Engagement in Sachsen Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht Jana Priemer, Holger Krimmer, Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolph Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt 2 Engagement in Sachsen Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht Jana Priemer, Holger Krimmer, Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolph Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt

3 Inhalt

Einleitung Roland Löffler, Friedemann Brause 7

Teil 1: Vereine in Sachsen: Herausforderungen und Chancen Ergebnisse aus dem ziviz-Survey 2017 Jana Priemer, Holger Krimmer 15

Einführung 17

Organisationslandschaft in Sachsen 18 Viele Vereine in ländlichen Regionen 19 Eine junge Vereinslandschaft 20 Viele kleine Vereine 20 Besonders wenige Mitglieder in ländlichen Vereinen 21 Traditionelle Themen dominieren 22 Angebote für verschiedenste Personengruppen 24 Allgemeines Rollenverständnis 25

Engagement: das Fundament 27 Stabile Engagiertenzahlen 28 Ehrenamtliche Funktionsträger sind schwer zu finden 29 Viel Arbeit auf wenigen Schultern 29 Mitglieder und Engagierte bleiben unter sich 30 Wer die Engagierten sind 30 Bürokratie hemmt Engagement 31

Ohne finanzielle Mittel geht es nicht 32 Mitgliedsbeiträge als wichtigste Geldquelle 34 Meist ist nur wenig Geld vorhanden 34 Auf dem Land meist noch weniger Geld 36 Sachleistungen und ähnliche Unterstützungen sind wichtig 36 Kooperation und Vernetzung sind ausbaufähig 37

Zusammenfassung: Vereine in Sachsen – anders als der Bundesdurchschnitt? 38

Datenbasis 40 Grundgesamtheit: Was untersucht wurde 40 Stichprobe: Wie viele Organisationen angeschrieben wurden 40

4 Teil 2: Organisiertes Engagement in Sachsen Eine explorative qualitative Studie Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolf Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt 43

Fragestellung und Anlage der qualitativen Studie 44

Engagementvorstellungen in Sachsen 46 Kurzgefasst 46 Begriffe und Begriffswelten 48 Ehrenamtliches Engagement im staatlichen Auftrag 49 Ehrenamtliches Engagement in der kommunalen Daseinsvorsorge 50 Ehrenamtliches Engagement „aus der Gesellschaft heraus“ 50

Entwicklungen in Organisationen ehrenamtlichen Engagements 54 Kurzgefasst 54 Aufgaben und Probleme 54

Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen 58 Kurzgefasst 58 Engagementförderung auf kommunaler Ebene 60 Leipzig – Stadt der Bürger/innen mit unausgeschöpftem Potenzial als „Bürgerstadt“ 60 – polarisierte Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst 64 Landpartie nach Reichenbach im Vogtland 70 Handlungsoptionen in der kommunalen Engagementförderung 72 Engagementförderung der sächsischen Staatsregierung 75 Förderprogramme 75 Handlungsfeldspezifische Förderungen 77 Politisch-ideelle Förderung: Anerkennung und Würdigung 80 Probleme und Entwicklungsmöglichkeiten 81 Auskömmliche Fördermittel? 81

Ohne Strategie? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 84

Literatur und Onlinequellen 89

5 Viele Jugendliche setzen sich für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein. Bild: Benjamin Jenak

6 Einleitung Diese Studie betritt Neuland. Die Sächsische liegen der sächsischen Zivilgesellschaft.1 Sie Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) will damit zur Debatte über die Stärkung und präsentiert mit dieser Publikation erstmals ei- Fortentwicklung der Engagementpolitik im ne Übersicht über Gestalt, Organisationsgrade Freistaat und zur Stärkung des gesellschaft- und -formen sowie gesellschaftspolitische An- lichen Zusammenhalts beitragen. Begriffsdefinitionen die nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet Nach dem Selbstverständnis der Landeszentrale sind, die öffentlich beziehungsweise im öffentli- leistet politische Bildung einen Beitrag zur Stär- chen Raum stattfinden, die in der Regel gemein- kung und Stabilisierung der sächsischen Zivilge- schaftlich oder kooperativ ausgeübt werden, sellschaft, zumal wenn man Demokratie als eine den Charakter der Gemeinwohlorientierung und Gesellschaftsform versteht, die zivilgesellschaft- Freiwilligkeit besitzen. Wie die sächsischen En- liche Partizipation braucht. Zu wissen, wie es um gagementexpertinnen und -experten sich selbst die sächsische Zivilgesellschaft bestellt ist, gehört wahrnehmen, erläutert das zweite Kapitel dieser deshalb zu den ureigensten Interessen unseres Publikation. Hauses. Dabei sei klargestellt: Politische Bildung, vor allem wenn sie von einer öffentlichen Einrich- Die in Deutschland und auch in Sachsen über- tung wie der Landeszentrale betrieben wird, tritt aus vielfältige Zivilgesellschaft wird auf den nicht als Akteur in den Vordergrund. Die Landes- folgenden Seiten als „ein offener, positiv konno- zentrale versteht sich als Plattform des Dialogs, tierter Begriff mit verschiedenen Schattierungen Impulsgeberin für Debatten, Vermittlerin von […]“2 verstanden. Aus der angelsächsischen Informationen, Analysen, Forschung in die Praxis Tradition kommend, bezeichnet „civil society“ hinein, als Unterstützerin für Engagement. Sie be- „die Gesamtheit der öffentlichen Assoziationen, reitet das Feld, damit die (Zivil-) Gesellschaft auf Vereinigungen und Zusammenkünfte“3, die auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen kontro- dem freiwilligen Engagement der Bürger und vers über neue politische Optionen und Strategien Bürgerinnen beruhen. Zugleich wahrt die Zivilge- diskutieren kann. Diesen Weg ist die Landeszent- sellschaft die Unabhängigkeit von Staat und Wirt- rale in den letzten Jahren gegangen - und diesen schaft, aber auch von der Familie, gehört also Weg wird sie auch in Zukunft fortsetzen. zwingend zur Sphäre des Öffentlichen und nicht des Privaten. Nicht alle Forschende definieren Wenn es um Ehrenamt, freiwilliges oder bürger- Zivilgesellschaft jenseits dieser eher formalen schaftliches Engagement geht, so werden diese Beschreibung auch normativ. In Anlehnung an Begriffe als landläufig sinnverwandt verstanden den Berliner Soziologen Frank Adloff ist Zivilge- und begrifflich nicht immer genau unterschie- sellschaft „auf die Einhaltung der Menschenrech- den. Allerdings hat sich in Fachkreisen eine te angewiesen, also auf einen staatlichen Schutz Definition durchgesetzt, der wir auch hier folgen, der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit. die von der Enquete-Kommission des Deutschen In der Regel zählen außerdem bestimmte zivile Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen Verhaltensstandards wie Toleranz, Verständi- Engagements“ von 2002 entwickelt wurde. Enga- gung, Gewaltfreiheit, aber auch Gemeinsinn zur gement und Ehrenamt beschreiben Tätigkeiten, Zivilgesellschaft.“4

1 Für eine intensivere Auseinandersetzung mit Begriffsfragen sei verwiesen auf: Ansgar Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, politische Hintergründe und demokratietheoretische Folgerungen, 2001; Frank Adloff, Zivilgesellschaft, Theorie und politische Praxis, 2005; Ludgera Vogt, Das Kapital der Bürger, Theorie und Praxis zivilgesellschaftlichen Engagements, 2010; Rupert Graf von Strachwitz, Achtung vor dem Bürger: Ein Plädoyer für die Stärkung der Zivilgesellschaft, 2014; Hubertus Buchstein, Bürgergesellschaft und Bürgerkompetenzen, Politische Bildung 33 (2000), S. 8 ff. 2 Christiane Metzner, Freiwilligenmanagement als Instrument zur Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements in Nonprofit-Organisationen, 2014, S. 81, im Internet abrufbar unter https://publishup.uni-potsdam.de/frontdoor/index/index/docId/6983 (10.3.2016). 3 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 8. 4 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 8.

7 Einleitung

Politische Bildung, Zivilgesellschaft, Engagementpolitik Zivilgesellschaft basiert also auf einem sehr was gesellschaftspolitische Foren und Dialoge, breiten Politikbegriff – und wird hier nicht allein Beteiligungsprozesse und Bürgerwerkstätten an- auf den Bereich der Demokratiearbeit, Demo- geht. Ob sich deshalb auch die politische Debat- kratieförderung oder Extremismusprävention tenkultur in Sachsen bereits verbessert hat oder beschränkt. In ähnlicher Weise unterliegt auch die gesellschaftliche Polarisierung bereits über- die politische Bildung einer gewissen Defini- wunden ist, darf im Moment bezweifelt werden. tionsbreite. Politische Bildung im Kontext der Erwachsenen- oder auch der Jugendbildung Diese Publikation soll deshalb zur Diskussion kann als non-formale Bildung bezeichnet wer- anregen, wie die sächsische Zivilgesellschaft sich den, ist sie doch ein zumeist freiwilliges Lernen selbst versteht, wie sie ihr gemeinwohlorientier- außerhalb der gängigen Bildungs- und Ausbil- tes Handeln weiterentwickeln will, welche Erwar- dungsgänge.5 tungen sie hat, um Öffentlichkeit mitzugestalten. Gerade ein noch intensiveres Wechselspiel zwi- Während die Beschreibungen von Zivilgesell- schen einem durch eine aktive Zivilgesellschaft schaft und Engagement auf gemeinwohlorien- geprägten vorparlamentarischen Raum, der poli- tierte Vergemeinschaftung abzielen, geht es bei tischen Bildung und der verfassten Politik dürfte der politischen Bildung stärker inhaltlich um die politische Kultur in Sachsen bereichern, hof- die Vermittlung und Reflektion historischer und fentlich versachlichen und beruhigen.7 aktueller Entwicklungen, das Erklären demo- kratischer Entscheidungsfindungsprozesse und Das alles spräche auch dafür, das Feld der En- zivilisierte Formen des Austragens politischer gagementpolitik in Sachsen intensiver zu bear- Kontroversen zwischen mündigen Staatsbürge- beiten. Dieses noch junge politische Arbeitsfeld, rinnen und Staatsbürgern in einer freiheitlichen das sich bundesweit seit etwa 20 Jahren in Poli- Demokratie. tik, Wissenschaft und organisiertem Engagement entwickelt, zielt auf eine stabile Zivilgesellschaft Die offensichtliche Nähe zwischen der Förderung ab. Engagementpolitik sieht in der strategischen einer Zivilgesellschaft und den Aufgaben der und konzeptionellen Fortentwicklung der Zivil- politischen Bildung in Sachsen wird viel zu selten gesellschaft ihre wesentliche Aufgabe:8 Das ge- gesehen. Gerade wegen dieser besonderen Posi- schieht in vielen Regionen durch die Gründung tion zwischen unterschiedlichen Sektoren der von engagementstärkenden und -vermittelnden Gesellschaft kann es der Zivilgesellschaft gelin- Institutionen, durch die Bereitstellung von staat- gen, zum integrierenden Faktor von Gesellschaft lichen oder privaten Fördermitteln sowie die zu werden und diese partizipativ weiterzuentwi- Ausgestaltung einer öffentlichen Anerkennungs- ckeln. Auch politische Bildung will entsprechend kultur, einer stärkeren Vernetzung, die Fortbil- ihres Selbstverständnisses als gesellschaftlicher dung der Engagierten. Eine Erwartung haben die Brückenbauer wirken. Mit diesem Ansatz können Ehrenamtlichen zur Förderung des Engagements unterschiedliche Entwicklungen angestoßen in Sachsen, so ein Ergebnis dieser Studie: Politik werden: beispielsweise in Richtung zu mehr di- sollte zügig für den Abbau von Bürokratie im rekter Demokratie, zu mehr Debattenfähigkeit im Gemeinnützigkeits- und Steuerrecht für Vereine, Vorfeld politischer Entscheidungen.6 Auf diesem Stiftungen und andere vergleichbare Einrichtun- Gebiet ist in Sachsen, das aktuell wahrscheinlich gen sorgen. Die vielfältigen Berichterstattungs- das „Debattenland Nummer eins in Deutschland“ und Dokumentationspflichten empfinden sehr ist, in den letzten Jahren sehr viel passiert, etwa viele Engagierte als hohe Belastung.

5 Politische Bildung im zivilgesellschaftlichen Kontext kann auch dem Feld des informellen Lernens zugeordnet werden, wenn Lern- und Bildungserfahrungen eher als Begleiterscheinung der alltäglichen Arbeit in den jeweiligen Vereinen und Organisationen stattfinden. 6 Vgl. Heinz Kleger, Rückkehr der Bürgergesellschaft?, Überlegungen zur Politischen Philosophie, in: Gerhardt (Hrsg.), Politisches Denken, Jahrbuch 1993, S.157 ff. 7 Vgl. zu weiterführenden Gedanken und zur Datenlage etwa Klaus-Peter Hufer, Stand und aktuelle Perspektiven der politischen Erwachsenenbildung im Freistaat Sachsen. Expertise zum Sächsischen Landesforum Weiterbildung 2016 „Politische Bildung stärken!“ am 20. September 2016 in Chemnitz (DAStietz) im Auftrag des Landesbeirats für Erwachsenbildung beim Sächsischen Staatsministerium für Kultus, Chemnitz 2016. 8 Mehr dazu in: Thomas Olk/Ansgar Klein/Birger Hartnuß (Hg.), Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe, Wiesbaden 2010.

8 Entwickelt sich Zivilgesellschaft – jenseits aller meisten sächsischen Vereine sind im ländlichen staatlichen Mittel und Maßnahmen – mit einem Raum angesiedelt und übernehmen regionale hohen Eigensinn weiter 9, braucht sie dafür Frei- Verantwortung. räume – sowohl in administrativer Hinsicht als auch mit Blick auf die kreative Ausgestaltung ihrer Dass noch mehr Menschen aktiv werden, ist auch Rolle in einem demokratischen Gemeinwesen. das politische Ziel der seit Ende 2019 amtie- renden Landesregierung aus CDU, Bündnis 90/ Die Engagementpolitik ist deshalb ein Politikfeld Die Grünen und SPD. Die Koalition misst dem mit Potenzial, auch wenn es in Sachsen bisher freiwilligen Engagement einen hohen Wert bei: eher nebenbei als explizit betrieben wird. Und „Wir stärken eine Kultur des Ermöglichens und doch: Die Förderung des freiwilligen Engage- fördern Engagement und das Ehrenamt in Ge- ments und der Zivilgesellschaft tritt zunehmend sellschaft und Vereinen. […] Diejenigen, die sich in den Fokus sächsischer Landes- und Kommu- für unser Gemeinwohl einsetzen, genießen unser nalpolitik. Schon seit 15 Jahren gibt es eine mo- besonderes Vertrauen und unseren Schutz.“11 natliche Aufwandsentschädigung für Ehrenamt- Mit zahlreichen Initiativen soll freiwilliges Enga- liche („Wir für Sachsen“). Seit 2005 unterstützt gement unterstützt werden, darunter der Aufbau das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für einer landesweiten Ehrenamtsagentur. Angekün- Demokratie und Toleranz“ zivilgesellschaftliche digt werden zudem neue Förderrichtlinien für Organisationen u. a. bei der „Stärkung demo- demokratische, soziale und kulturelle Orte sowie kratischer Werte in einer aktiven Bürgergesell- die unterschiedlichen Bürgerbeteiligungsvorha- schaft“. Seit 2018 regelt der neue Paragraph 47a ben, beispielsweise kommunale Bürgerbudgets. der Sächsischen Städte- und Gemeindeordnung, Bei Drucklegung dieser Publikation waren diese dass Jugendliche an Entscheidungen in der Vorhaben noch in der Entwicklung und konnten Kommunalpolitik beteiligt werden sollen. Das weder dargestellt noch wissenschaftlich analy- von der Staatsregierung jüngst eingeführte kom- siert werden. munale Ehrenamtsbudget ermöglicht es jedem Landkreis, jährlich 200.000 Euro zur Ehrenamts- Ob sich durch die Fülle an Einzelmaßnahmen förderung bereitzustellen. Allerdings geschieht und zukünftigen Vorhaben eine aktive Zivilgesell- dies bisher eher ad hoc, ortsspezifisch und ohne schaft in Sachsen weiterentwickeln kann bzw. landesweiten, konzeptionellen Überbau. Ob es wie die interviewten sächsischen Engagementex- nun allein an diesen finanziellen Unterstützungs- pertinnen und -experten die zumeist unverbun- leistungen oder sich verändernden gesellschaft- denen, verschiedenen, kommunalen oder lan- lichen Umständen liegt, dass sich Bürger und despolitischen Förderinstrumente wahrnehmen, Bürgerinnen engagieren: Erkennbar ist – etwa schlägt sich im zweiten Teils dieser Publikation im Freiwilligensurvey 2014 –, dass in Sachsen nieder. Dabei wird sich zeigen, als wie wirksam der Anteil der Engagierten in den vergangenen sich die bisherigen Instrumente und Verfahren zwanzig Jahren stetig angewachsen ist. Lag die aus Sicht der Interviewten erwiesen haben, Engagementquote 1999 noch bei 29,8 %, waren welche Erwartungen sie an Unterstützungsleis- es 2014 –mit einem erweiterten Engagement- tungen aus Stadt und Land haben und welche begriff – 38,3 %. Der Bundesdurchschnitt von gemeinsame Strategie staatliche Programme aus 43,6 % rückt näher, ist aber noch eine Wegstrecke ihrer Sicht zukünftig verfolgen sollten. entfernt.10

Gerade der erste Teil der vorliegenden Publika- tion zeigt deutlich, dass Engagement in Sachsen oftmals etwas kleinteiliger ausgestaltet ist als in anderen Bundesländern, dass es weniger Organisationen mit hauptamtlichem Personal gibt, die Finanzierung schwächer als im Bundes- durchschnitt abgesichert ist und sich nochmals zwischen Stadt und Land unterscheidet. Die

9 Vgl. etwa Holger Backhaus-Maul /Stefan Nährlich, Stefan/Rudolf Speth, Denkschrift Bürgergesellschaft, Berlin 2012. 10 Daten bei: https://www.engagiert-dabei.de/fileadmin/Downloads/Info-Material/Studien_Evaluationen_Positionen/2017-02-09_Freiwilligensurvey_2014_ Praes_Sachsen.pdf und https://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/fws/FWS_Laenderbericht_ges_2016.09.13.pdf 11 CDU Sachsen, Bündnis 90/Die Grünen, SPD Sachsen: Gemeinsam für Sachsen: Koalitionsvertrag 2019 bis 2024, Dresden2019, S. 3.

9 Einleitung

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Für das „Wohl und Wehe“ der Engagementland- re politische Aussagen und Handlungen ihren schaft sind die gesellschaftlichen Rahmenbedin- Gemeinnützigkeitsstatus in Frage stellen. In gungen von großer Bedeutung. Kein unerheb- Sachsen gibt es seit den letzten Kommunalwah- licher Faktor ist der demografische Wandel, der len an manchen Orten Spannungen, wenn allzu Sachsen schon jetzt und auch in Zukunft stark kritische oder politisch möglicherweise etwas verändern wird. Das Berlin Institut für Bevöl- einseitige Vereine kommunale Fördermittel un- kerung und Entwicklung rechnet bis 2035 mit ter dem Stichwort der mangelnden „politischen einem Rückgang der Bevölkerung in Sachsen Neutralität“ gestrichen bekommen. Abgesehen um etwa 9 %.12 Nur die Großstädte Leipzig und von der Frage, ob von Vereinen in einer viel- Dresden werden wachsen, alle anderen Land- fältigen, freiheitlichen Gesellschaft überhaupt kreise und die Stadt Chemnitz voraussichtlich – anders als bei einer Landeszentrale – dezidiert schrumpfen. In vielen ländlichen Regionen ist „Überparteilichkeit“ oder gar „Neutralität“ er- schon jetzt zu beobachten, was eine abnehmen- wartet werden kann, zeigen diese Einzelfälle: de und alternde Bevölkerung bedeutet. Gesellschaftliche Spannungen kommen auch in sächsischen Vereinen und Organisationen an Vereine und zivilgesellschaftliche Organisatio- und beschäftigen sie. Wie stark sich die bisher nen sorgen besonders auf dem Land für An- insgesamt eher politisch zurückhaltende sächsi- gebote in Freizeit, Kultur, Gemeinwesenarbeit, sche Zivilgesellschaft in gesellschaftliche Debat- Kirchen, Sport oder Bildung. Typische Probleme ten einmischen will, werden die Diskussionen des Ehrenamts zeigen sich dort aber noch stär- der kommenden Jahre zeigen. Veränderungen ker als in den Städten: Fehlender Nachwuchs sind jedoch absehbar, weil sich in den letzten etwa für Leitungs- und Führungspositionen, Jahren viele junge Initiativen gebildet haben: die kulturellen Grenzen in der Zusammenarbeit von „Fridays for Future“ über Jugendclubs mit zwischen den Generationen, mangelnde Infra- gesellschaftlichen Anliegen bis zu Gruppen, struktur oder digitale Ausstattung. Wie hoch die sich für Geflüchtete einsetzen. Ihnen ist ge- Menschen die Lebensqualität und damit die meinsam, dass sie selbstbewusst politische Mit- Attraktivität einer Region wahrnehmen, orien- sprache einfordern. Sie werden die sächsische tiert sich zunächst an harten Faktoren wie Infra- Zivilgesellschaft in den kommenden Jahren struktur, Daseinsvorsorge, Ausbildungsmöglich- verändern.13 keiten und Arbeitsplätzen. Nicht unterschätzt werden dürfen aber auch die sogenannten Gänzlich diesen Fragen ausweichen werden weichen Faktoren: Ein aktives Vereinsleben, die aber auch Feuerwehren und Katastrophen- Verwurzelung in gesellschaftlichen Gruppen schutz, Kirchgemeinden, der organisierte oder Möglichkeiten der sozialen und politischen Sport, Gewerkschaften und Genossenschaften, Beteiligung sind ebenfalls wichtige Standort- Bildungsvereine und Sozialverbände nicht. und Bleibefaktoren. Gilt also: Je lebendiger die Schon heute zeigen viele dieser Organisationen Zivilgesellschaft, desto mehr Zuzug oder zumin- einen Bedarf an politischer Bildung und Be- dest weniger Abwanderung? ratung an. Blickt man auf die gesellschaftlichen Entwicklungen insgesamt, so zeigt etwa der An das freiwillige Engagement wird in „poli- Sachsen-Monitor 2018 eine nervöse und gespal- tischen Sonntagsreden“ oft der Anspruch tene Mitte der Gesellschaft.14 Diese besaß vor erhoben, wieder für mehr gesellschaftlichen Ausbruch der Corona-Pandemie durchaus posi- Zusammenhalt zu sorgen. Diese Erwartungs- tive Zukunftserwartungen im Hinblick auf die haltung muss angesichts der gesellschaftlichen wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität der Polarisierung in Sachsen überprüft werden. Demokratie. Dem standen aber auch große Zu- Landes- und auch bundesweit sind eine Reihe kunftssorgen gegenüber: So befürchteten große von Organisationen verunsichert, inwieweit kla- Teile der Bevölkerung, dass die Gegensätze

12 Vgl. Reiner Klingholz u.a., Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind, Berlin 2019, 57ff. abrufbar unter: https:// www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/PDF/Demografische_Lage_online.pdf 13 Vgl. Albert, Mathias u. a (2019): Jugend 2019 – 18. Shell Jugendstudie: Eine Generation meldet sich zu Wort, Beltz, S.20f. 14 Die Daten des Sachsen-Monitors 2018 sowie der beiden Vorjahre finden sich unter https://www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2018-5616. html

10 zwischen Arm und Reich zunähmen und der ge- gemeinsame Ziele, das tatkräftige Anpacken, ein sellschaftliche Zusammenhalt schwände, dass Mehr an gesellschaftlicher Kooperation zwischen die Rente nicht zum Leben ausreichte und die Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesell- deutsche Kultur durch Zuwanderung verloren schaft. Zukunftsfragen, die nur aus der Mitte der ginge. Hohe diskriminierende und rassistische Gesellschaft heraus bearbeitet und gelöst wer- Einstellungen arbeitete der Sachsen-Monitor den können, gibt es in Sachsen genug. ebenfalls 2018 heraus, wobei fremdenfeind- liche Einstellungen in Sachsen häufiger als im Bundesgebiet ausgeprägt sind, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit oder Antiziganismus da- gegen unter dem Bundesdurchschnitt liegen.

Die öffentliche Debatte über diese Umfrageer- gebnisse ist deshalb nicht nur mit Ursachenfor- schung beschäftigt gewesen, sondern dreht sich auch um die Frage, welchen Beitrag Ehrenamt und Engagement, die sächsische Zivilgesell- schaft und die politische Bildung zur Verände- rung des gesellschaftlichen Klimas leisten kön- nen. Es gehört aber auch zu den ernüchternden Erkenntnissen des Sachsen-Monitors 2018, dass sich in ihnen nur ein begrenzter Willen der Bür- gerinnen und Bürger zur politischen Verantwor- tungsübernahme niederschlägt, viele dagegen nach dem Staat rufen, ihm aber zugleich miss- trauen. Diesen Ambivalenzen gilt es auch auf der Grundlage dieser Studie weiter nachzuge- hen, schließlich gehört politisches Engagement in Parteien, Verbänden und Kommunen – neben der gesamten Breite der Vereinslandschaft – zu den tragenden Säulen unseres Gemeinwesens.

Zugleich verweisen die besagten Befunde aber auch auf das Potenzial und die Bedeutung des freiwilligen Engagements im vorparlamentari- schen, gemeinnützigen Raum: Wer sich für eine Sache einsetzt, übernimmt bereits gesellschaft- liche Verantwortung. Wenn sich dieses Enga- gement verbreitern und vervielfältigen ließe, entstünden viele Gelegenheiten für Bürgerinnen und Bürger, Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen, also um zu erleben: Meine Ideen lassen sich gemeinsam mit anderen umsetzen und tra- gen Früchte. Das sind entscheidende Schritte zu einer gesellschaftlichen Veränderung. Verantwor- tung wird eingeübt, der Blick von Problemen auf Lösungen gerichtet, eine „Brücke zu den Nächs- ten“ wird geschlagen – ganz gleich, ob sie bereits über Generationen hierzulande leben oder sich gerade erst niedergelassen haben.

Eine dynamische Gesellschaft wie die des Frei- staates braucht immer zugleich Stabilität, soziale Absicherung und Öffnung. Gegen Nervosität hel- fen nicht nur Zuhören und Dialoge, sondern auch

11 Einleitung

Forscherteams, Fragestellung, Ergebnisse

Diese Publikation besteht aus zwei Teilstudien, Die zweite – qualitative – Studie wurde von die wissenschaftlich unterschiedlich – nämlich: einem Forschungsteam der Martin-Luther-Uni- quantitativ und qualitativ – vorgehen. Zur Er- versität Halle-Wittenberg unter Leitung von Dr. arbeitung konnte die SLpB zwei renommierte Holger Backhaus-Maul und PD Dr. Rudolf Speth Forschungseinrichtungen gewinnen, denen wir gemeinsam mit Lina Hehl, Tim Sydlik und Louis an dieser Stelle herzlich für die sehr gute und Wolfradt erstellt. In der qualitativen Studie intensive Zusammenarbeit danken: Zum einen wurden insbesondere Experteninterviews mit „Zivilgesellschaft in Zahlen“, ein „Think & Do ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern Tank“ im Stifterverband für die Deutsche Wis- des organisierten Engagements sowie auch von senschaft, Berlin, für den Jana Priemer sowie Verwaltung und Politik auf Kommunalebene ge- Dr. Holger Krimmer die zivilgesellschaftlichen führt.15 Ausgewählt wurde hierzu das großstäd- Organisationsstrukturen in Sachsen durchleuch- tische Leipzig und das ländlich-städtische Baut- teten. Dabei stehen die rund 30.000 Vereine im zen. Ergänzend wurde in der Stadt Reichenbach Vordergrund. Die Ergebnisse zeigen, wie bereits im Vogtland eine Bestandserhebung des organi- angedeutet, eine durchaus gut organisierte Ver- sierten Engagements durchgeführt, so dass alle einslandschaft, die dem Vergleich mit anderen drei Landesteile Sachsens Berücksichtigung fin- Bundesländern standhält. Auffällig ist allerdings, den. Um einen landesweiten Überblick über die dass Sachsens Vereine kleiner sind als im Bun- Entwicklung des organisierten Engagements in desdurchschnitt, stärker in ländlichen und klein- Sachsen zu erhalten, wurden zudem auf Landes- städtischen Gegenden angesiedelt sind, weniger ebene Expertinnen und Experten aus organisier- hauptamtliches Personal und weniger Finanzen tem Engagement und auch Ministerien zu ihren haben. Wie in allen ostdeutschen Bundesländern Vorstellungen, Erfahrungen und Erkenntnissen wurden die allermeisten Vereine erst nach der mit organisiertem Engagement sowie den von Wende gegründet. Besonders die 1990er Jahre Politik und Verwaltung gesetzten Rahmenbedin- erlebten einen regelrechten Gründungsboom; gungen in Sachsen befragt. Ergänzend wurden es entstanden dort etwa 40 % der heute noch mit ausgewählten Experten und Expertinnen aktiven Vereine. Die sächsischen Vereine sind Gespräche zu spezifischen Themen der qualita- zumeist in den Bereichen Kultur, Sport, Bildung, tiven Studie geführt. Die Experteninterviews mit Freizeit aktiv – internationales Engagement ist Führungs- und Leitungskräften erstrecken sich dagegen in Sachsen unterrepräsentiert. Auch über alle engagementrelevante Handlungsfelder fehlen im Freistaat finanzstarke Stiftungen, die von Katastrophenschutz, Rettungswesen und jenseits der öffentlichen Hand Engagement Feuerwehr über Sport und Soziales sowie Migra- fördern könnten. Dass sich das kirchliche Enga- tion und Flucht bis hin zu Kultur und Heimat. Zur gement in der ZiviZ-Untersuchung nicht stark Vor- und Nachbereitung der Experteninterviews niederschlägt, hat im Zusammenhang mit dieser wurden einschlägige empirische Studien und Do- Studie weniger mit der Säkularisierung zu tun kumente, wie etwa Selbstdarstellungen, Berichte als mit forschungsmethodischen Gründen. ZiviZ und Förderprogramme zur Situation und den hat Vereinsregister untersucht, in denen weder Bedingungen des organisierten Engagements in die Landeskirchen oder Bistümer, noch die Sachsen ausgewertet. jüdischen oder freikirchlichen Gemeinden vor- kommen, weil sie den rechtlichen Status einer Dadurch entsteht ein lebendiges Bild der Er- Körperschaft des Öffentlichen Rechts haben. fahrungen und Erwartungen der organisierten Lediglich kirchlich-religiöse Vereine, Stiftungen, Zivilgesellschaft in Sachsen. Die Engagierten be- Genossenschaften wurden in die Berechnung klagen etwa ein Anwachsen der bürokratischen aufgenommen. Ähnliches gilt auch für bestimm- Anforderungen, nicht jedoch fehlende Förder- te Gruppierungen des Umweltschutzes und der gelder. Auch wenn der Blick auf das Thema Fi- Freiwilligen Feuerwehren. So fallen beispielswei- nanzen sich durchaus bei Vereinen im ländlichen se auch diejenigen Ortsgruppen aus der Statistik, und im städtischen Bereich unterscheidet, sollte die nicht als Verein organisiert sind. Sachsens Engagementpolitik in Zukunft nicht allein auf die Ausweitung von Fördermitteln

15 Hinweis zur Schreibweise: Diese Studie richtet sich an alle engagierten Menschen in Sachsen. Wir haben uns darum entschieden, im Text sowohl gender- neutrale als auch weibliche und männliche Bezeichnungen zu nutzen.

