„Der Kampf Hört Nie Auf“

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„Der Kampf Hört Nie Auf“ Serie (VIII): Die dritte Generation „Der Kampf hört nie auf“ Obwohl fast die Hälfte ihrer Kader sich 1980 in die DDR absetzte und der Rest der zweiten Generation verhaftet wurde, mordete die RAF weiter: Die dritte Generation ging zur Genickschusstaktik über – und hinterließ viele Rätsel. Von Georg Bönisch und Michael Sontheimer s waren fünf Kriminalpolizisten der Sechs Tage nach Albrecht wurde Inge Der größte Teil der Gruppe saß demo- untergehenden DDR, die am 6. Juni Viett, die 1980 von der Bewegung 2. Juni ralisiert in einem RAF-Quartier in Bagdad. E 1990 für die größte Überraschung in zur RAF gekommen war, in Magdeburg Peter-Jürgen Boock klagte dort etwa, er der Geschichte der RAF sorgten: Die Er- festgenommen; zwei Tage darauf zwei habe Darmkrebs, ihn quälten ständige mittler des Zentralen Kriminalamts hatten ehemalige Terroristen in Senftenberg; ein Schmerzen und er brauche deshalb starke den Plattenbau in der Rosenbecker Straße weiteres Ex-RAF-Paar am selben Tag in Medikamente. Seine Freundin Brigitte 3 im Ost-Berliner Stadtteil Marzahn ob- Frankfurt (Oder); einen Tag später noch Mohnhaupt schickte zwei erst im Sommer serviert. Als eine Frau mit Pagenschnitt in zwei RAF-Aussteiger in Schwedt. Schließ- 1977 zur RAF gestoßene Männer – Gert dem Haus verschwand, gingen sie hinter- lich holten DDR-Kriminalpolizisten ein Schneider und den Schauspieler Christof her und klingelten an der Wohnung 0201 letztes Paar am 18. Juni 1990 in Neubran- Wackernagel – aus Bagdad nach Amster- mit dem Namensschild „Becker“. denburg ab. Da waren es dann zehn. dam, um Drogen zu beschaffen, darunter „Um einen Sachverhalt zu klären“, wie DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel auch Haschisch und Kokain. es die Kripo-Männer formulierten, möge hatte die Ex-RAF-Terroristen mit Unter- Doch die Polizei observierte die dortige Ingrid Becker doch bitte mitkommen. „Ich stützung von Stasi-Offizieren an seinen Bon- konspirative Wohnung. Als Beamte die bei- möchte gleich zu Beginn meiner Befragung ner Kollegen Wolfgang Schäuble geliefert – den Drogenkuriere vor der Tür stellten, erklären, dass meine eigentliche Identität als Morgengabe zur deutschen Einheit. schossen diese sofort und warfen eine Hand- nicht die der Becker Ingrid ist“, gab diese Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, granate. Sie wurden dennoch verhaftet. Kurz zu Protokoll. Ihr wahrer Name, sagte sie, der es bis dahin kaum gelungen war, die darauf nahmen Fahnder nach einer Schieße- sei Susanne Albrecht. Mordserie der RAF im Deutschen Herbst rei eine RAF-Frau fest, die mit einem ge- Obwohl sie umgehend festgenommen 1977 genauer aufzuklären, konnte neue fälschten Rezept in einer Hamburger Apo- wurde, war Susanne Albrecht erleichtert. Hoffnung schöpfen. Sie bot den Ex-Terro- theke Drogen für Boock kaufen wollte. Knapp zehn Jahre hatte die Hamburger risten aus der DDR Strafminderung an, Wie sich später herausstellte, hatte Boock Anwaltstochter in der DDR als Mensch wenn sie als Kronzeugen aussagen wür- keineswegs Krebs – er war schlicht rausch- ohne Vergangenheit gelebt. Zuletzt fürch- den. Und das taten sie alle, um sich eine giftsüchtig und