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58 Thema Der Klang der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 StadtBauwelt 181 | 2009 59

Glaubt man den international agierenden DJs, wird die Tendenz, mit ganz unter- schiedlichen Künstlern an ganz unterschiedlichen Orten, auf Reisen oder auf Reisen im digitalen Raum, zu produzieren, das Musikbusiness und die Musik selbst verän- dern. Die populäre Musik macht von Anfang an das Leben in den Fabriken und auf den Straßen zum Thema. Sie hat sich durch Deindustrialisierung und Globalisierung verändert, hat aber nie aufgehört, von der Realität in den Städten und Vorstädten zu erzählen. Welchen Einfluss hat die Loslösung vom Ort, und wovon erzählt die ort- und wortlose Musik?

Der Klang der Vorstadt

Eine kurze Genealogie des Suburban Pop: Klaus Walter

„Ich bin in Levittown aufgewachsen, einer Wohnsiedlung in Mit diesen Worten würdigte der Popstar Billy Joel („Uptown wird, musste ich meine Füße meistens in Frauenschuhe quet- You can take me out of the suburb, but you can’t take the sub- Mit „Up on the roof“ erreich- New York, draußen in Long Island. Es waren die frühen Sech- girl“) die 1988 gerade in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufge- schen. Dazu trug ich weiße Hosen mit einem monströsen urb out of me. Popsuburbia. In seinem Standardwerk England’s ten die Drifters 1963 die Top Five der Charts. Das Dach ziger, damals war roof nur die Spitze eines Hauses und board- nommenen Drifters (und ihre Titel „Up on the roof“, „Under Schlag, Sweatshirt und knallrot gefärbte Haare.“ – Hat er Ärger Dreaming rekonstruiert Jon Savage den britischen Punk als diente ursprünglich in Carol walk bloß ein Holzsteg. Broadway, das war eine Straße in New the boardwalk“, „Saturday night at the movies“, „On Broad- bekommen mit diesem Look in der Industriestadt Newcastle? „Sound of the suburbs“ (The Members). Simon Frith unter- Kings Original als Fluchtort York City, wo sich Leute mit blau gefärbten Haaren Theater- way“ und „Save the last dance for me“). Heute muss niemand „Es war in Ordnung. Aber ich hatte immer schon sehnsüchtig sucht The Suburban Sensibility In British Rock And Pop und vor dem hektischen Stadtle- ben: „When this old world stücke anschauten. Samstagsabends gingen wir ins Kino und mehr aufs Dach steigen, um die Sterne zu betrachten. Es ge- den Zügen nach London hinterhergeschaut. Nach der Schule verweist auf Sarah Thorntons Analysen der „suburban routes starts getting me down ... guckten movies. Der last dance fand immer ohne uns statt. Die nügt ein Blick ins Netz. Sogar Levittown sieht dort gut aus. habe ich mich aus dem Staub gemacht.“ Nach London. Dort of rave“. Hanif Kureishi schrieb den Buddha Of Suburbia, und I go up where the air is fresh Drifters haben alles verändert. Sie haben uns das Stichwort ge- „Documents of an Ideal American Suburb“ verspricht eine versuchen übrigens auch zwei russische Soldaten ihr Glück – in der Band mit dem sprechenden Namen Cornershop verdan- and sweet.