12 und Ehrenamtsbudgets ausgerichtet sein. Nach dafür werben, bürgerschaftliches Engagement den Ergebnissen unserer Befragungen scheint im Freistaat weiter zu verstärken und zu verbrei- das Bedürfnis nach nicht-finanziellen Unter- tern. Die vorliegende Publikation wird nicht alle stützungsmaßnahmen wichtiger zu sein, etwa relevanten Fragen rund um das Thema „Engage- die Beratung von Organisationen. Ob dazu der ment in Sachen“ beantworten, sondern einige verstärkte Aufbau dezentraler Anlaufstellen wie sehr konkrete Einblicke geben. Weitere Studien Freiwilligenagenturen oder Beratungsstellen not- müssten folgen, um das Gesamtbild, aber auch wendig ist, wäre nun zu diskutieren. Die Forscher regionale oder fachliche Fragen genauer zu be- und Forscherinnen konnten zudem zeigen, dass antworten. der Zivilgesellschaft in Sachsen eine landesweite Vernetzung und ein von vielen geteiltes Selbst- Wir wollen mit dieser Publikation einen Impuls verständnis als partizipativ-politische Zivilgesell- dafür geben, dass in den kommenden Monaten schaft fehlen. in allen Landesteilen über die Fortentwicklung der sächsischen Zivilgesellschaft und der säch- Nicht zuletzt machen die Studien deutlich, dass sischen Engagementpolitik diskutiert wird. Wir es in Sachsen sowohl auf der Landesebene als werden diesen Prozess mit einer Reihe von Ver- auch auf der kommunalen Ebene angebracht anstaltungen begleiten und selbst noch inten- erschiene, bisherige konzeptionelle Überlegun- siver als bisher unseren Beitrag zur Vernetzung gen nochmals systematisch und umfassend zu engagierter Bürgerinnen und Bürger im Freistaat betrachten und weiterzuentwickeln. Aktuell be- Sachsen leisten. sitzt fast jedes Staatsministerium seine eigenen Förderrichtlinien und unterstützt ressortbezogen Eine gute Lektüre und intensive Debatte die Organisationen und Individuen, die Berüh- wünschen rungspunkte zum Auftrag des jeweiligen Hauses haben. Das ist sachpolitisch nachvollziehbar. Roland Löffler und Friedemann Brause Eine kohärentere sächsische Gesamtstrategie Sächsische Landeszentrale für die kommenden Jahre ist allerdings gegen- für politische Bildung wärtig nicht erkennbar. Vor ähnlichen Heraus- forderungen stehen die Kommunen – und auch die Organisationen der Zivilgesellschaft. Eine konzeptionelle Gesamtbetrachtung wäre im Zu- sammenspiel von ehrenamtlich Tätigen aus gro- ßen und kleinen Organisationen, Verwaltungen und Politik unter Begleitung von Wissenschaft zu entwickeln.

Ein weiteres Arbeitsgebiet wäre der Ausbau der so genannten Engagementinfrastruktur, deren Kern vielerorts etwa Bürgerstiftungen, Freiwil- ligenzentren, Mehrgenerationenhäuser sowie Engagementbörsen digitaler und analoger Art bilden. Diese Einrichtungen gibt es in manchen Kommunen, aber noch nicht flächendeckend in Sachsen. Hier könnte der Freistaat noch eine Wegstrecke gehen, um Knotenpunkte des Enga- gements gezielter aufzubauen.

Beide Studien zusammen ergeben eine kom- pakte Vermessung des engagementpolitischen Feldes, die empirische Befunde und neue theo- retisch-konzeptionelle Einsichten miteinander verbindet. Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung will mit dieser Publikation einen Impuls für die Debatte zur Fortentwicklung der sächsischen Engagementpolitik leisten - und

13 14 Vereine in Sachsen: Herausforderungen und Chancen

Ergebnisse aus dem ZiviZ-Survey 2017 von Jana Priemer und Holger Krimmer, ZiviZ gGmbh im Stifterverband

15 Organisationslandschaft in Sachsen

Ergebnisse kurz notiert

• Ende 2019 waren in den sächsischen Vereins- • Das könnten sich die meisten Organisationen registern 30.794 Vereine registriert. Von diesen auch nicht leisten, denn die finanziellen Res- haben 30.099 auch ihren Sitz in Sachsen. Verei- sourcen sind in der Regel knapp. 62 % der Orga- ne machen neben Stiftungen und gemeinnützi- nisationen haben höchstens 10.000 Euro jähr- gen Kapitalgesellschaften den größten Anteil an lich zur Verfügung, einige sogar weit weniger. den Organisationen der Zivilgesellschaft aus. • Die meisten Organisationen konnten ihre En- • Jeder zweite sächsische Verein hat seinen Sitz gagiertenzahlen bislang stabil halten. Doch in einer kleinen Gemeinde (24 %) oder einer immerhin 18 % berichten, dass sie heute nicht Kleinstadt (26 %). Nur 29 % der Vereine sind in mehr so viele Engagierte haben wie noch im einer der sächsischen Großstädte aktiv. Jahr 2012. Insgesamt müssen die Organisa- tionen große Anstrengungen unternehmen, • Kultur (19 %), Sport (18 %), Freizeit (17 %) und um genügend Engagierte zu mobilisieren, vor Bildung (16 %) machen mit 70 % zusammen allem für dauerhafte Engagements. den überwiegenden Teil der Vereine aus. Damit ist vor allem der Freizeitbereich in Sachsen • „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Dies gilt besonders stark vertreten. in den meisten Vereinen in Deutschland, in den Vereinen Sachsens jedoch besonders. Mit- • Viele Menschen können von den Angeboten glieder und Engagierte haben hier in der Regel profitieren, auch jene, die nicht Mitglied in den eine ähnliche kulturelle Herkunft. Organisationen sind. Die Angebote richten sich in vielen Fällen an die breite Gesellschaft, auch • Auch in Sachsen fühlen sich viele Organisatio- an bedürftige Menschen. nen durch bürokratische Vorschriften in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Die Mehrheit der • Die meisten Vereine sind kleine bis mittelgroße Vereine in Sachsen (77 %) fordert deshalb we- Organisationen. In Sachsen sind Vereine noch niger Bürokratie. kleiner als im Bundesdurchschnitt. Mehr als drei Viertel (79 %) der Vereine haben höchstens 100, weitere 12 % bis zu 300 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 Mitgliedern sind mit 8 % vergleichsweise selten.

• Bürgerschaftliches Engagement ist die Basis der Organisationen, ohne die sie ihre Aktivi- täten nicht aufrechterhalten könnten. 85 % der Organisationen arbeiten ausschließlich mit freiwillig Engagierten und werden nicht zusätz- lich von bezahlten Beschäftigten unterstützt.

16 Ergebnisse kurz notiert Einführung In diesem quantitativen Analyseteil werden bestellt ist und wie sich diese in den vergange- zunächst die allgemeinen Strukturen der nen Jahren entwickelt hat. organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen deskriptiv dargestellt (Abschnitt 1). Insbe- Mit den vorliegenden Daten wird eine zent- sondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede rale Herausforderung für Vereine und andere gegenüber dem Bundestrend sollen identifi- gemeinnützige Organisationen deutlich: die ziert werden. Die Datenbasis dafür ist der Zi- Ressourcenmobilisierung. Gerade die Mobili- viZ-Survey 2017 (siehe Abschnitt Datenbasis). sierung von Engagierten stellt einige – jedoch längst nicht alle Organisationen – vor beson- Da es ohne freiwilliges Engagement auch kei- dere Problemsituationen. Doch auch die Mit- ne organisierte Zivilgesellschaft gäbe, wird gliedergewinnung, die wiederum die Voraus- besonders auf die Daten zur Entwicklung des setzung für regelmäßige Einnahmen darstellt, Engagements in den Organisationen abgeho- ist für einige Vereine – insbesondere im länd- ben (Abschnitt 2). Neben dem Engagement lichen Raum – zunehmend ein Problem. spielen für die Handlungsfähigkeit der Orga- nisationen natürlich auch finanzielle Ressour- cen eine entscheidende Rolle. Daher wird im Abschnitt 3 darauf eingegangen, wie es um die finanzielle Situation in den Organisationen

Verein ist nicht gleich Verein Unter den 608.000 eingetragenen Vereinen in Deutsch- die Vereine hinsichtlich ihrer Tätigkeitsinhalte und ihrer land herrscht eine enorm große Vielfalt. Das trifft Arbeitsweise mitunter sehr unterscheiden. So weisen ebenso auf Stiftungen und andere Rechtsformen zu. Die beispielsweise manche Vereine mehr Ähnlichkeiten mit Rechtsformen stellen in der Regel nur den juristischen Stiftungen auf. Wenn im Folgenden Entwicklungen und Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens kann die Ausgestal- Trends skizziert werden, heißt das keinesfalls, dass diese tung sehr unterschiedlich sein. Das führt dazu, dass sich immer gleichermaßen auf alle Vereine zutreffen müssen.

17 Organisationslandschaft in Sachsen

Organisations- landschaft in Sachsen

Organisationen: Vereine, Stiftungen und mehr Da die organisierte

Zivilgesellschaft in Übung am Bärwalder See der Wasserwacht. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen Sachsen vor allem durch Vereine geprägt ist, wird im Folgenden von Ver- einen oder der Vereins- Ende 2019 waren in den sächsischen Vereins- (gemeinnützige GmbHs) gibt es derzeit keine landschaft gesprochen. registern1 30.794 Vereine registriert. Von die- Informationen. Gemeint sind dabei sen haben 30.099 auch ihren Sitz in Sachsen. jedoch immer auch die Neben den Vereinen zählen die 569 rechtsfä- Im Bundesdurchschnitt machen eingetragene übrigen Rechtsformen, higen Stiftungen des bürgerlichen Rechts2 zur Vereine neben Stiftungen, Genossenschaften und insbesondere Stiftungen, organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen. gemeinnützigen GmbHs etwa 95 % aus – also die zwar rein zahlenmä- den allergrößten Teil der organisierten Zivilge- ßig nur einen kleinen Teil Auch ein Teil der 760 eingetragenen Genossen- sellschaft. In einem ähnlichen Verhältnis dürften ausmachen, aber eine schaften3 kann zur organisierten Zivilgesell- sich die Vereine zu den übrigen Organisationen erhebliche gesellschaft- schaft gezählt werden. Es gibt derzeit jedoch auch in Sachsen bewegen. liche Relevanz haben. keine Informationen darüber, wie viele davon der organisierten Zivilgesellschaft zugerechnet werden können. Auch zur Zahl der gemeinnüt- zigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung

1 In Sachsen führen die Amtsgerichte in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Königstein Vereinsregister. Die dort gelisteten Vereine können im Gemeinsamen Registerportal der Länder unter www.registerportal.de abgerufen werden. Die Zahl 30.794 bezieht sich auf den Stand Ende November 2019. 2 Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen, unter: https://www.stiftungen.org/de/stiftungen/zahlen-und-daten/stiftungen-regional/stiftungen-in-sachsen. html, Zugriff am: 5. März 2020. 3 Quelle: Gemeinsames Registerportal der Länder unter www.registerportal.de, Zugriff am 3. März 2020.

18 Da Sachsen ländlicher geprägt ist als andere Bundesländer, gibt es hier auch mehr Das Juniorteam des Landessportbundes beim Erlebniswochenende im Elbsandsteingebirge. Bild: Landessportbund Sachsen Vereine im ländlichen Raum.

Viele Vereine in ländlichen Regionen

Die meisten Vereine gibt es in der Regel dort, wo Räumliche Verteilung der Vereine die meisten Menschen leben. Analog der Bevöl- kerungsentwicklung gibt es heute die meisten 34 31 Vereine in Großstädten. Bundesweit hat bereits 29 jeder dritte Verein (34 %) seinen Sitz in einer 26 24 25 25 Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. In 23 22 20 21 20 kleinen Gemeinden mit weniger als 5.000 Ein- wohnern ist heute nur noch jeder fünfte Verein (20 %) zu finden. Die übrigen Vereine verteilen sich auf kleinere und mittlere Städte (vgl. Abbil- dung 1). Sachsen Ostdeutschland Bundesweit Da Sachsen ländlicher geprägt ist als andere Bundesländer, gibt es hier auch mehr Vereine Kleine Gemeinde Mittelstadt im ländlichen Raum. Immerhin etwa jeder zweite sächsische Verein hat seinen Sitz in einer Kleinstadt Großstadt kleinen Gemeinde (24 %) oder einer Kleinstadt ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 101. Abb. 1: In Sachsen ist Kleine Gemeinde: bis 4.999 Einwohner; Kleinstadt: 5.000 bis 19.999 jeder zweite Verein in (26 %). Nur 29 % der Vereine sind in einer der Einwohner; Mittelstadt: 20.000 bis 99.999 Einwohner; Großstadt 100.000 sächsischen Großstädte aktiv. Damit ist die Ver- oder mehr Einwohner. einer kleinen Gemeinde einslandschaft in Sachsen zwar ländlicher als oder einer Kleinstadt im Bundesdurchschnitt, aber städtischer als angesiedelt. im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundes- ländern.

19 Organisationslandschaft in Sachsen

Gründungsjahre der Vereine (in %)

16

39 21 40 19

48 Bundesweit 21 Ostdeutschland Sachsen

14 14 27 25 15

bis 1989 1990 bis 1999 2000 bis 2009 2010 bis 2017

ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 249.

Eine junge Vereinslandschaft

Die Vereine in Sachsen sind geprägt von der be- In den alten Bundesländern hingegen existieren sonderen historischen Entwicklung der neuen auch heute noch vergleichsweise viele Vereine, Abb. 2: Die meisten Bundesländer. 19 % der heute bestehenden deren Historie zum Teil weit in die Vorkriegszeit der heute in Sachsen Vereine Sachsens existierten in ihren Strukturen zurückgeht. Nach Ende des zweiten Weltkriegs bestehenden Vereine zwar bereits vor 1989, alle anderen wurden erst 1945 wurden dann sukzessive immer mehr Ver- wurden in den Jahren nach 1989 gegründet. Besonders viele Vereine eine gegründet. Heute machen die bis 1989 ge- nach der Wiedervereini- wurden in den ersten Jahren nach der Wieder- gründeten Vereine in den alten Bundesländern gung gegründet. vereinigung gegründet. 40 % der heute beste- immerhin noch knapp die Hälfte (48 %) aus, auch henden sächsischen Vereine entstanden in den wenn diese Traditionsvereine immer stärker unter Jahren zwischen 1990 und 1999. Druck stehen (vgl. Priemer et al. 2019).

Viele kleine Vereine

Bei den meisten Vereinen handelt es sich – be- Mitgliederzahlen 2017 (in %) zogen auf die Mitgliederzahlen und die Zahlen 8 8 Abb. 3: Mehr als drei der freiwillig Engagierten – um kleine oder mittel- 15 Viertel aller Vereine in große Organisationen. Insgesamt sind Sachsens 14 12 Sachsen haben höchs- Vereine noch kleiner als im Bundesdurchschnitt 24 tens 100 Mitglieder. (auch im Vergleich zu den Vereinen in Ostdeutsch- Mitgliederzahlen 2017 land). Mehr als drei Viertel (79 %) der Vereine in (in %) Sachsen haben höchstens 100, weitere 12 % bis 78 79 zu 300 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 61 Mitgliedern sind – ähnlich wie im Bundesdurch- schnitt – mit 8 % vergleichsweise selten.

Die Zahl der Mitglieder ist in den meisten Vereinen (24 %) seit 2012 mindestens stabil, oder sogar stei- Bundesweit Ostdeutschland Sachsen gend (35 %). Bei etwa jedem fünften Verein (24 %) in Sachsen sind die Mitgliederzahlen jedoch auch bis 100 Mitglieder 101 bis 300 Mitglieder rückläufig. Damit entwickeln sich die Mitglieder- zahlen in Sachsen kaum anders als in anderen mehr als 300 Mitglieder Bundesländern. Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine, gewichtet, N =6.461, davon fehlend: 557.

20 Zahl der Mitglieder (in %)

2 2 7 15 14 11

14 19

Abb. 4: In kleinen Gemein- 91 den und in Kleinstädten sind Vereine mit mehr als 100 Mit- 87 gliedern selten. 72 67

ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 249.

Großstadt Mittelstadt Kleinstadt Kleine Gemeinde

bis 100 Mitglieder 101 bis 300 Mitglieder

mehr als 300 Mitglieder

ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine in Sachsen, gewichtet, N = 195, davon fehlend: 21.

Besonders wenige Mitglieder in ländlichen Vereinen Vor allem in kleinen Gemeinden und Klein- städten haben die Vereine selten mehr als 100 Mitglieder. Nur jeder zehnte Verein (9 %) in den kleinen Gemeinden Sachsens hat mehr als 100 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 Mit- gliedern sind hier mit 2 % ebenso die Ausnahme wie in den Kleinstädten.

Interessanterweise gibt es bezüglich der Ent- wicklung der Mitgliederzahlen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Stadtgrößen. Sprich: Generell entwickeln sich Mitgliederzahlen in Groß- städten kaum anders als in kleinen Gemeinden.

Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine, gewichtet, N =6.461, davon fehlend: 557. Die Bergwacht Sachsen bei einer Übung im Elbsandsteingebirge. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen

21 Organisationslandschaft in Sachsen

Traditionelle Themen dominieren

Die Organisationen sind in Sachsen etwas anders Der Aktivitätsradius der meisten Vereine be- auf die Handlungsfelder verteilt, als in anderen schränkt sich auch in Sachsen – wie überall in Teilen Deutschlands. Üblicherweise sind Sport- Deutschland – im Wesentlichen auf die Kommu- vereine die größte Gruppe. In Sachsen fallen mit ne (49 %) oder die Region (40 %). In Sachsen gibt 19 % die meisten Organisationen auf den Kultur- es nur sehr wenige Vereine, die überwiegend bereich. Kultur, Sport (18 %), Freizeit (17 %) und international agieren. Bildung (16 %) machen mit 70 % zusammen den überwiegenden Teil der Vereine in Sachsen aus.

2 2 0 2 2 3

3 19

Abb. 5: In Sachsen 3 dominieren Kultur-, Sport- und 3 Freizeitvereine sowie Bildungsvereine.

3 Verteilung der Engagementfelder 5

der Vereine 18 (in %)

16

17

Kultur/Medien 19 % Sonstiges 5 % Kirchen/religiöse Vereinigungen 3 % Internationale Solidarität 2 %

Sport 18 % Bevölkerungs-/ Bürger-/Verbraucherinteressen 3 % Wirtschafts-/Berufsverbände 2 % Katastrophenschutz 3 % Gemeinschaftliche Freizeit/Geselligkeit 17 % Soziale Dienste 3 % Umwelt-/Naturschutz 2 % Versorgungsaufgaben 0 % Bildung/Erziehung 16 % Gesundheitswesen 3 % Wissenschaft /Forschung 2 %

Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Sachsen, gewichtet, N = 195, davon fehlend: 8.

22 Was sich hinter den einzelnen Engagementfeldern verbirgt

Im Folgenden sind für die einzelnen En- Bildung und Erziehung. Kitas, Horte, Kirchen und religiöse Vereinigungen. gagementfelder Beispiele aufgeführt, Erwachsenenbildung, außerschulische Moscheevereine, Kulturvereine mit reli- um eine Vorstellung davon zu vermit- Bildung giösem Bezug, Fördervereine religiöser teln, welche Arten von Vereinen sich Einrichtungen dahinter verbergen können. Die auf- Soziale Dienste. Ambulante und statio- geführten Beispiele können immer nur näre soziale Hilfen, Beratungs- und Für- Wissenschaft und Forschung. For- einen kleinen Ausschnitt darstellen. sorgedienste, Heime, Tafeln schungseinrichtungen, Wissenschafts- Denn auch innerhalb der jeweiligen förderung Engagementfelder herrscht mitunter Bevölkerungs- und Katastrophen- eine große Vielfalt an Aufgaben und schutz. Freiwillige Feuerwehr, Katastro- Bürger- und Verbraucherinteressen. Tätigkeiten. phenhilfe, Bergrettung, Wasserrettung Rechtsberatung, Quartiersmanagement, Stadtteilarbeit, Freiwilligenagenturen Kultur und Medien. Chöre, Theater, Gesundheitswesen. Gesundheitsbe- Konzertveranstalter, Archive, Museen, ratung, therapeutische Einrichtungen, Wirtschaftsverbände und Berufsorga- historische Gebäude, Internet, Kultur- Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken nisationen. Wirtschafts- und Berufsver- vereine einigungen, Fachgesellschaften Umwelt- und Naturschutz. Klima- Sport. Sportvereine, Schachclubs, Wan- schutz, Nachhaltigkeit sowie Tier- und Gemeinschaftliche Versorgungsauf- dervereine, Angelvereine, Schützenver- Artenschutz gaben. Energie- und Wasserversorgung, eine Transport und Verkehr, Wohnraum Internationale Solidarität. Entwick- Freizeit und Geselligkeit. Kleingärten, lungszusammenarbeit, Fair Trade, Völ- Campingplätze, Zuchtvereine, Karnevals- kerverständigung, Agenda 2030 vereine, Fanclubs

Lesehinweis zu Abb. 5: „Kleine Engagementfelder“ ganz groß

Nur die Zahl der Organisationen wird besonders viele Engagierte binden. Es Kirchen bzw. religiöse Vereinigungen im erfasst handelt sich also hinsichtlich der Zahl ZiviZ-Survey nur 3 % der Organisationen Einige Engagementfelder wie etwa die der Organisationen um kleine Bereiche, aus. Das liegt daran, dass hier per Defi- Sozialen Dienste (3 %), der Bevölke- die jedoch außergewöhnlich viele freiwil- nition (vgl. Abschnitt Datenbasis) keine rungs- und Katastrophenschutz (3 %) lig Engagierte aufweisen. öffentlichen Körperschaften berück- sowie Kirchen oder religiöse Vereini- sichtigt werden. Kirchliche Einrichtungen gungen (3 %) erscheinen in Abbildung Organisationen haben nicht nur ein tauchen daher in den vorliegenden Daten 7 unverhältnismäßig klein, obwohl sie Handlungsfeld nur dann auf, wenn sie in der Rechtsform eine außerordentlich große Bedeutung Es ist ebenfalls wichtig zu wissen, dass eines eingetragenen Vereins, einer Stif- als Orte des bürgerschaftlichen Engage- ein Verein immer auch in mehreren tung oder einer anderen gemeinnützigen ments haben. Handlungsfeldern aktiv sein kann. Bei Organisation agieren. den hier vorliegenden Zahlen wurden In dieser Form der Darstellung sind allein die Haupttätigkeitsfelder abgefragt, also Ähnlich verhält es sich mitunter in ande- die Zahlen der Organisationen berück- jene Handlungsfelder, in denen sich die ren Bereichen, etwa dem Umwelt- und sichtigt, unabhängig davon, wie viele Vereine am stärksten verorten. Naturschutz. So werden die zahlreichen Mitglieder oder freiwillig Engagierte sie Ortsgruppen von Greenpeace, die alle binden. Zugleich wissen wir, dass Vereine Nur Organisationen mit Rechtsform ohne Rechtsform agieren, in der vorlie- und andere gemeinnützige Organisa- werden aufgelistet genden Statistik nicht berücksichtigt. tionen des Bevölkerungs- und Katastro- Auch über die Kirchen wird viel Enga- phenschutzes oder der Sozialen Dienste gement mobilisiert. Zugleich machen

23 Organisationslandschaft in Sachsen

Angebote für verschiedenste Personengruppen

Die meisten Organisationen adressieren mit Viele Vereine und andere Organisationen ma- ihren Aktivitäten viele verschiedene Menschen. chen Angebote für besondere Zielgruppen, etwa Mehr als drei Viertel (79 %) bieten ihre Angebote für sozial benachteiligte Menschen, an die sich in nicht nur ausschließlich für die eigenen Mitglie- Sachsen 31 % der Organisationen richten, oder der an, sondern auch externe Personen können auch für Menschen mit Behinderungen, an die an den Angeboten partizipieren, auch wenn sie sich 22 % richten. Trotz verbreiteter Hassgewalt nicht Mitglied der Organisation sind. sowie rechter Polarisierung und Mobilisierung gibt es in Sachsen im Vergleich zu anderen Regio- Vereine und andere Organisationen zeichnen nen Deutschlands anteilig nicht weniger Organi- sich vor allem dadurch aus, dass sie sich meist sationen, die Maßnahmen für Menschen mit Mi- nicht an eine bestimmte Altersgruppe richten. grationshintergrund (18 %) oder für Geflüchtete 86 % der Organisationen in Sachsen stehen allen (17 %) anbieten. Altersgruppen offen. Wenn sie sich auf eine be- stimmte Altersgruppe konzentrieren, dann zu- meist auf Kinder und Jugendliche.

Zielgruppen* der Aktivitäten der Vereine (in %)

27 Sozial Benachteiligte 29 31

20 Menschen mit Behinderungen 22 22 Abb. 6: Jeder dritte Verein in Sachsen richtet sich gezielt an sozial Menschen mit 19 benachteiligte Migrationshintergrund 18 Menschen. 18

18 Flüchtlinge in Deutschland 16 17

Andere hilfe-, pflege- 14 bedürftige oder kranke 13 Menschen 13 Bundesweit

8 Menschen in anderen Ostdeutschland Ländern 6 7 Sachsen

ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: max. 68, Mehrfachantworten.

*Im ZiviZ-Survey wurde nur eine Auswahl an Personengruppen abgefragt. Darüber hinaus werden zahlreiche andere spezifische Personengruppen angespro- chen. Manche Vereine richten sich an Menschen mit bestimmten Erkrankungen, an spezielle Berufsgruppen, an Homosexuelle oder nur an Männer oder nur an Frauen, an Studierende, an Eltern – die Liste ließe sich unendlich fortschreiben.

24 Die meisten Organi- Bild: Landessportbund Sachsen sationen verstehen sich als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“ und/ oder als Mitgliederor- Allgemeines Rollenverständnis ganisation.

Bei den sächsischen Organisationen dominieren Verständnis zur eigenen Rolle ähnliche Rollenverständnisse wie im Bundes- gegenüber dem Staat (in %) durchschnitt. Die meisten Organisationen verste- hen sich als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“ 5 6 7 (64 %) und/oder als Mitgliederorganisation (66 %). Es handelt sich also um Organisationen, 31 35 in denen Menschen zusammenkommen, die ge- 38 meinsamen Interessen nachgehen.

Ein Drittel (31 %) versteht sich aber auch als För- derorganisation. Dazu gehören neben Förderstif- tungen vor allem Fördervereine (z.B. von Schulen oder Kultureinrichtungen), von denen es auch bundesweit immer mehr gibt. 64 Abb. 7: Mehr als jede 60 56 dritte Organisation in Bezüglich ihres Rollenverständnisses gegenüber Sachsen sieht den Staat dem Staat weichen die sächsischen Organisatio- in der Finanzierungsver- nen etwas vom Bundesdurchschnitt ab. Etwas antwortung. mehr als die Hälfte (52 %) sieht sich vor allem in einer eigenverantwortlichen Position und Bundesweit Ostdeutschland Sachsen stimmt der Aussage zu, dass die Arbeit durch die Organisation geleistet und auch selbst finanziert werden sollte. Es gibt aber auch andere Ansich- Unsere Arbeit soll durch uns geleistet und selbst finanziert werden ten: So sehen immerhin 38 % den Staat in der Finanzierungsverantwortung (Bundesweit sind Unsere Arbeit sollte vom Staat finanziert werden es 31 %). Weitere 7 % geben an, dass das, was sie als Organisation tun, eigentlich Sache des Unsere Arbeit sollte von staatlichen Stellen Staates wäre. Bundesweit sehen das nur 5 % der geleistet werden Organisationen so. ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 507.

25 Engagement: Das Fundament

Beprobung eines Altenheims auf Covid-19. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen

26 Die überwiegende Mehrheit der Organi- sationen leistet ihre Aktivitäten gänzlich ohne die Unterstüt- zung bezahlter Kräfte. Engagement: das Fundament

Vereine und die anderen Organisationen der Zivilgesellschaft sind wichtige Orte des bürgerschaftlichen Engagements. Laut Frei- willigensurvey (Simonson et al. 2017) leitet die Hälfte der bürgerschaftlich engagierten Menschen das Engagement in einem Verein. Mit freiwillig Engagier- Zugleich gäbe es die bunte und vielfältige Ver- ten sind Personen ge- einslandschaft ohne das Engagement und den meint, die unentgeltlich Einsatz freiwillig Engagierter nicht. Vereine und und freiwillig Aufgaben auch viele Stiftungen und einige der gemeinnüt- und Ämter in einer Orga- zigen GmbHs sind darauf angewiesen, dass sich nisation übernehmen. Menschen freiwillig und unentgeltlich einbrin- Oft ist auch die Rede gen. Sie müssten ihre Arbeit einstellen, wenn die von ehrenamtlich oder ehrenamtliche Unterstützung ausbliebe. bürgerschaftlich Enga- gierten, manchmal auch Dies gilt für Sachsen noch stärker als andernorts. von Ehrenamtlichen. Die überwiegende Mehrheit der Organisationen Diese Begriffe sind nicht (85 %) leistet ihre Aktivitäten gänzlich ohne die eindeutig voneinander Unterstützung bezahlter Kräfte. Damit sind in abgegrenzt und werden Sachsen noch mehr Organisationen rein ehren- im allgemeinen Sprachge- amtlich getragen als im Bundesdurchschnitt, wo brauch oftmals synonym es nur 72 % sind. verwendet.

27 Engagement: Das Fundament

Stabile Engagiertenzahlen

Bei den meisten Organisationen sind die Zahlen bestehenden Sport-, Kultur- und Freizeitvereinen der Engagierten seit 2012 stabil oder sogar stei- gehen eher die Engagierten aus als etwa den Bil- gend. 60 % berichten, dass sich die Zahlen der dungsorganisationen oder den Umweltvereinen. Engagierten nicht verändert haben. Bei 22 % der Organisationen sind die Engagiertenzahlen sogar Außerdem sind Vereine in kleinen Gemeinden gestiegen. stärker von rückläufigen Engagiertenzahlen be- troffen als Vereine in Städten, was zum Teil aber Zugleich ist die Entwicklung nicht bei allen Or- auch daran liegt, dass in den ländlichen Räumen ganisationen so positiv. Immerhin ein Fünftel eher traditionelle Vereine beheimatet sind. Jeder der Organisationen (18 %) berichtet, dass sie vierte Verein mit Sitz in einem Dorf (25 %) hat heute nicht mehr so viele Engagierte haben wie rückläufige Engagiertenzahlen. noch im Jahr 2012. Besonders betroffen sind die traditionellen Engagementbereiche: Schon lange

Entwicklung der Zahlen der Engagierten seit 2012 nach Stadtgröße* (in %)

Sachsen 22 60 18

Großstadt 30 54 15

Mittelstadt 17 67 17

Kleinstadt 25 63 13

Kleine 13 63 25 Gemeinde

Abb. 8: Jeder fünfte Verein in kleinen gestiegen unverändert gesunken Gemeinden und in Kleinstädten hat seit 2012 Engagierte verloren, Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine mit Engagierten in Sachsen, gewichtet, N =157, davon fehlend: 24. *Kleine Gemeinde = bis 4.999 Einwohner, Kleinstadt = 5.000 bis 19.999 Einwohner, Mittelstadt = 20.000 bis 99.999 Einwohner, in Großstädten hingegen Großstadt = 100.000 oder mehr Einwohner. nur gut jeder achte Verein.