brauchte mehrere Spritzen tete sie, verrückt zu werden. Im Juli 1977 lebenslange Freiheitsstrafe zu ersparen. am Tag. Auch als Stefan Wisniewski im Mai hatte Albrecht die Mörder des Bankiers Aus den detaillierten Schilderungen der 1978 in Paris verhaftet wurde, hatte er 44 Jürgen Ponto, der ein guter Freund ihres DDR-Aussteiger erfuhren die Bundesan- Ampullen Drogen für Boock im Gepäck. Vaters war, in dessen Haus in Oberursel wälte jetzt auch, in welch desolater Verfas- Willy Peter Stoll, einer der Schützen bei geführt. Seitdem hatten Terrorfahnder des sung sich die RAF nach dem Scheitern der der Entführung Schleyers, wurde im Sep- Bundeskriminalamts (BKA) sie auf der „Offensive 77“ und dem Tod der RAF- tember 1978 in Düsseldorf in einem China- ganzen Welt gesucht. Führung in Stammheim befand. „Alle Hoff- restaurant von Polizisten erschossen; eben- Mal dachten BKA-Beamte, sie lebe in nungen waren futsch, Ratlosigkeit machte so Elisabeth van Dyck im Mai 1979 in einer Beirut, mal sollte sie in Nicaragua unterge- sich breit“, gab Sigrid Sternebeck zu Pro- konspirativen Wohnung in Nürnberg. Fünf taucht sein. Doch Albrecht hatte in Wahr- tokoll. Niemand in der Gruppe habe mit Wochen später wurde Rolf Heißler bei sei- heit im deutschen Arbeiter-und-Bauern- einem solchen Ende gerechnet. „Ich war ner Festnahme in Frankfurt durch einen Staat Asyl gefunden. Und nicht nur sie. verzweifelt und sah keine Perspektive.“ Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Stasi-Chef Mielke (1985), Ex-Terroristin Sternebeck mit Tochter in der DDR, Albrecht-Domizil in Ost-Berlin, RAF-Aussteigerin Albrecht (M.)*: Mit 62 der spiegel 44/2007 KURT STRUMPF / AP STRUMPF KURT Gesprengte Limousine des Bankiers Herrhausen in Bad Homburg 1989: Punktgenaue Zündung mittels Lichtschranke Dennoch schlug die RAF im Juni 1979 gültig klar, dass acht Mitglieder die RAF stabil, und zweitens würde eine Gruppe zum ersten Mal seit dem Deutschen Herbst verlassen wollten. „Ich hatte zu viel Angst, von Weißen sofort auffallen. Der Leiter wieder zu. Unweit von Brüssel zündete irgendetwas zu machen“, sagte einer von Hauptabteilung XXII fragte den Stasi-Chef Rolf Klemens Wagner per Funk in einem ihnen später. Erich Mielke um Rat in der delikaten An- unter eine Straße getriebenen Stollen Mohnhaupt und Christian Klar – seit gelegenheit, und der Genosse Minister einen Sprengsatz, als der Nato-General Boock sich abgesetzt hatte das Führungs- sagte nur: „Dann kommen sie doch ein- Alexander Haig auf dem Weg zum Haupt- paar – suchten nach einer Möglichkeit, fach zu uns.“ quartier war. Da Wagner die Detonation die Aussteiger sicher unterzubringen. Zu- Der Rückzug in den Realsozialismus war Sekundenbruchteile zu spät auslöste, wur- nächst mussten sie ihre Waffen abgeben. In perfekt organisiert. Jeder Aussteiger er- den drei Personenschützer in einem Be- einem Ferienhaus in der Bretagne warteten hielt aus einer Kasse der RAF 3000 D-Mark gleitfahrzeug nur leicht verletzt. Die Er- sie darauf, dass ein sicheres Exil für sie „als Startkapital“, wie einer von ihnen klärung des „Kommandos Andreas Baa- organisiert würde. Ein sozialistisches Land aussagte. Wenige Wochen nach der Asyl- der“ endete mit dem Satz: „Der Kampf in der Dritten Welt lag nahe. Um sich für offerte reisten acht Aussteiger in drei hört nie auf.