Serie (VIII): Die dritte Generation „Der Kampf hört nie auf“ Obwohl fast die Hälfte ihrer Kader sich 1980 in die DDR absetzte und der Rest der zweiten Generation verhaftet wurde, mordete die RAF weiter: Die dritte Generation ging zur Genickschusstaktik über – und hinterließ viele Rätsel. Von Georg Bönisch und Michael Sontheimer

s waren fünf Kriminalpolizisten der Sechs Tage nach Albrecht wurde Inge Der größte Teil der Gruppe saß demo- untergehenden DDR, die am 6. Juni Viett, die 1980 von der Bewegung 2. Juni ralisiert in einem RAF-Quartier in Bagdad. E 1990 für die größte Überraschung in zur RAF gekommen war, in Magdeburg Peter-Jürgen Boock klagte dort etwa, er der Geschichte der RAF sorgten: Die Er- festgenommen; zwei Tage darauf zwei habe Darmkrebs, ihn quälten ständige mittler des Zentralen Kriminalamts hatten ehemalige Terroristen in Senftenberg; ein Schmerzen und er brauche deshalb starke den Plattenbau in der Rosenbecker Straße weiteres Ex-RAF-Paar am selben Tag in Medikamente. Seine Freundin Brigitte 3 im Ost-Berliner Stadtteil Marzahn ob- (Oder); einen Tag später noch Mohnhaupt schickte zwei erst im Sommer serviert. Als eine Frau mit Pagenschnitt in zwei RAF-Aussteiger in Schwedt. Schließ- 1977 zur RAF gestoßene Männer – Gert dem Haus verschwand, gingen sie hinter- lich holten DDR-Kriminalpolizisten ein Schneider und den Schauspieler Christof her und klingelten an der Wohnung 0201 letztes Paar am 18. Juni 1990 in Neubran- Wackernagel – aus Bagdad nach Amster- mit dem Namensschild „Becker“. denburg ab. Da waren es dann zehn. dam, um Drogen zu beschaffen, darunter „Um einen Sachverhalt zu klären“, wie DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel auch Haschisch und Kokain. es die Kripo-Männer formulierten, möge hatte die Ex-RAF-Terroristen mit Unter- Doch die Polizei observierte die dortige Ingrid Becker doch bitte mitkommen. „Ich stützung von Stasi-Offizieren an seinen Bon- konspirative Wohnung. Als Beamte die bei- möchte gleich zu Beginn meiner Befragung ner Kollegen Wolfgang Schäuble geliefert – den Drogenkuriere vor der Tür stellten, erklären, dass meine eigentliche Identität als Morgengabe zur deutschen Einheit. schossen diese sofort und warfen eine Hand- nicht die der Becker Ingrid ist“, gab diese Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, granate. Sie wurden dennoch verhaftet. Kurz zu Protokoll. Ihr wahrer Name, sagte sie, der es bis dahin kaum gelungen war, die darauf nahmen Fahnder nach einer Schieße- sei . Mordserie der RAF im Deutschen Herbst rei eine RAF-Frau fest, die mit einem ge- Obwohl sie umgehend festgenommen 1977 genauer aufzuklären, konnte neue fälschten Rezept in einer Hamburger Apo- wurde, war Susanne Albrecht erleichtert. Hoffnung schöpfen. Sie bot den Ex-Terro- theke Drogen für Boock kaufen wollte. Knapp zehn Jahre hatte die Hamburger risten aus der DDR Strafminderung an, Wie sich später herausstellte, hatte Boock Anwaltstochter in der DDR als Mensch wenn sie als Kronzeugen aussagen wür- keineswegs Krebs – er war schlicht rausch- ohne Vergangenheit gelebt. Zuletzt fürch- den. Und das taten sie alle, um sich eine giftsüchtig und brauchte mehrere Spritzen tete sie, verrückt zu werden. Im Juli 1977 lebenslange Freiheitsstrafe zu ersparen. am Tag. Auch als im Mai hatte Albrecht die Mörder des Bankiers Aus den detaillierten Schilderungen der 1978 in Paris verhaftet wurde, hatte er 44 Jürgen Ponto, der ein guter Freund ihres DDR-Aussteiger erfuhren die Bundesan- Ampullen Drogen für Boock im Gepäck. Vaters war, in dessen Haus in Oberursel wälte jetzt auch, in welch desolater Verfas- Willy Peter Stoll, einer der Schützen bei geführt. Seitdem hatten Terrorfahnder des sung sich die RAF nach dem Scheitern der der Entführung Schleyers, wurde im Sep- Bundeskriminalamts (BKA) sie auf der „Offensive 77“ und dem Tod der RAF- tember 1978 in Düsseldorf in einem China- ganzen Welt gesucht. Führung in Stammheim befand. „Alle Hoff- restaurant von Polizisten erschossen; eben- Mal dachten BKA-Beamte, sie lebe in nungen waren futsch, Ratlosigkeit machte so Elisabeth van Dyck im Mai 1979 in einer Beirut, mal sollte sie in Nicaragua unterge- sich breit“, gab Sigrid Sternebeck zu Pro- konspirativen Wohnung in Nürnberg. Fünf taucht sein. Doch Albrecht hatte in Wahr- tokoll. Niemand in der Gruppe habe mit Wochen später wurde Rolf Heißler bei sei- heit im deutschen Arbeiter-und-Bauern- einem solchen Ende gerechnet. „Ich war ner Festnahme in Frankfurt durch einen Staat Asyl gefunden. Und nicht nur sie. verzweifelt und sah keine Perspektive.“ Kopfschuss lebensgefährlich verletzt.