28 Entwicklung der Zahlen der Engagierten seit 2012 nach Stadtgröße* (in %)

58 57 52 50 43 38 24 19 22 13 15 12 11 8 13

ehrenamtliche Leitungspositionen dauerhafte Engagements kurzfristige Engagements

kleine Gemeinde Kleinstadt Mittelstadt Großstadt Sachsen

Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine mit Engagierten, gewichtet, N = 6.160, davon fehlend: max. 376 (Mehrfachantworten). *Antwort = trifft voll zu oder trifft zu. Weitere Antwortmöglichkeiten waren: weder noch, trifft nicht zu, trifft gar nicht zu. Abb. 9: In Sachsen findet nur jede fünfte Organisa- tion genug Menschen für ehrenamtliche Leitungs- Ehrenamtliche Funktionsträger sind positionen. schwer zu finden

Obwohl die meisten Organisationen ihre Engagier- das weniger ein Problem. Jede zweite Organisa- tenzahlen noch stabil halten konnten, müssen sie tion (52 %) findet genug Menschen für temporäre immer größere Anstrengungen unternehmen, um ehrenamtliche Aktivitäten. genügend Engagierte zu mobilisieren. Nur jede fünfte Organisation (22 %) gibt an, dass sie genug In den Großstädten ist die Situation nicht ganz so Menschen für ehrenamtliche Leitungspositionen drastisch wie vor allem in den kleinen Gemein- gewinnen kann. Besonders herausfordernd ist es, den oder in Kleinstädten. Mehr als jede dritte Menschen zu einem dauerhaften Engagement zu Organisation (38 %) in einer Großstadt findet bewegen. Nur 15 % der Organisationen können genug Ehrenamtliche für Leitungspositionen, leicht Engagierte für die dauerhaft zu besetzenden und immerhin jede vierte (24 %) für dauerhafte Ämter finden. Bei kurzfristigen Engagements ist Engagements.

Viel Arbeit auf wenigen Schultern

Es sind meist ausschließlich Engagierte, die die Menschen finden, die zu einem Engagement Belange der Organisationen aufrechterhalten. bewegt werden könnten. Zugleich sind es in der Regel nur sehr wenige Menschen innerhalb einer Organisation, bei Zahl der freiwillig Engagierten 2017 (in %) denen ein Großteil der Arbeit liegt. In 69 % der Organisationen sind höchstens 20 Menschen 13 freiwillig engagiert. In jeder fünften Organi- 10 sation sind es immerhin zwischen 21 und 50 Abb. 10: In der Mehrheit 22 21 Engagierte. Mehr sind es allerdings nur selten Bundesweit der Organisationen 65 69 Sachsen (10 %). leisten maximal 20 Engagierte die gesamte Gerade für die kleinen Vereine, in denen die Arbeit. Arbeit auf wenige Schultern verteilt ist, ist es daher besonders problematisch, wenn die bis 20 21-50 mehr als 50

Engagierten ausbleiben. Sie haben meist auch Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine mit Engagierten, gewichtet, nicht allzu viele Mitglieder, unter denen sich N = 6.160, davon fehlend: 180.

29 Engagement: Das Fundament

Mitglieder und Engagierte bleiben unter sich

„Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Dies gilt in den Unsere Mitglieder/Engagierten haben eine meisten Vereinen in Deutschland, unter den Mit- ähnliche kulturelle Herkunft* (in %) gliedern in Sachsens Vereinen jedoch besonders.

Mitglieder und Engagierte sächsischer Vereine 82 Abb. 11: Die Mitglie- haben in der Regel eine ähnliche kulturelle 81 der und Engagierten Herkunft. Sie unterscheiden sich also kaum in fast aller sächsischen Sprache, Religion oder Nationalität. 82 % der 72 Organisationen haben sächsischen Organisationen geben an, dass ihre eine ähnliche kulturelle Mitglieder eine ähnliche kulturelle Herkunft ha- Mitglieder Herkunft. ben. Diesbezüglich hat sich in den vergangenen Jahren auch wenig verändert. Vereine, die davon 81 berichten, dass zunehmend auch Menschen mit Migrationshintergrund eintreten, sind mit 3 % die 83 Ausnahme.4 79

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Engagier- Engagierte ten. In nur sehr wenigen Organisationen (2 %) engagieren sich heute mehr Menschen mit Mig- rationshintergrund als noch 2012. Mit 81 % gibt Sachsen Ostdeutschland Bundesweit der überwiegende Teil an, dass die freiwillig En- Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine, gewichtet, N =6.160, davon fehlend: gagierten aus einem kulturell homogenen Kreis 408. *Hier nur Angaben „trifft (voll) zu“ ausgewiesen. Weitere Antwortmög- bestehen. lichkeiten waren „weder noch“ und „trifft (gar) nicht zu“.

Wer die Engagierten sind

In den meisten Organisationen engagieren sich viele Frauen engagiert sind. Im Bereich des Be- überwiegend erwachsene Menschen. Im Durch- völkerungsschutzes hingegen sind Frauen nach schnitt sind zwei Drittel der Engagierten (65 %) wie vor besonders unterrepräsentiert. eines Vereins Erwachsene im erwerbsfähigen Alter. Etwa ein Drittel der Engagierten (34 %) ist Altersgruppen der Engagierten (in %) in einem durchschnittlichen sächsischen Verein bereits im Rentenalter – also etwas mehr als im 8 Abb. 12: Etwa zwei Bundesdurchschnitt (30 %). Kinder machen mit 8 Drittel der Engagierten durchschnittlich 8 % vergleichsweise wenige der sind Erwachsene im er- 30 34 Engagierten aus. 66 Bundesweit Sachsen werbsfähigen Alter. 65 Nicht nur Kinder sind unter den Engagierten unterrepräsentiert, sondern auch Frauen. In einem durchschnittlichen Verein in Sachsen sind 28 % (Bundesweit: 32 %) der engagierten Perso- Kinder/Jugendliche erwerbsfähige Erwachsene nen weiblich. Allerdings bestehen diesbezüglich Erwachsene (Nacherwerbsphase) erhebliche Unterschiede zwischen den Hand-

lungsfeldern. Besonders deutlich zeigt sich dies ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine mit Engagierten, gewichtet, N = 6.160, davon in den Sozialen Diensten, in denen besonders fehlend: 2.931.

4 Methodischer Hinweis: An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Befragung 2016 und 2017 stattfand, also in einer Zeit, in der vergleichsweise viele Menschen nach Deutschland kamen. Seither hat es auch von Vereinen und anderen Organisationen zahlreiche Bemühungen gegeben, diese Menschen zu integrieren. Die heutigen Zahlen könnten also durchaus ein anderes Bild zeichnen.

30 Bürokratie hemmt Engagement

Werden die Organisationen nach ihren Wünschen höheres Problembewusstsein als auf Bundes- an Politik und Verwaltung zur Verbesserung ebene. Bundesweit wünschen sich 66 % weniger ihrer Arbeitsbedingungen gefragt, so bestätigt bürokratischen Aufwand. sich das immer wieder Gehörte: Auch viele der Organisationen in Sachsen fühlen sich durch die Weiterhin wünscht sich etwa jede zweite Organi- zahlreichen bürokratischen Vorschriften in ihren sation Verbesserungen beim Gemeinnützigkeits- Aktivitäten eingeschränkt. Die Mehrheit der Orga- recht (52 %) und Unterstützung beim Fundraising nisationen (77 %) wünscht sich deshalb weniger beziehungsweise beim Beantragen und Verwal- Bürokratie. Diesbezüglich besteht in Sachsen ein ten von Fördermitteln (47 %).

Wünsche an Politik und Verwaltung (in %)

66 Abbau von 73 bürokratischem Aufwand 77

53 Abb. 13: Drei Viertel Verbesserung beim 56 Gemeinsnützigkeitsrecht der Organisationen 52 wünschen sich weniger bürokratischen Aufwand.

Hilfe beim Fundraising 48 bzw. beim Beantragen 47 und Verwalten von Fördermitteln 47

39 Besserer Versicherungs- 36 schutz für Engagierte 35 Bundesweit

Ostdeutschland 36 Mehr Ansprechpartner in 35 Politik und Verwaltung Sachsen 33

31 Ohne finanzielle Mittel geht es nicht

Im Durchschnitt speisen sich 41 % der finanziellen Ressourcen aus Mitgliedsbeiträgen Ohne finanzielle Mittel geht es nicht

Egal ob Verein, Stiftung oder andere gemein- nützige Organisation: Sie alle sind für die Um- setzung ihrer Arbeit auf finanzielle Mittel an- gewiesen. Obwohl viele freiwillig Engagierte ihre Arbeitskraft unentgeltlich zur Verfügung stellen, fallen für Materialien, Geräte, Räume und Ähnliches Kosten an.

Viele Vereine finanzieren sich über verschiedene Einnahmequellen. Typische Einnahmequellen sind dabei Mitgliedsbeiträge, eigene wirtschaft- liche Aktivitäten (wie Veranstaltungen oder das Betreiben einer Vereinsgaststätte), Spenden und Sponsorengelder sowie öffentliche Förder- mittel. Insbesondere für Stiftungen sind zudem Vermögensbeiträge ein zentraler Finanzierungs- baustein.

32 Sport ist traditionell ein wichtiges Engagementfeld. Bild: Benjamin Jenak

Die im ZiviZ-Survey erfassten Einnahmequellen

Mitgliedsbeiträge: „Klassische“ Bei- Vermögenserträge: Erträge aus Geld- Sponsorengelder: Im Gegensatz zur träge für Mitgliedschaften in Vereinen, anlagen (Zinsen, Dividenden) sowie Spende findet für die geleisteten Zah- einschließlich Aufnahmegebühren. aus der Vermietung und Verpachtung lungen ein Leistungstausch statt. Fördermitgliedsbeiträge fallen in die von Grundbesitz und Immobilien (Mie- Rubrik Spenden. ten und Pachten). Öffentliche Fördermittel: Institutio- nelle und projektbezogene Zuwendun- Erwirtschaftete Mittel (Markterträge): Spenden: Freiwillige Zahlungen von gen staatlicher Einrichtungen. Jegliche Form von Leistungsentgelten Privatpersonen, Stiftungen und Fonds, und –pauschalen, auch aus öffentlichen Unternehmen oder anderen Vereinen, Sonstige Mittel: Sondereinnahmen Kassen, sowie Gebühren, Eintrittsgelder, einschließlich Fördermitteln von wie etwa Bußgelder, Erbschaften oder Lotterieeinnahmen und ähnlichen Ein- Trägerorganisationen, Verbänden, Rückbuchungen aus Vorjahren. nahmen, einschließlich Mittel gesetz- Stiftungen, Fördermitgliedsbeiträge licher Sozialversicherungen. und ähnlichen Spenden. Fördermit- gliedschaften gibt es auch bei Rechts- formen, die normalerweise keine Mit- gliedsbeiträge erheben, wie Stiftungen und gemeinnützige GmbHs.

33 Ohne finanzielle Mittel geht es nicht

Anteile der Einnahmearten (in %)

Bundesweit 39 20 3 19 4 11 2

Ostdeutschland 40 18 3 16 5 13 2

Sachsen 41 18 3 15 4 13 2

Mitgliedsbeiträge Erwirtschaftete Mittel Vermögensverträge Spenden Abb. 14: Mehr als die Hälfte der Einnahmen Sponsorengelder Öffentliche Fördermittel Sonstige stammen aus Mitglieds- beiträgen und Spenden. Quelle: ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 876.

Mitgliedsbeiträge als wichtigste Geldquelle

Mitgliedsbeiträge sind auch in Sachsen für die aus. Eine vergleichsweise geringe Rolle spielen meisten Organisationen die größte Einnahme- öffentliche Mittel im Finanzierungsmix. Nur jede quelle. Im Durchschnitt speisen sich 41 % der dritte Organisation (36 %) bekommt überhaupt finanziellen Ressourcen aus Mitgliedsbeiträgen. öffentliche Mittel. Durchschnittlich machen öf- Spenden und Sponsorengelder machen zusam- fentliche Mittel nur 13 % der Einnahmen aus. men immerhin ein Fünftel (19 %) der Einnahmen

Meist ist nur wenig Geld vorhanden

In der Regel haben die Organisationen nur einen schen Organisationen allerdings nicht schlechter kleinen finanziellen Spielraum. 62 % der Organi- aufgestellt. Zudem konnten immerhin 34 % sationen haben höchstens 10.000 Euro jährlich der Organisationen ihre Einnahmen gegenüber zur Verfügung, einige sogar weit weniger. Nur 2012 steigern. Zugleich hat sich die finanzielle 14 % können auf Jahreseinnahmen von mehr Situation bei jeder fünften Organisation (19 %) in als 100.000 Euro zurückgreifen. Einnahmen von Sachsen aber auch verschlechtert. Bei so gerin- einer Million oder mehr sind mit 3 % die Aus- gen Einnahmen sind große Sprünge jedoch kaum nahme. möglich. Insbesondere Personalkosten lassen sich damit kaum abdecken. So überrascht es Insgesamt haben die Organisationen in den auch wenig, dass nur 15 % der Organisationen in neuen Bundesländern noch weniger Geld als Sachsen bezahlte Beschäftigte haben. die in den alten Bundesländern. Im Vergleich zu anderen ostdeutschen Regionen sind die sächsi-

34 Die „Wunderfinder“ begleiten Kinder zu außergewöhnlichen Orten. Bild: Stiftung „Bürger für Leipzig“

Einnahmen in Euro 2017 (in %)

50 12 21 13 6 Bundesweit

61 11 16 9 3 Ostdeutschland

62 9 15 11 3 Sachsen

bis 10.000 10.001 - 20.000 20.001 - 100.000 100.001 - 1 Mio. mehr als 1 Mio. Abb. 15: Zwei von drei Organisationen haben Quelle: ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, bundesweit: N = 6.750, davon fehlend: 1.003. jährlich nur bis zu 10.000 Euro zur Verfügung.

35 Engagement: Das Fundament

Auf dem Land meist noch weniger Geld

Bei den finanziellen Ressourcen zeigt sich ein deut- dass Organisationen, die Dienstleistungen für den liches Stadt-Land-Gefälle. Organisationen auf dem Staat erbringen und dafür öffentliche Mittel er- Land haben noch weniger Geld als die in den Städ- halten, eher in den Städten angesiedelt sind, so ten, insbesondere als die in den Großstädten. etwa die Träger der Kinder- und Jugendhilfe. In den ländlichen Regionen hingegen gibt es häufiger Abb. 16: In den kleinen Von öffentlichen Mitteln etwa profitieren ländliche Organisationen, die Sport- und Kultur- oder andere Gemeinden Sachsens Vereine etwas weniger als die (groß)städtischen Freizeitangebote anbieten. haben sogar 73 % der Vereine. Zum Teil hängt das auch damit zusammen, Organisationen jährlich nur bis zu 10.000 Euro zur Verfügung. Einnahmen in Euro 2017 (in %)

Großstadt 53 6 20 16 4

Mittelstadt 56 8 19 11 6

Kleinstadt 69 11 9 9 3

Kleinere Gemeinde 73 11 11 5 0

bis 10.000 10.001 - 20.000 20.001 - 100.000 100.001 - 1 Mio. mehr als 1 Mio.

Quelle: ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, bundesweit: N = 6.750, davon fehlend: 1.003.

Sachleistungen und ähnliche Unterstützungen sind wichtig

Eine wichtige Ergänzung im Finanzierungsmix sind kommen derartige Unterstützungen von den Kom- die sogenannten nicht-finanziellen Unterstützun- munen (53 %) und von Privatpersonen (51 %). gen, die etwa jede zweite Organisation in Sachsen (55 %) bekommt. Zu den wichtigsten Unterstützun- Für immerhin 38 % der Organisationen, die derarti- gen dieser Art zählt die kostenlose, oder zumindest ge Unterstützungen erhalten, sind Sachleistungen vergünstigte, Nutzung von Infrastruktur. Das sind und andere derartige Unterstützungsleistungen meist Räume oder auch Sportanlagen (64 %), die essentiell. Sie sind darauf angewiesen und wären für die Vereinsaktivitäten benötigt werden. Die ohne sie nicht handlungsfähig. Organisationen werden aber auch durch Sachspen- den (53 %), wie etwa IT-Ausstattung, Papier, Trikots und Ähnliches unterstützt. Manchen Organisatio- nen hilft externes Personal (16 %), manche erhalten kostenlose Serviceleistungen (32 %). Am häufigsten

36 Art der nicht-finanziellen Unterstützungen (in %)

27 Bundesweit Personal 23 Ostdeutschland 16

Sachsen 26 Serviceleistungen 28 Abb. 17: Die häufigste Form nicht-finanzieller 32 Unterstützungen ist Infrastruktur. 49 Sachspenden 53 53

72 Infrastruktur 69 64

5 Sonstige 6 8

ZiviZ-Survey 2017, nur Organisationen, die Unterstützungen nicht-finanzieller Art erhalten, gewichtet, N = 3.613, davon fehlend: max. 30, Mehrfachantworten.

Kooperation und Vernetzung sind ausbaufähig

Durch gemeinsame Aktivitäten von verschiede- Verbandsstrukturen (in %) nen Akteuren lassen sich oftmals Ressourcen sparen. Kooperationen und Vernetzung können aber auch andere Vorteile bringen. Durch die 51 Abb. 18: Mehr als jede 49 Zusammenarbeit mit Schulen kann dem Nach- zweite Organisation ist 45 wuchsmangel leichter begegnet werden. Mit- in Verbandsstrukturen glieder und auch Engagierte lassen sich leichter eingebunden. gewinnen, wenn die Vereinsaktivitäten in den Schulalltag eingebunden werden, etwa im Rah- men der Nachmittagsbetreuung.

Doch bislang sind Kooperationen noch nicht allzu verbreitet. Nur gut jeder zweite Verein (56 %) in Ostdeutschland Sachsen ist mit anderen Akteuren (anderen Organi- 9 sationen, regionalen Wirtschaftsunternehmen oder 8 7 der Gemeindeverwaltung) vernetzt. Eine konkrete Möglichkeit der Vernetzung mit anderen Organisa- tionen bieten oftmals Verbandsmitgliedschaften. Bundesweit Ostdeutschland Sachsen Doch auch nur 45 % der Organisation sind Mitglied in einem Verband. 7 % der befragten Organisatio- nen sind selbst ein Verband. ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, bundesweit: N = 6.750, davon fehlend: 112.

37 Organisationslandschaft in Sachsen

Zusammen- fassung Vereine in Sachsen – anders als der Bundesdurchschnitt?

38 Die Vereinslandschaft in Sachsen ist kein einslandschaft nieder. Sind in Ostdeutschland deutscher Sonderfall. Aufstellung, regionale insgesamt 31 % der Vereine in kleinen Gemein- Verteilung, finanzielle Ressourcen, Mitglie- den angesiedelt, liegt dieser Wert in Sachsen bei derstrukturen – sicher lassen sich in diesen nur 24 %. und weiteren Punkten sächsische Spezifika identifizieren. Doch bevor diese überbewertet Dieser Anteil der sächsischen Vereine ist dafür werden gilt es zu betonen, dass die sächsi- deutlich kleiner als Vereine in urbaneren Gebie- sche Zivilgesellschaft wie die Ostdeutsche im ten. Neun von zehn dieser Vereine hat weniger Besonderen und die in allen Bundesländern als 100 Mitglieder. Gerade diese Vereine scheinen zusammen gemeinsame Entwicklungen auf- vor besonderen Herausforderungen zu stehen. weist. So ist in allen Bundesländern etwa das Während in Vereinen, die in städtischeren Ge- freiwillige Engagement seit 1999 bis heute bieten arbeiten, weniger als ein Fünftel von sin- gestiegen. Die ostdeutschen Länder unter- kenden Engagiertenzahlen berichten, trifft dies scheiden sich hier gemeinsam von den west- auf immerhin ein Viertel der Vereine in kleinen deutschen, da die Vergleichswerte für 1999 Gemeinden zu. Da sich Vereine über ihre Mit- deutlich geringer ausgeprägt waren als die gliedsbeiträge wesentlich finanzieren, verfügen ostdeutschen. Seitdem ist es aber zu einer Vereine in ländlichen Regionen häufiger auch zunehmenden Nivellierung der Differenz ge- über geringere finanzielle Spielräume. kommen. Auch in den meisten ostdeutschen Bundesländern lagen die Quoten 2014 knapp Ein interessantes Ergebnis ist, dass Vereine in unter oder sogar über der 40-Prozent-Marke. Sachsen seltener berichten, sogenannte Infra- struktur-Sachleistungen kostenlos zur Verfügung Bei Mitgliedschaften in Vereinen sind nach wie gestellt zu bekommen. Infrastruktur-Sachleis- vor deutliche Unterschiede zu verzeichnen. In tungen können unterschiedliche Ausprägungen Sachsen und Sachsen-Anhalt waren 2014 ca. annehmen, etwa die kostenlose Überlassung 34 % der Bevölkerung (ab 14 Jahren) Mitglied in kommunaler Sportstätten an Sportvereine oder einem oder mehreren Vereinen. Zum Vergleich: Möglichkeiten der kostenlosen Nutzung, etwa im in Rheinland-Pfalz und im Saarland lag dieser lokalen Rathaus, für Sitzungen der Vereine vor Wert bei 54 %. Nur Berlin hat mit 31 % einen ge- Ort. Solche kostenlosen Nutzungsmöglichkeiten ringeren Anteil von Bürgerinnen und Bürger, die dürfen in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt Mitglied in einem oder mehren Vereinen sind. werden. Müssten entsprechende Leistungen Vor diesem Hintergrund ist es nicht selbstver- gegen Miete oder Gebühren eingekauft werden ständlich, dass die Vereinsdichte in Sachsen mit würde das viele der eher mit schmalem Budget 7,3 Vereinen je 1.000 Einwohnern exakt auf dem aufgestellten Vereine überfordern. Niveau des Mittelwertes für die Bundesrepublik liegt. Zusammengenommen lassen sich diese Der Anteil an Vereinen, die nur mit freiwilligem Werte nur so erklären: Da ein geringerer Anteil Engagement, also ohne Mitwirkung von haupt- der Bevölkerung selbst Mitglied in einem Verein amtlich Beschäftigten arbeiten, ist in Sachsen ist, es von diesen aber relativ gesehen gleich viel mit 85 % aller Vereine besonders hoch. wie in anderen Bundesländern gibt, ist die durch- schnittliche Anzahl von Mitgliedern in Vereinen deutlich geringer.

Und das bestätigen auch die erhobenen Daten. Verstärkend kommt hier die Differenz zwischen ländlichen und regionalen Gebieten zum Tragen. Denn Sachsen stellt eher die Ausnahme von der Regel ostdeutscher Bundesländer dar. Während Vereine in Ostdeutschland zu signifikant höheren Anteilen in ländlichen Regionen angesiedelt sind als im restlichen Bundesgebiet, ist das in Sach- sen nicht in vergleichbar hohem Maß der Fall. Siedlungsdichte und Bevölkerungsdichte sind in Sachen höher als in anderen ostdeutschen Bundesländern. Das schlägt sich auch in der Ver-

39 Organisationslandschaft in Sachsen

Datenbasis Die Datenbasis der vorliegenden Ana- be zu ziehen. Die wichtigste Quelle war (283), Energiegenossenschaften (903) lyse ist der ZiviZ-Survey 2017. Der dabei das gemeinsame Registerportal und Sozialgenossenschaften (153) in die ZiviZ-Survey ist ein Instrument zur der Länder,5 das sowohl für die Ermitt- Grundgesamtheit einbezogen. Bei die- Dauerberichterstattung organisierter lung der Zahl der Vereine als auch für die sen Genossenschaftstypen war davon Zivilgesellschaft in Deutschland. Im Ge- der gemeinnützigen GmbHs und Genos- auszugehen, dass sie aufgrund ihrer in- gensatz zum Freiwilligensurvey nimmt senschaften herangezogen wurde. Die haltlichen Ausrichtung der organisierten der ZiviZ-Survey die Organisationen Stiftungen wurden über das Verzeichnis Zivilgesellschaft zugerechnet werden in den Blick. Er orientiert sich bei der Deutscher Stiftungen 2014 erfasst. können. Andere Genossenschaftstypen Messung von Daten zur Zivilgesellschaft wie etwa Genossenschaftsbanken und an den vier gängigsten Rechtsformen: Im August 2016 – kurz vor der zweiten Agrargenossenschaften haben wenig den eingetragenen Vereinen, Stiftungen, Erhebungswelle – gab es in Deutsch- mit dem sogenannten Dritten Sektor gemeinnützigen GmbHs und Genossen- land etwa 603.886 eingetragene Vereine. gemein. Wohlwissend, dass dieses Vor- schaften. Davon konnten 577.168 über das Regis- gehen eine gewisse Unschärfe nach sich terportal abgerufen werden, da in Meck- zieht, schien dies aus forschungsprag- Da grundsätzlich alle Organisations- lenburg-Vorpommern zum Zeitpunkt matischen Gründen der beste Zugang. formen über die Zufallsauswahl in das der Erhebung noch nicht alle Register Sample gelangen können, liefert der Zi- digitalisiert waren.6 Stichprobe: Wie viele Organisationen viZ-Survey neben allgemeinen Struktur- angeschrieben wurden daten zur organisierten Zivilgesellschaft Im Verzeichnis Deutscher Stiftungen Am ZiviZ-Survey 2017 haben 6.279 Orga- auch Hinweise auf neue Entwicklungen 2014 des Bundesverbandes Deutscher nisationen teilgenommen (vgl. Priemer und Trends. Verschiebungen zwischen Stiftungen waren 21.424 Stiftungen ge- et al. 2017, S. 51 f.), davon 331 in Sach- den Bereichen lassen sich zum Beispiel listet. Einige der im Stiftungsverzeichnis sen, womit eine gute Datenbasis für die nur über eine solche Gesamtschau er- gelisteten Stiftungen waren auch in anvisierten Analysen vorliegt. Die im mitteln, ebenso Probleme und Heraus- anderen Listen aufgeführt, da Stiftun- ZiviZ-Survey 2017 befragten in Sachsen forderungen, die möglicherweise nicht gen als Stiftungsersatzform GmbH ansässigen Organisationen verteilen in allen Bereichen der organisierten oder auch in der Rechtsform des ein- sich auf die einzelnen Rechtsformen wie Zivilgesellschaft bestehen, sondern nur getragenen Vereins aktiv sein können. folgt: 295 (89 %) Vereine, 17 (5 %) Stif- in Teilbereichen. Die Dopplungen wurden vor der Stich- tungen, 17 (5 %) gemeinnützige GmbHs probenziehung entfernt. Auch die 1.219 und 2 (1 %) Genossenschaften. Der ZiviZ-Survey wurde bereits in öffentlichen Stiftungen sowie die 2.117 zwei Wellen durchgeführt. Der erste kirchlichen Stiftungen sind nicht mit ZiviZ-Survey fand im Jahr 2012 mittels in die Stichprobe eingeflossen, da wir einer repräsentativen Fragebogenerhe- diese aus definitorischen Gründen nicht bung statt und soll zukünftig alle fünf der Grundgesamtheit zuzählen (vgl. da- Jahre wiederholt werden. 2016/2017 zu Krimmer/Priemer 2012). wurde der ZiviZ-Survey das erste Mal wiederholt. Damit sind auch erstmals Gemeinnützige GmbHs und Genossen- Trendaussagen zur gesamten Band- schaften wurden über die Handelsregis- breite der Organisationslandschaft ter abgerufen. Bei beiden Rechtsformen möglich, wodurch auch Entwicklungen handelt es sich um einen Näherungs- und Trends der gemeinnützigen Organi- wert. Gemeinnützige GmbHs sind auch sationslandschaft in Sachsen analysiert im Handelsregister nicht immer als und aufgezeigt werden konnten. solche identifizierbar, da sie den Zu- satz nicht unbedingt im Namen tragen. Grundgesamtheit: 11.440 gemeinnützige GmbHs und Was untersucht wurde 15.142 Genossenschaften waren im Au- Die Anzahl der Organisationen wurde gust 2016 im Handelsregister eingetra- über öffentlich zugängliche Verzeichnisse gen. Von den Genossenschaften wurden ermittelt, um daraus eine Zufallsstichpro- nur gemeinnützige Genossenschaften

5 Gemeinsames Registerportal der Länder. Suchabfragen unter: https://www.handelsregister.de/rp_web/mask.do;js essionid=4B8CB2A1646526643F05CED966217AE0-n1.tc02n01?Typ=n 6 2016 waren über das Registerportal nur 5.923 Vereine in Mecklenburg-Vorpommern abrufbar. Auf Basis der Zahlen des Bundesamtes für Justiz von 2014 schätzen wir den damaligen Vereinsbestand auf 12.770.

40 Tabelle 1: Vereine nach Bundesland im Jahr 2016

Anzahl % Vereine je 1.000 EW

Baden-Württemberg 83.562 13,8 7,7

Bayern 90.796 15,0 7,1

Berlin 24.643 4,1 7,0

Brandenburg 17.924 3,0 7,2

Bremen 3.727 0,6 5,6

Hamburg 9.788 1,6 5,5

Hessen 50.283 8,3 8,1

Mecklenburg-Vorpommern* 12.700 2,1 7,9

Niedersachsen 56.685 9,4 7,2

Nordrhein-Westfalen 120.207 19,9 6,7

Rheinland-Pfalz 37.989 6,3 9,4

Saarland 10.337 1,7 10,4

Sachsen 29.777 4,9 7,3

Sachsen-Anhalt 19.142 3,2 8,5

Schleswig-Holstein 17.229 2,9 6,0

Thüringen 19.097 3,2 8,8

Deutschland 603.886 100,0 7,3

Tabelle 2: Befragung 2017 im Überblick

Rechtsform Grundgesamtheit Stichprobe bereinigte Stichprobe* Rücklauf

Anzahl % Anzahl % Anzahl Anzahl %

Eingetragene Vereine 603.886 95 57.000 80 52.563 5.081 10

Stiftungen 17.274 3 8.560 12 8.283 824 10

Gemeinnützige GmbHs 11.440 2 4.500 6 4.340 311 7

Genossenschaften 1.322 0 1.322 2 1.277 111 9

Sonstige x x x x x 7 x

Alle Organisationen 633.922 100 71.382 100 66.463 6.334 10

* Nach Abzug der gelöschten Organisationen bzw. der nicht zustellbaren Fragebögen.

41 42 Organisiertes Engagement in Sachsen.

