Der Klang Der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 Stadtbauwelt 181 | 2009 59
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58 Thema Der Klang der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 StadtBauwelt 181 | 2009 59 Glaubt man den international agierenden DJs, wird die Tendenz, mit ganz unter- schiedlichen Künstlern an ganz unterschiedlichen Orten, auf Reisen oder auf Reisen im digitalen Raum, zu produzieren, das Musikbusiness und die Musik selbst verän- dern. Die populäre Musik macht von Anfang an das Leben in den Fabriken und auf den Straßen zum Thema. Sie hat sich durch Deindustrialisierung und Globalisierung verändert, hat aber nie aufgehört, von der Realität in den Städten und Vorstädten zu erzählen. Welchen Einfluss hat die Loslösung vom Ort, und wovon erzählt die ort- und wortlose Musik? Der Klang der Vorstadt Eine kurze Genealogie des Suburban Pop: Klaus Walter „Ich bin in Levittown aufgewachsen, einer Wohnsiedlung in Mit diesen Worten würdigte der Popstar Billy Joel („Uptown wird, musste ich meine Füße meistens in Frauenschuhe quet- You can take me out of the suburb, but you can’t take the sub- Mit „Up on the roof“ erreich- New York, draußen in Long Island. Es waren die frühen Sech- girl“) die 1988 gerade in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufge- schen. Dazu trug ich weiße Hosen mit einem monströsen urb out of me. Popsuburbia. In seinem Standardwerk England’s ten die Drifters 1963 die Top Five der Charts. Das Dach ziger, damals war roof nur die Spitze eines Hauses und board- nommenen Drifters (und ihre Titel „Up on the roof“, „Under Schlag, Sweatshirt und knallrot gefärbte Haare.“ – Hat er Ärger Dreaming rekonstruiert Jon Savage den britischen Punk als diente ursprünglich in Carol walk bloß ein Holzsteg. Broadway, das war eine Straße in New the boardwalk“, „Saturday night at the movies“, „On Broad- bekommen mit diesem Look in der Industriestadt Newcastle? „Sound of the suburbs“ (The Members). Simon Frith unter- Kings Original als Fluchtort York City, wo sich Leute mit blau gefärbten Haaren Theater- way“ und „Save the last dance for me“). Heute muss niemand „Es war in Ordnung. Aber ich hatte immer schon sehnsüchtig sucht The Suburban Sensibility In British Rock And Pop und vor dem hektischen Stadtle- ben: „When this old world stücke anschauten. Samstagsabends gingen wir ins Kino und mehr aufs Dach steigen, um die Sterne zu betrachten. Es ge- den Zügen nach London hinterhergeschaut. Nach der Schule verweist auf Sarah Thorntons Analysen der „suburban routes starts getting me down ... guckten movies. Der last dance fand immer ohne uns statt. Die nügt ein Blick ins Netz. Sogar Levittown sieht dort gut aus. habe ich mich aus dem Staub gemacht.“ Nach London. Dort of rave“. Hanif Kureishi schrieb den Buddha Of Suburbia, und I go up where the air is fresh Drifters haben alles verändert. Sie haben uns das Stichwort ge- „Documents of an Ideal American Suburb“ verspricht eine versuchen übrigens auch zwei russische Soldaten ihr Glück – in der Band mit dem sprechenden Namen Cornershop verdan- and sweet.