“ ein neues Leben in Mosambik oder Ango- Gruppen Richtung DDR, Inge Viett und Die Durchhalteparole verfing allerdings la vorzubereiten, lernten die Aussteiger Henning Beer folgten. „Palästinensische nicht mehr bei allen: Ende 1979 war end- schon Portugiesisch. Genossen“, berichtete der RAF-Mann Doch es kam anders. Die Fäden zog eine Werner Lotze später, hätten „mündlich erfahrene Veteranin des deutschen Terro- einen konkreten Ablaufplan“ übermittelt. rismus: Inge Viett. Im Frühjahr 1978 hatte So seien er und seine Lebensgefährtin von sie, eher zufällig, auf dem Ost-Berliner Frankreich aus erst mit dem Zug in die Flughafen Schönefeld den Stasi-Major Schweiz nach Genf gefahren, dann über Harry Dahl kennengelernt; als sie im Juni Zürich nach Wien. bei der Durchreise in der —SSR zusammen Von dort aus ging es nach Prag, erst ins mit zwei anderen Frauen festgenommen Parkhotel, dann ins Hotel Solidarität – ein wurde, eilte Genosse Harry sofort nach schönes Synonym für die erstaunliche Prag – und eiste das Trio los. Gastfreundschaft der DDR. Eine „unrühm- Ende Mai 1980 sprach Inge Viett mit liche, heimliche wie unheimliche Koope- Dahl und einem seiner Kollegen aus der ration“ nannte Bundestagspräsident Nor- für Terrorabwehr zuständigen Hauptab- bert Lammert Mielkes Hilfe vergangene teilung XXII des Ministeriums für Staats- Woche bei einer Gedenkveranstaltung für sicherheit (MfS) über die Pläne für ein die RAF-Opfer in Berlin. Exil in Afrika. Die Geheimen rieten ab. Der Stasi-Chef und seine Männer gingen Erstens sei die politische Lage dort in- dabei ein hohes Risiko ein. Hätte die Bun- METIN YILMAZ / ZENIT (3.V.L.) / ZENIT METIN YILMAZ desregierung von der Aufnahme ihrer Tod- falscher Identität im für sie richtigen System * Mit Arbeitskolleginnen 1986 in der DDR. feinde erfahren, hätte es trotz aller Ent- der spiegel 44/2007 63 RAF-Serie (VIII): Die dritte Generation Daraus wurde nichts. Am 11. November 1982 näherten sich zwei mit einem Klapp- spaten ausgerüstete Frauen in einem Wald bei Heusenstamm südlich von Offenbach dem wichtigsten mit Waffen und Doku- menten bestückten Erddepot der RAF. GSG-9-Männer hatten keine Mühe, Brigit- te Mohnhaupt sowie Klars Jugendfreun- din Adelheid Schulz festzunehmen. Nur fünf Tage später lagen in der Nähe eines anderen Depots mit dem Deckna- men „Daphne“ nahe Hamburg mehrere Dutzend Polizisten auf der Lauer. Der Mann im Trainingsanzug, der ihnen dann in die Arme lief und sich widerstandslos festnehmen ließ, war Christian Klar. Das Bundeskriminalamt verbreitete, dass Pilzsammler das einen halben Meter unter der Erdoberfläche verborgene Zen- traldepot bei Heusenstamm entdeckt hät- ten. Glaubhafter sind Informationen eines ehemaligen Terrorfahnders, nach denen die RAF-Gefangene Verena Becker bei DPA (O.) DPA Vernehmungen durch Verfassungsschützer BKA-Nachbildungen gesuchter RAF-Frauen (1982): „Ein Armutszeugnis“ den entscheidenden Tipp gab. In jedem spannungspolitik zu einer schweren inner- „Schießkino“ und auf frei- deutschen Krise kommen können. er Fläche. Die Aussteiger wurden in einem „kon- Ungeklärt blieb bis spirativen Objekt“ der Staatssicherheit heute, wann genau die nahe Frankfurt (Oder)
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