“ Mit ihrer Version des Songs überzeugten die geben. Und das Stichwort hieß: Bleib nicht zu Hause hocken, Website. einem Song der Pet Shop Boys. Liverpools „Penny Lane under ken wir die Songs „England’s Dreaming“ und „Hanif Kureishi „City-Guys“. Ihnen glaubte glotz nicht an die Decke! Geh rauf aufs Dach, up on the roof, the blue suburban skies“, Manfred Manns „Semi detached sub- Scene“. Die Geschichte des Pop, so scheint es, ist die Geschichte man, dass sie sich nicht unter- kriegen lassen und über dem und schau dir die Sterne an! Sogar Levittown sah gut aus von Popsuburbia urban Mr. Jones“, das Coming out des „Smalltown boy“ Jimi von Suburbia. Was aber wird aus dieser Geschichte, wenn Pop- Geschehen der Stadt stehen. dort oben. Mehr erzählen zu wollen über ‚Up on the roof‘, das Somerville, das „Suburbia“ der Pet Shop Boys: In der Popmusik musik nicht mehr in Garagen und Kellern entsteht, sondern hieße ein Geheimnis verraten, das jeder selbst ergründen Neil Tennant ist in Newcastle aufgewachsen. Mit 17 Jahren sind die Suburbs stets Orte, von denen man sich aus dem am Rechner, und wenn ihr unterwegs die Worte abhanden muss. Also, entnehmen Sie Ihren Marschbefehl bitte dem hatte der spätere Pet Shop Boy eine Vorliebe für hochhackige Staub macht, ohne diesen Staub gänzlich loszuwerden. Darin kommen? Wie verhält sich zu Suburbia, wie verhält Song: Let’s go ... Up on the roof.“ Schuhe. „Und da so was für Männer nun mal kaum hergestellt gleichen sie dem Ghetto der afroamerikanischen Rap-Folklore. sich Suburbia zu Techno? 60 Thema Der Klang der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 StadtBauwelt 181 | 2009 61

Die Pop-Narration der Vorstädte ist gekoppelt an die fordisti- mit mehr Melodie und Harmonie für die Pop-Charts – die nach „Please Mr. Postman look sche Produktionsweise. Die Fabrik als Arbeit gebende und industriellem Muster produzierte Sweet Soul Music aus dem and see if there’s a letter in your bag for me.“ Der Pop- Identität stiftende Instanz organisiert Lebensstile und prägt Hause Mo(tor)town. Soul der 60er Jahre bringt die die städtische Landschaft. Sämtliche Vororte im Frankfurter Sehnsucht nach Veränderung Westen etwa standen ein Jahrhundert lang im Zeichen der „An Ford interessieren mich nur die Roboter.“ Vor der impo- und Aufregung in der Vorstadt zum Ausdruck. Während in „Rotfabrik“, wie die Farbwerke Hoechst im lokalen Slang ge- santen Sound-Kulisse der Motorcity spielt Juan Atkins den fu- dieser Zeit noch abgewartet nannt wurden, sei es nach den roten Mauern, die sie umgeben, turistischen Maschinenstürmer. Mit Derrick May und Kevin wird, dass jemand die „Lone- sei es nach den roten Dämpfen aus den Schloten. Generatio- Saunderson prägte der Detroiter Techno-Pionier den zweiten some Road“ entlanggelaufen kommt, werden die Verzweif- nen von Arbeitern wurden aus Siedlungen der Farbwerke in „Sound of the city“ der Autometropole. Den postfordistischen lung und der Wunsch, aus der Unterliederbach, Griesheim oder Schwanheim mit Bussen zur Selbstentwurf des digitalen Nomaden favorisiert auch der Pro- Vorstadt-Hölle auszubrechen, in den 80er Jahren von den Rotfabrik transportiert, Generationen von leitenden Angestell- duzent Arthur Baker. Vor 20 Jahren half er Afrikaa Bambaataas Pet Shop Boys auf den Punkt ten kamen mit ihren Limousinen aus dem Hochtaunuskreis Soul Sonic Force bei der Gründung der virtuell-spiritistischen gebracht: „You can’t hide. In heruntergefahren. Hoechst heißt jetzt Aventis. Oder Clariant? Zulu Nation und schuf mit „Planet Rock“ den ersten globalen this suburban hell.