Stasi-Chef Mielke (1985), Ex-Terroristin Sternebeck mit Tochter in der DDR, Albrecht-Domizil in Ost-Berlin, RAF-Aussteigerin Albrecht (M.)*: Mit

62 der spiegel 44/2007 KURT STRUMPF / AP STRUMPF KURT Gesprengte Limousine des Bankiers Herrhausen in Bad Homburg 1989: Punktgenaue Zündung mittels Lichtschranke

Dennoch schlug die RAF im Juni 1979 gültig klar, dass acht Mitglieder die RAF stabil, und zweitens würde eine Gruppe zum ersten Mal seit dem Deutschen Herbst verlassen wollten. „Ich hatte zu viel Angst, von Weißen sofort auffallen. Der Leiter wieder zu. Unweit von Brüssel zündete irgendetwas zu machen“, sagte einer von Hauptabteilung XXII fragte den Stasi-Chef Rolf Klemens Wagner per Funk in einem ihnen später. Erich Mielke um Rat in der delikaten An- unter eine Straße getriebenen Stollen Mohnhaupt und – seit gelegenheit, und der Genosse Minister einen Sprengsatz, als der Nato-General Boock sich abgesetzt hatte das Führungs- sagte nur: „Dann kommen sie doch ein- Alexander Haig auf dem Weg zum Haupt- paar – suchten nach einer Möglichkeit, fach zu uns.“ quartier war. Da Wagner die Detonation die Aussteiger sicher unterzubringen. Zu- Der Rückzug in den Realsozialismus war Sekundenbruchteile zu spät auslöste, wur- nächst mussten sie ihre Waffen abgeben. In perfekt organisiert. Jeder Aussteiger er- den drei Personenschützer in einem Be- einem Ferienhaus in der Bretagne warteten hielt aus einer Kasse der RAF 3000 D-Mark gleitfahrzeug nur leicht verletzt. Die Er- sie darauf, dass ein sicheres Exil für sie „als Startkapital“, wie einer von ihnen klärung des „Kommandos Andreas Baa- organisiert würde. Ein sozialistisches Land aussagte. Wenige Wochen nach der Asyl- der“ endete mit dem Satz: „Der Kampf in der Dritten Welt lag nahe. Um sich für offerte reisten acht Aussteiger in drei hört nie auf.“ ein neues Leben in Mosambik oder Ango- Gruppen Richtung DDR, Inge Viett und Die Durchhalteparole verfing allerdings la vorzubereiten, lernten die Aussteiger Henning Beer folgten. „Palästinensische nicht mehr bei allen: Ende 1979 war end- schon Portugiesisch. Genossen“, berichtete der RAF-Mann Doch es kam anders. Die Fäden zog eine Werner Lotze später, hätten „mündlich erfahrene Veteranin des deutschen Terro- einen konkreten Ablaufplan“ übermittelt. rismus: Inge Viett. Im Frühjahr 1978 hatte So seien er und seine Lebensgefährtin von sie, eher zufällig, auf dem Ost-Berliner Frankreich aus erst mit dem Zug in die Flughafen Schönefeld den Stasi-Major Schweiz nach Genf gefahren, dann über Harry Dahl kennengelernt; als sie im Juni Zürich nach Wien. bei der Durchreise in der —SSR zusammen Von dort aus ging es nach Prag, erst ins mit zwei anderen Frauen festgenommen Parkhotel, dann ins Hotel Solidarität – ein wurde, eilte Genosse Harry sofort nach schönes Synonym für die erstaunliche Prag – und eiste das Trio los. Gastfreundschaft der DDR. Eine „unrühm- Ende Mai 1980 sprach Inge Viett mit liche, heimliche wie unheimliche Koope- Dahl und einem seiner Kollegen aus der ration“ nannte Bundestagspräsident Nor- für Terrorabwehr zuständigen Hauptab- bert Lammert Mielkes Hilfe vergangene teilung XXII des Ministeriums für Staats- Woche bei einer Gedenkveranstaltung für sicherheit (MfS) über die Pläne für ein die RAF-Opfer in Berlin. Exil in Afrika. Die Geheimen rieten ab. Der Stasi-Chef und seine Männer gingen Erstens sei die politische Lage dort in- dabei ein hohes Risiko ein. Hätte die Bun-

