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Faust Gliederung Des Vortrags I

Faust Gliederung Des Vortrags I

Prof. Dr. Bernhard Greiner: Universität Tübingen 1 Johann Wolfgang Goethe: Gliederung des Vortrags I. Die Faustgestalt

1. Das Faszinierende der Faust-Gestalt generell 2. Neue Züge der Faust-Gestalt bei Goethe

II. Das Faust-Drama Goethes (Erster Teil)

1. Die drei Rahmenstücke: Zueignung – Vorspiel auf dem Theater – Prolog im Himmel Effekte: → viele verschiedene Perspektiven auf das Faust-Drama → Vielstimmigkeit: Verse (viele verschiedene Versformen) und Prosa

2. Das Binnendrama (Der Tragödie Erster Teil) a. Die Gelehrten-Handlung b. Die Besonderheit des Paktes/der Wette mit sowie die ‚gezähmte‘ Walpurgisnacht c. Die Margareten-Handlung d. Inwiefern ist das Drama Faust I eine Tragödie? bezogen auf Margarete: s. insbes. die Kerker-Szene, bezogen auf Faust: s. insbes. die Szene Wald und Höhle 2 Bemerkung zu den fehlenden Abbildungen in der nachfolgenden Präsentation:

Um nicht gegen evtl. Rechte an Bildern zu verstoßen, sind die Bilder in der nachfolgenden Präsentation entfernt. Stattdessen werden an der jeweiligen Stelle Titel der Bilder und ggf. die Quellen angegeben, so dass die Bilder im Internet (Google – Bilder) abgerufen werden können.

Einige Argumente meines Vortrags werden ausführlicher im Nachwort meiner Edition des Faust I entwickelt:

Johann Wolfgang Goethe: Faust. Erster Teil. Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Bernhard Greiner. Stuttgart (Kröner-Verlag) 2018 (16,-- €). [Reihe: Erlesenes Lesen. Kröners Fundgruben der Weltliteratur]

Kontakt: [email protected] 3 Historia von D. Johann Fausten dem weltbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler Frankfurt (Johann Spiess) 1587 Leseausgabe: Reclam, Stuttgart 1964

Christopher Marlowe: The Tragicall History of the Life and Death of . Verfasst wahrscheinlich 1588/89, erste bezeugte Aufführung 1594, Erstdruck 1604, erweiterte Fassung 1616

Leseausgabe der dt. Fassung: Christopher Marlowe: Die tragische Historie vom Doktor Faustus. Reclam, Stuttgart 1964 4 Streben bei Goethe: Verbindung von Entgrenzung und Steigerung

Es irrt der Mensch so langʼ er strebt. [Vs. 317, Prolog im Himmel, der HERR zu MEPHISTO]

›Wer immer strebend sich bemüht Den können wir erlösen.‹ [Faust II, Bergschluchten-Szene, Vs. 11.936-37 ENGEL schwebend in der höhern Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend]

Nie verläßt uns der Irrtum, doch zieht ein höher Bedürfnis Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan. [Goethe/Schiller: Zahme Xenien, Sammlung von 1796, Nr. 213] 5

Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit, Inʼs Rollen der Begebenheit! (Vs. 1.754f.)

Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist, Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen, Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem Innern selbst genießen, Mit meinem Geist das Höchstʼ und Tiefste greifen, Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen, Und so mein Eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern (Vs. 1.768-74) 6

Titel der Faust-Ausgabe von 1808: Faust. Eine Tragödie

Titel der Rahmenstücke [mit je einem eigenen Titelblatt]: Zueignung Vorspiel auf dem Theater

Prolog im Himmel

Titel des Binnendramas: Der Tragödie Erster Teil

[Antworten auf die Rahmenstücke aus dem Binnendrama (Faust I und II) als eine Art Wiederaufnahme / Erinnerung des jeweiligen Rahmen-Spiels]

Stimme von oben („Ist gerettet!“) Ende Faust I, Bergschluchten-Szene, Ende Faust II