“ Oder sonstwie. In der alten Heimat hieß es immer nur „die Track, indem er Teile von „Transeuropa-Express“ der Düssel- Farbwerk“ oder „die Rotfabrik“ – mit dem bestimmten, bestim- dorfer Gruppe Kraftwerk via Sampler in den New Yorker Vor- menden Artikel. ort Bronx transportierte. Er benutzte also einen Song als Quelle, der seinerseits die Mobilität zwischen den Metropolen Das Gravitationszentrum von Suburbia ist nicht mehr. Viele feiert, zu einer Zeit, nämlich 1977, als der Rückzug aus den Menschen aus der Unterklasse verlieren mit der Fabrik ein Städten und die Hoffnung auf ein natürliches, nicht entfrem- Stück Heimatordnung und empfinden die Schließung als An- detes Leben auf der ländlichen Scholle von vielen enttäusch- schlag auf ihr geregeltes Leben. Mit dem Ende des Fordismus ten Linken als Alternative zum aussichtslosen Weitermachen gerät auch die suburbane Pop-(Sozial-)Romantik in die Krise. in der feindseligen Großstadt propagiert wurde. „Rendezvous Wenn Powerbook und Laptop gleichermaßen der Produktion auf den Champs Élysées, verlasse Paris am Morgen mit dem wie der Reproduktion, dem Ernähren wie dem Begehren die- TEE, Trans Europa Express, in Vienna we sit in the late night nen, dann spielt es keine Rolle, wo die Maschinen zu Hause café, straight connection to the TEE, from station to station to sind. Für global music player wie Juan Atkins oder Arthur Düsseldorf City, meet Iggy Pop and David Bowie.“ Baker ist die Standortfrage eine Frage der Produktionsmittel. „Seit es das G4 Powerbook gibt, arbeite ich auf Reisen mit den Der Aufstieg von Detroit Techno fiel zusammen mit der digi- unterschiedlichsten Musikern zusammen. Wir werden uns talen Revolution und dem dadurch beschleunigten Ende des noch alle wundern, zu was für unglaublichen Ergebnissen Fordismus. Mit der rhythmischen Monotonie des Fließbands diese Möglichkeit führen wird. Das hier ist erst der Anfang verschwanden bald weitere Koordinaten fordistischer Lebens- einer Revolution, ähnlich der Erfindung des Tonstudios.“ ordnung: der Standard „Montag bis Freitag, neun bis fünf“, die Trennung von Arbeit und Freizeit, die Spaltung in männliche Don’t Forget the Motorcity Erwerbsarbeit und weibliche Familienarbeit, die ökonomi- sche, städtebauliche und symbolische Hegemonie der Arbeit Wenn das Tonstudio keinen geografischen Ort mehr benötigt, gebenden Fabrik. Und das Verhältnis der City zum Suburb. Die dann wird der „Sound of the city“ ebenso verschwinden wie Krise der Automobilindustrie riss den Standort Detroit mit in der „Sound of the suburbs“. „Der Rock’n’Roll war vielleicht die die Krise. Binnen weniger Jahre stülpte die Stadt ihr Inneres erste Form populärer Kultur, die ohne Vorbehalt Eigenschaften nach außen. Anfang der Fünfziger lebten zwei Millionen Men- des Großstadtlebens feierte, die bis dahin zu den am meisten schen in der City, gerade mal 400.000 in den Suburbs. Wäh- Königsforst, Erlangen, Regensburg Regionalliga. Außerdem produzieren hier die Bayerischen Mo- kritisierten gezählt hatten. Im Rock’n’Roll wurden die harten rend die Zahl der Detroiter in den Achtzigern allmählich unter torenwerke (BMW). Das erhebt Regensburg in den Rang einer und monotonen Klänge des Stadtlebens als Melodie und Rhyth- eine Million rutschte, wuchs ein fetter Suburb-Gürtel um die Königsforst ist ein Vorort von Köln, benannt nach dem an- Motorcity und eines Suburb von München, dem südlichen Ge- mus reproduziert.