METIN YILMAZ / ZENIT (3.V.L.) / ZENIT METIN YILMAZ desregierung von der Aufnahme ihrer Tod- falscher Identität im für sie richtigen System * Mit Arbeitskolleginnen 1986 in der DDR. feinde erfahren, hätte es trotz aller Ent-

der spiegel 44/2007 63 RAF-Serie (VIII): Die dritte Generation

Daraus wurde nichts. Am 11. November 1982 näherten sich zwei mit einem Klapp- spaten ausgerüstete Frauen in einem Wald bei Heusenstamm südlich von Offenbach dem wichtigsten mit Waffen und Doku- menten bestückten Erddepot der RAF. GSG-9-Männer hatten keine Mühe, Brigit- te Mohnhaupt sowie Klars Jugendfreun- din festzunehmen. Nur fünf Tage später lagen in der Nähe eines anderen Depots mit dem Deckna- men „Daphne“ nahe Hamburg mehrere Dutzend Polizisten auf der Lauer. Der Mann im Trainingsanzug, der ihnen dann in die Arme lief und sich widerstandslos festnehmen ließ, war Christian Klar. Das Bundeskriminalamt verbreitete, dass Pilzsammler das einen halben Meter unter der Erdoberfläche verborgene Zen- traldepot bei Heusenstamm entdeckt hät- ten. Glaubhafter sind Informationen eines ehemaligen Terrorfahnders, nach denen die RAF-Gefangene bei

DPA (O.) DPA Vernehmungen durch Verfassungsschützer BKA-Nachbildungen gesuchter RAF-Frauen (1982): „Ein Armutszeugnis“ den entscheidenden Tipp gab. In jedem spannungspolitik zu einer schweren inner- „Schießkino“ und auf frei- deutschen Krise kommen können. er Fläche. Die Aussteiger wurden in einem „kon- Ungeklärt blieb bis spirativen Objekt“ der Staatssicherheit heute, wann genau die nahe Frankfurt (Oder) untergebracht und Lehrstunden gegeben wur- in DDR-Staatsbürgerkunde unterwiesen. den – im Sommer 1981 Sie mussten sich detaillierte Biografien aus- oder erst Anfang des Jah- denken, die die Stasi mit gefälschten Do- res 1982. Mit einer Panzer- RAF-Panzerfaust RPG-7: Spezialtraining im „Schießkino“ kumenten legalisierte. Zur Übergabe der faust RPG-7 beschoss näm- Staatsbürgerschaftsurkunden organisierten lich ein Kommando mit Klar und drei wei- Fall waren nun alle Vertreter der zweiten die MfS-Betreuer eigens eine kleine Feier teren RAF-Kadern am 15. September 1981 Generation außer Gefecht gesetzt. Die im konspirativen Unterschlupf. in Heidelberg die Mercedes-Limousine RAF existierte jetzt nur noch in Gestalt Susanne Albrecht hieß nun „Ingrid Jä- des US-amerikanischen Generals Frederick von Gefangenen. ger“, war angeblich in Madrid geboren und Kroesen. Ein Übungsschießen vor diesem Die erste Spur zu dem Versteck im wegen ihrer Ablehnung des Kapitalismus in Anschlag könnte für die Stasi-Offiziere eine Osten wurde im Westen am 13. Juni 1985 der Bundesrepublik in die DDR übergesie- Anklage wegen Beihilfe zum versuchten aktenkundig: Auf der Polizeistation im delt. Alsbald begann sie ein Fernstudium an Mord nach sich ziehen. schwäbischen Möglingen gab ein junger der Leipziger Karl-Marx-Universität mit DDR-Übersiedler zu Protokoll, er sei ab- dem Ziel, Englischlehrerin zu werden. Silke ährend sich die Aussteiger im Ar- solut sicher, dass die als RAF-Mitglied ge- Maier-Witt (Aliasname: „Angelika Gerlach“) beiter-und-Bauern-Staat einlebten, suchte Silke Maier-Witt unter dem Namen schrieb sich in Erfurt ein für eine Ausbil- W veröffentlichte die RAF im Mai „Angelika Gerlach“ in Erfurt lebe: „Ich dung zum „Facharbeiter Krankenpflege“. 1982 zum ersten Mal seit den von Ulrike habe mit ihr an der Medizinischen Fach- Werner Lotze und Christine Dümlein Meinhof über zehn Jahre zuvor verfassten schule Weimar studiert.“ waren „Manfred und Katharina Janssen“. programmatischen Schriften wieder ein Der falsche Name stimmte tatsächlich, Sie wurde Sekretärin der Betriebsberufs- längeres Papier, Titel: „Guerilla, Wider- und die Stasi-Offiziere wurden nervös. schule des VEB Synthesewerk Schwarzhei- stand und antiimperialistische Front“. „Du musst sofort aus Erfurt verschwin- de, er „Ofenfahrer“ im Dreischichtsystem. „Wir haben 1977 Fehler gemacht“, hieß den“, erklärte ein MfS-Hauptmann der Lotze brachte es dann sogar zum Schicht- es darin, „und die Offensive wurde unsere Ex-Terroristin. Ihre Wohnung in der Mos- leiter und Trainer der Ruderer bei der härteste Niederlage.“ Die Entführung des kauer Straße 18 wurde sofort gesäubert; Sportgemeinschaft Dynamo Senftenberg. Lufthansa-Jets „Landshut“ durch verbün- sie verschwand aus Erfurt. In Ost-Berlin Aber die Stasi beherbergte nicht nur dete Palästinenser wurde zwar kritisiert, erhielt sie nicht nur ihre nächste Identität: die Aussteiger, sondern unterstützte auch doch der Selbstbetrug behielt die Ober- „Sylvia Beyer“, angeblich geboren am die Rest-RAF im Westen unter Führung hand. So erklärten die RAF-Kader zum 18. Oktober 1948 in Moskau. Auf Weisung von Mohnhaupt und Klar. Stasi-Offiziere Deutschen Herbst, „dass wir stärker als ihres Führungsoffiziers unterzog sie sich bildeten sieben aktive RAF-Mitglieder vorher daraus hervorgekommen sind“. Es auch einer Gesichtsoperation – ihre Nase aus, in Sprengstofftechnik und an Waf- sei jetzt „möglich und notwendig“, so die wurde begradigt. Nach einer kleinen Odys- fen bis hin zur Panzerfaust RPG-7, ei- Devise, „einen neuen Abschnitt in der re- see durch eine Handvoll konspirativer nem sowjetischen Modell. Sechs Wochen volutionären Strategie im imperialistischen Wohnungen in Ost-Berlin und im Umland dauerte das Spezialtraining in einem Zentrum zu entfalten“. bekam sie einen neuen Job als Leiterin der Informationsstelle im VEB Pharma Neu- brandenburg. Stasi-Offiziere bildeten sieben aktive Anfangs trafen sich die Ex-RAFler ein- RAF-Mitglieder aus, in Sprengtechnik. mal im Jahr, um den Tag ihrer Einbürge-

