozialen) Bedürfnissen oder von Erwünschtem ergibt. In die Literaturwissenschaft wurde der Begriff von Hubert Orłowski eingeführt zur Bezeichnung der Literatur, die den Flucht- und 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 193 auch aus dem östlichen Grenzland, wurde Neles Großvater Janeczko wie viele pol- nische Umsiedler und Flüchtlinge, die dem „Blutbad“ (JK 239) dem „Geruch des Todes“ über den Feldern in der Ukraine (JK 240) zu entkommen versuchten179, vor allem in das niederschlesische Gebiet deportiert: „Die Viehwaggons, in denen man ihn und die anderen Bauern vom östlichsten Ende Polens gen Westen verfrachtet hatte, seien über und über mit Brettern zugenagelt gewesen“ (JK 22). Die neuen, aus dem Osten stammenden Bewohner tragen ein vorgefasstes Bild der anderen fremden – deutschen/westlichen – Kultur mit sich: Sie fahren

im Glauben nach Schlesien, es gäbe dort Hundehütten, die größer seien als die galizi- schen Häuser, Straßen, die mit Rattenschädeln gepfl astert waren, und Sümpfe, in denen eine Art Bier schäumte, das man aber nicht trinken konnte, weil es voller Kaulquappen war (JK 88). „Die Welt der Deutschen, in der sie würden leben müssen“, ist in der Vorstellung der Neuankömmlinge „eine Welt aus Stahl und Beton“ (JK 25), in der den Ankömm- lingen „[e]in fremder Geruch von Beton und Verbranntem“ (JK 29) entgegenweht. Beim Anblick des Bahnhofs in Wrocław fallen die Umsiedler in Ohnmacht, weil sie „nie zuvor ein so großes Gebäude von innen gesehen“ (JK 24) hatten. Die aus dem ehemaligen Galizien mitgebrachte Vorstellung von den kulturellen Unterschieden ruft Misstrauen gegenüber dem Fremden hervor, schürt Angst, Desorientierung und Unsicherheit ihrer neuen Heimat gegenüber. Die Wurzeln der Distanznahme des Protagonisten der deutschen Kultur und den Deut- schen gegenüber sind in seiner Vergangenheit zu fi nden. Der Überlebende Stanisław Janeczko, der „Hölle entkommen“ (JK 188), traf auf seiner Flucht vor den Pogromen in der alten Heimat, wo „die Welt zu Staub und Asche“ (JK 158) zerfi el, auf dem Lemberger Bahnhof (Lwów/Lwiw) sowohl ukrainische als auch deutsche Soldaten, „[d]ie jungen Männer in den Reichsuniformen“ (JK 156)180, mit denen „[a]us dem Westen […] die Dunkelheit“ (JK 159) kam und die Vorurteile gegen die „hinter dem Bug“ lebenden Menschen hegen: „Wilde seien das, kaum einer artikulierten Sprache mächtig, die zusammen mit ihren Tieren in niedrigen Lehmbauten hausten und Win- tern trotzten, die beinahe das ganze Jahr über dauerten“ (JK 156). Der nach Schlesien umgesiedelte Janeczko wird aus dem gewohnten Lebensraum herausgerissen und in einen fremden Kulturkreis verpfl anzt. Die kulturelle Zuge- hörigkeit der Protagonisten spielt am Anfang eine wichtige Rolle, kulturelle Unter- schiede zwischen dem kulturell „Eigenen“ und dem „Fremden“ werden markiert.

Vertreibungskomplex sowie den Heimatverlust thematisiert. Der Zustand der Deprivation bedeutet also den Entzug von etwas Vertrautem, das Verlusterlebnis eines für das Individuum oder die Gemeinschaft wesentlichen emotionellen Biotops (vgl. dazu: ORŁOWSKI 2003: 134). 179 1943 kam es zu Massakern an der zivilen polnischen Bevölkerung der ehemaligen polnischen Ostgebiete (Wolhynien und Ostgalizien). Vgl. dazu wissenschaftlich fundierte Studie von Grzegorz Motyka, in der historische Forschungen zu diesem Thema vorgestellt werden: MOTYKA, Grzegorz (2011): Od rzezi wołyńskiej do akcji „Wisła“. Konfl ikt polsko-ukraiński 1943–1947. Kraków: Wydawnictwo Literackie. 180 1941–1944 befanden sich das ehemalige Ostgalizien als Teil des Generalgouvernements und Wolhynien als Teil des Reichskommissariats Ukraine unter deutscher Herrschaft. 194 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Er greift ständig auf das vertraute Kulturgut zurück und vergleicht die alten und die neuen kulturellen Gegebenheiten. Die Erfahrung in der sog. Fremde und die kultu- rellen Unterschiede wirken auf den Großvater Janeczko, der sich an der nationalen („galizischen“) kulturellen Tradition orientiert, angsteinfl ößend: „Es war eine Welt, die mit Schlesien nichts gemein hatte […]“ (JK 71). Die neue Umgebung wirkt be- fremdend: „So gründlich musste der Eifer der deutschen Bauern gewesen sein, dass nicht einmal der Krieg die Ordnung der Felder hatte zerstören können: Wie mit dem Lineal waren die Kanten gezogen“ (JK 33f.)

Großvater hatte gesagt, als er zum ersten Mal seine Hand in die schlesische Erde gesteckt hätte, habe er ihr ein Stück entrissen und auf den Handfl ächen zerteilt. Es sei nichts in ihr gewesen: kein Wurm, kein Käfer, kein Engerling, nichts. Völlig sauber sei sie gewesen, feinkörnig, locker, steril. Als hätten die Deutschen sie nicht bestellt, sondern gesiebt, Tag für Tag. Dabei müsse Erde doch schwer in der Hand liegen und mit ihrer Feuchtigkeit in die Poren von Haut und Kleidung dringen. Erschrocken hatte [Stanisław Janeczko] die Krume auf das Feld zurückgeworfen und sich die Hand an einem großen Sauerampfer- blatt abgewischt. Woran auch immer er dort gerührt hatte: Er misstraute ihm aus tiefster Seele (JK 39f). Zwischen der neuen („westlichen“) Heimat und der alten („östlichen“) bestehen enorme Unterschiede: „Die verputzten Backsteinhäuser ähnelten einander, als hätten die Bauern sie nach demselben, akkuraten Plan gebaut und in immer gleichen, genau ausgemessenen Abständen voneinander aufgestellt. In Galizien hatten die Häuser alle unterschiedlich ausgesehen […]“ (JK 44). Der Verlust von Geborgenheit, der alten Heimat und der vertrauten Kultur belastet den Protagonisten. Der Migrant Stanisław Janeczko fühlt sich in dem neuen Kultur- kreis fremd und distanziert sich von ihm: „Er wollte nichts mögen oder sein Eigen nennen müssen, das sie [die Deutschen] gelassen hatten, wollte nicht ihre Teller benutzen, ihre Pferde zureiten, von den Früchten der Bäume essen, die sie gepfl anzt hatten“ (JK 43). „Schlesien, hatte er geglaubt […] sei eine Übergangslösung, eine Art makabrer Scherz, den man sich so lange erlaubte, bis daheim in Galizien alles in Ordnung gebracht worden war“ (JK 43). Er will zurück nach „Galizien, wo Geister, Dämonen, Teufel, Hexen und Waldfeen ihr Unwesen treiben“ (JK 71), „die Teufel […] die vier Elemente beherrschten und unberechenbar waren“ und der Mensch „an die Erde oder das Wasser“ (JK 144) gebunden war: In Galizien war es „gar nicht selten, dass man einem Wesen aus der anderen Welt begegnete“ (JK 71). Janeczko distanziert sich auch von den eigenen Landsleuten, die als Neuankömmlin- ge, Repräsentanten der eigenen ‚galizischen‘ Kultur, mit ihren bekannten Aktions- und Reaktionsweisen, Schreien und Lärmen, ihre Ängste und Unsicherheit vermin- dern, die die Konfrontation mit dem kulturell Fremden in ihnen auslöst. In der Form einer fast rituellen Begegnung beginnen sie

an den Toren [der leerstehenden Häuser] zu rütteln, Steine gegen Scheunen zu schmeißen, Äste von den Bäumen abzubrechen, zu pfeifen, gegen Pforten zu schlagen, brüllend und schnaufend sich den Eingängen der Häuser nähernd. […] So hatte man in Galizien böse Geister ausgetrieben (JK 45). 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 195

Die neuen Siedler versuchen, den fremden – deutschen – Raum kulturell zu zähmen, die neue Umgebung mit den Orten aus ihrer Vergangenheit in Verbindung zu bringen und in der Fremde die heimatliche Kultur zu rekonstruieren: „Vor einigen Häusern waren die Rosen auf galizische Weise über Kreuz gebunden, und […] Zäune waren so hellblau gestrichen worden wie die Zäune tausend Kilometer weiter östlich. An manchen Türen baumelten Strohkränze“ (JK 118). Die „Zähmung“ des kulturell Fremden ist aber auch mit Anwendung von Gewalt verbunden. Das deutsche Kulturerbe wird von den neuen polnischen Bewohnern ab- gelehnt, zumeist mit dem selbstverständlichen Gefühl, alles Deutsche sei feindlich. Infolge dieser Einstellung kommt es zur Zerstörung aller materiellen Zeichen, die mit den ehemaligen Bewohnern dieses Landesteiles verbunden sind. In dem ehema- ligen deutschen Herrenhaus verstecken die neuen Bewohner „die deutschen Über- bleibsel“ (JK 133, vgl. auch 136), die deutschen Inschriften in der Frakturschrift: „Ganze Arbeit haben die damals geleistet. […] Sogar die Reliefs an den Türen waren unsichtbar. Mehrere Männer müssen hier wochen-, wenn nicht monatelang gearbei- tet haben“ (JK 133). Hunderte von den in Leder eingebundenen, „alten“ Büchern aus der Schlossbiblio- thek werden im Rahmen der „Säuberungsaktion“, „damals“, in einem „Lagerfeuer im Ehrenhof“ (JK 135) verbrannt. Es handelt sich dabei „um einen Racheakt, reinen Zerstörungswillen. Außerdem gab es sonst nicht mehr viel, was man hätte kaputtma- chen können. Was die Deutschen nicht mitnehmen konnten, haben sie selber zerstört hinterlassen. Porzellan, Geschirr. Vielleicht hatten die Polen auch Angst vor diesen Büchern, die keiner lesen konnte“ (JK 135). Die deutsche Kultur scheint aber allmählich auf die Identitätskonstruktion von Stanisław Janeczko zu wirken und mit ihm in Wechselwirkung zu treten. Janeczko „rettet“ einige Bücher, die Träger der Vergangenheit sind, vor dem „Zerstörungswil- len“ seiner Landsleute, indem er sie nach Hause mitnimmt. Auf diese Weise über- stehen die dem Untergang geweihten Gegenstände aus den deutschen Häusern den Krieg und leben in dem polnischen Haus weiter. Dies ist der Anfang seines allmäh- lichen Hineinwachsens in die neue kulturelle Umwelt. Die Ich-Erzählerin erinnert sich an „riesige, unhandliche Bücher mit zerfaserten Rücken, welligen Seiten und, natürlich, Frakturschrift“ (JK 135), die ihr der Großvater gezeigt hat und in denen sie gemeinsam geblättert haben. Die „geretteten“ deutschen Bücher erfüllen im Prozess der Adaption der fremden Kultur sowie bei der Erweiterung der eigenen kulturellen Identität eine wichtige Funktion. Dieser Rettungsakt kann als ein symbolischer Akt gedeutet werden: Djadjo, der Träger der „galizischen“ Kultur in der Fremde, nähert sich mit Hilfe dieser kulturellen Produkte der anderen – deutschen – Kultur an und überwindet dadurch die kulturelle Fremdheit der neuen Umgebung. Er integriert Ele- mente einer fremden Kultur in das eigene Konzept, so dass sich seine eigene Kultur aus der Adaption und Ablehnung fremder Elemente, im Kontrast, neu konstituiert. In der neuen schlesischen Heimat Osola, dem ehemaligen „Ritschedorf“, mit der „deutschen Architektur“ (JK 97), „in einem fremden Land mit einer fremden Spra- che“ (JK 36), „wo es noch nach den Deutschen st[inkt]“ (JK 14) fi ndet der von Ukrainern aus Galizien vertriebene Großvater Janeczko den Hof, der mit dem ers- 196 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ten fremden, „deutschen“, kulturellen Zeichen versehen ist: mit einem kupfernem Hakenkreuz über der Tür, „das Mal, das die Deutschen zurückgelassen hatten“ (JK 69). Das Hakenkreuz hängt der Protagonist ab und legt es „mit dem Gesicht nach unten auf den Boden“ (JK 55). Das von den Deutschen zurückgelassene Haus soll er übernehmen. Der „deutsche“ Hof scheint dem neuen Besitzer den Zugang zu verweigern: Der Großvater wird bei dem Versuch, ihn zu betreten, zweimal verletzt: das erste Mal lauert „ein Brombeerstrauch“, der Janeczko „ans Hosenbein gegriffen und Blut ge- leckt“ (JK 55) hat. Das zweite Mal ist es ein „silbrig-weiß“ (JK 76) schimmernder, ganz neuer Nagel, der in der Scheune aus der Wand ragt und für das Blutvergießen des Großvaters sorgt.181 Auf dem Dachboden seines neuen Zuhauses hört Janeczko in der Nacht „klare, feste Schritte eines bestiefelten Menschen“ (JK 68), läuft „dem Wahnsinn ganz langsam, Schritt für Schritt“ davon und rettet sich „in den Morgen“ hinüber (JK 70). Nach der schlafl osen ersten Nacht fi ndet Janeczko einen „verpupp- ten“ Toten (JK 78), den ehemaligen deutschen Besitzer, der selbst vertrieben wurde und sich erhängt hat: „Herr Dietrich hat sich mit Hut und Krawatte aufgehängt, aber seine Bauernstiefel hatte er nicht ausgezogen und gegen Sonntagsschuhe getauscht“ (JK 74). Janeczko begräbt Herrn Dietrich heimlich „an der Wegbiegung“ (JK 144) und setzt ein aus einer Blutbuche gefertigtes Grabmal, das die Funktion eines Weg- kreuzes, eines Erinnerungsmales, übernimmt und auch die ihm von Janeczko erteilte Aufgabe bekommt, „nicht nur Herrn Dietrich, sondern auch alle anderen Deutschen, lebendige wie tote, fernzuhalten“ (JK 116). Seine polnischen Nachbarn interpretie- ren paradoxerweise das Aufstellen des Kreuzes als einen Akt der nationalen Selbst- behauptung, der Polonisierung der Gegend und halten Janeczko für den „größte[n] Christ[en] und [den] größte[n] Patriot[en]“ (JK 110). Der Migrant will seine neue Heimat auf die gewohnte Art und Weise vertraut ma- chen und weiter nach seiner „galizischen“ Tradition leben, die sein Leben auch in der neuen kulturellen Umgebung beeinfl usst: Er sucht die Nähe der Natur, des Wal- des, nicht die von Menschen. Janeczko, der in Harmonie mit der Natur lebt, be- nennt „alle markanten Punkte“ seiner Umgebung auf seine „galizische Art“: „Czoło zająca, Łąka husteczna [sic!], Plecy Baby Jagi, Kurzy Pazur, Brzeg Czapy, Koniec świata. Hasenstirnbusch, Kopftuchwiese, Hexenbuckel, Zylinderkrempe, Hahnen- klaue, Ende der Welt“ (JK 115). Sein Leben ist vom Aberglauben an Naturgeister und teufl ische Biester geprägt. Ihre Ängste, ihren Aberglauben haben er und seine Frau aus der alten galizischen Heimat in die neue mitgebracht: „In Galizien war es nicht selten vorgekommen, dass man sich hatte wehren müssen gegen die Wesen der anderen Welt“ (JK 104). „[D]ie Wesen der anderen Welt“, die auf seinem neuen Grundstück zu spuken schei- nen, begleiten den Protagonisten auch in der neuen Heimat. In seinem neuen Zu- hause wird der Großvater von Anfang an von einem „Paar gelber Augen“ (JK 56) beobachtet. Ihn verfolgt – „in einem fremden Land, auf einem fremden Hof“ (JK

181 Der Nagel sitzt nämlich fest in der Wand und lässt sich nur mit größter Mühe mit einer Zange „heraushebeln“ (JK 76). 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 197

142) – das „Unaussprechliche[-]“, „Körpergewordene[-]“ (JK 63), ein Wesen, das „in aller Ruhe […] seine Ankunft erwartet“ hat (JK 63). Die Migranten versuchen, eine Kreatur mit langem, buschigem, pechschwarzem Schwanz (vgl. JK 69) und ste- chend gelben, glühenden Augen zu bannen, damit sie ihnen keinen Schaden zufügen kann: das Biest sei nämlich „der Fluch […], der über den Katzenbergen […]“ liege und die neuen Bewohner heimsuche (JK 69). Eine wichtige Schutzmaßnahme gegen das Wesen bildet die aus der alten Heimat mitgebrachte ,galizische‘ Herkunftskultur mit ihren Bräuchen und kulturellen Ritualen. Neles Großmutter Maria beschützt mit ihrem alten ‚galizischen‘ Wissen die Familie vor diesem Biest: sie bereitet ein Ge- bräu zu, eine Mischung, deren Bestandteile „Asche [ihres] Haupthaares, neun Tage lang eingelagerter Waldmeister und drei Fingerhüte voll Spucke“ bilden (JK 142), mit der sie „[t]röpfchenweise“ den Hof besprüht und somit „eine Art Schutzwall“ (JK 142) baut. Die enge Beziehung zwischen dem Großvater und der Großmutter, die Liebe und das gegenseitige Vertrauen geben ihnen das Gefühl der Geborgenheit, das sie in der Fremde brauchen. Am Tag der Geburt des zweiten Sohnes, als der „Schrei seines zweiten Sohnes über die Felder“ (JK 146) hallt, verschwindet das Biest in der Erde. Die Kreatur symbolisiert einerseits den Aberglauben und die Tra- ditionen, die die Migranten aus dem galizischen Volksglauben mitgebracht haben, andererseits vielleicht Relikte der deutschen Vergangenheit, etwa den Vorbesitzer des Hofes, der sich für den Selbstmord auf dem Dachboden entschied. Die Figur des Biests kann als Gedächtnisspuren von Krieg, Vertreibung und Massenmord, aber auch als die Verkörperung des kulturell Fremden interpretiert werden. Erst durch die Geburt des Sohnes von Stanisław Janeczko, Józek – des in der neuen Heimat geborenen „ersten polnischen Schlesiers“ (JK 148) – also durch die symbolische Überwindung und somit Aneignung des Fremden kann das Unheimliche vertrieben werden. Die Migranten werden im Laufe der Zeit in die fremde Kultur integriert und der neue Lebensraum verwandelt sich in den Lebensort der ersten Generation. Die Ich-Erzählerin des Romans, Nachkommin des „galizischen“ Siedlers in Schle- sien, die von ihrem „Djadjo“ „[m]it Hirngespinsten […] infi ziert“ ist (JK 196) und von den anderen „für verrückt […], […] heilig, […], sentimental, schwachsinnig, depressiv, neurotisch“ (JK 15) erklärt wird, will sich der Vergangenheit ihrer Familie stellen und fährt – auf der Suche nach ihren Familienwurzeln – nach Ostpolen und in die Ukraine, dem „Anfangs- und Endpunkt […] von so vielem“ (JK 231): „Uk- raine, Ukraine, […] dort gab es etwas zu erledigen, das so pathetisch und polnisch war, wie [sie] nie hatte sein wollen“ (JK 185). Der „galizische“ Herkunftsort ihres Großvaters stellt für die Enkelin ein verlorenes, obgleich eigentlich immer nur in der Imagination vorhandenes Ideal der Vergangenheit dar: ein Land, das sie aus den Erzählungen des Großvaters kennt und in dem man sich seiner Herkunft und seines Ich vergewissern muss. Sabrina Janesch lässt am Beispiel der Familiengeschichte der Romanprotagonistin die Geschichte nicht nur der deutsch-polnischen, sondern auch der polnisch-ukraini- schen Beziehungen (in der Zwischenkriegszeit und im Jahre 1943) rekonstruieren. Nele Leibert will die Heimat ihrer Großeltern besuchen, die sie aus Angst „vor den Pogromen gegen die Polen, die wie eine Seuche über das Land gezogen waren“ (JK 198 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

155, vgl. auch 169), verlassen mussten. Als Fremde, „Halb-Deutsche in Polen […] Halb-Polin [in] Galizien“ (JK 164) begegnet Nele dort demselben Misstrauen, das in Schlesien den Deutschen entgegenschlägt, weil die ukrainischen Bewohner Angst davor haben, dass die früheren Besitzer, auf deren Grund und Boden sie sich einge- richtet haben, zurückkommen könnten. Nele begegnet auf dem Krakauer Busbahnhof Bauern aus Ostpolen, die ein Gefühl der Unsicherheit in ihr lösen, es kitzelt „in [ihrer] Magengrube“ (JK 164):

Ihre gewalkten Mäntel reichten ihnen bis weit über die Knie, einige trugen dunkelgrüne Galoschen, aus denen die Wollsocken herausschauten. […] Würden mir diese Männer in Deutschland über den Weg laufen, würde ich sie für schmuddelig kostümierte Mittelal- termarkt-Darsteller halten. Hier aber waren sie echt. Ihre zottigen Bärte, die knolligen, rot geäderten Nasen, in wodkaträchtigen Wintern erworben, und die groben Mützen, die sie sich von den Köpfen genommen hatten und unbeholfen in den Händen drehten. […] Viel- leicht waren es Weißrussen, dachte ich, die sich nach Krakau verirrt hatten […] (JK 163). Die deutsch-polnische Nele empfi ndet auf ihrer Reise nach Osten ein ähnliches Ge- fühl der kulturellen Fremdheit, wie einst ihr Großvater in seiner neuen schlesischen Heimat. Sie fühlt sich „verloren, irgendwo zwischen Polen und Sibirien“ (JK 167): „Malerisch hatte ich mir Ostpolen vorgestellt, unverfälscht, verzaubert. In Wirklich- keit war es nass, dreckig und fremd“ (JK 196). Fern von der Zivilisation (JK 168) hat Neles Mobiltelefon, ein kulturelles Symbol der vernetzten, globalisierten Welt, „keinen Empfang“ (JK 165). Die Umgebung erscheint der Protagonistin als eine „der reizlosesten Gegenden Europas“ (JK 196), „inmitten des Sumpfes und seiner Ausdünstungen“ (JK 195). Das kulturell Fremde wird auch von Nele, wie einst von ihrem „Djadjo“, langsam „gezähmt“. Die Reise in den Osten ermöglicht der Ich-Erzählerin eine allmähliche Annäherung an die „andere“ Kultur, deren Elemente ihr in einem gewissen Sinne schon vertraut sind. In dem Dorf Zastavne, der alten Heimat ihres Großvaters, „wo alles begonnen hatte“ (JK 96), fi ndet sie Kulturcodes, Elemente einer alten „galizischen“ Tradition im Sinne transkultureller Querverbindungen, die ihr bekannt vorkommen, weil die galizischen Umsiedler sie in ihre neue Heimat, nach Schlesien, mitgenommen ha- ben: fi ligrane Malereien unterhalb der Dächer der Bienenstöcke in Zastavne, „Gir- landen von Klatschmohn und Kornblumen“ (JK 246). „Die Tradition gibt es seit ein paar Jahrzehnten auch woanders. Sie ist nach Westen mitgereist“ (JK 247):

Die Häuser waren umgeben von etwas maroden, teils noch hellblauen Holzzäunen, an die Rosen gebunden waren. Manche Zäune waren beinahe vollständig von den Pfl anzen überwuchert. An den Türen der Häuser: Kränze aus wildem Getreide und getrockneten Blüten“ (JK 248). Ein ähnliches Bild ist der Protagonistin aus dem Schlesien ihres Djadjo vertraut. Das „Galizische“ wurde in den „fremden“ – deutschen – Kulturraum integriert und bildet seinen festen Bestandteil. Nele fi ndet in dem jetzigen ukrainischen Dorf die Familienspuren: einen alten „Kar- toffelkeller“, den „der Großvater [ihres] Großvaters selber gemauert“ (JK 264) hat 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 199 und nimmt einen Beutel voller Heimaterde in „Großmutters geblümte[s] Kopftuch“ (JK 266), den sie auf „Djadjos Grabstein“ (JK 269) in Schlesien leeren will. Sie scheitert aber, denn obwohl der Beutel prall gefüllt gewesen ist, muss sich „die Ver- knotung des Tuches gelockert haben, und Krümel für Krümel ist unbemerkt auf den Weg von Morzęcin Mały nach Bagno gerieselt“ (JK 269). Die Schlussszene des Romans hat eine symbolische Bedeutung: durch das Verschütten der aus Galizien mitgebrachten Erdkrümel stiftet Nele, die „beide Teile verein[t], von drüben, von jenseits der Oder, und von hier [Schlesien]“ (JK 27), symbolisch transkulturelle Kontinuität (Vermischung) zwischen den beiden in Roman thematisierten Kultur- traditionen und-räumen. Die deutsch-polnische Ich-Erzählerin wird somit zu einem Bindeglied zwischen der traditionsreichen, aber auch gleichzeitig konfl iktreichen kulturellen Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft. Die transkulturelle „schle- sische“ Kulisse ermöglicht Nele, ihre Identitätssuche erfolgreich zum Abschluss zu bringen.

8.1.1 Transnationale Kulturräume: Einige Bemerkungen zum Schlesien- und Galizienbild im Roman

Sabrina Janesch wählt bewusst die für die europäische Geschichte und Kultur so- wie die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen bedeutenden Regionen Schlesiens, des ehemaligen Ostgaliziens und der Stadt Danzig mit ihrem multikulturellen Erbe als Schauplätze ihrer Romane, weil sie somit die Handlungen ihrer Texte in einem transnationalen und transkulturellen Kontext verortet. Sie sind sowohl für die The- matik der Texte wie auch – als Räume der gegenseitigen kulturellen Beeinfl ussung verschiedener ethnischer und nationaler Gruppen – für die Konstruktion der Identität ihrer Protagonisten relevant. Wie Warmia/Ermland für Artur Becker bleibt Schlesien für Janesch und für ihre Pro- tagonistin Nele Leibert ein emotional besetzter Ort, der aufs Engste mit der Großva- terfi gur verbunden ist, ein Ort der Kindheit und des Heranwachsens. Nele/Nelunia kennt „jedes Kreuz, jeden Anger“ (JK 15) in dem provinziell aufgefassten schlesi- schen Raum. Der „Anblick der Backsteinbauten“ ist ihr – sowohl aus ihrer in Schle- sien verbrachten Kindheit wie aus der neuen deutschen Heimat – „vertraut“ (JK 31, vgl. auch 97), weil die Landschaft von deutschen kulturellen Hinterlassenschaften geprägt ist und dadurch eine Verbindung, eine Brücke, zwischen dem deutschen und dem polnischen Kulturkreis im Räumlichen besteht. Die Protagonistin empfi ndet in Schlesien das Gefühl von Geborgenheit, Glück, Na- turnähe, Zufriedenheit und Vertrauen. Schlesien stellt für sie ihre Heimat und eine fast als arkadisch empfundene Kindheitswelt dar, ein Ort und eine menschliche Um- gebung, wo man heimisch ist, sich wohl und geborgen fühlt. Diese Heimatidealisie- rung ist vor allem mit den Kindheitserinnerungen und der Großvaterfi gur verbunden, die positiv sind, im Unterschied zum Leben der Erwachsenen in Deutschland, das ihr 200 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

„klein und albern“ (JK 18) vorkommt und das wie ihr deutscher Freund als „typisch deutsch […], etwas behäbig, unbeholfen, und vor allem: kalt“ (JK 45) bezeichnet wird. Die Erzählerin verspürt eine „große Zuneigung“ (JK 51) zum schlesischen Land und zu seiner Landschaft: „das Land, das gleichmäßige Senken und Mulden formte und sich dann wieder aufwölbte zu kleinen Anhöhen und Hügeln: wie der Wellengang eines sanften, fl aschengrünen Ozeans“ (JK 50). Die Natur Schlesiens wird im Roman zur Sehnsuchtslandschaft, zu einer Ge- fühlslandschaft stilisiert, in der sich Emotionen abbilden. Es ist eine Gegend, wo „[ü]ber den alten Höfen […] die Zeit gefroren“ liege (JK 48) und die Wege „durch Lärchenhaine“ (JK 7) führen. Erwähnung fi nden z.B. „die endlosen schlesischen Fichtenwälder“ (JK 20), „die schweren niederschlesischen Laubwälder“ (JK 27), „sanfte Hügel, Felder und Wiesen mit Inseln von Birken“ (JK 28) sowie „dichte Reihen von Sauerkirschbäumen und verkrüppelten, kleinwüchsigen Kiefern […]“ (JK 8), die das Landschaftsbild Schlesiens prägen. Für Neles Großvater Stanisław Janeczko ist seine neue schlesische Heimat ein Land, das im Kontrast zu seiner alten galizischen Heimat steht. Schlesien ist „die Welt der Deutschen, […] eine Welt aus Stahl und Beton“ (JK 25), wo die Häuser „nach demselben, akkuraten Plan gebaut und in immer gleichen, genau ausgemessenen Abständen voneinander aufgestellt“ (JK 44) seien, die „Kanten“ der Felder „[w]ie mit dem Lineal […] gezogen“ (JK 34) und die Erde „[v]öllig sauber […], feinkör- nig, locker, steril“ (JK 40). Die Wände des schlesischen Hauses von Janeczko sind – im Gegensatz zu den ihm vertrauten Bauwerken in Galizien – ebenfalls „makellos und schnurgerade“: In Galizien „hatte man von den Wänden wenig gesehen; die Schilfdächer hatten fast bis auf den Boden hinunter gereicht und die ungleichmäßig behauenen Steine verdeckt“ (JK 103). Das Fremde wird zwar langsam zum Eigenen, aber es erinnert an die deutsche Welt, die hier einst existierte, sowie an ihre Bewohner, die von hier vertrieben wurden oder hatten fl iehen müssen:

Über den alten Höfen liegt die Zeit gefroren, als würden sich deren Bewohner noch im- mer weigern, in etwas zu investieren, etwas zu renovieren, das nicht zur Gänze ihnen selbst gehört. Der Putz an den Wohnhäusern bröckelt ab, die Dächer der Scheunen sind moosbewachsen und undicht. Vor den Wohnhäusern verwildern Bauerngärten, Klatsch- mohn, Borretsch und Bechermalven wuchern darin, die im Sommer die Häuserwände überragen (JK 48). Das Bild Schlesiens gleicht – wie Beckers Warmia/Ermland – einem Palimpsest von Generationen- und Gedenkort für verschiedene Kulturen.182 Trotz des historischen Wandels bleiben „deutsche Überbleibsel“ (JK 136) sichtbar und immer noch lesbar. Deutsche und polnische Einträge bestehen räumlich über- und nebeneinander. An

182 Im kulturwissenschaftlichen Sinne suggeriert die Palimpsestmetapher nicht die Suche nach einem unterschiedlich defi nierten Urtext, sondern dient als ein Mittel der Aufdeckung der überschriebenen, verdrängten Texte. Sie existieren gleichzeitig nebeneinander und erzeugen auf diese Weise kulturelle Mehrstimmigkeit, kulturelle Pluralität. 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 201 dem Bahnhäuschen hängen beispielsweise alte „Geburts- und Todesanzeigen“: „Die Kruste der verstorbenen und geborenen Polen verbarg fast vollkommen den Back- stein und die deutschen Buchstaben darunter: Einzig ganz oben, außer Reichweite, sah man die Zipfel der gotischen Lettern […]“ (JK 97). Durch Assimilationsvor- gänge kommt es zu Palimpsesten, so dass die ,Schrift‘ der ursprünglichen Kultur noch durchscheint, um im Bilde zu bleiben. Auch die „schneeweißen Kieselwege“, die die Landschaft prägen, sollen an die deutsche Vergangenheit erinnern: „Was die Deutschen nicht mitnehmen konnten, haben sie selber zerstört hinterlassen. Porzel- lan, Geschirr. […] Das ganze zerschlagene Geschirr, das man in den Küchen und den Kellern gefunden hatte, hat man auf Schubkarren geladen und die Wege damit aufgeschüttet“ (JK 136f.). Ungeachtet der traumatischen Erlebnisse konstituiert sich Janeczkos Identität über seine Erinnerung an die verlorene Heimat, die durch die schmerzhafte Trennung vom Herkunftsland geprägt ist, das zum verlorenen Paradies und zu einer für immer und ewig verlorenen idyllischen Landschaft stilisiert wird. Janeczkos galizische Hei- mat gehört zu den subjektiv aufgeladenen Sehnsuchtsorten, die einen starken Sym- bolcharakter haben. Sie sind nicht mehr erreichbar und bilden das Gegengewicht zu seinem schlesischen Alltagsort. Janeczkos „Galizien“ ist ein Raum, der „mit spezi- fi schen Werten, historischem Gedächtnis und Gefühlen assoziiert“ (SHIELDS 1991, zit. nach: BACHMANN-MEDICK 1998: 32) wird. Dem Vertriebenen Janeczko, der „am richtigen Platz zur Welt gekommen“ (JK 254) ist, erscheint Galizien als ein „Land mit den blühenden Apfelbäumen“ (JK 43) und „grüngraue[n] Flächen“ (JK 245), „wo Geister, Dämonen, Teufel, Hexen und Waldfeen ihr Unwesen“ treiben (JK 71). Die alte Heimat, Janeczkos Sehnsuchtsort, wird dementsprechend zum idealisierten Kompensationsraum stilisiert. Die Natur in Janeczkos Galizien wird im Roman bewusst idealisiert dargestellt und die alte Heimat manifestiert sich in der Erinnerung des Protagonisten als verlore- nes Paradies, als „eine Welt, die mit Schlesien nichts gemein“ (JK 71) hat und im Kontrast zu seiner neuen Heimat steht: Sein Geburtsort, Żdżary Wielkie, in dem „Bauern mit Schilfschuhen und Fellmützen“ (JK 155) unterwegs und die Häuser „mit gebündelten Schilf“ gedeckt (JK 54) sind, sei dank „der ölig schimmernden galizischen Schwarzerde“ (JK 238) von „so hohem Weizen umgeben gewesen, dass er im Hochsommer kaum zu erkennen war“ (JK 250), inmitten der idyllischen Natur gelegen: „[D]as Dorf am Bug, in dem man als Kind den Fröschen das Sprechen bei- bringen konnte, im Herbst sich in Astgabeln verstecken und so lange auf den König der Füchse warten konnte, bis man einen Regen aus Walnüssen auf ihn hinabprasseln ließ“ (JK 253). Die verlorene galizische Dorfheimat wird zu einem mythenbehafte- ten, in dieser Form nicht mehr existierenden Landstrich, zum idealisierten Wunsch- traum von Geborgenheit und Sicherheit, des überschaubaren Bereichs, zum Idealbild von schöner und gesunder Landschaft:

In den Wäldern gäbe es Steinpilze, so groß, dass, wer es schaffte, sie vom Humusboden abzuernten, sie als Regenschirme geschultert nach Hause tragen konnte. Und dann die Menschen: Groß auch sie, ihre Haare von der gleichen Farbe wie der Weizen, der auf 202 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

ihren endlosen Feldern gedieh; und obgleich Bauern, hatten sie ein ausgeprägtes Gefühl für Sprache und Kultur (JK 253f.). Die alte „galizische“ Heimat, ein in der Erinnerung kreierter Sehnsuchtsort, ist aber ein unerreichbarer Ort. Das „alte“ mythische Galizien – laut dem galizischen My- thos, ein produktiver Zwischenraum, ein mehrsprachiger Ort der angeblich harmo- nischen Koexistenz verschiedener Kulturen und eines wahrhaftig transkulturellen Zusammenlebens, eine Region des Völkerkontakts und der Völkervermischung – existiert nicht mehr. „Das Dorf am Bug“ (JK 253), Żdżary Wielkie, der Geburtsort von Stanisław Janeczko, in dem „auf kleinstem Raum Polen und Ukrainer eng bei- einander [lebten] und […] beide Sprachen“ sprachen (JK 254), wo einst seine pol- nischen und ukrainischen Bewohner auf die Geburt von Neles Großvater wartend, „knöcheltief im Blütenweiß“ (JK 251) im Hof wateten und „ein Akkordeon ausge- packt hatten und im Wechsel ukrainische und polnische Lieder sangen“ (JK 251), verschwindet und der Mythos wird mit der grausamen Realität konfrontiert, in der „das Land […] mit [polnischem] Blut“ getränkt wurde (JK 112). Janeczkos Heimat wird aber am Rande auch als konfl iktbeladenes Spannungsfeld beschrieben, in wel- chem kollektive Identitäten unter der Oberfl äche unversöhnlich aufeinander prallen: „seit Jahren hatten sie mit Ukrainern zusammen in einem Dorf gelebt, gemischte Ehen gab es trotzdem selten“ (JK 193). Janesch fi ndet in der „verlorenen Heimat“ Janeczkos nämlich auch – in Anlehnung an Hubert Orłowski – einen „Begegnungsraum für schwierige Nachbarschaft“ (ORŁOWSKI 1993: 192) und dekonstruiert den Mythos der friedvollen Zusammenle- bens, indem sie das Thema der Vertreibung, Flucht und Unmöglichkeit einer Rück- kehr in die Vergangenheit (vgl. JK 96) aufgreift. In der Zeit der polnisch-ukrainischen nationalen Spannungen, in der „[ö]stlich von seinen Ufern [des Bugs] […] alles, was Polnisch sprach, Freiwild gewesen“ sei (JK 236), wurde in Galizien „das Blutbad“ (JK 239) angerichtet und polnische Famili- en „[e]rschlagen, ermordet von Ukrainern“ (JK 189). Die kulturelle Kontinuität in Raum und Zeit wird abgebrochen durch den Verlust von Besitz, die Vertreibung und Flucht, das zentrale Ereignis in seiner Geschichte, das dem glückseligen Leben in der Region, das es historisch nie gegeben hat, endgültig ein Ende setzte. Die gegenwärtige Ukraine wird von der deutsch-polnischen Enkelin des aus dem Paradies vertriebenen Janeczko bei ihrer Spurensuche als ein archaischer Landstrich mit „unbefahrbar[en]“ (JK 244), „schmale[n], zerbröckelnde[n] Landstraße[n]“, „Hügel[n] und Felder[n], die sich bis zum Horizont“ ziehen (JK 235), brachliegen- den Feldern erlebt. Beim Genuss des von den Einheimischen angebotenen Selbstge- brannten werden die Fremden „neugierig“ (JK 259) beobachtet. Das Heimatdorf von Neles Großvater mit ihren „Lehmbauten […] [w]ie im Mittelalter“ (JK 249), wird als eine Welt dargestellt, in der die Zeit stehen geblieben ist:

Die Häuser [in Zastavne] waren umgeben von etwas maroden, teils noch hellblauen Holz- zäunen, an die Rosen gebunden waren. Manche Zäune waren beinahe vollständig von den Pfl anzen überwuchert. An den Türen der Häuser: Kränze aus wildem Getreide und getrockneten Blüten (JK 248). 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 203

Die Ukraine wird – klischeehaft und provozierend zugleich – zu einem archaischen Ort stilisiert, der ein Gegenbild zur „westlichen“ modernen Wirklichkeit präsentiert. Die Reise in die alte Heimat ihrer Großeltern lässt die Ich-Erzählerin schließlich einem Familiengeheimnis auf die Spur kommen, das Neles Großvater Janeczko und seinen mit einer Ukrainerin verheirateten Bruder Leszek für immer entzweite. Nele entdeckt, dass den Großvater keine Schuld am vermeintlichen Tod des Bruders Leszek trifft, der von Stanisław Janeczko des Mitwissens um die geplanten Massa- ker beschuldigt wurde. Dieser war nämlich ohne das Wissen seiner Familie unter- getaucht, um über die Feindeslinie in die Ukraine, zu seiner ukrainischen Frau zu- rückzukehren und als „einzige[r] Pole[-] […] im Dorf“ (JK 260) nach dem Zweiten Weltkrieg zu leben. Das Leben der Figur in der alten Heimat bleibt spekulativ in sei- nem Verlauf, weil diese Geschichte nur angerissen und nicht weitererzählt wird. Das Ausbrechen des nationalen Konfl ikts in der „galizischen“, polnisch-ukrainischen Heimat spaltet also auch die Familie Janeczko und lässt das Zusammentreffen der Kulturen – sowohl auf der privaten als auch öffentlichen Ebene – fast spurlos ver- schwinden. Die alte Heimat von Stanisław Janeczko, ein Land mit der Vielfalt seiner Völker, Sprachen, Religionen, Traditionen und Bräuche, existiert längst nicht mehr (JK 260).