“ Mit ihrer Version des Songs überzeugten die geben. Und das Stichwort hieß: Bleib nicht zu Hause hocken, Website. einem Song der Pet Shop Boys. Liverpools „Penny Lane under ken wir die Songs „England’s Dreaming“ und „Hanif Kureishi „City-Guys“. Ihnen glaubte glotz nicht an die Decke! Geh rauf aufs Dach, up on the roof, the blue suburban skies“, Manfred Manns „Semi detached sub- Scene“. Die Geschichte des Pop, so scheint es, ist die Geschichte man, dass sie sich nicht unter- kriegen lassen und über dem und schau dir die Sterne an! Sogar Levittown sah gut aus von Popsuburbia urban Mr. Jones“, das Coming out des „Smalltown boy“ Jimi von Suburbia. Was aber wird aus dieser Geschichte, wenn Pop- Geschehen der Stadt stehen. dort oben. Mehr erzählen zu wollen über ‚Up on the roof‘, das Somerville, das „Suburbia“ der Pet Shop Boys: In der Popmusik musik nicht mehr in Garagen und Kellern entsteht, sondern hieße ein Geheimnis verraten, das jeder selbst ergründen Neil Tennant ist in Newcastle aufgewachsen. Mit 17 Jahren sind die Suburbs stets Orte, von denen man sich aus dem am Rechner, und wenn ihr unterwegs die Worte abhanden muss. Also, entnehmen Sie Ihren Marschbefehl bitte dem hatte der spätere Pet Shop Boy eine Vorliebe für hochhackige Staub macht, ohne diesen Staub gänzlich loszuwerden. Darin kommen? Wie verhält sich Techno zu Suburbia, wie verhält Song: Let’s go ... Up on the roof.“ Schuhe. „Und da so was für Männer nun mal kaum hergestellt gleichen sie dem Ghetto der afroamerikanischen Rap-Folklore. sich Suburbia zu Techno? 60 Thema Der Klang der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 StadtBauwelt 181 | 2009 61 Die Pop-Narration der Vorstädte ist gekoppelt an die fordisti- mit mehr Melodie und Harmonie für die Pop-Charts – die nach „Please Mr. Postman look sche Produktionsweise. Die Fabrik als Arbeit gebende und industriellem Muster produzierte Sweet Soul Music aus dem and see if there’s a letter in your bag for me.“ Der Pop- Identität stiftende Instanz organisiert Lebensstile und prägt Hause Mo(tor)town. Soul der 60er Jahre bringt die die städtische Landschaft. Sämtliche Vororte im Frankfurter Sehnsucht nach Veränderung Westen etwa standen ein Jahrhundert lang im Zeichen der „An Ford interessieren mich nur die Roboter.“ Vor der impo- und Aufregung in der Vorstadt zum Ausdruck. Während in „Rotfabrik“, wie die Farbwerke Hoechst im lokalen Slang ge- santen Sound-Kulisse der Motorcity spielt Juan Atkins den fu- dieser Zeit noch abgewartet nannt wurden, sei es nach den roten Mauern, die sie umgeben, turistischen Maschinenstürmer. Mit Derrick May und Kevin wird, dass jemand die „Lone- sei es nach den roten Dämpfen aus den Schloten. Generatio- Saunderson prägte der Detroiter Techno-Pionier den zweiten some Road“ entlanggelaufen kommt, werden die Verzweif- nen von Arbeitern wurden aus Siedlungen der Farbwerke in „Sound of the city“ der Autometropole. Den postfordistischen lung und der Wunsch, aus der Unterliederbach, Griesheim oder Schwanheim mit Bussen zur Selbstentwurf des digitalen Nomaden favorisiert auch der Pro- Vorstadt-Hölle auszubrechen, in den 80er Jahren von den Rotfabrik transportiert, Generationen von leitenden Angestell- duzent Arthur Baker. Vor 20 Jahren half er Afrikaa Bambaataas Pet Shop Boys auf den Punkt ten kamen mit ihren Limousinen aus dem Hochtaunuskreis Soul Sonic Force bei der Gründung der virtuell-spiritistischen gebracht: „You can’t hide. In heruntergefahren. Hoechst heißt jetzt Aventis. Oder Clariant? Zulu Nation und schuf mit „Planet Rock“ den ersten globalen this suburban hell.