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später, nach dem Absitzen einer vierjäh- rigen Haftstrafe, wieder in den Untergrund ging. In dem Frankfurter Unterschlupf be- schlagnahmten die Beamten zudem 8400 Blatt Dokumente: vor allem Strategie- papiere und Rechercheunterlagen. In Letz- teren fanden sich Hinweise auf RAF-An- schlagsziele, zum Beispiel auf die Manager Ernst Zimmermann und Karl Heinz Beckurts. Als die RAF-Experten bei der Stasi von den Umständen der Verhaftung erfuhren, kamen sie zu dem Schluss: „Mit solchen Amateuren wollen wir nichts zu tun haben.“

Späteinsteiger Grams (1972), Hogefeld: „Die gurgelt morgens mit Salzsäure“ och es waren immer noch RAF-Leu- te in Freiheit. habe D beim Wiederaufbau, so schrieb später, eine entscheidende Rolle ge- spielt. „Ohne ihn und seine Zähigkeit, mit der er alle praktischen Probleme angefasst und gelöst hat, wäre das nicht gegangen. Wir waren wenige, hatten so gut wie nichts in der Hand, kaum Waffen, kein Geld, wenig Erfahrung in der Organisierung der Illegalität.“ Aber schon vier Monate nach den Fest- nahmen in Frankfurt erbeuteten RAF-Mit- glieder bei einem Überfall auf ein Waffen-