Schüler-Szene, Walpurgisnachttraum, Helena-Akt in Faust II

Chorus Mysticus, Ende Faust II: „Das Unbeschreibliche / Hier ist es getan;“ [„Hier“ kann auf die vorgestellte Welt, wie den Akt des Schaffens oder des Rezipierens des Textes bezogen werden.] 7 Vielstimmigkeit in Faust I a. Versformen Stanze: 8zeilige Strophen, 6 Zeilen in 5hebigen Jamben und wiederholtem Kreuzreim, die beiden letzten Zeilen mit neuem Paarreim. [Hoher, feierlicher Ton; von Goethe gerne für programmatische dichterische Selbstreflexion gewählt.] Madrigalvers: jambisch alternierend (Wechsel männlicher u. weiblicher Reime), freie Hebungszahl und freie Reimstellung. [Häufigste Versform in Faust I]. Knittelvers: in der Regel vier Hebungen, freie Senkungsfüllung u. Paarreim: u.a. für Auftrittsmonolog gewählt. [Er gibt dem Drama Zeit- und Raumkolorit, denn er kommt aus der dt. Dichtung insbes. des 15. u. 16. Jahrhunderts.] Blankvers: 5hebig, jambisch alternierend, reimlos. [Im dt. Drama des 18. u. 19. Jh.‘s am häufigsten gewählt.] freie Rhythmen metrisch ungebunden, reimlos, deutlich rhythmisiert. [Gewählt für leidenschaftliches, bewegtes Sprechen; beliebt in der Epoche des Sturm und Drang.] b. neben Einzelstimmen auch: Chorgesang (Chor der Engel, des Volkes, Chor im Dom) Lieder einzelner Figuren [Gesänge der Studenten und Margaretes/Gretchens) c. Prosa (Szene Trüber Tag Feld) [Diese Prosaszene hat Goethe aus früheren Fassungen seines Dramas übernommen.] 8

Wichtige Autoren magisch-alchimistischer Schriften: Paracelsus (1493 – 1541) Heinrich Agrippa von Nettesheim (1486 - 1535) Hauptwerk [in Goethes Bibliothek vorhanden]: De occulta philosophia sive de magia libri tres (1533) Franciscus Helmont (1579 – 1644)

Dem Faust, der den „Mut“ fühlt, „Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen“ (Vs. 464f.) offenbart sich der „Geist der Erde“ (Vs. 461) als Flammen-Bildung (nach Vs. 481), als flutendes Meer und Taten-Sturm des Werdens und Vergehens (vgl. Vs. 501-09). So vereinigt der die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser, Luft, die gemäß antiker Lehren die Grundbestandteile der Natur ausmachen, in deren Zusammenspiel sich die Vielgestalt und Bewegtheit der Welt erschließt. Erde ist hervorgehoben: das verweist auf die alchimistische Vorstellung von der Erde als der ‚Urmaterie‘: des Grundes und Kerns aller Wesen und Eigenschaften, in der der Geist Leben, Wachstum und Veränderung bewirkt (so bei Paracelsus). In der Magie trägt dieser Geist u.a. den Namen ‚Apoll‘, verstanden als ‚Weltgeist‘ (so bei Agrippa). Entsprechend hat Goethe für eine Aufführung von Faust I 1812 für die Erscheinung des Erdgeistes einen Apollonkopf im Strahlenkranz skizziert. 9

Bild:

Matthäus Merian: Integrae Naturae speculum Beispiel eines Zeichens, das die Ordnung des Kosmos vorstellt. Vollständiger Titel: Integrae Naturae speculum Artisque imago (1617) 10

Bild: Goethe: Erscheinung des Erdgeistes

Szenenentwurf zur Erscheinung des Erdgeistes. Bleistiftzeichnung Goethes zu einer geplanten Aufführung des Faust in Weimar 1810/12 [Bild eines Apollon-Kopfes, an einem Fenster erscheinend] 11 (Unsichere ) Herleitungen des Namens :

Aus dem Hebräischen: [tofel seqer =: Andichter/Ankleber [von Lügen /טפג שקר mefis = Verbreiter / מפיצ ← ← ← Mephistopheles: Verbreiter von Lügen

Aus dem Griechischen: μή / mé = nicht φῶς / phos = Licht φιλία / philia = Liebe : Mephistopheles: Der das Licht nicht Liebende 12