“ Als „Sound of the city“ definierte Charlie Stadt, ein Non-Detroit ohne Gesicht, das inzwischen von fünf grenzenden Wald. Unter dem Namen nahm der Kölner genpol der Hauptstadt. „Regensburg“ heißt ein schöner Pop- Gillet in seinem Standardwerk gleichen Titels den göttlichen Millionen Menschen bewohnt wird. Damit fiel die einstige Techno-Musiker 1999 das Album „Königs- Ambient-Track des Regensburger Produzenten Markus Günt- Lärm in der Blüte des Fordismus. Mit der Erfindung der Fließ- Motorcity aus der Spitzengruppe der Metropolen ins untere forst“ auf. Auf dem Cover befinden sich Bäume vor sonnigem ner, der, wenn man es so hören will, das Läuten der Domglocken bandproduktion machte Henry Ford Detroit zum Eldorado des Mittelfeld der global suburbs zurück. Hintergrund, darauf der Schriftzug „Gas“. Ein aus Mahler-Sin- in digitalen Nebelflow gießt. In welcher Beziehung steht der 20. Jahrhunderts. 1900 hatte die Stadt 285.000 Einwohner, 50 fonien generierter Streicher-Schleier verhüllt feierlich die Track zur Stadt? Güntner: „Regensburg ist die verträumte Jahre später waren es siebenmal so viele. Von überall her ka- Der Suburbanisierung von Metropolen im Postfordismus ent- Bassdrum. Hat Voigt dem deutschen Wald ein Requiem kom- Kleinstadt. Nicht wirklich Suburbia, nicht wirklich Provinz, men die Arbeiter, sprechen mussten sie nicht, bloß den einen spricht die Subordination in der globalen Standorthierarchie. poniert? Dem Sterben des Forsts einen wortlosen Protest ent- aber auch keine Großstadt. Eine sehr nette Stadt, ruhig, ent- Handgriff beherrschen. Die harten und monotonen Klänge Mit der Deindustrialisierung verlieren Standorte im Mittel- gegengeschleudert? Vom realen Suburb Königsforst jedenfalls spannt. Ich denke, meine Musik kann nur hier in Regensburg des Fließbands und des Stadtlebens als Melodie und Rhyth- feld an Bedeutung, während an der Spitze die global cities kon- ist diese Musik so weit entfernt wie der Regenwald. Oder Re- entstehen.“ – Gibt es einen Sound of Regensburg, Motorcity? mus reproduzierten in den Sechzigern die harten weißen Rock- kurrieren. In dieser new world order wird Detroit zum Suburb gensburg. Regensburg, eine kleine Stadt in der prosperierenden „BMW spielt in Regensburg eine große Rolle, in meiner Musik bands aus Detroit: Iggy & The Stooges, Mitch Ryders Detroit von New York City, Liverpool zum Suburb von London und Oberpfalz, bekannt für ihren Dom und für Turnvater Jahn. Der allerdings überhaupt nicht, da ich überhaupt keinen Bezug zu Wheels und die MC 5. Auf der schwarzen Seite leistete dies – Köln zum Suburb von Berlin. größte Fußballverein heißt Jahn Regensburg und spielt in der solchen Dingen habe.“ 62 Thema Der Klang der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 StadtBauwelt 181 | 2009 63

Einen lokalen Bezug seiner Musik stellt der Heimwerker allen- zierten – gleichsam am Fließband –, zu der Marvin Gaye und der Profifußballer nach dem Bosmann-Urteil war der DJ und formation des Arbeitsbegriffes, Scouts eines Unternehmer- Kraftwerks 22-minütiger falls über ein konkretistisches Signifying bei den Tracktiteln Aretha Franklin, die Supremes und die Temptations den Ge- Produzent ein Prototyp des Ein-Mann-Ego-als-Profitcenter-Un- tums in erster Person? „Die Seele der Beschäftigten muss Teil Titel-Track „Autobahn“ wirkt durch repetitive Rhythmen, her: „Donaunebel“ unternimmt nicht den Versuch, Smetanas sang beisteuerten. ternehmens. Und