Eine explorative qualitative Studie Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolf Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt

43 Organisiertes Engagement in Sachsen

Fragestellung und Anlage der qualitativen Studie

Das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern zifischen Bedingungen im ländlich-städtischen in Sachsen ist ein politisch und wissenschaft- und im großstädtischen Raum geleistet. Diese lich bedeutsames Thema. Bis zum Ende der Unterscheidung geht davon aus, dass ländliche DDR vor nunmehr über drei Jahrzehnten fand Räume in Sachsen auch Klein- und Mittelstädte Engagement nur unter staatlich reglementier- umfassen, so dass im Folgenden zur Kontrastie- ten Bedingungen oder in gesellschaftlichen rung einerseits von ländlich-städtischen Räumen Nischen statt (Pollack 1990). Heute wird das und andererseits von großstädtischen Räumen Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gesprochen wird. durch Land und Kommunen in Sachsen in aus- gewählten Handlungsfeldern mit einer Vielzahl In der vorliegenden qualitativen und explorativen von Einzelprogrammen und -maßnahmen Untersuchung wurden insbesondere Experten- gefördert. Die amtierende sächsische Staats- interviews mit ausgewählten Vertreterinnen und regierung weist diesem Engagement im aktu- Vertretern des organisierten Engagements sowie ellen Koalitionsvertrag – nicht zuletzt vor dem auch von Verwaltung und Politik auf Kommunal- Hintergrund eines ausgeprägten Rechtspopu- ebene in einer kreisfreien und in einer kreisange- lismus – steigende Bedeutung in wichtigen hörigen Stadt in Sachsen, d. h. im großstädtischen politischen Handlungsfeldern bei. Leipzig und im ländlich-städtischen Bautzen, geführt. Die Auswahl von Leipzig und Bautzen Im Mittelpunkt der vorliegenden qualitativen ist heuristisch begründet, um einen größtmög- Studie stehen die vielfältigen Formen des ge- lichen – sozialen, politischen und wirtschaftlichen meinschaftlich organisierten Engagements von – Kontrast auf kommunaler Ebene in Sachsen Bürgerinnen und Bürgern (Backhaus-Maul u.a. abzubilden. Ergänzend wurde in der Stadt Rei- 2003, Krimmer 2019). Die Organisationsformen chenbach im Vogtland eine Bestandserhebung des Engagements reichen von behördlichen des organisierten Engagements durchgeführt, Strukturen, über Vereine bis hin zu selbstorgani- so dass alle drei Landesteile Sachsens Berück- sierten Gruppen und Initiativen (Bundesministe- sichtigung finden. Qualitative wissenschaftliche rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Experteninterviews waren unter den Bedingungen 2012; Enquete-Kommission 2002; Krimmer 2019). der SARS-CoV-2-Pandemie in Reichenbach nicht Dieses organisierte Engagement wird vor allem mehr möglich. Um einen landesweiten Überblick auf lokaler und kommunaler Ebene unter je spe- über die Entwicklung des organisierten Engage-

44 Fridays for Future. Die Zivilgesellschaft wird politischer. Bild: Benjamin Jenak

ments in Sachsen zu erhalten, wurden ergänzend benen Interviewpassagen sind anonymisiert und auf Landesebene Expertinnen und Experten aus werden dementsprechend weitgehend in der organisiertem Engagement und auch Ministerien weiblichen Form als Äußerungen einer interview- befragt. ten Expertin oder von interviewten Expertinnen bezeichnet. In Kenntnis der Experteninterviews Insgesamt wurden für die qualitative Studie im wurden für die qualitative Studie thematisch ein- ersten Quartal des Jahres 2020 auf Landes- und schlägige empirische Studien und Dokumente, Kommunalebene in Sachsen 32 Expertinnen wie etwa Selbstdarstellungen, Berichte und För- und Experten aus unterschiedlichen Handlungs- derprogramme, zur Situation und den Bedingun- feldern mit leitfadenbasierten qualitativen Inter- gen des organisierten Engagements in Sachsen views jeweils rund eine Stunde zu ausgewertet. • ihren Vorstellungen, Erfahrungen und Erkennt- nissen mit organisiertem Engagement sowie Die vorliegende Studie erschließt somit das • den von Politik und Verwaltung gesetzten Rah- organisierte Engagement in Sachsen aus der menbedingungen in Sachsen befragt. Perspektive sowie anhand der Vorstellungen und Erfahrungen der interviewten Engagementex- Die Experteninterviews mit Führungs- und Lei- pertinnen und -experten. Mit dieser qualitativen tungskräften in Organisationen ehrenamtlichen Studie und ergänzt durch die quantitative Studie Engagements erstrecken sich über engagement- von Jana Priemer über Vereine als wichtigem relevante Handlungsfelder von Katastrophen- organisationalen Teilbereich wird das organisier- schutz, Rettungswesen und Feuerwehr über te Engagement in Sachsen explorativ erkundet: Sport und Soziales sowie Migration und Flucht Thesen werden entwickelt, Perspektiven werden bis hin zu Kultur und Heimat und berücksichti- skizziert und ein zukünftiges Forschungsfeld wird gen auch engagementrelevante Akteure in Ver- aufgezeigt. waltung und Politik. Ergänzend wurden mit aus- gewählten Experten und Expertinnen vertiefende Gespräche zu spezifischen Themen der Studie geführt. Die Experteninterviews wurden anschlie- ßend transkribiert, anonymisiert und inhaltsana- lytisch ausgewertet. Die im Bericht wiedergege-

45 Engagementvorstellungen in Sachsen

Engagement- vorstellungen in Sachsen

Kurzgefasst

In den Experteninterviews wird Engagement in Sachsen durchgängig als ehrenamtliches Engagement bezeichnet. Ehrenamtliches Engagement bedeutete in der Vergangenheit, etwas Gutes für andere zu tun, ohne damit erkennbar eigene Interesse zu verbinden. Mittlerweile ist es selbstverständlich, im Engagement zugleich Gutes für andere und sich tun zu wollen. So erweist sich ehrenamt- liches Engagement als ein allgemeingültiger, umfassender und traditionsreicher Begriff zur Benennung von Engagement, der sich sowohl aus persönlichem Eigennutz, als auch gesellschaftlichen Zielsetzungen speist. Die Kennzeichnung von Engagement als Ehren- amt verweist darauf, dass dieses Engagement im öffentlichen Raum und Auftrag stattfindet und entsprechend legitimiert ist. Im Umkehr- schluss erwarten ehrenamtlich Engagierte, dass ihr Engagement fortlaufend öffentlich anerkannt und gewürdigt wird.

46 Jugendfeuerwehr. Bild: Benjamin Jenak.

47 Engagementvorstellungen in Sachsen

Aus den engagementbezogenen Vorstellungen der interviewten Expertinnen und Experten las- Begriffe und sen sich drei Varianten ehrenamtlichen Engage- ments herausarbeiten: Begriffswelten • ehrenamtliches Engagement im staatlichen Auftrag, Ehrenamtliches Engagement • ehrenamtliches Engagement in Orientierung Der Begriff des ehrenamtlichen Engagements an der kommunalen Daseinsvorsorge und oder des Ehrenamtes wird von fast allen inter- • ehrenamtliches Engagement „aus der Gesell- viewten Expertinnen bevorzugt; allenfalls das schaft heraus“. Engagement jüngerer Menschen wird von den Beteiligten selbst schlicht als Engagement ohne Die Vorstellung von ehrenamtlichem Engage- den Zusatz „ehrenamtlich“ bezeichnet. ment im staatlichen Auftrag ist vor allem im Zi- vil- und Katastrophenschutz verbreitet. Dagegen Aber nicht jedes Engagement, so einige inter- erstreckt sich das ehrenamtliche Engagement in viewte Expertinnen ausdrücklich, ist ein ehren- der kommunalen Daseinsvorsorge auf alle loka- amtliches Engagement: len Aufgabenfelder von Kultur und Heimat über • „Ehrenamt ist Engagement, aber nicht jedes Soziales bis hin zu Umwelt. Das ehrenamtliche Engagement ist Ehrenamt.“ Engagement „aus der Gesellschaft heraus“ wird • Wenn sich jemand „hinstellt und einen Ku- als bürgerschaftliches, zivilgesellschaftliches chenbasar macht. Das ist für mich Engage- oder gesellschaftliches Engagement bezeichnet. ment“; aber wer „Schatzmeister, oder Kassen- Gesellschaftliches ehrenamtliches Engagement wart ist, (…) Verantwortung für den Haushalt bedeutet, dass sich die Engagierten zunehmend eines Sportvereins übernimmt und nach selbst organisieren, verstärkt Partizipation for- Bürgerlichem Gesetzbuch dann auch haftbar dern und demokratische Auseinandersetzungen gemacht werden kann“, ist ehrenamtlich en- eingehen. In allen Varianten ehrenamtlichen gagiert. Engagements ist der Verein – ganz besonders im • „Ehrenamt ist Ehrenamt. Also wenn ich kein ländlich-städtischen Raum – zwar die nach wie Geld für eine Sache kriege und das ehrenamt- vor bestimmende, nicht aber alleinige Organisa- lich mache, ist das Ehrenamt.“ tionsform ehrenamtlichen Engagements. • Aber Ehrenamt ist nicht mit „Vereinsförde- rung“ gleichzusetzen, sondern „die Person In den Experteninterviews kommt die Breite der individuell“ sollte in den Blick genommen Engagementvorstellungen in Sachsen zum Aus- werden. druck. Ehrenamtliches Engagement erbringt wich- tige staatliche Aufgaben, trägt zur öffentlichen So erweist sich ehrenamtliches Engagement Daseinsvorsorge bei und bearbeitet selbstgestellte als ein allgemeingültiger, umfassender und gesellschaftliche Aufgaben und Probleme. Dabei traditionsreicher Begriff zur Benennung von wirkt ehrenamtliches Engagement meinungsbil- Engagement, der sich – in einem zeitgemäßen dend und gestaltet Gesellschaft tätig mit. In einem bzw. modernen Verständnis – sowohl aus per- wohlverstandenen demokratischen Sinne sollte sönlichem Eigennutz, als auch gesellschaftlichen ehrenamtliches Engagement selbstverständlich Zielsetzungen speist. Bei genauer Analyse lassen gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen sich aus dem empirischen Material die folgenden suchen, Dissens benennen, Konflikte eingehen, drei Varianten ehrenamtlichen Engagements Verhandlungen führen und Kompromisse herbei- herausarbeiten. führen. Dabei sollte entsprechend der geteilten Grundüberzeugung der interviewten Expertinnen ehrenamtliches Engagement letztlich immer zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und nicht zur gesellschaftlichen Polarisierung und Zersetzung beitragen. Die thematische und organisationale Breite der Engagementvorstellungen in Sachsen, wie sie in einem modernen Verständnis ehren- amtlichen Engagements zum Ausdruck kommen, bietet für Gesellschaft und Politik in Sachsen ein hohes gesellschaftsintegratives Potenzial.

48 „Ehrenamt ist Engagement, Übungseinsatz des Techniscchen Hilfswerks. Bild: THW Landesverband Sachsen, Thüringen aber nicht jedes Engagement ist Ehrenamt.“

Ehrenamtliches Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann man nach Aussage einer interviewten Expertin Engagement im die Engagierten als „einsatzbefähigte Helfer“ einstufen. Unter diesen Bedingungen ist das staatlichen Auftrag Engagement im Katastrophenschutz beim THW in erster Linie auf die ordnungsgemäße Erfüllung Das ehrenamtliche Engagement im Kata- einer staatlichen Aufgabe gerichtet. strophenschutz, im Rettungsdienst und in der Freiwilligen Feuerwehr wird von interviewten Expertinnen zusammenfassend als „Blaulicht-Eh- „Das sind übrigens Leute, die sich wirklich nicht engagie- renamt“ bezeichnet. In diesen Handlungsbe- ren, weil die einfach an Zivilgesellschaft glauben, (…) die reichen wird das ehrenamtliche Engagement maßgeblich von Kreisverbänden des Deutschen haben ganz andere Identitätstreiber. Das sind Menschen, Roten Kreuzes (DRK), örtlichen Freiwilligen die eigentlich schon immer gerne so im Sicherheitsbe- Feuerwehren und dem Technischen Hilfswerk (THW) geleistet. Bei den Kreisverbänden des DRK reich (…) für den Staat (interessiert waren, d. A.). Und und der Freiwilligen Feuerwehren handelt es sich das ist für sie etwas Imaginäres.“ um rechtlich eigenständige Vereine, die mit einer entsprechenden Autonomie handeln. Davon zu unterscheiden ist das THW, das von interviewten Diese erhöhten Voraussetzungen und der Verant- Expertinnen als eine „Bundesanstalt“ bzw. „Bun- wortungsgrad des Engagements verstärken den desbehörde“ bezeichnet wird, die im Katastro- Gemeinschafts- bzw. Kameradschaftsgeist in den phenschutz unmittelbar im staatlichen Auftrag Ortsgruppen des THW, dürften aber auch einen handelt. sozialkulturell prägenden Einfluss in den im Ka- tastrophenschutz beteiligten Organisationsein- Das Engagement im Katastrophenschutz gilt als heiten des DRK und der Freiwilligen Feuerwehren personell fachlich und zeitlich voraussetzungs- haben. bzw. anspruchsvoll, da • der Ausbildungsweg lang und der Ausbildungs- Natürlich gibt es auf diesem Gebiet Überlappun- standard sehr hoch ist, gen zur zweiten Kategorie, auf die im Folgenden • die Bedingungen des Arbeits- und Gesund- eingegangen wird. heitsschutzes eingehalten werden müssen, • eine bestimmte Mindestanzahl an Dienststun- den nachzuweisen ist und • sehr viel Freizeit aufgebracht werden muss.

49 Engagementvorstellungen in Sachsen

ja ein sehr anerkanntes Merkmal und was aber Ehrenamtliches auch dazu beiträgt, ist die Kameradschaft inner- halb der Freiwilligen Feuerwehr. Man fährt nicht Engagement in der bloß zum Einsatz, sondern man erlebt auch kulturelle Dinge miteinander. Und es ist auch ein kommunalen zutiefst befriedigendes Gefühl im Einsatz in ge- fährlichen Situationen sich blind auf den Neben- mann verlassen zu können. Also das ist so die Daseinsvorsorge Hauptmotivation bei unseren Freiwilligen Feuer- Ehrenamtliches Engagement ist nach Aussagen wehren. Und (…) man muss sich vor Augen füh- der Mehrzahl der interviewten Expertinnen auf ren, dass da jemand in seiner Freizeit für andere den unmittelbaren lokalen Sozialraum, d. h. die zum Einsatz kommt. Gegebenenfalls auch seine Nachbarschaft, die Gemeinde, den Landkreis Gesundheit oder sein Leben gar riskiert.“ oder die Stadt, ausgerichtet. Das Engagement in der kommunalen Daseinsvor- Dieses lokal bzw. kommunal ausgerichtete Eh- sorge trägt zur Gemeinschaftsbildung und zur Ver- renamt bedeutet, „gemeinwohlorientiert arbei- antwortungsübernahme vor Ort bei, gerade auch ten, aber trotzdem gehört zum Ehrenamt immer weil es freiwillig und unentgeltlich ist. Engagement, weil man eben Zeit investiert, seine „Wir wollen nicht bezahlt werden bei der Freiwil- eigenen Kompetenzen investiert, um sozusagen ligen Feuerwehr. Man sollte natürlich eine kleine für andere, mit anderen gemeinsam etwas zu Aufwandsentschädigung bekommen, dass der Auf- tun. Und das unbezahlt und freiwillig und ja, viel- wand auch jetzt nicht bei einem selber liegt, aber leicht für ein bisschen Wertschätzung.“ es geht an und für sich um Achtung und Respekt.“ Es geht darum, so eine interviewte Expertin, dass sich „Leute (…) umeinander kümmern. Das funktioniert in Familienstrukturen gut. Das funk- Ehrenamtliches tioniert auch in Nachbarschaften gut.“ Engagement „aus Das Aufgabenspektrum dieser Variante ehren- amtlichen Engagements erstreckt sich auf alle der Gesellschaft Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge: von Kultur über Soziales bis hin zu freiwilligen Feuer- wehren und erfordert dementsprechend eine heraus“ relative Verlässlichkeit der Engagierten und eine Gesellschaftliches ehrenamtliches Engagement Beständigkeit des ehrenamtlichen Engagements. Aus dem Interviewmaterial lässt sich eine dritte Folglich kommt in dieser Variante ehrenamt- Variante ehrenamtlichen Engagements heraus- lichen Engagements der Beständigkeit des Enga- kristallisieren, die sich nicht an staatlichen Aufga- gements besondere Bedeutung zu. ben und auch nicht an der kommunalen Daseins- vorsorge orientiert, sondern sich selbst „aus der Gesellschaft heraus“ definiert. In den Experten- „Also Ehrenamt ist für mich schon nochmal klar, ich bin interviews wird diese Variante ehrenamtlichen an einen Verein gebunden, ich bin dort aktiv eingetreten, Engagements als bürgerschaftliches, zivilgesell- schaftliches oder gesellschaftliches Engagement also ich bin dort Mitglied. Ich habe dementsprechend bezeichnet. Gesellschaftliches ehrenamtliches auch meine Rechte und Pflichten.“ Engagement bedeutet, dass • das Eigeninteresse der Engagierten mit einem Gesellschaftsbezug des Engagements ver- Als geradezu beispielhaft für ehrenamtliches En- knüpft wird, gagement in der kommunalen Daseinsvorsorge • die Organisation des Engagements gering gelten aufgrund der Verlässlichkeit und Bestän- formalisiert, stark selbstorganisiert und netz- digkeit sowie ihres Verpflichtungscharakters Frei- werkartig angelegt ist, willige Feuerwehren. • die Partizipation der Engagierten in allen Enga- gementangelegenheiten üblich ist und „Warum ist man in der Freiwilligen Feuerwehr? • dass Dissens und Konflikt in gesellschaftlichen (Um, d. A.) anderen in der Not zu helfen, das ist Angelegenheiten selbstverständlich sind.

50 Demokratie und Engagement „Gutes Engagement? Schlechtes Engagement? Im gesellschaftlichen ehrenamtlichen Enga- Also ich sage mal, die Menschen, die sich für gement wird der Zusammenhang zwischen Rechts engagieren, die engagieren sich auch. Demokratie und Engagement in den Mittelpunkt Und gerade im ländlichen Raum ist das ein ganz gerückt. großes Problem, dass gerade die in diese ganzen Lücken springen. Null Infrastruktur, null Unter- „Wir sind Bürger dieses Landes (…) und das ist ja haltung und Freizeitmöglichkeiten. (…). Wir das Wunderbare an der Demokratie, wir haben stehen insgesamt als Demokratie vor einer gro- wirklich die Möglichkeit uns einzubringen und ßen Herausforderung. Und das spiegelt sich im unsere Meinung zu sagen. Und jeder Bürger, egal, Engagement und gerade in der Zivilgesellschaft es gibt eigentlich nicht Bürger erster, zweiter auch wider.“ Klasse. Wir sind Bürger. Und das muss man aber auch immer wieder mit vermitteln.“ Polarisierung oder Spaltung? „Bürgergesellschaft für meine Begriffe braucht Ob und inwiefern Engagierte aus diesem politi- diesen Eigensinn und diese Eigendynamik, um schen Spektrum dem ehrenamtlichen Engage- sich in die gesellschaftliche Debatte auch ein- ment zugeordnet und in die Bürger- bzw. Zivil- zubringen. Um sich letztlich mit Erscheinungen gesellschaft eingeordnet und integriert werden auch, die jetzt vielleicht nicht gefallen (…) ausei- können, ist eine offene Frage, deren Beantwor- nanderzusetzen. Und wenn man eine motivierte tung aussteht. Bürgerschaft hat, die auch bis dato Dinge disku- tiert hat und gesehen hat und tätig ist auf gewis- „Wir sind Deutschland-Organisationen, also die sen Feldern, die wird dem ganz anders begegnen hier die Montags-Demonstrationen gemacht können, hat eine ganz andere Durchsetzungs- haben. (…) Aber rein vom Phänomen her ist es kraft, auch eine ganz andere, als jetzt vom Staat bürgerliches Engagement. Wir haben hier nur verordnet oder angeordnet.“ das erste Mal die Situation, dass dieses bürger- schaftliche Engagement als entscheidenden Es kommt darauf an, dass gesellschaftlich Enga- Nebeneffekt auch eine Spaltung der Gesellschaft gierte verstehen, „dass sie sich meinungsbildend, hervorruft, weil es möglicherweise gar nicht dar- laut äußern müssen. Sozusagen die Vorbildrolle auf angelegt ist, gemeinsam (…) etwas zu bewir- übernehmen müssen. Wenn sie das verstanden ken, weil mit dem klaren Artikulieren der eigenen haben, dann gelingt es ihnen, sich zu positionie- Meinung, der eigenen Sicht immer verbunden ist ren, laut zu werden, das öffentlich zu tun.“ ein ganz dezidiertes Abwerten anderer Sichtwei- sen, anderer Lebensarten, anderer Meinungen. Entscheidend ist nach Meinung einer interview- Das hatten wir so bisher in dieser Härte bisher ten Expertin die Fähigkeit und Bereitschaft „über noch nicht.“ den Tellerrand zu gucken“: „Also für mich hängen Engagement und Demokratie und Zivilgesell- Dem gesellschaftlichen ehrenamtlichen Enga- schaft, eine engagierte Zivilgesellschaft alles sehr gement kommt – in öffentlichen Auseinander- eng miteinander zusammen.“ setzungen – eine meinungsbildende und gesell- schaftsgestaltende Funktion zu. „Gutes Engagement? Schlechtes Engagement?“ In den Experteninterviews wird eine politisch Gesellschaftliches ehrenamtliches Engagement pluralistische Vorstellung von ehrenamtlichem ist vor allem auch deshalb wichtig, weil das Engagement vertreten. In diesem Sinne trägt eh- andere „Milieu hat ja einen unglaublich hohen renamtliches Engagement trotz unterschiedlicher Aktivitätsgrad“ und ist darauf ausgerichtet „auf Vorstellungen zum gesellschaftlichen Zusammen- das Bewährte zu verharren und darauf zu hoffen, halt bei, da „Engagement wesentlich zusammen- dass sich möglichst wenig verändert (...) bis hin führt, selbst wenn sich die Einen bei den Grünen zu dieser starken Aussage: Naja, das war doch engagiert haben und die Anderen bei der CDU.“ schon immer so. Bis jetzt war es doch ganz o. k.“ Dieses „andere“ Milieu „sind ja sehr, sehr viele Eine politisch pluralistische Vorstellung von eh- Menschen, die sich massiv dafür einsetzen, dass renamtlichem Engagement steht vor der Aufga- sich möglichst wenig verändert. Oder eben der be, einen Umgang mit engagierten Bürgerinnen Rückzug, Protestwahl oder kompletter Rückzug, und Bürgern aus dem rechtspopulistischen und noch nicht mal mehr wählen zu gehen.“ rechtsradikalen politischen Spektrum zu finden.

51 Engagementvorstellungen in Sachsen

„Bürgersingen“ im Johannapark Leipzig. Bild: Stiftung „Bürger für Leipzig“

Club der Engagierten Weise so ein Szenario schon. (….). Das ist auch in Einige interviewte Expertinnen beurteilen den Ordnung, weil die haben eine hohe Kompetenz Beitrag ehrenamtlichen Engagements zur sozia- aufgebaut über die Jahre. Die haben den ganzen len Integration und zum gesellschaftlichen Zu- Prozess verfolgt. Dann sind die als Bürger da, sammenhalt durchaus kritisch, da „Ehrenamt so aber natürlich mit einer solch hohen Kompetenz. ein bisschen eine Art Exklusivität hat“. So würden Deshalb meine ich Berufsbürger, weil die machen sich insbesondere diejenigen engagieren, „die das quasi zu ihrem Beruf oder auch zu ihrer Be- gut ausgebildet sind und besser“. rufung.“

Es sind nach Aussage einer interviewten Expertin Vor diesem Hintergrund empfiehlt eine inter- „immer wieder die gleichen Personen. Das ist viewte Expertin eine soziale Öffnung ehrenamt- jetzt auch mal nicht per se schlimm, aber es ent- lichen Engagements „für die, denen es nicht so wickelt sich so eine Art Berufsbürgertum, wenn gut geht das aufzubrechen. Das, denke ich, sollte man das so sagen darf. Man weiß dann schon, al- Ehrenamt tun, wenn es schon der Rest der Ge- so, wenn man die zwanzigste Sitzung mit denen sellschaft nicht kann“. gemacht hat, weiß man dann schon an einem Stichpunkt, jetzt kommt der und jetzt kommt der und der nimmt Bezug darauf. Man hat in gewisser

52 Selbstbewusste Bürger/innen – wir machen, aber umgangssprachlich, ist alles förderlicher Staat Ehrenamt hier (…). Wir haben die Ehrenamts- Dem Staat wird im gesellschaftlichen ehrenamt- pauschale, wir haben den Ehrenamtstag, wir lichen Engagement eine nachrangige, helfende haben Ehrenamtsagenturen. Also alles Ehren- und unterstützende Funktion zugewiesen. amt.“ Gleichwohl wird festgestellt, dass das „Bild von Engagement auch in den Köpfen von vielen Gesellschaftliches Engagement „ist natürlich Politikern (…) einfach noch sehr versteinert“ ist. eine Sache, die neben dem Staat steht erstmal. So wird nach Einschätzung einer interviewten Und ich sehe und halte es auch für notwendig, Expertin ehrenamtliches Engagement etwa mit dass auch gewisse Reibereien sein müssen, weil der Freiwilligen Feuerwehr gleichgesetzt, und es natürlich eine Bürgergesellschaft hat Interessen. wird auch nur Entsprechendes anerkannt und Und aus den Schichten heraus, aus den Lebens- gefördert. erfahrungen entstehen Wünsche oder man ist unzufrieden, und man will vielleicht etwas be- wegen.“ „Wenn wir es förmlich machen, verwenden wir den Be- griff bürgerschaftliches Engagement (…) bei den Bürger- „Wir machen das für uns. Für uns Menschen machen wir das. Der Staat ist doch nur meine meistern und Verwaltungsträgern und Entscheidungs- Organisationshilfe dafür.“ Konkret sieht die in- trägern, (…) an der Basis im Heimatverein ist es eher das terviewte Expertin die staatliche Hilfe etwa in der Schaffung von „Ehrenamtsbörsen (…), das sind Ehrenamt“ als Bezeichnung. benötigte (…) brauchbare Vehikel“ zur Unterstüt- zung gesellschaftlich Engagierter. Einerseits wird dem Begriff des bürgerschaft- In diesem Zusammenhang erwarten die befrag- lichen Engagements somit staatlicherseits ten Expertinnen keine staatliche oder kommuna- besondere Aufmerksamkeit zuteil, da er gesell- le Steuerung und Koordination ehrenamtlichen schaftlich anschlussfähig und zugleich relativ Engagements von Land und Kommunen, son- deutungsoffen ist. Andererseits deuten Staat und dern vereinfachte bürokratische Rahmenbedin- Kommune, so eine interviewte Expertin, bürger- gungen, eine förderpolitische und infrastruktu- schaftliches Engagement bzw. gesellschaftliches relle Unterstützung sowie zeitgemäße Formen ehrenamtliches Engagement nicht als organi- der Anerkennung ehrenamtlichen Engagements. siertes und gemeinschaftliches, sondern als in- dividuelles Engagement einzelner Bürger/innen. In der relativen begrifflichen Unbestimmtheit Dadurch werden Inhalte, Formen und Potenziale der Umschreibung des gesellschaftlichen ehren- organisierten bürgerschaftlichen Engagements amtlichen Engagements als bürgerschaftliches, ausgeblendet und nicht entfaltet. zivilgesellschaftliches oder gesellschaftliches Engagement, kommt letztlich das Bestreben der interviewten Expertinnen zum Ausdruck, den traditionsreichen Begriff des ehrenamtlichen En- gagements gesellschaftspolitisch anzureichern.

Begriffsverwendung Der Begriff des gesellschaftlichen ehrenamt- lichen Engagements findet staatlicherseits in der Verwendung des Terminus bürgerschaftliches Engagement eine gewisse Entsprechung. So wird bürgerschaftliches Engagement von Seiten der sächsischen Staatsregierung nach Aussage einer interviewten Expertin zunehmend häufiger benutzt. Insbesondere in der Förderpolitik wird versucht vom „Ehrenamt (…), von dem Begriff ein bisschen wegzukommen und den als bür- gerschaftliches Engagement so zu etablieren, weil der ein bisschen besser das abbildet, was

53 Entwicklungen in Organisationen ehrenamtlichen Engagements Entwicklungen in Organisationen ehren- amtlichen Engagements

Kurzgefasst Aufgaben und Organisationen, ob als Verein, Stiftung oder Probleme selbstorganisierte Initiative, bilden nach wie vor den wichtigsten Bezugspunkt ehren- Mehr als Vereine… amtlichen Engagements. Eine „gute“ Orga- Wenn von Organisationen des Engagements die nisation kann ehrenamtliches Engagement Rede ist, meinen die meisten interviewten Ex- unterstützen, eine nicht funktionierende pertinnen ihren Verein oder die ihnen vertrauten Organisation hingegen kann hinderlich sein. Vereine vor Ort. In der Regel sind die Organisa- Organisationen sind wichtig für ehrenamt- tionen ehrenamtlichen Engagements historisch liches Engagement, weil sie einen rechtlichen gewachsen, wie beispielsweise der Landesverein Rahmen bereitstellen, für Ressourcen sorgen, sächsischer Heimatschutz; klassisch funktional eine Koordinationsstelle sind und Identifika- als Sportvereine entstanden oder als Feuerweh- tion stiften. ren, Ortsgruppen des Technischen Hilfswerks und Gruppen der Rettungsdienste des Deutschen Die große Abhängigkeit der Organisationen Roten Kreuzes mit einer spezifischen Aufgabe be- ehrenamtlichen Engagements von öffentlichen fasst. Einige sind auch in den letzten Jahrzehnten Zuwendungen erfordert von Ehrenamtlichen in neu entstanden, wie etwa Bürgerstiftungen, Frei- Leitungs- und Führungspositionen Kenntnisse willigenagenturen, selbstverwaltete Jugendzent- und Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit ren und Treffs mit lokal spezifischen Aufgaben. Es öffentlichen Verwaltungen auf Kommunal- und gibt aber auch Organisationen, die sich dezidiert Landesebene. Folglich müssen ehrenamtlich als traditionelle Vereine verstehen und ihren Engagierte auf ihre Tätigkeiten vorbereitet und Bezug zum ländlich-städtischen Raum hervor- kontinuierlich beraten werden, um rechtlichen, heben. Zudem sind zunehmend auch lose bzw. administrativen, politischen und sozialen Verän- informelle Organisationsformen anzutreffen. derungen gewachsen zu sein. In vielen Interviews wird aber deutlich, dass ehrenamtlich Engagierte Der Verein ist die mit Abstand häufigste Organisa- diesen steigenden Anforderungen kaum mehr tionsform ehrenamtlichen Engagements. Dieses gerecht werden. Hinzu kommt, dass Führungs- gilt insbesondere für den organisierten Sport, und Leitungspositionen in ehrenamtlichen Orga- der in Experteninterviews selbstbewusst auf nisationen zumeist von Älteren besetzt sind, die rund 4.500 Vereine in Sachsen verweist. Im kirch- sich gegenüber Jüngeren und deren Vorstellun- lichen Bereich gibt es neben den Kirchengemein- gen bisweilen verschließen, sodass sich Jüngere den kirchliche und christliche Vereine und in der verstärkt in Gruppen und Initiativen selbst orga- Freiwilligen Feuerwehr ist es der Feuerwehrver- nisieren, anstatt „Gremienkarrieren in Vereinen“ ein als Förderorganisation. In der Freien Wohl- zu absolvieren, so interviewte Expertinnen. fahrtspflege bilden die kommunalen Vereinsglie-

54 In der Regel sind die Organisationen

Einsatzübung der Bergwacht Sachsen. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen ehrenamtlichen Engagements historisch gewachsen. derungen die Basis der sozialen Arbeit. Bei den Freiwillige Feuerwehren bis hin zu neuen Formen Rettungsdiensten und im Katastrophenschutz, der Selbstorganisation und Netzwerkbildung von wozu teilweise auch die Feuerwehr zählt, handelt Bürgern vor Ort. Im Vergleich zum großstädti- es sich vor Ort in erster Linie nicht um Vereine, schen Raum sind im ländlich-städtischen Raum sondern um schlichte Untergliederungen hierar- in der Regel Anzahl und Vielfalt von Engagement- chischer Organisationen. In den größeren Orten organisationen, die Zahl der Mitglieder und die und Städten finden sich neben traditionellen Ressourcenausstattung begrenzter; zugleich aber Vereinen auch Jugendgruppen, selbstverwaltete sind im ländlich-städtischen Raum informelle Einrichtungen und Bürgerinitiativen. Insbeson- soziale Netze leichter zu knüpfen und soziale Ver- dere in sächsischen Großstädten, wie Chemnitz, bindlichkeiten herzustellen. Dresden und Leipzig, werden auch andere For- men – wie z. B. selbstorganisierte Gruppen und „Es sind wirklich sehr kleine Gemeinden. Also Initiativen sowie vereinzelt auch Stiftungen – für sowas wie bis 10.000, bis zu 20.000 Einwohner. die Organisation ehrenamtlichen Engagements Und dort begegnen wir eben hauptsächlich gewählt. Ehrenamtlichen, die teilweise in Vereinen orga- nisiert sind, teilweise aber auch einfach einen Ländlich-städtischer Raum Zusammenschluss bilden als Initiativgruppen. In den Experteninterviews wird der ländlich-städ- Das heißt also wir versuchen eigentlich einzelne tische Raum immer wieder thematisiert. Die Persönlichkeiten miteinander in ein Netzwerk zu Möglichkeiten und Bedingungen des Engage- binden und so zu organisieren.“ ments sind hier nach Aussagen von interviewten Expertinnen mit dem Alltag der Engagierten und Die Organisationen ehrenamtlichen Engage- einer kleinen Anzahl lokaler Organisationen ver- ments im ländlich-städtischen Raum haben – bei knüpft und in hohem Maße personengeprägt. vergleichsweise geringer Personal- und Res- Das Spektrum der Engagementorganisationen sourcenausstattung – ähnliche organisationale im ländlich-städtischen Raum reicht von tradi- Aufgaben und Probleme, etwa bei der Besetzung tionsreichen Heimatvereinen, über Kirchenge- von Führungspositionen oder der Bewältigung meinden, Sportvereine, Wohlfahrtsverbände und rechtlicher und administrativer Anforderungen,

