Filmstar Schneider (1974) Titel Die Königin der Schmerzen war die schönste und zerbrechlichste Diva des deutschen Kinos, doch die Deutschen konnten zunehmend wenig mit ihr anfangen. Nun wird sie, zu ihrem 25. Todestag, in Wiedergutmachungen gefeiert, eine Frau, die ihrer größten Obsession erlag: der Kamera. nter den hundert Gräbern des Dorf- friedhofs von Boissy Sans Avoir ist Udieses eines der schlichteren. Eine graue Grabplatte. Die Frau, die hier vor einem Vierteljahrhundert beerdigt wurde, war 43. Ein Jahr vor ihrem Tod war ihr Sohn tödlich verunglückt. Sie starb mittellos. Viele der Gräber hier könnten ähnliche Geschichten erzählen. Dieses unterschei- det sich von den anderen durch die fri- schen Blumen. Und dadurch, dass der Klang des Namens auf dem Grab überall in der Welt diese goldene Wolke an Wahn- sinn aufstäuben lässt. Keine sonst, die die- se Verzücktheiten und Irritationen erzeugt, keine dieses Leuchten: Romy, ein zärt- licher Klang. „Sie war der absoluteste Mensch, den ich je kennengelernt habe“, sagte ihr Lieb- lingsregisseur Claude Sautet. Romy Schneider, das sind viele Gesich- ter. Das einer jugendlichen Prinzessin, ei- nes amoralischen Teenagers, einer Hure, einer Mörderin, eines jüdischen Opfers. Viele Opferrollen, einige Täterrollen, Frau- en auf der Kippe. Dazwischen zunehmend zerfließende Lebensrollen, doch immer dieselbe Frau, die unwiderstehlichste und verlorenste, die das deutsche Kino je her- vorgebracht hat. Eine romantische Diva. Die Franzosen, die sie mit allem Recht für sich reklamieren, wählten Romy Schneider zur schönsten und größten Schauspielerin des Jahrhunderts. Das deutsche Kino hin- gegen konnte, von den Anfangsjahren ab- gesehen, nichts mit ihr anfangen. Die deutschen Jungfilmer, die in den sechziger Jahren Papas Kino für abge- schafft erklärten, waren eine glamour- „Sissi“-Darstellerin Schneider*: Beichte als öffentliches Ereignis inszeniert feindliche Truppe mit Aufklärungsauftrag. Und der blieb lange. Und dafür büßen wir Neben dem cartoonhaften Oberflächen- sie die Sucht und die Beichte und das Schei- noch heute. Wir haben keine Stars. Wir glanz der heutigen Filme sind die der sieb- tern als öffentliches Ereignis inszeniert. haben die tüchtige Veronica Ferres. ziger Jahre durchaus vernebelte Tränen- Der Unterschied zu den Party-Girls: Die Romy Schneider war zickig? Hm, auch meere, zum Teil unausstehliche Tränen- hatten nie in den Blütenblättern der „Sis- Katja Riemann ist zickig, aber wer nur je meere, und dennoch ist Romy Schneider, si“-Filme gestanden. Romys Beichten wa- einen Blick in die „Sissi“-Filme geworfen die aus jenen Filmen herüberschaut, die ren die einer gefallenen Königin der Her- hat oder „Monpti“ oder „Das Mädchen allermodernste Heroine. Sie war die Erste, zen. Sie waren auf perverse Art roman- und der Kommissar“ weiß, dass Riemann die völlig bedenkenlos zwischen Film und tisch, die der neuen Garde sind nur noch von Romy Schneider so weit entfernt ist Leben pendelte und das Innerste zur öffent- pornografisch. wie ein Caffè Latte von der Venus. lichen Angelegenheit machte. Sie war eine Bei Romy Schneider, die lange vor ihnen Tatsächlich führt noch der schlechteste wirkungsstarke, eine wirkungssüchtige Bor- Gas gegeben hat, ging es immer um den Film Romy Schneiders vor, wie gewöhnlich derline-Heldin: Lange vor Britney Spears vollen Einsatz. Sie nahm Männer, sie und gerissen die Kinogesichter heutzutage oder Lindsay Lohan oder Kate Moss hat mischte Whisky in den Rotwein, sie nahm sind. Keines darunter, das auch nur im Ent- Tabletten, sie nahm fast jede Droge, doch ferntesten dieses Leuchten hätte. * In „Sissi, die junge Kaiserin“, 1956. eine vor allem: die Kamera. Je mehr sie

der spiegel 21/2007 153 sich in jenen Filmpausen verrannte, die andere Leben nennen, desto mehr wuchs ihre Sucht nach Aufmerksamkeit. Sie wuchs ins schwer Erträgliche. Bald ließ sie Reporter in ihr Schlafzim- mer. Wer aus unserer Zunft konnte schon diesem Ansturm von manipulativer Hilf- losigkeit widerstehen? Alfred Nemeczek, ein völlig unbestechlicher Reporter, ver- sucht es in einem Interview für den „Stern“ einige Zeit vor ihrem Tod. Romy Schneider: „Sie helfen mir, ja? Ich brauch schon auch Hilfe.“ Nemeczek: „Sie brauchen erstens keine Hilfe …“ Romy Schneider: „Doch, ich brauch Hil- fe. Lassen Sie jetzt (sie deutet aufs Ton- bandgerät) dieses Scheißding laufen. Ich find es total idiotisch, dass Sie sagen, dass ich keine Hilfe brauche. Ich brauche von Ihnen Hilfe, wie ich von einem Regisseur Hilfe brauche …“ Doch selbst da, Ende der siebziger Jahre, als die schwarzen Wellen bereits über ihr zusammenschlugen, hatte sie noch dieses unbeschreibliche Leuchten, und das über- lebt, tatsächlich. Mit Romy Schneider ist unser Land noch nicht fertig, und es ist da- bei, nachzusitzen, wenn nun anlässlich ihres 25. Todestags neue Dokumentationen, neue Bücher über sie erscheinen, neue Ausstel- lungen vorbereitet werden. Vor allem aber zeigt es sich in ihren Filmen. Bereits in dieser Woche startet die ARD eine elftei- lige Retrospektive mit Filmen wie „Die Halbzarte“ (1958), „Das wilde Schaf“ (1974) oder „Gruppenbild mit Dame“ (1977). Die Biopics, die vorbereitet und fallen- gelassen und erneut aufgenommen wur- den, scheiterten immer an der Frage: Wer soll Romy spielen? Wer ist auratisch genug, um diese simple Tautologie vergessen zu lassen, nämlich, dass die beste Romy-Dar-

stellerin aller Zeiten Romy Schneider war? / LAIF GAMMA Sie hat zwar auf diesem französischen Fotomodell Schneider (1974): „Doch, ich brauche von Ihnen Hilfe, wie ich von einem Regisseur Dorffriedhof die letzte Ruhe gefunden, doch in Wahrheit hat sie sich ja in ihren war sie gleichzeitig Opfer der Regenbogen- Romy Schneider wusste nicht, dass Rollen ausgeatmet, hat sich gründlicher als presse und deren Manipulateurin. Sie zieht Adolf Hitler nur ein paar Kilometer von je ein Weltstar vor oder nach ihr erschöpft eine beachtliche Spur von Titelblättern hin- ihrem Heimatort entfernt seinen Befehls- in ihren 60 Filmen. „Im Film kann ich al- ter sich her, die ein ebenso beachtliches stand hatte? Sie schämte sich jahrzehnte- les“, sagte sie, „im Leben nichts.“ Mitwirken verraten, oft hüllenlos und see- lang dafür und leistete Abbitte, als Jüdin in Sie lebte so sehr in ihren Filmen, dass sie lisch entblößt, ob in „Bunte“, „De Post“ „Das alte Gewehr“, wo sie sich während oft Filmsätze benutzte, um sich in der „Privé“, „Playboy“ oder „Quick“. Und der der Dreharbeiten von Nazi-Kolben grün Wirklichkeit zurechtzufinden. Ansonsten „Stern“, immer wieder. „Stern“-Titel: „Ro- und blau schlagen ließ. Da nickten die Lin- vertraute sie sich jedem zweiten Kugel- my liebt jetzt, wen sie will“; „Diesmal wird ken gnädig: Endlich wusste die Diva, wo schreiber an, der in ihrer Nähe war. Und es für immer sein“; „Romy Schneider ganz Hitler gewohnt hatte. wenn der dann von ihr hören wollte, dass intim“. Mit dem vorläufig letzten, logischen Michael Jürgs behauptet in seiner glän- ihre Mutter ein Drachen war, die Männer Abschluss: „Die Ausbeutung der Romy zend recherchierten Biografie über Romy Schweine, die Nonnenschule eine düstere Schneider“. Das war nach ihrem Tod, und Schneider, dass es auch die Journalisten wa- Zuchtanstalt und sie selbst ein Opfer, nick- damit war zunächst der letzte Tropfen aus ren, die „sie in den Tod getrieben hatten“*. te sie. Sie nickte jedes Inszenierungsange- der Romy-Verwertung gepresst. Wohl kaum. Doch es waren durchaus bot ab, all die politisierenden oder femi- Sie war als Sissi umjubelt, und sie recht- auch politische Besserwisser, die sie außer nistischen Übermalungen ihres Lebens. fertigte sich für Sissi, denn das hatte sie zu Landes getrieben haben, sie und diese „Schauspieler lieben die Einsamkeit“, tun im Deutschland der siebziger Jahre, deutschen Fröste der siebziger Jahre mit sagte ihr Filmpartner Peter O’Toole, „so- als man ihr in endlosen Wiederholungen ihrer unmusischen Ablehnung von Glanz lange jemand an die Tür klopft.“ Romy die Kitschmaske vom Gesicht riss und am und Charisma, ihrem Gesinnungsterror, wählte nicht die göttliche Distanz, sondern liebsten jeden Alpenberg noch einmal ein- die Nahaufnahme, und das schon dreißig zeln verhört hätte, um ihn nach der Nazi- * Michael Jürgs: „Der Fall Romy Schneider“. Ullstein Ver- Jahre vor Lady Di. Wie Prinzessin Diana Vergangenheit abzuklopfen. lag, München; 344 Seiten; 8,95 Euro.

