ZDF „“-Szene mit britischen Bombern (Simulation): Nichts wird mehr so sein wie vorher

TV-ZEITGESCHICHTE Von der Couch in die Hölle Sinnlich, Hollywood-perfekt und berührend greift das TV-Movie nach den Dramen der Historie. Nach „Luftbrücke“ und „Die Sturmflut“ gelingt dem Produzenten Nico Hofmann mit „Dresden“ der dritte Geniestreich: großes Fernsehen direkt aus dem Inferno von 1945.

uft, Wasser, Feuer und, na klar, die greifen. Außerdem eine Sprache der filmi- „Dresden“, der grandiose Zweiteiler, Liebe – die Geschichte muss mehr schen Perfektion, die sich besonders an- blättert die Zerstörung einer der schönsten Lsein als das, was zwischen die Deckel strengt, wenn es gilt, das Sein der Ge- Städte der Welt ohne Rücksicht auf die der schlauen Bücher passt. Damals, heute schichte zu beschreiben, nicht so sehr das Nerven der Zuschauer auf, in all ihrer und in Ewigkeit – es sind die Elementar- Bewusstsein. Nach den Sophisten und den schaurigen Pracht und in geradezu ba- ereignisse, um die es wirklich geht. Man Suchern nach historischer Gerechtigkeit rocken Ausmaßen: mit über 10 Millionen muss sie allerdings sichtbar machen. Wer sind nun die Ontologen am Werk. Euro Produktionskosten, 68 Drehtagen, nur davon redet, dem glaubt man nicht. Wer wie Hofmann von der Luftbrücke 1600 Statisten, einem sogenannten Feuer- Liegt hier das Geheimnis der Filme von erzählt, muss zeigen, wie das aussah, durch set, auf dem nächtelang 300 Brände lo- Nico Hofmann, dem Teamworx-Produ- den freien Himmel fliegend die Blockade derten und deren Hitze spezialgefertigte zenten und Erfolgsmann der Stunde (siehe zu überwinden. Wer von der Sturmflut re- Kulissen widerstehen mussten. Wie die Grafik)? Warum bleiben die Menschen det, muss die Wassermassen strömen und Darsteller auch. massenhaft am Fernseher, wenn ihnen die schäumen lassen. Wer ein Millionenpubli- Nicht zu vergessen die digitalen Simu- „Luftbrücke“ ein lange zurückliegendes kum überzeugen möchte, darf von histori- lationen, perfekte Vortäuschungen der Ereignis aus dem Kalten Krieg erzählt, was schen Realgewalten nicht schweigen. untergegangenen optischen Wahrheiten. hält sie, gerade auch die Jüngeren, vor dem Die Faszination für den Auftritt der ent- Britische Bomber samt Befehlszentrale, Schirm, wenn ein Hamburger Vorort im fesselten Elemente entstammt auch einer Dresdner Stadtlandschaften zerstört oder Jahr 1962 absäuft? Und was wird erst los Schaulust, die in Info-Sendungen über Ka- unzerstört – alles abrufbar. sein, wenn wir im ZDF am 5. und 6. März tastrophen geweckt, aber nicht befriedigt Eigenwillig und barock wird schließlich von der Couch in die Hölle fahren, in das wird. In den Nachrichten geraten Kata- alles, was mit Dresden zu tun hat. Allein Dresdner Flammeninferno von 1945? strophen zu anschauungslosen Zeichen, zu schon das asynchrone Spiel zwischen Fern- Es scheint, als habe das Fernsehen seine Signets, die das verschweigen, was Mitlei- sehen und Wirklichkeit. „Dresden“ wäre ja Sprache gefunden, in Fiktionen über Ge- den und Begreifen erst möglich macht: die eigentlich das filmische Vorspiel zum wun- schichte zu sprechen. Eine Sprache der Schilderung der zermalmenden Erhaben- derbaren Nachspiel aus Stein, der wieder- Sinnlichkeit, des Wunsches, das Vergange- heit der Natur und das Auserzählen der aufgebauten Frauenkirche. Jetzt, vier Mo- ne anzufassen und mit den Augen zu be- Leiden der Opfer. nate nach der Weihe des Pflasters, wird