8.2 Eine deutsch-polnische Familiengeschichte: Ambra (2012)

Ähnlich wie in Katzenberge (2010) wird auch in Janeschs zweitem Roman, Ambra (2012), eine deutsch-polnische Familiengeschichte thematisiert. Die Handlung des Romans spielt ebenfalls in Polen, diesmal aber in der „Stadt am Meer“, im kulturel- len Schmelztiegel Danzig und führt – wie in ihrem Debüt Katzenberge – in die im „Gedächtnis der Stadt“ (JA 8) verankerten deutsch-polnischen kulturellen Verstri- ckungen.183 Der Roman spielt auf verschiedenen Ebenen, hat wechselnde Perspek- tiven, aus denen erzählt wird. Eine davon ist die der Protagonistin Kinga Mischa. Wie in Janeschs Debütroman ist die Erzählerin, Kinga, eine in Norddeutschland (Niedersachsen) aufgewachsene Deutschpolin, die sich auf eine Reise in die Heimat ihrer Eltern begibt, um in der Vergangenheit der Familie die eigene Identität zu fi n- den. Das Schicksal und die innere Zerrissenheit von Kinga werden schon in ihrem Vornamen angedeutet: Kinga bekam ihren „schöne[n] polnische[n]“ (JA 108) Vor- namen, „nach der Heiligen Kunigunde von Polen, geboren ins Königsgeschlecht der Árpáden, eine[r] Prinzesin, die ihre Heimat verlassen musste, um ihr Lebtag in der

183 Sabrina Janesch betont, dass der Schauplatz des Romans, Danzig, obwohl er im Roman nicht explizit benannt wird, sie schon immer fasziniert habe, „als historisches Phänomen wie auch als ganz konkreter Ort“, in dem „viele historische und europäische Fäden zusammen[fi nden]: Deutsche und polnische Geschichte, Kultur und Tradition sind für mich hier so verwoben und ineinander verschränkt wie an sonst kaum einem Ort“ (vgl. JANESCH 2009). 204 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Fremde zu verbringen“ (JA 19).184 Kingas Vater, Emmerich und ihre Mutter Marta mussten ihre alte Heimat verlassen, „um weit entfernt ein fremdes Leben zu begin- nen“ (JA 336), weil ihre Heimatstadt „die Stadt am Meer […] plötzlich einem an- deren Land gehören sollte“ (JA 20) und „alles Deutsche […] sei zu alt für die neuen Zeiten, vor allem aber zu deutsch“ (JA 337). Nach dem Tod der Mutter führen Kinga, eine ins Exil verbannte Prinzessin“ (JA 20), „die Letzte [ihrer] Art“ (JA 27), und ihr Vater ein „Einsiedlerdasein“ (JA 40) in ihrer neuen deutschen Heimat. Obwohl ihn der Verlust der eigenen Heimat „kaputtgemacht hat“ (JA 115), verschweigt Kingas Vater die Existenz „de[s] polonisierte[n] Teil[s]“ der Familie (JA 32), der den alten Namen „Mysza“ beibehielt und 1945 in der Stadt am Meer blieb, wovon Kinga erst nach seinem Tode erfährt. „[A]us Protest [ihrem] Vater gegenüber“ (JA 32) belegt Kinga sogar einen Polnischkurs an der Universität, weil Polnisch für sie eine Fremd- sprache ist. Nach dem Tod ihres Vaters erbt Kinga ein Amulett, einen Bernstein mit einer dort eingeschlossenen Bernsteinspinne, der übernatürliche, „magische“ Fähig- keiten verleiht (JA 61), mit ihm kann Kinga die Gedanken und Erinnerungen von anderen lesen. Der Bernstein ist der einzige Gegenstand, den ihre Eltern aus ihrer Heimatstadt „retten“ konnten (JA 22), „die einzige Verbindung zurück“ (JA 25) und er erinnert an die alte Welt, die hier existierte, sowie an ihre Bewohner, die aus der Stadt vertrieben wurden oder fl iehen mussten. Er verbindet „die Vergangenheit mit der Gegenwart“ (JA 61) und bewahrt die Stadt am Meer „vor der endgültigen Auslöschung“ (JA 60). Der Titel des Romans „Ambra“ bietet die Assoziation mit diesem Familienerbstück, einer „abgekapselten eigenen Welt […], in der die Ge- schichte bewahrt wird“ (PLATTHAUS 2012: 27). In die Geschichte der Stadt am Meer ist die Familiengeschichte der Myszas/Miszas wie in eine Ambra eingeschlossen.185 Mit dem Bernsteinamulett erbt die Protagonistin auch eine Wohnung, „eine zeiten- und nationenübergreifende Immobilie“ (JA 142), in einer fernen Stadt am Meer, der Heimatstadt ihrer Eltern, einer Gegend, die „kulturell […] den Prußen“ gehört (JA 79). Wie die Protagonistin des Romans Katzenberge will sie der eigenen Familien- geschichte auf die Spur kommen und in der fremden „Stadt am Meer“ ihre eigene Identität fi nden: „[E]in verlorenes Schäfchen, das endlich in den Heimatstall“ (JA 49) zurückkehren möchte. In der Heimatstadt ihrer Eltern wirkt die Hauptfi gur „deutsch: in ihren ausgebliche- nen Jeans, dem olivgrünen Anorak und der Mütze“ (JA 83) und hält sich in Polen für „eine Ausländerin“ (JA 109). In Bezug auf die zwischenkulturellen Kontakte fi ndet – ähnlich wie in dem Roman Katzenberge – Angst vor dem Fremden als Motiv seine Verwendung. Die Begrüßung seitens ihrer polnischen Familie ist distanziert und vorurteilsvoll: Von ihrem Cousin Bartosz Mysza, dem traumatisierten ehema- ligen Irak-Soldaten, der Angst hat, seine Wohnung, deren Miete zum Einkommen

184 Kinga von Polen (auch Heilige Kunigunde von Polen; geb. 1224 in Esztergom/Ungarn; gest. 1292 in Alt-Sandez/Stary Sącz, Polen) war eine ungarische Kronprinzessin aus dem Königsgeschlecht der Árpáden. Sie war durch Heirat ab 1239 polnische Herzogin von Kleinpolen-Sandomir und ab 1243 in Kleinpolen-Krakau. Kunigunde wird als eine Heilige der römisch-katholischen Kirche verehrt. 185 Laut Sabrina Janesch stehe der Bernstein „sinnbildlich für diese Stadt, in der sich ebenfalls Geschichte(n) über Jahrhunderte erhalten und konserviert hat” (zit. nach: HEISE 2013). 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 205 beiträgt, an die deutsche Verwandtschaft zu verlieren, wird Kinga Mischa in seinem „bruchstückhaft[en]“ Deutsch mit „Heil Hitler!“ (JA 40) begrüßt. Im Laufe der Zeit lebt die Protagonistin sich ein und wird von ihren Verwandten mit dem ursprüngli- chen Familiennamen „Mysza“ (JA 348) bezeichnet. Und „dem Wunsch [ihres] Va- ters“ (JA 349) und ihrem eigenen gemäß werden ihre polnischen Verwandten „zu [ihrer] Familie“ (JA 349, vgl. auch 16). In Beziehung zu ihrer polnischen Familie, in der die Kultur der Großeltern noch präsent ist, konstruiert die Migrantin, von ihrem Vater „mitgerissen […] in sein Einsiedlerdasein“ (JA 40) in dem deutschen Gastland, ihre kulturelle Identität in der alten Heimat ihrer Eltern neu und fi ndet „hier [ihr] Zuhause“ (JA 16). Die von der Protagonistin am Ende der Romanhandlung durch- geführte Verbrennung des Bernsteinamuletts ist ein symbolischer Akt, der als ein Abschiednehmen von der Vergangenheit und als Affi rmation ihrer Familie und der neuen Lebenssituation gedeutet werden kann. In der Stadt am Meer fi ndet die Migrantin in dem geheimnisvollen Varieté Collegi- um Obscurum, einer „Interessengemeinschaft des Absonderlichen“ (JA 133f.), deren Publikum gelegentlich zusammenkommt, „um etwas Ungeheuerlichem beizuwoh- nen“ (JA 130) eine Stelle als Gedankenleserin, um dann in der von ihrem Cousin eröffneten Pfandleihe zu arbeiten. Die Pfandleihe in der Altstadt, „Anhängsel der alten Stadtmauer“, mit dem mit „gotischen Lettern“ beschriebenen Schild (JA 204) wird zu einem symbolischen Ort, der die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Kulturen zusammenführt, weil die Gegenstände, die die Kunden verpfänden wol- len, symbolische Bedeutung haben: wie das in der Wand einer Wohnung gefundene weißgoldene Amulett mit hebräischen Schriftzeichen, ein Überbleibsel aus der Zeit, als die Stadt am Meer noch „voller Juden“ (JA 239) gewesen ist, oder in den ba- bylonischen Ruinen gefundene und von einem Soldaten aus dem Irak-Einsatz mit- gebrachte „dunkelblau lasierte Kacheln“ (JA 284). Die Pfandleihe kann – wie der Antiquitätenladen, in dem der Protagonist von Artur Beckers Das Herz von Chopin arbeitet – als der Dritte Raum interpretiert werden, in dem die Grenzziehungen zwi- schen Kulturen und Nationen neu verhandelt werden müssen. Ihre polnischen Verwandten sind nicht die einzigen Figuren, mit denen die Hauptfi - gur Kinga im Laufe der Handlung konfrontiert wird. Interessanterweise gehören zu ihrem Bekanntenkreis in der „Stadt am Meer“ und somit zur Personenkonstellation im Roman – neben den in der Stadt wohnenden Mitgliedern der polnischen Familie Mysza – fast ausschließlich Migrantenfi guren oder Grenzgänger, wie Tilmann Krö- ger, ein deutscher Schriftsteller, der ein „epochale[s] Werk über die Stadt am Meer“ (JA 155) schreiben soll; der litauische Künstler Rokas Juknewitschius, der die Stadt am Meer mit Hilfe der Spiegelfolie „zum Verschwinden bringen“ (JA 170) möchte, um „eine Brücke in die Vergangenheit“ (JA 309) zu schlagen, oder die Figuren der aus Dydów stammenden Renia Fiszer, die deutsche Vorfahren hat und als Medi- um „mit den Toten reden“ (JA 217) kann, sowie von Albina Krasielewska, einer Künstlerin, die als Bildhauerin „Steinbaben, Nachbildungen der alten prußischen Gottheiten“ (JA 79), „eine zeiten- und kulturenübergreifende Skulpturensammlung“ (JA 79), schafft, um auf die ursprünglichen kulturellen Wurzeln der Region um die „Stadt am Meer“ aufmerksam zu machen. Auf diese Weise werden an dem transkul- 206 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 turellen „dritten Ort“, in der Stadt am Meer, Grenzen überschritten, kulturelle Netze aufgebaut, die Unterschiede zwischen der einen und der anderen Kultur verwischt. Die Figurenkonstellation im Roman soll sowohl auf die kulturelle Hybridität der Vergangenheit der „Stadt am Meer“ wie auf die Transkulturalität der Gegenwart als Effekt des Hybriden verweisen.

8.2.1 „Die Stadt am Meer“ – ein transkultureller Identitätsraum?

Wie in dem Roman Katzenberge spielt der raumzeitliche Kontext, in dem das Ge- schehen stattfi ndet, eine äußerst wichtige Rolle. Die namenlose „Stadt am Meer“, in der die Romanhandlung angesiedelt ist und die vom Leser problemlos als Dan- zig entschlüsselt werden kann, obwohl es im Roman nicht explizit gesagt wird, ist ein Begegnungsraum der Kulturen, der – wie in Katzenberge – keineswegs nur mit der Vorstellung einer friedlichen Symbiose zu assoziieren ist. Janesch spielt auf die Geschichte der Stadt, auf ihre Bedeutung im deutsch-polnischen Kontext sowie auf andere literarische Texte über Danzig an und leistet somit ihren literarischen Beitrag zur Konstruktion des Erinnerungsraumes Danzig und des kulturellen Gedächtnisses, auch wenn die literarisch verarbeitete Stadt – wie in den Texten von Günter Grass – imaginiert bleibt, obwohl sie mit topografi scher Sorgfalt beobachtet wird: „Jeder Schlag auf jede Trommel und jeder Schrei, jedes zerbrochene Glas […] fi ndet Ein- gang in das Gedächtnis der Stadt […]“ (JA 8). Die intertextuelle Bezugnahme auf den besonders wichtigen Danzig-Roman von Günter Grass, Die Blechtrommel, in Janeschs Einleitungsbeschreibung von „Stadt am Meer“ verweist auf den trommelnden und Glas zersingenden Oskar Matzerath, den Protagonisten von Grass’ Roman. Der konkrete Ort des Geschehens tritt zurück zugunsten einer topografi schen Bestimmung. Das Meer bleibt ein Element, das ver- schiedene Kulturen versöhnt, an dessen Ufern verschiedene Sprachen gesprochen werden:

Sprachwirbel unterschiedlichster Farbe und unterschiedlichsten Alters greifen hier inein- ander, und das, was am Boden geschieht, ist nichts als eine Momentaufnahme des Lebens dieser Stadt, und kaum ist der Moment vergangen, steigt er schon auf und begibt sich unter all das, was vor ihm gewesen ist (JA 7). Die „Stadt am Meer“, „die Stadt mit den goldenen Toren und den Kirchtürmen und den Speichern“ (JA 27), wird zu einem magischen Ort: Es sei eine Stadt, in der jeder „ein Geheimnis [hat] und […] ein Schweigen, das er darüberlegt“ (JA 8). Die Stadt scheint zu reden, „überzuquellen an Geschichten und dem Leid der Men- schen“ (JA 174). Die Protagonistin entwickelt in der Heimatstadt ihrer Eltern eine besondere Fähigkeit und kann „Stimmen […] und Geschichten“ (JA 73) hören:

Jeder Steinhaufen in dieser Stadt scheint seine Stimme zu erheben, kein Meter des alten Pfl asters, der kein Blut gesehen hatte, und überall, überall tummelten sich die Toten, tra- ten sich gegenseitig auf die Füße, saßen auf Rinnsteinen und lehnten an Fassaden, eine 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 207

Symphonie aus Angst und Erinnerung […], Tote […] mit merkwürdigen Dialekten und Akzenten ,[…] nach all den Jahrhunderten (JA 174). Die „Stadt am Meer“ mit ihrer besonderen kulturellen Wirkung bildet eine wichtige Kulisse der Familiengeschichte Kingas, die in einen gesellschaftlichen Zusammen- hang eingebettet ist und im Roman von der im Bernstein eingeschlossenen Spinne als Erzählinstanz in einer einfachen Erzählform vermittelt wird. Anhand der Fami- lie Myszas/Mischas wird die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in dieser besonderen Region exemplarisch geschildert, wobei dieser Erzählstrang im Roman – mit typischen narrativen Merkmalen einer Parabel – eine metaphorische Grundstruktur besitzt. Die Vorfahren von Kinga, ihr Großvater Kazimierz Mysza, ihr Urgroßvater Józef und die Urgroßmutter Katharina, stammen aus einer transkulturel- len Gegend, „die sich schlecht entscheiden konnte, ob sie dem einen Volk angehörte oder eher dem anderen“ (JA 54) und wo die Bewohner „verschiedene Sprachen“ (JA 54) sprachen. Kazimierz Mysza, der im Fluss einen Bernstein mit einer eingeschlos- senen, „die Vergangenheit mit der Gegenwart“ verbindenden Spinne (JA 61) fi ndet, zieht mit seiner kaschubischen Frau Magda und dem Sohn Konrad, dem Großvater von Kinga, aus „ihrer ursprünglichen Heimat draußen im Wald“ (JA 123) in die Stadt an der Ostsee (in „die Stadt am Meer“) unter dem „hohe[n] nordpolnische[n] Him- mel“ (JA 261). Die Stadt, die „seit Jahrhunderten“ zu unterschiedlichen Schicksals- schlägen, „Seuchen, Kriege[n] oder [der] Verschiebung von Staatsgrenzen“ (JA 129) neigt, ist ein transkultureller Identitätsraum. Die Vorfahren ihrer Bewohner sind Mi- granten mit hybriden Identitäten, die „[a]us den Sümpfen Litauens und der Wildnis der Ukraine“ (JA 259) gekommen sind. Ihre unterschiedlichen kulturellen Wurzeln greifen in der Stadt ineinander. Kazimierz zieht es „plötzlich“ vor, „Deutsch zu sprechen“ (JA 92) und stellt sich als Kasimir Mischa vor. Seine beiden Söhne werden – mit ihrer äußeren und charakterli- chen Verschiedenheit – als Oppositionspaar markiert und stehen für die deutsche und polnische kulturelle Komponente der „Stadt am Meer“: Der ältere, von dem Vater Kazimierz bevorzugte Sohn, Konrad Kasimir Mischa, ist „dürr und mit braunem, drahtigem Haar“ (JA 123) und Anführer einer Kompanie, zu der die „Halbstarken aus der Nachbarschaft“ (JA 123) gehören (u.a. Kosmowski, Schmidt, Heinz Segen- reich und Mosche Grynberg). Der jüngere, Marian Mysza, ist dagegen sensibel, „rundlich, mit weichem Gesicht, hellen Locken und Sommersprossen“ (JA 123) und „zarten Händen“ (JA 124). Ausgerechnet er wird zum nächsten Träger des Bern- steinamuletts. Die beiden Brüder entzweien sich über einen kindischen Streich und errichten – trotz derselben Herkunft – „eine Mauer zwischen sich“ (JA 227). Kingas Großvater Konrad ist evangelisch und mit Lilli verheiratet, sein mit der Polin Ag- nieszka verheirateter Bruder Marian, der zum Katholizismus „heimlich konvertiert“ (JA 198), katholisch, was Konrad für „Verrat“ (JA 198) hält. „Das Polnische […] hatte sich in Marian gebündelt und war in ihm zu voller Ausprägung gekommen, da hatte alle Erziehung nichts genützt […]“ (JA 201) Marian wechselt mit seiner Mutter Magda, „einige polnische Brocken, wenn weder der Vater noch der Bruder in der Nähe“ (JA 229) sind. Kasimir Mischa und sein Vater respektieren nämlich „das 208 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 deutsche Erbe der Familie“ (JA 229) und verbieten es, „diese Sprache zu benutzen, die polnische Familie Magdas zu erwähnen oder ihrer aller Namen leichtsinnig auf die polnische Weise zu schreiben: Mysza“ (JA 229). In der Zeit, „in der Polen bei- nahe so unbeliebt waren wie die Juden“ (JA 229) müsse das „polnische“ Erbe der Familie „vor aller Welt geheim gehalten werden“ (JA 230), es sei „gefährlich, […] schlichtweg falsch“ (JA 229). Beide Brüder wohnen mit ihren Familien in der elterli- chen Wohnung, in der sie symbolisch „mit einem Stück weißer Schulkreide auf dem Dielenfußboden die Grenze“, „die Trennwand“, verzeichnen (JA 227), die später in eine Mauer umgebaut wird, so dass „die eine Hälfte der Wohnung die polnische, die andere die deutsche sei“ (JA 232). Diese Mauer markiert den nationalen Riss, der durch die Familie Mysza/Mischa geht, das Schicksal von Kinga und ihren Eltern bestimmt. Auch die problematischen deutsch-polnischen Beziehungen in der Zeit des Natio- nalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges werden in dem Roman angesprochen. Marian wird gezwungen, seine Identität zu wechseln, sich in die Volksliste einzutra- gen und somit wie sein Bruder Konrad „ein Mischa zu werden“ (JA 266):

Hatte man doch gesehen, was mit denen geschah, die entweder gar nicht die Möglichkeit bekamen, Deutsche zu werden, oder die es rundheraus ablehnten: Sie verschwanden aus ihren Wohnungen und wurden nie wieder gesehen. Da waren zum Beispiel die Michaliks von nebenan, die Piotrowskis vom Ende der Straße oder die Malcherczyks, […] – sie alle waren verschwunden, bei Nacht und Nebel […]“ (JA 266f.). Konrad Micha meldet sich freiwillig zur Armee und wird an die Ostfront geschickt. Das idealisierte Bild der Heimat wird von Janesch gebrochen. Die Stadt am Meer hat nämlich ihre dunklen Seiten. Sie sei „kein Ort für Schwache“ (JA 254), sie habe nämlich einen „unmäßigen Appetit auf Menschenmaterial“ (JA 254) und die Macht, „Menschen zu verschlingen, […], sie auszulöschen“ (JA 364). Sie verlange „nach Fleisch, nach Muskeln Knochen Sehnen Seelen [sic!], am besten sei es, man halte sich von ihr fern“ (JA 254). In der Stadt nahm „die größte Katastrophe der Neuzeit ihren Anfang“ (JA 360) als „das deutsche Reich hier seinen Krieg begann“ (JA 359). Die Stadt erlebte auch „kommunistische Zeiten“, in denen es „Schlangen vor Flei- schereien“ und „Aufstände[-] der Werftarbeiter“ (JA 98) gab. In der Nachkriegszeit gibt es in der Stadt die Werft mit dem „mit Kränzen und Kerzen geschmückte[n] Arbeiterdenkmal“ (JA 171), „[v]on aller Orten […] der Wichtigste“ (JA 180), wo sich „die einfachen Arbeiter […] verbündet hatten und aufgestanden waren gegen die Willkür der Staatsmacht“ und auf diese Weise zum „Niedergang des Kommunis- mus“ beigetragen haben (JA 181). Vor dem Denkmal legt die Familie Mysza „ein- mal in der Woche“ (JA 180) Blumen ab. Die Myszas haben nämlich „nicht nur für Fleisch und Zucker gestreikt“, sondern „für den Frieden gekämpft“ (JA 181). Das ungenannte Danzig erscheint sowohl als ein emotional besetzter Sehnsuchtsort, die Heimatstadt der Eltern der Protagonistin, als auch als Alltagsort, an dem sie sich niederlässt und wo sie ihr Leben in der neuen Umgebung meistern muss. 8. Sabrina Janesch – „im Spannungsfeld der verschiedenen Identitäten“ 209

8.3. Zu Grenzübergängen und Grenzerfahrungen in Janeschs Texten

Ähnlich wie in den literarischen Texten der sog. Migrantenliteratur sind auch Janeschs Figuren Grenzgänger und ihre Texte rekonstruieren und refl ektieren unter- schiedliche Grenzübergänge und -erfahrungen. Janeschs Protagonisten bewegen sich vor allem zwischen dem deutschen und pol- nischen Kulturraum und das Überschreiten der Grenze stellt für sie ein „eigenes Erlebnis, nicht selten einen Einschnitt im Leben“ dar (LAMPING 2001: 12), weil sie sich entweder auf der Suche nach den Familienwurzeln und der eigenen Identität be- fi nden (Katzenberge, Ambra) oder die eigene Heimat gezwungenerweise verlassen müssen (Ambra, Erzählung Saragossa). Die weiblichen Hauptfi guren in Janeschs Romanen bewältigen die Reise in die Hei- mat mit dem Zug, wobei die Zugfahrt über die Grenze zu einer emotionsgeladenen Reise wird und entweder von Erinnerungen an die Kindheit sowie Trauergefühlen (Katzenberge) oder auch Ängsten vor Ungewohntem und Unbekanntem (Ambra) begleitet wird. Im Rahmen der Vorbereitung auf die Begegnung mit der ihr unbe- kannten Kultur und Familie lernt die Protagonistin im Zug Polnisch: „[I]n zehn Stunden zehn Fortgeschrittenen-Lektionen einer Fremdsprache“ und legt sich „ein paar passende Sätze zur Begrüßung und Erklärung“ zurecht (JA 39). Bei der Ankunft Kingas in der Stadt am Meer herrscht stürmisches Wetter mit heftigen „Sturmböen“ (JA 63). Die Natur wird – wie an vielen Stellen der beiden Romane von Janesch – zum Spiegel der Gefühle und als Metapher für die dargestellte Situation verwendet: Der Sturm fegt „[i]n wenigen Stunden […] alles Hinfällige“ (JA 62) fort. Auf dem Bahnhof wird sie, „ein verlorenes Schäfchen, das endlich in den Heimatstall zurück- kehrte“ (JA 49), von Bartosz Mysza, ihrem Cousin mit dem negativ konnotierten Ausdruck „Heil Hitler!“ (JA 40) begrüßt, aus Angst, dass Kinga, eine Deutsche (JA 47) „alles für [sich] beanspruchen wollen“ würde (JA 45). Im Gegensatz zur Protagonistin von Ambra wird Nele aus dem Roman Katzenber- ge auf dem Bahnhof von Oborniki in Schlesien nicht von Menschen, sondern vom „vertraute[n] Anblick der Backsteinbauten“ (JK 31) empfangen. Schon der An- kunftsort ist von kulturellen ‚Berührungen‘ und ‚Übergängen‘ gekennzeichnet, wo Fremdes und Vertrautes einander begegnen. Erst bei ihrem Grenzübergang in die Ukraine wird ihr Pass von den polnischen Grenzern geprüft. Das „vergessene[-], malerische[-] Grenzgebiet[-]“ (JK 232) ist von einem Grenzgebäude und dem Bug hinter „dem ukrainischen Grenzstein“ (JK 233) markiert: „Schwarzes Wasser. Son- nenspiel auf den Wellen, Strudel, die ihnen entgegenliefen, Sandbänke, die wie Fin- ger in den Fluss hineingriffen. Dichte Weidenwände umgaben das Wasser […]“ (JK 234f.). Die naturwüchsige Landschaft, fern vom Zentrum, in der Peripherie in einem „Niemandsland“ gelegen, steht für Freiheit und Natürlichkeit, für den sozialen Frei- raum. Die Halbdeutsche steht vor dem Ungewohnten und Fremden. Das Überqueren einer Grenze hat einen Wagnischarakter. 210 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Mit den migratorischen Bewegungen über die territorialen Grenzen und Grenzerfah- rungen sind in Sabrina Janeschs Texten aber auch Schmerz, Angst oder Tod verbun- den. Etwa in der Kurzgeschichte Saragossa (2007), in der die grenzüberschreitende Figur des Flüchtlings aus Transsilvanien in Rumänien, Draco, eine lange Wanderung über die Karpaten und Ungarn unternimmt, den Grenzfl uss zu überqueren versucht und dabei stirbt, weil er als Migrant „die endlose Weite“ statt „ein warmes Zuhause“ gewählt hat (JS 52). Das Überqueren des Grenzfl usses kommt einem Selbstmord gleich (JS 51). Dieses Motiv wiederholt sich in Janeschs Debütroman. Von Schmerz- und Angster- fahrungen sind nämlich auch die Grenzübergänge der männlichen Hauptfi gur des Romans Katzenberge, Stanisław Janeczko, gekennzeichnet. Zuerst muss er aus seinem Heimatdorf fl üchten, wo „die Welt zu Staub und Asche“ (JK 158) zerfällt, um der „Hölle [zu] entkommen“ (JK 188), um dann „die Überquerung des Bugs“, „die einzige Rettung“ (JK 236), zu wagen. Ganze Familien brechen in die Fremde auf. Das Grenzgebiet und der Grenzfl uss werden zu einer Übergangszone zwischen Leben und Tod, einem Raum des Sterbens und des Todes. Der Grenzübergang im Dunkeln, bei dem er noch einen kleinen Jungen rettet, wird zu einem traumatischen Erlebnis, das von Angst und Erschöpfung begleitet wird:

Unten am Wasser wimmelte es von Menschen, ganze Familien überquerten den Bug ge- meinsam, hielten sich an den Schultern, setzten Schritt vor Schritt. […] alle Leute um ihn waren in Bewegung, drängten zum Ufer, redeten leise, beteten (JK 237).

Koffer[-], Taschen, Bündel[-], so mussten sie alles am Ufer des Bugs liegen lassen; die Haufen der Dinge, die zurückgelassen wurden, wuchsen ständig (JK 241). Für die Migrantenfi gur gibt es nach der traumatischen nächtlichen Grenzüberschrei- tung kein Zurück mehr. Einerseits ist die Rücküberschreitung der Grenze unmöglich (infolge der historischen Ereignisse sowie der späteren Grenzverschiebung), auf der anderen Seite wird die Grenze außerdem aus ihrem Inneren heraus gezogen und ze- mentiert. Es wird deutlich, dass die erzwungene traumatisierende Grenzüberschrei- tung infolge der gewaltsamen Vertreibung bestimmte Prozesse in Gang setzt, über welche die Migrantenfi gur in ihrer neuen Heimat nachdenkt. So wird eine Identität skizziert, die Änderungen durchlaufen hat, von äußeren Umständen und von inter- nen Grenzen durchquert (vgl. JK 96). 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland

Der in Polen geborene, im Kindesalter nach Deutschland ausgewanderte, mit der deutschen Sprache und im deutschen Kulturkreis sozialisierte und inzwischen im deutschsprachigen literarischen Feld etablierte Adam Soboczynski genießt eine Sonderstellung unter den in der vorliegenden Publikation behandelten Autoren: Er kann nur unter Umständen zur Kategorie der Migrantenschriftsteller gezählt werden. Soboczynski ist – ähnlich wie Sabrina Janesch oder Magdalena Felixa – kein „Ver- treter nationaler Identitäten“ mehr. Da der Autor, der seine Texte ausschließlich auf Deutsch verfasst, zu denjenigen gehört, die die Erfahrung der Migration durchlebt haben, bezeichnet er selbst seine nationale Identität als „grundsätzlich hybrid“ (zit. nach: (STH) 2007, vgl. auch: STEINBERG 2006)186 und defi niert sich nicht nach dem binären Schema entweder-oder, bei dem die Zugehörigkeit zu dem einen Kulturkreis gleichzeitig den Ausschluss aus dem anderen zur Folge hat. Wenn man im Falle von Adam Soboczynski eine Kategorisierung wagen könnte (und zwar ausschließlich in Bezug auf einen einzigen literarischen Text), kämen die Begriffe der Migrationsli- teratur oder eines Autors mit „Migrationshintergrund“ oder noch vorteilhafter seine Lokalisierung im transkulturellen Kontext in Betracht. Der Begriff „Migrationslite- ratur“ ist nämlich „weniger auf die Biographie der Autoren und Autorinnen fi xiert, sondern vor allem thematisch orientiert“ und über die Zugehörigkeit zur Migrations- literatur entscheidet weniger die Biografi e des Schriftstellers sondern vielmehr die Form- und Inhaltsebene der Texte, also auch und vor allem die Sprach- und Identi- tätsthematik (BRUNNER 2005: 172). Nicht alle literarischen Texte von Soboczynski lassen sich aber in eine „Migrantenschublade“ stecken. Eigentlich nur in seinem Debüt auf dem deutschsprachigen Literaturmarkt, Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen (2006), dessen Titel schon auf transnationale Spuren deutet, kommt es aufgrund seiner biografi schen Erfahrung zu einer textuellen Auseinander- setzung mit kulturellen Identitäten und Differenzen (vgl. ZIERAU 2009: 22). 1975 in Toruń (Polen) geboren, kam Adam Soboczynski 1981, im Alter von sechs Jahren, mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland. Er studierte Litera- turwissenschaften und Philosophie in Bonn, Berkeley und St. Andrews und promo- vierte über Heinrich von Kleist (Versuch über Kleist: Die Kunst des Geheimnisses

186 Soboczynski ironisiert, er sei „lieber in Deutschland identitätsgespalten als in Polen“ (zit. nach: ANONYM 2007). 212 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 um 1800, Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2007). Adam Soboczynski arbeitet als Re- dakteur beim Feuilleton der ZEIT und lebt in Berlin. Sein journalistisches und literarisches Schaffen fand Anerkennung beim deutsch- sprachigen Lesepublikum. Von der Qualität seiner Texte zeugen auch die Preise, mit denen er ausgezeichnet wurde: Im Jahre 2005 erhielt er den Axel-Springer-Preis für junge Journalisten sowie den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis und 2013 den Ernst-Robert-Curtius-Förder-Preis.187 Der gebürtige Pole debütierte auf der deutschsprachigen Literaturbühne 2006 mit dem viel beachteten Text Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen, der von der deutschsprachigen Literaturkritik als eine „Reisereportage“ (LAUDAGE 2011) bezeichnet wird. Seinem literarischen Debüttext folgten bald weitere. Im Jahre 2008 veröffentlichte der Schriftsteller einen „ironische[n] Ratgeber“ (MÄRZ 2008): Die schonende Ab- wehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung. Diese dreiunddreißig Ge- schichten, in denen verschiedene Situationen aus dem Berufs- und Liebesleben des Gegenwartsmenschen thematisiert werden, sind an den deutschsprachigen Leser adressiert.188 Die Handlungsorte sind im deutschsprachigen (europäischen) kultu- rellen Kreis situiert, die Personen, ihre Namen, „ihre Eigenheiten, ihre Berufe“ (SA Vorrede 5) werden zu dessen Repräsentanten. 2010 erschien im Berliner Aufbau Verlag das Buch Glänzende Zeiten. Fast ein Roman. Im Falle der Glänzende[n] Zeiten handelt es sich eher um eine Sammlung von Essays, obwohl sein Autor im Titel den Text als „fast ein Roman“ bezeichnet. In neunundzwanzig locker mitein- ander zusammenhängenden Kapiteln (Episoden) nähert sich der Schriftsteller unter jeweils einem Stichwort menschlichen Fragen der Gegenwart wie Stolz, Disziplin, Freiheit, Sex, Liebe, Mut, Gesundheit. Laut Literaturkritik chargieren die Szenen „eigentümlich zwischen Reportage und literarischer Miniatur, zwischen Aphorismus und psychologischer Physiognomie“ (MANGOLD 2008: 17). In kurzen Essays werden die „Laster“ der modernen Welt, menschliche Macken und Verhaltensweisen mit Humor und Ironie kommentiert. Im Jahre 2012 erschien Das Buch der Laster. 29 Ausschweifungen. Unter dem ge- änderten Titel veröffentlichte der Aufbau-Verlag erneut die dem deutschsprachigen Lesepublikum schon seit 2010 aus dem Band Glänzende Zeiten vertrauten Essays des Schriftstellers.189

187 Die Jury Ernst-Robert-Curtius-Preises begründete ihre Entscheidung wie folgt: Der Schriftsteller erhalte den Preis „für seine stilistisch leichthändigen und treffenden Beobachtungen des großstädtischen Gegenwartslebens, die er in Reisereportagen, Feuilletons und essayistischen Monographien artikuliert. An die Klugheitslehren der europäischen Moralistik anknüpfend, verknüpft er analytische Schärfe und feinsinnigen Humor in einer essayistischen Schreibweise, die zugleich aufzuklären und auf hohem Niveau zu unterhalten vermag“ (zit. nach: Pressemitteilung der Universität Bonn vom 5. Juni 2013: Curtius-Preise an Ulrich Raulff und Adam Soboczynski, http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/133-2013, [15.06.2013]). 188 2010 erschien die polnische Übersetzung von Małgorzata Bochwic-Ivanovska: SOBOCZYNSKI, Adam (2010): Jak elegancko rozstać się z zakochaną kobietą. Warszawa: Wydawnictwo Muza. 189 Soboczynskis Buch knüpft an die Tradition der Narrenliteratur an, in der menschliche Schwächen, Torheiten, verbreitete Laster und Untugenden satirisch, aber auch lehrhaft angeprangert werden. 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 213

Keine Ausnahme von der Regel: Wie im Falle der anderen deutsch-polnischen Autoren mit „Migrationshintergrund“ verweisen die deutschsprachigen Rezensen- ten ebenfalls bei der Beurteilung des literarischen Erstlingswerks von Soboczyn- ski relativ oft auf die polnische Herkunft seines Autors (vgl. z.B.: JÖT R4; ANONYM 2007; LUGERT 2006: 176). Man nennt ihn einen „deutsche[n] Pole[n], polnische[n] Deutsche[n]“ (ANONYM 2007, vgl. auch WEBER 2006), jemanden, der „sowohl Pole als auch Deutscher ist – oder weder noch“ (LUGERT 2006: 176) sowie einen „Men- schen zweier Welten“ (MANGOLD 2008: 17). Die Kritik macht auch auf Soboczynskis „deutsch-polnischen“, „ebenso scharfen wie humorvollen Doppelblick“ aufmerksam (SANDER 2006), weil der Schriftsteller auf Grund seines Migrationshintergrunds über „die Perspektive der deutsch-polnischen Zwischenwelt“ (MIX 2006: 31) verfüge. Der Autor erzähle „auf recht lockere und allemal amüsante Weise“ (SANDER 2006), deutsch-polnische Geschichten „aus der Perspektive des unbeteiligt Verstrickten, aus dem Erleben dessen, der in beiden Kulturen gleichermaßen zuhause und fremd ist“ (BISKY 2006: 14). Die Literaturkritiker bezeichnen Soboczynskis Debütwerk Polski Tango als „eine neue Stimme in der komplizierten deutsch-polnischen Geschichte“ und eine „ein- fühlsame, doch nicht verklärende Annäherung an die alte Heimat“ (JÖT R4). Der Autor selbst, der „anschaulich und pointiert“ schreibt (JÖT R4), vereine „die Lei- denschaft des Reporters mit dem kühlen Blick des Essayisten“ (JÖT R4). Der Kritiker René Aguigah äußert sich anerkennend über Adam Soboczynskis „er- frischenden“ „Umgang mit deutsch-polnischen Stereotypen“, obwohl der vorsichti- ge deutsche Leser „dies als Ironisierung durch Übertreibung missverstehen“ könn- te (AGUIGAH 2006: 105, vgl. auch: BISKY 2006: 14). Jens Bisky schreibt von einer „grandiosen Litanei, einer Parade der Klischees und Paradoxa“ (BISKY 2006: 14). Die Rezensenten der drei weiteren Prosatexte von Soboczynski gebrauchen bei ihren Benennungsversuchen die Kategorie der Herkunft nicht mehr. Sie verweisen aus- schließlich auf die Qualitäten der Texte und ihre Thematik. Laut der Kritik schreibt Soboczynski, der in seinen Texten „ein Panorama der heutigen Sitten und Verhal- tensweisen“ (SOMMERBRAUER 2010: 32) entwirft, „witzig“ und „amüsant“ (MÜLLER 2010b: 4). Die Kritiker loben außerdem „den feinen Humor“ und die „Schönheit“ seiner Prosa (KROGERUS 2010: 16), die sprachlichen Qualitäten190 sowie seine Beob- achtungsgabe (vgl. SALLMANN 2013). Als bemerkenswerter Journalist und preisgekrönter „ZEIT“-Autor entzieht sich So- boczynski gekonnt jeglicher Kategorisierung und Schubladisierung als polnisch- deutscher bzw. Migrantenschriftsteller. Angesichts der veränderten Verfassung heutiger Kulturen kann Soboczynski als ein Schriftsteller betrachtet werden, der in der globalisierten Welt transnational sowie transkulturell lebt, diverse Einfl üsse ver- knüpft und dabei den literarischen Diskurs der Transkulturalität mitgestaltet.