55 Entwicklungen in Organisationen ehrenamtlichen Engagements

wie Organisationen ehrenamtlichen Engage- der versucht, dem wachsenden Beratungsbedarf ments im großstädtischen Raum. Zudem werden gerade kleiner Vereine und solcher Organisatio- auch der ländlich-städtische Raum und seine nen, die nicht verbandlich eingegliedert sind, ge- Organisationen von interviewten Expertinnen recht zu werden. Im Kern geht es den interview- als Austragungsorte von Konflikten und Ausein- ten Expertinnen um eine professionelle Beratung andersetzungen sowie von Verhandlungen und und hauptamtliche Unterstützung ehrenamt- Partizipationsbestrebungen beschrieben. Damit lichen Engagements und nicht um die Ersetzung wird deutlich, dass der ländlich-städtische Raum ehrenamtlich Engagierter durch hauptamtliches nicht als „dörfliches Milieu“ idealisiert, sondern Personal. vielmehr als Teil deutschlandweiter Entwicklun- gen gesehen wird. Digitalisierung Ein zunehmendes Problem für Organisationen Professionelle und administrative ehrenamtlichen Engagements stellt die Digitali- Anforderungen sierung dar. Sie betrifft alle Organisationen, stellt Ein wichtiges und immer wiederkehrendes aber insbesondere Vereine im ländlich-städti- Thema sind die professionellen und adminis- schen Raum vor große Probleme, wenn „noch trativen Anforderungen, die nach Aussagen nicht einmal eine vernünftige Internetleitung“ interviewter Expertinnen in den vergangenen vorhanden ist. Hinzu kommt die generelle Jahren zugenommen haben. Steuererklärungen, Besonderheit ehrenamtlichen Engagements, Haftungsfragen, der richtige Umgang mit Mit- d. h. die Notwendigkeit einer direkten Interaktion gliedern, aufwendige Mitgliederversammlungen, und Kommunikation, die durch ein „rein elekt- Gesetzesänderungen sowie gestiegene gesund- ronisches Vermitteln der Inhalte“ an reale und heitstechnische und hygienische Anforderungen, kulturelle Grenzen stößt. Aber gerade Jugend- werden in diesem Zusammenhang immer wieder liche sind mit sozialen Medien aufgewachsen genannt. Nicht zuletzt sind die administrativen und kommunizieren anders als Ältere. Die Kluft und förderrechtlichen Anforderungen für die Be- zwischen älteren und jüngeren Engagierten wird antragung, die Verwendung und die Abrechnung durch den latenten kulturellen und strukturellen von Zuwendungen gestiegen. „Konservatismus“ in ehrenamtlichen Organisa- tionen verstärkt. Letztlich hängen die Möglich- keiten der Digitalisierung ehrenamtlichen Enga- „Was man (…) manchen alles beibringen muss. gements von den vorhandenen Ressourcen ab. Gerade wenn ich an die EU-Förderung, die Organisationen ohne ein entsprechendes Budget können sich keine Internet-Auftritte leisten und Landesförderung denke.“ keine digitale Ausstattung anschaffen, um die neuen Kommunikationsformen überhaupt nut- zen zu können. Ohne professionelle Beratung und Unterstützung sind diese Aufgaben kaum noch zu bewerkstelli- Führungswechsel gen. Im Hinblick auf die steigenden Anforderun- In fast allen Experteninterviews werden Proble- gen und den entsprechenden Beratungsbedarf me bei der Nachwuchsgewinnung und im Um- von ehrenamtlichen Organisationen haben sich gang mit Jüngeren ausführlich geschildert, ohne in Teilbereichen Beratungsstrukturen gebildet. dass explizit danach gefragt wurde. Dabei wird So hat der organisierte Sport regionale Bera- deutlich, dass es für die meisten Organisationen tungseinrichtungen aufgebaut, da die Vereine schwierig ist, jüngere Menschen zu gewinnen diese anspruchsvollen Aufgaben selbst nicht und dauerhaft an die Organisation zu binden. mehr leisten können. Im Sport waren diese ein- Gleichzeitig wird damit sichtbar, dass sich die Or- facher zu entwickeln, da durch den Landessport- ganisationen mit ihrer eigenen Zukunft beschäf- bund und politische Unterstützung Ressourcen tigen und erkennen, dass sich eine Verjüngung mobilisiert wurden. Die Evangelisch-Lutherische nicht von selbst ergibt. Viele Organisationen Landeskirche Sachsens unterhält eine eigene stehen vor einem für sie unlösbaren Problem, da Ehrenamtsakademie und in der Wohlfahrtspflege sie einen Führungswechsel Ehrenamtlicher nicht gibt es Stellen zur Unterstützung und Beratung „erzwingen“ können. „Manchmal klammern ehrenamtlichen Engagements. Im ländlichen die alten Herrschaften etwas“, gerade wenn sie Raum hat sich mit dem Sächsischen Landesku- ratorium Ländlicher Raum ein Verein entwickelt,

56 schon lange im Vorstand sind. So beobachten Schule in die Ausbildung oder das Studium, die interviewte Expertinnen „geschlossene Gesell- ein dauerhaftes Engagement erschweren. Viele schaften“ und eine „Überalterung ihres Vereins“ möchten konkret etwas tun und helfen, aber und kommen zu dem Schluss, „dass die Anspra- keine Managementaufgaben übernehmen. Das che eine andere sein muss“, ohne aber konkret machen sie schon beruflich den ganzen Tag, jetzt zu wissen, wie dieses Problem zu bearbeiten und möchten sie dagegen anpacken, so eine inter- zu lösen ist. viewte Expertin.

Der fehlende Nachwuchs ist nicht nur ein allge- Umgang mit sozialem und kulturellem Wandel meines Problem, sondern zeigt sich besonders Einige Organisationen ehrenamtlichen Engage- in der Geschlechterperspektive: „Wo es (…) noch ments beobachten den sozialen und kulturellen mangelt, ist Frauen in Führungspositionen.“ Wandel aber nicht nur, sondern versuchen auch Dieses betrifft insbesondere Rettungsdienste, darauf aktiv einzuwirken und entwickeln eigene Feuerwehr und Katastrophenschutz. So haben Handlungsprogramme. So berichten Organisa- es die Freiwilligen Feuerwehren zwar inzwischen tionen von ihren Aktivitäten in Schulen, um einen geschafft, den Anteil von Mädchen bei Jugend- gesellschaftlichen Beitrag zur Demokratisierung feuerwehren auf 40 % zu erhöhen; in anderen zu leisten und zugleich Jugendliche als Gruppen- Abteilungen liegt der Frauenanteil aber nur zwi- leiter/innen auszubilden. Oder Feuerwehren schen 10 und 12 %. Noch geringer ist dieser Anteil besuchen Kindergärten und bringen Kindern ihre bei den Berufsfeuerwehren. Themen und Arbeitsweisen nahe. Dabei geht es nicht nur um Gewinnung von Nachwuchs für Es sind aber nicht nur junge Engagierte und Frau- Feuerwehren, sondern vor allem um die Sensi- en, die interviewte Expertinnen in ehrenamtli- bilisierung für die Aufgaben von Feuerwehren. chen Führungspositionen vermissen. Viele sehen In den Experteninterviews wurde deutlich, dass darin ein generelles Problem. zumeist größere Organisationen Chancen in der Organisationsentwicklung sehen und nutzen „Wir haben einfach zu wenige Leute, wir scheuen wollen, während kleine Organisationen zwar uns tatsächlich, die Leute zu gewinnen.“ organisationale Probleme benennen, aber man- Eine solche Stimmung ist gerade in ländlichen gels Ressourcen nicht bearbeiten können. In der Vereinen anzutreffen: „Gerade im Nachwuchsbe- Organisationsentwicklung verstärkt sich somit reich Trainer zu finden, ist ganz, ganz schwierig.“ die Kluft zwischen kleinen und großen Organisa- Und konkret: „Übungsleiter ist eine Herausfor- tionen ehrenamtlichen Engagements. derung“, die trotz der Übungsleiterpauschale immer weniger annehmen wollen. Zugang zu Politik und Verwaltung Der Zugang zu Politik und Verwaltung ist für die Während die einen über einen Mangel an Nach- Ressourcenausstattung von Organisationen eh- wuchs klagen, machen viele Sportvereine eine renamtlichen Engagements von entscheidender ambivalente Erfahrung. Bedeutung. Im Umgang mit Politik und Verwal- tung können Feuerwehren, Katastrophenschutz, Die Jugendlichen kommen zwar, doch es wird Rettungsdienste, Kirchen, Sport- und Wohlfahrts- unwahrscheinlicher, dass sie die „nächste Stu- verbände in der Regel auf „gute Beziehungen“ fe“ nehmen. So wird es für Vereine zunehmend zurückgreifen. Anders sieht es bei kleineren und schwieriger, „genügend Leute (zu, d. A.) haben, jüngeren Organisationen ehrenamtlichen Enga- die die Verantwortung tragen.“ gements aus, die sich erst Zugänge zur „klassi- schen Stadtverwaltung“ erschließen und sich mit In den Experteninterviews wird eine Reihe von den Regularien der öffentlichen Förderung ver- Gründen hierfür benannt: „Es möchte sich keiner traut machen müssen, „weil ja Finanzierung oder mehr binden (…), kurzfristige Arbeitsaufgaben, Unterstützung des Ehrenamtes über ganz viele ja“, aber kein langfristiges und dauerhaftes Bereiche der Stadtverwaltung verteilt ist.“ So Engagement und dazu noch Büro- und Manage- stehen insbesondere selbstorganisierte Gruppen mentaufgaben. Als Erklärung wird dann häufig und Initiativen vor dem Problem, dass sie keine genannt, dass die Jugendlichen kaum mehr vor institutionelle Förderung erhalten und zumeist Ort sind, weil sie für die Ausbildung oder ihr Stu- auch nicht über eingespielte Beziehungen zu Ver- dium wegziehen. Es sind die langen Pendelstre- waltung und Politik verfügen. cken und der zu bewältigende Übergang von der

57 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen Politisch- administrative Rahmen- bedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements

ein entsprechendes Förderkonzept und eine Kurzgefasst Handlungsstrategie. Erschwerend kommt in der ländlich-städtischen Untersuchungsregion eine Verwaltung und Politik setzen in Sachsen auf tiefgreifende gesellschaftliche Polarisierung hin- Kommunal- und Landesebene wichtige Rah- zu, die in parlamentarischen Mehrheitsverhält- menbedingungen für die Organisationen eh- nissen und öffentlichen Diskussionen zum Aus- renamtlichen Engagements, so die Mehrzahl druck kommt und sich auch im ehrenamtlichen der interviewten Expertinnen. Engagement niederschlägt. Die großstädtische Untersuchungsregion hingegen verfügt über ein In der ländlich-städtischen Untersuchungsregion quantitativ starkes und thematisch vielfältiges lassen sich Ansätze einer ressort- bzw. aufgaben- organisiertes Engagement, dessen Potenziale bezogenen Engagementförderung ausmachen, aber mangels Konzept und Strategie nicht ent- aber ebenso wie in der großstädtischen Untersu- faltet werden. Auf Landesebene verfolgen die chungsregion bestehen weder eine geteilte Vor- Ministerien eigene engagementbezogene Vorstel- stellung von ehrenamtlichem Engagement noch lungen, während zumindest der Koalitionsver-

58 trag erste Ansätze für ein ressortübergreifendes Peer-to-peer-Workshop zur Medienpolitik. Viele Jugendliche bevorzugen selbstorgani- Engagementkonzept erhält; aber ein Koalitions- sierte Initiativen. Bild: Benjamin Jenak vertrag ist zunächst nur eine Vereinbarung für die Zukunft, der Entscheidungen und Handlungen folgen oder eben auch nicht.

Im Mittelpunkt der Förderpolitik stehen en- gagierte Bürger/innen als Einzelpersonen. In landespolitisch als wichtig erachteten Hand- lungsfeldern, wie insbesondere Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungswesen, Wohlfahrtspflege sowie Sport werden auch die institutionellen Bedingungen ehrenamtlichen Engagements gefördert. In der Regel aber erfolgt die Förderung ehrenamtlichen Engagements in Sachsen als befristete Projektförderung; eine umfassende institutionelle Förderung ehrenamt- lichen Engagements, die auf Dauer die Bedingun- gen ehrendamtlichen Engagements verbessern würde, steht aus.

In den Experteninterviews wird die finanzielle und Weiterbildungsangebot für Organisationen Förderung ehrenamtlichen Engagements in ehrenamtlichen Engagements vor allem im länd- der Regel weder in der Breite, noch vertiefend lich-städtischen Raum ist erforderlich. Das Säch- thematisiert. Allenfalls werden einzelne Förder- sische Landeskuratorium Ländlicher Raum und programme des Landes Sachsen genannt, ohne möglicherweise auch die im Koalitionsvertrag dass aber die Förderungen problematisiert, eine avisierte Ehrenamtsagentur des Landes Sachsen Erhöhung der finanziellen Mittel oder neue spezi- bieten sich für derartige Aufgaben an. fische Förderprogramme gefordert werden. Im Mittelpunkt der Ausführungen der interviewten In den Experteninterviews wird zudem auf die Expertinnen stehen vielmehr inhaltliche, ad- Notwendigkeit einer dialogorientierten poli- ministrative und organisatorische Fragen der tischen Kommunikation, einer zeitgemäßen Weiterentwicklung des organisierten ehrenamt- Anerkennungs- und Würdigungskultur sowie auf lichen Engagements in Sachsen. Daraus könnte den Einbezug ehrenamtlich Engagierter als Ex- man den Schluss ziehen, dass die finanziellen pertinnen in den politischen Entscheidungs- und Mittel zur Förderung ehrenamtlichen Engage- Gesetzgebungsprozess hingewiesen. ments in Sachsen von den interviewten Expertin- nen als allgemein hinreichend und unproblema- Insgesamt betrachtet erfolgt die Engagementför- tisch eingestuft werden. derung in Sachsen ressort- bzw. aufgabenbezo- gen, so dass von einer landesweit koordinierten Mit einer gewissen Dringlichkeit wird eine Ent- Engagementpolitik nicht die Rede sein kann. lastung und Vereinfachung in administrativen So gibt es auf Landesebene in Sachsen und in Angelegenheiten und Prozessen der öffentlichen den Untersuchungsregionen weder eine geteilte Förderung ehrenamtlichen Engagements gefor- Vorstellung von Zivil- oder Bürgergesellschaft, dert. Der steigende administrative Aufwand im noch ein Konzept und eine Strategie zur Förde- Förderverfahren hat für ehrenamtlich Engagierte rung der organisationalen und institutionellen erhöhte Belastungen und auch Überforderungen Bedingungen ehrenamtlichen Engagements. zur Folge. Insbesondere kleine Vereine sowie Ein umfassendes engagementpolitisches Hand- selbstorganisierte Initiativen und Gruppen haben lungskonzept ist aber eine unabdingbare Voraus- Probleme damit, rechtliches, administratives setzung, um die von Organisationen geforderte und organisationales Fachwissen in der gebo- Unterstützung, Beratung und Weiterbildung eh- tenen Schnelle und Güte abzurufen. Ihnen fehlt renamtlichen Engagements durch den Freistaat vor allem im ländlich-städtischen Raum eine Sachsen und sächsische Kommunen überhaupt entsprechende Beratung und Unterstützung. Ein realisieren zu können. flächendeckendes Beratungs-, Unterstützungs-

59 Das LeipzigZimmer lädt ein, sich mit anderen Leipziger/innen zu treffen. Bild: Stiftung „Bürger für Leipzig“

Engagementförderung auf kommunaler Ebene

Die Förderung ehrenamtlichen Engagements Großstadt Leipzig und Bautzen als Beispiel für ist eine wesentliche Angelegenheit kommu- den ländlich-städtischen Raum untersucht. naler Selbstverwaltung. Im Mittelpunkt ste- Zudem wurden einzelne Experteninterviews hen dabei Fragen einer ressourcenbasierten zur Erschließung des organisierten Engage- Förderung und politischen Anerkennung. Im ments im städtisch-ländlichen Raum in Erlau, Rahmen der qualitativen Studie wurden die Kohren-Salis und Reichenbach geführt.

Leipzig – Stadt der Bürger/innen mit unaus- geschöpftem Potenzial als „Bürgerstadt“

Leipzig ist mit 601.0831 (30. Juni 2020) Ein- meister; der Amtsinhaber Burkhard Jung wurde wohner/innen die größte Stadt Sachsens, am 1. März 2020 mit 49,1 % der abgegebenen wirtschaftlich prosperierend und geprägt Stimmen im zweiten Wahlgang für eine dritte durch ein großstädtisches und bürgerschaft- Amtszeit gewählt. liches Selbstbewusstsein. In Leipzig sind die Handlungsfelder ehrenamt- Bei der Kommunalwahl vom 26. Mai 2019 erhielt lichen Engagements thematisch breit gefächert DIE LINKE mit 21,4 % die meisten Stimmen ge- und organisiert. Sie reichen von Sport, über folgt von Bündnis 90/Die Grünen (20,7 %), CDU Heimat und Kultur bis hin zu Wirtschaft und So- (17,5 %), AfD (14,9 %), SPD (12,4 %), FDP (4,8 %), ziales. Die Engagierten sind zumeist in Vereinen, DIE PARTEI (3,8 %), der Wählervereinigung aber auch in selbstorganisierten Gruppen und Leipzig e.V. (2,5 %) und den Piraten (1,4 %). Die Initiativen organisiert. Hinzu kommen übergrei- SPD stellt in Leipzig seit 1990 den Oberbürger- fende Formen der Organisation ehrenamtlichen

1 https://statistik.leipzig.de/statcity/table.aspx?cat=2&rub=4&per=q (abgerufen am 25.07.2020).

60 Engagements, wie insbesondere die in den Ex- Förderung dessen“ und damit auch „die ganze perteninterviews genannte Bürgerstiftung („Stif- Förderung von Vereinen über Arbeitsmaßnah- tung Bürger für Leipzig“) und die Freiwilligen- men ist damals sehr stark reduziert worden. Teil- agentur Leipzig.Das Selbstbild der interviewten weise eingestellt worden (…). Und in Leipzig, der Expertinnen von Leipzig als Bürgerstadt ist eng ganze Osten wahrscheinlich, hat natürlich nach verknüpft mit der jüngeren Geschichte der Stadt. der Wendezeit, haben die Vereine (…) sehr davon profitiert, dass quasi viel Förderung dort rein- „Bürgerstadt Leipzig hat natürlich für mich noch geflossen (ist, d. A.) und damit konnten natürlich einmal eine andere Konnotation, weil ja jetzt ein- auch bestimmte Strukturen aufgebaut werden fach hier auch die Stadt der Friedlichen Revoluti- und auch bestimmte Standards gehalten und on (…) ist, (…) dieses ganze Engagement im Vor- gesetzt werden.“ feld, aber auch direkt nach der Wende oder auch in dieser Zeit hat in Leipzig natürlich auch dazu Mit dem Ende dieser Programme, insbesondere der geführt, dass Leipzig jetzt wieder so aussieht, wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), die vom es aussieht“, erklärt eine interviewte Expertin. Bund bis 2012 gefördert wurden, wurde das befris- tet eingestellte Personal in der Regel entlassen. Dieses Bild von Leipzig als Bürgerstadt gründet nach Aussage einer interviewten Expertin auf „Und ganz akut war das damals, also 2014, dann einzelnen engagierten Bürger/innen, die Leipzig natürlich zu spüren, bei so ganz klassischen prägen: „Wir haben ganz tolle Leute hier, Bürge- Sachen wie Sportvereinen, die natürlich auch rinnen und Bürger in Leipzig, die sich engagie- bestimmte Pflegemaßnahmen durchzuführen ren.“ Ganz viele Menschen, die sich engagieren haben. Und die (…) quasi dafür auch Personen wollen, bringen Ideen mit und mit diesem Ideen- eingesetzt haben und dann auch einfach in die reichtum könnte man „sehr viel mehr tun und Zwickmühle kamen, wie organisiere ich mich umsetzen“. jetzt schlichtweg.“

Kommunale Anerkennung und Förderung Seit einigen Jahren wird ehrenamtliches Engage- Das Engagement von Bürger/innen findet nach ment in den Ressorts der Kommunalverwaltung Einschätzung einer interviewten Expertin der in unterschiedlicher Art und Weise gefördert. Die Kommunalverwaltung in der Kommunalpolitik Stadt Leipzig „vergibt auch viele Zuwendungen Resonanz. in unterschiedlichster Art und Weise. Wir haben zahlreiche Fachförderrichtlinien, über die diese „Wir haben zahlreiche Formate der Anerken- ausgereicht werden“. So verfügte die Stadt Leip- nungskultur. Also seit 25 Jahren gibt es zum Bei- zig im Jahr 2018 über dreizehn Fachförderricht- spiel einen jährlichen Empfang in der Oper, wo linien, die Ausdruck der jeweiligen ressortspezifi- 500 Personen eingeladen werden aus verschie- schen Förderpolitik sind. Eine derart ressortierte denen Bereichen.“ Auch eine andere interviewte Engagementförderung neigt zu Routinen. Expertin lobt die „große Aufgeschlossenheit, eine große Würdigung für das Thema bürgerschaft- Vor diesem Hintergrund fragt eine interviewte liches Engagement“. Die „Offenheit, also das Expertin, wie „innovativ ist eigentlich diese För- Ohr sozusagen an der Masse zu haben“ und an- derstruktur? Also wenn ich einen, klar, also für sprechbar zu sein, zeichnet nach Aussage einer das Amt ist es immer am bequemsten, ich kenne interviewten Expertin den Oberbürgermeister jemanden. Das ist der Verein XY. Da weiß ich, der aus, ohne dass dieses aber ein Konzept und eine kann Anträge stellen, der kann abrechnen. Super. Förderung ersetzt. Dann mache ich das mit dem im nächsten Jahr auf jeden Fall auch. Jetzt kommt hier etwas Neu- Als erster – indirekter – Ansatz zur Förderung eh- es. Den kenne ich noch nicht. Da weiß ich nicht, ob renamtlichen Engagements in Leipzig werden für der Antrag stellen und abrechnen kann. Dann hal- die Zeit bis zum Jahr 2014 arbeitsmarktpolitische te ich den mal lieber noch ein bisschen draußen“. Instrumente und Verfahren von den interviewten Dabei bemerkt die interviewte Expertin, dass die Expertinnen genannt, die vor allem von Vereinen Förderstrukturen zu starr und festgefahren sind. in Anspruch genommen wurden. „Und dieses (…) ich mache immer wieder weiter die Sachen, die ich immer gemacht habe, und Mit der Veränderung der „Arbeitsmarktstruk- habe eigentlich keine Öffnung“, verhindert Inno- turen, Arbeitsmarktreformen bzw. auch die vationen.

61 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Bürgerbeteiligung So war der „Agendaprozess (…) insofern inter- Ehrenamtliches Engagement wird in Leipzig essant, weil das erste Mal sozusagen der große, aber nicht nur finanziell gefördert und symbo- breite Teppich ausgerollt wurde, um zu sagen, lisch gewürdigt, sondern die Stadt Leipzig er- wir müssen aus den Nischen raus. Also wir kön- probt seit einigen Jahren auch Instrumente und nen hier nicht nur in den Umweltzirkeln, nicht Verfahren der Bürgerbeteiligung im Sinne der nur in den Sozialzirkeln, nicht nur in den Be- Förderung bürgerschaftlichen ehrenamtlichen hindertenzirkeln sitzen, sondern wir brauchen Engagements. sozusagen eine Dialogebene in der Stadt. Also eine städtische Dialogebene, um auf einen Plan „Was Leipzig immer ausgemacht hat, war aus zu kommen: Wo wollen wir denn hin in zehn, der Zeit vor 1989 teilweise (…), ist die Bildung zwanzig, dreißig Jahren? Was ist denn für uns von (…) Bürgervereinen auf der Stadtteilebene“. nachhaltige Stadtentwicklung?“ Jeder Stadtteil hatte seinen eigenen Bürgerver- ein, was besonders für städtische Beteiligungs- Die gemeinsame Zusammenarbeit mit der Stadt- formate, wie beispielweise für Planungs-, Bau- verwaltung gestaltete sich nach Aussage einer oder Stadtumbauprozesse wichtig war, so die interviewten Expertin durch die Unterstützung interviewte Expertin. Jedoch kommt dabei zum des damaligen Bürgermeisters sehr gut, da er aus Ausdruck, dass man damals „schnell merkte, (…) seiner parteipolitischen Tradition heraus diesen was auf Ebene der Stadtplanung von der Kom- „Bürgerdialog“ stattfinden ließ und zu verstehen munalverwaltung aus kommt, nicht unbedingt gab: „Ja, wir wollen diesen Prozess“. Durch die- immer kongruent ist mit dem, was die Bürger- sen Agendaprozess entstanden dann Strukturen schaft möchte.“ „wie die Freiwilligenagentur, wie die Stiftung“.

Die Bürgerbeteiligung ist in Leipzig nicht frik- Freiwilligenagentur und Bürgerstiftung tionslos. So haben Bürger/innen bisweilen an- Für eine handlungsfeldübergreifende Weiter- dere Vorstellungen als Stadtplaner/innen. Aus entwicklung ehrenamtlichen Engagements in Verwaltungssicht wird von einer interviewten Leipzig werden der Freiwilligenagentur und der Expertin darauf verwiesen, dass es bei manchen Bürgerstiftung Leipzig („Stiftung Bürger für Leip- stadtpolitischen Prozessen schwer ist, Bürger/ zig“) eine Schlüsselstellung in der Unterstützung, innen hinreichend zu beteiligen, da teilweise die Beratung und Weiterbildung ehrenamtlichen nötige Expertise und Veränderungsbereitschaft Engagements von interviewten Expertinnen fehlt, nach dem Motto „Nein, das war immer so. zugewiesen. So wurde nach Aussage einer inter- Also das wollen wir nicht verändern“. Aus Pers- viewten Expertin aus „tollen Ideen“ heraus, „eine pektive von Bürger/innen wiederum wird auch Struktur“ zur Vermittlung von Ehrenamtlichen auf negative Erfahrungen im Umgang mit der entwickelt. Kommunalverwaltung beim Bürgerhaushalt, in der Bürgerbeteiligung und mit Bürgervereinen „Einen richtig guten, sinnvollen, effektiven Bei- verwiesen. trag in der Unterstützung auf der Metaebene“ leistet, so eine interviewte Expertin, die Freiwil- ligen-Agentur in Leipzig. Diese bietet nicht nur So sind durch ein Abwägen und „Wegwägen“ von Einzelberatungen an zur Frage „Wie gründe ich Bürgerbedenken „viele Leute über die Jahre einen Verein?“, sondern setzt auch Themen wie „Digitalisierung im Verein, Versicherungsfragen vollkommen frustriert“. (…), wo es absolut Sinn macht, akademiemäßig Kurse anzubieten und da auch, ja, einfach Input Im Themenbereich Bürgerbeteiligung und zu geben.“ bürgerschaftliches Engagement kann die Stadt Leipzig auf reichhaltige Erfahrungen zurückgrei- Und eine Freiwilligenagentur benötigt „eine fen. So gründete sich bereits im Jahr 1997 die finanzielle Struktur oder eine Finanzierungs- Arbeitsgruppe der Leipziger Agenda 21 mit der struktur, um eben gute Ideen auch umsetzen zu Leitfrage „Wie kriegen wir hier auf der lokalen können. (…) Also 2003 ist die Stiftung gegründet Ebene auch so einen lokalen Prozess für Nach- worden. Sagen wir mal, 2001 haben wir angefan- haltigkeit platziert?“ gen uns da vorzubereiten.“ Zuvor wurde Ende 2000 die Freiwilligenagentur Leipzig als Verein gegründet. Und um „gute Ideen“ finanziell unter-

62 füttern zu können wurde nach Aussage einer in- von Bürger- oder Zivilgesellschaft sowie einem terviewten Expertin die Bürgerstiftung Leipzig im entsprechenden Konzept und einer Handlungs- Jahr 2019 gegründet. Sie verfügt nach Aussage strategie nach wie vor fehlt. Auf der Habenseite einer interviewten Expertin über ein Stiftungsver- ist aber zu vermerken, dass ehrenamtliches mögen von nur 300.000 Euro und sieht ihre Rolle Engagement in Leipzig handlungsfeldbezogen eher als Moderatorin, die „eigentlich mehr mit und -übergreifend organisiert ist und im Prozess dem Vernetzen von Personen und Strukturen zu der Bürgerbeteiligung bereits ansatzweise Vor- tun (hat, d. A.), als mit dem Geld vermitteln“. stellungen von bürgerschaftlichem Engagement entwickelt wurden. Auf Seiten von Kommunal- Kommunale Koordinationsstelle verwaltung und -politik wiederum sind ressort- Während sich das ehrenamtliche Engagement spezifische Förderungen ehrenamtlichen Enga- in Leipzig organisiert und kooperativ agiert, be- gements, Formen der Bürgerbeteiligung sowie scheinigen einige interviewte Expertinnen, dass die Servicestelle „Leipzig weiter denken“ als Zu- Kommunalverwaltung und -politik in erster Linie gang für ehrenamtlich Engagierte und ihre Orga- dem Ressortprinzip folgen und stark binnenori- nisationen in Kommunalverwaltung und -politik entiert sind. So spricht eine interviewte Expertin entstanden. Letztlich ist festzuhalten, dass es in sogar von „Nichtkooperation“ und einem „Un- Leipzig zwar nach wie vor keine umfassende und verständnis” von Teilen der kommunalen Verwal- ressortübergreifende kommunale Engagement- tung gegenüber ehrenamtlichem Engagement. förderung, aber erste Ansätze koordinierten Ver- Beispielhaft wird auf Projekte verwiesen, bei waltungshandelns im Umgang mit organisiertem denen die Stadtverwaltung statt unterstützend Engagement gibt. zu handeln, uns „einfach abfahren lassen“ hat. Vor diesem Hintergrund gab es „Gespräche mit Ziel ist es nach Aussage einer interviewten der Stadtspitze zu dem Thema: Wie kann man Expertin „wirklich so eine gesamtstädtische eigentlich da und mehr unterstützen, bessere Strategie hinzubekommen über alle Dezernate (…) Rahmenbedingungen (…) schaffen auch von hinweg (…), weil ich da schon erheblichen Ver- Seiten der Stadt?“. besserungsbedarf sehe“. Es braucht in der Stadt einen Referenzrahmen für ehrenamtliches Enga- Im Rahmen eines Workshops der Stadt mit Ver- gement, der auf alle Handlungsbereiche über- einsvertretern und -vertreterinnen wurde „die tragen werden kann – „also eine Vereinbarung, Idee geboren, dass es also eine Stelle geben soll einen Vertrag. Wo ich dann auch alles regele, was beim freien Träger, der die Vereine unterstützt. da so passieren kann in so einer Tätigkeit. Also es Das ist die heutige Servicestelle, die es hier gibt, hat auch ganz praktische, pragmatische Hinter- mit Beratung, mit Fördermittelakquise und so gründe, dass ich eine abgestimmte Strategie (…) weiter in allen Fragen. Und eine Pendantstelle entwickeln will.“ dazu bei der Kommune“. Mit „Leipzig weiter denken“ haben Kommunalpolitik und -verwal- tung im Jahr 2014 ein solches Gegenüber für das organisierte Engagement eingerichtet, die entsprechend ihrer Selbstdarstellung2 die Beteili- gung in der Stadtentwicklung und -planung und eine neue Kultur der Partizipation fördern will. Eine interviewte Expertin wertet die Schaffung dieser Stelle als ein positives Signal für „so ein Zusammenwachsen zwischen denen, die sich engagieren, den Strukturen, die da sind, und der Kommune“.