JÜRGEN HERBER (L.O.); DPA (R.O.); DPA (U.) (U.) DPA (R.O.); DPA JÜRGEN HERBER (L.O.); geschäft in Maxdorf bei Ludwigshafen un- RAF-Terroristen Garweg, Klette, Staub: „Keine politische Perspektive“ ter anderem 22 Pistolen und 2800 Schuss Munition. Das Arsenal war wieder gut rung zu feiern. Bei Korn und Bier erzähl- Adolf Hitlers Lieblingskomponist Richard gefüllt. Und sechs Wochen später – am ten sie von ihrem neuen Leben. Niemand Wagner. Germanische Nibelungentreue 18. Dezember 1984 – stellte ein RAF-Mit- klagte, ihnen gefiel der Honecker-Sozia- war es auch, die Anfang 1984 drei lang- glied einen mit einer 25-Kilogramm-Bom- lismus. „Alle Personen“, notierte ein Stasi- jährige RAF-Unterstützer dazu brachte, be beladenen Pkw auf dem Gelände der Betreuer zufrieden, „haben sich fest in das in den Untergrund zu gehen: die Wies- Nato-Schule in Oberammergau ab, doch berufliche und öffentliche Leben einge- badener und Wolfgang der Zündmechanismus versagte. gliedert.“ Ihre Existenz mit falscher Iden- Grams sowie die Schwäbin Eva Haule. Sie Die RAF hatte inzwischen eine strate- tität im für sie richtigen System endete alle hatten über Jahre hinweg RAF-Mit- gische Allianz mit einer kleinen fran- erst, als auch die DDR vor ihrem Unter- glieder im Gefängnis besucht. zösischen Terrorgruppe geschlossen, der gang stand. Grams war schon bei der Besetzung des Action directe. Ende Januar 1985 erschoss Aber warum machte die RAF im Westen Amnesty-International-Büros im Herbst ein Kommando der Action directe bei Pa- immer weiter? Warum fanden sich immer 1974 dabei. Für seine Freundin Hogefeld ris einen Direktor des Verteidigungsminis- wieder Nachfolger, die den ebenso blutigen war der Hungertod des RAF-Manns Hol- teriums. Wie eng die Gruppe mit der RAF wie hoffnungslosen Privatkrieg gegen Ka- ger Meins das Erweckungserlebnis. Die liiert war, zeigte das Bekennerschreiben: Es pitalismus und Staat weiterführten? ehemalige Jurastudentin und Orgellehrerin war von einem „Kommando Elisabeth von Die RAF, so der einzig plausible Er- galt als derart fanatisch, dass die Illegalen Dyck“ unterzeichnet. klärungsansatz, war – trotz ihrer Theorie sie zunächst nicht aufnehmen wollten. Eine Woche nach dem Mord in Frank- vom internationalen Befreiungskampf – „Die gurgelt morgens mit Salzsäure“, läs- reich klingelte eine zierliche Frau am Bun- sehr deutsch. Kapitulieren kam nicht in terten sie über Hogefeld. galow des Rüstungsmanagers Ernst Zim- Frage. Man stand auf der richtigen Seite, Die drei Neulinge im Untergrund muss- mermann in Gauting bei München. Sie gab wähnte sich als Vollstrecker der Geschich- ten bald einen herben Rückschlag hinneh- sich als Botin aus, die eine Unterschrift te und hatte bis zum Endsieg zu kämpfen. men. Nachdem sich mehrere RAF-Kader vom Hausherrn brauche. Als der kam, Aber auch den Vertretern des attackier- in einer konspirativen Wohnung in Frank- stand plötzlich auch ein Mann mit Maschi- ten Staats waren eine flexible Taktik oder furt versammelt hatten, ging einem die nenpistole in der Tür. Das Duo fesselte das gar der Gedanke an Zugeständnisse lange Pistole los. Das Projektil durchschlug den Ehepaar Zimmermann, dann führten die fremd. Nach dem Deutschen Herbst saßen Fußboden zur darunterliegenden Woh- beiden den Vorstandsvorsitzenden der Fir- die meisten RAF-Gefangenen wieder über nung eines Elektromeisters. ma MTU, die Turbinen für „Tornado“- Jahre in strenger Einzelhaft isoliert und Der Handwerker rief die Polizei. Die Kampfjets und Motoren für „Leopard“- konservierten in Hochsicherheitstrakten nahm auf einen Schlag sechs RAF-Mit- Panzer baut, in sein Schlafzimmer. Zim- ihr wahnhaftes Weltbild. glieder fest: neben Helmut Pohl, der schon mermann wurde mit einem Schuss in den „Deutsch sein heißt, eine Sache um ih- der ersten Generation der Gruppe an- Kopf ermordet. rer selbst willen tun“, postulierte schon gehörte, auch Ernst-Volker Staub, der Die dritte Generation der RAF hatte zu ihrer Genickschusstaktik gefunden. Den Fahndern wurde auch schnell klar, dass die Man stand auf der richtigen Seite und Neuen handwerklich wesentlich professio- hatte bis zum Endsieg zu kämpfen. neller arbeiteten als ihre Vorgänger. Ob-