154 der spiegel 21/2007 „Natürlich fand sie Sissi toll, welches „WER BEHAUPTET, Mädchen träumt nicht davon, in Krinoli- nen-Kleidern vor dem Spiegel zu stehen?“ DASS NYMPHOMANIE Es hat sie maßlos verletzt, erinnert sich Höllger, wie sarkastisch Alice Schwarzer EINE KRANKHEIT und andere diese zarten Technicolor-Lügen IST?“ in Aufklärungsgesprächen mit ihr später zerfetzten. Sie wehrte sich mit Ironie, der Waffe der Romantiker. Wenn Höllger sie irgendwo abholen sollte und sich verspätete, konnte es sein, dass ihr ein Zettel überbracht wur- de, auf dem stand: „Der Deutschen liebstes Kind wartet auf dich.“ Unterzeichnet war das mit den Worten: „Die Kaiserin“. Vor dem gekrönten Teenager Sissi san- ken allerdings nicht nur deutsche Fans in den Staub. Die ganze Welt ging in die Knie. Rund 30000 Fans warteten auf den Rollfeldern in Madrid, in Paris und Rom, um Romy Schneider zu feiern, die mit dem „Sissi“-Film 1956 auf Promotion-Tour ging. Sie war die erste Königin der Herzen, gleich zu Beginn des hysterischen Zeital- ters. Die 17-Jährige wurde von ihren Fans buchstäblich auf Händen ins Flughafen- gebäude getragen. Der Sissi-Stoff lehnt sich an die theatra- lische Biografie der österreichischen Kai- serin Elisabeth an, die auf ihre Weise be- reits Pop war: Sie war magersüchtig, schrieb Hunderte Gedichte, schmachtete in Tage-

Hilfe brauche“

ihrem Hässlichkeitskult. Und hier beginnt der Fall Romy Schneider zu schillern.

CHRISTIANE HÖLLGER IN , eine stämmige kleine Frau mit funkelnden dunk- len Augen, packt für eine Asien-Reise. „Romy hat all diese politisierenden und feministischen Deutungen gehasst, weil sie

bevormundend waren“, sagt die 64-jährige / REX FEATURES BUCKMASTER JONATHAN Autorin: Ihre Freundin Romy wäre heute Paparazzi-Objekt Prinzessin Diana (1996 in London): Als Königin der Herzen purer Pop 68. „Sie hat zwar genickt, aber sie hat sie wie Geiselnahmen empfunden.“ sicher. Auch darunter hatte sie gelitten, bücher, wurde ermordet und kultisch ver- Höllger ist überrumpelt, doch sie redet wie wahrscheinlich alle berühmten Schau- ehrt. gern über Romy. Der 25. Todestag? „Ach“, spieler. Gegen diese Elendsbiografie strahlt Ro- sagt sie. Erinnerungen richten sich nicht „Romy hat mir die Deutschen erklärt“, my Schneiders „Sissi“. Man kann sich heu- nach Jubiläen. Sie hat den Kopf voll mit sagt Höllger, deren Familie emigriert war te kaum vorstellen, wie sehr ihre Kunstfi- Dingen, die sie noch besorgen muss. und die selbst erst als junges Au-pair- gur die Seelenlandschaften der Zeit durch- Da sie nicht wusste, wer Romy Schnei- Mädchen zurückkehrte. Die Deutschen. wühlt hat, wie sehr sie, ein paar Jahre nach der war, damals, als sie sie in den frü- Ihre Sehnsüchte und Rohheiten, ihre Lie- der Kriegskatastrophe, die Sehnsüchte hen Sechzigern auf einer Party traf, wur- be zum Kitsch und dessen erschrockene nach Anmut, Reinheit, Jugendfrische, de sie ihre engste Freundin. Sie war eine Ablehnung – der hysterische Wirbel um Zartheit, Neubeginn gebündelt hat. Wer der wenigen, die Romy meinte und nicht die „Sissi“-Trilogie in den fünfziger Jahren mochte es den Kinobesuchern verdenken, den Weltstar. Bei anderen war Romy nie enthält all diese Pathologien. wenn sie ihre Trümmerhaufen für ein paar

der spiegel 21/2007 155 Stunden vergessen wollten, dazu ist Kino da, das Fluchtmedium schlechthin, durch alle Zeiten. Sie war eine zeitgenössische Märchenfigur. Königinnen der Herzen bestreiten ihren Rang aus nichts als der Zuwendung der Mas- sen und der Magazine. Sie binden Traum- energien. Sie sind purer Pop. Es ist kein Zu- fall, dass Lady Di’s Geburtstag am kom- menden 1. Juli mit einem Rockkonzert im Londoner Wembley-Stadion gefeiert wird. Vielleicht muss man von der Kulturkri- tik zur Biologie schwenken, um die Idol-In- dustrie unserer Tage zu begreifen. Sie scheint in einem durchaus robusten evolu- tionsgeschichtlichen Programm zu liegen, sie ist eine Stammhirn-Angelegenheit: Man hat festgestellt, dass die Rhesusäffchen auf einen bei ihnen sehr beliebten Kirschsaft verzichten, wenn sie dafür das Bild eines ranghöheren Tiers betrachten dürfen. Da sich in einer narzisstischen Gesell- schaft wie der unseren gesellschaftlicher Rang danach ermisst, wie viel Aufmerk- samkeitskapital jemand angehäuft hat, war die junge Romy Schneider wirkungsmäch- tiger als jede reale Monarchin. Auch rest- los aufgeklärte Demokratien, gerade sie, brauchen ihre Surrogat-Königinnen, und Sissi war der Archetyp. Es war ja nicht Alistair Campbell, Tony Blairs Berater, der – nach Lady Di’s Tod – die Phrase von der „Königin der Herzen“ gefunden hatte. Das Original stammt aus dem zweiten „Sissi“-Film. Da sagt Kaiser Franz Joseph zu seiner Mädchenfrau: „Du hast die Herzen der Völker erobert.“ In ihrer Sissi-Rolle gibt Romy Schneider den fünfziger Jahren ihr Gesicht, so, wie es Lady Di mit den Achtzigern tat. Bei beiden geht es zunächst darum, sich den König zu angeln. Sissi tut es gleich zu Beginn. Sie fischt in einem Wildbach und

wirft die Angel aus, die sich in der Or- GEORG BIRZELE densbrust der vorbeikutschierenden Ma- Tochter Romy, Mutter Magda Schneider (1955): „Der Deutschen liebstes Kind“ jestät verfängt. Was folgt, ist ein politischer Mädchen- abhandenkommen sollten, weil es sich als traum: Sie kriegt ihn, und er liebt sie, und Antikino neu erfinden wollte, hatte den „DU HAST DIE dann heilt sie die Welt durch Liebe. Sie Stoff ein Vierteljahrhundert mit sich her- lässt ungarische Revolutionäre und italie- umgetragen. Es gab ein Bühnenstück, ein HERZEN nische Freiheitskämpfer dahinschmelzen, Musical, einen Hollywood-Versuch. Doch DER VÖLKER und das alles gegen den Widerstand der erst die damals 16-jährige Romy Schneider bösen Schwiegermama. Dafür hat sie Gott konnte die Sache wachküssen und zum EROBERT.“ und die Berge und Pappili auf ihrer Seite. Leuchten bringen. Rund 20 Millionen Die drei Teile – „Sissi“ (1955), „Sissi, Deutsche sahen die Trilogie. Selbst in den sie blieb es auf vertrackte Art bis an ihr die junge Kaiserin“ (1956), „Sissi, Schick- USA war eine auf 145-Minuten zusammen- Ende, denn diese Art von Königinnen ster- salsjahre einer Kaiserin“ (1957) – waren geschnittene Version erfolgreich. ben immer an gebrochenem Herzen. unglaublich instinktsichere Spielereien aus „Sissi“ ist kein Film, sondern Kult. Karl- Sie hat die Heimatfilme der fünfziger Zeremoniell und Natur, aus höfischer Enge heinz Böhm, der junge Kaiser Franz Jahre nicht gespielt, sie ist in einem gott- und der Freiheit der Berge. Lauter kleine Joseph aus „Sissi“, sammelt auf Sissi- verdammten Heimatfilm aufgewachsen: Fluchten und große Herzsprünge. Die Fanseiten für seine Afrika-Hilfe, Gothic- in diesem Landhaus in Mariengrund in Märchenkönigin gebietet selbst den Tie- Fans feiern Sissi auf ihren Web-Seiten, sie Berchtesgaden mit der Löwenzahnwiese ren, wenn die Tauben auf dem Markus- ist göttlicher Trash weit über das Kino vor der Tür. „Sie war so hübsch anzu- platz den Schriftzug „Sissi“ formen, und hinaus, und sie überzeugt immer neue schauen in ihrem Dirndl und den Zöpfen“, sogar die Wiesen geben sich Mühe, fotogen Mädchengenerationen davon, wie sehr sie erinnert sich eine Nachbarin. Auf hübsch zu sein, wenn die jugendliche Romy auf in ihren Poesiealben recht haben gegen die kam es an in dieser Kindheit. Als Fünf- ihnen herumtanzt und Blumen pflückt. böse Welt. jährige kommt sie von einem Geburtstag Ernst Marischka, einer jener versierten Romy Schneider hatte ihr ganzes Leben und jubelt: „Sie haben gesagt, ich sei das Handwerker, die dem deutschen Kino bald auf diese Rolle hingelebt, sie war Sissi, und hübscheste Kind von Berchtesgaden.“