“ Oder sonstwie. In der alten Heimat hieß es immer nur „die Track, indem er Teile von „Transeuropa-Express“ der Düssel- Farbwerk“ oder „die Rotfabrik“ – mit dem bestimmten, bestim- dorfer Gruppe Kraftwerk via Sampler in den New Yorker Vor- menden Artikel. ort Bronx transportierte. Er benutzte also einen Song als Quelle, der seinerseits die Mobilität zwischen den Metropolen Das Gravitationszentrum von Suburbia ist nicht mehr. Viele feiert, zu einer Zeit, nämlich 1977, als der Rückzug aus den Menschen aus der Unterklasse verlieren mit der Fabrik ein Städten und die Hoffnung auf ein natürliches, nicht entfrem- Stück Heimatordnung und empfinden die Schließung als An- detes Leben auf der ländlichen Scholle von vielen enttäusch- schlag auf ihr geregeltes Leben. Mit dem Ende des Fordismus ten Linken als Alternative zum aussichtslosen Weitermachen gerät auch die suburbane Pop-(Sozial-)Romantik in die Krise. in der feindseligen Großstadt propagiert wurde. „Rendezvous Wenn Powerbook und Laptop gleichermaßen der Produktion auf den Champs Élysées, verlasse Paris am Morgen mit dem wie der Reproduktion, dem Ernähren wie dem Begehren die- TEE, Trans Europa Express, in Vienna we sit in the late night nen, dann spielt es keine Rolle, wo die Maschinen zu Hause café, straight connection to the TEE, from station to station to sind. Für global music player wie Juan Atkins oder Arthur Düsseldorf City, meet Iggy Pop and David Bowie.“ Baker ist die Standortfrage eine Frage der Produktionsmittel. „Seit es das G4 Powerbook gibt, arbeite ich auf Reisen mit den Der Aufstieg von Detroit Techno fiel zusammen mit der digi- unterschiedlichsten Musikern zusammen. Wir werden uns talen Revolution und dem dadurch beschleunigten Ende des noch alle wundern, zu was für unglaublichen Ergebnissen Fordismus. Mit der rhythmischen Monotonie des Fließbands diese Möglichkeit führen wird. Das hier ist erst der Anfang verschwanden bald weitere Koordinaten fordistischer Lebens- einer Revolution, ähnlich der Erfindung des Tonstudios.“ ordnung: der Standard „Montag bis Freitag, neun bis fünf“, die Trennung von Arbeit und Freizeit, die Spaltung in männliche Don’t Forget the Motorcity Erwerbsarbeit und weibliche Familienarbeit, die ökonomi- sche, städtebauliche und symbolische Hegemonie der Arbeit Wenn das Tonstudio keinen geografischen Ort mehr benötigt, gebenden Fabrik. Und das Verhältnis der City zum Suburb. Die dann wird der „Sound of the city“ ebenso verschwinden wie Krise der Automobilindustrie riss den Standort Detroit mit in der „Sound of the suburbs“. „Der Rock’n’Roll war vielleicht die die Krise. Binnen weniger Jahre stülpte die Stadt ihr Inneres erste Form populärer Kultur, die ohne Vorbehalt Eigenschaften nach außen. Anfang der Fünfziger lebten zwei Millionen Men- des Großstadtlebens feierte, die bis dahin zu den am meisten schen in der City, gerade mal 400.000 in den Suburbs. Wäh- Königsforst, Erlangen, Regensburg Regionalliga. Außerdem produzieren hier die Bayerischen Mo- kritisierten gezählt hatten. Im Rock’n’Roll wurden die harten rend die Zahl der Detroiter in den Achtzigern allmählich unter torenwerke (BMW). Das erhebt Regensburg in den Rang einer und monotonen Klänge des Stadtlebens als Melodie und Rhyth- eine Million rutschte, wuchs ein fetter Suburb-Gürtel um die Königsforst ist ein Vorort von Köln, benannt nach dem an- Motorcity und eines Suburb von München, dem südlichen Ge- mus reproduziert.“ Als „Sound of the city“ definierte Charlie Stadt, ein Non-Detroit ohne Gesicht, das inzwischen von fünf grenzenden Wald. Unter dem Namen Gas nahm der Kölner genpol der Hauptstadt. „Regensburg“ heißt ein schöner Pop- Gillet in seinem Standardwerk gleichen Titels den göttlichen Millionen Menschen bewohnt wird.