entspricht nicht das Berufsbild des DJ und des Unternehmens werden“, hieße das in der Sprache der heu- harte Riffs und das wim- programm-musikalischer Flusslautmalerei von der „Moldau“ Produzenten beinahe mustergültig dem Anforderungsprofil tigen Managementberater. Das bedeutet so viel wie die Persön- mernde Key board fast hyp- mit den Mitteln von Techno nachzueifern. Seinen Titel ver- Im Bassin der immateriellen Arbeit des umherschweifenden Produzenten, des immateriellen Ar- lichkeit und Subjektivität zur Disposition zu stellen und zum notisierend. The Streets lie- fern auf ihrem Album „origi- dankt das Stück dem Frühnebel über der Donau nach einer beiters, wie es Maurizio Lazzarato beschreibt? Gegenstand des Kommandos zu machen. Qualität wie Quanti- nal pirate material“ ein langen Nacht im Club. Der Track „Erlangen“ erzählt nur dann Die Verknüpfung der Städte Detroit und Chicago mit Techno tät der Arbeit werden rund um ihre Immaterialität organisiert. Statement der briti schen Ju- „Wissenswertes über Erlangen“ (Foyer Des Arts), wenn man und House nahm schon größere Umwege. Hier waren nicht „Hier finden sich kleine und kleinste produktive Einheiten, Diese Veränderungen, durch die proletarische Arbeit verwan- gend, die Dinge voranzutrei- ben. „Let’s push things for- weiß, dass Markus Güntner und seine Freunde nach einer an- mehr bestimmte Studios und Instrumentalisten verantwort- häufig nur eine Person, die sich zu Ad-hoc-Projekten organi- delt wird, indem ihr Kontrollaufgaben, Tätigkeiten der Infor- ward ... This ain’t yer arche- deren langen Nacht im Club in eine Polizeikontrolle gerieten. lich für die Geburt eines „Sound of the city“. Detroit und Chi- sieren und gegebenenfalls nur für die Dauer eines bestimm- mationsverarbeitung oder die Fähigkeit, Entscheidungen zu typal street sound.“ Die Beamten rochen verdächtige Kräuter und befanden: „Das cago stehen für großstädtische Clubszenen, in denen sich ein ten Vorhabens existieren. Der Produktionszyklus selbst ist treffen, zufallen, erfordern die Subjektivität als Einsatz.“ ist ein Fall für Erlangen.“ Für Drogendelikte in den Suburbs spezieller Sound großer Beliebtheit erfreut und immer mehr dabei abhängig von der kapitalistischen Initiative; sobald der von Regensburg ist nämlich eine Behörde der Stadt Erlangen Pilger aus den Suburbs anzieht. Im Falle von Chicago House ‚Job‘ erledigt ist, löst sich der Zusammenhang auf in jene Netz- Streets zuständig. verstärkt durch die homosexuellen Smalltown Boys und Pet werke und Ströme, die dem produktiven Vermögen die Repro- Shop Boys, die aus ihren Suburbs flüchten, um dem Lockruf duktion und soziale Ausdehnung ermöglichen. Prekäre Be- In der Popmusik, das wissen wir nicht erst seit ein achtzehn- Junge Produzenten wie Güntner sind sichtlich irritiert, wenn der Großstadt zu folgen. Auf diesem Weg kamen die meist text- schäftigung, Hyperausbeutung, hohe Mobilität und hierar- jähriger LKW-Fahrer aus Tupelo seiner Mama eine selbst be- man ihnen mit der Idee eines „Sound of the city“ kommt, also freien Genres Techno und House zu ihren Signifikanten De- chische Abhängigkeiten kennzeichnen diese metropolitane sungene Schallplatte zum Geburtstag schenkte und darob fürs mit der Vorstellung, ihre Stadt könne sich in ihrer Musik wi- troit und Chicago. Inzwischen hat sich der Signifikant längst immaterielle