156 der spiegel 21/2007 ihrem Filmpapa auf einem Rollfeld hinter- herwinkt, auf Nimmerwiedersehen. An die Stelle des Papas im wirklichen Leben tritt 1949 Blatzheim, Hans Herbert Blatzheim, der Kaufhauskönig, eine gran- dios scheußliche Figur der Wirtschafts- wunderjahre mit Cabrio und schlechtem Geschmack. Der Mann hat Geld. Das Romy-Schneider-Biopic wimmelt vor sol- chen Archetypen aus dem deutschen Ge- spensterkabinett, ja, „Romy“ wäre der große Deutschlandfilm. Sie wird ins Goldenstein-Internat der Augustinerinnen gesteckt. Alice Schwar- zer sieht sie in ihrer feministischen Epistel so vor sich**: „Ihr Blick ist gesenkt, ihre Hände sind ineinander verkrampft. So muss sie auch im Kreis der 16 Mädchen gesessen haben, wenn abends die Mutter Oberin im Stechschritt ihren letzten Kon- trollgang im Rittersaal des Internats Gol- denstein gemacht hat.“ So funktionieren Trivialmythen: Sie sind ihrem Wesen nach Projektionsfläche, je- der inszeniert immer die je eigenen Pho- bien gleich mit. Die Wirklichkeit sieht so aus: Die Schwestern geben sich alle Mühe mit dem phantasievollen Mädchen, das sich biswei- len den Hass der Mitschülerinnen zuzieht, weil es auf Befehl weinen kann. Sie sind streng, sie wollen gerecht sein. Vielleicht sind sie auch einfach erschrocken vor der manipulativen Urgewalt, die sich da äußert. Goldenstein, das sind Hausaufgaben, Musik, Weihnachtsspiele, Messen, Kissen- schlachten. Bei einer wird der Madonna der Kopf abgeschlagen. Der ganz normale Internatsalltag. Tanzlehrer bringen den Mädchen Wiener Walzer und Polka bei. Zwischendurch lernen sie, das Bett zu ma- chen und den Schrank aufzuräumen. Sie träumen sich in Tagebüchern und Poesie-

HIPP-FOTO alben aus. Romy schreibt: „Mein Gott, wie Jungschauspieler Schneider, Götz George, Nina von Porembsky*: Auf Wirkung abgerichtet wird es sein, wenn ich mich mal verliebe. Ach!!! Da wird dann meine schönste Zeit In keiner Powerpoint-Präsentation über Der Stammbaum also besteht aus einer beginnen! Wenn einen viele Männer lie- narzisstische Persönlichkeitsstörungen darf Kette von Show-Jongleuren, die ihren Un- ben! Und zwar fesche, schöne Männer.“ diese Kindheit fehlen. Romy Schneider terhalt aus dem Spiel mit Sein und Schein Sie wird sie alle kriegen. Heute würde war schon als Disney-Prinzessin zur Welt beziehen. An ihrem glänzendsten Glied man sagen: Ein paar Jahre länger in Gol- gekommen, als flirrende Kunstexistenz, wird diese Kette reißen. denstein hätten vielleicht ihr Leben ge- deren ständig abwesende Eltern von der Schon als 13-Jährige notiert Romy in rettet, noch ein paar Schutzjahre gegen Kinderschwester Trudi auf Postkarten über Kinderschrift in ihr Tagebuch: „Ich muss die Meute draußen und das Wirkungstier den ersten Zahn informiert wurden. auf jeden Fall einmal eine Schauspielerin in ihr. Doch mit 14 ist es vorbei. Sie wird Bruder Wolf wird geboren, doch die werden! Ja! Ich muss!“ Das ist weit mehr heimgeholt in die Welt des schönen Sonne scheint auf Romy. Auf der Wiese als pinkfarbene Mädchenträumerei. Das ist Scheins, nach Hause ins Kino. Von jetzt vor dem Haus breitet sie die Arme aus und ein schwarzer Fluch, ganz wie im Märchen. an geht es nur noch um Wirkung, darauf- tanzt und versucht auszusehen wie eines Ihre Eltern trennen sich bald nach ihrer hin wird alles abgerichtet, auch der innere dieser lockigen Revuemädchen, die die Geburt. Den abwesenden Vater himmelt Mensch. Besonders der. Amis so mögen. sie aus der Ferne an. Sie schneidet seine Als sie von der Mama am Telefon erfährt, Ihren Hofstaat regiert sie mit dem ent- Fotos aus den Zeitungen aus, sie ist nicht dass sie für den Film „Wenn der weiße Flie- zückendsten Kinolächeln. Schon genealo- Tochter, sondern glühender Fan, eine lo- der wieder blüht“ engagiert wurde, schreit gisch ging das gar nicht anders: Ihre Eltern gische Rollenzuweisung in diesem Kino- sie auf. Ein wilder Erleichterungsschrei. Magda Schneider und Wolf Albach-Retty haushalt. Ihr erster Film endet mit einer Magda Schneider spürt in dem Moment, waren Kinogötter, und sie sind eine Zeit- tränenumflorten 14-jährigen Romy, die dass da eine Rampenbestie darauf gewar- lang das schönste und beliebteste Film- tet hatte, freigelassen zu werden. paar, noch vor Lilian Harvey und Willy * Promotion-Foto für „Wenn der weiße Flieder wieder Sie dreht in den Sissi-Jahren einen Kos- blüht“, 1953. Fritsch. Auch die Großmutter ist Schau- ** Alice Schwarzer: „Romy Schneider – Mythos und tümschinken nach dem anderen, und bald spielerin, am Burgtheater. Leben“. Knaur Verlag, München; 220 Seiten; 9,95 Euro. ist es das Zeremoniell des Kostümkinos,