Zusammenfassung und Ausblick Festzuhalten ist, dass es – trotz der skizzierten Ansätze – in Leipzig an einer von Bürger/innen, Organisationen ehrenamtlichen Engagements, Verwaltung und Politik geteilten Vorstellung

2 https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/buergerbeteili- gung-und-einflussnahme/leipzig-weiter-denken/ (abgerufen am 25.07.2020).

63 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Student baut mit Bautzener Schüler/innen einen Roboter. Bild: Benjamin Jenak

Der Landkreis Bautzen ist der flächenmäßig größ- Bautzen – polari- te Landkreis in Sachsen mit insgesamt 299.758 Einwohnern (31. Dezember 2019)3, wovon allein sierte Gesellschaft 38.977 (2019)4 in der kreisangehörigen Stadt Bautzen leben. Die Zahl der Einwohner/innen in auf der Suche nach Bautzen ist seit 1990 um rund 14.000 gesunken, wobei diese Entwicklung mittlerweile stagniert.5 Gleichzeitig ist die Stadt Bautzen zunehmend von sich selbst Überalterung betroffen. Während die Zahl junger Menschen in der Altersgruppe von 18-30 Jahren „Schuldenfreie Stadt“ – polarisierte zwischen 2002 und 2018 von 6.551 auf 3.831 ge- Gesellschaft sunken ist, stieg die Anzahl der über 80-Jährigen Bautzen ist „eine schuldenfreie Stadt. Das gibt es im gleichen Zeitraum von 1.920 auf 3.651 Men- ja kaum (…) auf der Welt“, stellt eine interviewte schen.6 Rund 5-10 % der Einwohner/innen von Expertin selbstbewusst fest. Bautzen sind Sorben7, eine in Deutschland aner-

3 https://www.statistik.sachsen.de/download/presse-2020/mi_statistik-sachsen_070-2020_bevoelkerung-dezember-2019.pdf (abgerufen am 25.07.2020) 4 https://www.bautzen.de/fileadmin/media/statistik_wahlen/einwohnerentwicklung-1815-bis-2019.pdf (abgerufen am 25.07.2020) 5 https://www.statistik.sachsen.de/Gemeindetabelle/jsp/GMDAGS.jsp?Jahr=2019&Ags=14625020 (abgerufen am 25.07.2020) 6 https://www.bautzen.de/fileadmin/media/statistik_wahlen/statistische-berichte-2019.pdf (S. 18, abgerufen am 25.07.2020) 7 https://www.bautzen.de/tourismus-kultur-freizeit/sorben/ (abgerufen am 25.07.2020)

64 kannte Minderheit, deren Hauptsiedlungsgebiet sind im öffentlichen Raum präsent. Öffentliche die Lausitz mit ca. 60.000 dort lebenden Sorben Aktivitäten, von Demonstrationen unter Beteili- ist. Die Wirtschaftsstruktur der Stadt ist klein- und gung von Reichsbürgern, PEGIDA-Anhängern und mittelständisch geprägt8; überregional bekannt Impfgegnern bis hin zu einer Preisverleihung an ist das Bautzener Unternehmen Hentschke Bau. einen internationalen Vertreter von Verschwö- Die Erwerbslosenquote in der Stadt Bautzen be- rungsmythen, sind Gegenstand öffentlicher Aus- lief sich im Dezember 2019 – wie im Vorjahr – auf einandersetzungen. Bundesweit haben in den 8,6 % (Dezember 2019), wobei rund 39 % der vergangenen Jahren vor allem rechtsradikale Erwerbslosen über 50 Jahre alt sind.9 Der Aus- Aktivitäten in der Stadt und im Landkreis Baut- länder/innenanteil beträgt in der Stadt Bautzen zen, etwa gegen eine Flüchtlingsunterkunft, und 4,5 % (März 2019)10 und liegt damit unter dem tätliche Auseinandersetzungen mit und von min- entsprechenden Durchschnittswert von 5,1 % derjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, mediale (Dezember 2018) in Sachsen.11 Aufmerksamkeit erfahren.

Bautzen ist von seiner Geschichte als Haftort für Die tiefgreifende gesellschaftliche Polarisierung politische Gefangene geprägt. 1904 wurde Baut- in Bautzen schlägt sich auch im ehrenamtlichen zen I als Reformgefängnis begründet. 1906 folgte Engagement nieder und gefährdet insbesondere das Gerichtsgefängnis Bautzen II. Beide Haftan- im ländlich-städtischen Raum den gesellschaftli- stalten wurden vom NS-Regime zur Inhaftierung chen Zusammenhalt. So hat sich in dieser Unter- politischer Gefangener genutzt. Die Sowjetische suchungsregion einerseits eine rechtspopulis- Militäradministration internierte in Bautzen I po- tisch-radikale Parallelwelt herausgebildet, die litisch Gegner in einem Speziallager und Bautzen sich selbst verstärkt und zunehmend verstetigt II diente dem sowjetischen Geheimdienst NKWD. und für Impulse und Interventionen von außen Beide Gefängnisse übernahm später das Innen- kaum noch zugänglich zu sein scheint. Anderer- ministerium der DDR, wobei das Ministerium für seits prägen auch diese Gruppierungen und Staatssicherheit einen besonderen Zugriff auf Organisationen das Engagement mit und sind Bautzen II bekam. zumindest zu einem Teil auch ein Bestandteil des weiten Spektrums ehrenamtlichen Engage- Der Landkreis und vor allem die Stadt Bautzen ments. Gleichzeitig sind die demokratische Mehr- sind seit Jahren durch eine tiefgreifende gesell- heit ehrenamtlich Engagierter und ihre Organi- schaftliche Polarisierung geprägt, die in Wahl- sationen unter den gegebenen politischen und ergebnissen und öffentlichen Diskussionen zum administrativen Bedingungen vor Ort strukturell Ausdruck kommt. Im Landkreis Bautzen ist die zu schwach, um dieser gesellschaftlichen Polari- AfD aus der Kreistagswahl (2019) mit 29,4 % der sierung organisational, strukturell und politisch Wähler/innenstimmen – gefolgt von der CDU mit etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen. 29,1 % – als stärkste Partei hervorgegangen.12 Im Stadtrat von Bautzen arbeitet die AfD mit dem Diese grob skizzierten Bedingungen in Bautzen Bürger Bündnis Bautzen e. V. und der örtlichen sind wiederum für das Verständnis der Interview- FDP punktuell zusammen, während die SPD seit aussagen zum organisierten ehrenamtlichen 2015 mit Stimmen des Bürger Bündnis Bautzen Engagement von Bedeutung. Die Erfahrungen e. V. und der LINKEN den Oberbürgermeister, der interviewten Expertinnen mit gesellschaftli- Alexander Ahrens, stellt. Bei der Kommunalwahl cher Polarisierung vor Ort durchziehen subkutan am 26. Mai 2019 errangen die CDU 24,4 %, die die Experteninterviews. So vermitteln einige AfD 23,2 %, DIE LINKE 11,1 %, das Bürger Bündnis interviewte Expertinnen als Vertreter/innen des Bautzen e.V. 20,0 %, die FDP 8,9 %, Bündnis 90/Die organisierten ehrenamtlichen Engagements den Grünen 6,6 % und die SPD 6,2 % der Stimmen.13 Eindruck, keine Deutungshoheit in gesellschaft- lichen Belangen mehr zu haben und nicht die Rechtspopulistische Gruppen und Organisa- Mehrheit der Bevölkerung in Bautzen zu stellen. tionen prägen die öffentliche Meinung mit und Verstörend ist die „beredete Schweigsamkeit“

8 https://www.bautzen.de/wirtschaft-arbeit/wirtschaftsstandort/ (abgerufen am 25.07.2020) 9 https://www.bautzen.de/fileadmin/media/statistik_wahlen/statistischer-bericht-2019-IV.pdf (abgerufen am 25.07.2020). 10 https://www.bautzen.de/fileadmin/media/statistik_wahlen/statistischer-bericht-2019-I.pdf (abgerufen am 25.07.2020) 11 https://sab.landtag.sachsen.de/dokumente/sab/SAB_JB_2018_Statistik_web.pdf (abgerufen am 25.07.2020) 12 https://wahlen.sachsen.de/Ergebnisse_KT19.php?landkreis=14625&detailed=true&_ptabs=%7B%22%23tab-stimmenverteilung%22%3A1%7D (abgerufen am 25.07.2020) 13 https://www.bautzen.de/buerger-rathaus-politik/stadtpolitik/wahlen/ (abgerufen am 25.07.2020)

65 Organisationslandschaft in Sachsen

von einigen interviewten Expertinnen: So werden auch Vereine als Organisationen ehrenamtlichen in ausführlichen Schilderungen des organisierten Engagements. Engagements in Bautzen die skizzierten politi- schen Themen und Probleme in der Regel nicht So können Vereine an die Stadt herantreten und oder nur auf Nachfrage thematisiert. Gleichzeitig sagen, „wir benötigen mal mehr Geld. Einfach, durchzieht ein diffuser Wunsch nach Normalität weil bestimmte ehrenamtliche Strukturen viel- in der Selbstdarstellung und Fremdwahrneh- leicht auch nicht ganz so auf Dauer funktionieren mung von Bautzen die Experteninterviews. Sehr und man versucht dann Honorarkräfte oder eben vereinzelt wird aber auch die mit Resignation (…) anteilig auch Festangestellte zu bekommen“. unterlegte Absicht geäußert, irgendwann weg- ziehen zu wollen. Im Umgang mit ehrenamtlich Engagierten und ihren Vereinen macht die Stadtverwaltung Städtische Engagementförderung Bautzen deutlich, dass die Wertschätzung ehren- In der Stadt Bautzen unterstützt die Verwaltung amtlich Engagierter, eine bürokratisch einfache das Engagement ihrer Bürger/innen, so eine Fördermittelbeantragung und eine konstruktive interviewte Expertin, sieht aber nicht sich selbst, Vereinsberatung für sie unabdingbar sind. sondern die Bürger/innen in der Verantwortung „Legt man jetzt den Vereinen vor, wenn sie da dafür, „(...) dass Engagement in der Stadt stattfin- ein Projekt umsetzen wollen, (…), lege ich denen det“. Die Stadtverwaltung sieht ihre Aufgabe viel- da jetzt (…) zehn Formulare vor und sage: Hier mehr darin, ehrenamtliches Engagement ideell müsst ihr erstmal alles ausfüllen. Oder sage und finanziell zu unterstützen und bürokratische ich: Erzählt mal, was ihr machen wollt und wir Verfahren zu vereinfachen. gucken mal, wie kriegen wir das gelöst, dass das dann am Ende auch funktioniert. Also konstruk- Die Stadtverwaltung fördert nach Aussage einer tiv? Und vielleicht auch mal anbietet, wo können interviewten Expertin das Engagement ihrer wir unterstützen? Wo sind Mittel möglich? Wie Bürger/innen ressortbezogen in den Bereichen (…) müsst ihr das beantragen? Wann?“ Sport, Soziales und Kultur. „Worauf wir natürlich Einfluss haben, sind, sage ich mal, Fördermittel, Als nicht erfolgreich hat sich in Bautzen der Ver- die wir ausgeben. Das ist ganz logisch.“ So gibt such erwiesen, ein städtisches Leitbild durch es im „Amt für Bildung und Soziales zum Beispiel Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Das von der die Sportförderung. Das sind, ich glaube, 50, Stadt gewählte Beteiligungsverfahren und die 60.000 Euro im Jahr. Wir haben natürlich auch damit einhergehende Leitbildentwicklung soll- die soziale Vereinsunterstützung im Amt für Sozi- te, so eine interviewte Expertin, zur Erstellung ales, Abteilung für Soziales, die dann auch noch- eines integrierten Stadtentwicklungskonzepts mal Gelder ausgibt. Wir haben die kulturellen in Bautzen genutzt werden. Dieses Vorhaben Vereine im Kulturbüro, also was so Musiksommer „verlief im Sand“, obwohl „am Anfang viele Leu- und solche Sachen sind, die werden dort abge- te hingegangen“ sind. Da es später aber „keine handelt. Und alles, was sozusagen übrigbleibt, Zurückberichterstattung“ über den Umgang mit ist dann“ beim Oberbürgermeister. den eingebrachten Vorschlägen von der Verwal- tung an die Bürger/innen gegeben hat, war große Der Oberbürgermeister selbst hat nach Aussage Enttäuschung auf Seiten der beteiligten Bürger/ einer interviewten Expertin noch den Bürger- innen die Folge. haushalt mit einem Volumen in Höhe von 20.000 Euro „unter sich”, „wo Bürger jedes Jahr eben „Was wird denn jetzt damit, mit den Ideen? Was Ideen einreichen können und wir (die Stadt- wird denn damit, was da eingebracht worden spitze, d. A.) dann davon Ideen umsetzen“. Nach ist? Wo finde ich denn das wieder?“ Kritisch bi- der Prüfung durch die Verwaltung entscheidet lanziert eine interviewte Expertin „die Stadt ist dann der Finanzausschuss des Stadtrats über aber auch nicht der geborene Experte für Betei- die Vorschläge von Bürger/innen. Insofern sind ligungsformate“ und ein solches Übergehen der die Stadtverwaltung und der Stadtrat – entgegen beteiligten Bürger/innen kann „auch manchmal ihrer angekündigten Zurückhaltung – auch selbst Schaden anrichten“. Denn „da war dann irgend- Handelnde im ehrenamtlichen Engagement. wie wieder ein halbes Jahr Funkstille, und plötz- Die Stadtverwaltung fördert nicht nur das eh- lich gab es das Leitbild, und da standen dann renamtliche Engagement ihrer Bürger/innen in aber natürlich Leitbildformulierungen drin.“ traditionellen Handlungsbereichen, sondern

66 Lisa gründete mit Freunden den Jugendclub Kurti in Bautzen. Bild: Sebastian Tóth / whatsyourplan.de

Mit Bedauern wird festgestellt, dass die Bürger/ erstmals 2018 eingeführt und sieht eine pau- innen der Stadt Bautzen ein großes Potenzial schale Engagementförderung des Freistaats für haben, was aber „viel konstruktiver nutzbar“ die Landkreise und kreisfreien Städten vor, die gemacht werden sollte, statt durch „unausgego- 100.000 Euro im Jahr 2019 betrug und im Jahre rene Versuche einer Bürgerbeteiligung die Men- 2019 auf 200.000 Euro erhöht wurde. Die Kom- schen zu frustrieren“. munen ihrerseits entwickelten entsprechende Förderrichtlinien, die eine bürokratisch einfache „Es braucht sozusagen auch gar nicht so sehr Beantragung ermöglichen sollen. So wurden ein gemeinsames Ziel, aber es braucht einen nach Aussage einer interviewten Expertin im gemeinsamen, zivilen, anständigen, wertschät- Jahr 2018 „an Vereine, an Initiativen und Privat- zenden und von gegenseitigem Respekt gepräg- personen, die sich im Landkreis Bautzen ehren- ten Umgang (…). Also und wenn wir das schon amtlich betätigen“, 193.000 Euro ausgezahlt. schaffen würden, dann (…) wären wir schon also wirklich viele Schritte weiter“. Mit Mitteln des Kommunalen Ehrenamtsbudgets sollen nach Aussage einer interviewten Expertin Engagementförderung des Landkreises „direkt die Vereine, Initiativen und Privatperso- Das ehrenamtliche Engagement in der kreisan- nen (gefördert werden, d. A.), die von irgendwo gehörigen Stadt Bautzen wird von der Stadtver- anders kein Geld sehen, keine finanzielle Unter- waltung und ergänzend vom Landkreis Bautzen stützung“ erhalten. Konkret wurde nach Aussage gefördert. Die Engagementförderung des Land- einer interviewten Expertin Engagement in Form kreises soll an dieser Stelle zur Kontextualisie- von „Dankeschön-Veranstaltungen“ bis hin zur rung der städtischen Förderung kurz dargestellt Anschaffung von technischen Ausstattungs- werden. gegenständen gefördert.

Der Landkreis Bautzen fördert ehrenamtliches Mit der Genehmigung der Anträge und der Ver- Engagement aus Mitteln des „Kommunalen Eh- gabe der Mittel ist das zuständige Amt im Land- renamtsbudgets“. Dieses neue Instrument wurde ratsamt Bautzen „sehr gefordert“, denn die

67 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

„Vereine stellen ordentliche Anträge (…), fleißig, Als weitere Unterstützung ehrenamtlichen Enga- genau“, so dass das Budget für ehrenamtliches gements bietet der Landkreis Bautzen Informa- Engagement im Kreis Bautzen zu „ungefähr 96, tionsveranstaltungen über Förderprogramme für 97 %“ ausgeschöpft wurde und „die Kreisräte Vereine, Bürgermeister/innen und ehrenamtlich auch sehr begeistert davon (waren, d. A.) und wir Engagierte an. (das Landratsamt, d. A.) natürlich auch, dass das auch so gut angenommen wird“. Vor allem das „Beispielsweise jetzt planen wir gerade eine Infor- „unkomplizierte“ Online-Antragsverfahren des mationsveranstaltung zu Fördermöglichkeiten (…), Landkreises hat dazu geführt, dass das Budget dass die Vereine und Bürgermeister (…) sich mal zur Ehrenamtsförderung des Landkreises ausge- informieren (…) mit den ganzen Fortbildungen.“ schöpft wurde, so eine interviewte Expertin. Die Beantragung ist auf der Homepage des Kreises Neben der finanziellen Förderung von Bürger/ Bautzen mit einem Onlineformular ohne Unter- innen und Organisationen verweist das Landrats- schrift möglich. Initiativen, Vereine und Privat- amt auf die kommunale Würdigungskultur für personen können so relativ einfach Fördermittel ehrenamtliches Engagement, die „wir entwickeln in Höhe von 200 bis 1.500 Euro für verschiedene gerade (…) mit dem Landrat“. Die interviewte „Maßnahmen, Ideen und Projekte, bei denen Expertin berichtet dabei von einem neuen Format Sachkosten entstehen“, erhalten.14 („Ehrenamt des Monats“), das es „seit August 2018“ gibt. „Das merkt man richtig, weil es auch ein ein- faches Verfahren ist. Es ist nicht so kompliziert. „Das heißt, wir gehen sozusagen jeden Monat, Also es ist: Antrag stellen, keine großen Richt- besuchen wir eine Gemeinde im Landkreis und linien, nichts. (…) Auch was die an Erfahrung überraschen dort einen Ehrenamtlichen. Das ist bekommen haben, wie einfach das eben ist im mit den Bürgermeistern vorab natürlich alles ab- Gegensatz zu anderen Fördermöglichkeiten.“ gesprochen. Und die tun dann einfach auf einen Vorwand die Bürger, den Bürger, den Geehrten Rund die Hälfte der Vereine im Landkreis Baut- sozusagen in die Gemeinde, in die Stadtverwal- zen sind nach Aussage einer interviewten Ex- tung locken und dann tauchen wir auf und dann pertin Sportvereine, für die der Kreissportbund vergeben wir diesen Titel ‚Ehrenamt des Monats‘. Ansprechpartner ist. Aufgrund der hohen Zahl Und da sind alle total begeistert. Und, ja, Presse: von Sportvereinen hat die Landkreisverwaltung Es wird bei Facebook veröffentlicht. Es wird in „Sportförderung und alles Mögliche drum“ an der Zeitung veröffentlicht. Also, dass die Leute den Dachverband ausgelagert und unterstützt auch sehen – 'Aha, hier wird auch mein Ehrenamt diesen mit 500.000 Euro, so eine interviewte anerkannt'.“ Expertin. Mit dem Kreissportbund als Gegenüber kann das Landratsamt auf Förderanträge, die Das ist „eine Würdigungskultur“ und „die zweite „Bauchschmerzen“ bereiten, schnell und unkom- Würdigungskultur ist eine Ehrenamtsveranstal- pliziert reagieren; die Antragsteller/innen werden tung des Landrates“. Bei diesem Empfang wer- durch den Kreissportbund bei der Antragstellung den nach Aussage einer interviewten Expertin beraten und unterstützt. einmal pro Jahr 120 ehrenamtlich Tätige ein- geladen und „davor gibt es einen kleinen Imbiss, „Wir konnten das immer sehr gut lösen. (…) Getränke so als Dankeschön. Der Landrat hält Und haben auch ganz unkompliziert ja mal eine Rede. Und (es gibt, d. A.) so ein bisschen angerufen, Kontakt hergestellt zu dem Antrag- Austausch. Und das ist jetzt die letzten zwei Jah- steller oder zu dem Verein, und dann einfach mal re auch sehr gut angekommen, (die Ehrenamt- gesagt – 'Komm, wir tun jetzt mal den Verwen- lichen, d. A.) freuen sich.“ dungszweck ein bisschen anpassen, sodass es der Förderrichtlinie entspricht.' Weil wir wollen Diese Formen der Würdigung werden als hinrei- ja schon, dass das Ehrenamt im Landkreis sich chend angesehen; damit „erreichen wir die Leute weiterentwickelt und bleibt und nicht zurück- schon“, so eine interviewte Expertin. Zudem geht und stärkt. Und da wollen wir natürlich den organisieren die einzelnen Bürgermeister/innen Ehrenamtlichen auch etwas Gutes tun.“ bereits „meistens in ihrer eigenen Gemeinde selbst schon die Würdigungskultur“.

14 https://www.landkreis-bautzen.de/landratsamt/dienstleistung/ehrenamtsfoerderung/7 (abgerufen am 25.07.2020)

68 Die Unterstützung von ehrenamtlich Engagierten ein entsprechendes Konzept und eine Strategie und Vereinen erfolgt bisher über die jeweiligen zur Förderung von Organisationen ehrenamt- Dachverbände, wie etwa den Kreissportbund, lichen Engagements und einer öffentlichen En- sowie die Ehrenamtsbeauftrage des Landkreises. gagementinfrastruktur erkennbar. Im Landkreis Im Landkreis und in der Stadt Bautzen gibt es Bautzen hingegen werden anhand von Begriffen bisher weder eine Bürgerstiftung noch eine Frei- wie Ehrenamtsbeauftragte und Ehrenamtsbörse willigenagentur. Perspektivisch soll nach Aussage zumindest erste Überlegungen zur Entwicklung einer interviewten Expertin im Landkreis Bautzen einer öffentlichen Engagementinfrastruktur an- eine Ehrenamtsbörse aufgebaut werden, „wo wir gestellt. sozusagen Angebot und Nachfrage dieser Vereine ein bisschen koppeln wollen“. Eine Ehrenamts- Es ist davon auszugehen, dass ehrenamtliches börse würde die Vernetzung zwischen ehrenamt- Engagement in Bautzen angesichts der orga- lich Interessierten und Vereinen erleichtern, so nisationalen Kapazitäten und vorhandenen die interviewte Expertin weiter. Zudem überlegt Ressourcen derzeit kaum in der Lage dazu ist, der Landkreis Bautzen eine Freiwilligenagentur einen wirkungsvollen Beitrag zur Überwindung zu gründen, „wie es (sie, d. A.) auch in Leipzig der gesellschaftlichen Polarisierung in der länd- zum Beispiel gibt“. Doch diese Vorhaben werden lich-städtischen Region zu leisten. Politik und als schwierig beschrieben: Mit der Kreisreform Verwaltung in der Stadt und auch im Landkreis 2008 wurde der Landkreis Bautzen zum flächen- Bautzen stehen vielmehr – unter maßgeblicher mäßig größten Landkreis Sachsens, was sowohl Beteiligung von Organisationen ehrenamtlichen die Entwicklung einer Ehrenamtsbörse, als Engagements und Bürger/innen – vor der Ent- auch die Gründung einer Freiwilligenagentur er- scheidung und Aufgabe, günstige Bedingungen schwert, so eine interviewte Expertin. für die Entwicklung organisierten ehrenamtli- chen Engagements in Bautzen zu schaffen. Schließlich ist „der Landkreis Bautzen, wir ver- gleichen immer, (…) so groß wie das Bundesland Dabei sollte es – so interviewte Expertinnen – zu- Saarland. Und das ist ein eigenständiges Bundes- nächst darum gehen, dass in Bautzen im Rahmen land. Wir sind ein Landkreis. Und da eine Freiwil- bewährter demokratischer Beteiligungsverfahren ligenagentur zu gründen (…) wird sehr schwierig und unter Leitung externer professioneller Mo- werden, (…) aufgrund der großen Reichweite, deration eine Auseinandersetzung und Verstän- um die Ehrenamtlichen zu erreichen.“ digung über das gesellschaftliche und städtische Selbstverständnis der Bürger/innen von Bautzen Zusammenfassung und Ausblick initiiert wird. Die gemeinsame Auseinanderset- In der Stadt Bautzen wird vor allem in den Res- zung über ein bürger- bzw. zivilgesellschaftliches sorts Sport, Kultur und Soziales der Kommunal- Leitbild für Bautzen könnte zur gesellschaft- verwaltung ehrenamtliches Engagement von lichen Verständigung, zur Wiederbelebung von Bürger/innen und in Vereinen gefördert. Die Beteiligungsverfahren und zur organisationalen Förderung von Vereinen bedeutet im Umkehr- Stärkung ehrenamtlichen Engagements in Baut- schluss, dass andere Formen der Organisation zen beitragen. Ein daraus entwickeltes örtliches ehrenamtlichen Engagements, wie etwa selbst- Leitbild von Bürger- und Zivilgesellschaft wieder- organisierte Initiativen und Gruppen, Freiwilli- um wäre die Grundlage für die Förderung ehren- genagenturen und Bürgerstiftungen, in Bautzen amtlichen Engagements, der entsprechenden wenig Aufmerksamkeit finden. Zudem wurden Organisationen und einer öffentlichen Engage- nach einem erfolglosen Versuch der Bürgerbe- mentinfrastruktur in Bautzen. Ein erster Schritt teiligung entsprechende Instrumente und Ver- könnte jetzt zunächst darin bestehen, Engagierte fahren nicht mehr weiterentwickelt. und Organisationen zu informieren, zu beraten und weiterzubilden, um die Engagementpoten- Die wichtige Frage, welche kommunal- und ge- ziale in Bautzen herauszuarbeiten und weiter zu sellschaftspolitische Bedeutung ehrenamtliches entwickeln. Engagement in Bautzen hat, haben könnte und haben sollte, ist unbeantwortet. Letztlich sind weder auf Seiten von Stadtverwaltung und Politik noch auf Seiten der Organisationen ehrenamtlichen Engagements ein geteiltes Ver- ständnis ehrenamtlichen Engagements sowie

69 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Im Park der Generationen werden aus alten Telefonzellen öffentliche Bücherschränke. Bild: Verein für offene Jugendarbeit e.V. Reichenbach

Landpartie nach Im Stadtrat von Reichenbach stellen sich nach der Kommunalwahl vom 26. Mai 2019 die Reichenbach im Stimmanteile wie folgt dar: CDU (19,34 %), AfD (15,84 %), DIE LINKE (14,81 %), Gewerbeverein Vogtland Reichenbach e.V. (10,28 %), FDP (9,68 %), Bünd- nis 90/Die Grünen (6,2 %), SPD (5,9 %) sowie zwei Ein Exkurs Bürgerinitiativen mit einem Stimmanteil von Im Rahmen der Recherchen für die vorliegende 9,59 % bzw. 8,36 %.16 Der amtierende Oberbür- explorative qualitative Studie zeigte sich – im germeister, Raphael Kürzinger (CDU), wurde am Hinblick auf eine größtmögliche Varianz in 17.04.2016 mit 55,49 % der Stimmen gewählt.17 Sachsen – die Stadt Reichenbach im ländlichen Der Rechtspopulismus wird von Gesprächs- Raum des Vogtlandes mit 20.625 Einwohner/ partnerinnen und -partnern als in Reichenbach innen (31.12.2018)15 als eine weitere kontrast- „nicht tonangebend“ beschrieben („einer von reiche Untersuchungsregion. Bedingt durch die 26 Abgeordneten, da sie nicht genügend Parla- SARS CoV-2-Pandemie konnten in Reichenbach mentarier haben“); zugleich aber wird auf den zwar keine wissenschaftlichen Datenerhebungen organisierten Rechtsradikalismus im Vogtland und entsprechenden Datenauswertungen durch- verwiesen. geführt werden, aber aus den vorbereitenden Recherchen und Gesprächen sollen zumindest Die Stadt Reichenbach hat in den vergangenen einige Eindrücke zum organisierten Engagement drei Jahrzehnten einen erheblichen wirtschaft- in Reichenbach an dieser Stelle kurz und knapp lichen Strukturverlust und -wandel erlebt, der wiedergeben werden mit sozialen Prozessen der Abwanderung, Über-

15 https://www.statistik.sachsen.de/download/jahrbuch/jahrbuch_statistik-sachsen_kapitel-02_bevoelkerung.pdf (abgerufen am 25.07.2020) 16 https://www.reichenbach-vogtland.de/fileadmin/user_upload/reichenbach/pdf/01_stadt_buerger/06_stadtpolitik/01_wahlen/2019-08-20_ergebnis_sr- wahl_korr.pdf (abgerufen am 25.07.2020) 17 https://www.reichenbach-vogtland.de/fileadmin/user_upload/reichenbach/pdf/01_stadt_buerger/02_amtliche_bekanntmachungen/wahlergebnis_ob- wahl.pdf (abgerufen am 25.07.2020)