190 „Wer […] mit ausufernden Nebensatzkonstruktionen, endlosen Einfügungen und mit dem langen Warten auf das Verb am Satzende kein Problem hat, wer also, anders gesagt, mit der Schönheit deutscher Prosa klarkommt, der wird dieses Buch ständig bei sich tragen wollen wie ein Punk seine Ratte“ (KROGERUS 2010: 16). 214 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

9.1 Identitäten in Bewegung: Polski Tango

Im Alter von sechs Jahren migrierte Adam Soboczynski mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland. Literatursoziologisch gesehen kann also sein litera- risches Werk als Teil der Migrantenliteratur angesehen werden. Es erhebt sich die Frage, inwiefern Soboczynski als Individuum von der Kultur seines Heimatlandes vorgeprägt war. Bis zu einem bestimmten Grade wirkte bestimmt die polnische kul- turelle Tradition auf sein Empfi nden, seine Wahrnehmung, sein Denken und Handeln ein, aber im Gegensatz zu Artur Becker oder Dariusz Muszer, die über eine starke Bindung an die polnische Kultur und das Herkunftsland verfügen, war in diesem Fall die kulturelle Vorprägung eher begrenzt: Soboczynskis Sozialisation verlief im Rahmen des deutschen Schul-, Gesellschaftssystems sowie des deutschsprachigen Kulturkreises. Soboczynski selbst verweist auf die Hybridität seiner Identität und seine heterogene kulturelle Prägung (vgl. STH 2007; STEINBERG 2006). Für diejenigen Autorinnen und Autoren, die als Kinder oder Jugendliche in das neue Land kamen (bzw. wie Sabrina Janesch dort geboren wurden), gestaltet sich die Frage nach ihrem kulturellen Selbstverständnis sowie ihrer Identität anders, weil sie sich nicht mehr primär an der nationalen Tradition ihres Herkunftslandes sowie deren kulturellen Kanons orientieren, und sie bleiben, was die Identitätsdarstellungen anbelangt, of- fen. Wie für Magdalena Felixa und (zum Teil) Sabrina Janesch bilden auch für Adam Soboczynski die polnische Kultur, Tradition, Geschichte und Literatur in seinen lite- rarischen Texten keinen deutlichen Bezugspunkt mehr. Der Schriftsteller, der selbst zugibt, dass er lange Zeit mit dem Land seiner Kindheit nichts zu tun gehabt und seinen polnischen Akzent „möglichst schnell“ habe ausmer- zen wollen (zit. nach: STEINBERG 2006), wählt bewusst für sein literarisches Debüt das Thema seines Migrationshintergrundes, die „Zerrissenheit“ zwischen den Kul- turen und der deutsch-polnischen kulturellen Begegnung. Wie bereits oben erwähnt, hält Soboczynski Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen (2006) für eine Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft (vgl. STEINBERG 2006). Vergleicht man Soboczynskis Biografi e mit dem Lebensweg seiner Ich-Figur, suggeriert sein Prosawerk grundlegende autobiografi sche Züge.191 Der Text, eine „Erzählung der ungleichen Zeit, der wegstrebenden Lebensläufe diesseits und jenseits der Oder“ (SPT 11), in dem sich der Erzähler auf die Suche nach der eigenen Kindheit in die alte Heimat begibt, kann tatsächlich als eine li- terarische Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und Identität sowie mit den deutsch-polnischen Beziehungen, mit dem Polenbild der Deutschen und dem Deutschlandbild der Polen betrachtet werden. In fünfzehn Kapiteln wird zwar eine Reise durch Polen beschrieben, die den Erzähler aber gleichzeitig immer wieder auch durch Deutschland führt. Es sind Kommentare zu den vorgefundenen Sachver- halten, Beobachtungen sowie Selbstbeobachtungen des Reisenden, der beide Länder

191 Auf die autobiografi sche Selbstthematisierung verweist Adam Soboczynski in einem Interview (vgl. WEBER 2006). 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 215 und Kulturen kennt und so Ähnlichkeiten und Gegensätze der beiden Gesellschaften wahrnimmt. Der Text ist einer imagologischen Betrachtung wert, weil die Polenkli- schees der Deutschen von Soboczynski auf eine unterhaltsame Art hinterfragt wer- den. Charakteristisch ist der häufi ge Wechsel der Stilebenen: Kindheitserinnerungen, soziologische Analysen und kurze Reportagen stehen nebeneinander. Den inneren Zwiespalt des Erzählers soll schon der Titel des Werkes Polski Tango zum Ausdruck bringen. Der Autor selbst versteht ihn als eine Klammer zwischen seinen beiden nationalen Zugehörigkeiten: „Eigentlich müsste es ‚Polskie Tango‘ heißen. Doch genauso, wie ich als Kind deutsch geradebrecht habe, habe ich heute Schwierigkeiten mit dem Polnischen“ (zit. nach: (STH) 2007). Auf diese Weise wird der Titel „Polski Tango“ zu einer Metapher des Prozesses der hybriden kulturellen Identität eines deutsch-polnischen Migranten, aber auch der deutsch-polnischen Be- ziehungen: Es sei nämlich „ein Tanz der ungleichen Zeit, der voneinander wegstre- benden Bewegungen, der Nähe und der Ferne, des Abschieds und der Wiederkehr“ (SPT 8). Nach der beendeten Polenreise deutet der Erzähler die Bedeutung des Tan- gotanzes, der einen Rahmen des Textes bildet, neu: Zwei Tanzpartner folgen „im Gleichklang […] demselben Rhythmus“, in dem „Vergangenheit und Gegenwart, Polen und Deutschland miteinander“ (SPT 198) verschmelzen.192 Die 31-jährige namenlose Ich-Erzählerfi gur, „ein Pole, der nach Deuschland ausge- wandert sei“ (SPT 78), 1981 Polen verließ und „von diesem Land lange Zeit nichts mehr wissen wollte“ (SPT 9), fährt zwanzig Jahre später nach Polen in der Absicht, ein Buch über das Land seiner Herkunft zu schreiben. Es soll „eine Erzählung der ungleichen Zeit, der wegstrebenden Lebensläufe diesseits und jenseits der Oder“ (SPT 11) werden. Da er sich „früher schämte, ein Pole in Deutschland zu sein, des Bildes wegen, das man in Deutschland von Polen hatte“ (SPT 9), will er als Erwach- sener das Land seiner Kindheit für sich neu entdecken. Wie Beckers, Muszers oder Janeschs Figuren hat auch Soboczynskis Erzähler, des- sen Familie aus der deutsch-polnischen, hybriden Grenzregion stammt, wo „die Na- men und die Nationalitäten der Bewohner“ (SPT 125f.) verschwimmen und „[d]ie meisten Deutschen […] auch polnische Verwandte […] und umgekehrt“ (SPT 126) haben, eine gemischte (hybride) Herkunft: In seinem Stammbaum verzweigen sich nämlich „deutsche und polnische Nachnamen“ (SPT 125). Seine Großeltern mütter-

192 Die symbolische Szene des Tangotanzes im real existierenden Krakauer Kultlokal „Piękny Pies“, die im Prolog und Epilog situiert ist, bildet einen Rahmen für die Handlung. Im Epilog greift Soboczynski die Tanzszene wieder auf: Plötzlich stürzt das ältere Tanzpaar, bleibt lange auf dem Boden liegen, setzt sich schließlich unverletzt an den Tresen und schweigt. Soboczynski, von einem Journalisten nach der Deutung des Sturzes gefragt, erklärt es folgendermaßen: „Dass zu leben auch immer zu verlieren heißt. In Polen gibt es eine Tradition der Niederlage und des Verlustes. Die Deutschen haben damit wenig Erfahrung und kommen in große Schwierigkeiten, wenn irgendetwas schief läuft. Aber es läuft doch immer irgendetwas schief. Mit diesem Bild wollte ich ausdrücken: Mit Krisen, wie derzeit zwischen Deutschland und Polen, muss man produktiv umgehen. Wer hinfällt, sollte mit Würde wieder aufstehen“ (zit. nach: MIEBACH 2006). 216 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 licherseits sind deutscher Abstammung, wobei der Großvater mütterlicherseits „pol- nische Vorfahren [hatte], […] sich aber, nicht ohne Stolz, als Preuße [begriff]“ (SPT 125). Die Mutter des Erzählers ist „eine deutschstämmige Protestantin“ (SPT 108) und sein Vater polnischer Katholik. Im Gegensatz zu seinem Großvater hat der Ich-Erzähler aber keine „bestimmte Ant- wort auf die oft gestellte Frage nach seiner nationalen Zugehörigkeit: „[Z]u wem [er] den nur hielte […]: zu den Polen oder zu den Deutschen“ (SPT 126, vgl. dazu auch 198). Als 6-jähriger Junge wandert er mit seinen Eltern 1981 aus dem sozialistischen Polen, „nur wenige Wochen bevor in Polen der Kriegszustand ausgerufen“ (SPT 14) wurde, in die neue Heimat, nach Deutschland, „das Land [ihrer] Träume“ (SPT 57), aus.193 Obwohl in dem Text die Symbolik der Grenze und ihrer Überschreitung kei- ne Rolle spielt, taucht auch in Polski Tango, wie in Muszers Roman Die Freiheit riecht nach Vanille oder Beckers Kino Muza sowie Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang das Motiv des Übergangslagers Friedland auf, das zwar auch die Exilsituation symbolisiert, aber für den Erzähler einen Neuanfang bedeutet. Mit dem Zug kommen die polnischen Migranten nach Friedland, in das überfüllte „deutsche[-] Auffanglager an der Grenze“ (SPT 21), wo sie mit anderen Aussiedlern aus dem Ost- block „in einem Achtbettzimmer“ (SPT 21) schlafen und in einer Schlange auf die Essensausgabe warten müssen: „Es wurde gestempelt, es wurden deutsche Pässe aus- gegeben und Begrüßungsgelder ausgehändigt. Große, bunte Scheine“ (SPT 21). 194 Wie Janeschs Romanprotagonistinnen oszilliert Soboczynskis Erzählerfi gur zwi- schen Identitäten, die sie selbst sich zuschreibt oder durch Fremdprojektionen zuge- wiesen bekommt. Ihre deutsche Identität wird aufgrund ihres familiären Migrations- hintergrunds im Gastland in Frage gestellt, genauso wie ihre polnische Identität in der alten Heimat. In Deutschland wird der Erzähler „oftmals »der Pole« [genannt], trotz eines deutschen Passes“, in Polen „der Deutsche“, weil ihm „die sieben polni- schen Fälle, die Geschlechter und Konjunktionen“ einige Schwierigkeiten bereiten (SPT 10). Er selbst verweigert nationale Zuschreibungen und Verortungen. Die Mi- gration wird als ein Prozess der Entfremdung von der polnischen Kultur aufgefasst und mit einer Transplantation „von einem Erdteil auf einen anderen“ (SPT 24) ver- glichen. Die Migrantenfi guren müssen zum einen Entwurzelungsprozess durchlau- fen und sich zum anderen dabei gleichzeitig an die neue Heimat gewöhnen bzw. sich physisch, sozial und kulturell integrieren. Die Erfahrung von Fremde löst die Fremd- werdung bzw. Entfremdung des Eigenen aus, sowie die kritische Distanzierung vom Vertrauten. Der Erzähler gewöhnt sich „eine Abgeklärtheit“ an, die im deutschen Kulturraum „ihre Wurzeln“ (SPT 8) habe. Das neue Land, Deutschland, wird „nun- mehr ein vertrautes […], und Polen ein fernes“ (SPT 12). Die Ankömmlinge durch- laufen einen oft schwierigen Anpassungsprozess an die Aufnahmegesellschaft, einen

193 Zum Bahnhof fährt die Familie in einem „alte[n], weiße[n] Mercedes“, „damals äußerst selten“, und fühlt sich somit „fast in Deutschland“ (SPT 18f.). 194 Zu Muszer vgl. Kap. 7.1.1. In Beckers Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang bedeutet der Aufenthalt in dem „Durchgangslager für Heimkehrerund Spätaussiedler“ eine „schwierige[-] Übergangsphase“, in der sich insbesondere die über keine Deutschkenntnisse verfügende Vaterfi gur wie „ein Trottel“ fühlt (BAS 38). 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 217

Prozess der Nachahmung von kulturellen Kodierungen. Für die Migranten beginnt ein Leben, in dem man nicht aufzufallen versucht, sich „wie Chamäleons“ (SPT 20) anpasst und auf diese Weise in dem Gastland „einfach unsichtbar“ (SPT 29) macht, „[a]us Angst, erkannt zu werden“ (SPT 30): „Über Nacht verschwanden die Insigni- en des Ostens: Mein Vater nahm sich seinen polnischen Schnurrbart ab, und Mutter trug Jeans statt bunter Röcke, die kleinen Kioske mit Plastiksoldaten wurden ersetzt durch Kaufhäuser mit Spielwarenabteilungen“ (SPT 24).195 Die polnischen Migantenfi guren aus Polski Tango beherrschen „meisterhaft“ die Ver- stellungskunst (SPT 31) und versuchen – ähnlich wie die Figur in Dariusz Muszers Roman Der Echsenmann – an die in Ralph Ellisons Roman Invisible Man (1953) herausgearbeiteten Taktiken im Sinne der Camoufl age und des „Unsichtbarwerdens“ sowie Chamäleonstrategien anzuschließen, um sich in der deutschen Gesellschaft anzupassen und erfolgreich sein zu können. Soboczynski beschreibt es als den (iro- nisch gemeinten) „dritten Weg“ der Integration, sich „unsichtbar“ zu machen, statt sich anzupassen. „Die schäbigen Klamotten“ werden abgelegt, Levi’s-Jeans getra- gen, „Geburtstage statt Namenstage“ gefeiert, und im Karneval feiert die Familie „wie die Deutschen“ (SPT 27). In der Öffentlichkeit suchen sie „die Inszenierung der anderen zu kopieren“ (SPT 28). Das Handeln der Figuren in einer ihnen anders erscheinenden Kultur beinhaltet zwar eine kulturelle Nachahmung, um sich dem An- deren anzunähern, sich jedoch nie bis zum Äußersten anzugleichen. Als „Ausländer mit deutschem Paß“ (SPT 29) „camoufl ierten [sie] ihre Herkunft“ , sie „verkleiden sich“ und stellen „ihre vermeintlich erfolgreiche Integration zur Schau“ (SPT 30). In der Privatsphäre aber, sozusagen in der häuslichen Parallelwelt, pfl egen sie Kon- takte fast ausschließlich zu anderen Aussiedlern oder polnischen Asylbewerbern, bedienen sich ihrer Muttersprache, essen „Piroggen, manchmal Borschtsch“ (SPT 43) und gehen keine freundschaftlichen Beziehungen zu den Deutschen ein, die sie für „soziale Experimente“ (SPT 30) halten. An die Tradition und Kultur der alten Heimat erinnern auch bestimmte kulturelle Symbole oder bedeutende historische Ereignisse, die als Identitätsbezeichnungen fungieren: „das kleine Papstbild und die heilige Mutter Gottes“ am Armaturenbrett im „deutschen“ Auto (SPT 25) oder das Time-Magazin mit „Lech Wałęsas zornigem Antlitz geschmückt: Man of the Year 1981“ (SPT 33). Erst der Fall der Berliner Mauer, der „den Polen zu verdanken“ sei, macht den Ich-Erzähler „wieder zum Polen“ (SPT 33). Die Elternfi guren, Migranten der ersten Generation, bleiben sozusagen auf halbem Wege stehen und fühlen sich kulturell zerrissen zwischen Bewahrung der alten Iden- tität und Eingliederung in die neue Gesellschaft, in den neuen Kulturkreis: nicht mehr in Polen, aber noch nicht in Deutschland richtig angekommen. „Dem Armen- haus Polens entkommen“ (SPT 41), wollen sie „dazugehören und gleichzeitig ab- seits bleiben“ (SPT 30). Ihr Ziel in der neuen Heimat ist es, „[d]urch Leistung, nicht durch die Macht der Geburt, […] eine kapitalistische Identität zu stiften“ (SPT 43),

195 Homi Bhabha arbeitet im Zusammenhang mit der Kategorie der Hybridität auch den Aspekt der Mimikry heraus, den er als Nachahmung eines Originals beschreibt: „fast dasselbe, aber nicht ganz“ (vgl. BHABHA 2000: 129). 218 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

„[d]urch Fleiß, durch Arbeitskraft, durch drei Putzstellen an einem Tag […]“ (SPT 43). Infolge der Migration entsteht nämlich „das biographische Chaos“ (SPT 49), das man mit der „gesellschaftliche Ordnung“ schaffenden Berufstätigkeit (Putzen) einigermaßen „heilen“ (SPT 49) kann. Die Ankömmlinge werden „[d]es polnischen Stolzes, des gesellschaftlichen Ansehens entkleidet“, was sie „mit Konsumsgütern“ kompensieren (SPT 48), weil die materiellen Güter „für kurze Zeit das letztlich ver- gebliche Begehren [stillen], irgendwann in der Bundesrepublik anzukommen“ (SPT 49). Die Eltern des Erzählers schämen sich bei ihren Polenbesuchen zuzugeben, dass sie im Gastland Deutschland mit dem Putzen ihr Geld verdienen. Bei den meisten „Aussiedlern von deutschen Minderheiten in Ostpreußen oder Schlesien, die endlich in ihr ersehntes Mutterland zurückgefunden hätten“ (SPT 29), sind „[i]n zweiter oder dritten Generation […] ihre deutschen Wurzeln bis zur Un- kenntlichkeit verstümmelt“ (SPT 29). Wegen der kulturellen Unterschiede und der am Anfang mangelnden Deutschkenntnisse erweist sich die kulturelle und sprachli- che Integration als ein äußerst schwieriger Prozess:

Es geschah oft, daß Vater nicht verstanden wurde. Er hatte sich ein eigentümliches Deutsch angeeignet, es folgte einer einsamen Grammatik. Deutsche Wörter beugte er mit polnischen Endungen. Man begriff sein Deutsch nur, wenn man auch Polnisch verstand. […] Mutter schämte sich beim Metzger. Sie kochte gerne fl aki, eine polnische Innerei- ensuppe. Kaufte sie die Kutteln, dann fühlte sie sich ertappt. Nur Polen kaufen in großen Mengen Kutteln ein, behauptete sie. Die Deutschen kauften sie nur, um sie an ihre Hunde zu verfüttern (SPT 26). Die Migration hat auch ihre psychosoziale Dimension. Der Leser von Polski Tango wird oft mit dem Motiv der Scham konfrontiert, das mit dem Migrantenleben aufs Engste verbunden zu sein scheint. Die Erzählerfi gur berichtet vom empfundenen „nur schwer zu beschreibende[n]“ (SPT 30) Schamgefühl in der „glitzernd[en] […] neue[n] Welt“ (SPT 117) der neuen Heimat: Die Schulfreunde sollen nicht über den Putzfrauberuf der Mutter Bescheid wissen, die Mutter schämt sich beim Metzger, wenn sie Kutteln kauft. Beide Eltern schämen sich – wie schon erwähnt, dass sie in ihrer neuen deutschen Heimat mit Putzen ihr Geld verdienen. Die gesamte Mi- grantenfamilie schämt sich für ihren Großvater Leon aus Polen, der die Familie in Deutschland besucht und in der westlichen Umgebung einen befremdlichen Ein- druck macht:

Mutter mochte es nicht, daß er [der Großvater] nach billigem Wodka roch, nach billigem Rasierwasser, daß er billige Anzüge trug. Und daß ihn die deutschen Nachbarn sahen, die- sen glatzköpfi gen, schlecht rasierten Mann aus dem Osten […]. Seine Gegenwart verwies auf unsere Vergangenheit. Und Mutter wollte die Vergangenheit weit hinter sich lassen (SPT 116). Die Migranten wollen die Herkunft verdrängen, nicht mehr an die eigenen Wurzeln erinnert werden. Im Erzähler selbst steigt auch ein Gefühl der Scham für seinen pol- nischen Großvater auf: „[D]ie Scham, zusammen mit ihm von Freunden und Nach- 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 219 barn gesehen zu werden, mit ihm, dem armen polnischen Großvater, [war] stärker als jedes Schuldgefühl“ (SPT 117). Die Integration der Migranten schlägt jedoch fehl. Für die die ältere Migrantenge- neration repräsentierenden Eltern des Erzählers sei Deutschland „allen Beschwörun- gen zum Trotz, niemals ihre Heimat geworden“ (SPT 139). Sie kaufen eine Woh- nung in „dem Ort ihrer Kindheit“ (SPT 139) in Polen (Masuren), in der „alte[n] und gleichsam neue[n] Heimat“ (SPT 139), um nach der Pensionierung dorthin zu ziehen und den Versuch zu unternehmen, den durch die Migration erfahrenen Bruch, ihr „gebrochenes Leben […] wieder [zu] kitten“ (SPT 140). Das einzige sich auf dem Weg zur gelungenen Integration befi ndende Familienmit- glied ist der Erzähler selbst. In Soboczynskis Werk wird der Prozess des Zur-Spra- che-Kommens thematisiert, der sich im Medium der Sprache bildenden Identität, die sich in der Begegnung mit der Fremde, mit der fremden Sprache, entwickelt. Ein- wanderung wird für ihn zur Einwanderung in eine neue Sprache. Die identitäre Ver- ortung der Erzählerfi gur fi ndet eben in der neuen Sprache statt. Trotz anfänglicher Sprachschwierigkeiten in der deutschen Schule bleibt im Laufe der Zeit die fremde Sprache für den Erzähler „nicht mehr nur ein Geräusch“, die Wörter ergeben „einen Sinn“ und bilden „Zusammenhänge“ (SPT 23). Im Alter von 14 Jahren gelingt es ihm seinen aus der alten Heimat mitgebrachten „polnischen Akzent auszumerzen“ (SPT 33). Seiner polnischen Muttersprache, die im Laufe seiner Akkulturation „zu einem irritierenden Fremdkörper“ (SPT 39) wird, ist er „nur mehr mit deutschem Akzent mächtig“ (SPT 39). Der Protagonist entschließt sich „in [s]einer deutschen Jugend“ (SPT 110) im Rahmen der Ablösung von der polnischen Vergangenheit, auch diesen Teil seiner Kindheit, seiner „polnischen“ Identität „genauso auszumer- zen, wie [s]einen polnischen Akzent“ (SPT 110). Nur sein „sperriger Nachname“ (SPT 33) erinnert an seine Herkunft. Seine alte polnische Heimat wird ihm „lästig“, „einer Narbe gleich“, die ihm seine „Verpfl anzung, [s]eine abgeschüttelte Kindheit vor Augen“ (SPT 40) halte. Der Erzähler wird Germanistikstudent, der „an deutscher Literatur“ laboriere, was als „eine ungesunde Form der Überkompensation“ gedeutet wird, weil „Migrantenkinder […] häufi g die Aufgabe [hätten], den biographischen Bruch ihrer Eltern durch ihre eigene Biographie zu kitten“ (SPT 199). Ähnlich wie Artur Becker, Radek Knapp oder Sabrina Janesch verwendet auch Adam Soboczynski in Polski Tango das Motiv der Reise in die alte Heimat auf der Suche nach einem selbst erfahrenen Identitätsraum. Wie im Falle von Beckers oder Janeschs Figuren wirkt die von dem Erzähler unternommene Polenreise identitäts- fördernd und integrierend: Im Zug von Masuren nach Krakau verschmelzen „[s]eine polnische Vergangenheit und [s]eine deutsche Gegenwart zu einem einzigen, einem harmonischen Bild“ (SPT 142). Obwohl er „von Polen lange Zeit nichts wissen“ (SPT 157) wollte, sucht er „in diesem Land nun wieder nach polnischen Wörtern, vergessenen Wörtern“, an die er sich „plötzlich“ erinnert, und beginnt „in Krakau […] auf polnisch zu denken“ (SPT 157). Eine identitätsstiftende Funktion erfüllen auch bestimmte Elemente des polnischen Kulturcodes, mit denen er auf seiner Hei- matreise konfrontiert wird: Wie beispielsweise die „mythenumrankte Figur“ (SPT 106) von Karol Wojtyła, der im Krieg als Zwangsarbeiter „für die Deutschen in 220 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 kriegswichtigen Betrieben“ (SPT 144) arbeitete und für die Solidarność-Generation „die antikommunistische Freiheitsliebe“ (SPT 108) symbolisierte, und für den Ich- Erzähler den „Papst [s]einer Kindheit“ (SPT 106) darstellt, weil seine Fotografi en „die Schlaf- und Wohnzimmer [seiner katholischen Großeltern] zierten“ (SPT 108). In der neuen Heimat, Deutschland, erscheint die „die Ordnungsmacht [s]einer Groß- eltern“ (SPT 154) symbolisierende und mit dem Ort seiner Kindheit eng verbunde- ne Papstfi gur dem Erzähler fremd: Erst im Erwachsenenalter, bei seinen häufi gen Fahrten nach Polen, am Doppelgrab seiner Großeltern wird er aufs Neue von dem „Papst aus Polen“ „heimgesucht“ (SPT 111). Auf seiner Heimatreise, die „manches“ verkläre (SPT 199), verschmelzen nämlich „im Gleichklang […] Vergangenheit und Gegenwart, Polen und Deutschland miteinander“ (SPT 198). Die Reise in die alte Heimat symbolisiert – ähnlich wie bei Becker, Knapp oder Janesch – menschliche Entwicklungsfähigkeit und erlaubt dem Protagonisten, sich auf der Reise in einen anderen zu verwandeln und seine eigene Identität (wieder) zu fi nden. Soboczynskis literarisches Schaffen evoluiert seit seinem Debüt (2006) auf dem deutschsprachigen Literaturmarkt. In den weiteren Werken, Die schonende Abwehr verliebter Frauen (2008), Glänzende Zeiten (2010), Das Buch der Laster (2012), werden von Adam Soboczynski die Migrantenproblematik sowie die Auseinander- setzung mit der alten (polnischen) oder neuen (deutschen) Heimat sowie der eigenen Familienwurzeln nicht mehr thematisiert. Wie in seinen Feuilletons für die ZEIT, beschreibt der Schriftsteller die moderne Gesellschaft und die Texte sind in erster Linie an seine deutschsprachigen (bzw. westeuropäischen) Leser adressiert, was sich vor allem an der Gesamtheit kollektiv geteilter und in den Texten vermittelter An- nahmen über die außerliterarische Wirklichkeit, an den Elementen des deutschen Kulturcodes, Realien und Anspielungen auf die deutsche Kultur, Medien, Politik (SGZ u.a. 28, 48, 49, 124–130, 157, 174, SA 25, 65), Geschichte (SGZ 127, SA 24), deutsche Gewohnheiten und Sitten (SGZ 80–85, 95, 111f., 199f., SA 30, 41, 71) so- wie die Stadt Berlin (SGZ 28, 67, 68), erkennen lässt.196 Die Handlungsorte sind im deutschsprachigen (bzw. westeuropäischen) kulturellen Kreis situiert, die Personen, ihre Namen „ihre Eigenheiten, ihre Berufe“ (SA 5, Vorrede) werden zu dessen Re- präsentanten. Die Identitätsproblematik fi ndet in diesen Prosawerken nur am Rande Erwähnung.197

196 Auf die Verwurzelung der Texte im deutschen kulturellen Kontext deuten auch die intertexuellen Verweise. Soboczynski zitiert u.a. einen Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg: „Sobald einer ein Gebrechen hat, so hat er seine eigene Meinung“ (SA 62) sowie einen Nietzsche-Aphorismus (SA 54, „Die einen werden durch großes Lob schamhaft, die anderen frech“). Nietzsche wird auch paraphrasiert (SA 62), sowie die Philosophen Helmuth Plessner (SA 165f.) oder Arthur Schopenhauer (SA 150). Der Euro ist als ein öffentliches Zahlungsmittel im Umlauf (SA 18, 43). 197 In Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung wendet sich der Erzähler an seinen Adressaten, indem er die Höfl ichkeitsform verwendet (die Anrede mit der Pluralform „Sie“ und mit den davon abgeleiteten Formen) und meldet sich häufi g in der Wir-Form zu Wort. Diese kollektive Erzählinstanz verweist auf die Perspektive eines gemeinsam erlebenden, denkenden und erzählenden Kollektivs. 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 221

In Glänzende Zeiten (Das Buch der Laster) erinnert sich der Erzähler, der in einer deutschen Stadt aufwuchs (vgl. SGZ 25), an seine „düstere“ Kindheit (SGZ 24). Die- se wird mit dem Motiv des Aborts, der außerhalb des Bauernhofs seiner Großeltern liegt, wo „keine Lampe den Schotterweg beleuchtete“ (SGZ 24), in Zusammenhang gebracht, zu dem sich der Erzähler als Kind mit großer Angst habe hinbewegen müssen. Dasselbe Motiv fi ndet Soboczynskis Leser in Polski Tango (SPT 118f.). Mit dessen Hilfe wird die Rückständigkeit der masurischen Provinz illustriert. Die Herkunft des namenlosen Ich-Erzählers wird aber sonst nicht näher bestimmt. Seine Identitätslosigkeit kann vielleicht mit der Globalisierung der modernen Welt begrün- det werden, mit der sich Soboczynski in seinen Texten kritisch auseinandersetzt. In Glänzende Zeiten, einer „Kulturkunde der Gegenwart“ (SOMMERBRAUER 2010: 32), thematisiert (und kritisiert) Soboczynski nämlich die mit der Globalisierung ein- hergehende Diffusion von kulturellen Praktiken, Formen des Ausdrucks und Ideen sowie die Ausbreitung „westlicher“ Wertvorstellungen und Lebensstile. Für die Welt von heute, in der „alle auf ganz gleichförmige, ganz erwartbare Weise freundlich […]“ seien (SGZ 19) und in der man „assessments, meetings“ mache sowie „out- sourced“ (SA 41), seien nämlich „Generalsanierung“ (SGZ 32), „[…] die Glättung, Aufhellung, Gesundung, Normierung der Welt, die ungute Disziplinierung, die Ver- bannung individueller Verrücktheiten und Fluchten des Alltags [charakeristisch], obgleich sich doch jeder ungeheuer individuell glaubt“ (SGZ 167). Der Erzähler sehnt sich nach vergangenen Zeiten, in denen das Leben „viel zu hell, zu normiert, zu diszipliniert und zu gesund geworden“ (WEBER 2011) ist.

Wären die Hitze und die architektonischen Entgleisungen Antoni Gaudís nicht gewesen, die daran erinnerten, dass man sich tatsächlich in Barcelona befand, man hätte meinen können, wir wären gar nicht verreist. Die Trams waren von derselben schnittigen Bauart wie zu Hause, in den Cafés saßen Freelancer mit ihren dickrandigen Brillen an Notebooks und Lesegeräten, […]. Im Taxi vom Flughafen erspähten wir auf der Autobahn ein Schild eines Möbelgeschäfts, das uns sehr vertraut war. Die kleinen weißen Plastikkarten, die die Schlüssel in Hotels abgelöst haben, glichen vollkommen denjenigen in Wuppertal oder Frankfurt, selbst die Toilettenschüssel und Armaturenbretter im Badezimmer waren vom selben Fabrikat wie in meiner Wohnung. […] Die Sprache war jene abgezweckte, die man aus jeder dem Tourismus verpfl ichteten Großstadt kennt: allerorts jenes beharrliche »You are welcome!« und »Have a nice day!« (SGZ 17f.)