der spiegel 21/2007 157 GAMMA / LAIF GAMMA Ehepaar Schneider, Meyen mit Sohn David (1968): Zum Essen notorisch Königsberger Klopse aus dem sie ausbrechen möchte. Das Volk scher Hahn“. Dieses Flüstern hört sich murrt, es ist ein unsicherer Kantonist. Es bisweilen durchaus lüstern an, denn von ei- LACHEN IN schaut nicht mehr hin. ner solchen Amour fou können die meisten Sie spielt eine entzückende Lügnerin in nur träumen. EINER „Monpti“ (1957) und in „Die Halbzarte“ Dabei passt Delon genau in den Steck- LANGEN DUNKLEN (1959) die amoralische Tochter einer amo- brief Romys, die von einem Mann erwar- ralischen Theaterfamilie, die sich ein Stück tet, dass er sie „gewaltsam in die Knie NACHT über ein amoralisches 17-jähriges Mädchen zwingt“, und sie sagt: „Lieber eine un- aus den Fingern saugt, um damit endlich glückliche Leidenschaft erleben, statt im dem Film „Boccaccio 70“ ist sie eine jun- einen Erfolg zu landen. So weitsichtig war Glück zu schnarchen.“ ge Aristokratin, die von ihrem Mann mit Papas Kino schon damals: „Nichts lesen Heutzutage zieht es die jungen Kreati- Callgirls betrogen wird und auf eine unge- die Menschen so gern wie die Memoiren ven aus Paris nach Berlin. Vor 40 Jahren wöhnliche Antwort verfällt: Fortan wird einer unmoralischen 17-Jährigen.“ lief die Sache umgekehrt: Paris versprach sie nur noch gegen Bezahlung mit ihm Hätte doch Billy Wilder einen dieser Fil- das ganz wilde Leben, die Restaurants schlafen. In einer Szene ist sie nur mit me gesehen, diese absoluten Nichtigkeiten an der Oper und die Boheme-Keller von einer Perlenkette bekleidet. Und dann in der Meterware, die sie damals verlegten, St. Germain, raus aus der Spießeretikette, lacht sie, hysterisch und endlos, sie lacht mit diesem hinreißend frivolen Leuchten weg von Mama und Blatzheim, die selbst- sich in eine lange dunkle Nacht, und dann im Zentrum – er wäre nie auf die Idee ge- verständlich die Hände überm Kopf zu- blendet die Episode aus. kommen, die Rolle der „Irma La Douce“ sammenschlugen. Während junge deutsche Regisseure in an Shirley MacLaine zu vergeben. „Kannst du dir vorstellen, wie es ist, einem Manifest auf den Oberhausener In diesem Jahr, 1959, ist sie in den Be- wenn ein ganzes Land auf deine Entjung- Filmfestspielen feiern, dass mit dem „Zu- liebtheitsumfragen auf Platz 20 abgerutscht. ferung wartet?“, fragt sie die Höllger. Ei- sammenbruch des konventionellen deut- Doch einer hat genau hingeschaut: Luchi- gentlich fühlte sich Deutschland als ihr schen Films einer von uns abgelehnten no Visconti besetzt sie für ihre erste Thea- rechtmäßiger Prinz, sagt Höllger. Und da Geisteshaltung endlich der wirtschaftliche terrolle in dem elisabethanischen Inzest- ist es logisch, dass dieser Prinz eifersüchtig Boden entzogen wird“, klopfen Holly- drama „Schade, dass sie eine Hure ist“, wird, denn in Paris weitet sich ihr Lebens- wood-Regisseure wie Otto Preminger und und er setzt sie dem wohl aufregendsten korridor genauso wie der ihrer Karriere. Orson Welles bei Romy Schneider an, und Kerl zur Seite, den die Schattenwelt trivia- Die französische Theaterkritik liegt dem sie sprechen mit ihr weniger über Geistes- ler Mythen nur ausbacken kann, Alain deutschen Fräuleinwunder zu Füßen, und haltungen als über Rollen. Delon. Regisseur Visconti und seine Stars sind Die Oberhausener erklären ihren „An- erotisch verknäult. spruch, den neuen deutschen Spielfilm zu ER SIEHT GUT AUS. Er kämpfte in Indo- „Sie hielt das für normal“, sagte die bo- schaffen“. Und Romy dreht Weltkino mit china. Er soll Kontakte zur Mafia haben denständigere Mutter später. „Sie hielt es „Der Kardinal“ oder „Der Prozess“, für und beträchtliche erotische Phantasien. auch für normal, dass Alain weiter Männer den sie in Frankreich den Étoile de Cristal Der Prinz der neuen Zeit. liebte.“ Romy Schneider lebt die freie Lie- als beste ausländische Schauspielerin er- Jedes Mädchen heutzutage würde sofort be lange vor der Apo, lebt sie ihr vor. Tat- hält und in den USA eine Golden-Globe- juchzen: Geil! Doch linke wie rechte wie sächlich, Romy Schneider hat sich in einem Nominierung. feministische Kolumnisten werden nie wie- imponierenden Kraftakt neu erfunden. Die Oberhausener fordern „Freiheit von der aufhören zu flüstern, was Delon doch Wie verführerisch sie in diesen Tagen der Beeinflussung durch kommerzielle für ein Schwein war, genauer: ein „galli- ist! In Viscontis Episode „Der Job“ aus Partner“, und Romy unterschreibt einen

158 der spiegel 21/2007 DEFD Stars Delon, Schneider in „Der Swimmingpool“ (1969): „Ich brauche einen Mann, der mich in die Knie zwingt“

Sieben-Filme-Vertrag mit den Columbia- Sie musste von der Mutter in langen Te- zusammengeschrieben wird. Der junge Studios. lefonaten zu diesem Auftritt überredet Fernsehredakteur Hans-Jürgen Syberberg Sie ist ausgebrochen, ein kapriziöser werden, denn sie hasst Blatzheim. In Ma- dreht ein Porträt im Auftrag des Bayeri- Jungstar, sie ist frei und – nach einer länge- riengrund hatte er ihr einst schlüpfrige An- schen Rundfunks; eigentlich: im Auftrag ren Filmpause für ihren Alain – endlich in gebote gemacht. Und um sie zu einem vier- von Romy Schneider. „Von ihr ging diese Hollywood und auf dem Sprung ganz nach ten „Sissi“-Film zu überreden, hatte er ihr Anfrage aus.“ oben. Allerdings gefällt ihr Amerika nicht einen Koffer mit einer Million Mark ins Wir erleben sie in einem unendlichen besonders. Und Alain Delon in Paris steigt Kinderzimmer gestellt. Auf Blatzheims Gesprächsstrom, erleben ihre wechselnden aus, mit einem Klassiker: Nach ihrer Rück- Schweizer Firmenkonto verschwindet im Stimmungen, die wie der Sonnenschein kehr findet Romy Schneider in der gemein- Lauf der Jahre ein beträchtlicher Teil der und die Wolkenschatten über ihr Gesicht samen Pariser Wohnung einen Strauß Ro- Gagen, die der Jungstar Romy mit den ziehen in einer Gondel hoch über Kitz- sen vor und den Zettel: „Bin mit Nathalie frühen Erfolgen verdient hat. bühel. nach Mexiko. Alles Gute. Alain.“ Während Blatzheim in seiner Rede das „Ich hab nicht mehr die Kraft, ich will Auch Romy Schneider hat in ihrer vier- freie Unternehmertum der jungen Bun- auch nicht mehr … ich meine Paris, ich jährigen Verlobungszeit ihre raschen Affä- desrepublik feiert und damit sich selbst werde immer wieder mal hingehen, aber ren, hat sie ein Leben lang, denn nach je- meint, schiebt sich der Theaterstar Harry dann ist es aus, ich bin kein Großstadt- dem Dreh, so sagt sie, gibt es einfach noch Meyen unter die Gäste. Dicke Hornbrille, mensch … ich möchte Theater spielen, ja, sehr viel überschüssiges Gefühl. „Wer be- Cordanzug, der Darling der Inselstadt. Er ich habe eine Scheißangst davor, aber ich hauptet eigentlich“, schreibt sie später, ist ein nervöser Intellektueller aus jüdi- möchte so gerne … aber das hab ich ja alles „dass Nymphomanie eine Krankheit ist – scher Familie. Er war in der Nazi-Zeit wollen. Wenn das möglich gewesen wäre, sie ist, in den Pausenkrisen, so gesund.“ inhaftiert worden und ist unter der kühlen hätte ich doch schon mit sieben ‚Peterchens Dennoch: Eine Königin lässt man nicht Oberfläche ein tief traumatisierter Bühnen- Mondfahrt‘ gespielt, ich hab auch in der sitzen. Sie schneidet an ihren Pulsadern mensch. Schule nur gespielt … ich hätte ja immer herum. Von Alain Delon bleibt zunächst Romy verliebt sich. Sie verbringt die nur ja sagen müssen, und da schwimmen eine winzige Narbe am Handgelenk. Sie Nacht mit ihm. Dass Meyen seit zwölf Jah- wir halt in derselben lauwarmen Brühe und erholt sich dadurch, dass sie dreht. Mit ren mit der Schauspielerin Anneliese Rö- das ist ja wirklich deutsch …“ vielen Lebenskatastrophen geht sie so mer verheiratet ist, stört sie dabei nicht. Und während es so dahinplappert, über um. Sie steht für die hinreißende Komö- „Das wird sich doch wohl regeln lassen“, Sissi und die Deutschen und den „Otto Pre- die „What’s New Pussycat?“ vor der Ka- sagt sie. Die Römer wird mit 200000 Mark minger, der mir mal gesagt hat, dreh alles, mera, mit Peter O’Toole, Woody Allen, abgefunden, die Schneider zahlt. was kommt, alllles …“, schwenkt Syber- , Ursula Andress. Sie gibt er- Und sie weiß noch nicht, welchen Preis bergs Kamera auf ein paar triste Schnee- neut Gas. sie tatsächlich zahlen wird: Meyen wird reste auf der Alm, als müsse er sich von die- Als ihr Stiefvater Blatzheim am 2. April sich später erhängen, ihr gemeinsamer sem Schauspielergesülze abwenden. Aber 1965 das neuerrichtete Europa-Center an Sohn tödlich verunglücken. Romy Schnei- dann wird deutlich, wie sehr dieser Matsch der Berliner Gedächtniskirche mit den ders Lebensfilm folgt dem wirkungsvollen da unten die tiefsitzende innere Traurig- zehn Blatzheim-Restaurants einweiht, lässt Zuschnitt antiker Tragödien: erst der Fre- keit Romy Schneiders bebildert. sie sich sogar als Glamour-Gast vorführen. vel, dann die maßlose Strafe der Götter. Harry Meyen ist ästhetisch versiert ge- Sie trägt Chanel. Sie bezeichnet Coco Cha- In jener Zeit, 1966, entsteht ein Film- nug, um zu erkennen, in welche Tiefen Sy- nel mittlerweile als enge Freundin in dieser dokument, das Romy Schneider tiefer er- berberg mit seinen Kamera-Tauchfahrten an Freundinnen so raren Welt. fasst als vieles, was vorher oder nachher gelangt ist. Er lässt den Film sofort verbie-

der spiegel 21/2007 159 Titel „Sie schrieb ständig Botschaften“ Der französische Schauspieler Jean-Claude Brialy, 74, über seine langjährige Freundschaft mit Romy Schneider und die große Popularität der Schauspielerin in seiner Heimat