70 alterung und Verarmung einhergeht. Trotz Einge- und privat“, so eine Gesprächspartnerin. Die meindungen ist die Zahl der Einwohner/innen in Spannbreite der Organisationen reicht dabei von dieser Zeit gesunken; ein Prozess der mittlerwei- der evangelischen Kirche, über Sozial- und Kul- le gestoppt zu sein scheint.18 Der Leerstand von turorganisationen bis hin zur Freiwilligen Feuer- Geschäften und einzelnen Wohngebäuden in der wehr und dem Gewerbeverein. Innenstadt ist deutlich erkennbar, nicht aber prä- gend. Die Zukunft der Stadt Reichenbach scheint Seitens der Stadtverwaltung von Reichenbach noch unentschieden zu sein. wird ehrenamtliches Engagement vorrangig in den Bereichen Soziales, Kultur und Sport ge- Überregionale Bekanntheit hat Reichenbach auf- fördert. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, grund kultureller Aktivitäten erlangt. So fand das bei der Stadtverwaltung eine Aufwandsentschä- 14. internationale Kunstfestival „Ibug19 – Festival digung für ehrenamtliches Engagement zu be- für urbane Kunst“20 2019 mit maßgeblicher Unter- antragen. stützung durch Verwaltung und Politik in Reichen- bach statt. Rund 70 internationale Künstler/innen Die Förderrichtlinie Soziales22 ermöglicht es Ver- haben in den Ruinen des ehemaligen Bahnbe- bänden, Vereinen und Selbsthilfegruppen, Sach- triebswerks ihre Kunst gemeinsam gemacht und und Personalkosten zur Förderung ehrenamt- einer überregionalen Öffentlichkeit präsentiert. lichen Engagements zu beantragen. Es handelt Ob und wenn ja welche lokalen Effekte die Ibug sich hierbei um eine freiwillige Leistung, mit der hatte, ist fraglich. Auch die seit April 2019 von der kleine Projekte innerhalb eines Jahres mit bis zu Stadtverwaltung mit dem „Citymarketing“ beauf- 500 Euro sowie größere mehrjährige Maßnah- tragte Agentur „Realitätsverlust“ nutzt Kunst und men gefördert werden können. Im Kulturbereich Kultur, um öffentliche Diskussionen zu initiieren. kann ehrenamtliches Engagement in der dar- So wurden Ende 2019 auf dem Reichenbacher stellenden und bildenden Kunst, Musik, Literatur Markt dreiundzwanzig Großportraits von „Rei- und Sprache sowie Denkmal- und Heimatpflege chenbachern für Reichenbacher“ als Aufforderung gefördert werden.23 Zudem können entspre- zur Diskussion über „Bekenntnisse für eine Stadt“ chend der Förderrichtlinie Kulturinitiativen und aufgestellt.21 Ende Januar 2020 folgte eine Foto- -vereine unterstützt werden. In der Sportförder- ausstellung des Fördervereins Kunsthalle Vogt- richtlinie24 wird unter Berücksichtigung ehren- land mit Arbeiten der Fotokünstlerin Franziska amtlichen Engagements die gesamte Palette der Barth unter dem Titel „meine lust mach ich mir Sportförderung von der Förderung von Sport- selbst“, die in Reichenbach provozierte, Diskus- vereinen, regionalen und überregionalen Wett- sionen anregte und ein großes Publikum fand. Im kampfveranstaltungen bis hin zum Behinderten- Sommer 2020 bedanken sich Einzelhändler/innen sport geregelt. Förderschwerpunkte sind u. a. die mit personalisierten Plakaten und großflächigen Kinder- und Jugendarbeit, die Kostenerstattung Bannern bei ihrer Kundschaft für den Einkauf in für Übungsleiter/innen und die Geselligkeit in Reichenbach. Zeitgleich veranstaltete das City- Vereinen. marketing unter dem Motto „Happening to go“ einen verkaufsoffenen Abend mit Open-Air-Kon- Besondere Aufmerksamkeit verdient die Förde- zerten in der Innenstadt. Kunst und Kultur tragen rung ehrenamtlichen Engagements in der Frei- so zur öffentlichen Diskussion in Reichenbach bei, willigen Feuerwehr Reichenbach. So werden im beleben die Stadt und machen sie auch überregio- städtischen Haushalt (2019) für die Freiwillige nal bekannt. Feuerwehr Aufwendung für ehrenamtliche und sonstige Tätigkeiten mit 166.476 Euro sowie Kos- In Reichenbach wiederum treffen Kunst und ten für ehrenamtliche und sonstige Beschäftigte Kultur auf eine Engagementlandschaft, die durch mit 262.591 Euro angegeben. die Zusammenarbeit von Personen und Organi- sationen geprägt ist: „Man kennt sich, beruflich

18 https://www.wegweiser-kommune.de (abgerufen am 25.07.2020) 19 Ibug: Industriebrachenumgestaltung 20 http://www.ibug-art.de (abgerufen am 25.07.2020) 21 https://www.freiepresse.de/23-bekenntnisse-f-r-eine-stadt-artikel10683934 (abgerufen am 25.07.2020) 22 https://www.reichenbach-vogtland.de/stadt-buerger/stadtverwaltung/buergerservice-a-z/a-z-suche/f/foerderrichtlinie-fuer-soziale-vereine/ (abgerufen am 25.07.2020) 23 https://www.reichenbach-vogtland.de/stadt-buerger/stadtverwaltung/buergerservice-a-z/a-z-suche/k/kulturfoerderung/ (abgerufen am 25.07.2020) 24 https://www.reichenbach-vogtland.de/stadt-buerger/stadtverwaltung/buergerservice-a-z/a-z-suche/s/sportfoerderrichtlinie/ (abgerufen am 25.07.2020)

71 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Von Seiten des Landeskreises stehen unter dem öffentliche Grünstreifen bepflanzten, reagierte Titel „Ehrensache Ehrenamt" Mittel des Kom- sie nicht mit Ordnungsstrafen, sondern mit ein- munalen Ehrenamtsbudgets zur „Förderung fachen, einseitigen Nutzungsverträgen, in denen bürgerschaftlichen Engagements“ bereit.25 Das die beiderseitigen Rechte und Pflichten beim „Kommunale Ehrenamtsbudget“ des Land- „urban gardening“ festgehalten wurden. Ganz kreises umfasst Mittel in Höhe von 200.000 Euro anders stellte sich die Situation dar, als an einem jährlich, die vor allem für die Weiterentwicklung Privatgebäude verbotene Symbole angebracht und Stärkung des ehrenamtlichen Engagements, wurden, worauf hin Stadtverwaltung und Ord- die Gewinnung neuer Ehrenamtlicher und die nungsamt sofort intervenierten. Würdigung der Arbeit des bestehenden Ehren- amts eingesetzt werden sollten. Im Landrats- Die Verwaltung von Reichenbach sieht sich in amt wurde ergänzend die Personalstelle einer der Rolle einer Beraterin und Unterstützerin für „Koordinationskraft für Integration/Ehrenamt“ Ideen von Bürger/innen. Sie fordert Bürger/innen eingerichtet. Wiederum im Landratsamt wurde auf, „geht mit Ideen zur Stadtverwaltung“. Be- die Stelle „Partnerschaft für Demokratie im Vogt- sondere Bedeutung wird in diesem Zusammen- landkreis“ zur kommunalen Umsetzung des vom hang Verfahren und Instrumenten der Bürgerbe- Bundesministerium für Familie, Frauen, Jugend teiligung, insbesondere der „Jugendbeteiligung“, und Senioren verantworteten Förderprogramms beigemessen. „Demokratie leben!“ geschaffen. Insgesamt präsentiert sich Reichenbach als Die Handlungsmöglichkeiten ehrenamtlich En- eine Stadt im ländlich-städtischen Raum mit gagierter in Reichenbach werden als vielfältig einem entwickelten Potenzial an organisiertem beschrieben. So bieten die Ortsfeuerwehren ihre ehrenamtlichen Engagement. Interessant und Gemeinschaftsräume als Treffpunkte für das aufschlussreich ist dabei, wie in Reichenbach Gemeinwesen an. Der Christliche Verein Junger auf kreative Art und Weise versucht wird, den Menschen, der Verein Leuchtturm, der evan- sozialen Zusammenhalt in der Stadt und Ansätze gelische Schulverein, die Reichenbacher Tafel eines gemeinsamen Leitbildes durch gesell- sowie die Lebenshilfe, das Deutsche Rote Kreuz schaftliche Diskussionen und kulturelle Aktionen und die Volkssolidarität bieten Leistungen zur im öffentlichen Raum zu stimulieren. gesellschaftlichen Integration an. Für arme und sozial benachteiligte Bürger/innen bestehen in Reichenbach zusätzliche Angebote zur Versor- Handlungsoptionen gung mit Lebensmitteln sowie Bildungsangebote und Möglichkeiten zum freiwilligen Engagement. in der kommunalen Vor dem Hintergrund von Flucht und Zuwande- rung im Jahr 2015 gibt es für Migrantinnen und Engagementförde- Migranten spezifische Angebote, um sie in Rei- chenbach zu integrieren. Etwas enttäuscht wird aber festgestellt, dass ein nennenswerter Teil der rung Migrantinnen und Migranten nach kurzer Zeit in Die Untersuchung der kommunalen Engage- Großstädte und wirtschaftlich prosperierende mentförderung in zwei möglichst unterschied- Regionen abgewandert ist. Hervorgehoben wird lichen Untersuchungsregionen in Sachsen, d. h. von Gesprächspartnern, dass der evangelische im großstädtischen Leipzig und im ländlich-städ- Schulverein durch die Einrichtung einer Gemein- tischen Bautzen, sowie ergänzt durch Gespräche schaftsschule in Reichenbach die gesamte Palet- in der Stadt Reichenbach, verdeutlicht Hand- te schulischer Abschlüsse vor Ort sozial integrativ lungsoptionen in der kommunalen Engagement- anbietet, was sich positiv auf den Verbleib junger förderung. Menschen auswirken könnte. Die Engagementförderung im ländlich-städti- Verwaltung und Politik in Reichenbach wollen schen Raum richtet sich in der Regel an die be- für das Zusammenleben in der Stadt aber auch währte Organisationsform des Vereins. Dabei Zeichen setzen und Regeln aufstellen. Als die werden neue Organisations- und Handlungsfor- Stadtverwaltung feststellte, dass Bürger/innen men, wie etwa selbstorganisierte Initiativen und

25 https://www.vogtlandkreis.de/Vogt- (abgerufen am 25.07.2020)

72 Schnitzeljagd vom Bürgermeister zum Jugendclub. Bei den Beginner-Tagen lernen Kinder und Jugendliche ihre Stadt kennen. Foto: Verein für offene Jugendarbeit e.V. Reichenbach

Gruppen, sowie deren Themen und Personen- tatsächlich und nicht nur symbolisch Mitwir- gruppen, in der Förderung oftmals übersehen, kungsmöglichkeiten in politisch relevanten An- wobei diese neuen Formen insbesondere für jün- gelegenheiten eröffnen, sind ein wichtiger Anreiz gere Menschen von erheblicher Bedeutung sind. für ehrenamtliches Engagement.

Im großstädtischen Raum haben sich handlungs- Angesichts steigender administrativer und feldübergreifende Organisationen ehrenamt- rechtlicher Anforderungen an Engagierte ist ein lichen Engagements, wie Freiwilligenagenturen leichter Zugang zur Kommunalverwaltung für und Bürgerstiftungen, herausgebildet, die in ehrenamtliche Engagierte und ihre Organisatio- der Lage sind, umfassende und geteilte Vorstel- nen ein wichtiges Gütekriterium einer modernen lungen von Engagement sowie entsprechende Kommunalverwaltung und zeitgemäßen kom- Handlungspraxen zu entwickeln und zu fördern. munalen Engagementförderung. Im ländlich-städtischen Raum Sachsens hin- gegen sind diese Formen einer öffentlichen Enga- Kommunalpolitik und -verwaltung kommt gementinfrastruktur bisher nicht verbreitet, was Mitverantwortung für die Entwicklung einer die Entwicklung ehrenamtlichen Engagements geteilten und handlungsfeldübergreifenden Vor- einschränkt. stellung von ehrenamtlichem Engagement als kommunaler Leitidee zu, die geeignet ist, den Ehrenamtliches Engagement bedeutet nicht gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. nur mitmachen, sondern auch mitentscheiden. Ehrenamtliches Engagement und demokratische Beteiligung sind zwei Seiten derselben Medaille. Formen der Bürgerbeteiligung, die Bürger/innen

73 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Jugendliche erarbeiten die Thesen zum Wahl-O-Mat zur Landtagswahl 2019. Bild: Benjamin Jenak

74 innenorganisationen, Landessportbund, THW Engagement- und Wohlfahrtsverbänden zu entscheiden, die im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch förderung der Teilhabe“ gefördert werden und zur Stärkung demokratischer Teilhabe beitragen und zugleich sächsischen gegen Extremismus wirken sollen.30 Bemerkens- wert ist in diesem Zusammenhang, dass diese grundlegenden – demokratiebildenden – Förder- Staatsregierung programme von interviewten Expertinnen nicht oder nur sehr selten genannt wurden, was mög- Förderprogramme licherweise darin begründet sein könnte, dass Die sächsische Staatsregierung fördert ehrenamt- Engagement- und Demokratieförderung von den liches Engagement ressortbezogen. Im Mittel- Beteiligten nicht in einem sachlichen Zusam- punkt der explorativen qualitativen Untersuchung menhang gesehen werden. stehen die Erfahrungen und Kenntnisse der interviewten Expertinnen mit Förderprogrammen „Mäusespeck“ – Kommunales Ehrenamts- und -aktivitäten der sächsischen Staatsregierung. budget Um einen Überblick über die Förderung ehren- Mit dem „Kommunalen Ehrenamtsbudget“ amtlichen Engagements durch die sächsische fördert der Freistaat Sachsen seit 2018 das Staatsregierung zu geben, werden zudem fachlich bürgerschaftliche Engagement und die ehren- einschlägige, von den interviewten Expertinnen amtliche Selbsthilfe in den zehn Landkreisen aber nicht genannte Förderprogramme und -akti- und den drei kreisfreien Städten des Landes mit vitäten zumindest kurz dargestellt. zunächst 100.000 Euro, später jeweils 200.000 Euro bzw. insgesamt also 2,6 Mio. Euro jährlich. Demokratiebildung Erklärtes Ziel der Förderung des federführenden Die sächsische Staatsregierung bietet mit dem Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Programm „Weltoffenes Sachsen für Demo- Gesellschaftlichen Zusammenhalt „ist die Unter- kratie und Toleranz“ und den Möglichkeiten stützung der Landkreise und kreisfreien Städte des Bundesprogrammes „Demokratie leben“ bei der Würdigung, Anerkennung und Weiterent- besondere Möglichkeiten zur Engagement- wicklung des bürgerschaftlichen Engagements“.31 förderung mit dem Schwerpunkt Demokratie- bildung. Für das sächsische Programm zur Über dieses „Kommunale Ehrenamtsbudget“ Demokratiebildung standen im Jahr 2019 Mittel meint eine interviewte Expertin, dass sie „froh des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales (ist, d. A.), dass der Freistaat Sachsen Geld zur und Verbraucherschutz26 in Höhe von 4,1 Mio. Verfügung gestellt hat, wo jeder Landkreis (und Euro zur Verfügung.27 Die Federführung hier- jede kreisfreie Stadt, d. A.) 200.000 Euro be- für liegt beim Staatsministerium für Soziales kommt“. Doch wird bemängelt, dass es ziellos und Gesellschaftlichen Zusammenhalt28, in „über die Kommunen ausgegossen wird mit der dem auch das Demokratie-Zentrum Sachsen Gießkanne.“ zur Förderung der Kooperation zwischen staat- In diesem Zusammenhang wird von einer inter- lichen und nicht-staatlichen Akteuren sowie zur viewten Expertin darauf verwiesen, dass es sinn- Beratung, Unterstützung und Prävention gegen voll und zweckmäßig sein kann, die Mittel direkt Extremismus angesiedelt ist.29 Ergänzend wird den Kommunen zur Verfügung zu stellen. aus Mitteln des Sächsischen Staatsministeriums des Inneren in Höhe von 200.000 Euro (2019) der Diese kann „sicherlich viel effektiver auch mit Landespräventionsrat Sachsen gefördert. Er hat den Vereinen zusammenarbeiten“ und weiß „am die Aufgabe, über Projekte von Organisationen besten, was sie mit dem Geld machen muss“. ehrenamtlichen Engagements, wie etwa Migrant/

26 Seit 2019: Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt 27 https://www.weltoffenes.sachsen.de/wos-projekte-2019-4112.html (abgerufen am 25.07.2020) 28 Bis Dezember 2019 lautet die Bezeichnung dieses Ministeriums: Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz 29 https://www.demokratie-leben.de/foerderprojekte/demokratiezentren/sachsen.html (abgerufen am 25.07.2020) 30 https://www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de/projekte/141910/sachsen (abgerufen am 25.07.2020) 31 Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts vom 17. Dezember 2019 (SächsABl. SDr. 2020 S. S 29), https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/18535-RL-GeZus#romIII; https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/ sn/6/17174.pdf (abgerufen am 25.07.2020)

75 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Aber ohne ein Engagementkonzept oder eine Doch wird – so eine interviewte Expertin – aus Engagementstrategie der sächsischen Staatsre- den Augen verloren, „dass das öffentliches gierung kann es Kommunen durchaus an Orien- Geld ist, das aus irgendeiner Quelle ja erstmal tierung für eine landespolitisch sinnvolle und kommt und wo es eine politische Erklärung dazu zweckmäßige Mittelverwendung fehlen. braucht, wie das überhaupt in diesen Topf fließt.“

Die Landkreise und kreisfreien Städte haben eine Interviewte Expertinnen berichten zudem über gewisse Entscheidungshoheit darüber, so eine einen sehr hohen bürokratischen Aufwand interviewte Expertin, was gefördert wird, und sie und ein „sehr kompliziertes Antragsverfahren“. können mit dem Kommunalen Ehrenamtsbudget Demnach entscheidet „ein Gremium, ein Beirat, „das, was sie meinen vor Ort, was notwendig der das dann sozusagen festlegt, in welcher För- ist und was sie finanzieren müssen und wollen, derungshöhe, wie viele Personen“ Fördermittel bezahlen.“ In diesem Zusammenhang berichtet erhalten. Wobei es für eine interviewte Expertin eine interviewte Expertin, dass es beispielsweise wiederum „ein mega ausgefeiltes und unterdes- für Investitionen und Aufwandsentschädigungen sen sehr ausgereiftes Förderprogramm“ ist und andere Förderprogramme des Landes Sachsen „die Art, wie es ausgereicht ist, ist mit (…) Hirn- gibt, wie etwa „Wir für Sachsen“, „die sich genau schmalz sozusagen entwickelt worden“. Für die darauf spezialisieren (…) und somit von einer Durchführung des Programms durch ein Minis- Förderung über das Kommunale Ehrenamtsbud- terium ist es außerdem „deutlich zu kompliziert get ausgenommen sind.“ Nicht förderfähig sind (…) zu kleinbröselig“, so dass es nach Aussage aus Mitteln des Kommunalen Ehrenamtsbudgets einer interviewten Expertin eine Dienstleistung zudem Personalkosten „in den kommunalen der Bürgerstiftung Dresden für die sächsische Strukturen“ des Zuwendungsempfängers. Staatsregierung ist.

Seit Einführung des Kommunalen Ehrenamts- Sächsische Ehrenamtskarte budgets im Jahr 2018, so eine interviewte Exper- Neben den genannten engagementbezogenen tin, „behaupte ich, boomt das Thema (Engage- Fördermöglichkeiten gibt es für Engagierte die ment, d. A.) noch ein bisschen mehr, unter dem Möglichkeit, in ihrer Kommune eine Ehren- Aspekt 'Mit Speck fängt man Mäuse'.“ amtskarte zu beantragen, sofern die jeweilige Kommune sich an der Vergabe der Sächsischen „Mit Hirnschmalz“ – Wir für Sachsen Ehrenamtskarte beteiligt.34 Eine interviewte Das Förderprogramm „Wir für Sachsen“32 des Expertin verweist auf mögliche Eintrittsermäßi- Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und gungen für Inhaber/innen der Ehrenamtskarte in Gesellschaftlichen Zusammenhalt wird von der öffentlichen und kulturellen Einrichtungen, wie Bürgerstiftung Dresden administriert. Erklärtes etwa Museen, Schlösser und Bäderbetrieben. „Ziel der Förderung ist die Anerkennung, Stärkung und Weiterentwicklung des Ehrenamts.“33 Ver- „Dann müssen die eben nicht 5 Euro bezahlen, glichen mit dem recht jungen „Kommunalen Eh- sondern bloß 4 oder so.“ Auch das ist nach Aus- renamtsbudget“ besteht dieses Förderprogramm sage einer interviewten Expertin eine Art der bereits seit 2006 und hat „jetzt unterdessen dieses Wertschätzung. Jahr die höchste Fördersumme, die je ausgereicht wurde: 10,3 Millionen“ Euro erreicht. Es dient vor Freiwilligendienste allem als Aufwandsentschädigung für ehrenamt- Neben Aufwandsentschädigung und Ermäßi- lich engagierte Bürger/innen, die 40 Euro im Mo- gungen bietet die sächsische Staatsregierung nat bekommen, „damit der seine Reisekosten er- auch Möglichkeiten der direkten Förderung von stattet bekommt oder seine Telefon-, Kopier- und Engagierten. So finanziert die Sächsische Landes- sonst was Kosten“. Eine interviewte Expertin ver- stiftung Natur und Umwelt jährlich mit 5 Mio. weist in diesem Zusammenhang kritisch auf eine Euro (2020) aus Mitteln des Sächsischen Staats- daraus bei einigen Organisationen über die Zeit ministeriums für Umwelt und Landwirtschaft, wachsende förderpolitische Erwartungshaltung Engagementmöglichkeiten in Form des Freiwilli- an den Fortbestand des Förderprogramms. gen Ökologischen Jahres (FÖJ) und des Bundes-

32 Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts vom 17. Dezember 2019 (SächsABl. SDr. 2020 S. S 29), https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/18535-RL-GeZus#romI (abgerufen am 25.07.2020) 33 Ebenda 34 https://www.ehrenamt.sachsen.de/ehrenamtskarte.html (abgerufen am 25.07.2020)

76 freiwilligendienstes. Zudem werden Naturschutz- schafts- und Umweltministeriums, was jetzt stationen gefördert, in denen sich Ehrenamtliche übergeht in das Ministerium für Regionalent- engagieren. Fachlich koordiniert werden das FÖJ, wicklung, also mit finanzieller Unterstützung des das Freiwillige Soziale Jahr und der Freiwilligen- Freistaates Sachsen sozusagen dauerhaft eine dienst aller Generationen von der Fachstelle Frei- Funktion, die sich um Ehrenamt im ländlichen willigendienste in Sachsen der Jugendstiftung Raum kümmern darf.“ „Kümmern“ bedeutet Sachsen (Chemnitz), die wiederum die Landes- dabei „Beratungen, mit Workshop-Angeboten, arbeitsgemeinschaft der Freiwilligendienste mit Fachtagungen. Es gibt (…) jedes Jahr einen koordiniert. Finanziert werden diese Freiwilligen- Fachtag für Ehrenamtliche im ländlichen Raum, dienste aus Mitteln des Sächsischen Staatsminis- heißt dann ‚Fachtag für bürgerschaftliches Enga- teriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zu- gement‘.“ sammenhalt. Von der Jugendstiftung Sachsen zu unterscheiden ist die Sächsische Jugendstiftung Auf die Frage, ob das SLK denn der einzige „Play- (Dresden), die das Freiwillige Soziale Jahr Politik er“ auf diesem Gebiet in Sachsen sei, antwortet sowie das Programm „genialsozial“ verantwortet, eine interviewte Expertin: „für den ländlichen das junge Menschen für entwicklungspolitische, Raum sind wir, glaube ich, (die Einzigen, d. A.) da international solidarische Aktionen und globales gibt es nicht mehr so viele“. Lernen interessieren will. Handlungsfeldspezifische Förderungen Unterstützung, Beratung und Bildung ehren- Die Förderung ehrenamtlichen Engagements amtlichen Engagements durch den Freistaat Sachsen wird in ausge- Mit besonderem Augenmerk auf den länd- wählten landespolitischen Handlungsfeldern lich-städtischen Raum fördert die sächsische besonders gefördert, wobei die interviewten Staatsregierung ein Fortbildungsprogramm für Expertinnen die Ressourcenausstattungen und Engagierte. Hierfür stehen von Seiten des Säch- Rahmenbedingungen dieser Handlungsfelder sischen Staatsministeriums für Soziales und unterschiedlich beurteilen. So gilt das Ehrenamt Gesellschaftlichen Zusammenhalt 400.000 Euro im Rettungswesen und im Katastrophenschutz, (2020) jährlich zur Verfügung.35 „Draußen bei den wie etwa bei der Freiwilligen Feuerwehr, dem Vereinen“ haben Engagierte durch Fortbildungen Technischen Hilfswerk und dem Deutschen Ro- die Möglichkeit, „Erfahrungen zu sammeln und ten Kreuz, als gut ausgestattet. Eine interviewte Probleme anzugehen“. Um die Trägerschaft für Expertin verweist in diesem Zusammenhang auf das staatlich geförderte Fortbildungsprogramm vernünftige und moderne Technik, soziale Absi- können sich Bildungsorganisationen bewerben. cherung und eine gute Ausbildung. Momentan bieten drei Trägervereine, d. h. der Verein Aktion Zivilcourage, der Deutsche Paritä- So ist es ein ganz wichtiges Zeichen, dass „es tische Wohlfahrtsverband und das Vereins- und endlich gelungen ist, freiwillige Feuerwehrleute Stiftungszentrum, diese Fortbildungen für Enga- genauso sozial abzusichern im Schadensfall wie gierte in Sachsen an. verbeamtete Feuerwehrleute“.36

Das Sächsische Staatsministerium für Umwelt Zudem standen nach Aussage einer interviewten und Landwirtschaft fördert das Beratungsan- Expertin im vergangenen Jahr 650.000 Euro für gebot „bürgerschaftliche Aktivitäten“ des Säch- die Kinder- und Jugendfeuerwehren zur Verfü- sischen Landeskuratoriums Ländlicher Raum e.V. gung, mit denen Ausbildungen und auch „kultu- (SLK) mit 749.700 Euro (2020). Seit nunmehr 14 relle Dinge“ finanziert wurden. Jahren ist dabei der „Schwerpunkt (…), dass wir gesagt haben, es muss was getan werden für die Neben der technischen und finanziellen Aus- Leute im ländlichen Raum, die sich engagieren stattung durch den Freistaat Sachsen gibt es für Mitmenschen, für das Dorf (…). Und da haben „auch den Helferempfang, den alle zwei Jahre wir sozusagen mit Unterstützung des Landwirt- der Freistaat ausrichtet im Schloss Wackerbarth“.

35 https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/234196, https://www.ehrenamt.sachsen.de/fortbildung-fur-ehrenamtliche-6371.html (abgerufen am 25.07.2020) 36 Ein Diskussionsthema ist die sogenannte Feuerwehrrente in Sachsen, also eine freiwillige rentenrechtliche Absicherung ehrenamtlich in Freiwilligen Feuer- wehren Engagierter durch die Kommunen. Über den von verschiedenen Akteuren geforderten Landeszuschuss wurde bisher nicht entschieden; https://www.saechsische.de/der-geplatzte-traum-von-der-feuerwehrrente-3982328.html. Aber seit 2018 zahlt der Freistaat Sachsen ehrenamtlichen Feuerwehrleuten 50 Euro pro Jahr als Prämie. Wer 50 Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr ehrenamtlich engagiert war, erhält eine Anerkennungszahlung in Höhe von 500 Euro. Außerdem gibt es Zuschüsse, etwa zum Erwerb von Führerscheinen für ehrenamtlich in Freiwilligen Feuerwehren Engagierte.

77 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

Mit dem Empfang sollen speziell ehrenamtliche Mitglieder vorweisen, die politische Bildung im Helfer/innen im Brandschutz, Rettungsdienst Sport fördern und mit dem Projekt „Im Sport ver- und Katastrophenschutz für ihren Einsatz für das ein(t) durch Demokratie“ im Rahmen des Bun- Gemeinwohl gewürdigt sowie Ehrenzeichen in desprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ Form eines Steckkreuzes verliehen werden, so Vereinsmitglieder, Ehrenamtliche und Funktio- die sächsische Staatsregierung.37 näre in der Entwicklung einer demokratischen Vereinskultur unterstützen. Im Katastrophenschutz kommt die Politik den- noch bei „bestimmten Themen“ (auch auf diese Im Handlungsbereich Migration und Flucht, so zu, d. A.) „aber in manchen Themen müssen eine interviewte Expertin, hat die strikte Trennung wir auch logisch immer auch mal einen Punkt von Spätaussiedler/innen und Migrant/innen ge- setzen“. So ist die organisatorische Einbindung stört „und deswegen habe ich lange diese Idee und Gestaltung des ehrenamtlichen Katastro- gehabt: Welche Struktur kann uns einigen?“ Nach phenschutzes in Sachsen unter dem „Stichwort einem „langen Prozess“ ist im Jahr 2017 mit der Zusammenarbeit mit Regierungen“, so eine Gründung des Dachverbands sächsischer Mig- interviewte Expertin, ein wiederkehrendes The- rantenorganisationen e.V. (DSM) eine Einigung ma. „Deshalb haben wir auch bundesweit ein gelungen, so eine interviewte Expertin. Vom neues Rahmenkonzept für das THW, aber auch DSM wurde 2019 der erste Katalog politischer insgesamt für Gefahrenabwehr und auch deshalb Forderungen entwickelt und an die „Politik über- fließen (…) gut, ich sage mal Mittel in das THW, in geben“. Einige der Forderungen sind auch „im Ausstattung und auch in Werbung für Helfer, um Koalitionsvertrag erschienen“, so eine interviewte diesen Zivil- und Katastrophenschutz zu stärken.“ Expertin. Jedoch sieht der DSM „bei zentralen Handlungsfeldern, wie politischer Teilhabe oder Der organisierte Sport hat aktuell „politisch der vielfaltsbewussten Öffnung der Verwaltung“, betrachtet in Sachsen einen guten Stand, (…), weiterhin erheblichen Nachholbedarf.38 Hinzu wenn nicht sogar den besten“. Die interviewten kommt, dass die Finanzierung des Dachverbandes Expertinnen weisen dabei ausdrücklich auf die weiterhin „schwierig“ ist, da sie nach wie vor aus- Gala des Landessportbundes hin, bei der „sechs schließlich durch Projektmittel erfolgt. So hat der Minister plus der Ministerpräsident“ anwesend Dachverband zwar einen Vorstand und Beiräte, waren. Der Landessportbund Sachsen erhält eine die an Landespolitik und -verwaltung herantreten, breite Förderung auf Grundlage eines Zuwen- doch ist die Finanzierung einer Geschäftsführung dungsvertrages mit dem Sächsischen Staatsmi- bisher nicht möglich, erklärt eine interviewte Ex- nisterium des Inneren in Höhe von 24 Mio. Euro pertin. Die politische Stellung und institutionelle jährlich, so dass es u.a. möglich ist, Sportstätten Förderung des DSM wird durch die interviewten in Sachsen „gut auszustatten“. Darüber hinaus Expertinnen als „Kampf” wahrgenommen. gibt es für den organisierten Sport für die thema- tisch unterschiedlichen Anlagen insgesamt „fünf „Wir kämpfen jetzt oder wir planen und (…) oder sechs Ministerien, die mit den Aufgaben fordern institutionelle Förderung für den Dach- dann betraut sind“: „das macht nicht immer Spaß verband. Das brauchen wir unbedingt (…), weil (…) wenn man jetzt in das Sozialministerium am Ende des Jahres weißt du nicht, beschäftigst geht, da kommt man als Sport und dann kriegt du Leute oder nicht weiter. Das ist wie wirklich man dann schon mal auch - 'Na ihr kriegt doch Leben am Ende des Jahres. Zum Beispiel, wenn vom Innenministerium'.“ Projekte nicht bewilligt“ werden. „Der Kuchen ist ja begrenzt, ja. Jetzt müsste ich eigentlich (…) Die Förderung des Landes macht es zudem den Kuchen neu aufteilen. Da haben die, die am möglich, eine stabile Infrastruktur zur Vereins- Napf sitzen, erstmal schon nicht unbedingt ein förderung und -beratung für das ehrenamtliche Interesse dran.“ Engagement im organisierten Sport aufzubauen. In diesem Sinne versteht sich der organisierte Spätestens seit dem Jahr 2015 leisten ehrenamt- Sport als „professioneller und erfahrener Dienst- lich Engagierte einen Großteil der Integrations- leister“ für seine Vereine. So kann der Landes- arbeit, insbesondere im ländlich-städtischen sportbund Sachsen nach eigener Darstellung ein Raum. „Die tun das, weil sie es einfach für sich umfangreiches Aus- und Fortbildungsangebot für als gesellschaftliche Aufgabe sehen, wenn

37 https://www.ministerpraesident.sachsen.de/helferemp- fang-auf-schloss-wackerbarth-7592.html (abgerufen am 25.07.2020) 38 http://dsm-sachsen.de/forderungskatalog/ (abgerufen am 25.07.2020)

78 Viele Vereine setzen auf die Erfahrung von Seniorinnen und Senioren. Bild: Benjamin Jenak

79 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

„Tag der Nachbarn“ im Generationenbahnhof Erlau. Bild: Jana Ahnert

Flüchtlinge da sind oder Menschen, denen es schlechter geht“. hang wird von interviewten Expertinnen immer „Aber ohne die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer hätte wieder auf die Art und Weise des Umgangs der der Landkreis das niemals stemmen können, was hier sächsischen Staatsregierung mit dem organi- sierten Engagement verwiesen. Dabei betonen geschehen ist. Also das, unglaubliches Engagement mehrere interviewte Expertinnen, dass eine „An- definitiv.“ erkennung des Ehrenamts (…) ganz wichtig für Politisch-ideelle Förderung: die Motivation“ ist. Anerkennung und Würdigung Über eine finanzielle Förderung hinaus messen Was eine angemessene Würdigung von Engage- interviewte Expertinnen einer politisch-ideel- ment beinhaltet und beinhalten sollte, beurtei- len Förderung im Sinne von Anerkennung und len die interviewten Expertinnen unterschiedlich. Würdigung hohe Bedeutung bei. Mit dem Amts- Eine interviewte Expertin berichtet dabei über antritt hat die neue sächsische Staatsregierung „klassische“ Formate. Die Ehrenamtspauschale, nach Aussagen von interviewten Expertinnen die der Ehrenamtstag und eine Aufwandsentschä- Kommunikation mit den Organisationen ehren- digung im Rahmen des Programms „Wir für amtlichen Engagements in der hier untersuchten Sachsen“ sind ja „auch eine Wertschätzung“. Anfangsphase intensiviert. In diesem Zusammen- Diverse Würdigungsveranstaltungen, wie „Ehren-

80 amtsempfänge, da gibt es eine Medaille für Eh- zu sein und steht in engem Zusammenhang mit renamtliche“ (Annen- und Tierschutz-Medaille, dem Regierungsstil der jeweiligen Staatsregie- „Joker im Ehrenamt“ des Landessportbundes) rung. In diesem Zusammenhang wird von inter- oder Auszeichnungsveranstaltungen, bei denen viewten Expertinnen positiv auf den dialogischen es auch „mal einen Büchergutschein“ oder einen Stil der amtierenden Regierung verwiesen. Der „schönen Preis“ gibt, sind für mehrere interview- Ministerpräsident „hat letztlich dafür gesorgt, te Expertinnen auch eine Form der Würdigung auch neue Perspektiven zu übernehmen und von Engagement. Bezogen auf die Sächsische zuzulassen“. Eine interviewte Expertin hat auch Ehrenamtskarte sieht es eine interviewte Exper- den Eindruck gewonnen, dass sich Ministe- tin als Wertschätzung an, wenn der Eintritt bei riumsvertreter/innen offensiver aus ihrem Büro öffentlichen Veranstaltungen für Engagierte er- heraus begeben. Diese Entwicklung wird von mäßigt wird. den interviewten Expertinnen vor allem mit dem Regierungsstil und der offen-kommunikativen In Sachsen gibt es verschiedene Veranstaltungs- Haltung des amtierenden Ministerpräsidenten zu formate zur Würdigung Engagierter. Neben Neu- Beginn seiner Amtszeit verknüpft. Einige inter- jahrsempfängen sächsischer Städte wird jährlich viewte Expertinnen sprechen von einer stärkeren in der Dresdner Frauenkirche der „Sächsische Debattenkultur und Diskussionsfreudigkeit, ohne Bürgerpreis“ verliehen. Gemeinsam mit der Stif- „irgendwelche Politikhülsen“. Seine Vorgänger tung Frauenkirche Dresden, der Kulturstiftung hingegen sahen nach Aussage einer interviewten Dresden und der früheren Dresdner und heutigen Expertin die Bürger/innen eher „als lästiges Bei- Commerzbank werden in fünf verschiedenen tribut“ an. Kategorien jeweils 5.000 Euro bereitgestellt. Poli- tiker/innen und Prominente sind die Laudatoren, Dabei ist aber zu bedenken, dass diese Interview- während die nominierten Ehrenamtlichen – nach sequenzen die Phase des Amtsantritts der neuen Aussage einer interviewten Expertin – schlicht als Staatsregierung abbilden und keine Rückschlüs- „Auszeichnungsempfänger” fungieren. se auf das aktuelle Regierungshandeln zulassen.