9.2 Zu den Heimatkonstruktionen in Polski Tango

Die Erzählinstanz in Polski Tango unternimmt zwar eine Reise in ihr Geburtsland, doch im Grunde reist der Erzähler zugleich auch mental durch seine neue deutsche Heimat. Eine Reise durch Deutschland und Polen lautet nämlich der programmati- sche Untertitel. Adam Soboczynski, von der deutschsprachigen Literaturkritik als ein „Mensch zweier Welten“ (MANGOLD 2008: 17) bezeichnet, verarbeitet in seinem 222 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Text den Themenkomplex Heimat, wobei er sich nicht nur auf sein polnisches Her- kunftsland, sondern auch auf seine neue bundesdeutsche Heimat konzentriert. Inte- ressant erscheint die Frage, wie Soboczynski den polnischen und bundesdeutschen soziokulturellen Lebensraum literarisch ausgestaltet und darstellt, ob sich daraus eine harmonisierende und/oder kontrastive Begegnung ergibt. Hierbei ist insbeson- dere die Konstruktion der alten (polnischen) sowie der neuen (deutschen) Heimat von Bedeutung, also von bestimmten soziokulturell geprägten Räumen, mit denen sich der Ich-Erzähler identifi ziert und deren Bilder im Text dem deutschsprachigen Rezipienten vermittelt werden. Das Leben in der ‚Fremde‘ ermöglicht eine Distanzierung vom alten Identifi kati- onsraum. Als ein in der bundesdeutschen Gemeinschaft sozialisierter Migrant hat Adam Soboczynski Lebensweisen, Ansichten, Meinungen und soziale Bindungen wahrscheinlich schon in einem Grad angenommen, dass in seinem Falle der für ei- nen Migranten charakteristische „Blick von außen“ im Grunde zu einem „Blick von innen“ geworden sein könnte (vgl. u.a. BERG/FUCHS 1995). Die möglicherweise doch beibehaltene Position eines Außenstehenden erlaubt aber den distanzierten, verfrem- deten Blick sowohl auf den ‚neuen‘ wie auf den ‚alten‘ Heimatraum, was sich auch in Soboczynskis Polski Tango beobachten lässt. Beide Kulturräume werden schon im Prolog in der Metapher des emotionsgeladenen, melancholischen Tangotanzes, der ein verhalten getanztes Liebesspiel symbolisiert, zueinander in Beziehung ge- bracht: Es sei „ein Tanz der ungleichen Zeit, der voneinander wegstrebenden Bewe- gungen, der Nähe und der Ferne, des Abschieds und der Wiederkehr“ (SPT 8), wobei das tanzende Paar „traurig und befreit zugleich“ (SPT 9) wirkt. Die „Vergangenheit“ (SPT 11) in der alten Heimat wird in der Erinnerung der Er- zählerfi gur rekonstruiert. Auf der erzähltechnischen Ebene öffnet sich eine doppelte Perspektive: die Sicht des Ich-Erzählers als Kind und Jugendlicher und jene als Er- wachsener. Für das Kind ist die alte Heimat das Land der „imaginären Würste[-] und der schlechten Butter“ (SPT 57), des langen Schlangestehens mit den „Lebensmittel- karten in der Hand“ vor den Geschäften (SPT 18), ein Land der polnischen Kindheit „in Schwarzweiß“ (SPT 19). Der Erzähler erinnert sich an „eingemachte Gurken auf dem Fensterbrett“ (SPT 19), den selbstgebrannten Wodka des Großvaters, an die „Päckchen aus dem Westen“ (SPT 20), die „Kaffeepulver und Süßigkeiten, auch D-Mark-Scheine […] Pullover und Jeans“ beinhalteten und die ferne bunte Welt symbolisierten. Mit dem polnischen Kulturraum und der in Polen verbrachten Zeit ist in der Erinnerung des Erzählers auch der polnische Katholizismus aufs Engste verbunden, auf dessen Bedeutung und Rolle mehrmals in Polski Tango hingewiesen wird, sowie die Figur Karol Wojtyłas, des „Papst[es] [s]einer Kindheit“ (SPT 106, vgl. auch 25,107–110, 143–154). Im Kontrast zur Tristesse der sozialistischen Realität in der alten Heimat, bekommt in der Erinnerung des Erzählers die neue Heimat, „das Land [der] Träume“ (SPT 57), – mit Kindesaugen retrospektiv betrachtet – märchenhafte Züge: Das gelobte Land sei „größer und prächtiger“ (SPT 27), wie „ein einziges Lichtermeer aus Reklame“, wo „die stählernen Karosserien […] sich im Licht der Straßenlaternen [spiegeln], die Geschäfte […] glitzernde Süßwaren [bergen], die Bäckereien […] vor süßem 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 223

Gebäck [überquellen]“ (SPT 27). Das neue Land, mit den „hell erleuchteten“ Städ- ten und glattem Asphalt auf den Straßen (SPT 121, vgl. auch 25), funkelt „an jeder Straßenecke“ (SPT 27) und die neuen Geldscheine seien „groß“ und „bunt“ (SPT 21) wie die Geschäfte (SPT 119). Die Kleidung der Bewohner erinnert – im Gegen- satz zu den „schäbigen Klamotten“ der Ankömmlinge (SPT 27) – „an Gewänder, an den Samt und das Gold und die Seide aus Märchen“ (SPT 27), konstatiert der Ich- Erzähler als Kind. Wie die Hauptfi guren in Beckers oder Janeschs Romanen begibt sich auch Sobo- czynskis erwachsener Erzähler auf eine Reise in das „Land [s]einer Kindheit“ (SPT 37) und somit in die eigene Vergangenheit zum Zweck der Selbsterkundung. Auf diese Weise werden dem deutschsprachigen Rezipienten das gegenwärtige und ver- gangene Polen- und gleichzeitig auch das Bild von Deutschland vermittelt. Im Falle von Polski Tango handelt es sich aber nicht um einen traditionellen Reisebericht, ein deskriptives Informationsvermittlungsmedium mit einer sachlich-objektiven Form, sondern um ein literarisches Kunstwerk, in dem sich seine empirisch überprüfbare Referenz mit imaginärer Referenz vermischt und das reisende Subjekt seine subjek- tiven Prägungen von kulturellen und sozialen Eigenarten der beiden Kultursphären zu vermitteln und miteinander zu vergleichen versucht. Als Medium des kulturellen Vergleichs erfüllt der Reisebericht für den Reisenden eine identitätsstiftende Funk- tion. Da das Entstehen von Fremdbildern immer mit der Wahrnehmung des Eigenen und damit mit der Konstituierung eines Selbstbildes verknüpft ist, wird das Selbst- bild gegen das Fremdbild gestellt, wobei Soboczynski, wie Radek Knapp (oder auch Artur Becker oder Dariusz Muszer) mit vielen Deutschland- und Polenklischees so- wie bestimmten stereotypen Zuschreibungen arbeitet und sie gleichzeitig hinterfragt. Die transkulturelle Literatur (Migranten- bzw. Migrationsliteratur) literarisiert kul- turelle Stereotype, weil sowohl Hetero- wie Autostereotype auch als Medien der Konstruktion kultureller Identitäten dienen. Die Autorinnen und Autoren refl ektieren nämlich auf diese Weise nicht nur ihre eigene kulturelle oder persönliche Situati- on, sondern auch diejenigen Bilder und Haltungen, die ,von außen‘, insbesondere vom Lesepublikum, an sie herangetragen werden.198 Diese typisierenden Image- Bildungen werden nicht unbedingt aus konkreten Erfahrungen abgeleitet, sondern entspringen tradierten vorgefassten Meinungen. Soboczynskis Polenbild ist dement- sprechend durch die stereotype Sichtweise der Deutschen auf Polen und die Polen geprägt. Mit der bewussten Inszenierung der klischeehaften Zuschreibungen, die auch zur Kontrastierung der Ziel- und Herkunftsgesellschaft dienen, werden Assozi- ationsketten entworfen, die wiederum ironisch durchbrochen werden. Beide Vorstellungen – die der alten und der neuen Heimat – werden von Soboczyn- ski als Konstrukte betrachtet, zumal beide Länder einander „über lange Zeit ein komplementäres Bild ihrer selbst geliefert“ (SPT 38) haben: „verlottert statt solide, arm statt reich, schmutzig statt sauber, patriotisch statt selbstzerknirscht“ (SPT 38).

198 Insbesondere der spezifi sche Erwartungshorizont des Lesepublikums muss in den Entstehungskontext der Migrantenliteratur miteinbezogen werden. 224 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Der Erzähler reiht bewusst Überspitzungen und „Klischees aneinander“, verleiht ihnen humoristische Formen und „schäm[t] [sich] dabei kaum“ (SPT 201). Ein Beispiel: Zu dem stereotypen Deutschlandklischee, das es „ein ungeheuer sauberes Land“ (SPT 41) ist, trägt auch die „polnische Putzfrau“ (darunter auch die Mutter des Erzählers), ein „fester Teil des Niedlichkeitsrepertoires, das man seit je den Po- len entgegenbrachte“ (SPT 51), bei. Es muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass der „Mythos von der polnischen Putzfrau“ in der BRD, ein „ostalgisch ver- klärtes, liebevoll gehegtes Polenklischee“ (SPT 51), von Soboczynski ironisch und provokativ zugleich neben das Bild der deutschen Trümmerfrau der Nachkriegszeit gestellt wird, die das kriegszerstörte Deutschland und das Wirtschaftswunder der Deutschen „mit ihren bloßen Händen“ (SPT 52) ganz alleine wieder aufbaute. Das Polenbild bekommt in Soboczynskis Text bisweilen ans Komische grenzende Züge: Der unwissende Reisende, der aus dem Land „jenseits der Oder“ kommt, wo „die Ironie als allgemeingültiges Lebensgefühl fungiert“ (SPT 63f.), wird gleich nach seiner Ankunft in Warschau von einem „bösen [verkleideten] Taxifahrer“ mit einem falschen „Lech-Wałęsa-Schnurrbart“, der für die Mafi a arbeitet (SPT 54), be- stohlen. Soboczynskis Reisender, ein aufmerksamer Beobachter, der beide Kulturen und Länder kennt, wandert zwischen unterschiedlichen Welten. Seine Reise impliziert immer auch eine Bewegung zwischen mentalen Räumen. Die beiden Kultursphä- ren, die polnische und die deutsche, werden miteinander ununterbrochen auf pro- vozierende Weise in eine Kontrastbeziehung gesetzt. Das Andere wird gleichzeitig zur Projektionsfl äche des Eigenen, was die folgenden Beispiele illustrieren: Polen, „[j]ahrhundertelang von europäischen Mächten eingekesselt[e]“, in dessen „kultu- rellen Bewußtsein das Bild des ohnmächtigen Opfers, des gedemütigten Verlierers [sich] tief eingebrannt“ (SPT 60) habe, sei „das Gegenteil von Deutschland“ (SPT 194): „ein wenig theatralisch“ (SPT 200), „abgrundtief patriotisch“, (SPT 194), ka- tholisch (SPT 197). Im Gegensatz zu Deutschland, das „pathosarm“ sei und sich „in Coolness“ einpanzere (SPT 196), sei man in Polen „nicht ironisch, man ist absurd“, weil die Polen „sich der gebrechlichen Einrichtung der Welt bewußt“ seien (SPT 196). Der polnischen Gastfreundschaft wird deutsche Sparsamkeit gegenübergestellt (SPT 76). Die Polen mit „[e]ine[r] lange[n] Tradition der Niederlagen im Rücken“ (SPT 85) haben sich, „einer langen Tradition des Absurden gewiß, […] im Provi- sorischen, im Chaotischen, im nur Halbfertigen eingerichtet“ (SPT 74, vgl. auch 200), hätten einen Minderwertigkeitskomplex und seien „gerne melancholisch“ (SPT 196). Auf der anderen Seite hätten die Deutschen „einen moralischen Kom- plex gegenüber […] Polen, der unheilvollen Geschichte wegen“ (SPT 196); „Polen ist […] modern, Deutschland postmodern […]“ (SPT 196). Im Unterschied zu den „europafreundlichen“ Deutschen, die „ihre deutsche [Identität] loszuwerden“ ver- suchen (SPT 196), seien die Polen „europaskeptisch, da sie ihre nationale Identität bedroht sehen“ (SPT 196). Im Vergleich zu Deutschland, wo „gesund gegessen, […] Müll getrennt“ wird und „immer alles um Moral“ kreise (SPT 196), deren Gründe im deutschen Protestantismus sowie im „Aufklärungsjahrhundert“ (SPT 84) zu fi nden seien, hätte das Leben in Polen „etwas Leichtes, Beschwingendes“ (SPT 200): „Es 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 225 gibt in Polen keine Vegetarier, keine Mülltrennung, kein Dosenpfand. Es gibt kei- ne Beziehungsexperimente, […] keine Rente, keine Arbeitslosenversicherung, die ihren Namen verdienen“ (SPT 194). Im Unterschied zu Deutschland, wo „sich am Paradigma des preußisch-protestantischen Händlers orientierend, Marktwirtschaft mit Moral verknüpft“ (SPT 85) sei, herrsche in Polen „der Stolz des Regelbruchs, der den gewohnten Lauf der Dinge unterbricht, der der Ausnahme der Regel huldigt“ (SPT 84f.) Polen, das „seit der Wende weitestgehend allein auf sich gestellt“ sei, erfi nde den Kapitalismus neu (SPT 195). Man fi ndet im Text auch Verweise auf die katholische Verwurzelung der polnischen Gesellschaft (SPT 63), das katholische Erbe, das für die polnische „Ablassmentali- tät“ verantwortlich sei, weil man in Polen „dem ewig schönen Spiel der katholischen Ablaßdroktrin fröne“ (SPT 89), die jeden Polen „von seinem schlechten Gewissen, von einer andauernden Selbstzermürbung, wie sie protestantische Gesellschaften plagt“, „gnädig“ befreie (SPT 60, vgl. auch 109). In dem Text gibt es Anspielungen auf die bedeutende Rolle der polnischen katholischen Kirche sowohl in der Ver- gangenheit als auch der Gegenwart Polens (SPT u.a. 90, 153f.)199 sowie auf den „Nationalstolz des Volkes von Helden und Opfern“ (SPT 90), deren Gründe in der Geschichte Polens zu fi nden sind. Erwähnung fi nden auch heikle Themen wie die Homophobie oder Russenfeindschaft der Polen (SPT 114) und andere „Spuren der Gewalt“, die in den polnischen „Köpfen“ „für immer“ überlebt hätten (SPT 159), die vermeintlich „allgegenwärtige“ Korruption (SPT 83), die Beliebtheit der Verschwö- rungstheorien bei den Polen – „angesichts ihrer tragischen Geschichte“ (SPT 192) – und das polnische Improvisationstalent (SPT 80), das ebenfalls in der polnischen Geschichte wurzelt. Der Erzähler, in der polnischen Kultur und Geschichte bewan- dert und in die Rolle des Kulturvermittlers geschlüpft, versucht aber, seinem deut- schen Lesepublikum die Wurzeln der spezifi schen Merkmale der polnischen Kultur und Mentalität zu erklären, indem er auf die Historizität von kulturellen Bindungen verweist, wie beispielsweise die Erklärung des polnischen „Improvisationstalents“: Improvisieren mussten die Polen schon im 18. Jahrhundert, als das Land von Preu- ßen, Russland und Österreich geteilt – „von der europäischen Landkarte gelöscht“ (SPT 84) – wurde. Später stand das „[j]ahrhundertelang von europäischen Mächten eingekesselt[e]“ Polen (SPT 60) unter nationalsozialistischer, dann unter kommunis- tischer Fremdherrschaft, was auch ein enormes Improvisationstalent erforderte. Aus diesem Grunde eben erfreut sich ein „ausgesprochen häufi g verwendetes polnischen Wort […] »załatwiać«“, dessen Bedeutung zwischen „der Sünde und der Unschuld, des Opfers und der Auferstehung“ changiere (SPT 83), einer großen Popularität: „Es heißt soviel wie »es irgendwie hinkriegen«, »sich durchwurschteln«, aber es heißt auch: »jemanden reinlegen«“ (SPT 83, vgl. auch 138). Die Polen seien „Meister in der Verstellungskunst“ (SPT 84), die ihren Ursprung in den Zeiten hat, in denen „in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts […] Polen als Staat ausradiert“ (SPT 84) und

199 Soboczynski erwähnt in seinem literarischen Reisebericht sogar die „massive antieuropäische Propaganda“, die „erzkonservative polnische Kräfte wie der Rundfunksender Radio Maryja“ schürten (SPT 147). 226 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 die „Verstellungskunst der alten Adelsrepublik konserviert“ (SPT 84) wurde. „Das ethnisch ausgesprochen homogene Polen“ mit seiner „rigide[n] Ausländerpolitik“ (SPT 99) und der „manisch[en]“ Beschäftigung mit der Homosexualität (SPT 99), die in Deutschland „seit Jahrzehnten hoffähig“ und daher „mittlerweile ein geradezu langweiliges Phänomen“ (SPT 100) sei, stehen im Kontrast zu den „individuelle[n] Freiheitswerte[n]“ (SPT 100) des westlichen Europas. Angesichts der „rigiden Mo- ral der Kaczyńskis“ (SPT 90) und der von seinen polnischen Verwandten geäußer- ten Intoleranz den Minderheiten und Homosexuellen gegenüber, kommt sich der in Deutschland aufgewachsene und sozialisierte Ich-Erzähler, der „bei Lehrern mit selbstgestrickten Pullovern und linksliberalen Gewissen die Schulbank gedrückt hatte“ (SPT 91), in seinem Herkunftsland „sehr fremd“ vor (SPT 91). Dieser Men- talitätsunterschied löst bei ihm das Gefühl von „Fremdsein“ in dem Land seiner Kindheit aus. Obwohl die titelhafte „Reise“ assoziativ, sprunghaft verläuft und sich gleichsam an der Choreografi e eines Tangotanzes orientiert, der Erzähler dabei die Zeitebenen und Orte wechselt, bildet das Buch von Soboczynski für seinen deutschen Rezipienten – wie schon erwähnt - eine wertvolle Informationsquelle, die Aufschluss über die die polnische Geschichte und kulturelle Identifi kationsfelder gibt, wie z.B. über den Warschauer Aufstand (SPT 182f.) die polnische Widerstandsbewegung Solidarność (SPT u.a. 18, 33, 36), den Runden Tisch, die polnische Küche (u.a. „Obwarzanki“ – mit Mohn und mit Salz bestreute Brezeln, SPT 163, Krówki-Bonbons – SPT 57, 123, 190), „Zapiekanka […] Ersatzpizza“ – SPT 123) und Gewohnheiten. Je ein Kapitel in Polski Tango ist dem polnischen Maler Marcin Maciejowski, dem Dich- ter Tadeusz Różewicz – einem „Wanderer zwischen den Welten, in Ost und West gleichermaßen beheimatet“ (SPT 181), einem „Partisanenkämpfer“ im Zweiten Weltkrieg, einem „Überlebende[n]“ (SPT 180) gewidmet. Dem polnischen Papst, Johannes Paul II., Karol Wojtyła, sowie den Unterschieden in Bezug auf sein Bild in Deutschland und Polen wird ebenfalls ein separates Kapitel gewidmet. Diese Bilder stehen in beiden Kulturkreisen in völligem Kontrast zueinander: In Deutschland, „einem Land mit starker protestantischer, pietistisch geprägter Aufklärungstraditi- on“ (SPT 152), wird die Papstfi gur als der „reaktionärste, der dogmatischste, der engstirnigste Patriarch, den die katholische Kirche hervorgebracht hat“ (SPT 147), als „ein störender Fremdkörper“ (SPT 151) betrachtet. In Polen dagegen wird er „als charismatischer Widerstandskämpfer“ (SPT 151), der „heimliche Anführer“ der Massenproteste (SPT 20), „das Sprachrohr Roms für ein unter der Sowjetherrschaft stehendes Polen“ (SPT 147) gefeiert, der in dem polnischen Kulturraum „das Pro- gressive schlechthin“ symbolisiert und „zum frenetisch umjubelten Nationalhelden“ aufgestiegen ist (SPT 147). Der Leser erfährt ebenfalls von den dunklen Flecken der polnischen Geschichte oder Verdrängung der polnischen Kriegsverbrechen, mit denen sich die Polen aus- einandersetzen müssen, von der Jedwabne-Debatte, die von dem „amerikanisch- polnische[n] Historiker Tomasz Grosz [sic!]“ (SPT 89) und seinem Buch Nachbarn hervorgerufen wurde. In Polen seien nämlich „die Sünde und die Unschuld vereint“ 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 227

(SPT 89)200: „Die Offenbarung dieses lange gehüteten Geheimnisses [dass die polni- schen Bewohner von Jedwabne die ansässigen Juden umbrachten] war ein Schock, worauf die wichtigste Auseinandersetzung Polens mit sich selbst nach der Wende stattfand“ (SPT 90). Auf ihrer Reise durch Polen besucht die Erzählfi gur diejenigen Städte, die sowohl für die polnische Kultur als auch für sie selbst von besonderer Bedeutung sind. Auf den einzelnen Stationen seiner Reise (Warschau, Masuren, Krakau, Poznań, Toruń) vermittelt der Erzähler seinen daheimgebliebenen deutschsprachigen Lesern die über die Fakten hinaus existierenden Bilder der „polnischen“ Wirklichkeit. Der Erzähler begegnet dort Bekannten, Verwandten sowie Zufallsbekanntschaften oder fremden Personen, Polen (dem Dichter Tadeusz Różewicz, dem Maler Marcin Maciejow- ski, dem Redakteur des TV-Magazins Adam Bogoryja-Zakrzewski, dem Priester Mieczysław Maliński, Krystyna Brüske, Wojciech Gudaczewski) oder Deutschen (wie Henryk Koch, einem Vertreter der Deutschstämmigen in Ostróda/Osterode oder Steffen Möller), mit denen er Gespräche über die „polnischen“ bzw. „deutsch-polni- schen“ Zustände und die Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses führt, wobei er sich als ein in Deutschland aufgewachsener und sozialisierter Mensch manchmal in dem „Land seiner Kindheit“ „sehr fremd“ (SPT 91) vorkommt und sein kritisches Verhältnis manchen polnischen wie deutschen Erscheinungen gegenüber nicht ver- leugnet. Der Leser bekommt somit einen Einblick in seine Gefühle und Stimmungen, die der Kontakt mit dem kulturell Bekannten-Unbekannten und seine Erinnerungen an die vergangene Zeit in dem Land seiner Familie und seiner Herkunft sowie in der neuen bundesdeutschen Heimat auslösen. Es werden nicht nur bekannte, sondern auch für die polnische Kultur wichtige oder sehenswerte Orte erwähnt (u.a. Pałac Kultury – der Kulturpalast in Warschau, die Warschauer Wassernixe, die Palme der Warschauer Künstlerin Joanna Rajkowska auf dem Warschauer Rondo de Gaulle, das Krakauer Königsschloss auf dem Wawel-Hügel, die Marienkirche und die Tuch- hallen, das Czartoryski-Museum, das jüdische Viertel Kazimierz in Krakau) sowie bekannte Clubs (wie u.a. „Le Madame“ in Warschau, „Piękny Pies“ in Krakau). Jede Reisestation hat ihren eigenen Charakter, wirft also auch ihre eigenen Fragen auf und stiftet Sinnbilder für die politische und gesellschaftliche Lage Polens. Die polnische Hauptstadt, Warschau, die „einem einzigen großen Mahnmal des Zweiten Weltkrieges gleichkommt“ (SPT 159), „[v]on Hitler dem Erdboden gleich- gemacht, […] über Nacht von der Landkarte Europas radiert“ und nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut (SPT 66), erscheint dem aus Deutschland kommenden Reisenden als die Stadt voller Kontraste: Bilder des „Konsumrauschs“ (SPT 58), Wolkenkratzer, Hochhäuser, teure Restaurants und Clubs einerseits, andererseits die konservierte „Sowjetästhetik“ (SPT 59), Milchbars, in denen „greise Nonnen und resignierte Arbeiter beim linkischen Kartenspiel fl aki futtern“ (SPT 59f.). Warschau

200 Die 2000 erfolgte Publikation des Buchs „Nachbarn“ von Jan Tomasz Gross rief die Erkenntnis hervor, dass 1941 in dem Ort Jedwabne kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen Polen ihre jüdischen Mitbürger ermordeten. Jan Tomasz Gross löste damit die größte intellektuelle Debatte der polnischen Nachkriegsgeschichte aus. 228 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

„wiederholt […] den verblaßten Mythos des kapitalistischen Westens“ und „meißelt die Welt als eine schillernde Lüge in Stein“ (SPT 56). Die polnische Hauptstadt beherrsche „die Kunst der Mimikry“ (SPT 68), zelebriere „einen überreizten Neu- beginn aus Zitaten der alten Welt“ (SPT 67) und „inszeniert sich in Unschuld“ (SPT 64), die „ein kulturelles Phantasma […], eine perfekte Lüge“ (SPT 68.) sei. In der Stadt, in der „die Sünde und die Schuld, die Hure Babylons und die Jungfräulichkeit einer strahlenden Braut widerspruchslos vereint“ (SPT 60) seien, wohnt der deut- sche Kabarettist und Schauspieler Steffen Möller, der in der polnischen Fernsehserie „M jak miłość“ die Figur des Deutschen verkörpert (SPT 71–80), die „der Sympa- thieträger der Serie“ sei: „ein idealer Schwiegersohn […], der Depp, der hoffnungs- lose Unglücksrabe“ (SPT 71), die „Inkarnation des deutschen Versagers“ (SPT 73) und daher in seiner Funktion als „das Ventil für das Kriegstrauma der Polen“ bei dem polnischen Publikum beliebt ist (SPT 76). Der Erzähler führt mit diesem „Ansprech- partner für alle deutsch-polnischen Schicksale“ (SPT 76) ein intensives Gespräch über die „grundsätzlichen Mentalitätsunterschiede zwischen Polen und Deutschen“ sowie „Stereotype, aus denen sich Möllers Kabarettprogramm speist“ (SPT 76). „[D]as Gegenteil von Warschau“ (SPT 159) sei Krakau, „ein Freilichtmuseum der Renaissance“ (SPT 159), eine Stadt mit zahlreichen Kirchen (SPT 159), mit der „museale[n] Illusion“ (SPT 58) und dem „aristokratische[n] Erbe“ (SPT 159), im Gegensatz zu der polnischen Hauptstadt aber ohne „Bausünde im Stadtbild“ (SPT 158). In der Stadt werden „»Obwarzanki«, die mit Mohn und mit Salz bestreuten Bre- zeln, die ein Loch in der Mitte haben“ (SPT 163), verkauft. In Kazimierz, „dem alten jüdischen Viertel“ (SPT 159), wird das jüdische Leben, heutzutage leider „unwieder- bringlich verloren“ (SPT 160), „künstlich […] derzeit wiedererweckt“ (SPT 160). Soboczynskis Sicht auf die beiden polnischen Städte (Warschau und Krakau) sowie ihre Eigenschaften scheint offenbar eine in dem polnischen kulturellen Kontext ver- ankerte zu sein, weil die genannten Elemente zu den in Polen gern gebrauchten Kli- schees der beiden porträtierten Städte zählen und Soboczynskis Erzähler in Polski Tango Anschluss an dieses polnische Klischee-Inventar fi ndet. Ähnlich wie bei Artur Becker der ermländisch-masurischen Region wird in Polski Tango Masuren, als dem Land der Kindheit, eine besondere Bedeutung beigemes- sen. Es ist die Region, wo der Erzähler in seiner Kindheit die Sommermonate ver- brachte und wo seine Großeltern „im kleinen Biskupiec“ (SPT 109) wohnten. Der masurische Raum wird dabei über die beiden zentralen Merkmale der geographi- schen Verortung und der emotionalen Bindung erfasst und zur Provinz stilisiert. Es ist eine Gegend, zu der beispielsweise „die steinigen Feldstraßen“ (SPT 110) führen. Eine gewisse Idealisierung der ländlichen Lebensformen, einer von der modernen Zivilisation nicht berührten Welt wird vorgenommen: Das Land sei „ruckelnd und schwer“, „eine fl ache, unaufgeregte Landschaft“ (SPT 125), in der „Häuser aus ro- tem Backstein […] in großen Abstand voneinander“ (SPT 125) stehen. „Keine Au- tobahn zerschneidet das Land, keine Großstadt stört die Idylle, es sind Störche, die den meisten Lärm machen“ (SPT 131). Die Zeit scheint hier „wie konserviert“ (SPT 132) zu sein. 9. Adam Soboczynski – angekommen in Deutschland 229

Wegen der hohen Arbeitslosenquote neigen die Bewohner Masurens aber – ähnlich wie in Beckers Romanen – zu erhöhtem Alkoholkonsum (SPT 131). Im provinziell gezeichneten Masuren, im Heimatort der Großeltern des Erzählers, Biskupiec, wird die „backsteinfarbene Dorfkirche […] genausogut besucht […] wie die Jutrzenka [das einzige Lokal des Ortes]“ (SPT 110). Die Bewohner sind fromm, verehren den Papst und versuchen das Politische zu meiden. Der Großvater des Erzählers, Leon, kämpfte gegen die Deutschen und legte „über jene Zeit [in der Kriegsgefangen- schaft und sein Soldatendasein] ein eisiges Schweigen“ (SPT 115). An den Wänden in dem Haus der Großeltern hängen Bilder von dem polnischen Papst, sie züchten Hühner und Schweine und leben im direkten Kontakt mit der sie umgebenden Na- tur. Mit dem Tod verbindet man gewisse Rituale und Gewohnheiten, die einem Stadtbewohner fremd vorkommen. Sie haben keine Scheu, über ihr Lebensende nachzudenken und sich mit dem unfassbaren Tod auseinanderzusetzen. Eine „un- überschaubar große Anzahl an Cousins und Cousinen“ (SPT 107) versammelt sich um den „Wohnzimmertisch“, um die nach Deutschland auswandernden Familien- mitglieder zu verabschieden. Die kulturelle Hybridität Masurens und die Fragen des kulturellen Kontaktes in dem Grenzraum werden im Text ebenfalls angesprochen: Der Heimatort der Großeltern des Erzählers, Biskupiec, liegt „unmittelbar an der Grenze östlich des polnischen Korridors“ (SPT 125) und gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg zu Ostpreußen.201 Wie Artur Becker thematisiert auch Adam Soboczynski die historischen, geogra- phischen, kulturellen und ethnischen Besonderheiten dieses kulturell besonderen Raum es, in dem Überlagerung und Vermischung diverser Kulturelemente stattfand. In dem masurischen Grenzraum „verschwammen die Namen und Nationalitäten der Bewohner ohnehin, die Löbischs und Soboczynskis, die Wilczynskis und Harnischs […]: Die meisten Deutschen hatten auch polnische Verwandte und umgekehrt“ (SPT 125f.). Die in dieser Region verlaufenden Staatsgrenzen sind Folgen politi- schen Handelns, die von „Fürsten und Großmächte[n] […] willkürlich verschoben [wurden], daß Pässen, ausgestellt von welcher Regierung auch immer, eine lediglich formale Aussagekraft innewohnte“ (SPT 126). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bevölkerung „fast vollständig ausgetauscht. Die Deutschen wurden vertrieben“ (SPT 126). Die aus dem Osten von Stalin vertriebenen Polen siedelten sich in der Region an, wo sie ihre neue Heimat fanden: „Millionen Vertriebene [zogen] in die Häuser von Vertriebenen“ (SPT 129). „[E]in Menschenkarussell“, wurde in diesem hybriden kulturellen Raum von „Hitler und Stalin in Gang gesetzt“ (SPT 129), in- folge dessen „Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten […] zwischen 1939 und 1947 heimatlos durch Europa“ irrten (SPT 129). Das Transkulturelle in der Geschichte der masurischen Region wird von dem Au- tor mit Hilfe einer Begegnungsszene symbolisch hervorgehoben. In masurischem Ostróda (Osterode) kommt es in Polski Tango zu einer Begegnung von zwei Fi-

201 Soboczynski erklärt seinem deutschsprachigen Lesepublikum, was mit dem „polnischen Korridor“ gemeint ist: „Der Korridor hatte, als Folge des Versailler Vertrages, Polen einen Zugang zum Meer verschafft, er trennte Ost- und Westpreußen voneinander“ (SPT 125). 230 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 guren: Krystyna Brüske, einer „Polin litauischen Ursprungs mit dem deutschen Nachnamen“, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Wilna (Litauen) nach Masuren vertrieben worden ist und sich jetzt für die Erinnerung an die Vertreibung deutscher Bewohner von Ostróda/Osterode einsetzt, mit dem „einstigen Bewohner ihres Hau- ses“ (SPT 128), einem „Gast aus Deutschland mit dem polnischen Namen“ (dem aus Masuren nach Deutschland vertriebenen Gladkowski) (SPT 128), dessen Familie die Stadt verlassen musste.202 Die transkulturelle Struktur der Region kann aber auch zur Quelle von kulturellen Auseinandersetzungen sowie Versöhnungsversuchen werden. Einige Bewohner ver- suchen, die kulturellen Spuren der Vorgänger zu tilgen: „Der [deutsche] Friedhof war zerstört, die Grabplatten waren für polnische Gräber entwendet worden, und das, was übriggeblieben war, das war heillos verwildert“ (SPT 133). Andere wiede- rum bemühen sich, die „Narben der Vergangenheit“ zu heilen (SPT 134), indem sie den Verein „Sasinia“ gründen, der an die transkulturelle Vergangenheit des Gebietes erinnern soll: „[A]n das ostpreußische Osterrode, an die jüdische Bevölkerung, an die polnische Minderheit – und […] an die Deutschen“ (SPT 133f.). Man versucht auch „Zitate der Vorkriegszeit“ (SPT 134) in die Architektur der Neubauten der Re- gion einzubauen, um „die Vergangenheit wiederauferstehen [zu] lassen“ (SPT 134). Infolge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in Polen fi n- det auch eine gewisse Veränderung des deutschen Polenbildes statt: Der Typus der „polnischen Putzfrau“, „ein ostalgisch verklärtes, liebevoll gehegtes Polenklischee“ (SPT 51), inzwischen „ein angefaultes Klischee“ (SPT 51), habe sich, „aufgrund der Angleichung der Lebensverhältnisse, in letzter Zeit deutlich abgeschwächt“ (SPT 190). Der Pole in Deutschland werde nämlich „derzeit gerne mit einer gewissen Künstleraura bedacht“ (SPT 189) und die polnische Malerei „erziele auf Auktionen stolze Preise“ (SPT 187). Soboczynskis Reisebericht mündet am Ende in ein Be- kenntnis zu Polen. Das „in jüngerer Zeit“ gestiegene, von dem Erzähler auf seiner Reise bemerkte Wirtschaftswachstum in Polen und die damit zusammenhängende allmähliche Veränderung des deutschen Polenbildes haben erstaunlicherweise auch eine identitätsstiftende Funktion: Der Ich-Erzähler belächelt sogar „Deutschland. Wohlwollend“ (SPT 51).

202 Dies legt Assoziationen mit Johannes Bobrowskis Levins Mühle (1964) nahe. 10. Magdalena Felixa – Migration als existentielle Erfahrung in der Großstadt

Magdalena Felixa, 1972 in Polen geboren, siedelte mit neun Jahren in die Schweiz um, lebt – nach einem längeren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten und dem Studi- um am Max-Reinhardt-Seminar in Wien – seit 1998 in Berlin. Felixa, Schauspielerin und Dramaturgin, die von der deutschsprachigen Literaturkritik mal als „polnische Autorin“ (LIPPITZ 2005: 25), mal als eine „in Polen geborene und in der Schweiz le- bende Weltbürgerin“ (DOMSCH 2005: 40) bzw. „multinationale Schriftstellerin“ (vgl. WILKE 2005) bezeichnet wird, betrachtet sich selbst ebenfalls als Weltbürgerin (vgl. dazu: WILKE 2005). Auf die Frage nach dem Heimatbegriff antwortet die Schrift- stellerin: „Wenn man sich irgendwo wohlfühlt, ist das Heimat. […] Heimat ist der Ort, an dem in einem bestimmten Augenblick alles stimmt. […] Für mich verbindet sich der Heimatbegriff mit dem Unterwegssein. Wer viel unterwegs ist, kann viele Heimaten haben“ (zit. nach: WILKE 2005). Im Jahre 2005 veröffentlichte Magdalena Felixa, die das Fremdsein als ihr Thema, als eine prägende Thematik ihres Schaffens bezeichnet (vgl. WILKE 2005), im Berli- ner Aufbau-Verlag ihr literarisches Debüt (und bis zum heutigen Tag ihren einzigen literarischen Text zugleich) mit dem vielsagenden Titel Die Fremde, das die Rezen- senten, darunter auch Martin Sander, für einen Berlin-Roman halten (SANDER 2005). Die Handlungskulisse des Romans, in dem ein Zustand der Ruhelosigkeit thema- tisiert wird, bildet die Großstadt Berlin. Berlin als Handlungsort scheint von der Autorin nicht zufällig gewählt zu sein, da die Berliner Metropole als die Stadt der Einwanderer fungiert (vgl. KLEFF/SEIDEL 2009). Die Erzählerin des Romans, dessen Titel die Perspektive der Außenseiterin andeutet, ist eine junge, sich am Rande der Gesellschaft aufhaltende Frau ohne Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitserlaubnis und Meldebescheinigung. Die Großstadt Berlin bietet somit die idealen Voraussetzungen dafür, in der Masse anonym zu bleiben und außerdem die eigene Identität zu verber- gen. Die Großstadt macht nach dem Soziologen Georg Simmel die Nervosität als Zivili- sationskrankheit der Moderne fest und ist auf die Impressionen des beschleunigten Lebens zurückzuführen (vgl. SIMMEL 1984: 193). Seine Übermacht bedeutet eine „Steigerung des Nervenlebens“ (CORBINEAU-HOFFMANN 2003: 11). Der Grund für die Zerrissenheit des Individuums in der Großstadt sind, laut Sabina Becker, die städ- tischen Erfahrungen wie Anonymität, Isolation, Masse, Schock, Verwirrung, Irren, Isolation, Einsamkeit und Kontaktlosigkeit, also solche Erfahrungen, die auch das 232 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Exil kennzeichnen (vgl. BECKER 2002: 46). Sabina Becker deutet mit Recht darauf hin, dass damit die Stadt und die Erfahrung der Großstadt zu einem Synonym für die Exilsituation werden (vgl. BECKER 2002: 46). Für den Roman von Magdalena Felixa scheint dies von Bedeutung zu sein. Die Protagonistin betrachtet sich in der Berliner Metropole und in dem sie umgebenden Kulturraum als Fremde. Laut Claus-Dieter Krohn besitzt die Großstadt die Tendenz zur Entwurzelung, die Chancen größerer Mobilität bietet, durch die wiederum traditionelle Hierarchien unterlaufen werden können (KROHN 2002: 31). Laut Corbineau-Hoffmann ist die Großstadt ein Lebensraum für zahlreiche Men- schen, Handels-, Verwaltungs- und Kulturzentrum, sozialer Raum von großer Viel- falt, Ort der unterschiedlichsten Angebote für Arbeit und Freizeit, Zentrum des überregionalen Verkehrs, Ursprung komplexer Wahrnehmungsreize (CORBINEAU- -HOFFMANN 2003: 8). So scheint die Metropole einen perfekten Rahmen für die „iden- titätssuchende Selbstrefl exion“ der Hauptfi gur zu bilden (MALECKI/RUF 2007: 53f.). Die Ich-Erzählerin erscheint als Figur des Fremden par excellence: Sie lebt in der Fremde und bleibt dabei eine Außenseiterin, sie existiert als einsames Wesen im Großstadtmilieu ohne feste Kontakte zu anderen Figuren, verbirgt ihre eigene Iden- tität, bleibt identitätslos: Sie hat keinen Namen, bekennt sich zu ihrer Heimat- und Ortslosigkeit, besitzt nichts und hat „ihr Leben in Kartons verpackt. Fünf Schachteln“ (FF 5). Sie wird als die archetypisch Heimatlose (vgl. DOMSCH 2005: 40) konstruiert. Ihre Existenz, ihre familiäre, kulturelle und sprachliche Ungebundenheit stehen für ein sprachliches und kulturelles Nomadisieren. In der Berliner Großstadt entsteht sozusagen ein hybrider „dritter Raum“ im Sinne Bhabbhas, der sich zwischen vorü- bergehender Stabilisierung und nomadisierender, wurzelloser Lebensweise bewegt. Die Erzählerin sagt von sich selbst:

Die Menschen, die mir jemals etwas bedeutet haben, sind entweder ans Ende der Welt gezogen oder tot. Ich habe alles verloren, Vater, Mutter, Heimat, Liebe, Geld und Stolz. Ich habe keine Muttersprache, ich habe sieben Stiefmuttersprachen und kein Vaterland (FF 7). Im Gegensatz zu den Texten von anderen deutsch-polnischen transkulturellen Au- toren fi ndet man in Felixas Roman keine außerdeutschen kulturellen Signale. Die Hauptfi gur pendelt weder zwischen Sprachen noch Kulturen, bleibt in ihrer Ver- körperung einer Nomadenexistenz universell. Felixa verzichtet in ihrem Roman auf eindeutige Informationen über die kulturelle Herkunft ihrer Protagonistin. Da sich die Hauptfi gur mit keiner Kultur eindeutig identifi ziert, spielt sie auf ihre Herkunft nur selten an: „Ich bin eine von denen, die man zu oft vor den Fernseher setzte, wäh- rend die Eltern mit fl iegenden Fahnen durch die Straßen gezogen sind, um für eine bessere Welt zu kämpfen“ (FF 34). Die Eltern der Romanprotagonistin kamen bei einem Autounfall ums Leben. Ihre Großeltern, bei denen sie aufwuchs, stammen aus einem Land in dem „das kommunistische Regime“ herrschte (FF 13). Das namen- los bleibende Herkunftsland der ebenso namenlos bleibenden Ich-Erzählerin wird nur angedeutet. Sie erinnert sich an ihre Kindheit und die Spaziergänge mit ihrer Großmutter an der Ostsee, bei denen sie die Sicherheitskontrollen und den „Grenz- 10. Magdalena Felixa – Migration als existentielle Erfahrung in der Großstadt 233 schutz mit seinen kläffenden Hunden“ (FF 64) sowie „[die] bunten Menschen, die hinter Stacheldrahtzäunen und Gittern aus dem Bauch des Schiffes“ stiegen (FF 65), beobachten konnte. Sie behält „[d]ie klapprige Straßenbahn“, „Plattenbausiedlun- gen“, die „Werft“ im Gedächtnis, sowie „Lebensmittelkarten“ (FF 65), die an die Bevölkerung verteilt werden. In diesen Erinnerungen lassen sich Anspielungen auf Danzig und Polen der 1980er Jahre erkennen, das wie ein Land, in dem „kein Leben mehr“ sei (FF 65), erscheint. Die Emigration ist daher eine notwendige Maßnahme. Ihre Großeltern bringen die Protagonistin nach Schweden, schickten sie nach Eng- land, Frankreich, Italien, Spanien, sie verbringt „eine Weile“ in Portugal und in der Schweiz, wo sie bei „Onkeln und Tanten“, den Bekannten ihrer Großeltern, lebt (FF 37), auf diese Weise hat sie nicht nur eines, sondern mehrere „Stiefheimatländer“ (FF 108) und infolgedessen identifi ziert sich mit keiner eindeutigen Herkunftskultur. Obwohl die Ich-Erzählerin viele Sprachen (FF 103) spricht, lässt sie sich mit keiner Kultur eindeutig identifi zieren. „Die Fremde“ vertauscht ständig ihre Identitäten, um „unsichtbar“ (FF 6), „Meisterin der Tarnung“ (FF 180) zu bleiben. Sie will ihr wah- res Ich nicht enthüllen, wechselt ständig ihre Namen, um namenlos zu bleiben. Aus dem Romanverlauf geht nicht genau hervor, was der richtige Name der Protagonistin ist: Sie nennt sich „Hanna, Maria, Lea, Mimi, Clara, Gertrud“ (FF 11), „Lavinia, […] Kathrin, […] Filomena“ (FF 58), Alice (FF 80), Hanna (FF 92), Violetta (FF 164), Selena (FF 165). Sie will ihre Illegalität in der Großstadt verbergen, aber auch ihre Sehnsucht nach Heimat, Sicherheit, Liebe und Erinnerungen an ein vergangenes Leben bewahren (FF 109f.) Als eine illegal lebende Außenseiterin defi niert sie sich selber als eine Person „auf der Durchreise“ (FF 7), was sie „frei“ macht. Sie „verfolg[t] kein Ziel, streb[t] kei- ne Aufgabe an“ (FF 6) und schöpft ihre Energie aus ihrer Rastlosigkeit, aus dem ständigen In-Bewegung-Sein, dem Ortswechsel: Am liebsten wandelt sie „durch die Nacht, die Straßen von Berlin, ohne Ziel“ (FF 5), wobei sie „unsichtbar“ (FF 6) bleibt. Die Bewegung selbst und nicht das Ziel scheint wichtig zu sein. Ihr Leben in der Berliner Metropole wird für sie ein auf Dauer gestellter Transit (vgl. PLATH 2004). Die Figur verhält sich so, als ob sie in der Großstadt auf Besuch wäre, sie führt ein Leben in der Transitzone, ist ständig in Bewegung, wandert oder reist gern mit dem Taxi durch „[d]ie Straßen der Nacht“ (FF 5). Das Taxi bietet der Protagonistin Geborgenheit, Sicherheit und vorübergehende Stabilität, insbesondere in der Nacht: „Jemand, ein Fremder, fährt mich, ich bezahle, und er ist nett zu mir, weil er mich fährt und nichts weiter von mir erwartet. Ich wandle durch die Nacht, die Straßen von Berlin, ohne Ziel“ (FF 5). Die Erzählerin beobachtet die Stadt, ihren „Alltags- ort“, als Zuschauerin (FF 191) mit dem distanzierten Blick einer Außenstehenden. Dieser transitäre Zustand eines sich zwischen den Ländern und Kulturen bewegen- den Migranten wird auch in den anderen Texten der Autoren mit Migrationshinter- grund (z.B. Becker, Muszer, Knapp) oft und gern thematisiert. Die aus Osteuropa stammende Protagonistin ist somit eine Nomadin, die ihre Unab- hängigkeit und ihr Inkognito zu bewahren pfl egt, eine „Vorbeireisende. Sprachlose“ (FF 139), ein Flüchtling, dem nur die Flucht Sicherheit bietet: „Die Flucht ist [ihr] Geborgenheit“ (FF 7). Sie denkt „nie an die Zukunft. Für [sie] dreht sich alles um 234 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 den nächsten Tag“ (FF 50). Die Erzählerfi gur ist ständig auf der Flucht, der „[ihr] Verlangen gilt […] Mit all ihrer Ungewißheit, Schäbigkeit, all den Gefahren, die auf jene wie [sie] draußen lauern“ (FF 113). Auch wenn sie in der Anonymität der Großstadt leben, werden die Migrantenfi guren mit Fremdenhass konfrontiert, da Deutschland „kein Emigrantenland“ (FF 156) ist, obwohl „n[]iemand […] einem Land mehr Begeisterung sowie Liebe und Verehrung entgegenbringen [kann] als ein Zugereister. Der alles, was man unter der Mentalität eines Landes versteht, einsaugt und es ins unermeßliche [sic!] übersteigert“ (FF 134). Selbst eine Migrantin, ist die „Fremde“ mit anderen „Fremden“, Einwanderern be- freundet: Mit der Schweizerin Ariane, mit dem schwarzhäutigen, aus Madagaskar stammenden und in Berlin lebenden, sich der französischen Sprache bedienenden Joseph Rabeson sowie mit Radanza, Datita, Patsy, Rakoto, Randafi son, Dimitri – dem Tänzer von Bolschoi (FF 85), mit Tarona und Syrus aus Afganisthan. Zu ihrem Bekanntenkreis gehören außerdem: Mircea, ein homosexueller Opernsänger aus Bukarest, der Rumänien des Regimes wegen verlassen musste, sowie eine gewisse Majka, deren Herkunftsort ungenannt bleibt. Wie ihre Berliner Freunde hält sich die Erzählerin am Rande der Gesellschaft auf und „erfriere in einer fremden Wohnung eines fremden Herrn“ (FF 21).203 In der Großstadt lebt die „Fremde“ – als „das frem- de Element“ (FF 198) – unter „Fremden“: Im Krankenhaus sorgt eine Nachtschwes- ter aus Äthiopien für sie (FF 126), ein afghanischer Taxifahrer fährt sie durch die Stadt:

Meine Freunde sind Neger, Kanaken, Schwule, Fliehende, Fremde. So wie ich. Ich mag Menschen, für die ich austauschbar bin, die nicht heucheln, verliebt zu sein. Ich sehe lie- ber ihre Begierden, als in ihre Seelen zu blicken. Ich will keine Fragen stellen. Ich mag, wenn sie um mich herum sind und mir aus ihrem Leben erzählen. Ich selbst bleibe lieber unsichtbar, ziehe es vor, daß man sich nicht an mich erinnert (FF 6). Da sie „viele Beschäftigungen ausgeübt und [ihre] Bestimmung nicht gefunden [hat]“ (FF 6), hält sie sich „von einem Job zum nächsten über Wasser“ (FF 18), bleibt wandelbar: es „[…] dreht sich alles um den nächsten Tag. Nicht die nächste Woche, nicht um das nächste Jahr“ (FF 50). Die Protagonistin im Roman von Felixa arbeitet „[o]hne Arbeitserlaubnis und ohne Steuerkarte“ (FF 9), um zu überleben. Sie ist als Dolmetscherin tätig, als Barpianistin in einem Hotel, als Übersetzerin in einem Hei- ratsinstitut, das „meist aus zwei unterschiedlichen Kulturen“ stammende Menschen zusammenbringt (FF 120), als Pole-Tänzerin in einer Männerbar verkauft sie „ein paar bunte Träume“ (FF 17), spielt Klavier (FF 31). Es sind Arbeiten, die sie an ihre physischen und psychischen Grenzen stoßen lassen und sie ständig mit ihrer Angst konfrontieren, dass ihre Illegalität entlarvt wird (vgl. u.a. FF 32, 98f.). Die nomadisierende Heimatlose sehnt sich zwar nach einer Herberge und gibt ihre Hoffnung nicht auf, „auf einen Ort, irgendwo draußen in einem Landstrich, der [sie] anziehen und beherbergen wird; ein[en] Ort, den [sie] verehren und verteidigen will,

203 Laut Malecki und Ruf dient ihre „Ersatzbindung an Männer zur Überwindung der Einsamkeit“ (MALECKI/RUF 2007: 53). 10. Magdalena Felixa – Migration als existentielle Erfahrung in der Großstadt 235 bis [sie] seiner überdrüssig [wird] und er [sie] wieder abstößt, [sie], das fremde Ele- ment“ (FF 198). Ihr eventueller Aufenthalt am Sehnsuchtsort wird also nur von kur- zer Dauer sein, bevor sie sich wieder in Bewegung setzt und „rennt“:

Tagsüber ziehe ich durch Einkaufszentren, Museen, Bahnhöfe […]. Menschen eilen acht- los an mir vorüber […]. Ich trete hinaus auf die Straße […] renne ich weiter die Straße hinunter, dem Ku’damm entgegen, mit seinen beleuchteten, blinkenden Fenstern, den Bäumen mit ihren gigantischen Weihnachtsdekorationen […]. Ich renne weiter. Bilder rasen an mir vorbei, Wellen von grellfarbigem Licht schlagen mir entgegen […]. Ich muß das Fieber besiegen, die Kälte, die Ausweglosigkeit (FF 98f.). Das Nomadendasein der Romanfi gur ist also eine Widerspiegelung des inneren Zu- stands (vgl. BRAIDOTTI 2009: 60). Die Erzählerin ist von Natur aus ein „nomadisches Subjekt“, das sich zwischen verschiedenen Sprachen, Berufen und Orten bewegt und in dieser Mobilität sowie Bewegungsfreiheit seine Identität fi ndet. Die im Roman porträtierte Berliner Metropole erscheint als eine Stadt, in der viele Kulturen vertreten sind: Man bestellt im Imbiss eines libanesischen Besitzers „tür- kischen Kaffee und Currywurst“ (FF 26). Als Übersetzerin muss die Hauptfi gur für ihre Kunden manchmal „chinesische Witze aus dem Französischen ins Russische“ (FF 10) übersetzten. Berlin wird zum Ort der selbstgewählten Heimatlosigkeit und Entwurzelung der Ich-Erzählerin, in dem sie „frei“ (FF 7) ist. Die Protagonistin muss sich im Alltag der Großstadt Berlin bewähren. Einerseits ist es ein Ort, wo sich die Arbeitslosigkeit „langsam durch die Stadt und das gesamte Land“ „frißt“ (FF 18). Die Heldin erfährt Berlin als eine „schmutzige“ (FF 36) und „muffi ge“ (FF 100) Stadt, „grell und laut“ (FF 99), als einen „toten Ort“ (FF 39), als eine Stadt „voller Irrer“ (FF 54). Andererseits aber wird die Romanhandlung auf prominente Straßen und Plätze ver- lagert, die die Kultur der Großstadt repräsentieren. Hier zeigt sich die wechselseitige Durchdringung unterschiedlicher Ebenen und Erscheinungen des großstädtischen Lebens: „Ku’damm entgegen, mit seinen beleuchteten, blinkenden Fenstern, den Bäumen mit ihren gigantischen Weihnachtsdekorationen“ (FF 99); „Das Branden- burger Tor prahlt im Scheinwerferlicht mit seiner neuen, frisch gepuderten Fassade“ (FF 49); „Ich laufe die Oranienburgerstraße hinunter, vorbei an den schicken, neuen Geschäften, an den hübschen Mädchen in den schwindelerregend hohen Stiefeln“ (FF 124). Am Potsdamer Platz strahlen die „Fassaden der Architekturwunder […] unbefl eckt sauber, als würden sie lächeln. Die in den Beton gepfl anzten Bäume se- hen aus wie Attrappen“ (FF 142). Die Erzählerin, die ihre Identität selbst konstruiert und sich gegen eindeutige Fest- legungen und Identifi zierungen abgrenzt, verkörpert die existenzielle Situation ei- nes zum Nomaden gewordenen Migranten in der globalisierten Welt. Migration und Ortswechsel werden als erfahrene Realität sowie ein Prozess der Identitätsbildung betrachtet. „Moderne ist die Unmöglichkeit, an Ort und Stelle auszuharren. Mo- dern sein bedeutet in Bewegung sein“ (BAUMANN 1994: 241). Einmal in Bewegung versetzt ist Felixas Romanprotagonistin, die mehrere „Stiefheimatländer“ (FF 108) hat und sich mit keiner eindeutigen Herkunftskultur identifi ziert, wie eine Nomadin 236 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ständig auf der Wanderschaft. Als Flaneurin (mit ihrem inneren Widerstand gegen Gebundenheit und Festlegung) verkörpert Felixas Figur die Komplexität postmoder- ner Identitätsbildung und gilt als Metapher für die postmoderne Strategie mit ihrer Angst vor Gebundenheit und Sesshaftigkeit (vgl. BAUMANN 1997: 149). 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität

Die in dieser Publikation vertretenen Autorinnen und Autoren gehören – mit Aus- nahme von Sabrina Janesch, die in Deutschland geboren wurde und aus einer ge- mischtsprachigen Familie stammt – zu denjenigen Menschen, die als Migranten ei- nen einschneidenden Kultur- und auch Sprachwechsel hinter sich haben und deren Lebenslauf durch diesen Wechsel zwischen Sprachen und Lebensformen geprägt ist. Becker, Muszer, Knapp, Soboczynski und Felixa haben die freie, subjektiv vollzogene Entscheidung getroffen, die deutsche Sprache zu ihrem künstlerischen Ausdrucksmittel zu machen. Die literarische Tätigkeit in der Muttersprache stellt nämlich – insbesondere in der Zeit der Globalisierung – nicht mehr „den einzigen authentischen Weg zum kreativen Schreiben, zur Wahrheit oder dem letzten Grund“ dar (BHATTI 1998: 349). Wie schon im 4. Kapitel erwähnt, ermöglicht die neue Spra- che den Zugang zu einer neuen, anderen Kultur, somit auch den Zugang zu einer neuen kulturellen Identität sowie – last but not least – zu einem neuen Lesepubli- kum, was im Falle des literarischen Schaffens doch von entscheidender Bedeutung sein kann, weil die Schriftsteller sich absichtlich für einen anderen, neuen Adressa- tenkreis entscheiden. Durch den Sprachwechsel wird der Versuch unternommen, in der neuen Heimat Fuß zu fassen und (sogar) literarischen Erfolg in einem anderen Kulturkreis und Literaturbetrieb zu haben. Der Sprachwechsel gibt außerdem auch die Möglichkeit einer gewissen Distanz zum Herkunftsland, seiner kulturellen Tradition und auch der Muttersprache. Für den Sprachwechsler kann die Trennung von den Traditionen seiner Muttersprache, von sprachlichen und kollektiven Tabus, Mythen, Normen sowie Verhaltensmustern eine Art Befreiung bedeuten. Durch den Sprachwechsel werden nahezu alle bisherigen nationalen und kulturellen Zugehörigkeiten aufgegeben. Während Artur Becker und Dariusz Muszer als Asylanten in ihr neues Heimatland gelangten, sind Radek Knapp, Adam Soboczynski und Magdalena Felixa noch im Kindesalter durch die Entscheidung ihrer Eltern in eine deutschsprachige Umge- bung versetzt worden. Dies beeinfl usste die Aneignung der deutschen Fremdspra- che und ihre Integration. Sowohl für Radek Knapp, als auch für Artur Becker, die das Deutsche als ihre Arbeitssprache betrachten (vgl. SCHUSTER 2009: 32; KNAPP 1996b: 147), war der Sprachwechsel – ein schmerzhafter, lang anhaltender Prozess (vgl. AMODEO/HÖRNER 2010: 128; KNAPP 1996b: 146) – durch den Wunsch bedingt, 238 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ein größeres Lesepublikum zu erreichen (vgl. AMODEO/HÖRNER 2010: 130; KNAPP 1996b: 147f.).204 Während Becker ständig „um die deutsche Sprache“ ringen muss (zit. nach: SOLTAU 2009), ist Dariusz Muszers Debütroman (Die Freiheit riecht nach Vanille, 1999) zu seinem in beiden Sprachen literarisch tätigen Autor, für den das Deutsche immer noch „eine ungeheure Herausforderung“ darstellt (zit. nach: PRIEN 2007), seinen eigenen Worten nach, „auf Deutsch gekommen“ (ZAŁUSKI 2000, vgl. auch: PLESS 2000; CZANIECKA-KUFER 2002).205 Wie Knapp und Becker will ebenfalls er mit seinen deutschsprachigen literarischen Texten potentiell eine sehr breite Le- serschaft erreichen und in den gesamtdeutschen Literaturbetrieb integriert sein (vgl. OBERSTEIN 2000; CZANIECKA-KUFER 2002). Insbesondere für die in Deutschland geborene Sabrina Janesch, aber auch zum Teil für Adam Soboczynski, Magdalena Felixa und Radek Knapp, die durch ihren bio- grafi schen Hintergrund eigentlich mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, scheint die Wahl ihres literarischen Mediums eher etwas Selbstverständliches und Natürliches zu sein.206 Der vollkommene Sprachwechsel wird vor allem von der jün- geren Generation vollzogen, die erst in ihrem neuen Heimatland in der deutschen Sprache debütierte (vgl. KLIEMS/TREPTE 2004: 371). Dariusz Muszer und Artur Be- cker migrierten in einem für den Spracherwerb höheren Alter (Jugend- oder Erwach- senenalter: Becker im Alter von 17 Jahren, Muszer von 29) in das deutschsprachige Umfeld. Sie bedienen sich in ihrem literarischen Schaffen sowohl der deutschen als auch der polnischen Sprache. Mit der Aneignung von sprachlicher Kompetenz kann das Individuum eine neue Identität und somit ein Gefühl der Zugehörigkeit zu der neuen Gesellschaft erwerben (vgl. KRESIC 2006: 223). Die Wirkung der Herkunftssprache darf nicht außer Acht gelassen werden, weil sie als identitätsstiftendes Element von Gruppenzugehörigkeit (sowie als Erkennungszeichen ethnischer Identität) bei der Identitätsbildung der Mi- grantInnen eine wichtige Rolle spielt und die Bildung der Identität durch die vorge- gebene Sprache bestimmt wird.207

204 Vgl. dazu auch Beckers Äußerung: „Ich werde nur im Deutschen meine Leser erreichen. Und ich wollte nicht für die Schublade schreiben“ (zit. nach: LISCHKA 2007). 205 „Książka przyszła do mnie po niemiecku, toteż właśnie w tym języku została napisana. Trudno byłoby mi ją napisać po polsku, między innymi ze względu na tematykę, jakiej dotyczy” [„Das Buch ist zu mir auf Deutsch gekommen, daher ist es in dieser Sprache verfasst worden. Es wäre schwierig für mich, es auf Polnisch zu tun, unter anderem wegen des Themas” – übers. AP] (ZAŁUSKI 2000). 206 Z.B. Sabrina Janesch bezeichnet die polnische Sprache als „eine Art vertraute Fremde“ und Deutsch sei ihr „die vertrauteste aller Sprachen“, daher würde sie ihre Werke nicht auf Polnisch verfassen (vgl. CYNYBULK o.J.). 207 Laut Herczeg geht die Bestimmung der Muttersprache viel weiter und bedingt die Frage nach der Identität des einzelnen Menschen. Und diese sei wiederum gekoppelt an seine Muttersprache (vgl. HERCZEG 2006: 114). Kohte-Meyer macht darauf aufmerksam, dass die Funktion der Sprache viel mehr ist als bloße Vermittlung von kognitiven Inhalten. An Sprache sind gewisse Emotionen, Erlebnisse, Erinnerungen gebunden, die die Identität eines Individuums prägen: „Sie ist der zentrale Organisator der Psyche, durch sie wird der Sekundärprozeß mit Denk-, Urteils-, Realitätsprüfungs-Funktionen möglich und mitteilbar. […] Sprache wird und ist Brücke zwischen Ich-Struktur und sozialer Funktion im interaktionellen Prozeß; sie wird zur Brücke, zur Verbindung zwischen Ich und vorbewußt gespeichertem Wissen“ (KOHTE-MEYER 1999: 83f.). 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 239

Die Wahl einer bestimmten Sprache kann auch als eine Strategie der Identitätskons- truktion gesehen werden, in der jemand kulturelle und sprachliche Präferenzen aus- drückt und sich dadurch selbst kategorisiert. Der Migrantenschriftsteller positioniert sich im literarischen Raum und will seine Zugehörigkeit markieren. George Stei- ner ist davon überzeugt, dass der Sprachwechsel eine grundlegende Trennung von den Traditionen der Sprache, in welcher der Schriftsteller aufgewachsen ist, bewirkt (vgl. STEINER 1971), doch die Wahl der Sprache – so Dieter Lamping – muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass man die Bindung eines Werkes an eine Sprache und damit an eine Nationalliteratur aufkündigt (vgl. LAMPING 1996: 33). Das beste Bei- spiel ist Artur Becker, der seine Romane zwar auf Deutsch verfasst, sich aber eher in der polnischen als in der deutschen Kultur verortet und sich selbst als polnischen Schriftsteller, der in deutscher Sprache schreibt, betrachtet (NEUBAUER 2009a: 18; BALZER 2008: 2). Lampings Meinung nach kann eine solche Sprachmischung als „das sichtbarste Zeichen eines inter-lingualen, interliterarischen und inter-kulturel- len Dialogs“ angesehen werden (LAMPING 1996: 45). Obwohl man meist in der Sprache den wichtigsten Identitätsmarker sieht und aner- kennt, begründet das Deutsche als literarisches Ausdrucks- und Publikationsmedi- um im Falle der transkulturellen Schriftsteller keine homogenen nationalen Identitä- ten, sondern erfüllt die Funktion eines Transitraumes, einer -zone (vgl. ADAM/HAHN/ PUCHALSKI/ŚWIATŁOWSKA 2007b), eines transkulturellen Raumes der gegenseitigen Durchdringung und Verfl echtung des Kulturellen sowie der Transformation nationa- ler Zugehörigkeiten und der kulturellen Identität. Für die deutsch-polnischen trans- kulturellen Autorinnen und Autoren als „Brücken-Menschen“ (vgl. SCHOEN 1996: 25) öffnet sich in ihrer deutschen Literatursprache – so wie in „third space“ – ein produk- tiver Zwischenraum, ein Kreuzungspunkt der Ordnungen und Systeme, der nicht vom Entweder-oder, sondern von der Denkfi gur des Sowohl-als-auch geprägt ist. Von den Migrantenautoren, die Deutsch als ihre Literatursprache bewusst gewählt haben und sie in ihrer ästhetischen Funktion gebrauchen, wird Kreativität im Um- gang mit Sprache gefordert. Zu dem kulturwissenschaftlichen Konzept der Hyb- ridität kann analog auch das sprachwissenschaftliche gefasst werden (vgl. FÖLDES 2005; HINNENKAMP/MENG 2005; GUGENBERGER/SARTINGEN 2011). Auch im Bereich von individueller Zweisprachigkeit können dabei hybride Sprachformen entstehen, wenn etwa Elemente sowohl der Herkunftssprache als auch der Sprache der Aufnah- megesellschaft in einem gemischten Sprach-Code verwendet werden. Die Art und Weise der Sprachmischung kann unterschiedlichste Formen annehmen, z.B. können nur einzelne Wortteile, oder Einzelworte aus einer Sprache in die andere eingebaut oder satzweise die Sprache gewechselt werden.208 In Anlehnung an Eva Gugenber- ger versteht die Autorin der vorliegenden Publikation unter sprachlicher Hybridi- sierung nicht nur radikale Formen des Mischens, sondern das ganze Spektrum an Sprachgrenzen überschreitenden Phänomenen, von unbedeutenden Markierungen, Mischung von Elementen verschiedener Sprachen in Sätzen oder in Wortformen bis

208 Zu den Begriffen „Sprachenmischung“ bzw. „Sprachmischung“ vgl. u.a.: FRITSCHE 2002; SCHUMANN 2003. 240 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 zu gemischtsprachigen Codes (vgl. GUGENBERGER 2011: 24; LAMPING 1999; WITT- BRODT 2001). In den Texten der Migrantenautoren spiegelt sich nämlich die Bedeu- tung des Umgangs mit zwei Sprachen wider, weil die Zweisprachigkeit von Migran- ten – oft im Zusammenhang mit dem Thema der kulturellen Identität – auch in der Migrantenliteratur eine Rolle spielt, worauf Sigrid Luchtenberg mit Recht verweist (vgl. LUCHTENBERG 1989). Die Schriftsteller versuchen, ihre eigene Zweisprachigkeit in die Texte einzubringen, in denen häufi g beide Kulturen und Sprachen koexis- tieren. Die Texte der Autoren mit Migrationshintergrund verwenden meistens eine mittlere bis gehobene Variante der deutschen Sprache und unterscheiden sich darin kaum von anderer deutschsprachiger Literatur (vgl. LUCHTENBERG 1997: 65). Der Sprachgebrauch weicht nicht von der deutschen Standardsprache ab, obwohl auf der sprachlichen Ebene auch die Vermischung von Eigenem und Fremden stattfi ndet (vgl. dazu LAMPING 2001: 152). Die Herkunftssprache ist auch im deutschen Text präsent, in der häufi gen Verwendung der Termini in der Muttersprache, deutschen Übersetzungen und Übertragungen aus der polnischen Sprache. Magdalena Felixas Roman Die Fremde bildet in diesem Zusammenhang eine Ausnahme, weil es in ihrem Text keine Sprachmischung gibt und die Schriftstellerin auf alle Anspielun- gen auf ihren „Migrationshintergrund“ verzichtet. Im Gegensatz zu den Texten von anderen deutsch-polnischen transkulturellen Autoren fi ndet man in Felixas Roman, der in seiner Thematik universell bleibt, keine kulturellen Signale von außerhalb von Deutschland und der deutschen Sprache. Obwohl wir im Falle der deutsch-polnischen transkulturellen Autoren weder mit ei- ner sprachexperimentellen Prosa noch „eine[r] innovative[n] hybride[n] Sprache“ (ESSELBORN 2009: 46), sondern mit eher traditionellen Erzählweisen zu tun haben, in denen die Gesetzmäßigkeiten und Gepfl ogenheiten des Deutschen berücksich- tigt werden, literarisieren die Schriftsteller ihre Zweisprachigkeit in ihrem Werk und nutzen sprachlich-kommunikative Elemente aus den ihnen zur Verfügung stehen- den sprachlichen und kulturellen Systemen, überschreiten die Sprachgrenzen und verwenden in ihren Texten auch polnischsprachige Elemente im deutschsprachigen Kontext. Auf diese Weise wird die polnische Sprache als Element der Konstruierung ihrer Texte angesehen und zwei Kulturen werden in einem Text nicht nur auf der thematischen (inhaltlichen) Ebene, sondern auch in der sprachlichen Gestaltung in Verbindung gebracht. Die Schriftsteller übernehmen zum Beispiel in ihre Rede oft Elemente aus der polnischen Sprache und wechseln nicht selten den Kode (vgl. PÜTZ 1994: 137)209, wobei der Übergang von einer Sprache zur anderen „fl ießend“ er- folgt. Sie verwenden aus inhaltlichen oder sprachlich-ästhetischen Gründen in ihren deutschsprachigen literarischen Texten viele polnischsprachige Elemente, die nicht nur als sprachliche Gestaltungsmittel der Texte, „kommunikativ auffällige, signal- haft wirkende Mittel“ (FIX/POETHE/YOS 2001: 51), sondern auch als mögliche Trä- gertypen eines inter- oder vielleicht sogar transkulturellen Potentials betrachtet wer- den können. Die Manifestationen von Sprachenmischung, der Gebrauch der beiden Sprachen, bzw. die Heranziehung der polnischen Sprache können möglicherweise

209 Zu dem Begriff des Code-Switching vgl. auch: GYMNICH 2007; HEINEMANN 1998. 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 241 als Ausdruck sowohl ihrer doppelten identitären Verortung als auch ihres Widerstan- des gegen die völlige Assimilierung betrachtet werden (vgl. GUGENBERGER 2011: 24). Laut Berkenbusch und Heinemann kann die Manifestation von Zweisprachigkeit auch als Stilmittel zur Veranschaulichung der Position von Schriftstellern zwischen zwei Kulturen interpretiert werden (vgl. BERKENBUSCH/HEINEMANN 1995). Die polnische Sprache signalisiert außerdem auch die kulturellen Konstellationen, u.a. die kulturelle Herkunft der Protagonisten oder ihre Zugehörigkeit zur polnischen Sprach- und Kulturgemeinschaft, die „Raum-Zeit-Konstellation, in der das Werk zum Teil angesiedelt ist“ (CHIELLINO 2002: 43), sie verleiht der Figurenrede (und den Texten) Authentizität. Fremdsprachige Einschübe werden in die Texte bewusst integriert, um beabsichtigte Stileffekte zu erreichen oder spezifi sche Konnotationen beim Leser auszulösen. Die fremdsprachigen, polnischen Sprachelemente (mit Ein- schluss der graphemisch relevanten Erscheinungen, den Laut- und Schriftzeichen, die sich von dem Schriftsystem, in dem die Texte verfasst wurden, unterscheiden), „Fremdkörper“ innerhalb des deutschen, ansonsten sprachlich homogen wirkenden Textes, werden auch als „effekterzielende Mittel“ (vgl. EROMS 2008: 66) absichtlich verwendet, weil diese als „Normabweichungen“ anmutenden Elemente, von dem deutschsprachigen Lesepublikum meist als befremdlich empfunden werden können. Die Frage aber, ob diese transkulturellen Autoren die Sprachmischung tatsächlich „zu einem Kennzeichen ihrer Werke gemacht“ und zu „einem Stilmerkmal entwi- ckelt“ haben (LAMPING 1996: 44), bleibt offen. In quantitativer Hinsicht kommen die polnischsprachigen Elemente als gelegentlich verwendete einzelne Wörter oder aus mehreren Wörtern bestehende Ausdrücke vor. In der vorliegenden Arbeit werden aber nicht alle polnischsprachigen Elemente der Texte analysiert, weil viele von ihnen zu derselben Gruppe gehören und daher auch wegen des Umfangs der Arbeit nicht einzeln betrachtet werden können. Durch den Gebrauch von Sprachelementen aus der eigenen Herkunftssprache spie- len die Migrantenautoren mit dem Effekt des fremden Wortes und versuchen auf diese Weise auch, ihre eigene Zweisprachigkeit in die Texte einzubringen. Die Schriftsteller verwenden ihre Erstsprache in unterschiedlicher Art, vom gelegentli- chen Gebrauch einzelner Wörter bis zu längeren Passagen, worauf Sigrid Lichten- berg hinweist (LUCHTENBERG 1997: 73), und was Immacolata Amodeo als Form von Sprachsynkretismus bezeichnet (vgl. AMODEO 1996: 120ff.). Die Autoren verwenden z.B. herkunftssprachliche Begriffe im deutschen Text als Einzelwörter oder auch ganze Sätze (entweder in deutscher Übersetzung oder in ihrer ursprünglichen Form). Artur Becker greift beispielsweise auf polnische Formulierungen und Redewendun- gen zurück und überträgt sie wortwörtlich ins Deutsche, um auf diese Weise die „polnische“ Sprachidentität (sogar die doppelte sprachliche Identität) seiner Figuren sowie den Einfl uss ihrer Herkunftskultur zum Ausdruck zu bringen. 242 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Hierzu folgende Beispiele:

Eine der Figuren sagt „auf Polnisch“: „»…die werden da sitzen wie bei einer türkischen Predigt…«“ (BZ 213).210

Antek Hak/Haack, der Protagonist des Romans Kino Muza kommt „[n]ackt wie ein heili- ger Türke“ aus dem Westen in seiner alten polnischen Heimat an (BK 21).211

Antek Hak/Haack kommentiert sein Bewerbungsgespräch in seiner neuen deutschen Hei- mat und denkt dabei „im Geiste an ein Sprichwort aus seiner ersten Muttersprache […]: Aus dir – Haack – kann man genauso einen Deutschen machen wie aus einem Ziege- narsch eine Trompete!“ (BK 239).212

„Von der Kapelle aus war es nur noch ein Katzensprung […] – ein Wurf mit dem Béret, sagten seine Polen“ (BWM 41).213

Die Lieblingsredewendung von dem Protagonisten des Romans Onkel Jimmy, die In- dianer und ich, Mirosław Korońrzeź alias Onkel Jimmy, sind „Worte von Jerzy Stuhr [seinem] Lieblingsschauspieler“: „Wie du dich auch drehen magst, der Arsch ist immer hinten“ (BO 41).214

Eine der Figuren grinst „glückselig und zufrieden“, ist außer sich von Glück und der Er- zähler informiert den deutschen Leser, man sage „im Polnischen über solche Kinder, […] dass [sie] sich so benähmen wie ein besoffenes Kind im Nebel«“ (BAS 375).215 Die wortwörtliche Übersetzung muttersprachlicher Redewendungen ins Deutsche erfolgt nicht aufgrund einer Unfähigkeit der Artikulation in der fremden Sprache, sondern aus dem Willen, die kulturelle Herkunft zur Sprache kommen zu lassen. Man kann in den Texten Beispiele fi nden, in denen die Erstsprache/Muttersprache als Grundlage der Metaphorik dient. Naletnik, die Hauptfi gur in Muszers Roman Die Freiheit riecht nach Vanille (1999), denkt „auf polnisch“, als er in dem Grenzdurch- gangslager Friedland nach zwei unternommenen Versuchen, von den Beamten „in

210 poln. „siedzieć jak na tureckim kazaniu“ – dt. wörtliche Übersetzung: „wie bei einer türkischen Predigt sitzen“, fi gurative Bedeutung: „beim Zuhören nichts verstehen“. 211 poln. „goły jak święty turecki“ – dt. wörtliche Übersetzung: „nackt wie ein heiliger Türke“, fi gurative Bedeutung: „geldlos/mittellos/arm wie eine Kirchenmaus“. 212 Poln. „jak z koziej dupy trąbka“ – dt. wörtliche Übersetzung: „wie aus einem Ziegenarsch eine Trompete“, fi gurative Bedeutung: „das macht keinen Sinn, ist sinnlos“. 213 Poln. „o rzut beretem“ – dt. wörtliche Übersetzung: „ein Wurf mit der Baskenmütze“, fi gurative Bedeutung: „sehr nah, einen Sprung entfernt“, „einen Steinwurf entfernt“. 214 Wörtliche Übersetzung von der poln. Redewendung: „jak się nie odwrócić – zawsze dupa z tyłu”/ „W którą stronę się nie odwrócisz i tak dupa z tyłu.“ In Wirklichkeit ist das ein Zitat aus der polnischen Filmreihe „Dom“ (1980–2000, Regie: Jan Łomnicki) und es sind Worte der Filmfi gur Rajmund Wrotek, gespielt von Jan Englert und nicht von Jerzy Stuhr. 215 Wortwörtliche Übersetzung der polnischen Redewendung: „jak pijane dziecko we mgle“. In dem Glossar fi ndet der deutschsprachige Leser zusätzlich die Information, dass es sich bei dieser Redewendung („pijane dziecko we mgle”) auch um den Titel des „1929 in Warschau veröffentlichen Bandes mit theater- und literaturkririschen Texten von Tadeusz Boy-Żeleński (1874–1941), des berühmten poln. Übersetzers und Dichters“ handelt (BAS 441). 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 243 einen Deutschen umgewandelt zu werden“ (MF 50), schließlich den dritten „Büro- kraten“ besuchen muss, und gebraucht dabei statt der deutschen Redewendung „Ein- mal ist keinmal“ ihre modifi zierte Version: „Zweimal ist keinmal“ (MF 56), weil die Zahl drei als eine besondere Zahl fungiert und in der polnischen Redewendung („do trzech razy sztuka“, dt. „aller guten Dinge sind drei“) eben dieses „dritte Mal“ von entscheidender Bedeutung ist. Auf ein interessantes Beispiel der Sprachmischung stößt der Leser in Dariusz Mu- szers Roman Gottes Homepage (2007). Die Welt in Gottes Homepage wird von den außerirdischen Bewohnern eines fremden Planeten, „Niebo“ (dt. „Himmel“), den „Niebieskis“, wie sie sich „in ihrer Sprache nennen“ (MGH 5), kontrolliert. Der Name der Außerirdischen, „Niebieskis“, wird von Muszer von dem polnischen Wort „niebieski“ (dt. „himmelblau“) abgeleitet. Den Kopf des Derivats bildet das polni- sche substantivierte Adjektiv, „niebieski“, das mit der Pluralendung „-s“ versehen worden ist. Die wohl auffälligste Gruppe bilden aber in den literarischen Texten der deutsch-pol- nischen Autoren mit Migrationshintergrund die direkten Übernahmen der polnisch- sprachigen Ausdrücke, d. h. Eigennamen sowie Beibehaltung einzelner Bezeich- nungen, z.B. der speziellen, an die polnische Realität gebundenen Begriffl ichkeiten – Realienbezeichnungen, d. h. „kulturspezifi scher Wörter“ im Sinne von Goddard/ Wierzbicka (GODDARD/WIERZBICKA 2003: 148ff.), oder Wortgruppen (Floskeln, Grußformeln, Schimpfausdrücke und Fluchformeln etc.). Die eingeschobenen pol- nischsprachigen Elemente werden aus inhaltlichen Gründen verwendet, sie sollen auch darauf aufmerksam machen, dass sich die Handlung des jeweiligen Werkes entweder in einer polnischsprachien Umgebung abspielt oder dass die Figuren pol- nischer Herkunft sind. Einerseits dienen sie der Darstellung der Authentizität und schaffen eine Atmosphäre der kulturellen Vertrautheit, andererseits aber betonen sie auch die Andersheit und Fremdheit der beschriebenen Welt. Die Sprache wird somit zum Ort eines möglichen Dialogs. Die polnischsprachigen Einschübe fungieren als Ausdrucksmittel der kulturellen Vielfalt und sind maßgeblich für den Kulturtransfer. Für ihre Dekodierung ist ein gewisses Vorwissen gefragt. Aus diesem Grund werden sie für den deutschspra- chigen Adressaten expliziert oder ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzungen und Erläuterungen der polnischsprachigen Elemente, die meistens nach dem Element selbst oder zusätzlich – wie im Falle von Artur Beckers Romanen Wodka und Mes- ser. Lied vom Ertrinken (2008), Der Lippenstift meiner Mutter (2010), Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang (2013) – in den am Ende stehenden Glossaren polnischer Namen und kulturspezifi scher Begriffe (darunter auch Namen polnischer Dichter, historischer Ereignisse und Institutionen) versammelt sind, können als Hin- weise zum besseren Verständnis sowie zu einer „kulturelle[n] Aufklärung“ beitragen (CORNEJO 2010: 176) und führen Beckers deutschsprachigen Leser an die weniger vertraute, polnische Kultur heran. Die beiden literarischen Reiseessays, Polski Tan- go von Adam Soboczynski und Radek Knapps Gebrauchsanweisung für Polen, neh- men in dieser Hinsicht eine Sonderposition ein, weil sie auf eine informative Weise 244 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 ein vielfältiges Bild von Polen, polnischer Kultur und Geschichte sowie von polni- schen Städten, Landschaften und Realien vermitteln.

