Thema DDR Vor dem Mauerfall (bitte wenden)

Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung Nr. 30 / Frühling 2009 Was nicht in Alle bpb-Produkte unter www.bpb.de EDITORIAL INHALT diesem Heft steht, steht woanders Die DDR war einmal. »Sich dumm zu stellen, war eine Form von Und zwar hier: Sachbücher, Für viele ist es ein Land, das sie nur aus Erzählungen Opposition« ...... Seite 4 kennen. Aus diesem Block historischen Materials, Zuckerbrot und Peitsche: Der Historiker Stefan Romane, Broschüren, Filme der durch die Entfernung oft etwas Märchenhaf- Wolle über den Alltag in der DDR und den sprung- & Links zum Thema tes bekommt, hat fluter einige Geschichten heraus- haften Umgang der Regierung mit dem Volk gegriffen. Bei aller Komplexität – es gibt ein paar einfache Wahrheiten: Ein Staat, der seine Bürger Ein Stück Karibik ...... Seite 10 einsperrt und ermordet, wenn sie fliehen wollen, Es wäre ja auch zu schön gewesen: Die Geschichte ist kein guter Staat. Ein politisches System, das ei- von einer DDR-Insel brachte Wind in die Köpfe ner kleinen Gruppe alter Männer unkontrollierte Macht über alles gibt, ist eine Diktatur. Auch wenn Lost in Music ...... Seite 11 Stefan Wolle: Werner Bräunig: ONLINE: Die heile Welt der Diktatur Rummelplatz sie sich den Namen »Demokratische Republik« Völlig aus dem Takt: Nichts haben die Machthaber Stefan Wolle gelingt es, die widersprüchlichen Bilder Nach dem Vorabdruck einiger Kapitel fiel Bräunig, Auf der Seite »Deine Geschichte«können Jugend- gibt. Diktaturen sind im besten Fall absurd und in so gefürchtet wie Jugendbewegungen. Rock, Beat einer unter gegangenen Welt zusammenzufügen. der schreibende Bergmann, bei der SED in Ungnade. liche selber Geschichte schreiben. Sie können ihre der Regel voller Gewalt. Eine Planwirtschaft, die oder Punk: Alles wurde bekämpft und dann Zeitleiste Er macht deutlich, dass die liebevoll hergerichteten Zu ungeschminkt beschrieb Bräunig die Realität Eltern und Großeltern zur DDR befragen und die Umwelt zerstört, die Infrastruktur verkommen wieder auch nicht In dieser Spalte Vorgärten der Datschensiedlungen und die sauber der Arbeiter, die in der Wismut unter schwierigsten eigene Beiträge verfassen. fi n d est d u w ic ht ig e geharkten Todesstreifen an der Staatsgrenze zwei Bedingungen Uran abbauten. Als Bräunig 1976 www.deinegeschichte.de lässt, den Mangel permanent macht, ist als ein D ate n z u r DDR Seiten eines Systems darstellten. starb, war er ein gebrochener Mann, seinen Roman System der organisierten Verantwortungslosigkeit Kein schöner Land ...... Seite 16 bpb Bestell-Nr. 1.349; 2,00 € hatte er nicht beendet. Erst posthum erschien Hintergründe, Materialien zur Jugend opposition Rummelplatz und wurde 2007 ein Bestseller. in der DDR – Chronik von 1950 bis zur Wende, Misswirtschaft. Der Widerspruch zwischen dem Die Geschichte des Dorfes Mestlin, Teil 1: Stefan Wolle: 768 Seiten, Aufbau Verlag, 12,95 € Biografien von Zeitzeugen öffentlich verkündeten Anspruch der Errichtung Ein Vorzeigeort entsteht, in dem die Menschen Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968 www.Jugendopposition.de einer paradiesischen Gesellschaft und der tristen arbeiten und Feste feiern Die Stimmung von Provokation und Respektlosig- Ulrich Plenzdorf: keit unter den jungen Menschen im Westen wirkte Die neuen Leiden des jungen W. Ursachen, Verlauf und Folgen des Mauerbaus und Wirklichkeit des »real existierenden Sozialismus« 1968 auch über die Mauer hinweg. Stefan Wolle Der 17-jährige Edgar Wibeau bricht seine Lehre Mauerfalls unter anderem dokumentiert in Film - machte die Staatsideologie des Marxismus-Leni- Den Einkaufsbeutel im Anschlag . . . . . Seite 19 erklärt, warum es trotzdem nicht zu einer wirklichen ab und zieht nach , wo er sich in die 20-jährige ausschnitten, Fotos und Originaltönen aus dem nismus zur groben Folklore. Dagegen