SPIEGEL: Monsieur Brialy, 1999 kürte die SPIEGEL: In Deutschland gilt Alain Delon Brialy: Ja, sie schrieb ständig drei-, vier- französische Tageszeitung „Le Parisien“ immer noch als derjenige, der unsere Sis- zeilige Botschaften, mit einer etwas ner- Romy Schneider in einer Umfrage zur si vom rechten Weg abgebracht hat. vösen Schrift. Ich habe vor kurzem noch größten Schauspielerin des 20. Jahrhun- Brialy: Aber nein! Die beiden waren wirk- eine Nachricht in einer Schublade gefun- derts. Warum so viel Bewunderung für lich sehr, sehr verliebt ineinander und den. Wie kleine Kinder ihre Süßigkeiten einen deutschen Star in Frankreich? blieben fünf Jahre zusammen. Sie waren versteckte sie ihre kleinen Liebesbot- Brialy: Die Franzosen haben nie wieder sich ebenbürtig in Talent, Ruhm und schaften, die sagten: „Mir geht es gut hier eine Schauspielerin gefunden, die so Geld. Ihre Beziehung war sehr exzessiv. bei Dir, Papa. Ich danke Dir. Ich gewin- schön, so sinnlich, so sensibel ist. Sie war Die beiden gefielen sich in einer tägli- ne wieder Lust am Leben. Ich fühle mich nicht so intellektuell wie die Moreau und chen Schlacht: Romy war eifersüchtig stärker, ich fühle mich besser.“ nicht so kühl wie die Deneuve. Sie war und autoritär, Alain ehrgeizig und besitz- SPIEGEL: Warum diese indirekte Kommu- die Konzentration all dessen, was die ergreifend. Da waren zwei Menschen, die nikation? Franzosen lieben: Emotion. sich gegenseitig belauerten, die manch- Brialy: Sie hatte Scham, Gefühle direkt SPIEGEL: Es heißt, Magda Schneider hät- mal sehr hart miteinander umgingen. auszusprechen. Wenn sie sagen wollte te lieber Sie als Alain Delon an der Seite SPIEGEL: Romy Schneider nannte Sie „Ich liebe dich“ oder „Du fehlst mir“, ihrer Tochter gesehen. „Papa“, obwohl Sie kaum älter waren. dann fand sie immer einen Weg, das auf Fühlten Sie sich als eine Art Ersatzvater? Umwegen zu sagen. An einem Abend, so Brialy: Nein, eher als ihr Bruder. Ihr zwei- um 22 Uhr, waren wir beim Essen, als sie ter Bruder, aber sie nannte mich „Papa“. unvermittelt fragte: „Hast du Neuigkeiten Ich glaube, weil sie ihren Vater so sehr von Marlene Dietrich?“ Und ich sagte liebte und verehrte und das Vertrauen in ihr: „Ja, ich hab sie vor zwei Tagen gese- ihn auf mich übertrug. Sie vertraute mir hen.“ Ich erzählte Romy, dass es Marle- ihren Kummer an oder rief mich an, ne gutging und dass sie nach ihr gefragt wenn sie glücklich war. Ich brachte sie hatte. Romy sagte dann: „Wie schön. Ich zum Lachen, und Romy liebte es, zu la- habe sie furchtbar gern, ich vergöttere chen, sie liebte das Leben. Sie war das sie.“ Romy wurde ganz aufgeregt: „Ich Gegenteil einer melancholischen Frau. muss ihr sofort schreiben.“ Ich sagte ihr: SPIEGEL: War sie sehr deutsch, wie Vis- „Du kannst ihr ja morgen schreiben.“ conti einmal sagte? Aber nein, es musste sofort sein. Sie bat Brialy: Zu Beginn hatte sie einen dicken also um Papier und schrieb acht Seiten an Akzent. Wir zogen sie damit auf. Vor al- Marlene. lem am Anfang der Dreharbeiten zu SPIEGEL: In welcher Sprache? „Christine“. Da hat sie einmal vor Wut Brialy: Auf Deutsch. Und sie trug ihrem ihre Sachen zu Boden geschmissen. Ich Chauffeur auf, den Brief sofort bei Mar- sagte ihr dann: „Aber was soll das denn lene in der Avenue Montaigne abzuge- jetzt? Du bist doch nicht Scarlett in ,Vom ben. Ich sagte ihr: „Bist du verrückt, um Winde verweht‘! Du wirst jetzt schön dei- diese Uhrzeit?!“ Doch Romy nahm die ne Sachen aufräumen. Die Garderobiere Goldkette von Boucheron, die sie trug, ist nicht deine Magd.“ Dabei war Romy legte sie mit in den Umschlag und schick- im Grunde sensibel im Umgang mit Men- te den Brief ab. Eine halbe Stunde später schen. Darum hörte sie auf mich und hob kam eine Antwort von Marlene, mit zwei ihre Sachen wieder auf. Ketten. Sie gab die Kette an Romy zurück SPIEGEL: Sie ist mit der Zeit immer mehr und hatte zudem ihre eigene Kette in den

KAI JÜNEMANN auf Distanz zu Deutschland gegangen. Umschlag gelegt. Das war wunderbar, Schneider-Freund Brialy Brialy: Ja, aber die deutsche Presse hat sie echte Zuneigung. Marlene mochte Frau- „Romy ernährte sich von ihrem Leid“ ja nie losgelassen. Sie hatte jedes Mal en sonst nicht so gern, aber sie liebte Ro- Angst, wenn sie nach Berlin, München mys Charakter. Die beiden waren sich Brialy: Sie fand mich wohl höflicher und oder Wien fahren sollte. Sie sagte sich: ähnlich: sehr gediegen und sehr solide. charmanter. Alain Delon hatte den Ruf ei- Ich werde wieder diese blöden Idioten SPIEGEL: Es heißt, vor der Kamera sei nes Gauners, obwohl das nicht stimmte. sehen, sie werden mir wieder auf die Ner- Romy eine Perfektionistin gewesen. War Er liebte aber zwielichtige Milieus, und das ven gehen. Darum ließ sie sich lieber von sie eigentlich je mit sich zufrieden? beunruhigte sie. Sie dachte: Meine Tochter, der französischen Presse verhätscheln als Brialy: Niemals. Sie war vor allem un- die so wohlbehütet aufwuchs, wird mit die- von der deutschen Presse kaputtmachen. glaublich konzentriert. Piccoli und De- sem Jungen leben, der fähig ist, ihr einen SPIEGEL: Noch Jahre nach ihrem Tod fan- pardieu brachten sie gern aus der Ruhe Revolver an die Stirn zu halten. Ich dage- den Sie Liebesbotschaften von ihr, die sie und versuchten, sie zu verwirren. Einmal gen wirkte wie der ideale Schwiegersohn. damals für Sie versteckt hatte? zog Gérard ständig Grimassen. Romy

160 der spiegel 21/2007 ULLSTEIN BILD / KPA BILD ULLSTEIN Schauspieler Schneider, Piccoli in „Das Mädchen und der Kommissar“ (1971): „Sie ist ein Star in diesen Kreisen“ musste lachen und sagte: „Der ist doch hung. Sie fand, dass der Mann sie domi- ten und präsentiert eine endlose Liste mit verrückt, der Typ dort, er ist einfach ver- nieren musste. Änderungswünschen. „Es war ihm alles zu rückt.“ Aber eine Sekunde später war sie SPIEGEL: Wie erfuhren Sie von ihrem Tod? depressiv“, erinnert sich Syberberg. „Er wieder konzentriert. Brialy: Ich hörte es im Radio: Romy hat sofort Anwälte eingeschaltet.“ SPIEGEL: Vertraute sie ihren Regisseuren? Schneider ist tot. Ich sagte mir: Die sind Die Schneereste werden rausgeschnit- Brialy: Sie sagte: „Regisseure sind Diebe. verrückt! Ich habe gestern noch mit ihr ten, dafür kommen ans Ende Bilder von Sie versuchen, mir meine Seele zu rau- gesprochen! Ich fuhr zu ihrem Haus. Ich Romy, die gerade ihren Sohn David zur ben. Manchmal gebe ich ihnen ein wenig hatte wirklich Herzklopfen, als ich vor Welt gebracht hat. Erst nach Romys Tod davon, manchmal auch gar nichts.“ Dabei ihrem Zimmer stand. Doch ich riss mich taucht Syberbergs Urfassung wieder auf. gab sie vor der Kamera immer alles. zusammen, öffnete die Tür und sah eine Sie lebt mit Meyen in einer für ihre Ver- SPIEGEL: Verausgabte sie sich? junge Frau, wunderschön, schlafend, lä- hältnisse bescheidenen Vierzimmerwoh- Brialy: Ganz und gar. Nichts anderes exis- chelnd. Man hatte Lust, sie in die Arme nung im Grunewald. Sie und Meyen sind tierte mehr, nur die Person, die sie zu nehmen, sie tanzen zu lassen, ihr zu zwei Süchtige und Borderliner, die sich in spielte; doch sie war unruhig, ängstlich. sagen: Bleib noch ein wenig … Sie war ewigen Zyklen aus Selbstvergötterung und Wenn man ihr sagte, sie sei schön, dann überwältigend. Und dann, wie in einem Leere, Hochstimmung und Angst und Ein- sagte sie: „Ach ja, gut.“ Sie bewunderte Western, mit einem „Klack“, stand plötz- samkeit aneinanderklammern. Sie nehmen , , lich Alain Delon im Zimmer. Nach fünf Tabletten, Optalidon und Staurodorm in . Sie sagte, das seien ech- Minuten sagte er: „Lass uns, lass uns al- erster Linie. Dazu viel Alkohol. te Schauspielerinnen, und meinte, sie lein, sie und mich. Du hast hier nichts Heute weiß die Kreativitätsforschung, würde nie diese Höhe erreichen. Aber mehr zu tun.“ Und ich ging. dass die narzisstische Störung nicht Ergeb- das war völlig falsch. Sie war nicht nur SPIEGEL: Sie sagten einmal: „Gegen Ende nis des Ruhms ist, sondern dessen Ursache. schön, sondern hatte etwas Besonderes, ihres Lebens schlich der Tod um sie her- Nicht die allgemeine Akklamation macht etwas Bedeutendes und Berührendes. um, und ich habe es erst im Nachhinein verrückt, sondern es ist die Verrücktheit, SPIEGEL: Sind die Parallelen zwischen ih- bemerkt.“ Hatten Sie eine Vorahnung? die zur Akklamation führt. Psychiater Bor- rer Biografie und ihren Filmen zufällig? Brialy: Es war ein Herzstillstand wegen win Bandelow, ehemaliger Rockgitarrist Brialy: Romy ernährte sich unbewusst von zu viel Leid, zu viel Unglück, zu vieler und Autor des Buchs „Celebrities. Vom dem Leid, das ihr widerfuhr, und über- Pillen. Sie nahm Pillen zum Einschlafen, schwierigen Glück, berühmt zu sein“, in ei- trug es auf ihre Filmrollen. Wenn ihr die zum Aufwachen, zum Abnehmen. Auf nem Gespräch mit dem SPIEGEL: „Wer es Regisseure diese Rollen gaben, dann des- der Leinwand und auf der Bühne war sie im Showbusiness bis ganz nach oben schafft, halb, weil sie etwas Tragisches an sich großartig. Doch im privaten Leben hat kann kein ganz gesunder Mensch sein.“ hatte. Dabei hatte sie ganz und gar keine sie viele Kämpfe ausgestanden, Leid und Romys Kollege Peter O’Toole weiß das Lust, unglücklich zu sein. Schmerz. Ich glaube aber, dass es im Le- längst: „Jenseits der Leinwand haben Schau- SPIEGEL: In ihrem Tagebuch schrieb sie: ben keine gerechte Waage gibt, dass man, spieler überhaupt kein Ego“, sagte er. „Sie „Ein Mann muss mich in die Knie wenn man auf der einen Seite glücklich müssen eine Rolle spielen, um die Wirklich- zwingen.“ ist, auf der anderen Seite unglücklich sein keit zu spüren, und sie brauchen Aufmerk- Brialy: Ein schwacher Mann, der vor ihr in muss. Romy liebte das Leben so sehr, samkeit, um sich lebendig zu fühlen, sie Bewunderung schwelgte, nervte sie. Sie dass es sie umbrachte. schwanken ständig zwischen Hochstimmun- brauchte eine heftige, gewaltige Bezie- Interview: Lars-Olav Beier, Stefan Simons gen und Depression.“ Wer Romy Schneiders Tragödie verste- hen will, muss nicht das feministische oder