So kommen polnische Eigennamen, in denen sich die Sprachenkontakte in den Texten der behandelten Autoren manifestieren, ausgesprochen häufi g vor: Personennamen der Figuren (Beispiele Nr. 1) oder Namen von historischen Personen (Beispiele Nr. 2), geographische Namen, wie Namen von Landschaften, Orten, Straßen (Beispiele Nr. 3), Namen von Institutionen und Organisationen (Beispiele Nr. 4), Produkt- und Markennamen (Beispiele Nr. 5), Namen von materiellen und immateriellen Kul- turgütern, wie Namen von historischen Ereignissen, Bauten und Kunstwerken, Na- men von Liedern, Speisen, Titel von Büchern und Filmen (Beispiele Nr. 6). Sie sind meistens mit bestimmten Konnotationen und Assoziationen verbunden. Dabei wird häufi g auf (kultur-)spezifi sches Wissen verwiesen oder dieses wird vorausgesetzt.

(Nr. 1): Es werden polnischsprachige Personennamen und auch inoffi zielle Perso- nenbenennungen (wie Kose-, Spitz, Neck- und Scherznamen) verwendet, die als Manifestationen/Träger der polnischen Kultur betrachtet werden können (Auswahl):

Jurek, Jan, Barbara, Magda, Ludwik Gaj, Kornelia, Jolka (Becker: Der Dadajsee), Mirosław Korońrzeź, Agnieszka, Aga, Schuster Sątopiec, Mirek, Jacek, Paweł, Adam, Wojtek, Gienia, Zaręba (Becker: Onkel Jimmy, die Indianer und ich), Marek, Bog- dan, Andrzej, Renata, Lidka, Arek, Janek, Czesiek, Grzesiek, Stasia, Rafał, Danusia, Stanisława, Witold Siadak (Becker: Die Milchstraße), Gustaw, Danusia, Ela, Henryk, Erwin, Mazowski, Wilczak (Becker: Die Zeit der Stinte), Jolka, Romek, Tomek, Frau Kamińska, Andrzej, Natalia, Sławek, Stasiek, Danek, Karola, Witold, Korzeniowski (Becker: Das Herz von Chopin), Antek, Zygmunt, Karol, Marian, Beata, Agatka, Stefcia, Bożena, Bacha, Eliza, Maria Baniak, Taszkiewicz, Gienek Pajło, Kuglowski, Brzeziński, Zbyszek Muracki, Zocha, Teresa, Bożena, Kucior, Łużycki u.a. (Becker: Kino Muza), Kuba Dernicki, Marta, Ala, Małgosia, Wojtek, Wojtas, Maciek, Leszek, Oma Renia, Opa Kostek, Kazimierz, Władysław, Justyna, Ździsiek, Janusz Król, Romanowski, Maciej Szczupak, Podlichówna, Mucha, Eugeniusz u.a. (Becker: Wodka und Messer), Bartek, Bartłomiej, Bartuś, Krzysiek, Romek, Marcin, Stasia, Lupicki, Szutkowski, Biurkowski, Michał Kronek, Olcia, Mariola, Agata, Marzena, Hania, Nacia, Jadwiga, Natalia Kwi- atkowska, Sadowska, Kozioł, Jędrusik, Pośpiech, Żukrowski (Becker: Der Lippenstift meiner Mutter), Mariola, Arek (Arkadiusz) Duszka, Karol, Edyta Frycz, Natalia, Hania, Witek, Ula (Urszula), Magdalena, Rysiu, Rudolf Szutkowski, Janka, Zenon, Karol, Jurek Oblawski, Seweryn, Józef Michałowski, Stenia, Hania, Ela, Zbyszek, Zbychu, Agata, Patrycja, Czesław Murowski, Broniek und Stachu Las, Szczepański (Becker: Vom Auf- gang der Sonne bis zu ihrem Niedergang), Grabicz, Ruczaj, Orendowski, Pani Katarzyna Minczakowa (Muszer: Gottes Homepage) Nowak, Bogumil Trombka, Koralik, Malinka, Miodek, Maniek, Smolny, Franio, Antoni, Wacek, Janek, Maj und Majowa, Krysia, Mo- nika, Sosia, Kamila, Kasia, Lusia, Sawka, Pasur, Mostek, Hanka, Jola (Knapp: Franio)216,

216 Die originelle polnische Schreibweise der Namen, die zum „kulturellpolnischen“ Kolorit der Erzählungen beitragen, wurde von Knapp beibehalten, es gibt nur wenige, die von dem Autor „eingedeutscht“ worden sind (Trombka, Felix, Julius, Sosia, Frantischek, Muschek, Motill, Pasur). 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 245

Waldemar, Bolek, Ala (Knapp: Herrn Kukas Empfehlungen), Józek, Szymek, Darek, Zo- sia, Gosia, Aldona, Wiśniewski, Stanisław Janeczko, Sławomir Janeczko, Janeczkówna, Leszek, Czesław Sokołowski, Maciek, Adamczyk, Jasia, Kurczak, Michał, Bogdana, Ma- rian Strzelnicki, Garniecki, Babuś, Sędecki, Wiśniewski u.v.a. (Janesch: Katzenberge), Kinga, Bronka, Bartosz, Renia, Beata, Socha, Jarzębiński, Albina, Agnieszka, Marian, Arkadiusz, Leo Fidlerowski Kijowska, Michalewski u.a. (Janesch: Ambra), Grażyna, Agata, Agnieszka, Ania, Piotr, Leon, Tadek, Krystyna, Gladkowski, Wojciech Gudacze- wski, Szubski, Marek (Soboczynski: Polski Tango). (Nr. 2): Namen von historischen Personen, Politikern, Dichtern und Künstlern u.a.:

König Zygmunt Waza III. [sic!] (KGP 34), Jan Kilinski [sic!] (KGP 35), Karol Wojtyła – der Papst (SPT 108, 110, 143-154), Lech Wałęsa (BM 174, BO 73, 116, BH 83, 202, BAS 342, 358, SPT 54, 56, 87, KGP 63, 64, 65, 83), Jerzy Popiełuszko (KGP 82, BAS 407), Lech/Jarosław Kaczyński (SPT 86-91, 100), Tadeusz Kośćiuszko [sic!] (KGP 137f.), Franciszek Kulczycki (KGP 136f.), Maria Walewska (KGP 105, 106, 107, 108), Maria Skłodowska-Curie (KGP 139), Ludwik Waryński (BH 61, 62, 63), Wojciech Kętrzyński (BL 243), Mieczysław Rakowski (BM 102, BAS 205, 277), Jaruzelski (BO 114, 116, BWM 165, BL 36, 277, BAS 198, 277, 333, 410, SPT 36, 60, KGP 70), Kiszczak (BAS 277, 410), Gomułka (BAS 19), Mazowiecki (BO 116), „Marschall Piłsudski“ (BO 180, BL 278), Edward Gierek (BD 92, BAS 26, 271), Henryk Jankowski (KGP 83), Rydzyk (KGP 84), Ryszard Kukliński (BAS 42), Jacek Kuroń (BAS 111, 127), Leszek Balcerowicz (BAS 42), Mieczysław Maliński (SPT 143,144,145), Adam Michnik (BZ 168, BWM 94, BAS 111), Adam Mickiewicz (KGP 48, SPT 145, BL 177, BAS 53, 156), Słowacki (BAS 53), Norwid (BAS 53), Czesław Miłosz (BWM 94, 110, 147, 148, 199, 218, 251, 275, 276, 361, 380, 381, 383, 384, 416, 429, 446, BAS 47, 89, 128, 190, 240, 344, 380, 410, KGP 48, SPT 185), „die Klassiker der Emigrantenszene: Miłosz, Herling-Grudziński, Bobkowski oder Vincenz“ (BAS 199), Andrzej Bursa (BAS 92), Anna Świrszczyńska (BAS 299), „Bücher von Alfred Szklarski“ (BL 77), „Newerlys historische[r] Roman Archipel der wiedergewonnenen Menschen“ (BAS 199), Stanisław Jerzy Lec (SPT 67), Tadeusz Różewicz (SPT 179-186), Krzysztof Kamil Baczyński (BL 177, 311), Witold Gombrowicz (KGP 127), Ryszard Kapuściński (KGP 127), Wisława Szymborska (KGP 48, 102), Henryk Sienkiewicz (KGP 123, 127, BWM 100), Józef Korzeniowski (KGP 127), Konstanty Ildefons Gałczyński (BWM 336, 429), Stanisław Lem (BWM 361), Ma- rek Hłasko (KGP 128), Lepold Tyrmand (KGP 129), Zbigniew Nienacki (KGP 131), Leszek Kołakowski (BAS 110), Zygmunt Bauman (BAS 89, 93, 110), Roman Polański (KGP 125, BAS 78), „Regisseur Kieślowski“ (BK 58), „Professor Miodek“ (KGP 30), „Schauspieler Jacek Braciak“ (BAS 423), Jerzy Stuhr (BO 41), „Pianist Krystian Zim- mermann (BL 16), Krzysztof Krawczyk (BWM 100), Jacek Kaczmarski (BWM 435, BAS 358), Marcin Wolski (KGP 76), Maler Marcin Maciejowski (SPT 164, 167-177), Joanna Rajkowska (SPT 63). (Nr. 3): geographische Namen (Landschaften, Orte, Straßen), (Auswahl):

Ermland und Masuren (Beckers Romane und Soboczynskis Polski Tango): Bartoszyce an der Łyna (BH, BK BAS), Dolina Róż (BL), Wiproso/Wieps, Ramsowo/Ramsau, Ramsówko/Kleinramsau, Kikity, Lutry (BAS), Wilimy, Czerwonka (Rothfl ieß), Najdy- mowo, Olszytyn (BWM), Węgorzewo (BM 159, 204, 205, 209), Święta Lipka (BWM, 246 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

BAS), Galiny, Bisztynek, Lutry (BM 119), Lidzbark Warmiński (BM 159), Mikołajki (BM 159, 205), Kętrzyn (BM 204, 211), Giżycko (BM 205), Korsze und Barciany (BM 207), Blanki, Jeziorany (BK 76), Gierłoż (BK 89), Biskupiec (SPT 38, 105, 111, 123, BWM 299, 303 u.a.), Ostróda (SPT u.a. 113, 123, 126, 131, 141), Iława (BZ 16, 52, 80, 127, 164, 166 u.a.), Iława Górna (SPT 123), „die großen masurischen Seen, Śniardwy, Mamry, Niegocin und Tałty“ (BWM 295), „Die »Insel der Vögel«, Ptasia Wyspa“ (BWM 146); Niederschlesien: Wrocław, Oborniki, Bagno, Osola, Morzęcin Mały (JK), Wydrza, Żdżary Wielkie (JK); sonstige polnische Städte: Toruń (BM 162, SPT 13), Poznań (BAS), Gdańsk (BK 114, 185, 194), Sopot, Miedzyzdroje (KGP 54,) Wadowice (SPT 152), Wie- liczka (KGP 148)217, Straßen und Plätze: „Ulica Kościuszki in Toruń“ (SPT 13), „Ulica Marszałkowska“ (SPT 93), „Ulica Chłodna“ (SPT 72), „die Ulica Szeroka“ (SPT 161), „Ulica Stradomska“ (SPT 161)218, „Park Józefa Piłsudskiego“ (SPT 54), „Platz der drei Kreuze, zum Plac Trzech Krzyży“ (SPT 61), „Flughafen Okęcie“ (BO 47), Anin (KF), „Winogrady-Viertel“ (BAS 132), Zakrzówek (SPT 145), Nowa Huta (SPT 148, 151), „Błonie-Park“ (SPT 149), „Pałac Kultury, [der] Kulturpalast in der Stadtmitte“ (SPT 64), Rysy, Jaskinia Śnieżna (KGP 53). (Nr. 4): Namen von Institutionen und Organisationen, (Auswahl):

„Landesarmee AK“ (BAS 75), „Abgeordneter im sejm“ (BWM 191), „im sejm“ (BAS 358), „des kommunistischen Jugendverbandes ZMP“ (BL 66), „Radio Maryja“ (BWM 283, 284, 347, SPT 147), „Radio Maria“ (KGP 15), „PRL […], [die] Volksrepublik Po- len“ (BM 100), „PKP“, die „Polnischen Staatsbahnen“ (BM 98, KGP 15, vgl. auch BL 182), „PZPR“ (BO 114, BAS 37), „[die] sozialistische[-] Partei PPS“ (BAS 74), „die LOT“ (BO 47, KGP 15), die Staatliche Versicherungsanstalt „PZU“ (BO 101), „Walde- mara Schule, Szkola Podstawowa Nr.3“ (BD 62), „in einem PGR, einem »Volkseigenen Gut«“ (MGH 83), „[der] Pariser Exilverlag[-] Kultura“ (BAS 199). (Nr. 5): polnische Produkt- und Markennamen, Gebrauchsgegenstände der polni- schen Alltagskultur, u.a.:

Zeitungen und Zeitschriften: „Piłka Nożna“, „Przegląd Sportowy“ (BO 36, 37), „Gazeta Wyborcza“ (BWM 56, 57, 94, JA 221, KGP 117, 118), „Gazeta Olsztyńska“ (BWM 179, 328, BM 103, BK 66), „Polityka“ (KGP 117), „Wprost“ (KGP 117, BZ 169), „Fakt“ (KGP 117), „Trybuna Ludu“ (KGP 115, BAS 19), „Przekrój“ (SPT 169), „Super-Express“ (SPT 171), „die wichtigsten Blätter und Hefte der damaligen Poetry-Szene: Radar und Poez- ja“ (BWM 140); Automarken: „der alte Jelcz, der gelbe Bus“ (BK 73), „Polonez“ (BK 77, 100, BWM 371), „Warszawa“ (BWM 21), der „Geländewagen Tarpan“ (BWM 27), „Fiat 125p“ (BD 55, MGH 85), „Kleinlaster der Marke Żuk“ (MGH 81), „Ursus-Trak- toren“ (BAS 278), „seinen Komar, die Mücke, die er reparierte“ (BK 140), „WSK, [das] polnisch[e] Motorrad“ (BD 8), „mit seinem Motorrad, einem alten Junak“ (BAS 143, vgl. auch 154, 162f.), Getränke- und Biermarken: „die Fru-Cola […] spottend Trup: Leichen-

217 In den Texten von Knapp (Franio, Herrn Kukas Empfehlungen, Gebrauchsanweisung für Polen) oder auch von Soboczynski (Polski Tango) werden auch Namen anderer polnischen Städte, aber in deutscher Form genannt: z.B. Warschau, Posen, Danzig, Krakau, Ratibor, Tschenstochau. Ein ähnliches Verfahren betrifft konkrete Warschauer Straßen (Poniatowskibrücke, Chmielna-Straße, Polna- und Jasnastraße). 218 Es ist zu beachten, dass in Polski Tango das polnische Wort „ulica“ (dt. „Straße“), nicht der polnischen, sondern der deutschen Rechtsschreibung entsprechend, mit großem Anfangsbuchtstaben geschrieben wird. 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 247

Cola auf Deutsch“ (BWM 30), „eine 0,5-Dose Warka“ (BWM 31), „Tyskie“ (BWM 82, 84, 307,363, 424, 425, 426 u.a.), „Halbliterdosen Okocim [...] sein Lieblingsbier“ (BD 41), „Żywiec“ (SPT 7, BZ 183, 185), „Żubrówka“; (BAS 80), Zigarettenmarken: „eine Stange Caro“ (BO 60) „die Extra Mocne mit dem roten Streifen, die stärksten Zigaretten der Welt“ (BM 206), „Klubowe“ (BK 144), „Popularne, Sporty oder Klubowe“ (BL 16, vgl. auch 86, 127), „Fernsehen Neptun“ (BL 16); Sonstige Produktmarken: „Kino Zryw“ (BL 15, 37, 39, 40, 105, 114, 150, 158 u.a.), Hotel Europejski (SPT 61 u.a.), „Pewex, […] das Geschäft der verbotenen Marken“ (BL 195, vgl. auch 196, 217, 261, BM 27, 201, KGP 72), „WARS-Speisewagen“ (BH 28), „Bank Slaski“ KGP 75), „PKO-Bank“ (BK 75), „Waschmaschine Frania“ (BL 38), „Polsat“ (SPT 101), „Stomil“ (BAS 30), „M4- Wohnlokal“ (BAS 53, 74), „Diskussionen des Kinoklubs DKF“ (BAS 83). (Nr. 6): Namen von materiellen und immateriellen Kulturgütern (Namen von histo- rischen Ereignissen, Bauten und Kunstwerken, Namen von Liedern, Speisen, Titel von Büchern, Filmen), u.a.:

„13. Dezember 1981; das Kriegsrecht“ (BAS 35 197, 333, 410, 423), „Solidarność-Zeit“ (BWM 166, SPT 87), „Solidarność-Generation“ (SPT 108), „Solidarność-Bewegung“ (SPT 37, KGP 64, 69), „Solidarność-Revolte“ (BWM 320), „Solidarność-Ära“ (BWM 336), „Solidarność-Streiks“ (SPT 150), „Solidarność-Vergangenheit“ (BWM 141), „Solidarność“ (BAS 52, 97, 275, 277, 330, 334, 341), „transformacja“ (BWM 351, 432, BZK 214f., BAS 358), „Mordanschlag der Staatssicherheit auf den Priester Jerzy Popiełuszko im Jahre 1984“ (BAS 407), „Mord an dem Abiturienten und Dichter Grze- gorz Przemyk im Mai 1983“ (BAS 407), „Treffen der Kommunisten und Oppositionellen in Magdalenka bei Warschau im Jahre 1988“ (BAS 249, vgl. auch 277), „am sogenann- ten »Runden Tisch« in Warschau“ (BAS 250), „Monte Cassino“ (Der Lippenstift meiner Mutter), Warschauer Aufstand (1. August 1944) (KGP 36, SPT 182f., BAS 61), „Absturz der polnischen Präsidentenmaschine am 10. April 2010 bei Smolensk in Russland“ (BAS 56), „Maciarewicz-Liste mit geheimen Mitarbeitern der Staatssicherheit“ (BAS 359); Le- xik der ehemaligen oppositionellen Sprache219: „ein esbek“ (BWM 351, 398), „esbecja“ (BWM 351, 396, 398, 425, 431, 437, 438, 439, BAS 37, 118, 119, 331, 385, 388), „SB“ (BWM 196), „die komuchy“ (BK 26), „ein komuch“ (BAS 210), „Żydokomuna“ (BAS 19), „endecja“ (BAS 31), „faszystka“ (BAS 53), „ein faszysta“ (BAS 168), „ZOMO“ (BK 41, BAS 279); Bauten und Kunstwerke: Sukiennice (KGP 46), die Burg Wawel (KGP 4, SPT 161, MGH 87), „kolędy” (BH 110); Titel von literarischen Werken, Lie- dern: „»Tal der Issa« von Miłosz“ (BAS 344), „Miłosz’ »Verführtes Denken«” (BAS 190), „Schlager »Biała mewa«“ (BWM 269), „die Rockhymne »Autobiografi a«“ (BZK 214), „das Lied von Perfect“ (BZK 214), „Henryk Wienawskis Violinkonzerte“ (BAS 84), „Karol Szymanowskis Violinkonzerte“ (BAS 359), „Konzerte von Republika, Bry- gada Kryzys und Dezerter“ (BL 220), „die polnische Sängerin Kayah“ (SPT 7, 203), „die Rockkonzerte von Maanam, Bajm, Perfect, Republika oder Lombard“ (BWM 95), „die Rockbands […] Maanam und Perfect, Republika und Lombard usw.“ (BAS 342),

219 Es handelt sich in diesem Fall vor allem um die ehemalige oppositionelle Sprache mit ihrer in Bezug auf die kommunistische Vergangeneit Polens pejorativ konnotierten Lexik, die man bis 1989 nur in privaten Gesprächen, öffentlich nur bei illegalen Demonstrationen oder in in Exil- bzw. Undergrundpublikationen gebrauchen konnte und die das kommunistische Regime zu beschreiben, zu kritisieren sowie abzuwerten ermöglichte (vgl. dazu WARCHOŁ-SCHLOTTMANN 2009: 307f.). 248 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

„Czerwone Gitary, die in den Sechzigern zu den „Beatles von der Weichsel“ avancierten“ (BO 65), „Kieślowskis Filme“ (BWM 107, vgl. auch: BAS 36), Fernsehserie »M jak Miłość« – »L wie Liebe«“ (SPT 69f., 71, 72, 74), „Czterej Pancerni i pies“ (KGP 122), „Kapitan Klos“ (KGP 122), „Potop“, „Janosik“ (KGP 122), „Lolek und Bolek, zwei lä- cherliche Zeichentrickfi guren“ (BO 75), „Lolek aus dem Zeichentrickfi lm“ (BAS 81), Legende über Wars und Sawa (KGP 34), die Sage von „Wanda” (KGP 94, SPT 72, Pari- ser Exilverlag „Kultura“ (BAS 199), „die Künstlergruppe Ładnie (Hübsch)“ (SPT 172); Speisen und Nahrungsmittel: „bimber” (BWM 75, 325), „Bigos“ (BL 278, 296; BAS 185, 305 MGH 46, KGP 16), „Krówki-Bonbons” (SPT 57, 123, 190), „eine Zapiekanka” (SPT 123), „die >>Obwarzanki<<” (SPT 163), „fl aki” (KGP 86, SPT 26), „barszcz ukraiński […] ruskie pierogi)” (KGP 86), „kiełbasa zwyczajna […] oder myśliwska” (KGP 87,vgl. auch BL 97), „miod pitny” (KGP 90), „Wyborowa” (BO 59, KGP 90), „Żytnia” (KGP 90), „Bałtycka” (BK 61); Kleidungsstücke: „uszanka“, „walonki“, „fufajka“ (MGH 78). Auch Umgangs- und Höfl ichkeitsstrategien aus dem Polnischen, wie etwa Grüße und Anreden (insbesondere die polnischen Anredeformen „pan(i)“ – „Herr/Frau“), d. h. die verbal-kulturellen Elemente werden in der Figurenrede der literarischen Texte oft verwendet, wie z.B.:

„Pani Minczakowa, Pani Katarzyna Minczakowa“ (MGH 122), „Pani Justyna“ (BWM 19. 43, 452 u.a.), „Pani Direktor“ (BWM 74), „Pan Kuba“ (BWM 382), „Pani Olcia“ (BL 20), „Die arme Pani Doktor!“ (BWM 187), „Pani Justyna“ (BWM 356), „Deine Pani Star“ (BWM 264), „Pan Direktor Czapa“ (BM 113), „Pani Kira“ (BM 121), „Pani Cebula“ (BM 170), „Pan Sadowski“ (BM 181), „Pani Ela“ (BK 63), „Pani Eliza“ (BK 197, 204), „Pani Beata“ (BK 91, 203), „Pani Marylka“ (BK 177f.), „Pan Antek“ (BK 91, 108), „Pan Kartenabreißer“ (BK 304), „Ech ty, Pani Bogdana!“ (JK 107), „Pani!“ (JK 106), „Misiu! Liebling!“ (BO 48), „kochanie“ (JK 167, vgl. BAS 424), „Mirek, lieber Mi- siu“ (BO 59), „Mamo“ (JK 183), „Ciociu“ (JK 126), „Stokroteczko“ (JK 85), „Panowie Gerhard und Wilfried“ (BK 81), „Witajcie (BK 267), „Cześć!“ (BL 181), „Dzień dobry” (JK 182, 201, 258, JA 297, KGP 24), „Do widzenia“ […], auf Wiedersehen“ (JK 49, vgl. auch SPT 80), „Dobry wieczór, […] guten Abend.“ (JK 184), „ein dziękuję bardzo“ (JK 106). „Na zdrowie!“ (BWM 45, 192, 448, BZ 183, JK 11, 218, JA 207, KGP 92), „Broń Boże!“ (JK 23), „Dobranoc Marta“ (BWM 48), „Wesołych świąt, […] Frohes Fest“ (MF 57). Die polnischsprachigen Einschübe werden in den meisten Texten zur Wiedergabe der polnischen Laute mit diakritischen Zeichen versehen (obwohl nicht immer kon- sequent, vgl. Beckers Der Dadajsee, Knapps Gebrauchsanweisung für Polen). In vielen Texten (in Beckers Kino Muza, Wodka und Messer, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang, Soboczynskis Polski Tan- go, Knapps Gebrauchsanweisung für Polen, Janeschs Ambra) werden sie außerdem typographisch (mit Kursivdruck) hervorgehoben. Die Kursivsetzung hat zum Ziel, den Leser auf das fremdsprachige Element aufmerksam zu machen und fungiert auch als „visueller Marker der Fremdheit von Lexemen oder komplexen Ausdrücken“ (GYMNICH 2007: 74). Die polnischsprachigen Passagen oder Elemente werden, wie schon erwähnt, in der Regel in den Texten entweder durch Erläuterungen eingeleitet oder ins Deutsche übersetzt, wovon die folgenden ausgewählten Beispiele zeugen: 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 249

Beckers Romane:

„Agnieszka wie Agnes“ (BM 145), „die Stinte, stynka“ (BZ 131), „Mateusz, also Matthä- us“ (BM 149), die „Todesanzeigen, die klepsydry“ (BH 23), „»Gummiohr!« […] »Gumo- we Ucho!«“ (BH 22), „diabły (die Deiwel)“ (BH 83), „die japońcy (die Japsen)“ (BH 83), „samochody (Autos)“ (BH 83), „Ruch (Bewegung)? Bunt (Aufruhr)? Miłość (Liebe)?“ (BH 280), „nach diesem rejs – nach der Segeltour“ (BH 283), „die Kosmonautensied- lung, Os. Kosmonautów, in Poznań“ (BM 174), „Die Mutter meines Vaters Gerhard trug den Nachnamen Serreck, was auf Polnisch Käse heißt: serek.“ (BM 139), „PRL […], [die] Volksrepublik Polen“ (BM 100), „Die Badehose – kąpielówki“ (BK 22) (an einer anderen Stelle als der deutschen Orthographie angepasste „Kompeluwki“, BK 21), „als Szwabka, als Deutsche“ (BK 40), „ZOMO […] eine Spezialeinheit der Miliz und ihre Aufgabe, streikende Arbeiter und Studenten zu verprügeln“ (BK 41) „chamy und burki […], Bauern und Köter“ (BK 51), „Verzieh dich endlich! Dorthin, wo der Pfeffer wächst! Spieprzaj!“ (BK 179), „To woła o pomstę do nieba! Lasst uns den Himmel um Rache an- fl ehen“ (BWM 19), „Wolna Europa – Freies Europa“ (BWM 25), „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes! […] »W imię Ojca i Syna i Ducha Świętego!«“ (BWM 27), „die Socken – skarpety, der Mond – księżyc“ (BWM 48), „auf einer wer- salka, einer uralten Schlafcouch“ (BWM 206, vgl. 396), „Wojna! Wojna! Krieg! Es ist Krieg!“ (BWM 207), „Maryjo, Królowo Korony Polskiej, módl się za nami! – Maria, Du Königin Polnischer Krone, bete für uns!“ (BWM 40), „ein Niemiec, ein Deutscher“ (BWM 243), „ein Niemiec, so ein Stummer“ (BWM 243), „die Stummen, niemi“ (BWM 243), „Kubuś Puchatek, Winnie-the-Pooh, Pu der Bär“ (BWM 408), „kehrte Opa Kostek […] zurück, na stare śmieci ojczyzny, zurück auf den ollen Misthaufen des hehren Va- terlandes“ (BWM 410), „die wichtigsten Blätter und Hefte der damaligen Poetry-Szene: Radar und Poezja“ (BWM 140), „Schlager »Biała mewa«, »Die weiße Möwe«“ (BWM 269), „Biały szkwał, eine Weiße Bö“ (BWM 295), „der Graswurm wodny żeńszeń, der Wasser-Ginseng“ (BWM 469), „die Stummen, niemi“ (BWM 243), „Kapliczki, Betsäu- len” (BWM 337), „Zaduszki […] – Tag der Toten – […]“ (BZK 211), „des kommunisti- schen Jugendverbandes ZMP“ (BL 66), „die öffentliche Regionalbusgesellschaft PKS“ (BL 180), „Du Dummerchen! Ty głuptasku!“ (BL 221), „Norbert hat eine böse Strafe verdient! Norbert zasłużył na tę straszną karę!“ (BL 246), „Pewex, […] das Geschäft der verbotenen Marken“ (BL 19, 196, vgl. auch BM 27), „im poczekalnia, im Warteraum des Yachtclubs“ (BL 213, 303), „Kulig, kulig – wir machen eine Schlittenfahrt“ (BL 236), „die suszki, getrocknete Gänseblümchen“ (BL 87), „kostkę masła, ein Stück Butter“ (BL 16), „vor masarnia, dem Fleischerladen“ (BL 91, 98, 117), „Zigaretten für Papa – Sporty oder Popularne“ (BL 86), „Du bist doch kein Junkie! Du ein ćpun?“ (BL 98), „Judasz, das Guckloch in der Tür“ (BL 143), „Ite, missa est! Oto ofi ara spełniona“ (BAS 25), „Die leben nur für kaku, papu i lulu, fürs Kacken, Mampfen und Pennen“ (BAS 26), „die Milch, mleko“ (BAS 50), „Sonne, słońce. […] dank der Sonne, dzieki słońcu” (BAS 133), „Stodoła, Pferdestall” (BAS 235), „der Löwenzahn heißt im Polnischen mlecz“ (BAS 50), „Ameisen, mrówki, hießen die Schmuggler“ (BAS 114, vgl auch 241), „Pierdolisz! Du redest Scheiße!“ (BAS 136), „Aalschnüre […], die sogenannten pupki” (BAS 300), „Jak się masz, kochanie, jak się masz? – Wie geht’s dir, mein Schatz, wie geht’s?“ (BAS 332), „ein Schuft, łajdak“ (BAS 345), „Idź z Bogiem, synu! Geh mit Gott, mein Sohn!“ (BAS 348), „gówniarz, Drecksbub“ (BAS 37), „da zamęt »Wirwarr« bedeutete“ (BAS 61), „Rączka rączkę myje, eine Hand wäscht die andere“ (BAS 408). 250 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

In den Texten von Dariusz Muszer:

„Verzeihung […] same się zamknęły. […] Die Tür von alleine, ich nicht schuldig. […] Wesołych świąt, […] Frohes Fest“ (MF 57), „Meine Eltern sprachen zu Hause nur Pol- nisch, po polsku“ (MF 108) ,„das Rezept für Bigos, den legendären polnischen Eintopf aus Sauerkraut und verschiedenen Fleischsorten“ (MGH 46), „mit »uszanka«, einer Müt- ze mit Ohrenklappen, in »walonki«, Filzschuhen, um mit »fufajka«, einer warmen, wat- tierten Joppe bekleidet dorch einen Urwald […] streifen“ (MGH 78), „Kleinlaster der Marke Żuk, zu Deutsch Käfer“ (MGH 81), „in einem PGR, einem »Volkseigenen Gut«“ (MGH 83). Bei Radek Knapp:

„beim Landesnamen: Polska“ (KGP 93, vgl auch 94), „dzien dobry […], was soviel wie guten Tag bedeutet […].“ (KGP 24), „Chrząszcz brzmi w trzcinie (bitte aussprechen: Chschonschtsch bschmi w tschtzinje), was frei übersetzt heißt: Ein Käfer zorpt im Schilf“ (KGP 27f.), „Das Wort Niemcy komnt von niemy, was soviel wie stumm bedeutet“ (KGP 29), „Polska to wspaniały kraj (Polen ist ein wunderbares Land)“ (KGP 31), „Der Name Wałęsa kommt von wałęsać, was soviel heißt wie »sich herumtreiben« oder »herum- schlawinern«” (KGP 64), „eine Scheinwährung, Bony towarowe […]“ (KGP 72), „die Kuttelfl eckensuppe (fl aki)“ (KGP 86), „Ukrainischer Borschtsch (barszcz ukraiński) und Russische Piroggen (ruskie pierogi)“ (KGP 86), „kiełbasa zwyczajna, frei übersetzt, »gewöhnliche Wurst«” (KGP 87), „miod pitny, ein alkoholisches Honiggetränk“ (KGP 90), „Aus dem Programm des Kabarettklassikers Marcin Wolski“ (KGP 76), „der pol- nische Wissenschaftler Professor Miodek“ (KGP 30), „der charismatische Priester Jerzy Popiełuszko, der wegen seiner oppositionellen Arbeit im Jahr 1984 ermordet wurde“ (KGP 82), „Der orthodoxe Geistliche Rydzyk“ (KGP 84), „Die berühmteste Kriegsserie Polens hieß »Czterej Pancerni i pies« was so viel wie: »Vier Panzersoldaten und ein Hund bedeutete.” (KGP 122), „»Pan Samochodzik i templariusze«. Übersetzt: »Pan Samochod- zik und die Tempelritter«. […] Pan Samochodzik, was frei übersetzt »Herr kleines Auto« bedeutet“ (KGP 131f.). Janeschs Romane:

„Na zdrowie, wujkowie. Auf eure Gesundheit, Onkels“ (JK 11), „Meiner geliebten Te- rezia. […] Mojej kochanej Terezy“ (JK 221), „No slicznie, sagte da die Frau: Das ist ja entzückend.“ (JK 172), „Leszek, czort jeden, Leszek, du Dämon“ (JK 156), „Czort czy człowiek, […] Teufel oder Mensch?” (JK 187), „Słuchaj, Maria […], hör mal, Maria“ (JK 141), „Guten Tag, […] dzień dobry“ (JK 94, 98, 107), „Niech się pan wstydzi […], ein Schämen Sie sich“ (JK 25), „Tu nam się podoba. Hier gefällt es uns […]“ (JK 31), „Polskość […] Polnischkeit“ (JK 38), „Jest tam ktoś? Ist da wer? Die Jest-tam-ktoś-Rufe (JK 45), „Jeszcze czego! […] Von wegen!“ (JK 132), „Jest-tam-ktoś? […] dieses Ist-da- wer“ (JK 120, 121), „Wort für Wort presste er hervor: Marii-już-nie-było. Maria-war- nicht-mehr-da“ (JK 161), „Witam w bibliotece. Willkommen in der Bibliothek“ (JK 135), „Do zamku! Zum Schloss!“ (JK 119), „Do widzenia […], auf Wiedersehen“ (JK 49), „Dobry wieczór, […] guten Abend“ (JK 184), „Ja […] Tak. Tak, tak“ (JK 49), „Tak to jest […]. So ist das“ (JK 136), „Dzieci-śmieci! […] Kinder-Dreck!“ (JK 136), „Ej, chłopy! […] Hej, Bauern!“ (JK 89), „Przerwa. Mittagspause“ (JK 93), „nareszcie, na endlich“ 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 251

(JK 248), „Czoło zająca, Łąka husteczna [sic!], Plecy Baby Jagi, Kurzy Pazur, Brzeg Czapy, Koniec świata. Hasenstirnbusch, Kopftuchwiese, Hexenbuckel, Zylinderkrempe, Hahnenklaue, Ende der Welt“ (JK 115), „und begann, ein Geburtstagslied zu singen, Sto lat, sto lat, niech żyje żyje nam..:“ (JA 348). In Soboczynskis Polski Tango:

„im Piękny Pies, einer Kneipe in der Krakauer Altstadt, die übersetzt »Schöner Hund« heißt“ (SPT 7), „»Laß den Tabakbeutel hier, laß ihn mir für immer, als ein Zeichen deiner Liebe« – » Na zawsze zostaw, jak znak miłości twojej.« Laß den Tabak mich langsam vergiften« – »Niech truje mnie powoli.«” (SPT 8, 11, 203), „Sie kochte gerne fl aki, eine polnische Innereiensuppe“ (SPT 26), „stimmt er ein polnisches Trinklied an: »Sto lat, sto lat, niech żyje, żyje nam«! – »Hundert Jahre, hundert Jahre möge er leben.«” (SPT 148), „»piwo!« [...], »Bier!«” (SPT 125), „Jaruzelski, jener als wrona (Krähe) verhöhn- te Parteigeneral“ (SPT 60), „Ein ausgesprochen häufi g verwendetes polnisches Wort ist »załatwiać«. Es heißt soviel wie »es irgendwie hinkriegen«,»sich durchwurschteln«, aber es heißt auch: »jemanden reinlegen«“ (SPT 83), „bei einer Folge von »M jak Miłość« – »L wie Liebe«“ (SPT 69f., 71, 72, 74), „von kaczory, von Enten“ (SPT 87), „»Co się stało z białym burgundem?« (Was ist bloß los mit dem Weißburgunder?«) (SPT 56f.), „»Ha- mulec Bezpieczeństwa – »Notbremse«“ (SPT 73), „Polsat […] das polnische Äquivalent zu RTL“ (SPT 101). Wie schon erwähnt, ist zu beachten, dass der größte Teil des polnischsprachigen Wortschatzes entweder durch deutsche Erläuterungen eingeleitet oder ins Deutsche übersetzt und somit in den sonst deutschsprachigen Text integriert wird. Auf diese Weise lassen sich diese Wörter und Sätze auf Polnisch vom deutschsprachigen Leser ohne Polnischkenntnisse entschlüsseln und nachvollziehen. Die polnischen Formu- lierungen blieben in den Texten nur relativ selten unübersetzt, weil der deutschspra- chige Rezipient durch das Ausbleiben einer Übersetzung oder Erklärung mit einem Alteritätsgefühl konfrontiert wird, wenn ihm die Bedeutung der polnischsprachigen Einschübe verborgen bleibt (GYMNICH 2007: 61). Wie z.B. in Beckers Roman Kino Muza, dort fi ndet der Leser polnischsprachige Sätze oder Wörter, die weder ins Deutsche übersetzt noch durch eine sprachliche Markierung eingeleitet werden. So zitiert Becker in seinem Roman, in dem man zahlreiche Hinweise auf die konkrete politische Situation in Polen der 80er Jahre fi ndet, in Klammern im Original einen polnischsprachigen Textausschnitt aus dem Liedtext („Chcemy być sobą“) des pol- nischen Rockbands „Perfect“, den sich der junge Protagonist, Antek, in der fi nsteren sozialistischen Zeit in seiner polnischen Wohnung anhört, weil es „zu seiner Stim- mung“ passt, wobei es sich um einen Kultprotestsong der jungen Menschen in Polen zur Zeit des Kriegszustandes handelt: „(»…chciałbym być sobą jeszcze, chciałbym być sobą wreszcie…, chcemy być sobą jeszcze, chcemy być sobą wreszcie…«)“ (BK 64).220 Die fehlende Übersetzung ins Deutsche oder zumindest eine Erläuterung er-

220 „Chcemy być sobą“ („Perfect”, 1981): „Ich möchte ich selbst sein, ich möchte endlich ich selbst sein, wir wollen wir selbst sein, wir wollen endlich wir selbst sein...”. 252 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 schwert dem deutschsprachigen Rezipienten in diesem Fall das Verständnis des poli- tischen Kontextes, nämlich der Sehnsucht des Protagonisten nach Freiheit. Andere Beispiele aus Beckers Romanen, in denen die polnischen Lexeme typogra- phisch durch Kursivdruck hervorgehoben sind, aber von keiner polnischen Über- setzung begleitet werden, sind neben der dem Roman Kino Muza vorangestellten polnischen Widmung221, beispielsweise folgende :

„Cholercia!“ (BH 59, BZ 185), „Hilfe! Jesus Maria! Ja pierdolę! Jak mnie boli!“ (BK 233), „Ja pierdolę!“ (BZ 181), „To znowu takie pierdolenie w bambus, z którego nic nie wynika‟ (BK 133), „»was für eine geile cipka…«“ (BK 271), „Kurwa!“ (BWM 17, 210, 253, 327, 425, 441), „kurwa!“ (BH 16), „Kurwa mać!“ (BH 258, BZ 155), „…kurwa!“ (BWM 459), „kurwa…“ (BAS 301), „Kurwa jebana“ (BWM 423), „Kurwa!“ (BWM 425), „Was ist los, kurwa!?“ (BWM 253), „Ein Schwein, kurwa.“ (BAS 377), „Jezu!‟ (BWM 85), „Bój się Boga!“ (BWM 206, 213), „Jezus Maryja!“ (BL 245, BWM 316, 391). Auch in Katzenberge von Sabrina Janesch oder in Soboczynskis Polski Tango stößt der Leser auf vulgäre polnische Ausdrücke, typographisch nicht markiert: „Ja cię kręcę! Kurwa mać!“ (JK 127), solche, die mit Hilfe der typographischen Anfüh- rungszeichen (Chevrons) hervorgehoben werden: „»Kurwa«“ (SPT 35), oder so- gar ins Deutsche übersetzte Formulierungen: „die Aufforderung: jebać niemcy, die Deutschen fi cken“ (JK 48). Man sollte hinzufügen, dass es sich bei den oben angeführten Beispielen um die Übernahme emotional-expressiv markierter Lexeme aus dem Polnischen handelt, die an bestimmten Stellen in den Texten die gesteigerte Emotionalität der polnischen oder polnischstämmigen Protagonisten signalisieren (darunter um polnische vulgäre Ausdrücke, die sich auf das Sexuelle und Physiologische beziehen) und mit deren Hilfe die Figuren ihre Emotionen (darunter auch verbale Aggression) auszudrücken versuchen, wobei sie – im Falle der Schimpfwörter – gegen ein Tabu verstoßen.222 Doch der Bereich der polnischen obszönen Lexik ist weder dominant noch beson- ders auffällig. Den deutsch-polnischen sprachlichen Rahmen ergänzen außerdem Elemente aus Drittsprachen. In Artur Beckers Schelmenroman Onkel Jimmy, die Indianer und ich (2001), in dem von der Ost-West-Reise der Protagonisten (von Czerwonka in Polen nach Winnipeg in Kanada) sowie vom Zusammenstoß zwischen Ost- und West-Men- talität erzählt wird, werden auch englischsprachige Elemente in den deutschsprachi-

221 „Dla M., którą kocham.” (dt. „Für M., die ich liebe.“) 222 Poln. „pierdolić“ (dt. fi cken, bumsen) , „pierdolić w bambus“ (dt. Blödsinn, Scheiß reden) , poln. „cipka“ (dt. Möschen, Muschi), „kurwa“ (dt. verfl uchte Scheiße). Die Formulierungen poln. „Bój się Boga!“ (dt. Um Gottes Willen!), „Jezu!“, „Jezus Maryja!“ (dt. „Jesses Maria!“) sind wie im Deutschen Ausrufe des Erschreckens bzw. Erstaunens. Artur Becker erklärt seinem deutschsprachigen Rezipienten in seinen Romanen Wodka und Messer, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang die Bedeutung der polnischen derben Worte, indem er sie durch eine deutsche Erläuterung einleitet, z.B.: „ihre Schimpfworte: kurwa und chuj“ (BWM 117), „Kurwa! Scheißendreck! [sic!]“ (BWM 327), „dieser Hundsfott, skurwysyn“ (BL 155), „Pierdolisz! Du redest Scheiße!“ (BAS 136). 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 253 gen Text integriert, von denen viele (aber in diesem Fall inkonsequent) – ähnlich wie die polnischsprachigen in den anderen Romanen – durch eine typographische Markierung (Kursivsetzung) hervorgehoben werden. Das fehlerhafte und auf we- nige elementare Formulierungen beschränkte Englisch der aus Polen stammenden Hauptfi gur wird aber an die gesprochene Sprache angenähert, indem es in ihrer ver- einfachten, ebenfalls fehlerhaften phonetisch reduzierten Form (BSE, „Bad Simple English“) wiedergegeben wird, wie z.B.:

„Letz fejs it!“ (BO 13), „If ju mejk it dere ju mejk it ewriwer…“ (BO 15), „Jes! Aj em fri“ (BO 54), „Kauboj“ (BO 87), „Bisnessklass“ (BO 48), Blek is Wajt!“ (BO 65) „Schit“ (BO 215), „Mejd in Japan“ (BO 215), „Ressajkling“, „Scherif“ (BO 90), „Hol matsch? Sirti tu? Ekspensiv, weri ekspensiv” (BO 74), „Kombek“ (BO 86), „Ekskius mi! Maj nejm is Jimmy Koronko. Dis is e biutifol kantri. Aj em Polend! (BO 73), „Diliweriboj“ (BO 75), „Mejdej! Mejdej!‟ (BO 112), „Boss, wot is de last prajs?‟ (BO 76), „Aj em Kanada“ (BO 96). Die Titelfi gur des Romans, Jimmy Koronko aus Czerwonka in Polen, der eigentlich Mirosław Korońrzeź heißt und seinen Namen in Kanada ändert, weil „sich die Ka- nadier ständig die Zunge brachen“ (BO 23), spricht als Ausländer nämlich „ein Eng- lisch, das nur Chinesen und Inder“ verstehen können (BO 73). Er erlernte nämlich die englische Fremdsprache nur rudimentär. Becker untermalt die Darstellung sei- ner Schelmenfi gur mit der karikierten Nachahmung des Englischen eines polnisch- sprachigen Ausländers in seiner stark vereinfachten fehlerhaften Form durch die vielen grammatischen Fehler und den angedeuteten Gebrauch eines ausländischen Akzents.223 Eine mögliche Erklärung dieses Verfahrens besteht darin, einerseits die Figur als Mitglied einer sozialen Kategorie, ihre Andersartigkeit und Nicht-Zugehö- rigkeit zu der kulturell fremden Umgebung zu präsentieren, den Individualstil der Migrantenfi gur zu markieren und einen komischen bzw. spielerischen Effekt zu er- zeugen, andererseits mittels sprachlicher Etikettierung auch die Erfahrung sprachli- cher und kultureller Andersartigkeit zu veranschaulichen. In demselben Roman werden auch – ohne typographische Hervorhebung – russisch- sprachige Elemente in der deutschen Transkription – ebenfalls als Manifestationen einer Fremdsprache im deutschsprachigen Kontext – gebraucht, deren Bedeutung aber – im Gegensatz zu den o.g. englischsprachigen – in den Fußnoten für den deut- schen Leser erläutert und übersetzt werden, wie z.B.: „Poschla, otkuda prischla!“ (BO 75, in den Fußnoten fi ndet der deutsche Rezipient eine Erklärung: „Ab nach Hause mit dir!“), „Ty staryj chuj! Schto ty? Byla li u tebia dewuschka?“ (mit Er- klärung in der Fußnote: „Du altes Arschloch! Was ist? War wieder eine Frau bei dir?“, BO 223), „die Russen und ihre Bolschoia-Technik“ (BO 82, in der Fußnote als „Wunder-Technik“ übersetzt). Auch in Janeschs Roman Katzenberge werden in den deutschsprachigen Text ukrainischsprachige Elemente in der deutschen Transkripti-

223 Vgl. dazu auch andere Texte Beckers: „Du ju spik inglisch?“ (BH 84), „eine Klining Lejdi“ (BM 129), „en ertist, siksti jers old“ (BM 140) „Maj Nejm is Jimmy Koronko“ (BM 130), „Sirti tu” (BM 130), „Ju mada faka!“ (BM 131). 254 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 on eingeschoben, die der Vermittlung der kulturellen (und sprachlichen) Authentizi- tät dienen sollen: „Dobry den, […] Kudy: Zastavne? Zas-ta-vne? […] Djakuju, […] do pobatschenia […]“ (JK 243), „Dobry den“ (JK 257), „Ni, ni, ni“ (JK 258). Ob- wohl diese Elemente von der Schriftstellerin unübersetzt bleiben, kann der deutsch- sprachige Leser ihre Bedeutung aus dem Kontext ableiten. Soboczynski, Janesch, Knapp und Felixa bedienen sich der deutschen Sprache sou- veräner, weil sie das Deutsche als Sozialisationssprache erlernt haben. Sprachlich auffallend ist – neben der sprachlichen Hybridisierung – die häufi ge Verwendung der Umgangssprache sowie der gesprochenen Alltagssprache, die manchmal sehr direk- te, unvermittelte Ausdrucksweise, wodurch die Migrantentexte einen hohen Grad an Lebendigkeit erreichen. Dies gilt insbesondere für die Texte von Artur Becker und Dariusz Muszer, die mit Vorliebe sogar vulgär-umgangssprachliche Elemente ge- brauchen, was die Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Literaturkritiker auf sich zieht. Beckers Erzählweise sei durchsetzt „mit vulgärsprachlicher Überdeutlichkeit“ (LANGNER 2009: 25), die m. E. vor allem die in Beckers Romanen relativ häufi g verstreuten Szenen der körperlichen Liebe und sexuelle Aktivitäten betrifft, die derb und direkt beschrieben werden. Im Falle von Dariusz Muszer macht die Literaturkritik auf die „krude Sprache“ in seinen Texten aufmerksam (AHRENDS 1999).224 In seinem Roman Die Freiheit riecht nach Vanille bedient sich der Schriftsteller tatsächlich an vielen Stellen eines manch- mal vulgär gewählten Vokabulars und überschreitet die Grenzen der Political Cor- rectness.225 Hinzu kommen auch Abweichungen von sprachlichen Konventionen und stilistische Markierungen, die beispielsweise durch den Gebrauch von vielen ausgebauten Vergleichen provoziert werden.226 Die Umgangssprache ist (neben dem

224 Einerseits ist der Autor sich seiner sprachkommunikativen Handicaps bzw. seiner Andersartigkeit bewusst, andererseits scheint dies aber die Absicht des Schriftstellers zu sein, weil er selbstbewusst betont, dass sein Roman Die Freiheit riecht nach Vanille „eine Form der Vergewaltigung der deutschen Sprache” sein sollte (vgl. CZANIECKA-KUFER 2002: 3). 225 Muszer bedient sich in seinem Debütroman gern derber und obszöner Ausdrücke, von denen viele sich auf das Physiologische beziehen, auf solche Körperteile, die mit dem Sexualverhalten konnotiert werden, und mit einem Tabu belegt sind, wie z.B.: „Arschloch“ (MF 5, 77, 82 ), „blöde[r] Schwanz aus dem Osten“ (MF 56), „Schwanz“ (MF 172, 173), „Arsch“ (MF 15, 22, 37, 51, 94, 95, 205), „Muschi“ (MF 27, 28, 150), „Penis“, (MF 14, 15, 16, 170), „Pimmel“ (MF 23, 150, 153), „vor ihnen hatte sie immer richtig Schiß“ (MF 17), „Scheißkerl“ (MF 19, 66), „Scheißpole“ (MF 132), „Diplomscheißer“ (MF 68), „Verpißt euch“ (MF 98), „eine Punzenwichserin“ (MF 21), „die Schlampe“ (MF 18); „Kotze“ (MF 29), „kotzen“ (MF 19), „kacken“ (MF 175f.), „der verrückte Scheißer“ (MF 60), „Schöne Scheiße mit diesen Parteien!“ (MF 60), „[…] ist mir scheißegal“ (MF 99), „Scheiße! […] Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ (MF 132), „beschissen“ (MF 24), „ein kleiner Pisser“ (MF 177), „keine ausreichende Zeit, um sich gründlich am Arsch zu kratzen“ (MF 37), „Puffl atscher“ (MF 37). 226 Es lassen sich hierzu einige Beispiele nennen, die in den Texten die Anschaulichkeit und sinnliche Bildlichkeit erhöhen sollen: „Sie klang, als ob sich Tausende von Blättern im Sturm prügelten“ (MF 11), „Ihre Augen glänzten wie der frisch geleckte Arsch ihrer Katze“ (MF 22), die Kindheit „war wie meine dunkelblaue Turnhose […]: kurz und ständig beschissen“ (MF 24), „Sein Akzent war grausam wie warmer Wodka“ (MF 99), „Sie war im Anzug wie ein Gewitter über Asien“ (MF 18), „[…], daß ich allmählich versank wie ein durchlöchertes Schiff, das unter Panamafl agge mit Ölladung segelt“ (MF 106), „Mein Kopf war leer wie eine Kiste Wodka, die in die Hände eines deutsch-polnischen Ausschusses zur Bewältigung der gemeinsamen Vergangenheit geraten und in Minuten ausgetrunken war“ (MF 54), „ich wurde zahm wie ein Stück Fleisch 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 255 vulgären Sprachgebrauch) eines der wichtigen Elemente der dargestellten Welt und fungiert als Mittel der Stilisierung: Die Erzählerfi gur repräsentiert nämlich als „ver- fl uchter Mischling“ (MF 143) und Fremder eine gesellschaftliche Randgruppe, ihr umgangssprachliches Idiom beglaubigt den realistischen (und zugleich provokati- ven) Anspruch: Als Außenseiter, „Massenmörder“ (MF 5) duldet er keine Hierarchi- en und Autoritäten. Durch die Sprache wird eine gewisse Distanz zur dargestellten Welt erzeugt. Sie ist demzufolge ein Ausdruck des Protestes und soll provozierend wirken, weil diese Stilform damit in der Nähe von Klischees und Stereotypen in Bezug auf die kulturell und sprachlich „Unangepassten“ steht. Eine Grundlage die- ser anderen Ästhetik ist das distanzierte Verhältnis des Schriftstellers zur deutschen Sprache als Zweitsprache. Diese Distanz ermöglicht den Autoren einen refl ektierten Umgang mit ihrer deutschen „Arbeitssprache“. Es gehört daher sozusagen zu dem Phänomen und man sollte nicht deswegen den ästhetischen Wert dieser Texte herab- mindern, weil dies eben ihre Besonderheit ausmacht.

11.1 Zu den intertextuellen Verweisen in den Migrantentexten

Die deutsch-polnischen Autoren mit „Migrationshintergrund“ machen sich in ihren Texten nicht unbedingt auf die Suche nach einer neuen Sprache, nach einem neuen Idiom, sondern eher nach einer eigenen Ausdrucksweise. Sie lassen darüber hinaus die polnische Sprache, auch wenn diese nicht immer explizit auftaucht, als Reso- nanzboden mitklingen. Das Polnische manifestiert sich auch in den intertextuellen Elementen und ihren deutschen Übersetzungen. Auf diese Weise werden auch die beiden Sprachen, das Deutsche und das Polnische, miteinander in Verbindung ge- setzt. In Beckers (Wodka und Messer, Der Lippenstift meiner Mutter, Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang), Soboczynskis (Polski Tango) und Knapps (Ge- brauchsanweisung für Polen) Texten erscheinen nämlich auch intertexutelle Verwei- se, die als inter- bzw. transkulturelle Aspekte angesehen werden können: Titel bzw. Zeilen polnischer Schlager und Literaturtexte, die in den deutschsprachigen Text integriert werden. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die polnische Literatur, wo- bei die polnischen Literaturtexte in Form von Zitaten (in deutscher Übersetzung) in

auf der Ladentheke eines Biometzgers“ (MF 173), „Der Mann hinter dem Schreibtisch sah wie ein kackender Pavian aus“ (MF 175), „mein Gesicht [wurde] länger als der Schwanz eines Blauwals“ (MF173), die Gedanken „fl ogen wie bekiffte Fledermäuse durch meinen Kopf“ (MF 193), „[e]in Gedanke zappelte in meinem Kopf wie ein sterbender Fisch“ (MF 106), „dabei mit den Armen wie ein betrunkener Surfer fuchtelnd, der gerade versucht, eine Riesenwelle zu besiegen“ (MF 206), „oft kam es mir vor, als würde ich wie der Herr der Gefi ederten in Frankreich leben“ (MF 83), „In dieser Stadt war ich so überfl üssig wie ein Zwölfbeiner bei der Beerdigung eines zweibeinigen Kropfes“ (MGH 90), „mit einem Brustumfang größer als die Umlaufbahn des Saturn um die Sonne“ (MGH 143). 256 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Kontexte eingebettet werden. In Knapps Gebrauchsanweisung für Polen, in dem der „Weichselaphrodite“, der polnischen Frau gewidmeten Kapitel, bedient sich der Schriftsteller beispielsweise eines ins Deutsche übersetzten Zitates aus dem Gedicht der polnischen literarischen Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska Portret kobie- cy (1977), um die Darstellung der polnischen weiblichen Natur, ihre Komplexität sowie ihre Fähigkeit, sich an unterschiedliche Situationen anzupassen, mit diesem intertextuellen Verweis zu betonen:

Ihre Augen sind, wenn’s sein muß, mal blau, mal Grau/Schwarz, lustig, grundlos vol- ler Tränen/Sie schläft mit ihm wie die erstbeste, wie die einzige/auf der Welt/Sie gebärt ihm vier Kinder, gar keins, eines/Naiv, gibt aber den besten Ratschlag/Schwach, erträgt aber jede Last/Sie liest Jaspers und Frauenmagazine/Sie weiß nicht wozu die Schraube und erbaut eine/Brücke/Jung. Wie immer jung. Immer noch jung,/hält in der Hand einen Sperling mit gebrochenen Flügel/und eigenes Geld für eine weite und lange Reise (KGP 102f.).227 Der Name des Übersetzers des Gedichtes wird von Radek Knapp nicht angegeben. Ausgewählte Passagen aus der polnischen Lyrik werden auch von Adam Soboczyn- ski verwendet. Der Schriftsteller widmet in seinem Polski Tango das ganze, als „Der Dichter“ betitelte Kapitel dem polnischen Dichter, Tadeusz Różewicz (1921–2014), dem „Wanderer zwischen den Welten, in Ost und West gleichermaßen beheimatet“ (SPT 181). Soboczynski zitiert Auszüge aus dem 1947 im Gedichtband Niepokój („Unruhe“) veröffentlichten Gedicht Ocalony („Ein Geretteter“) von Różewicz, um mit diesem intertextuellen Bezug dem deutschsprachigen Rezipienten nicht nur die Charakteristika von Różewiczs Werk, „eines der düstersten Zeugnisse des Welt- kriegstraumas in der polnischen Literatur“ (SPT 186), sondern auch das Schicksal der polnischen Kriegsgeneration, den polnischen Freiheitskampf, den Warschauer Aufstand von 1944 sowie das polnische Kriegstrauma zu veranschaulichen:

Ich bin vierundzwanzig / unterwegs zur schlachtbank/bin ich davongekommen. […] // Ich suche einen lehrer und meister / der mir wiedergeben möge / gesichtssinn gehör und sprache / der aufs neue benennt/dinge und begriffe/und der trennen möge/licht und fi n- sternis (SPT 181f., vgl. auch 184).

Was für hohle eindeutige namen / mensch und tier / liebe und haß / feind und freund/ fi nstenis und licht (SPT 182).

Menschen tötet man wie tiere / Ich sah: / lastwagen voll zerstückelter menschen/die nicht erlöst werden (SPT 183).228

227 „Oczy ma, jeśli trzeba, raz modre, raz szare, / czarne, wesołe, bez powodu pełne łez. / Śpi z nim jak pierwsza z brzegu, jedyna na świecie. / Urodzi mu czworo dzieci, żadnych dzieci, jedno. / Naiwna, ale najlepiej doradzi. / Słaba, ale udźwignie. / […] Czyta Jaspersa i pisma kobiece. / Nie wie po co ta śrubka i zbuduje most. / Młoda, jak zwykle młoda, ciągle jeszcze młoda. / Trzyma w rękach wróbelka ze złamanym skrzydłem, / własne pieniądze na podróż daleką i długą‟ (SZYMBORSKA, Wisława: „Portret kobiecy.“ In: SZYMBORSKA, Wisława (1977): Wielka liczba. Warszawa: Czytelnik, S. 27). 228 „Mam dwadzieścia cztery lata / ocalałem / prowadzony na rzeź. […] // Człowieka tak się zabija jak zwierzę / widziałem: / furgony porąbanych ludzi / którzy nie zostaną zbawieni. // Pojęcia są tylko 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 257

Um den „überreizten Literaturbetrieb“ und das von dem polnischen Dichter unge- liebte „literarische[-] Geschäft“ (SPT 185) in seiner Eigenart darstellen zu können, bedient sich Soboczynski auch eines Zitates aus dem Gedicht Sława (dt. „Ruhm“) von Różewicz (1999), dessen Rezeption in Deutschland immens ist und der jahre- lang als einer der verdientesten polnischen Kandidaten für den Literaturnobelpreis galt:

Stets im oktober (an meinem geburtstag) / fragen die mich ob ich mich freue/ daß ein anderer den nobelpreis bekam (SPT 185).229 Wie im Falle des Gedichtes von Szymborska in Radek Knapps Gebrauchsanwei- sung für Polen bleibt auch hier der deutsche Übersetzer ungenannt. Auch Artur Becker führt in seine deutschsprachigen Texte polnische Prätexte (meis- tens in deutscher Übersetzung) ein. In seinem Roman Wodka und Messer (2008), dessen polnische Namen, Formulierungen sowie kulturspezifi sche Begriffe – wie schon erwähnt – in dem am Ende stehenden Glossar versammelt sind und somit zu einer „kulturelle[n] Aufklärung“ des deutschsprachigen Rezipienten beitragen (COR- NEJO 2010: 176), zitiert Becker eine Stelle des Gedichtes Który skrzywdziłeś (1953) von Czesław Miłosz, einem polnischen Exilschriftsteller:

Du, der du dem einfachen Menschen von der Straße / wehgetan hast… […] …der du über sein Leid gelacht, / zusammen mit einer Horde von Narren, / die du um dich geschart, / um das Gute und Böse miteinander zu paaren… (BWM 94f.)230 Becker versucht in seinem Roman seinem deutschsprachigen Leser u.a. mithilfe der bekannten antitotalitären Verse des „kalifornischen Emigranten“, die „die Gedenkta- fel des Schiffsankerdenkmals in Gdańsk“ schmücken und „so etwas wie ein Volks- schlager geworden“ (BWM 94) sind, in denen Miłosz die totalitären Mechanismen und die Versklavung des Individuums refl ektiert, die Spezifi k der jüngsten polni- schen Geschichte zur Zeit des Totalitarismus in Polen und die Solidarność-Revolte der 80er Jahre zu erklären. In Wodka und Messer nimmt Artur Becker auf Ziemia Ulro, den gleichnamigen autobiografi schen, im amerikanischen Exil entstandenen wyrazami: / cnota i występek / prawda i kłamstwo / piękno i brzydota / męstwo i tchórzostwo. / […] // Szukam nauczyciela i mistrza / niech przywróci mi wzrok słuch i mowę / niech jeszcze raz nazwie rzeczy i pojęcia / niech oddzieli światło od ciemności‟ (RÓŻEWICZ, Tadeusz (2000): „Ocalony.“ In: RÓŻEWICZ, Tadeusz: Niepokój. Wybór wierszy. Warszawa: Państwowy Instytut Wydawniczy, S. 14–15, hier S. 14f.). Der erste Gedichtband „Niepokój” von 1947 brachte Różewicz, der im Zweiten Weltkrieg Soldat in den Partisanenabteilungen der polnischen Heimatarmee gewesen ist, vor allem durch den Verzicht auf Reim und Rhythmus den Ruf des Schöpfers einer neuen poetischen Sprache in der polnischen Literatur. 229 „Zawsze w październiku (na moje urodziny) / zapitowywują mnie czy się cieszę / że ktoś inny dostał nobla […]‟ (RÓŻEWICZ, Tadeusz (1999): „Sława.“ In: Odra, Nr. 4 (449), kwiecień 1999 (Jg. 39), S. 36–42, hier S. 40). Zur deutschen Übersetzung vgl. RÓŻEWICZ, Tadeusz (2000): Zweite ernste Verwarnung. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Polnischen übersetzt von Henryk Bereska, München und Wien: Carl Hanser Verlag. 230 „Który skrzywdziłeś człowieka prostego / Śmiechem nad krzywdą jego wybuchając, / Gromadę błaznów koło siebie mając / Na pomieszanie dobrego i złego‟, Czesław Miłosz: „Który skrzywdziłeś‟ aus dem Gedichtband „Światło dzienne‟ (1953). Das Denkmal für die Opfer der Danziger Arbeiterunruhen von 1970 erhielt diesen Vers als Inschrift. 258 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Essayband von Czesław Miłosz (Das Land Ulro, 1977) Bezug. Die alte ermländi- sche – von ihrer Vergangenheit und Gegenwart schmerzlich geprägte – Heimat der Hauptfi gur wird somit mit dem „Land Ulro“, dem „Land der Illusionen, das sich zwischen Himmel und Hölle befi ndet“ (BWM Glossar, 473), dem „Totenreich der austauschbaren Ziffern“ (BWM 148), der Heimat der innerlich Verletzten, Sklaven und Entwurzelten, verglichen (vgl. BWM 148, 163, 193, 276). Der Protagonist, der den letzten Endes misslungenen Versuch gewagt hat, seine ermländisch-masurische Heimat zu verlassen und gegen eine neue deutsche auszutauschen, gehört – wie die anderen Romanfi guren und Czesław Miłosz selbst231 – zu den Bewohnern des „Lan- des Ulro“ (BWM 148). Ebenfalls in dem bisher letzten Roman von Artur Becker werden Bezüge auf das Werk von Czesław Miłosz in den Text implementiert. Schon der Titel des Romans Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang kann als ein intertextueller Verweis – einerseits auf den Bibeltext, den bekannten 113. Psalm, andererseits aber auch auf den Gedichtband von Czesław Miłosz Gdzie wschodzi słońce i kędy zapada (dt. „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“, 1974), sein Opus Magnum232, dessen Titel ebenfalls ein Zitat aus dem 113. Psalm bildet, interpretiert werden. Da literarische Titel oftmals direkte Hinweise zur Aufschlüsselung des Geschehens, des Themas oder des Werksinnes geben, versucht auch Becker auf diese Weise die Be- deutung und Aussagekraft seines Textes zu intensivieren, wie der Emigrant Miłosz, in die Vergangenheit einzutauchen und ein mythologisiertes Bild seiner eigenen Bio- grafi e und seiner ermländisch-masurischen Heimat – wie der Nobelpreisträger seiner litauischen233 – entstehen zu lassen. Becker deutet in dem Glossar auch darauf hin, dass die „in diesem Band versammelten Gedichte und das den Titel gebende Poem […] wohl am besten Miłosz’ europäische Wurzeln und sein synkretisches und kos- mologisches Denken“ (BAS 440) zeigen. Die 1988 nach Westdeutschland ausgewanderte Hauptfi gur des Romans Vom Auf- gang der Sonne bis zu ihrem Niedergang (2013) überträgt „in jeder freien Minu- te“ die Texte von Czesław Miłosz ins Deutsche, was sie als „eine Therapie“ (BAS 46) betrachtet. In dem Text spielt Becker beispielsweise auf das Gedicht Piosenka o końcu świata von Miłosz an (BAS 47), eine Passage ist auch als Motto dem Roman vorangestellt. Es wird darüber hinaus ein Auszug aus dem Gedicht von Miłosz Do Allena Ginsberga in der deutschen Übertragung zitiert. Der Romanprotagonist, der als Dissident in einem polnischen Gefängnis sitzt und sich u.a. der Lektüre der Texte

231 „Mieszkałem w Ulro na długo przed tym, nim dowiedziałem się od Blake’a, jak się ta kraina nazywa, ale nie godziłem się na takie miejsce pobytu. […] Sądzę dzisiaj, że zwiedziłem niezgorzej, w sobie samym okropności Ulro.” („Ich wohnte in Ulro, lange bevor ich von Blake erfahren habe, wie dieses Land überhaupt heißt, war ich aber mit diesem Aufenthaltsland nicht einverstanden. […] Heute bin ich der Meinung, dass ich die Schrecken Ulros in mir selbst, recht gut besichtigt habe.” – übers. von AP), (MIŁOSZ, Czesław (1994): Ziemia Ulro. Kraków: Wydawnictwo Znak, S. 188). „Das Land Ulro” wird auch in Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang als eine der „Lektüreempfehlungen“ des Protagonisten erwähnt (BAS 303). 232 Vgl. MIŁOSZ, Czesław (2004): Gdzie wschodzi słońce i kędy zapada. Gdańsk: wydawnictwo słowo/ obraz/terytoria, S. 7. 233 Vgl. ebd. 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 259 von dem amerikanischen Dichter der Beat-Generation Allen Ginsberg (insbesondere des Gedichtes Howl, 1956) widmet, in denen die Misere einer ganzen Generation so- wie „die kalte Beton-, Glas- und Neonwüste des 20. Jahrhunderts“ (BAS 128) refl ek- tiert und vor der „de[n] westlichen Menschen […] umgebende[n] Leere“ (BAS 251) gewarnt wird, erinnert sich an „einige Zeilen der polnischen Liebeserklärung an den berühmten Beatnik“ und überträgt sie ins Deutsche (BAS 128). Becker bedient sich des Gedichtzitates, um die thematischen Charakteristika von Ginsbergs Schaffen zu betonen, ohne aber auf die Interpretation der zitierten Zeilen einzugehen:

Verlegene Gelächter der Spötter werden in den Museen aufbewahrt, / und sie sind keine große Kunst, sondern ein Andenken / an den Unglauben. // Während dein lästerliches Geschrei weiterhin in der Neonwüste/erschallt, in der der Menschenstamm umherirrt – / verurteilt zur Unwirklichkeit. // Walt Whitmann lauscht uns zu und sagt: Ja, so muss man es tun,/ um die Körper der Männer und Frauen dorthin zu führen, / wo alles seine Erfi ndung fi ndet, wo sie dann in jedem/ verwandelten Augenblick leben werden. // Und so muss man die verzeihen: deine journalistischen Banalitäten, / deinen Bart und deine Perlenketten und die Kleidung eines Rebellen/ aus deiner Epoche (BAS 128f.).234 Der Schriftsteller Becker bezieht sich in seinem Text überdies auch auf einen ande- ren polnischen Dichter (und Emigranten zugleich), den bedeutendsten Vertreter der polnischen Romantik (und ebenfalls Emigranten) Adam Mickiewicz, der – wie der Autor seine Wahl in dem für den deutschsprachigen Leser bestimmten, am Ende des Romans platzierten Glossar begründet – „einen ungeheuren Einfl uss auf den Dich- ter Czesław Miłosz“ ausübte und dessen Werke „wichtige Schlüssel zur Kulturge- schichte nicht nur der poln. Mentalität und Psyche“, einen „universellen Charakter“ hätten und „daher ein kulturelles Erbe der Menschheit“ seien (BAS 436). Die Titel von zwei Romanteilen („Aller Toten Feier“) und einem Kapitel („Die Große Improvisation“) beziehen sich auf eines der bedeutendsten Werke von Adam Mickiewicz und der polnischen Literatur überhaupt, den romantischen Dramenzy- klus Dziady (dt. „Totenfeier“ / „Ahnenfeier“, 1822-1860), der im Pariser Exil zur Zeit der Teilungen Polens entstand. Der Titel des Dramas von Mickiewicz (Dzi- ady) bezeichnet den vorchristlichen, schon zur Zeit Mickiewiczs nicht mehr aus- geübten Brauch der Totenverehrung, den heidnischen Ritus der Beschwörung der Geister der Verstorbenen: Als eine der Romanfi guren Beckers bei ihrem Besuch bei den Verwandten in Deutschland an Allerseelen unerwartet stirbt, hält der aus Polen emigrierte Protagonist die Totenwache, die seine Erinnerungen an seine im sozia- listischen Polen verbrachte Kindheit und Jugendjahre, seine verstorbene Freunde, eine „Zeitreise“ (BAS 386), heraufbeschwört. Den Höhepunkt im dritten Teil der

234 „Wstydliwe uśmiechy ironistów zachowano w muzeach / i nie są wielką sztuką, ale pamiątką niewiary. // Podczas kiedy twój wrzask bluźnierczy dalej rozlega się / w neonowej pustyni, po której błądzi ludzkie plemię / skazane na nierzeczywistość. // Walt Whitman słucha i mówi: Tak, tak właśnie trzeba, / żeby ciała mężczyzn i kobiet zaprowadzić tam, gdzie / wszystko jest spełnieniem i gdzie żyć odtąd będą w każdej / przemienionej chwili. // A twoje dziennikarskie banały, twoja broda i paciorki / i strój buntownika tamtej epoki zostają wybaczone.//” (MIŁOSZ, Czesław (1994): „Do Allena Ginsberga.“ In: MIŁOSZ, Czesław: Na brzegu rzeki. Kraków: Wydawnictwo Znak, S. 30–32, hier S. 31f.). 260 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Totenfeier (Dziady) von Mickiewicz bildet die „Große Improvisation“ („Wielka Im- prowizacja“), in der die zentrale Figur in Dziady III, der Patriot und Rebell, Konrad, der sich selbst für einen Propheten des polnischen Volkes („wieszcz“) hält, sich in seinem Monolog gegen Gott, der das Verbrechen an der polnischen Nation zulässt, richtet und Ihn auffordert, sich zu zeigen und seine Macht mit ihm zu teilen. Konrads Motivation sind die Leiden des polnischen Volkes, dessen sich Gott nicht erbarmt. Artur Becker verwendet in einem Kapitel seines Romans, das den Titel „Die Große Improvisation“ trägt, ebenfalls das Motiv des aufbegehrenden schöpferischen Indi- viduums. Der Protagonist sitzt als Dissident in einem polnischen Gefängnis (ähnlich wie Konrad aus Dziady von Mickiewicz, der in einem Wilnaer Kloster inhaftiert ist, das der russischen Besatzungsmacht als Gefängnis diente) und hält eine Rede, die eine Anspielung auf die „Große Improvisation“ darstellen soll: eine „Improvi- sation über sein geschundenes Land und Leben“ (BAS 408), in dem er sich gegen das sozialistische Regime wendet, gegen „Henker[-], Peiniger[-], Fabrikdirektoren’, Parteisekretäre[-], Priester[-], Staatsbeamte[-] und Handlager[-]“ (BAS 409) des so- zialistischen Systems, die er für das Leiden des polnischen Volkes verantwortlich macht. Die Vertreter des Systems führten nämlich „in der Nacht zum 13. Dezember 1981 […] das Kriegsrecht“ ein (BAS 410). Arek, Beckers Romanprotagonist, teilt mit Konrad aus Dziady III die Motivation, nämlich den Wunsch, seine Landsleute vom Joch der Tyrannei zu befreien, das Gefühl der Liebe und Mitleid mit den „billli- gen Sklaven“, den „Vergessenen“ (BAS 408) sowie seine „Einsamkeit“ (BAS 408). Außer den polnischen Literaturzitaten integrierten – sowohl Artur Becker als auch Adam Soboczynski – in ihre deutschsprachigen Texte deutsche Übersetzungen von Texten der polnischen Popkultur der 1960er und 1980er (Becker) sowie 1990er Jahre (Soboczynski). Um die Sehnsucht nach individueller und kollektiver Freiheit der jungen Generation seines jungen, im sozialistischen Polen lebenden Protagonis- ten zum Ausdruck zu bringen, bedient sich Artur Becker eines polnischsprachigen, schon oben erwähnten Textausschnitts aus dem Liedtext („Chcemy być sobą“) der polnischen Rockband „Perfect“, eines identitätsfördernd wirkenden Protestsongs der jungen Generation in Polen zur Zeit des Kriegszustandes: „(»… chciałbym być sobą jeszcze, chciałbym być sobą wreszcie…, chcemy być sobą jeszcze, chcemy być sobą wreszcie…«)“ (BK 64). Es wird zwar im deutschsprachigen Text darauf hingewie- sen, dass die durch Kursivschrift typographisch hervorgehobenen Zeilen einem pol- nischen Rocklied entstammen, das Zitat selbst wird aber nicht ins Deutsche übersetzt und erscheint in der polnischen Sprache im deutschsprachigen Kontext. Hier muss bemerkt werden, dass die fehlende Übersetzung oder kulturspezifi sche Erläuterung dem deutschsprachigen Leser das Verständnis der Funktion des polnischen Zitates im deutschsprachigen Text erschweren. Es lassen sich in Beckers Texten auch andere Bespiele fi nden: Eine der Figuren des in Warmia/Ermland spielenden Romans Wodka und Messer, dessen Rahmen „ein altes Lied“, nämlich das im Titel genannte „Wodka und Messer“ bildet, „summt“ den Schlager „»Biała Mewa«, »Die weiße Möwe«“ (BWM 269), um dann eine „in den Sechzigern berühmte Rock’n’Roll-Hymne“ zu „rappen“: 11. Zu Hause in der deutschen Sprache: Mehrsprachigkeit und sprachliche Kreativität 261

Sei nicht so hochnäsig, hochnäsig… / Was ziehste so’ne Fratze?! / Was stellste dich so dumm?! / Sei nicht so hochnäsighochhäsighoch… (BWM 269) Es handelt sich dabei um die leicht modifi zierte deutsche Übertragung des Refrains aus dem Schlager der polnischen Band „Czerwone Gitary“.235 Auch in seinem letz- ten Roman Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang (2013) summt eine der Figuren beim Töten der Fische einen „Siebzigerjahreschlager“ „Jak się masz, kochanie, jak się masz? – Wie geht’s dir, mein Schatz, wie geht’s?“ (BAS 332). Die Zitate und die ins Deutsche übersetzten Zeilen der bekannten polnischen Schlager evozieren zwar das polnische Ortskolorit, können aber nur bei einem mit der polni- schen Kultur vertrauten Rezipienten erwünschte Konnotationen hervorrufen. Auch Adam Soboczynski greift in seinem Reisetext auf einen bekannten polnischen Schlager der 90er Jahre zurück. In der symbolischen, im Prolog und Epilog des Textes situierten Szene des Tangotanzes, die einen Rahmen für die Handlung von Polski Tango bildet, wobei der Tango als eine Metapher der hybriden kulturellen Identität des deutsch-polnischen Protagonisten und der deutsch-polnischen Bezie- hungen erscheint, zitiert Soboczynski einige Zeilen des Textliedes der polnischen Sängerin Kayah „Ta-Bakiera“ (1999), einem von der Sängerin emotional gesunge- nen, „langsame[n] Tango“ , einem „Retro-Stück“ (SPT 7), um die Stimmung sowie das polnische Lokalkolorit zu evozieren:

Laß den Tabakbeutel hier, laß ihn mir für immer, als ein Zeichen deiner Liebe – „Na zawsze zostaw, jak znak miłości twojej.“ „Laß den Tabak mich langsam vergiften“ – „Niech truje mnie powoli“ (SPT 8, 11, 203).236 Resümierend lässt sich feststellen, dass die intertextuellen Verweise und die Integra- tion der deutschen Übersetzungen bzw. Übertragungen der polnischen Literatur- und Liedtexte in den deutschsprachigen Kontext auf jeden Fall zum inter- bzw. transkul- turellen Potential der Migrantentexte beitragen, weil durch ihre Integration in die deutschsprachigen Texte zugleich eine Integration von Elementen der polnischen Kultur erfolgt, was als ein fester Bestandteil dieser Texte erscheint.