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jederzeit umkehrbarer Zufall ist. Mit „Dres- den“ entdeckt TV-Geschichtsschreibung nach der Macht und Ohnmacht der Moral die Allgegenwart der Hölle. Das Inferno ist der Ausstieg aus der erzählten Zeit, An- fang und Fortgang lassen sich nicht mehr reimen. Unwiderstehlich steuert die Hand- lung auf dieses Inferno zu, die Figuren geraten, wie an Fäden gezogen, in seine Schwerkraft. Der Dienst, den die Krankenschwester Anna Mauth leistet, ist schwer, die Verlo- bung mit dem Oberarzt (Benjamin Sad- ler) ist eine Art Perspektive, aber die Ver- bindung ist von Annas Vater, dem Klinik- direktor (Heiner Lauterbach), arrangiert, die junge Frau ist eine traurige Braut. Die großbürgerliche Familie bietet in der End- phase der Nazi-Herrschaft keine Sicher- heit. Die Zeitumstände haben Liebe und Vertrauen zerstört. Der Vater schafft Mor- phiumlieferungen für die Patienten heim- lich beiseite, um sie für eine sorglose Zu- kunft in der Schweiz weiterzuverkaufen, Annas Verlobter ist eingeweiht. Als die junge Frau von den Machenschaften er-

ZDF fährt, bricht ihre innere Welt zusammen. „Dresden“-Darsteller Sadler, Woll: Zeitlose Sprache der Gefühle Da scheint der Retter zu kommen. Aber der Retter ist der Feind. Ein abgestürzter die Verletzung als TV-Geschichte nachge- kenschwester () und einem Bomberpilot, verletzt und auf der Flucht. reicht. Verschlungene Welt. abgeschossenen und untergetauchten bri- Der hat sich in Annas Krankenhaus ge- Die Crew, die „Dresden“ erzählt, be- tischen Piloten (John Light) vor. Ähnliches schlichen und haust dort im Keller, wo ihn steht neben Hofmann aus arrivierten Fil- gilt für die Beschreibung der Nazi-Ma- das Mädchen entdeckt und nicht anzeigt, memachern wie dem Mit-Produzenten chenschaften und der Judenverfolgung – sondern pflegt. Sascha Schwingel, 34, dem Drehbuchautor gutgemachtes Filmhandwerk. Der Feind ist ein Mensch, der Feind ist Stefan Kolditz, 49, dem Regisseur Roland Die künstlerische Leidenschaft aber schön, der Feind ist ein Mann. Wie die Suso Richter, 45, und dem Kameramann wird woanders spürbar, dann, wenn die Schranken der Vorurteile in Anna fallen Holly Fink, 41. Sie alle wollen sich nicht Erzählmaschine Fernsehen in Flammen und aus Ablehnung Liebe wird, spielt Woll wie die Kirchenbaumeister an alte Vorbil- aufgeht, wenn die Feuersbrünste und der mit der unpathetischen Selbstverständ- der halten, sie gehören der Generation der Bombenschrecken die Macht in den Sze- lichkeit unserer Gegenwart, als gäbe es die Nach-68er an. Sie haben ihre kritischen nen übernehmen. Wenn wir spüren, dass zeitlose Sprache der Gefühle, die nicht mal Erfahrungen gemacht mit der Sühne-Dis- das Vergangensein der Vergangenheit ein der braune Terror zerstören kann. kussion, den Scheuklappen, wenn es um Dann kommt die Hauptsache des Films, das Leiden der Deutschen geht. Die Hof- der Untergang. Dramatischerweise an manns und Richters möchten stattdessen Den Nerv getroffen dem Tag, an dem sich die Familie samt mit eigenen Augen auf das Entsetzen se- TV-Event-Filme von Nico Hofmanns widerwilliger Anna in die Schweiz abset- hen, selbst nachspüren, was geschah. teamWorx (Produktion bzw. Co-Produktion) zen will. Und siehe da, das hergebrachte Erzählen Der Zuschauer ist über das Herannahen ZUSCHAUER MARKTANTEIL in moralischer Absicht gerät ins Stocken in Mio. in Prozent der Bomber informiert, er hat miterlebt, im Angesicht elementarer Gewalten. Die „Die Sturmflut“ RTL Flammen des Fegefeuers scheinen den mo- Teil 1, 19. Feb. 2006 11,6 30,5 dernen Machern auf einmal interessanter Teil 2, 20. Feb. 2006 11,2 31,3 als die Beschreibung der Sünden, für die „Die Luftbrücke – man im Purgatorium büßt. Nur der Himmel Historische Glaubwürdigkeit entsteht war frei“ Sat.1 für die Nach-68er-Generation aus sinn- Teil 1, 27. Nov. 2005 9,0 24,1 licher Erfahrung, nicht aus der rhetori- Teil 2, 28. Nov. 2005 7,9 23,0 schen Beschwörung moralischer Überle- „Stauffenberg“ ARD genheit. Hofmann, Kolditz, Richter und 25. Feb. 2004 7,6 22,9 Fink wollen – so kann man es in fast jeder Szene sehen – sich notfalls an der Ge- „Der Tunnel“ Sat.1 schichte verbrennen, auf keinen Fall aber Teil 1, 21. Jan. 2001 7,2 19,9 in den Asbestanzügen nachgeborener Teil 2, 22. Jan. 2001 6,6 19,6 Besserwisserei durch die historische Glut „Tanz mit dem Teufel – flanieren. Die Entführung des Routiniert führt „Dresden“ die Liebes- Richard Oetker“ Sat.1