der spiegel 21/2007 161 Titel politische Besteck bemühen, sondern er sich aus dem Bassin stemmt, und dann die muss die Schauspielkunst verstehen. Sie hohe Stirn, die grünblauen Augen, Was- und die Sucht, diese Krankheit der Kreati- serperlen überall, voilà: So schön war eine ven. Die Sucht nach Liebe, nach Applaus, Frau mit nassen Haaren nie wieder! nach Alkohol, von allem immer mehr, und „Ich bin sicher“, sagt Romy, „dass die das gilt nicht nur für die „Rampensäue“, Apo mich nie als Sissi akzeptieren würde, sondern für viele Künstler – von den ersten aber in ‚Swimmingpool‘ werden sie mich sechs US-Literaturnobelpreisträgern wa- mögen, denn das ist eine sehr erotische ren fünf Alkoholiker. Rolle.“ Von der Apo kommt keine Reak- Romy Schneider also spielt in diesen tion, aber in Frankreich stehen die Leute späten sechziger Jahren eine neue Rolle, Schlange, alle wollen das Traumpaar wie- sie spielt die Hausfrau. Das heißt in ihrem der zusammen erleben. Fall, dass sie Harry Meyens Hemden von Und Harry Meyen, der die Dreharbeiten Viscontis Schneider in Rom anfertigen und an der Côte d’Azur mitverfolgt, weiß, dass einfliegen lässt. Ansonsten bestellt sie bei er Romy wieder verloren hat. Nicht an ihrer Köchin notorisch Königsberger Klop- Delon, sondern an den Film. Was Delon se. Um Champagner und den Wein küm- angeht, sagt Romy: „Nichts ist kälter als mert sie sich selbst, das hat sie in Frank- eine tote Liebe.“ reich gelernt. Sie ist gerade 30, eine reife, eine sinn- Meyen, der Kontrollfreak, sichtet die liche Frau mit der Lust zur Provokation, Rollenangebote für Romy, verwirft die sie ist genau der Typ, den sich französi- meisten und versucht ansonsten, Licht in sche Männer am Telefon ausdenken, wenn ihre Vermögensverhältnisse zu bringen. Er sie nicht schlafen können. Nun beginnt ihre fordert Unterlagen bei Blatzheim an. Als eigentliche Dekade, die französische, und der stirbt, wird errechnet, dass er Romy Romy stürzt sich in die Filme wie in lang- Schneider 1251418,15 Schweizer Franken entbehrte Affären, sie dreht bisweilen fünf schuldet. Ein Teil wird nun beglichen. davon in zehn Monaten, und natürlich ge- Meyen ist ein Konservativer mit durch- hen bei ihr die Affären und die Filme Hand aus skurrilem Humor – zu Weihnachten in Hand.

DIE SCHEIDUNG VON HARRY MEYEN ist „GLAUBEN SIE, eine zähe Rechnerei. Schließlich wird er mit 1,4 Millionen Mark abgefunden. Der ROMY SCHNEIDER gemeinsame Sohn David bleibt bei ihr, FÄHRT bei ihren wechselnden Kindermädchen, und Meyen leidet. Oft liegt er tagelang im ZWEITER KLASSE?“ Tablettendämmer. Drei Jahre vor ihrem Tod wird er sich an der Feuerleiter seines verpackt er alte Pullover in Geschenk- Apartmenthauses erhängen. papier und behauptet, sie seien ihm von Frankreich hat auf Romy gewartet. Frank Sinatra und Bob Hope geschickt Regisseur Claude Sautet verliebt sich in worden. Da ihn die künstlerische Fortune sie. Er hat sie nie getroffen, ist ihr nur in verlässt, verknibbelt er sich in Romys Le- ihren Filmen begegnet, doch er schreibt ben. Währenddessen schaut Romy immer ihr „Die Dinge des Lebens“ so auf den ratloser nach draußen: Sie braucht den Leib, dass eine unwiderstehliche Bezie- Film so sehr wie den Alkohol. Mehr noch. hungsgeschichte mit daraus An einem Abend, an dem sich Harry wird. Das Romy-Emblem der Dekade in- Meyen bei einem gemeinsamen Essen in des wird sein nächster Film: „Das Mädchen Axel Springers Sylter Haus in Tiraden über und der Kommissar“. die protestierenden Studenten ergeht, Wir sehen Romy Schneider über das kommt es zum Eklat. Romy brennt durch. Trottoir eines schmutzigen Pariser Außen- Als sie ein Reisender im Zug fragt, ob sie bezirks laufen, und eine Stimme aus dem Romy Schneider sei, antwortet sie kühl: Off führt sie ein mit Sätzen, die sie genau- „Glauben Sie etwa, Romy Schneider fährt so betreffen wie ihren Part, Lilly, die deut- zweiter Klasse?“ sche Prostituierte. „Sie wird von allen an- Tatsächlich hat sich da draußen etwas ge- erkannt, sie spielt eine Rolle, man kann so- tan, sie findet die jungen Leute interessant gar sagen, sie ist ein Star in diesem Kreis.“ und spannender als die Sylter Altherren- Sie läuft ihr Trottoir ab mit wissenden runde, die Popkultur erzeugt eine ganz Augen und braunen Locken und lachbe- neue Vibration. Und dann ist es ausgerech- reitem Mund, sie trägt einen Lackleder- net Alain Delon, der mit dem ersehnten mantel und ein dekolletiertes Kleid, sie ist Comeback-Angebot vor der Tür steht. Der sinnlich und auf perverse Art unschuldig – Film heißt: „Der Swimmingpool“. in der Gefühlsgrammatik dieses Films kann Es ist ein bemerkenswert blödes Star- man nur in die Knie sinken und den Boden vehikel, doch tatsächlich gibt es eine Sze- küssen, den dieser Engel betritt. ne, die den ganzen Aufwand lohnt, gleich Die andere Möglichkeit ist die verknif- zu Beginn: Romy schwimmt durch den fene Brutalo-Fresse von Michel Piccoli, der blauen Pool und taucht auf, wir sehen ein zugeknöpfter Bulle mit Geheimrats- zunächst ihren nackten Rücken, wie sie ecken ist, der sie gewinnt, indem er sie ab-