gab es von Manchmal fehlte Knäckebrot, dann mangelte es Revolte und zu einem Generationswechsel in der Kindergärtnerin Charlie verliebt. Ulrich Plenzdorfs RIAS-Archiv. DDR kam. Roman über das Lebensgefühl junger DDR-Bürger www.ChronikderMauer.de Anfang an Absetzbewegungen, als Flucht aus dem an Lederschuhen: Warum es in der Wirtschaft der bpb Bestell-Nr. 1.728; 4,00 € wurde schon kurz nach Erscheinen ein Klassiker. Land oder als Flucht ins Private. Unter dem Radar DDR nicht ganz rund lief Unvergessen ist der Satz: »Jeans sind eine Einstellung der allgegenwärtigen Staatsmacht versuchte die Michael Rauhut: und keine Hosen.« Rock in der DDR Verlag Suhrkamp, 148 Seiten, 6,00 € DVD: Jugend ihr Leben, schuf Subkulturen, die sich an Die Paketlösung ...... Seite 20 Rockmusik zählte in der DDR zu den wichtigsten westlichen Stilen orientierten und doch ein bizarres Ich habe was, was du nicht hast: Im Genex- jugendkulturellen Medien und war für viele ein Brigitte Reimann: Damals in der DDR. Zeitzeugen erzählen ihre Eigenleben gewannen. Katalog konnten die Deutschen im Westen Autos, Symbol für »Freiheit« und »Anderssein«. Franziska Linkerhand Geschichte Dosenbier und Häuser für die arme Ost- bpb Bestell-Nr. 3.956; 2,00 € Die junge Architektin Franziska Linkerhand wird Auf der DVD-ROM schildern Zeitzeugen ihr Leben mit der nüchternen Realität im Planungsbüro in der DDR-Diktatur. Ergänzt durch Original- Das Beste an der DDR war ihr Ende. Eine Revolu- verwandtschaft bestellen Michael Boehlke (Herausgeber), Henryk Gericke konfrontiert. Sie beginnt zu ahnen, dass sie scheitern dokumente entsteht dadurch ein facettenreiches Bild tion, die insgesamt friedlich verlief. Innerhalb we- (Herausgeber): könnte. des Alltags. niger Monate nutzten Tausende mutiger Menschen Die Stille nach dem Schuss ...... Seite 22 Too Much Future. Punk in der DDR Aufbau Verlag, 639 Seiten, 12,95 € bpb Bestell-Nr. 1.894; 6,00 € In zahlreichen Texten und Bildern wird in diesem die Schwäche des sowjetischen Imperiums und der Leider gerieten die Maueropfer etwas schnell in Katalog die Geschichte des Punk-Undergrounds im Thomas Brasch: Kontraste: Auf den Spuren einer Diktatur eigenen Staatsmacht, gründeten Organisationen, Vergessenheit. Inzwischen kümmern sich Wissen- Osten erzählt. Von den Anfängen im kirchlichen Vor den Vätern sterben die Söhne Die Edition umfasst drei DVDs mit 32 Filmen des Parteien, gingen auf die Straße und brachten das schaftler um ihre Lebensläufe und Schicksale Umfeld bis zu den Tagen der Staatsrepression. Der SED-Funktionärssohn Thomas Brasch lässt eine ARD-Politikmagazins »Kontraste«, die in den Jahren www.toomuchfuture.de, 223 Seiten, 14,80 € Generation zu Wort kommen, die den Sozialismus 1987 bis 2001 ausgestrahlt wurden. Auf einer Kartenhaus zum Einsturz. Die Wochen vor und nach nicht als Alternative zum Faschismus oder Gesamtlänge von über sechs Stunden dokumen tieren dem Fall der Berliner Mauer gehören zu den glück- Die Berliner Mauer in Zahlen ...... Seite 25 Hans-Hermann Hertle: Kapitalismus betrachtet, sondern als Einschränkung sie das Ende der DDR, angefangen von den lichsten der deutschen Geschichte. »Wahnsinn!« Die Mauer in Zahlen Die Berliner Mauer / The der persönlichen Freiheit. Pro testen der Oppositionsbewegung Ende der Dieser Band der Zeitbilder dokumentiert in einmaliger Verlag Suhrkamp, 144 Seiten, 11,80 € 1980er-Jahre über den »Sturm auf die Stasi« 1990 war der Ruf der Stunde in diesen historischen Ta- und bewegender Weise die Geschichte der Berliner bis hin zur schwierigen Aufarbeitung der DDR- gen. Diese Revolution hat einige Namen bekom- Kleine Chronik des Mauerfalls . . . . Seite 26 –27 Mauer – dem zentralen Symbol des Kalten Krieges. Inge Müller: Vergangenheit im vereinigten Deutschland. men: 89, Mauerfall, Wiedervereinigung, Wende. Ein Schaubild bpb Bestell-Nr. 3.968; 2,00 € Daß