66 der spiegel 44/2007 RAF-Serie (VIII): Die dritte Generation DPA (L.); ACTION PRESS (R.) (L.); ACTION DPA Gefängnis Weiterstadt nach Anschlag 1993, Mordopfer Rohwedder 1991: „Der Staat muss zur Versöhnung bereit sein“ wohl die Mörder Zimmermanns keine nicht diesen verklärten, sozialarbeiteri- Die Verhaftung Haules konnte die RAF- Handschuhe trugen, hinterließen sie nicht schen Blick.“ Killer aber nicht stoppen. Am Abend des einen Fingerabdruck. Offenbar hatten sie Am 9. Juli 1986 sprengte eines ihrer 10. Oktober 1986 stieg Gerold von Braun- ihre Hände mit Spray „versiegelt“, wie es Kommandos die BMW-Limousine des mühl, Leiter der Politischen Abteilung im ein Fahnder ausdrückt. Siemens-Vorstandsmitglieds Karl Heinz Auswärtigen Amt in Bonn, vor seinem Die Terroristen schlüpften auch nicht Beckurts. Beckurts hatte sich für den Aus- Haus aus einem Taxi. Als der Spitzenbe- mehr bei Freunden unter wie einst Ulrike bau der Atomenergie eingesetzt. Er musste amte seine Aktentaschen aus dem Koffer- Meinhof oder mieteten mit falschen Pa- sterben, weil sich die RAF bei der Anti- raum hob, tauchte eine kleine vermumm- pieren Wohnungen. Stattdessen übernah- AKW-Bewegung anbiedern wollte. te Person auf. Sie schoss Braunmühl drei- men sie Studentenbuden, deren Mieter für „Wir hätten im Grunde 1977, spätestens mal in den Oberkörper. Er schleppte sich längere Zeit ins Ausland gingen. Solche aber nach den Verhaftungen 1984 aufhören noch auf die andere Straßenseite – wo ihn Untermieter konnte das BKA auch mittels sollen“, sagt heute ein Mann der zweiten ein zweiter Vermummter mit zwei Schüs- verfeinerter Rasterfahndung nicht mehr RAF-Generation: „Ab Mitte der achtziger sen in den Kopf tötete. aufspüren. Autos wurden höchstens für Jahre hatten die Aktionen überhaupt keine Bei einer der Tatwaffen handelte es sich Anschläge gemietet, gewöhnlich bewegten Linie mehr. Es gab keine politische Perspek- um jene Smith & Wesson, mit der auch sich die Terroristen mit öffentlichen Ver- tive.“ Einzelne RAF-Gefangene versuchten, Hanns Martin Schleyer erschossen worden kehrsmitteln. auf die Illegalen Einfluss zu nehmen. Aber war. Die Waffe wurde bis heute nicht ge- Auf den Zimmermann-Mord folgte ein es fehlte die Einigkeit unter ihnen. funden. Der in der Öffentlichkeit kaum Anschlag, mit dem die RAF auch noch die bekannte, parteilose Braunmühl war für letzten Sympathien in der linksradikalen er genau zur dritten Generation das „Kommando Ingrid Schubert“ eine Szene verspielte: Am Abend des 7. Au- zählte, ist bis heute unklar. Sicher „der zentralen figuren in der formierung gust 1985 machte eine Frau in der Wies- W ist, dass es sich um eine deutlich westeuropäischer politik im imperialisti- badener Discothek Western Saloon dem kleinere Gruppe handelte als die rund schen gesamtsystem“. 20-jährigen US-Soldaten Edward Pimen- 20 Köpfe starke Truppe, die im Deutschen Nach einem weiteren, allerdings ge- tal schöne Augen. Der GI verließ in freu- Herbst die Machtfrage stellte. Die „Kom- scheiterten Attentat auf den Finanzstaats- diger Erwartung eines sexuellen Aben- mandoebene“ hatte wahrscheinlich an die sekretär im September teuers mit ihr die Disco – und wurde am zehn Mitglieder. Eine zentrale Position 1988 in Bonn herrschte über ein Jahr Ruhe. nächsten Morgen erschossen im Wiesba- nahmen Hogefeld und ihr Freund Grams Generalbundesanwalt Kurt Rebmann ver- dener Stadtwald gefunden. Das Oberlan- ein. Das Paar bildete die Doppelspitze, so kündete schon, die RAF sei „nicht mehr so desgericht Frankfurt kam später zur Auf- wie vor ihnen Gudrun Ensslin und An- gefährlich wie früher“. Doch dann ging ein fassung, dass Birgit Hogefeld der Lock- dreas Baader und dann Brigitte Mohn- RAF-Kommando mit einer technischen vogel gewesen sei. haupt und Peter-Jürgen Boock. Präzision ans Werk, die Politiker und Wirt- Warum der amerikanische Soldat ster- Einer der ganz seltenen Fahndungser- schaftsmanager in Angst und Schrecken ben musste, zeigte sich kurz danach: Auf folge gelang der Polizei am 2. August 1986 versetzte. dem Parkplatz der Rhein-Main Air Base in Rüsselsheim. Da zwei jüngere Frauen Als Alfred Herrhausen, Vorstandsspre- explodierte eine Autobombe. Ein US-Sol- und ein Mann in einem Eiscafé immer hek- cher der Deutschen Bank, am 30. Novem- dat und eine Zivilangestellte kamen zu tisch ihre Papiere abdeckten, sobald sich ber 1989 in einer gepanzerten Mercedes- Tode, 23 weitere Menschen wurden ver- die Kellnerin näherte, rief ein Gast die Poli- Limousine durch Bad Homburg chauffiert letzt. Die Attentäter hatten Pimentals zei. Als Beamte an den Tisch traten, ließ wurde, detonierte eine auf einem Fahrrad Dienstausweis benutzt, um auf das Gelän- Eva Haule ihre Pistole lieber stecken. Sie abgelegte, mit dem Sprengstoff TNT ge- de zu gelangen. und die beiden Unterstützer, mit denen sie füllte Hohlladungsmine. Die Panzerung Etliche Linke, auch RAF-Gefangene wie sich getroffen hatte, wurden festgenom- des Wagens half Herrhausen da auch nicht Karl-Heinz Dellwo, kritisierten öffentlich men. Doch bis zur nächsten Ergreifung ei- mehr, der Bankier und Vertraute von Bun- den Mord an dem jungen Soldaten. Die nes RAF-Mitglieds sollten sieben Jahre ver- deskanzler Helmut Kohl starb, von Split- Illegalen antworteten nur kühl: „Wir haben gehen. tern tödlich getroffen. Mittels einer Licht- schranke war der Sprengsatz punktgenau gezündet worden. Die Mörder Zimmermanns hatten ihre Nach einem gescheiterten Attentat auf Hände offenbar mit Spray „versiegelt“. Innenstaatssekretär Hans Neusel im Juli