Arbeit. Unter dem Etikett ‚nicht abhängiger‘ Schaugeschäft entdeckt wurde, sein Name war Elvis, in der derspiegeln. Güntner lebt mit Anfang zwanzig noch bei den vom Signifikat verabschiedet, ebenso der musikalische Autor oder gar ‚selbstbestimmter‘ Arbeit verbirgt sich tatsächlich ein Popmusik werden Seele und Subjektivität in kulturelles Kapi- Eltern, die ihn in seinen musikalischen Ambitionen unterstüt- von seiner autobiographischen Signatur. Längst kann und intellektuelles Proletariat, das aber als solches höchstens von tal konvertiert. Unverbildetes Hinterwäldlertum, Sprachfeh- zen. Mit dem harmonischen Familienleben begründet er, muss sich ein Heiko Laux aus Bad Nauheim, wenn er sein Stu- den Kapitalisten (an-)erkannt wird, die es ausbeuten. Bemer- ler, schlechte Zähne und schlechte Manieren, abweichende dass seine Musik so „nur in Regensburg entstehen kann“. Ei- dio aktiviert, entscheiden, ob er heute einen Track produziert, kenswert ist noch, dass es unter den skizzierten Bedingungen Sozio- und Dialekte aller Art waren schon immer potenzielle nen geplanten Umzug nach Köln, wo für ihn die Musik spielt, der unter „Detroit“ zu verkaufen ist, oder besser einen, der zunehmend schwierig wird, freie Zeit von Arbeitszeit zu un- unique sales points. Im Zeitalter der digitalen Reproduzier- hat Güntner verworfen. Wenn Wolfgang Voigt vom großen nach „Sheffield“ riecht. Oder nach Berlin? Dass Laux mit sei- terscheiden – in gewissem Sinn fällt das Leben mit der Arbeit barkeit von Musik und der Designbarkeit von Popstars steigt -Label im großen Köln einen Remix von „Regens- nem Kanzleramt-Label inzwischen in die Haupt- und Kanzler- in eins.“ die Nachfrage nach unverwechselbaren Seelen und Subjekten. burg“ anfertigen will, dann werden Dateien hin und her ge- stadt umgezogen ist, hat vor allem geschäftliche Gründe, sei- Aus den Suburbs? Typen von der Straße, hätte man früher ge- schickt. Eine physische Begegnung ist für diese Art der musi- nen Platten wird man den Wechsel aus der hessischen Provinz „Du hast doch dein Hobby zum Beruf gemacht“, pflegte mein sagt. Typen, die ihr Equipment gegen die Gebrauchsanweisung kalischen Auseinandersetzung nicht erforderlich. Die Musik in die Metropole nicht anhören. Kann man also folgern, dass Vater zu antworten, wenn ich über unmögliche Arbeitszeiten einsetzen, die englische Sprache gegen das Dictionary und kann an je dem Ort entstehen. Dagegen war der Signatur- die Digitalisierung den Gegensatz zwischen Suburb und City klagte. Schwimmt nicht ausgerechnet die neue Berufshobby- gegen das kulturimperialistische Diktat des US-HipHop. Sound der Soulplatten der sechziger Jahre, der Sound von Mo- aufhebt? Dass das Lokale verschwindet? Elite Dee Jay International wie ein Fisch im „Bassin der imma- town (Detroit) oder Stax (Memphis) geprägt von einer be- teriellen Arbeit“ (Lazzarato)? Waren nicht zunächst soge- „Around here we say birds not bitches.“ In den frühen Nuller- stimmten Rhythmusgruppe, von immer denselben Männern Wie der Fußball übernahm das DJ-Business die Rolle einer nannte alternative Betriebe der Siebziger und Achtziger, später jahren ist Mike Skinner der englische Typ mit der unverwech- am Bass, an der Gitarre, am Schlagzeug und an den Keyboards, Avantgarde in der ökonomischen Globalisierung. Nur Topma- unabhängige Pop- und Kulturschaffende aller Art Pioniere der selbaren suburbanen Subjektivität und Seele. Skinner kommt die in immer demselben Studio gemeinsam die Musik produ- nager, Politiker und Sportler fliegen more miles als DJs. Wie „Neuzusammensetzung der Arbeit“, Lokomotiven einer Trans- aus Birmingham und sieht aus wie die Fish’n’Chips-Ausgabe 64 Thema Der Klang der Vorstadt Bauwelt 12 | 2009 StadtBauwelt 181 | 2009 65