ich nicht ersticke am Leisesein: Gesammelte Texte bpb Bestell-Nr. 1890; 6,00 € Posthum veröffentlichte Texte der Lyrikerin Inge Das letztere Wort hat sich in der Alltagssprache am Müller, die sich 1966 das Leben nahm. Parallelwelt: Film. Ein Einblick in die DEFA weitesten durchgesetzt, ungeachtet dessen, dass es Aufbau Verlag, 660 Seiten, 29,90 € Vom Schnulzenfilm bis zum Propagandastreifen – der unsägliche Egon Krenz beim Versuch, die SED viele Hundert Filme entstanden nach dem Krieg in der DEFA, die die sowjetische Besatzungsmacht als Herrschaft zu retten, als einer der Ersten in die erste deutsche Filmproduktionsgesellschaft in Welt setzte. Vielleicht ist »Wende« deshalb so ver- Potsdam-Babelsberg initiiert hatte. Diese Edition breitet, weil es den lebensgeschichtlichen Umbruch enthält zwölf ausgewählte Filme auf DVD. bpb Bestell-Nr. 1.568; 25,00 € für Millionen Menschen für viele am ehesten fass- bar macht. Denn mit der Revolution von 1989 war die Geschichte der DDR nicht zu Ende. Mehr gibt es auf der anderen Seite des Heftes – bitte wenden. So sah die Flagge der Deutschen Demokratischen Republik aus. Hammer, Zirkel, Ährenkranz auf Schwarz-Rot-Gold. Die Einwohnerzahl lag 1989 bei 16,35 Millionen Thorsten Schilling Das Foto auf dem Cover stammt übrigens von Jens Rötzsch (siehe S. 5)

Thema: DDR — 3 Was nicht in Alle bpb-Produkte unter www.bpb.de EDITORIAL INHALT diesem Heft steht, steht woanders Die DDR war einmal. »Sich dumm zu stellen, war eine Form von Und zwar hier: Sachbücher, Für viele ist es ein Land, das sie nur aus Erzählungen Opposition« ...... Seite 4 kennen. Aus diesem Block historischen Materials, Zuckerbrot und Peitsche: Der Historiker Stefan Romane, Broschüren, Filme der durch die Entfernung oft etwas Märchenhaf- Wolle über den Alltag in der DDR und den sprung- & Links zum Thema tes bekommt, hat fluter einige Geschichten heraus- haften Umgang der Regierung mit dem Volk gegriffen. Bei aller Komplexität – es gibt ein paar einfache Wahrheiten: Ein Staat, der seine Bürger Ein Stück Karibik ...... Seite 10 einsperrt und ermordet, wenn sie fliehen wollen, Es wäre ja auch zu schön gewesen: Die Geschichte ist kein guter Staat. Ein politisches System, das ei- von einer DDR-Insel brachte Wind in die Köpfe ner kleinen Gruppe alter Männer unkontrollierte Macht über alles gibt, ist eine Diktatur. Auch wenn Lost in Music ...... Seite 11 Stefan Wolle: Werner Bräunig: ONLINE: Die heile Welt der Diktatur Rummelplatz sie sich den Namen »Demokratische Republik« Völlig aus dem Takt: Nichts haben die Machthaber Stefan Wolle gelingt es, die widersprüchlichen Bilder Nach dem Vorabdruck einiger Kapitel fiel Bräunig, Auf der Seite »Deine Geschichte«können Jugend- gibt. Diktaturen sind im besten Fall absurd und in so gefürchtet wie Jugendbewegungen. Rock, Beat einer unter gegangenen Welt zusammenzufügen. der schreibende Bergmann, bei der SED in Ungnade. liche selber Geschichte schreiben. Sie können ihre der Regel voller Gewalt. Eine Planwirtschaft, die oder Punk: Alles wurde bekämpft und dann Zeitleiste Er macht deutlich, dass die liebevoll hergerichteten Zu ungeschminkt beschrieb Bräunig die Realität Eltern und Großeltern zur DDR befragen und die Umwelt zerstört, die Infrastruktur verkommen wieder auch nicht In dieser Spalte Vorgärten der Datschensiedlungen und die sauber der Arbeiter, die in der Wismut unter schwierigsten eigene Beiträge verfassen. fi n d est d u w ic ht ig e geharkten Todesstreifen an der Staatsgrenze zwei Bedingungen Uran abbauten. Als Bräunig 1976 www.deinegeschichte.de lässt, den Mangel permanent macht, ist als ein D ate n z u r DDR Seiten eines Systems darstellten. starb, war er ein gebrochener Mann, seinen Roman System der organisierten Verantwortungslosigkeit Kein schöner Land ...... Seite 16 bpb Bestell-Nr. 1.349; 2,00 € hatte er nicht beendet. Erst posthum erschien