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gläubig fest: „An einem solchen Tag löst sich eine RAF, wie ich sie kenne, nicht auf.“ Die RAF war aber nicht mehr die RAF, die Herold von 1971 bis zu seinem Rück- tritt 1981 bekämpft hatte. Wer sich zuletzt hinter dem Logo mit dem Stern und der Maschinenpistole verbarg, ist bis heute ungeklärt. „Sie wissen nicht viel über uns“, hatte die Terrortruppe sich noch 1996 gebrüstet. „Sie haben noch nie wirk- lich durchgeblickt, wie unsere struktu- ren aussehen oder wer in der raf organi- siert ist.“ Die Anschläge der dritten Generation, bei denen 10 Menschen ermordet und 29 verletzt wurden, bleiben rätselhaft. Wo die Terroristen der dritten Generation über all die Jahre gelebt haben, wissen nur sie

DER SPIEGEL selbst. Tödlich verletzter Grams in Bad Kleinen 1993: „Die RAF ist nun Geschichte“ Patrick von Braunmühl, dessen Vater von der RAF ermordet wurde, sagt: „Dass 1990 in Bonn versuchte die RAF ein Drei- Mann Burkhard Garweg dabei. Alle drei der enorme Verfolgungsapparat bislang vierteljahr später, bei den Ostdeutschen, werden bis heute gesucht. über die dritte Generation fast nichts her- die sich durch die deutsche Einheit be- Die RAF hatte zu diesem Zeitpunkt fast ausgefunden hat, ist ein Armutszeugnis.“ trogen sahen, Punkte zu machen: Ein 23 lange Jahre gebombt und geschossen. BKA-Experten unterzogen alte RAF- RAF-Mitglied erschoss am 1. April 1991 RAF-Mitglieder hatten 32 Menschen er- Asservate DNA-Analysen. Neben den Er- mit einem Präzisionsgewehr den Treu- mordet, 19 aus ihren eigenen Reihen waren kenntnissen aus den in Weiterstadt zurück- handchef Detlev Karsten Rohwedder zu Tode gekommen. Die letzten beiden To- gelassenen Spuren konnten sie ein Haar, im Arbeitszimmer seines Hauses in Düs- ten gab es am 27. Juni 1993 auf dem Bahn- das an einem Handtuch unweit der Villa seldorf. hof der mecklenburgischen Kleinstadt Bad Rohwedders gefunden wurde, Wolfgang Angesichts des Scheiterns der schlich- Kleinen: Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams zuordnen. Ein Beweis, dass er der ten repressiven Taktik gegen die RAF und Grams wollten sich mit einem Unterstützer Todesschütze war, ist das nicht. mangels irgendwelcher Fahndungserfolge treffen, doch der arbeitete für den Verfas- Beamte des Verfassungsschutzes und des änderte der liberale Bundesjustizminister sungsschutz. Hogefeld wurde festgenom- BKA ermittelten routinemäßig auch die Klaus Kinkel danach den Kurs der Regie- men, Grams und der GSG-9-Beamte Mi- Kontaktpersonen der ihnen bekannten rung. Im Januar 1992 erklärte er: „Der chael Newrzella starben nach einem hefti- RAF-Mitglieder vor deren Abtauchen. Sie Staat muss dort, wo es angebracht ist, zur gen Schusswechsel. erstellten beispielsweise eine Liste von Versöhnung bereit sein.