von Bastian Schweinsteiger. Reste von Babyspeck gehen naht- Natürlich gar nicht, kein „Zauberberg“ oder „Königsforst“ von Musiker wie Wolfgang Voigt los über in Ansätze eines Bierbauchs. Den großspurigen Band- Kompakt wird je mit den Spitzenreitern der deutschen Charts alias GAS oder Markus Guent- ner tüfteln am Rechner ihre namen The Streets hat er beibehalten, obwohl ihm seine Band- konkurrieren können: nicht mit dem Gottesmann Xavier Nai- Klangteppiche aus, die sie mates abhanden gekommen sind. Mit „Original Pirate Mate- doo und nicht mit den Böhsen Onkelz, der deutschen Proto- dann um die halbe Welt schi- rial“ bringt er, so die Streets-Saga, die Suburbs back in style, Suburb-Band vom Frankfurter Berg. Und überhaupt lieben cken. Beim „pop-ambient“ werden aus Liedern Geräusch- eine Punk-Attitüde in die blasierte UK Garage Nightclub- Dee Jays International ihr Detroit und Chicago viel zu sehr kulissen, die als Aussage al- Szene, in der es, so die Saga weiter, nur auf Koks, Champagner und diskutieren solche Fragen nicht bei Viva. Vorsicht ist den- lenfalls noch die Tiefe des und dress to impress ankommt. Manche nennen ihn den eng- noch geboten, schon einmal ging ein gut gemeinter Versuch meditativen Zustands des Zu- hörers beinhalten. Elektro- lischen Eminem und stilisieren ihn zur White Trash Suburb- einer „deutschen Antwort“ gründlich daneben: Anfang der Pop ist abstrakt und ortlos. Antwort auf den London Style-Terror der Black BoBos. Im Neunziger, als Michael Reinboth, damaliger Spex-Autor, spä- Handumdrehen hat die Platte der Streets historische Antago- ter „Minister of Nightlife“ der Firma Marlboro, heute Boss des nismen britischer Pop-Klassen-Verhältnisse wieder in Kraft ge- Nu-Jazz-Labels Compost, eine schwarzrotgolden verpackte setzt: die postindustriellen Wastelands des Nordens gegen die Deutsch-Rap-Compilation unter dem Namen „Krauts with postmoderne Anmaßung der Hauptstadt, derbe Punk-Distor- Attitude“ vorlegte. Das vermehrte Auftauchen von deutschen tion gegen slicken Two-Step-Konsumismus, pirate style gegen Orten, Texten und Namen in House und Techno dürfte aller- das cultural apeing der US-Vorbilder. Wenn Simon Reynolds dings eher mit den geschilderten Bedingungen der einsamen in seiner Fünf-Sterne-Kritik darauf hinweist, dass die große immateriellen Arbeit zu tun haben. Auf zunehmende Abstrak- Mehrheit der Garage- und Two-Step-Fans ihre Musik nicht in tion und Dislozierung wird reagiert mit strategischen und teuren Clubs mit hoch gesteckten Dresscodes hört, sondern symbolischen Akten der Resignifizierung. So darf man wohl daheim bei Bier und billigem Dope, dann gewährt er The auch die Renaissance der Autorennamen nach Jahren des ano- Streets einen Platz in der Ahnenreihe der street-crediblen, nymen Produzierens unter häufig wechselnden Projektnamen überwiegend männlichen Pop-Phänomene aus dem Kultur- verstehen. Die Männer heißen Justus Köhncke, Wolfgang und becken des postkolonialen United Kingdom, dem der Mods, Reinhard