Neben Preisverleihungen, Empfängen und Vergünstigungen für Engagierte berichten die interviewten Expertinnen nahezu einhellig, dass Probleme und Ent- die Kommunikation mit der sächsischen Staats- regierung und eine entsprechende Lobbyarbeit wicklungsmöglich- unabdingbar sind, um erfolgreich zu sein. Eine solche Lobbyarbeit ist aber je nach Organisati- keiten onsgröße unterschiedlich umsetzbar. So verweist eine interviewte Expertin auf das „permanente Für die Entwicklung des organisierten ehren- eigentlich In-Kontakt-Sein mit seinem eigenen, amtlichen Engagements in Sachsen kommt gewählten Volksvertreter. Je weiter der weg ist, den von Politik und Verwaltung gesetzten umso schwieriger. Gerade die Bundestagsabge- Rahmenbedingungen und den daraus erwach- ordneten, die sind nur zwei, drei Mal im Monat senden Problemen und Optionen besondere dann vor Ort. Dann muss man das wissen. Wo Bedeutung zu. hat der überhaupt sein Büro? Wie kriege ich da einen Termin? Also solche Sachen auch wirklich Auskömmliche Fördermittel? zu können und routiniert zu machen, das pas- In den Experteninterviews werden einzelne För- siert in den kleineren Organisationen eher gar derprogramme des Landes Sachsen genannt, nicht. Und bei den Großen, wo wir jetzt mal so ohne dass aber die Förderungen problematisiert, Verbändestrukturen haben (…) dann gehört es eine Erhöhung der finanziellen Mittel oder neue irgendwie zum kleinen Einmaleins, dass dann die spezifische Förderprogramme gefordert werden. Wege einfach klar sind, wer mit wem redet.“ Dabei ist zu bedenken, dass die Experteninter- views vor der SARS-CoV-2-Pandemie geführt Der Dialog zwischen Regierung und engagierten wurden und dementsprechend nicht die tiefgrei- Bürger/innen ist für einige interviewte Expertin- fenden aktuellen und mittelfristigen finanziellen nen unabdingbar. Dieses scheint nach Aussage Schwierigkeiten für Organisationen ehrenamtli- von interviewten Expertinnen in Sachsen in der chen Engagements thematisieren. Im Mittelpunkt Vergangenheit nicht selbstverständlich gewesen der Ausführungen der interviewten Expertinnen

81 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen

stehen vielmehr inhaltliche, administrative und gements führen, „weil ich mich stark mit dem organisatorische Fragen der Weiterentwicklung Selbsterhalt beschäftigen muss und weniger des organisierten ehrenamtlichen Engagements mit dem eigentlichen Thema“. Durch die hohen in Sachsen. Daraus könnte man den Schluss Barrieren der Antragstellung werden außerdem ziehen, dass die finanziellen Mittel zur Förderung „Töpfe nicht ausgeschöpft, weil Funktionsträger ehrenamtlichen Engagements in Sachsen von nicht mehr in der Lage (sind, d. A.) das abzu- den interviewten Expertinnen als allgemein hin- rufen“. reichend eingestuft werden. In den Experteninterviews wird auch auf einen Steigender Verwaltungsaufwand steigenden juristischen Beratungsbedarf auf- Die Mehrheit der interviewten Expertinnen grund von „ständig neuen Gesetzen“ verwiesen. nimmt eine steigende Bürokratisierung im All- Es müsste für jedes neue Gesetz eigentlich eins gemeinen und eine zunehmend aufwendigere abgeschafft werden, so eine interviewte Exper- Förderantragstellung im Besonderen wahr. tin. Der erhöhte bürokratische Aufwand wird Neben einem erhöhten Zeitaufwand kritisieren von interviewten Expertinnen als überflüssig die interviewten Expertinnen die zersplitterten empfunden und würde ehrenamtlich Engagierte und versäulten administrativen Zuständigkeiten unnötig frustrieren. Angesichts des steigenden sowie die ministeriale Logik, die eine ständige Verwaltungsaufwands bei der Beantragung von Anpassung des Handelns der Engagementorgani- Fördermitteln, wird dringend eine Verwaltungs- sationen erfordert. vereinfachung gefordert.

Es „gibt Ressourcenzuständigkeiten“ und „jeder So „dass die Anträge einfacher und in einer ver- König hat sein kleines Königreich und seinen ständlicheren Sprache gehalten werden, sodass Topf, aus dem er herauswirtschaften kann“. es tatsächlich dem Baggerführer oder Kinder- Nach Wahlen werden die Ministerien neu zu- gärtnerin“ möglich wird, das eigene Projekt zu geschnitten, so dass die Engagierten häufig auf Papier bringen zu können. neue Verantwortliche treffen, denen die „Ursup- pe“, also der eigene Handlungsbereich, wieder Öffentliche Engagementinfrastruktur: lokale erklärt werden muss. Ehrenamtsagenturen und -zentren Häufig wird in den Experteninterviews darauf Einige interviewte Expertinnen verweisen darauf, verwiesen, dass es vielerorts und vor allem im dass es mit der Identifikation des zuständigen ländlich-städtischen Raum an basalen Organi- Ministeriums oder Amtes zumeist nicht getan ist. sationsstrukturen für die Vermittlung, Beratung und Unterstützung ehrenamtlichen Engage- So erläutert eine interviewte Expertin, dass die ments fehlt. Aber sowohl bei der Frage, was für Engagierten für Förderantragsstellungen bis zu Strukturen benötigt werden, als auch bei der vier verschiedene Ressorts zu bedenken haben, Zuweisung von Verantwortlichkeiten, fallen die „die alle nach unterschiedlichen Systematiken Antworten unterschiedlich aus. arbeiten“ und paradoxerweise alle Originalbele- ge einfordern. Das sind alles Dinge, die „nicht mit In der Landes- und Kommunalverwaltung wird dem täglichen, ideellen Inhalt des Tuns irgend- sich dazu verhalten geäußert, denn „es kommt wie zu tun haben“. drauf an, welche Struktur“ gemeint ist. So sieht eine interviewte Expertin zwar Organisationen Hinzu kommt eine sehr ausdifferenzierte Förder- ehrenamtlichen Engagements in der Pflicht, landschaft, aufgrund von Fördermöglichkeiten denn das „müssten (sie, d. A.) grundsätzlich sel- auf EU-, Bundes-, Landes- und Kommunalebene. ber machen“. Doch „wir machen den Rahmen, „Wir haben die unterschiedlichsten Förderungen wenn sie das als Struktur verstehen“. Und mit (…). Das hat einfach alles in der Bearbeitung im Rahmenbedingungen meint die interviewte Ex- Aufwand zugenommen.“ Dabei muss teilweise pertin lokale Ehrenamtsagenturen und -zentren. sehr lange gewartet werden, bis verauslagte Mit- Zwar wollte man „lange Zeit (…) nicht so richtig tel zurückfließen, so eine interviewte Expertin. ran, das zu unterstützen (…). (Doch, d. A.) wir haben im Koalitionsvertrag jetzt stehen, dass Die Engagierten kritisieren weiterhin, dass die wir landesweit Ehrenamtsagenturen einrichten“. permanenten finanziellen Unsicherheiten zu Und weiter meint die interviewte Expertin, die einer Schwächung des ehrenamtlichen Enga- Notwendigkeit erkannt zu haben, dass „vor Ort

82 jemand ist, der Ansprechpartner ist, der alles so dabei der fachliche Austausch darüber fehlt, wie ein bisschen bündelt und koordinierend tätig Engagement sinnvoll gefördert werden kann. ist“. Eine interviewte Expertin verweist hierzu ebenfalls darauf, dass eine „Anlaufstelle“ be- Die Kommunikation, so eine interviewte Exper- nötigt wird, „damit Menschen, die sagen: Ich will tin, sollte „nicht nur top-down, sondern auch, sa- eigentlich was tun, einfach dann auch wissen, ich ge ich mal, von der Basis nach oben“ verlaufen. kann da anrufen und da sitzt dann jemand“. Dieser Wunsch wird von der interviewten Exper- tin mit der Notwendigkeit eines gemeinsamen Zudem benötigen Vereine ein eigenes Domizil, Ziels und Konzepts auf Landesebene verknüpft. so eine interviewte Expertin. Auch das „wäre (…) eine Form der Förderung, dass man meinet- „Also das wichtigste wäre eigentlich, dass es im wegen kommunale Gebäude so bereitstellt, wo Land Sachsen mal wirklich ein Konzept gibt und dann eben doch zu symbolischen Preisen dort (...) dass einfach die Organisationen auch mal die Vereine tagen können. Wo sie ihre Unterlagen gefragt werden, dass es eine Kooperation gibt unterbringen, wo sie ihre Adresse haben, wo sie zwischen der Regierung, der Staatskanzlei oder arbeiten können. Weil sie ja doch im Endeffekt dem zuständigen Ministerium. Und da wirklich für die Gesellschaft vieles erbringen.“ ein strukturierter Aufbau des Engagements (statt- findet, d. A.) und nicht nur so ein punktuelles.“ Anerkennung von Engagierten als Engagement- expertinnen Engagementpolitischer Handlungsbedarf auf Für interviewte Expertinnen ist es unabdingbar, Seiten der sächsischen Staatsregierung dass ihr Engagement Wertschätzung erfährt. Es ist festzuhalten, dass die Förderung ehrenamt- Aber in der Förderpraxis kommt gelegentlich lichen Engagements auf Kommunal- und Landes- immer noch ein grundsätzliches Misstrauen ebene in Sachsen ressort- bzw. handlungsfeld- gegenüber Menschen zum Ausdruck, die sich spezifisch erfolgt, sodass von einer übergreifend engagieren. Eine interviewte Expertin beschreibt koordinierten Engagementpolitik bis jetzt nicht ihre Erfahrung mit dem Landrat als „Autorität“. die Rede sein kann. Auf Landesebene in Sachsen steht eine Diskussion über Vorstellungen von „Hier kommt der (Landrat, d. A.) und sagt: ‚An- Zivil- oder Bürgergesellschaft sowie die anschlie- treten im Landratsamt, Zuwendungsbescheid, ßende Entwicklung eines Konzeptes und einer Nutzungsvertrag, 34 Seiten. Im Übrigen das Auto Strategie zur Förderung der Organisationen und darf zu den und den Zwecken benutzt werden. institutionellen Bedingungen ehrenamtlichen Förderfähig pro Jahr sind Aufwendungen zum Engagements noch aus. Der Koalitionsvertrag Einsatzfahrzeug in Höhe von 8.000 Euro‘.“ der amtierenden Sächsischen Staatsregierung für die Jahre 2019-2024 weist insbesondere mit Mit Unverständnis erklärt eine interviewte Exper- der Ankündigung der Schaffung einer Ehren- tin, dass die Expertise ehrenamtlichen Engage- amtsagentur und des Ausbaus politischer Be- ments nicht genutzt wird. teiligungsverfahren sowie der Förderung der Di- gitalisierung im Engagement und der Einführung „Weil ich es tatsächlich in meinem Verständnis kommunaler Bürgerbudgets in diese Richtung. nicht hinkriege zu verstehen, warum Politik, Einzelmaßnahmen und Absichtserklärungen sind die dieses Fachwissen gar nicht hat und wo es aber nur erste Schritte. Letztlich bleibt ein umfas- eigentlich diese Organisation im Land gibt, die sendes engagementpolitisches Handlungskon- dieses Fachwissen auch generieren sollen und zept eine unabdingbare Voraussetzung, um die machen und auch tun, (…) warum das nicht zu- notwendige Unterstützung, Beratung und Weiter- sammenfindet und miteinander verzahnt wird. bildung ehrenamtlichen Engagements durch das Für mich gehört das zusammen.“ Land Sachsen und sächsische Kommunen über- haupt realisieren zu können. Wichtig ist es, so interviewte Expertinnen, ehren- amtlich Engagierte als Expertinnen ihres eigenen Handlungsfeldes anzuerkennen und dement- sprechend einzubeziehen. Dabei wird positiv angemerkt, dass die Ministerien zwar „immer wieder den einen oder anderen Vorstoß (ma- chen, um, d. A.) Dinge zu verändern“, aber dass

83 Ohne Konzept und Strategie? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Ohne Strategie? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Ehrenamtliches Engagement und gesellschafts- miteinander verknüpfen, nur von relativ wenigen politische Enthaltsamkeit interviewten Expertinnen verwendet. Im Hinblick auf die Engagementvorstellungen und -begrifflichkeiten verweist die große Mehr- Getrennte Welten: Traditionsreiche Vereine und zahl der interviewten Expertinnen darauf, dass neue Engagementformen? der Begriff des ehrenamtlichen Engagements für Beim ehrenamtlichen Engagement in Gremien sie die allgemeingültige Formulierung zur Be- wird von „Nachwuchsproblemen“ und „Über- schreibung von Engagement darstellt, wobei sie alterung“ berichtet. Eine Beobachtung, die diesen traditionsreichen Begriff mit zeitgemäßen interviewte Expertinnen vor allem mit ehren- Vorstellungen von Engagement unterlegen. So amtlichen Führungs- und Leitungsaufgaben in werden neben dem Gemeinwohlbezug verstärkt Vereinen in Verbindung bringen. Diese Einschät- auch selbstbezügliche Interessen als Begrün- zung zum organisierten Engagement in Vereinen dungen für ehrenamtliches Engagement von verdient besondere Aufmerksamkeit, da Vereine den interviewten Expertinnen angeführt. Zudem nach wie vor die mit Abstand dominierende hat das befristete und punktuelle Engagement Organisationsform sind. Dem traditionsreichen gegenüber einem dauerhaften Engagement Verein attestiert die Mehrzahl der interviewten quantitativ an Bedeutung gewonnen. Expertinnen vor allem mit Blick auf den ländli- chen Raum wachsende Aufgaben und drängende Ein Großteil der interviewten Expertinnen betont Probleme, insbesondere in der Organisationsent- die gesellschaftlichen Bezüge ehrenamtlichen wicklung und Mitgliedergewinnung. Gleichwohl Engagements. Bemerkenswert ist in diesem ist der Verein gerade im ländlich-städtischen Zusammenhang die Akzentuierung von Engage- Raum nach wie vor eine wichtige Form der frei- ment als ehrenamtliches Tun in der Gesellschaft willigen sozialen Integration und Bindung. und nicht als demokratisches Mitentscheiden in gesellschaftlichen Angelegenheiten. In den Parallel zu bestehenden Vereinen entwickeln präsentierten Vorstellungen von ehrenamtlichem sich vielerorts selbstorganisierte Initiativen und Engagement in Sachsen kommt gesellschafts- Gruppen. Insbesondere für jüngere Menschen politische Enthaltsamkeit deutlich zum Aus- sind nach Aussagen von interviewten Expertin- druck. So werden Begriffe, wie Bürger- oder Zivil- nen Gremienstrukturen und Karriereverläufe gesellschaft, die Engagement und Demokratie in Vereinen nicht mehr attraktiv. Ob der Verein

84 8% der Engagierten in sächsischen Vereinen sind Jugendliche. Bild: Benjamin Jenak

85 Ohne Konzept und Strategie? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

mit der Überalterung seiner Mitglieder langsam ventionen von außen kaum noch zugänglich zu „ausstirbt“ und Formen der Selbstorganisation sein scheint. und digitalen Kommunikationen die Zukunft des organisierten Engagements darstellen, ist eine Als Teil der Gesellschaft bildet ehrenamtliches offene Frage. Engagement selbstverständlich auch alle poli- tischen Grundströmungen in Sachsen ab – in- Vielfalt ehrenamtlichen Engagements klusive Rechtspopulismus. Die Mehrzahl der Ehrenamtliches Engagement eröffnet als von den interviewten Expertinnen betont in diesem interviewten Expertinnen geteilter, traditions- Zusammenhang die Errungenschaft und Notwen- reicher und mit modernen Inhalten unterlegter digkeit, sich unter demokratischen Bedingungen Begriff einen unverstellten Blick auf die thema- argumentativ politisch auseinanderzusetzen. Sie tische Breite sowie den gesellschaftlichen und sehen diese Gesprächsgrundlage aber als nicht politischen Pluralismus des Engagements in mehr gegeben an, wenn Rechtspopulismus auf Sachsen. gesellschaftliche Polarisierung und Spaltung ab- zielt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt Die Spannbreite des Engagements in Sachsen grundlegend in Frage stellt. reicht vom klassischen Ehrenamt in den Be- reichen Katastrophenschutz, Rettungswesen, Sozialraumspezifische Beratung, Unterstützung Feuerwehr, Sozial- und Gesundheitswesen sowie und Weiterbildung erforderlich Kirche und Kultur bis hin zum Engagement in Ehrenamtliches Engagement findet konkret vor selbstorganisierten Gruppen und Initiativen, Ort statt, wobei sich Inhalte und Formen ehren- die sich spontan aus je spezifischen Anlässen amtlichen Engagements im großstädtischen und gründen. So sind etwa Naturkatastrophen sowie im ländlich-städtischen Raum unterscheiden. Flucht und Zuwanderung nicht nur in Sachsen In politisch-administrativer Hinsicht ist folglich besondere Anlässe zur Gründung von selbstorga- eine sozialraumbezogene Förderung und Unter- nisierten Gruppen und Initiativen gewesen. Diese stützung notwendig, damit sich ehrenamtliches thematische Breite, organisationale Vielfalt und Engagement in kommunalspezifischer Art und flächendeckende Verbreitung ehrenamtlichen Weise entwickeln kann. Engagements in Sachsen bietet in vielfacher Hin- sicht ein hohes Potenzial. So ist etwa das organisierte ehrenamtliche Enga- gement im untersuchten großstädtischen Raum In fachpolitischer und wissenschaftlicher (Leipzig) ausdifferenziert und wird kommunal Hinsicht verdient dieser Befund besondere ressortbezogen gefördert. Unter diesen Bedin- Aufmerksamkeit. In der fachlichen Engage- gungen ist in Leipzig eine handlungsfeldübergrei- mentdiskussion und der wissenschaftlichen fende Förderung organisierten ehrenamtlichen Engagementforschung sind Freiwillige Feuer- Engagements angezeigt. wehren, Katastrophenschutzorganisationen, Rettungsdienste und Technisches Hilfswerk Im untersuchten ländlich-städtischen Raum oftmals aus dem Blick geraten oder ihnen ist (Bautzen) hingegen entwickelt sich das organi- eine Randstellung zugewiesen worden, obwohl sierte Engagement unter den besonderen Be- sie – so auch ein Befund dieser Studie – im länd- dingungen eines starken Rechtspopulismus, der lich-städtischen Raum oftmals den Nukleus des eine gesellschaftliche Deutungshoheit anstrebt organisierten Engagements bilden. und das organisierte Engagement Andersdenken- der unter „erheblichen Druck“ setzt. Vor diesem Gesellschaftliche Polarisierung betrifft auch Hintergrund hat die Auseinandersetzung und Ver- ehrenamtliches Engagement ständigung der Bürger/innen von Bautzen über ihr Die tiefgreifende gesellschaftliche Polarisierung gesellschaftliches und städtische Selbstverständ- in Sachsen wirkt sich auch auf das ehrenamtliche nis in einem durch externe Professionelle mode- Engagement aus und gefährdet insbesondere in rierten Beteiligungsverfahren hohe Priorität. Teilen des ländlich-städtischen Raums den ge- sellschaftlichen Zusammenhalt. So hat sich in In der Stadt Reichenbach lassen sich erste Anre- der ländlich-städtischen Untersuchungsregion gungen für die Entwicklung einer Vorstellung von eine rechtspopulistisch-radikale Parallelwelt lokaler Bürgergesellschaft finden, wobei aber die herausgebildet, die sich selbst verstärkt und zu- jeweiligen lokalen Bedingungen zu berücksichti- nehmend verstetigt und für Impulse und Inter- gen sind.

86 Unter den genannten Bedingungen ist es sinn- programms für engagierte Bürger/innen des voll und zweckmäßig, die Organisationen eh- Freistaats Sachsen und möglicherweise auch die renamtlichen Engagements und vor allem eine im Koalitionsvertrag avisierte Ehrenamtsagentur öffentliche Engagementinfrastruktur zu fördern. des Landes Sachsen zur Beratung, Unterstützung Konkret geht es darum, die Organisationen eh- und Weiterbildung ehrenamtlichen Engagements renamtlichen Engagements durch die Beratung in rechtlichen, administrativen und organisatio- in rechtlichen und administrativen Fragen sowie nalen Angelegenheiten denkbar. Insbesondere die Bereitstellung sachlicher und finanzieller Res- im ländlich-städtischen Raum sollten Organi- sourcen zu unterstützen. Hierzu bedarf es einer sationen ehrenamtlichen Engagements in En- öffentlichen Engagementinfrastruktur auf kom- gagementangelegenheiten zusammenarbeiten munaler Ebene, die in anderen Bundesländern und gemeinsam Dienstleistungen anbieten und etwa mit Begriffen wie Freiwilligenagenturen und Einrichtungen unterhalten, da die personellen, Ehrenamtszentren bezeichnet wird (Zimmer/ finanziellen und sachlichen Ressourcen von Backhaus-Maul). Diese Einrichtungen einer öf- Einzelorganisationen allein nicht ausreichen, um fentlichen kommunalen Engagementinfrastruk- die akuten engagementbezogenen Aufgaben und tur sind in der Lage und geeignet, Bürger/innen Probleme vor Ort zu bewältigen. und ehrenamtliche Organisationen zu beraten und zu unterstützen. Sachsen auf dem Weg zu einer selbstbewussten Bürgergesellschaft? Konzertiertes Handeln der Bürgergesellschaft Die Befunde der vorliegenden Studie verweisen mit Unterstützung von Politik und Verwaltung nicht zuletzt auch auf den Handlungsbedarf in- steht aus nerhalb des ehrenamtlichen Engagements. Die Für Politik und Verwaltung auf Landes- und Erfahrungen und Kenntnisse sowie Ressourcen Kommunalebene verdeutlichen die qualitativen ehrenamtlichen Engagements sind in Hand- empirischen Befunde, dass es den interviewten lungsfelder aufgeteilt und zersplittert. Angesichts Expertinnen auf Seiten des organisierten Enga- des reichhaltigen und vielfältigen Potenzials des gements zunächst darauf ankommt, dass die organisierten ehrenamtlichen Engagements in gesellschaftliche Bedeutung und der Eigensinn Sachsen sind Austausch und Koordination hand- organisierten Engagements von Politik und Ver- lungsfeldübergreifend geradezu überfällig. Oder waltung anerkannt und gewürdigt werden. Staat anders ausgedrückt: Eine Freiwillige Feuerwehr, und Kommunen sollen, so zahlreiche interviewte ein Heimatverein, eine selbstorganisierte Initia- Expertinnen, dem ehrenamtlichen Engagement tive und eine Migrant/innenorganisation hätten nicht vorgeben, was es zu tun hat, sondern sich aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und förderliche Rahmenbedingungen für die Ent- Kenntnisse im Engagement Vieles und Unter- wicklung ehrenamtlichen Engagements schaffen schiedliches zu sagen, etwa über gesellschaft- und sie als Expertinnen ehrenamtlichen Engage- liche Aufgaben und Probleme, die Organisation ments in die sie betreffenden gesellschaftspoli- von Engagement und die Gewinnung Engagier- tischen Entscheidungen und Gesetzgebungspro- ter. Im positiven Fall könnten die Beteiligten zesse einbeziehen. Bemerkenswert ist in diesem voneinander lernen. Eine derartige handlungs- Zusammenhang, dass die interviewten Exper- feldübergreifende Kooperation des organisierten tinnen nicht einfach mehr Geld zur Förderung ehrenamtlichen Engagements würde die Kon- ehrenamtlichen Engagements, sondern dezidiert turen einer – wie es einige interviewte Expertin- eine Verbesserung der politisch-administrativen nen nennen – Zivil- oder Bürgergesellschaft in Rahmenbedingungen organisierten ehrenamt- Sachsen deutlich machen, die als anerkannter, lichen Engagements in Sachsen fordern. geschätzter und gleichberechtigter Teil von Ge- sellschaft neben Staat und Wirtschaft in Sachsen So legen es die qualitativen Befunde nahe, eine Schlüsselstellung für die Entwicklung des dass anstelle einer ressortierten und parzel- Landes haben könnte. lierten Engagementförderung auf Landes- und Kommunalebene ein konzertiertes Handeln in allen fachlichen und ressourcenbezogenen Fragen ehrenamtlichen Engagements stattfin- den sollte. Konkret wären Organisationen, wie das Sächsische Landeskuratorium Ländlicher Raum, Trägerorganisationen des Fortbildungs-

87 88 Verwendete Literatur

89 verwendete Literatur

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Simonson, Julia/Vogel, Claudia/Tesch-Römer, Clemens (Hrsg.) (2017): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Empirische Studien zum bürger- schaftlichen Engagement, Springer VS, Wies- baden.

91 Die erste kompakte Studie zur Zivilgesellschaft in Sachsen zeigt, wie Autorinnen und Autoren breit sich Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwohl engagieren. Jana Priemer, Sozialwissenschaftlerin, Leite- rin des Bereichs organisierte Zivilgesellschaft Rund 30.000 Vereine gibt es im Freistaat, die vor allem in den Be- bei ZiviZ (Zivilgesellschaft in Zahlen) im Stif- reichen Sport, Kultur, Bildung und Soziales tätig sind. Die säch- terverband bis April 2020. sischen Vereine sind eher im ländlichen als im städtischen Raum angesiedelt, sie haben etwas weniger Geld als der Bundesdurch- Dr. Holger Krimmer, Politikwissenschaftler, schnitt. Auch jenseits der Vereine steigt die Zahl der Engagierten im Geschäftsführer von ZiviZ im Stifterverband Freistaat in den letzten Jahren leicht an – ein gutes Zeichen für den und Mitglied der Geschäftsleitung sozialen Zusammenhalt. des Stifterverbandes.

Schwierigkeiten hat die organisierte Zivilgesellschaft dann, wenn Dr. Holger Backhaus-Maul, Soziologe und sie Vorstandsmitglieder sucht, denn die Verantwortung braucht vie- Verwaltungswissenschaftler; le Schultern. Kritik richtet sich an bürokratische Hürden, auch wenn es mittlerweile viele Fördertöpfe des Landes und der Kommunen für Lina Hehl, BA Erziehungswissenschaftlerin; das Ehrenamt gibt. Tim Sydlik, BA, Erziehungswissenschaftler; Was fehlt, sind längerfristige engagementpolitische Strategien auf allen Ebenen, mehr Mut zur politischen Einmischung, eine Vernet- PD DR. Rudolf Speth, Politikwissenschaftler; zung der verschiedenen Gruppierungen und ein geteiltes Verständ- nis, was Zivilgesellschaft in Sachsen eigentlich sein könnte. Louis Wolfrath, Student

Die Studie wurde erarbeitet von „Zivilgesellschaft in Zahlen“, einem (alle: Martin-Luther- Universität Halle-Witten- Think-and-Do-Thank im Stifterverband für die Deutsche Wissen- berg, Philosophische Fakultät III/ Recht, Ver- schaft in Berlin, sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern waltung und Organisation) der Universität Halle-Wittenberg.

Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

Schützenhofstraße 36 01129 Dresden 0351 85318-0 0351 85318-55 [email protected] www.slpb.de