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passt. Sie beginnt eine heftige Romanze mit Bruno Ganz, dem Star des Berliner Schaubühnen-Ensembles um Peter Stein, dessen Schauspieler alle bis in die Haar- spitzen politisiert sind. Sie pilgert mit Höllger in die Aufführun- gen des „Prinz von Homburg“, des „Peer Gynt“. Höllger: „Wir haben uns geschwo- ren, nie wie Solvejg zu werden, die ihr Leben damit zubringt, auf die Heimkehr des Welteroberers Peer Gynt zu warten.“ In Deutschland hat sich die Rote Armee Fraktion formiert, Kammergerichts- präsident Günter von Drenkmann wird erschossen, Unterstützerkomitees für die Inhaftierten haben sich gebildet, und Jean- Paul Sartre besucht Andreas Baader und nennt ihn hinterher „ein Arschloch“. Mitten in diesen Sumpf hinein hat Diet- mar Schönherr, selbst Schauspieler, mit „Je später der Abend“ die erste nennenswerte Talkshow im Fernsehen etabliert. Und er

MICHAEL FRIEDEL / INTERFOTO soll für den wohl berühmtesten Romy-Auf- Regisseur Fassbinder, Darstellerin Schygulla (1971): Kein Interesse an Romy Schneider tritt außerhalb des Kinos sorgen. Er kennt Romy, seit er den Part von prallen lässt und sie benutzt, um ein paar Alain Delon in der Schnitzler-Verfilmung kleinen Ganoven eine Falle zu stellen. „VERGISS MICH GANZ „Christine“ synchronisiert hat. Er fährt Schon während der Arbeiten am Dreh- nach Paris, um sie für die Teilnahme an buch bombardierte Romy Schneider Sautet SCHNELL, seiner Show zu gewinnen. „Sie trank zwei mit Telegrammen: „Die kleine Nutte – das ABER SAG MIR NOCH mächtige Humpen Rotwein“, sagt Schön- bin ich.“ Das Wirkungstier in ihr hat das herr, der heute auf Ibiza lebt. Er seufzt. alles schon gewittert, die Erotik, die Bre- GUTE NACHT.“ „Sie konnte sehr spröde sein.“ Das ist chungen, die fließenden Übergänge zwi- Schauspielersprech für: Sie konnte einem schen Gut und Böse, sie leuchtet in diesem gendwie. Als sie die deutsche Jüdin in „Le gewaltig auf den Keks gehen. moralischen Niemandsland, in dem Liebe Train – Nur ein Hauch von Glück“ spielt, „Ihre Bedingungen waren, dass wir über und Verrat ineinandergestrickt sind. diktiert sie in die Spiralblöcke: „Ich spiele nichts Politisches und nichts Privates Die deutschen Filme sind damit be- das auch deshalb, um ein Signal zu setzen reden.“ Worüber dann, wollte Schönherr schäftigt, die richtige Gesinnung zu pro- gegen die Nazi-Typen, die in Deutschland wissen? Über all die Filme, die die Deut- duzieren und genau zu wissen, was richtig immer noch etwas zu sagen haben.“ schen nicht gesehen haben? ist und was falsch. Die französischen da- Genaueres weiß sie über diese Nazi- Sie bleibt stur. Im Film gibt es Dreh- gegen sind pure Transgressionen. Heute Typen nicht, was hat sie sich dabei ge- bücher, im Leben nicht, und in Deutsch- wird „Das Mädchen und der Kommissar“ dacht? Wenn sie mich schon nicht mehr land ist der politische Diskurs nach dem in Videotheken als Thriller geführt, aber als Sissi mögen, dann doch vielleicht als strahlend fröhlichen Sechziger-Jahre-Auf- natürlich ist er ein Melodram. Aber wer alkoholisierte Willy-Brandt-Anhängerin, bruch nur noch ein verrohter Austausch außerhalb von Frankreich erwärmt sich die genau die richtigen „Mehr Demokratie unter Gehässigkeitsspezialisten, die lau- schon für Melodramen? wagen“-Sprüche draufhat? Auf jeden Fall ernd auf den nächsten ideologischen Lap- Sie arbeitet weiter, hektisch. In Viscontis justiert sie sich eifrig für den neuen sozial- sus warten. „Ludwig II.“ gibt sie noch einmal die Sissi, demokratischen Mainstream. Sie findet „Noch auf dem Weg ins Studio zischte diesmal als Gespenstersonate, und sie sagt Brandt toll, sie beichtet im „Stern“ öffent- sie mich an: Nichts Politisches!“ Statt der als dahinwelkende Kaiserin: „Triumphe lich, dass sie abgetrieben hat, und später überschwänglichen Redseligkeit, die sie sind schnell vergessen, oder sie rufen spä- trifft sie sich mit Alice Schwarzer, die ihr acht Jahre zuvor Syberberg gewährt hatte, ter die heftigste Kritik hervor.“ Ein weite- in ihrer postumen Biografie durchweg wählt sie nun also das abgrundtiefe Ver- rer dieser ungeheuerlichen Kinosätze, mit schlechte Noten in Feminismus gibt: Sie stummen. Doch da sie damit in einer Talk- denen sie ihr Leben kommentiert. habe „Männerfilme“ gemacht und ihr Le- show herumsitzt, garantiert genau dieses Danach gelingt ihr der wahrscheinlich ben unter „rosarotem Kitsch“ begraben. Verstummen die allerhöchste Beachtung. zarteste Film mit „César und Rosalie“. Noch heute ist die Romy-Freundin Sie ist für alle Zeiten die Leidensstatue Ihrem Partner Yves Montand verweigert Christiane Höllger darüber fassungslos: unter schwarzem Käppi, die Königin der sie sich – sie lebt eine heftige heimliche „Sie warf Romy vor, dass sie sich nicht als Schmerzen. Affäre mit seiner Frau Simone Signoret. Lesbierin geoutet habe.“ Tatsächlich hat Es ist dann Burkhard Driest, Bankräuber Sie dreht eine unendliche Reihe konfektio- Romy Schneider auch ab und zu Affären und Schriftsteller und Schauspieler, der die nierter Grübelware, beseelt eine unend- mit Frauen. Doch sie denkt gar nicht dar- Runde aufmöbelt, in der natürlich politi- liche Reihe melancholischer, verführender, an, daraus politisch Kapital zu schlagen. siert wird. masochistischer Frauenfiguren. Im Übrigen mag sie Männer viel zu sehr. Sie taxiert Driest so, wie sie in ihren Fil- Die siebziger Jahre sind das überschat- Wenn sie in Berlin ist, wohnt sie oft in men – in „Sommerliebe“ (1974) oder „Die tete Jahrzehnt. Überschattet von der Inten- Höllgers WG in diesen siebziger Jahren, Unschuldigen mit den schmutzigen Hän- sität, mit der Romy Schneider in ihrer Ka- ihre Söhne sind im gleichen Alter, und sie den“ (1975) – kommende Liebhaber ta- merasucht verglüht und im Leben entgleist. schaut dann in das „Unfröhliche“ eines xiert, um herauszufinden, was sie im Kopf Ihre Interviews zeigen, dass sie sich an Berliner Hinterhofs und fühlt sich wohl und in der Hose haben. Und als Driest die den Polit-Sound der Tage gewöhnt hat, ir- dabei, weil das Licht zu ihrer Stimmung faulen Eier, die gerade auf Willy Brandt