Voigt, Markus Güntner, Jürgen Paape oder Benjamin Punks und Rude Boys, aufgewachsen mit einer oral history aus Wild. Die Frauen heißen Gudrun Gut, Monika Kruse, Vera Rocksteady & Ska, House & Garage, Soul & Curry. In dieser Heindel oder Jennifer Cardini. Versuchsanordnung wird der auf original pirate material ge- gründete „Sound of the suburbs“ eingekeilt zwischen dem bla- From Levittown to Kronberg sierten Charme der Hauptstadt-Hangouts und dem Gangsta- Style-Fetischismus. Kronberg liegt in Sichtweite von Frankfurt in den Wäldern des Taunus. Nirgendwo in Deutschland geben die Leute mehr Mike Skinner gehört längst zur weißen Minderheit der Be- Geld aus als im Hochtaunuskreis. Mit 6700 Euro pro Kopf im wohner von Brixton, und er macht das Beste aus seiner Rolle. Einzelhandel lagen die Kronberger im Jahr 2001 fast ein Vier- Die Kritik, sein Projektname The Streets würde vorsätzlich As- tel über dem Durchschnitt. Der berühmteste Kronberger ist soziationen an die Großstadt und das Ghetto hervorrufen, wo Josef Neckermann. Er war Olympiasieger im Dressurreiten, er selbst doch das Inbild des kleinbürgerlichen Vorstadt-Lads traditionell eine Domäne deutscher Sportler (und Pferde). Und sei, lässt er gelten. „Es stimmt: Die Straßen, von denen ich rede, er war der Versandhauskönig des Wirtschaftswunders, un- sind nicht die Straßen des Gangsta-Rap. Ich rede von Orten, an sterblich durch den Slogan: „Neckermann macht’s möglich“, denen du so weit draußen bist, dass du einen Bus zum nächs- ein früher Vorläufer von Obamas „Yes we can“. In die Wege ge- ten Bahnhof nehmen musst, aber trotzdem ständig Angst hast, leitet wurde dieses Wirtschaftswunder 1938, als die Nazis die gleich von irgendwem aufs Maul zu bekommen. Ich kann ver- Textilmanufaktur und das Versandgeschäft des jüdischen Un- stehen, dass sich einige wirklich harte Inner-City-Jungs dar- ternehmers Karl Amson Joel „arisierten“. Der junge Unterneh- über lustig machen, dass sich ausgerechnet einer wie ich The mer Josef Neckermann, auch Mitglied der Reiter-SA, über- Streets nennt. The Roads wäre treffender gewesen, hätte aber nahm die Joel-Betriebe für einen Bruchteil ihres tatsächlichen Scheiße geklungen.“ Wertes und stieg später zum Wehrmachtslieferanten und Be- rater der NS-Führung auf. Billige Arbeitskräfte fand Necker- Ist die ostentative „englishness“ von The Streets nun ein wei- mann in Ghettos und Konzentrationslagern. Karl Amson Joel teres Indiz für die stärker werdende kulturelle Renationalisie- floh über die Schweiz in die USA, wo sein Neffe Billy von den rung beziehungsweise Regionalisierung als Antwort auf die Songs der Drifters ermutigt wurde, up on the roof zu steigen, ökonomische Globalisierung? Kauft nicht bei Ami-Rappern? um die Stars zu betrachten. Und Levittown. Diese Geschichte Und wie verhält sich die vor einigen Jahren von Wolfgang der Suburbs von New York und Frankfurt könnte Benjamin Voigt angestoßene Suche nach einer „originär deutschen Pop- Wild erzählt haben, auf seinem Track „Kronberg“. Hat er aber musik“ zur Deutsch-Quoten-Kampagne von Heinz Rudolf nicht. Kronberg ist die Endstation der Vorstadt-Linie 4. In die- Kunze und dem politisch wirksameren Deutsch-Protektionis- ser S-Bahn saß eine Zeitlang eine Frau, die Benjamin Wild mus eines Multi-Funktionärs wie Dieter Gorny? „wehmütig“ machte. Heute lebt Benjamin Wild in Hamburg.