Bild: W. Jury nach Johann Heinrich Ramberg Walpurgisnachtszene aus Faust 1

W. Jury, nach J. Heinrich Ramberg: Walpurgisnachtszene aus Faust 1 Kupferstich (1829) 13 MEPHISTOPHELES […] Laß uns aus dem Gedräng‘ entweichen; Es ist zu toll, sogar für Meinesgleichen. […] FAUST […] Ich denke doch, das war recht klug gemacht: Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht, Um uns beliebig nun hieselbst zu isolieren. […] Dort droben möchte ich lieber sein! […] Dort strömt die Menge zu dem Bösen; Da muß sich manches Rätsel lösen. MEPHISTOPHELES […] Laß du die große Welt nur sausen, Wir wollen hier im Stillen hausen.[…] Da sehʼ ich junge Hexchen nackt und bloß, […]. (Vs. 4.025-46) 14

GRETCHEN […] Und bin nun selbst der Sünde bloß! Doch – alles was mich dazu trieb, Gott! war so gut! ach war so lieb! (Vs. 3.584-86)

MARGARETE […] Ich habe schon so viel für dich getan, Daß mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt. (Vs. 3.519f.) 15 Sprecherbezeichnungen der weiblichen Hauptfigur

MARGARETE Die Liebe ist glücklich, Faust ist anwesend. Szenen: Straße, Abend [u.a. : „Es war ein König in Thule“], Der Nachbarin Haus, Garten, Gartenhäuschen, Marthens Garten

GRETCHEN Die Liebe ist zweifelhaft, später unglücklich, Faust ist abwesend Szenen: Gretchens Stube [Lied am Spinnrad], Am Brunnen, Zwinger, Nacht/Straße vor Gretchens Tür, Dom

Kerkerszene: MARGARETE Die Liebe ist in tiefstem Unglück, Faust ist jedoch anwesend. 16 GRETCHEN am Spinnrade allein. […] Ach dürftʼ ich fassen Und halten ihn!

Und küssen ihn So wie ich wolltʼ, An seinen Küssen Vergehen solltʼ! (Vs. 3.408-13) 17

Die selbstbestimmte, ihre Handlungen selbst verantwortende Margarete in der Kerkerszene, die Mephisto vom „heiligen Ort“ ihres Kerkers zurückweist (vgl. Vs. 4603), ruft auch eine Szene aus dem Leben der Hl. Margareta von Antiochia auf. Sie wurde vom Präfekten der Stadt begehrt, verweigerte sich ihm, worauf er sie martern und ins Gefängnis werfen ließ. Dort erschien ihr der Teufel als ein riesiger Drache, den sie jedoch durch das Kreuzzeichen überwand. Zuletzt wurde sie hingerichtet. Bild: Raffael: Heilige Margareta (1518), Musée du Louvre. Raffael: Hl Margareta Louvre

https://www.kunstkopie.de/a/raffael/hl-margarethe-1.html 18

Goethe an Carl Friedrich Zelter (31.10.1831) :

[…] Ich bin nicht zum tragischen Dichter geboren, da meine Natur konziliant ist; daher kann der rein tragische Fall mich nicht interessieren, welcher eigentlich von Haus aus unversöhnlich sein muß […]. 19 Szene Wald und Höhle

[…] FAUST allein. Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles, Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst Dein Angesicht im Feuer zugewendet. Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich, Kraft, sie zu fühlen, zu genießen […] […] Vergönntest mir in ihre tiefe Brust Wie in den Busen eines Freundʼs zu schauen. MEPHISTOPHELES […] Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen, Der Erde Mark mit Ahnungsdrang durchwühlen, […] Und dann die hohe Intuition – Mit einer Gebärde Ich darf nicht sagen wie – zu schließen. FAUST Pfui über dich! (Vs. 3.217-24 u. 3.285-93) 20

Szene Wald und Höhle

FAUST: Was muß geschehen, magʼs gleich geschehn! Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen Und sie mit mir zu Grunde gehn. (Vs. 3.363-66) 21 Schluss der Kerkerszene Faust zwischen Margarete und Mephisto, sinnlich sichtbar/hörbar auch in der Anordnung der Reimwörter

MARGARETE Gericht Gottes! Dir hab’ ich mich übergeben! MEPHISTOPHELES zu Faust Komm! Komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich. MARGARETE Dein bin ich, Vater! Rette mich! Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen, Lagert euch umher, mich zu bewahren! Heinrich! Mir graut’s vor dir. MEPHISTOPHELES Sie ist gerichtet! STIMME von oben Ist gerettet! MEPHISTOPHELES zu Faust Her zu mir! STIMME von innen, verhallend Heinrich! Heinrich! (Vs. 4.605-4.612)