<<

SZENE

AUTOBIOGRAFIE Fluchender Freiheitskämpfer

Sie kennen Zlatan Ibrahimović? Diesen verhinderten Kung-Fu-Kämpfer im Fußballtrikot, diesen Schwe- den, der kaum weniger schwedisch sein könnte, die- sen Pfau, der nur müde grinst, wenn die feinsten Fußballclubs Millionen für ihn bieten? Sie kennen ihn. Und Sie kennen ihn nicht. Daher sollten Sie seine Autobiografie »Ich bin Zlatan« lesen, die der Schriftsteller David Lagercrantz verfasst hat. Das Zlatan Buch, in der ersten Person erzählt, listet nicht bloß Ibrahimović, Ibrahimovićs Tore und Torheiten auf. Lagercrantz David schaffte etwas Großartiges: Er gab dem Superstar Lagercrantz: eine literarische Stimme. Man erfährt von Zlatan, wie »Ich bin er alle Nachbarskinder auf dem Hof seiner Beton- Zlatan« bausiedlung in Malmö beim Kicken ausspielte. Von Malik; seinen Eltern, die das Trauma des Krieges in Jugo- 400 Seiten; 22,99 Euro slawien mit in die neue Heimat brachten. Man liest, wie er von einer Schule auf die andere geschickt wurde, weil die Lehrer mit ihm überfordert waren. Wie er später TECHNO auf dem Weg zum Training jedes Mal ein anderes Fahrrad stahl und wieder stehenließ. Irgendwann erscheint es dem Leser völlig Das Rauschen verständlich, dass aus dem Jungen aus Malmö der fluchende Frei- heitskämpfer in eigener Sache werden musste. Jener Mann, der immer auf dem Kriegspfad ist und sich gegen Feinde behaupten der Wälder muss, wie zum Beispiel gegen Trainer Pep Guardiola, der ihn bei Barcelona aussortieren wollte. Ein Buch voller Leid, Freude, Hass. Es ist ein eigenartiges Verhältnis, das die Deutschen zu ihrem So ist über Fußball selten geschrieben worden. MARKUS FLOHR Wald haben. Fast alle Bäume, die hierzulande wachsen, wurden von Menschen gepflanzt. Von einigen überschaubaren Flächen abgesehen, ist die ganze deutsche Landschaft geplant, kontrolliert ROMAN und bewirtschaftet – schon seit über 200 Jahren. Trotzdem gilt der Wald seit dem frühen 19. Jahrhundert als Ort der Ursprüng- Prügel und Liebe lichkeit, als Hallraum der deutschen Seele. Ob es die Gebrüder Grimm waren, der romantische Dichter Jo- Drei Brüder wachsen im armseligen Ort Upstate seph von Eichendorff, der Komponist Carl Maria von Weber mit sei - bei New York auf, in einer gewalttätigen Umgebung. nem »Freischütz« oder die Heimatfilme der Nazis: Der Wald steht Die überforderten Eltern sind selbst noch Kinder seit Jahrhunderten für die besondere Verwurzelung der Deutschen und kaum volljährig: der Vater ein Puerto Ricaner, mit ihrem Heimatland. Noch im Entsetzen über das »Waldsterben« die Mutter eine Weiße, die Nachtschichten in einer der Achtziger klingt ein Echo der alten Faszination mit. Brauerei schiebt, orientierungslos durchs Leben Alles vorbei? Nein. Ausgerechnet in der modernen elektronischen schlittert und von ihrem Mann regelmäßig grün und Musik, einem Genre, dessen Künstler sich lange Zeit am liebsten blau geschlagen wird. Die Brüder lernen früh, mit auf futuristische Konzepte beriefen, um ihre Maschinenklänge zu der Wut des Vaters und der Kopflosigkeit der Mutter erklären, wird der Wald wiederentdeckt. Justin Torres: »Wir Tiere« umzugehen. Sie sind sich die wichtigsten Menschen, Den Grundstein legte der Kölner Wolfgang Voigt. DVA Belletristik; doch im Laufe der Zeit gerät auch ihre Beziehung Zwischen 1996 und 2000 nahm er unter dem 176 Seiten; in Gefahr: Die beiden älteren sind neidisch auf den Namen »« mehrere Alben auf, die Titel wie 16,99 Euro jüngeren, weil er klüger ist – und weil sie ahnen, »Königsforst« (1), »Zauberberg« und »Oktember« dass er schwul ist. »Wir Tiere«, der erste Roman trugen. Langsam und bedrohlich marschiert die (1) des 1980 geborenen Justin Torres, ist eine eindrucksvolle, frag- Musik, Voigt benutzte Samples alter Wagner- und mentarische Erzählung, die schlaglichtartig und beeindruckend Bruckner-Aufnahmen und verhackstückte sie – wie dunkles Mag- die Sicht eines Kindes beschreibt, das erwachsen wird. Ein Roman ma wälzt sich dieser Klangstrom voran. Es ist Musik von radikaler voller Wucht, roh und zugleich herzzerreißend. Schönheit. Er habe als jugendlicher Hippie gern LSD im Kölner GABRIELA SEIDEL-HOLLAENDER

38 UniSPIEGEL 1/2014