“ Der FDP-Mann Obwohl die RAF ohne Grams und Ho- Verdächtigen aus dem Umfeld von Eva startete ein Aussteigerprogramm und sorg- gefeld kaum mehr operationsfähig war, Haule. Doch Durchsuchungen oder Haft- te für Lockerungen bei den harten Haft- brauchte sie noch einmal fünf Jahre, um befehle ließen sich in keinem einzigen Fall bedingungen der RAF-Gefangenen. Kin- dem Irrsinn ein förmliches Ende zu berei- begründen. kels Initiative zeigte Wirkung: Gut drei ten: Im April 1998 ging im Kölner Büro der Sicher ist, dass die RAF-Terroristen der Monate später erklärten die Illegalen, sie Nachrichtenagentur Reuters ein in Chem- dritten Generation – so wie ihre Vorgänger wollten die „Eskalation zurücknehmen“. nitz abgesandtes achtseitiges Schreiben ein. – gute Kontakte zu Palästinensern hatten Es werde vorerst keine „Angriffe“ auf „Die stadtguerilla in form der raf ist nun und sich immer wieder über längere Zeit „führende repräsentanten von wirtschaft geschichte“, war darin zu lesen. „Das ende nach Syrien oder in den Libanon zurück- und staat“ mehr geben. dieses projekts zeigt“, hieß es lapidar, ziehen konnten. Um einen solchen handelte es sich bei „dass wir auf diesem weg nicht durch- Sowohl der als RAF-Mitglied gesuchte der letzten Aktion der RAF auch nicht: kommen konnten.“ Der bewaffnete Kampf Christoph Seidler, der 1984 abgetaucht war Fünf Vermummte überwältigten und fes- war aus der Sicht der RAF nur deshalb und sich 1996 stellte, als auch Andrea selten am 27. März 1993 im hessischen falsch, weil er keinen Erfolg hatte. Klump, die 1999 in Wien festgenommen Weiterstadt die Wachen eines kurz vor wurde, bestritten, jemals in der RAF ge- der Eröffnung stehenden Gefängnisses. ach einer Aufzählung aller seit der wesen zu sein. Das Gegenteil ließ sich ih- Anschließend jagten sie die Anlage mit 200 Gründung der RAF im Jahr 1970 zu nen nicht nachweisen. Kilogramm Sprengstoff in die Luft. N Tode gekommenen Kämpferinnen Eva Haule, die im August nach 21 Jahren Vor der Detonation hatten die Terroris- und Kämpfer zitierten die RAF-Auflöser, Haft entlassen wurde und in Berlin als ten sehr ordentlich die Zubringerstraßen ohne sie namentlich zu nennen, die Kom- Fotografin arbeitet, weiß vieles. Und Birgit abgesperrt und Warnschilder angebracht: munistin Rosa Luxemburg. Die hatte im Hogefeld, die in Frankfurt einsitzt, müsste „Knastsprengung in Kürze – Lebensgefahr. Januar 1919, einen Tag bevor sie ermordet nahezu alles über die Mordtaten der drit- Sofort wegrennen!“ Menschen wurden wurde, geschrieben: „Die Revolution sagt: ten Generation wissen. nicht verletzt; der Sachschaden betrug 130 Ich war, ich bin, ich werde sein.“ Aber die beiden Frauen wahren die Millionen Mark, die Explosion verzögerte Der Tag, an dem die Auflösungser- RAF-Tradition: Sie schweigen eisern. „Aus- die Eröffnung des Gefängnisses um vier klärung in Köln eintraf und veröffentlicht sagen über illegale strukturen und geheime Jahre. Am Tatort wurden Haare auf einem wurde, war der 20. April, der für ältere orte des exils“, hieß es in einer der letzten Teppichstück gefunden, die später mittels Deutsche unauslöschlich als „Führers Ge- RAF-Erklärungen vom November 1996, DNA-Analyse den Terroristen Ernst-Volker burtstag“ mit Adolf Hitler verbunden ist. „sind und bleiben absolut abzulehnen.“ Staub und Daniela Klette zugeordnet wur- Der einstige BKA-Chef Horst Herold, den. Wahrscheinlich war auch der RAF- schon 17 Jahre im Ruhestand, stellte un- Ende

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