geschichte zwischen einer deutschen Kran- Teil 1, 11. Nov. 2001 4,8 13,9 RTL Teil 2, 12. Nov. 2001 4,3 13,3 Szene aus „Die Sturmflut“* * Jan Josef Liefers, Benno Fürmann. Elementare Gewalten

der spiegel 9/2006 173 Medien wie sich deren Chef Arthur Harris mit sei- nen Plänen durchgesetzt hat. 800 Bomber sollen in zwei nächtlichen Wellen die we- TV-KONZERNE nig geschützte Stadt zerstören. Gegenar- gumente eines anderen Offiziers, Dresden sei die schönste Stadt der Welt, hat er weg- „Wir schaffen’s auch allein“ gewischt: Jeder wisse, dass Deutschland den Krieg verloren habe, aber niemand, Guillaume de Posch, 48, Vorstandschef von ProSiebenSat.1, über wie lange er noch dauern könne. Das Le- ben der Soldaten, auch das der Russen, sei die Zukunft seiner Senderkette, neue Angreifer auf zu schützen. Der Film referiert die Posi- dem europäischen Medienmarkt und den Wirbel um Heidi Klum tionen, wertet aber nicht. Ihn interessiert das nicht wirklich. Ihm geht es um eine grausame Lehr- stunde, um den Schrecken, heute so schrecklich wie damals. Die Beschwörung verdankt sich perfekter Kamerakunst, exakter Inszenierung und genauer Dra- maturgie. Die Macher wollen es nicht bei symbolischem Feuerzauber belassen. Sie werfen die Handlungsklischees der TV- Movies in die Flammen. Was soll die Story von der Flucht in die Schweiz? Die Geldscheine verbrennen in der Flammenhölle wie Zunder. Was bleibt von Liebe und Eifersucht, wenn du er- stickst? Was nützen Gebete, wenn du den Wachsoldaten um den Gnadenschuss bit- ten musst? Die Männer Gottes – Wolfgang Stumph spielt einen regimekritischen Pfarrer,