235 „Nie zadzieraj nosa / Nie rób takiej miny / Nie udawaj Greka / Zmień się lepiej, zmień!” (Text: Marek Gaszyński, Musik: Seweryn Krajewski, LP: „To właśnie my“, 1966); „Biała mewa“ ist ein populäres polnisches Lied (Text: Rajmund Fleszar, von mehreren Sänger gesungen, u.a. Janusz Laskowski). 236 „Ta-bakiera“ (Text: Kayah, Musik: Goran Bregovic, in: Kayah&Bregovic, 1999 ZIG-ZAC Music Company 1999).

Fazit

Die gegenwärtige Literatur lässt sich sprachlich oder kulturell nicht unbedingt ein- deutig verorten. Angesichts des globalen Feldes bzw. der gesellschaftlichen Verän- derungen in den Gegenwartskulturen entziehen sich viele Menschen (darunter auch Schriftsteller) nationalen und kulturellen Zugehörigkeiten (zugunsten den transna- tionalen) und brechen monokulturelle Entwicklungen auf, was die Mobilität sowie die sozioökonomischen, politischen und kulturellen Umstände der Gegenwart auch ermöglichen. Daher entspricht der transkulturelle Ansatz – gegenüber dem in den 1990er Jahren zentralen Paradigma der Interkulturalität – wahrscheinlich eher der gegenwärtigen Realität in der Kultur und infolgedessen auch in der Literatur, weil er Offenheit, Bewegung, Dynamik, Mischung sowie Hybridcharakter in den Mittel- punkt rückt. Welschs Konzept der Transkulturalität, das auf Offenheit und Dynamik zwischen Kulturen setzt, wurde in Abgrenzung zur traditionellen Auffassung, nach der jede Kultur ein nach außen abgegrenztes Ganzes darstelle und an eine homogene Ge- meinschaft sowie einen spezifi schen Ort gebunden sei, konstruiert, weil diese Vor- stellung dem Zustand der Welt von heute nicht mehr angemessen ist. Zwischen den Kulturen kam es zwar schon immer zu Grenzüberschreitungen, Überschneidungen und Überlappungen, die Intensität dieses Prozesses nimmt aber in der Zeit der Glo- balisierung und Migration deutlich zu. Der Begriff und die Vorstellung von Kultur verändern sich radikal. In der heutigen globalisierten Zeit, die durch uneingeschränk- te Mobilität und kulturelles Nomadentum geprägt ist, bereitet auch die Terminologie gewisse Schwierigkeiten. Solche Begriffe wie ethnische oder kulturelle Identität, Emigration bzw. Migration sind nicht unbedingt eindeutig defi nierbar. Kulturen können nicht mehr territorial verortet werden. Die Grenzen zwischen Kulturen und Identitäten werden fl ießend, die Identitäten hybrid bzw. individuell (re)organisiert sowie konstruiert. Die territorialen Zugehörigkeiten (Verbindungen) verlieren an Bedeutung. Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Blanc-Szanton machen auf die länderübergreifenden Praktiken von Migranten aufmerksam und beschreiben „transnationale Migration“ als grenzüberschreitende Prozesse von Migrantengrup- pen – „Transmigranten“, deren „Netzwerke, Aktivitäten und Lebensmuster“ ihre Gast- und Heimatgesellschaften miteinander verbinden (vgl. GLICK-SCHILLER/BASCH/ BLANC-SZANTON 1997: 81; GLICK-SCHILLER/BASCH/BLANC-SZANTON 1995). Heutzutage befi nden sowohl Kulturen als auch Literaturen „in Bewegung“ (vgl. KIMMICH/SCHAHADAT 2012; HENSELER/MAKARSKA 2013). Die Schriftsteller werden ebenfalls zu „modernen Nomaden“ (TREPTE 2000: 255), die ihren Wohnort subjektiv 264 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 und freiwillig wählen. Auf diese Weise entsteht eine Literatur der „Hybridität“, der „Transgression“, die sich nationaler Vereinnahmung entzieht. Diese „Transmigranten“ der Gegenwartsliteratur besitzen ein kreatives Potential, bilden hybride bzw. multiple Identitäten aus und sind in zwei Kulturen verankert, an denen sie teilnehmen. Auf diese Weise nimmt die deutsch-polnische Migranten-, Migrationsliteratur eine Sonderposition ein: zwischen bzw. in zwei Literaturen und Kulturkreisen. Das von Homi K. Bhabha vorgeschlagene Konzept „third space“, des „dritten Raumes“ (RUTHERFORD 1990; BHABHA 1994) kann in diesem Zusam- menhang zur Anwendung kommen, weil es die Metapher für symbolische Orte des Übergangs, kultureller Übersetzung und permanenter Transformation darstellt. Der dritte Ort versammelt als dazwischen liegender Ort die angrenzenden Gebiete. Das Konzept der Hybridität stellt außerdem die Vorstellung einer „reinen“, „essentiellen“ Kultur in Frage. Als Zwischen- bzw. Übergangsraum ermöglicht (und erfordert) der „Dritte Raum“ spezifi sche kulturelle Aktivität (vgl. TOMAS 1996: 21) sowie den Kul- turkontakt und -austausch und bildet eine kulturell hybride Zone, in der kulturelle Hierarchien und Differenzen zwar nicht beseitigt, aber verwischt werden können. Wichtig erscheinen m. E. auch die in dem Aufsatz von Chiellino vorgeschlagenen Komponenten, die von der „interkulturellen Authentizität“ als ästhetischem Kern dieser Literatur zeugen: die „Entstehung eines interkulturellen Gedächtnisses“, die „dialogische Zusammensetzung der Sprache“ sowie die „Präsenz eines interkultu- rellen Gesprächspartners als Leser und neben dem impliziten Leser aus der eigenen Kultur“ (CHIELLINO 2000b: 395). Auf dieser Basis entstehen Werke, die sich weder auf die eine noch auf die andere Literaturtradition zurückführen lassen, einen neuen Ort der kulturellen (und literarischen) Begegnung (im Sinne Bhabhas), einen trans- nationalen (und transkulturellen) Raum bilden. Für die ostmitteleuropäische Geschichte und Tradition (vor allem der multiethni- schen Adelsrepublik Res Publica Polonia bzw. der Habsburgermonarchie) waren komplexe Prozesse eines Kulturaustausches von langer historischer Dauer und somit die transnationale und transkulturelle Symbiose ohnehin charakteristisch. Jahrhun- dertelang entzogen sich die Bewohner Ostmitteleuropas national bzw. kulturell ein- deutigen Zuschreibungen. In Ost- und Westpreußen, Ermland, Masuren, im Posener Gebiet, in Oberschlesien oder Galizien existierten verschiedene Sprachen, Polnisch und Deutsch, in Galizien wohl auch Ukrainisch und Jiddisch, nebeneinander, die Literatur wurde in mehreren Sprachen publiziert und das Leben kennzeichnete eine Polikulturalität. Die deutsch-polnischen literarischen „Transmigranten“ der Gegenwart können ei- nerseits zwar als „Produkte“ des Globalisierungsprozesses gelten, andererseits aber bilden sie im Grunde keinen „Sonderfall“ in den deutsch-polnischen Kultur- und Literaturbeziehungen, vielmehr – in einem gewissen Sinne – eine Fortsetzung schon längst bekannter kultureller Praktiken. Dem Deutschen, das an der Schnittstelle zwischen dem germanophonen und polonophonen Gebiet seit Jahrhunderten als Verkehrssprache diente, wird eine neue Rolle zugewiesen: Es verliert seine „klassi- sche“ Funktion, homogene nationale Identitäten zu begründen. In der deutsch-pol- nischen Migrantenliteratur erfüllt die deutsche Sprache als literarisches Ausdrucks- Fazit 265 mittel die Funktion eines Transitraumes, einer -zone (vgl. ADAM/HAHN/PUCHALSKI/ ŚWIATŁOWSKA 2007b), eines Ortes der gegenseitigen Durchdringung und Verfl ech- tung des Kulturellen und der Transformation nationaler Zugehörigkeiten und der kulturellen Identität. Die Literatur der deutsch-polnischen Schriftsteller, die sich „in einem Grenzraum zu den Nationalkulturen“ befi ndet (AMODEO 1996: 70), wird auf diesem Wege zum dritten Ort, der sich ebenfalls allen eindeutigen nationalliterari- schen Zuschreibungen entzieht. Artur Becker, Sabrina Janesch, Radek Knapp, Dariusz Muszer und Adam Soboczyn- ski gehören zu denjenigen Schriftstellern, deren Bemühungen in die transkulturelle Richtung gehen und somit die die deutsch-polnische literarische Kommunikation auf eine bestimmte Art und Weise erneuern sowie – zumindest potentiell – eine neue Qualität in den Kulturdialog einbringen. In Polen geboren, in unterschiedlichem Al- ter nach Deutschland bzw. Österreich migriert, vollzogen sie einen Sprach- und (wo- möglich) Identitätswechsel. Es muss dabei betont werden, dass sich die Schriftsteller subjektiv und individuell für die deutsche Sprache als Literatursprache entschieden und sich auf diese Weise – zumindest in ihren literarischen Texten – von ihrer Erst- sprache abgenabelt sowie den klassischen Kreis von Adressaten bestimmt haben.237 In dieser Reihe bildet Sabrina Janesch einen Sonderfall, weil sie – im Gegensatz zu den anderen Autoren – nicht in Polen, sondern in Deutschland als Tochter deutsch- -polnischer Eltern zur Welt gekommen und von Kindesbeinen an zweisprachig auf- gewachsen sowie sozialisiert ist. Obwohl die deutsch-polnischen Autoren mit „Migrationshintergrund“ von der Li- teraturkritik oft auf ihre Herkunft und Identität zurückgeworfen und durch die Bin- dung an ihr Heimatland defi niert werden, ist es allen sechs AutoriInnen gelungen, mit ihren literarischen Texten Aufmerksamkeit in der neuen Heimat bzw. im Gast- land zu erreichen. Obschon sie ihre Texte in der deutschen Sprache verfassen, werden in ihnen (Becker, Muszer, Knapp, Janesch und Soboczynskis Polski Tango) vor allem Erinnerungen sowie Eindrücke aus ihrem Herkunftsland (Becker, Knapp, Muszer, Soboczynski) oder dem Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern (Janesch) literarisch verar- beitet. Dariusz Muszer (Der Echsenman, Die Freiheit riecht nach Vanille), Artur Becker, Radek Knapp (Franio, Herrn Kukas Empfehlungen), Sabrina Janesch (Kat- zenberge, Ambra) und Adam Soboczynski (Polski Tango) situieren ihre Texte in ei- nem kulturellen Zwischenraum und verweisen dabei oft und deutlich auf Polen als das Herkunftsland ihrer Protagonisten bzw. auf ihre deutsch-polnische Verwurze- lung (Janesch). Ihre historischen Räume erstrecken sich von der polnischen über die deutsch-polnische bis zur deutschen Geschichte, ihre literarischen Topografi en vom Ermland-Masuren über Schlesien, das ehemalige Galizien und Danzig bis Bremen und Berlin. Es werden also bewusst solche Regionen gewählt, in denen gegenseiti- ge Beeinfl ussung und Vernetzung unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeiten, das Transkulturelle, ihre grundlegende Eigenschaft bildete. Die literarischen Texte the-

237 Dariusz Muszer ist literarisch bilingual (im Deutschen und Polnischen) tätig. 266 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 matisieren den komplexen Prozess der Entwicklung von Identitäten im kulturellen Zwischenraum im Zuge der migratorischen Erfahrungen. Die Migration, Inter- bzw. Transkulturalität, die Existenz zwischen (oder in) meh- reren Kulturen ist aber eng mit der Identitätsproblematik, der (Selbst-)Bestimmung verbunden, die auch ihren Niederschlag in den literarischen Texten fi ndet. Die Au- toren beschäftigen sich mit den Fragen der nationalen und kulturellen Identität, die „schwankt, doppelt oder bipolar“ (TREPTE 2008: 198) sein kann. Beckers, Muszers, Janeschs und Soboczynskis Protagonisten sind Migranten mit hybrider bzw. nicht eindeutig defi nierbarer Identität (wie im Falle von Felixa), weil sie entweder aus Regionen stammen, in denen die kulturelle Hybridität sowie die Transkulturalität sich jahrhundertelang – infolgedessen auch in den Familienwur- zeln der Figuren - manifestierte (Beckers Warmia/Ermland, Janeschs Schlesien und Danzig, Soboczynskis Masuren) oder aus dem Weltall bzw. der deutsch-polnischen Grenzregion (Muszer). Darüber hinaus überschreiten sie gesellschaftliche und kultu- relle Grenzen (Becker, Janesch, Knapp, Muszer, Soboczynski) oder vermeiden jede nationale bzw. kulturelle Zugehörigkeit (Felixa).238 Artur Becker, Magdalena Felixa, Sabrina Janesch, Radek Knapp, Dariusz Muszer und Adam Soboczynski richten ihre Werke bewusst an den deutschsprachigen Re- zipientenkreis, was sich nicht nur an der Wahl der Literatursprache, sondern auch – in den meisten Fällen – an den Themen ihrer Texte erkennen lässt. In die Rol- le eines Kulturvermittlers geschlüpft, übersetzen sie die polnische/osteuropäische Kultur „ins westeuropäische Idiom“ (DRYNDA 2010: 344), berichten über Zustände im östlichen Europa, die ihnen kulturell vertraut vorkommen. Mit Ausnahme von Felixas Roman sind es in den meisten Fällen Geschichten über Polen und die Polen, ihre Besonderheiten, Kultur und Mentalität, über polnische Geschichte, aber auch – m.E. ein relevantes Thema der Texte – die deutsch-polnischen bzw. österreichisch- polnischen Erinnerungsräume (Ermland-Masuren, Galizien, Großpolen, Schlesien, Danzig, Wien) mit ihren mehrfachen kulturellen Zugehörigkeiten, Berührungspunk- te des gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses sowie der Kulturen, die deutsch-pol- nische Vergangenheit bzw. die österreichisch-polnischen Beziehungen (Knapp), die dem deutschsprachigen Leser auf verständliche Art und Weise erklärt werden. Oft trägt die Literatur der deutsch-polnischen Schriftsteller mit „Migrationshinter- grund“ bis zu einem gewissen Maße autobiografi sche Züge, was einerseits als Folge der Begegnung mit einer anderen Kultur und einem anderen Land, andererseits als Selbstinszenierung verstanden werden kann. Laut Hans-Christian Trepte versichern sich die Schriftsteller nicht selten ihrer neuen in dem Gastland erworbenen Identität und erzählen „eine mehr oder weniger stimmige Geschichte von sich selbst und der erfahrenen Gemeinschaft“, wobei diese Gemeinschaft auch eine fi ktive sein kann

238 Magdalena Felixas Text gilt als Einzelerscheinung unter den in der vorliegenden Publikation behandelten Autoren, weil die Schriftstellerin ihre polnische Herkunftskultur im Text unsichtbar macht, auf Anspielungen darauf fast vollkommen verzichtet und die Nomadenexistenz schlechthin zum Thema ihres Romans macht: Ihre Protagonistin besitzt, wie erwähnt, keine eindeutig defi nierbare Identität, keinen festen Wohnort, bleibt anonym, wechselt ihre Namen und Beschäftigungen. Fazit 267

(TREPTE 2000: 258). Diese Selbstpräsentation dient außerdem oft der leserbezogenen Selbstinszenierung bzw. Selbststilisierung der Autoren, die auch in der (literarischen) Öffentlichkeit zu einem bedeutenden Faktor ihres Schriftstellerbildes mit „Migrati- onshintergrund“ wird (wie z.B. bei Becker, Knapp, aber auch Janesch und Muszer festzustellen ist), zumal die Bedeutung des Außenliterarischen sowie der Kommer- zialisierung in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Die Rolle des Literaturbe- triebes, der bei der Vermarktung konsequent auf den „Migrationshintergrund“ setzt, muss selbstverständlich dabei auch kritisch hinterfragt werden. Unabhängig davon aber führt die Begegnung mit dem Gastland und seiner Kultur wiederum zu einer literarischen Auseinandersetzung mit dem Herkunftsland (z.B. Knapp, Beckers Ro- mane, Soboczynskis Polski Tango). Die Handlungen aller Romane von Artur Becker spielen beispielsweise in den gleichen geografi schen und kulturellen Räumen: in Deutschland, wohin seine Protagonisten migrieren, und im polnischen Warmia/Erm- land, wo die Hauptfi guren aufgewachsen sind und wohin sie immer wieder zurück- kehren. Beckers Figuren pendeln ununterbrochen zwischen dem deutschen und dem polnischen Kulturraum. Janeschs Protagonistinnen (Katzenberge, Ambra) sind auch „auf Wanderschaft“ zwischen dem polnischen und deutschen Kulturkreis, zwischen der deutschen und der polnischen Geschichte. Die Schriftsteller platzieren ihre Texte in einem kulturellen Zwischenraum und für ihre Figuren ist ihr ethnisches und geo- grafi sches Grenzgängertum charakteristisch. Beckers, Janeschs, Knapps, Muszers und Soboczynskis Figuren überschreiten die politischen und kulturellen Grenzen, was zu einer Vielfalt hybrider Lebensweisen, neuer Grenzziehungen und Grenzüber- schreitungen, Übergänge, Neuverortungen und kultureller Transformationen führt. Mit Ausnahme der „Deutsch-Polin“ (KITTEL 2010: 28) Sabrina Janesch haben sich die deutsch-polnischen Autoren „mit Migrationshintergrund“ für die deutsche Spra- che als Schreibsprache sowie die deutsche Mehrheitskultur entschieden. Von ent- scheidender Bedeutung scheint dementsprechend die Rolle des Sprachwechsels und seiner Wirkung auf das literarische Schaffen zu sein. Die andere Sprache kann zu einem gewissen Filter werden, zu den neuen Kleidern, die den Schreibenden von nationalen Tabus und dem nationalen Kontext befreien. Da sich die deutsch-pol- nischen Schriftsteller in ihren Texten (und nicht selten auch in ihrem Leben) zwi- schen Sprachen und Kulturen bewegen, werden sie oft zu bewussten Vermittlern zwischen Sprachen und Kulturen. Auf diese Weise bilden die inter-, transkulturellen Schriftsteller „ein über Grenzen hinweg geschleudertes Netz von Brücken“ (MUSZER 1996: 4), die zwischen Kulturen vermitteln. In diesem Kontext sind – neben Beckers und Janeschs Romanen – vor allem Knapps Gebrauchsanweisung für Polen (2005) und Soboczynskis Polski Tango (2006) – erwähnenswert, die als „Polenbücher“ (TREPTE 2013b: 278) einerseits beim deutschsprachigen Leser Neugier für Polen wecken wollen, andererseits auch unterschiedliche Perspektiven – eine Außen- und Binnensicht – auf den polnischen Kulturkreis vereinen. Dies refl ektiert sich in der kritischen Sichtweise auf die „alte“ Heimat in neuen Werten und Wertungen (vgl. SCHLOTT 2004: 11). Der Leser wird mit einer „perspektivischen Wahrnehmung des Anderen mit dem verfremdeten Blick auf das Eigene“ konfrontiert (SCHLOTT 2004: 176). Es handelt sich dabei nicht um objektive Bestandsaufnahmen oder Analysen 268 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989 der wirklichen Lage im Spannungsfeld von „Polen und Deutschen“ bzw. von „Ost- West“, sondern (insbesondere bei Knapp, Muszer, z.T auch bei Becker) „um das Zustandebringen einer lesefreundlichen Bekräftigung bestehender Klischees“, wie Maciej Drynda bemerkt (DRYNDA 2010: 336). Durch das Aufgreifen von Stereoty- pen und Klischeevorstellungen refl ektieren die Autoren in ihren literarischen Texten aber nicht nur die eigene kulturelle und persönliche Situation, sondern spiegeln auch diejenigen Bilder und Haltungen wider, die sozusagen „von außen“ seitens ihrer deutschsprachigen Rezipienten (des Lesepublikums und auch der Literaturkritik) an sie herangetragen werden. Artur Becker, dessen Texte nicht selten autobiografi sche und autothematische Züge tragen, bekennt sich – sowohl in seinen Texten als auch in den Medien – zu seiner osteuropäischen (polnischen) Herkunft, bezeichnet sich selbst als einen polnischen Emigranten, der sich in Deutschland „oft als Zaungast“ fühle (zit. nach: NOMMEL 2008), lässt seine Figuren sich ununterbrochen in sein polnisches (ermländisches) Heimatland begeben und versucht, seinem deutschen Leser die polnische Nach- kriegsgeschichte sowie die 1989 begonnene Transformation zu erzählen. Der Schau- platz transkultureller Lebensformen ist in Beckers Texten der ermländische Raum (die ehemalige nordöstlichste deutsche Provinz), in Anlehnung an Sławomir Piontek ein „Interferenzraum“ (PIONTEK 2012: 140), ein Gebiet, auf dem der wechselseitige kulturelle Austausch und gegenseitige Einfl ussnahme stattgefunden hat und zugleich die Herkunftsregion Beckers, in der der 1968 im ermländischen Provinzstädtchen Bartoszyce zur Welt gekommene Schriftsteller die Schauplätze seiner Werke mit Vorliebe ansiedelt. In der ermländischen Landschaft, in den Dörfern und Kleinstäd- ten um den Dadajsee, spielen fast alle seiner Texte. Die Heimat des Schriftstellers ist „ein Dritter Raum imaginärer Geographie“, der „quer […] zu den Realitätszwängen wirklicher Städte, Länder und Nationen“ (BACHMANN-MEDICK 1998: 30, 32) zu ver- laufen scheint und das Gemüt der Figuren Beckers prägt. Beckers Migrantenhelden müssen ihr ermländisch-masurisches Zuhause verlassen, um ihre Identität und kultu- relle Zugehörigkeit erkennen zu können. In dem ermländischen Raum fi nden sie ein gewisses Selbstbewusstsein und Halt. In seinen Figuren (wie in ihren Familienge- schichten) verschwimmen nationale und kulturelle Grenzen und ihre Lebensräume gestalten sich über territoriale und zeitliche Grenzen hinweg. Die grenzüberschreitenden Protagonisten von Muszers deutschsprachigen Romanen, Die Freiheit riecht nach Vanille (1999) und Der Echsenmann (2001), sind nicht ein- fach polnische bzw. osteuropäische Emigranten, sondern kommen als Außerirdische von einem fremden Planeten, wechseln chamäleonartig und bewusst ihre Identität, versuchen sich der Gastkultur erfolglos anzupassen und gelten infolgedessen als am Rande der Gastgesellschaft stehende Außenseiter. Muszer bedient sich der Metapher eines außerirdischen Wesens und verleiht dadurch seinen Protagonisten eine uni- verselle Dimension: Sie verweigern sich jeglicher nationaler Vereinnahmung und sind die Verkörperung des Fremden schlechthin.239 Der Schriftsteller thematisiert in

239 Beachtenswert ist hier die Parallele zu Stanisław Barańczak: Für den osteuropäischen in den Westen kommenden Fremdling hat der in den USA lebende (nach der Ausrufung des Kriegsrechts 1981 im Exil Fazit 269 seinen deutschsprachigen Romanen die Konfrontation mit dem Fremden, dem Ande- ren, wie auch die Marginalisierung der von außen Kommenden (Die Freiheit riecht nach Vanille, Der Echsenmann, Gottes Homepage). Wie die Hauptfi gur von Muszers Der Echsenmann verwenden auch die Elternfi - guren in Soboczynskis Polski Tango die Taktiken im Sinne der Camoufl age, des „Unsichtbar-Werdens“ und der Chamäleonstrategien, um sich an die deutsche Ge- sellschaft anzupassen und erfolgreich sein zu können. Als Migranten schlüpfen sie in die ihnen in der neuen Heimat von außen zugewiesenen Rollen. Während Artur Becker dem ermländisch-masurischen Hintergrund seiner Romane, ihren „polnischen“ Inhalten sowie dem deutsch-polnischen Grenzgängertum seiner Protagonisten treu bleibt, erfährt das literarische Werk von Radek Knapp, Dariusz Muszer, Adam Soboczynski eine gewisse Wandlung. In seinem literarischen Debüt- text thematisiert Soboczynski zwar die Befi ndlichkeit eines Migranten in seiner neu- en Heimat (Polski Tango, 2008), greift aber – sprachlich und sozial vollkommen in- tegriert – in seinen später erschienenen literarischen Texten (Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung, 2008; Glänzende Zeiten. Fast ein Roman, 2010; Das Buch der Laster. 29 Ausschweifungen, 2012) auf andere Themen zurück, die weit über die Migrantenthematik hinausgreifen und Distanz sowohl zu seinem Herkunftsland wie auch zu der neuen Heimat demonstrieren. Soboczynski, in seinem Alltag als anerkannter Redakteur der ZEIT tätig, konzentriert sich auf die Beobachtung und ironische Darstellung universeller menschlicher Verhaltensweisen und Macken. Für einen ähnlichen Schritt entschieden sich auch Radek Knapp und (partiell) Da- riusz Muszer, die sich in ihren letzten Romanen (Knapps Reise nach Kalino und Muszers Gottes Homepage) des Genres des SF-Krimis bedienen. Radek Knapp, des- sen Erzählungsband Franio (1994) und dessen Roman Herrn Kukas Empfehlungen (1999) zwar von dem Zusammenspiel des polnisch-österreichischen und – im Fal- le von Gebrauchsanweisung für Polen – des deutsch-polnischen Kontextes sowie dem literarischen Grenzgängertum geprägt sind, versucht aber in dem Roman Der Papiertiger (2003) und in seinem bisher letzten Text (Reise nach Kalino, 2012), neue Wege zu beschreiten. Im Vergleich zu Knapps Reise nach Kalino mangelt es Muszers Gottes Homepage an bewusster Distanz zum polnischen/osteuropäischen Herkunftsland, weil der Autor im Text mehrmals auf die polnische/osteuropäische Nachkriegsgeschichte anspielt. Beckers, Knapps und Muszers Texte stehen in der Tradition des europäischen Schel- menromans. Des Öfteren sind es nämlich Lebensberichte eines „Schelmen“: Ein aus dem Osten stammender Picaro wird in die (westliche) Welt verschlagen, unter die Bösen, Menschen also, die nicht immer ihm freundlich gesinnt sind, versucht sein gebliebene) Stanisław Barańczak eine treffende Bezeichnung gefunden. Er spielte auf Steven Spielbergs Film über einen Außerirdischen (E.T./Extra Terrestrial) an und führte die Kategorie des E.E. („East European“), eines exotischen Aliens, des Ankömmlings aus Osteuropa, ein (vgl. BARAŃCZAK 1990: 195). Barańczak sah „Parallelen wie Unkenntnis und Berührungsängste seitens der Umgebung, die im jeweils anderen Wesen eine unbekannte Spezies vermutet, deren Konfrontation mit der westlichen Welt wiederum einer zivilisatorischen Schockerfahrung gleichkommt“ (BEHRING/ BRANDT/ KLIEMS/TREPTE 2004). 270 Fließende Identitäten. Die deutsch-polnischen Autoren mit Migrationshintergrund nach 1989

Glück in allen möglichen Unternehmungen, muss sich bewähren (manchmal beinahe ums Überleben in der westlichen Welt kämpfen) und kehrt reifer und ohne Illusionen zurück. Das entscheidende Kompositionsprinzip ist auf die Abenteuerkette ausge- richtet (Muszers sowie Beckers Romane, Knapps Herrn Kukas Empfehlungen). Ob- wohl sie keine Bösewichte ohne Skrupel sind und keine kriminellen Züge besitzen (eine Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang Muszers Naletnik aus Die Freiheit riecht nach Vanille), bewegen sich Beckers, Knapps und Muszers pikareske Helden am Rande der Gesellschaft, am Rande der moralischen und ästhetischen Normen, was häufi g durch ihre Migrantenposition, ihre Herkunft, ihren Sprachhintergrund, ihr kulturelles Kapital (Haltung, Fähigkeiten und soziale Netzwerke) bedingt ist. Die Verhältnisse in der jeweiligen Gesellschaft spiegeln sich in der Lebensgeschichte des Helden wider und diese gesellschaftlichen Verhältnisse werden von den Autoren in spielerisch-provokatorischer, satirischer, desillusionierter Weise dargestellt (Knapps Herrn Kukas Empfehlungen, Muszers Die Freiheit riecht nach Vanille, Der Echsen- mann, Gottes Homepage). Eine gewisse literarische Provokation scheint der Schlüs- selbegriff der Schelmenromane sowie der literarischen Methode z.B. Muszers und Knapps zu sein. Demgegenüber liegt der Erfolg von Sabrina Janeschs Romanen (Katzenberge, Amb- ra), die inzwischen große Anerkennung des deutschsprachigen Lesepublikums und der deutschsprachigen Literaturkritik genießen, teilweise – neben ihrer ästhetischen Qualität – in ihrer deutsch-polnischen Thematik begründet. Die „Weltbürgerin“ Magdalena Felixa, für die sich der Heimatbegriff mit dem Un- terwegssein verbindet (vgl. WILKE 2005), ist in ihrem einzigen Roman Die Frem- de (2005) thematisch am weitesten vom deutsch-polnischen Kontext entfernt. Die prägende Thematik ihres Schaffens ist die menschliche Universalerfahrung der Fremdheit sowie die Nomadenexistenz des modernen Menschen und seine Heimat- losigkeit. Im Roman Fremde von Magdalena Felixa werden alle Hinweise auf das Herkunftsland der Schriftstellerin minimalisiert. Mit Recht verweist Trepte darauf, dass Felixa als Repräsentantin der „Schriftstellernomaden“, eine geografi sche, kul- turelle und sprachliche Verortung scheue und sich „im Niemands- bzw. Zwischen- land zwischen Sprachen, Kulturen und Identitäten“ wohlfühle (TREPTE 2013b: 279). Im Falle ihres Romans Die Fremde (2005) handelt es sich um Felixas Romanpro- tagonistin, die als Nomadin ständig auf der Wanderschaft ist und sich mit keiner eindeutigen Herkunftskultur identifi ziert, sondern die Komplexität postmoderner Identitätsbildung, bewusst gewählte Entwurzelung, Transnationalität und Mehrspra- chigkeit verkörpert. Da die deutsch-polnischen Autoren sowohl in ihren Texten als auch oft in ihrem Alltag zwischen Sprachen und Lebensformen wechseln müssen, öffnet sich auch in ihrer deutschen Literatursprache – so wie in „third space“ – ein produktiver Zwischenraum, ein Kreuzungspunkt der Ordnungen und Systeme, der nicht vom Entweder-oder, sondern von der Denkfi gur des Sowohl-als-auch geprägt ist. Zwar haben wir es im Falle der deutsch-polnischen transkulturellen Autoren weder mit einer sprachexperimentellen Prosa noch mit „eine[r] innovative[n] hybride[n] Spra- che“ (ESSELBORN 2009: 46), sondern mit eher traditionellen Erzählweisen zu tun, die Fazit 271

Schriftsteller nutzen aber sprachlich-kommunikative Elemente aus beiden sprachli- chen bzw. kulturellen Systemen und verwenden in ihren Texten auch polnischspra- chige Einschübe im deutschsprachigen Kontext. So werden etwa Elemente sowohl der Herkunftssprache als auch der Sprache der Aufnahmegesellschaft in einem ge- mischten Sprachcode verwendet. Das Polnische ist daher im deutschen Text prä- sent, in der häufi gen Verwendung der muttersprachlichen Termini, in den deutschen Übersetzungen und Übertragungen. Die Mehrsprachigkeit verleiht einerseits den Texten eine besondere ästhetische Qualität, auf diese Weise werden aber auch zwei Kulturen in ihren Texten nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern auch in der sprachlichen Gestaltung in Verbindung gebracht und die hybride Identität wird ge- wissermaßen auch im Medium der Sprache gebildet. Die Literatur der deutsch-polnischen AutorInnen „mit Migrationshintergrund“ setzt – mittels der deutschen Sprache – verschiedene biografi sche und kulturelle Kontexte zueinander in Beziehung. Sie wird zu einem sich in Bewegung befi ndenden sowie von Transnationalisierungsprozessen geprägten Ort des Übergangs, in dem stabile, kulturelle Inhalte sowie homogene nationale Identitäten aufgegeben werden können und das Deutsche, einstmals eine Kommunikationssprache in Ostmitteleuropa, seine historische, über die deutsche Staatlichkeit hinausgehende Wirkung und Funktion zurückgewinnen kann.

Verwendete Abkürzungen

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TECHNISCHES LEKTORAT / KOREKTA TECHNICZNA Blanka Szywalska

SATZ / SKŁAD I ŁAMANIE Wojciech Wojewoda

Wydawnictwo Uniwersytetu Jagiellońskiego Redakcja: ul. Michałowskiego 9/2, 31-126 Kraków tel. 12-663-23-81, 12-663-23-82, fax 12-663-23-83