164 der spiegel 21/2007 GAMMA / LAIF GAMMA Mutter Schneider, Sohn David (1974): Leben nach dem Zuschnitt antiker Tragödien geworfen worden waren, als „unpolitische ge Briefe an Böll, und sie hat Angst. Sie Sauerei“ bezeichnet, legt sie ihre Hand auf wird die Leni in Bölls „Gruppenbild mit SIE SCHREIBT seine Lederjacke und haucht: „Sie gefallen Dame“ spielen. mir. Sie gefallen mir sehr.“ Noch über 30 Jahre später erinnert sich LANGE BRIEFE Wirkungsvoller geht es gar nicht. Was Fotograf Bob Lebeck mit einem kopf- AN BÖLL – keinem auffällt: Sie erzielt die Wirkung mit schüttelnden Lächeln an die erste Begeg- einem Filmtext. Als Sissi sagt sie über den nung in einem Berliner Hotel: „Schon ihr UND HAT ANGST. jungen Kaiser Franz Joseph im gleichen erster Blick war ein unglaublicher Flirt“, Tonfall: „Ich liebe ihn. Ich liebe ihn sogar sagt er. „Als wolle sie sagen: Sie gefallen es sind genau diese sieben Minuten, die sehr.“ So belohnt Romy Schneider eine mir, Sie gefallen mir sehr.“ den Film ins Gedächtnis brennen. politische Äußerung mit einem Herzens- Sie redet, sie gurrt, sie trinkt, und nachts Auf dem Set von „Trio Infernal“ lernt sie bekenntnis, einem verrutschten Sissi-Echo. schiebt sie ihm einen kleinen roten Zettel den jungen Daniel Biasini kennen. Er ge- Nur absoluten Diven gelingt ein solcher unter der Tür durch, auf dem steht: „Du fällt ihr. Sie kauft ihn. Für 2500 Francs im Auftritt. Das deutsche Kino hingegen lässt machst mir Angst. Ich mache mir Angst. Monat kümmert er sich um ihre Rechnun- sie weiter links liegen. Rainer Werner Fass- Vergiss mich ganz schnell. Aber bitte sage gen, bringt den Sohn David zur Schule, binder findet seine Liebe zum Kitsch, er mir noch gute Nacht“. besorgt Rezepte. Biasini sieht gut aus, er dreht ein Melodram nach dem anderen, Lebeck, der Profi, greift zu seiner Leica, kann mit Messer und Gabel essen, er aber er nimmt Hanna Schygulla dafür, die bevor er sich aufmacht. Ihre Tür ist ange- schmückt die 36-jährige Diva und vertreibt über seinen Filmen hängt wie ein nasser lehnt. „Sie lag auf dem Bett, dann zog sie ihr die Einsamkeit. Natürlich liebt sie ihn, Lappen. Auch Volker Schlöndorff winkt ihre Stiefel aus.“ Lebeck fotografiert sie, wie alle jungen Kabelträger zuvor, die ihr ab. Er vergibt die Titelrolle in Heinrich beim Schminken, beim Herumalbern, sie die Regisseure zur Verfügung stellen. Ihn Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina vergisst die Liebe und schnappt nach seiner noch ein bisschen mehr. Blum“ nicht an die sehr interessierte Romy Aufmerksamkeit und Nähe, bis morgens Sie heiratet ihn. Eines der berühmtesten Schneider, sondern an die Schaubühnen- um vier reden sie, und dann schlafen sie Lebeck-Fotos entsteht in Berlin während Frau Angela Winkler. nebeneinander ein. der Böll-Dreharbeiten: Biasini sitzt im Wim Wenders? Dreht dröge Männer- Die Dreharbeiten zu „Gruppenbild mit Schaukelstuhl und raucht, sie kauert da- Episteln. Und Werner Herzog, dem man Dame“ sind ein Desaster, der Regisseur neben und schaut zu ihm auf, stolz. Ein auch in Paris zu Füßen liegt? Er will Filme ist ein Stümper und der Film weit entfernt Prachtstück, der Junge. drehen „über Menschen, die inneres Licht von jenen stilsicheren Meisterwerken, de- Kaum ein Lebeck-Foto hat je so viel ausstrahlen, eine Tragödie um sich haben, nen sie ihre Eruptionen schenkt, etwa Hass erzeugt wie dieses: Romy verschwen- die verwüstet worden sind“. Das klingt „Das wilde Schaf“ (1974) mit Jean-Louis det sich an einen Stenz! In den interes- zunächst wie eine exakte Rollenbeschrei- Trintignant oder „Trio Infernal“ (1974) mit santeren Liebhaberprojektionen deutscher bung für Romy Schneider, aber Herzog Michel Piccoli oder „Mado“ (1976), eben- Journalisten kommt Biasini kaum verhüllt denkt dabei nicht an sie, sondern an Zwer- falls mit Piccoli. als unwürdiger Nebenbuhler vor. ge und Autisten und den wahnsinnigen Sie spielt Huren, sie spielt Opfer, und Man wird ihm später so pedantisch alle Klaus Kinski. Visconti nennt sie „sehr deutsch in dieser die Autos vorrechnen, die er mit Romys Doch 1976 kommt es tatsächlich zu Mischung aus Schamlosigkeit und Keusch- Geld gekauft haben soll, dass er in seiner Romys Deutschland-Comeback. Sie will es heit“. Sie spielt vor allem immer wieder eigenen Biografie penibel Wagentypen so sehr, dass sie dafür auch einen Regie- sich selbst – ihr Auftritt als Alkoholikerin in und Baujahr und Nummernschilder auf- No-Name in Kauf nimmt. Sie schreibt lan- „Mado“ dauert nur sieben Minuten, doch listet, wie ein mutmaßlicher Hehler, der

166 der spiegel 21/2007 LEBECK / STERN / PICTURE PRESS / PICTURE / STERN LEBECK Schauspielerin Schneider mit Gast in einer bretonischen Kneipe (1981): Noch ein letztes Mal Sissi, die Königin der Herzen

überraschend in eine Polizeikontrolle ge- Trümmerberge wachsen. Ihre Ehe mit Bia- Bei dem Gespräch wird klar: Die zer- raten ist. sini zerbricht, kurz nachdem die gemein- brechliche Diva, sie ist restlos zerbrochen. Dabei ist er genau der Papa, den sich same Tochter Sarah zur Welt kommt. Sohn Sie weint viel, sie lacht unvermittelt, sie Romys Sohn David gewünscht hat, ein David lebt nun immer öfter bei Biasinis ist fahrig, sie redet pausenlos, als könnte Draufgänger, mit dem er Motorrad fährt, Eltern in einem noblen Pariser Vorort. Er sie alles nur durch Reden heilen. ein Kumpeltyp, ein ganz anderes Kaliber missbilligt die neuen Liebschaften Romys. Am Abend zuvor ist sie mit den Jour- als der strenge und zunehmend verfallen- In den letzten drei Jahren ihres Lebens nalisten in eine schummrige Hafenkneipe de Intellektuelle Harry Meyen, der stän- bricht die Kunstexistenz Romy Schneider gezogen. Und dort gibt es einen magischen dig mit Mama darüber streitet, wer die zusammen und wird unter Trümmern be- Moment. Ein alter Mann tritt auf sie zu. Er Kosten für die Flüge zwischen graben. Harry Meyen ist tot, und ihr neuer sieht aus wie ein Penner. Er fragt, ob sie und Paris übernimmt. Liebhaber, der junge Produzent Laurent Sissi sei. Früher wäre sie aus der Haut ge- David besucht eine Ganztagsschule, und Pétin, schafft sie nach einer Schmerz- fahren darüber. Doch diesmal schaut sie Romy verschwendet sich weiter, sie jagt attacke ins Krankenhaus, wo ihr eine ent- überrascht auf. Sie schaut den Mann lange von einem Film zum nächsten, sie ver- zündete Niere entfernt wird. an, und sie nickt. Und dann tanzt sie mit schenkt aus Launen heraus Cartier-Kett- Und dann verunglückt ihr Sohn David ihm, selig auf dem zertretenen Boden die- chen, unterhält mehrere Wohnungen, und tödlich bei dem Versuch, über die Speer- ser Kneipe, sie vergisst die Journalisten, obwohl sie Frankreichs größter Kinostar spitzengitter auf dem Anwesen der Biasinis er ist ihr Prinz, und sie noch einmal, ein ist, lebt sie stets am Rande der Pleite. zu klettern. Das Krankenhaus, in dem Da- letztes Mal, die Königin der Herzen. Wie Michael Jürgs nachweist, flossen vid stirbt, kennt sie bereits: Es ist dasselbe, Vierzehn Monate später stirbt sie in jährlich zwischen 600000 und 1,5 Millionen in dem sie die Schlussszene des Films „Die ihrem Apartment in Paris. Sie wusste, dass Francs auf das Schweizer Konto des Fi- Dinge des Lebens“ gedreht hat. Nächte- sie nach ihrer Nierenoperation nichts mehr nanzberaters Henrik Kaestlin. Ein Steuer- lang irrt sie in der Folgezeit durch Paris, trinken durfte, doch sie trank weiter, Rot- sparmodell, doch wie so oft bei diesen win- schlaflos, gejagt von unzähligen Geister- wein, auch in der Nacht vor ihrem Tod. digen Modellen floss zu wenig zurück. Wo stimmen in unzähligen Geisterrollen. Der Arzt stellt als „natürliche Ursache ist Romys Geld geblieben? Jürgs vermutet Bereits fünf Monate später steht sie für Herzversagen“ fest. in seiner Biografie, dass sie zudem auch ihren letzten Film vor der Kamera, „Die Da ist Jürgs genauer am Ende seiner noch erpresst worden sei mit einem Foto, Spaziergängerin von Sans-Souci“. Sie wid- Biografie: „Romy Schneider, 43, hat end- das sie beim Drogenkonsum zeigt. met ihn den Toten: ihrem Sohn, ihrem ers- lich ihr Leben besiegt.“ Niemand tritt Als sich Romy schließlich von Kaestlins ten Mann. In einer Schlüsselszene rettet sie ihr Testament an, denn sie ist hochver- Cinecustodia-Firma trennt, hat die fran- einen kleinen Jungen vor den Stiefeltritten schuldet. Sie hinterlässt Hunderte Zettel zösische Steuerbehörde Forderungen von der Nazis, schützend hält sie den blutenden und Briefe, die in alle Welt verstreut sind. sieben Millionen Francs angemeldet. Sie Jungen im Arm. Wie kann sie das spielen? Für die Ausstellungen, die nun geplant ist bereits sehr erschöpft, doch schon aus Ein halbes Jahr vor diesen letzten Dreh- sind, müssen eine Menge Menschen ange- finanziellen Gründen muss sie nun weiter- arbeiten, das hat ihre Freundin Christiane schrieben werden. arbeiten in diesen späten siebziger Jahren, Höllger vermittelt, empfängt sie Bob Le- Das war Romy Schneider fürs deutsche einfach um das Niveau zu halten, an das sie beck und Michael Jürgs in einem Sanato- Kino: eine goldene Wolke, die sich aufge- sich gewöhnt hatte. rium in Quiberon. Es ist eine Prominenten- löst hat. Doch jedes Mal, wenn einer ihrer Suchtkranke nehmen keine Rücksichten, Trockenlege, in die sich mit ein paar Trink- Filme läuft, bildet sie sich neu. Und ver- am wenigsten auf sich selbst. Sie rasen ihre geldern durchaus Champagner oder Wein pufft wieder. Runden durchs Hamsterrad, während die schmuggeln lässt. Matthias Matussek, Lars-Olav Beier

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