und man sieht, was für ein grandios PETER SCHINZLER ernsthafter Schauspieler „Stumpi“ sein De Posch, ProSieben-Show „’s next Topmodel“: „Noch höhere Quoten erwartet“ kann – krepieren ebenso wie die Nazis, elend, wortlos, ohne Trost. Die Bomben- SPIEGEL: Herr de Posch, ProSiebenSat.1 geplanten Transaktion wohl knapp die hölle kennt keine Gerechtigkeit, keine wirft den Rekordgewinn von 221 Millionen Hälfte seiner Zeit widmen. Ich dachte vor- Gnade. Euro ab – trotz Werbeflaute und monate- her immer, Frankreich sei das Land der Im filmischen Flammenmeer und in den langen Verkaufs-Hickhacks. Die Zahl der Kommissionen. Inzwischen weiß ich: Szenen aus den Bombenkellern verliert Mitarbeiter wurde drastisch reduziert, Sie Deutschland ist definitiv die Nummer eins. die Kamera die Fassung. Sie zittert, sie haben die Programminvestitionen gekappt. Die Kombination von Springer und uns wirft sich hin und her, sie kreiselt. Betei- Kann man eine Senderfamilie auch ka- wäre ein fruchtbares Vier-Milliarden-Euro- ligte berichten, wie ihnen die Dreharbei- puttsparen? Geschäft geworden – angesichts der Größe ten an die Nieren gingen, wie sie da erst De Posch: Kann man sicher, tun wir aber mancher Medienkonzerne ein überschau- begriffen, was in Dresden wirklich passiert nicht. Für unseren Erfolg sind mehrere bares Unterfangen. Es ging eben nicht. ist, was zu ersticken bedeutet, was es Faktoren verantwortlich: Natürlich schau- SPIEGEL: Das Schicksal Ihres Konzerns wur- heißt, in den Orkan zu geraten, den die ten wir diszipliniert auf die Kosten. Aber de über Ihren Kopf hinweg debattiert? von Brandbomben entfachten Scheiter- auch die Werbeumsätze wuchsen wieder. De Posch: Die Erfahrung von Debatten haufen ansaugen. Der Sturm dröhnt in den Zudem steigerten wir die Erlöse neben über mögliche Programmbeiräte brauche Ohren, Mütter merken nicht, wie die Kin- dem klassischen Fernsehgeschäft, unter ich so schnell nicht mehr. Als das Kartell- derwagen, die sie ziehen, in Flammen auf- anderem durch die Übernahme von Neun amt auch noch forderte, ProSieben müsse gegangen sind. Live. Auch deshalb legte der Personal- aus der Senderfamilie herausgebrochen Nach schier unendlichen Minuten ist der stamm vergangenes Jahr sogar wieder zu. werden, war für mich der Anfang vom Bomberangriff überstanden, vergessen ist Und was das Programm angeht: Wir hatten Ende gekommen. So ein Schritt wäre kom- er nicht. Gezeichnet entsteigen die Über- das Glück, sparen zu können und trotz- plett indiskutabel … lebenden den Kellern. Nichts wird mehr so dem die Quoten zu erhöhen, etwa mit neu- SPIEGEL: … wurde aber auch von Springer sein wie vorher. Der Film, der mit uns en Sat.1-Formaten wie „Schillerstraße“ ein paar Tage lang erwogen. durch das Inferno gegangen ist, hat keine oder „Verliebt in Berlin“. De Posch: Nur als Reaktion aufs Kartellamt. Lust mehr auf Weitererzählen. Wolls Stim- SPIEGEL: Billigeres Fernsehen für mehr SPIEGEL: Wer hat in diesem Poker am meis- me aus dem Off berichtet in dürren Wor- Leute? ten verloren? ten, was aus ihrem Engländer wurde, wie De Posch: Es kommt auf die Ideen an. In- De Posch: Für Springer wäre es wichtig ge- sie ihre Tochter bekam. halte müssen jedenfalls nicht immer teuer wesen, im elektronischen Bereich weiter Dann rückt die Frauenkirche ins Bild. sein, um Quote zu bringen. zu wachsen. Alle großen Printkonzerne Wir sehen die Bilder der Weihe, wir hö- SPIEGEL: Ein halbes Jahr versuchten die haben heute auch TV- und Online-Sparten. ren schöne Worte des Bundespräsidenten, ProSiebenSat.1-Eigentümer rund um den Aber ich freue mich, dass Springer weiter- wir schauen in die Gesichter der alten Investor Haim Saban vergebens, die Sen- hin mit zwölf Prozent an uns beteiligt blei- Dresdner, wir wissen jetzt ein wenig mehr derkette an die Axel Springer AG zu ver- ben möchte. ProSiebenSat.1 jedenfalls hat Bescheid. Wir waren mit ihnen in der kaufen. Wie erlebten Sie die Zeit? bewiesen: Wir schaffen’s auch allein. Hölle. Gott sei Dank nur in einer Fernseh- De Posch: Es waren schwere und wilde Mo- SPIEGEL: Sie gelten als Vertrauter Sabans. In hölle. Nikolaus von Festenberg nate, denn mein Vorstand musste dieser seinem Auftrag haben Sie die Braut her-

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