Hintergründe, Materialien zur Jugend opposition Rummelplatz und wurde 2007 ein Bestseller. in der DDR – Chronik von 1950 bis zur Wende, Misswirtschaft. Der Widerspruch zwischen dem Die Geschichte des Dorfes Mestlin, Teil 1: Stefan Wolle: 768 Seiten, Aufbau Verlag, 12,95 € Biografien von Zeitzeugen öffentlich verkündeten Anspruch der Errichtung Ein Vorzeigeort entsteht, in dem die Menschen Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968 www.Jugendopposition.de einer paradiesischen Gesellschaft und der tristen arbeiten und Feste feiern Die Stimmung von Provokation und Respektlosig- Ulrich Plenzdorf: keit unter den jungen Menschen im Westen wirkte Die neuen Leiden des jungen W. Ursachen, Verlauf und Folgen des Mauerbaus und Wirklichkeit des »real existierenden Sozialismus« 1968 auch über die Mauer hinweg. Stefan Wolle Der 17-jährige Edgar Wibeau bricht seine Lehre Mauerfalls unter anderem dokumentiert in Film- machte die Staatsideologie des Marxismus-Leni- Den Einkaufsbeutel im Anschlag . . . . . Seite 19 erklärt, warum es trotzdem nicht zu einer wirklichen ab und zieht nach Berlin, wo er sich in die 20-jährige ausschnitten, Fotos und Originaltönen aus dem nismus zur groben Folklore. Dagegen gab es von Manchmal fehlte Knäckebrot, dann mangelte es Revolte und zu einem Generationswechsel in der Kindergärtnerin Charlie verliebt. Ulrich Plenzdorfs RIAS-Archiv. DDR kam. Roman über das Lebensgefühl junger DDR-Bürger www.ChronikderMauer.de Anfang an Absetzbewegungen, als Flucht aus dem an Lederschuhen: Warum es in der Wirtschaft der bpb Bestell-Nr. 1.728; 4,00 € wurde schon kurz nach Erscheinen ein Klassiker. Land oder als Flucht ins Private. Unter dem Radar DDR nicht ganz rund lief Unvergessen ist der Satz: »Jeans sind eine Einstellung der allgegenwärtigen Staatsmacht versuchte die Michael Rauhut: und keine Hosen.« Rock in der DDR Verlag Suhrkamp, 148 Seiten, 6,00 € DVD: Jugend ihr Leben, schuf Subkulturen, die sich an Die Paketlösung ...... Seite 20 Rockmusik zählte in der DDR zu den wichtigsten westlichen Stilen orientierten und doch ein bizarres Ich habe was, was du nicht hast: Im Genex- jugendkulturellen Medien und war für viele ein Brigitte Reimann: Damals in der DDR. Zeitzeugen erzählen ihre Eigenleben gewannen. Katalog konnten die Deutschen im Westen Autos, Symbol für »Freiheit« und »Anderssein«. Franziska Linkerhand Geschichte Dosenbier und Häuser für die arme Ost- bpb Bestell-Nr. 3.956; 2,00 € Die junge Architektin Franziska Linkerhand wird Auf der DVD-ROM schildern Zeitzeugen ihr Leben mit der nüchternen Realität im Planungsbüro in der DDR-Diktatur. Ergänzt durch Original- Das Beste an der DDR war ihr Ende. Eine Revolu- verwandtschaft bestellen Michael Boehlke (Herausgeber), Henryk Gericke konfrontiert. Sie beginnt zu ahnen, dass sie scheitern dokumente entsteht dadurch ein facettenreiches Bild tion, die insgesamt friedlich verlief. Innerhalb we- (Herausgeber): könnte. des Alltags. niger Monate nutzten Tausende mutiger Menschen Die Stille nach dem Schuss ...... Seite 22 Too Much Future. Punk in der DDR Aufbau Verlag, 639 Seiten, 12,95 € bpb Bestell-Nr. 1.894; 6,00 € In zahlreichen Texten und Bildern wird in diesem die Schwäche des sowjetischen Imperiums und der Leider gerieten die Maueropfer etwas schnell in Katalog die Geschichte des Punk-Undergrounds im Thomas Brasch: Kontraste: Auf den Spuren einer Diktatur eigenen Staatsmacht, gründeten Organisationen, Vergessenheit. Inzwischen kümmern sich Wissen- Osten erzählt. Von den Anfängen im kirchlichen Vor den Vätern sterben die Söhne Die Edition umfasst drei DVDs mit 32 Filmen des Parteien, gingen auf die Straße und brachten das schaftler um ihre Lebensläufe und Schicksale Umfeld bis zu den Tagen der Staatsrepression. Der SED-Funktionärssohn Thomas Brasch lässt eine ARD-Politikmagazins »Kontraste«, die in den Jahren www.toomuchfuture.de, 223 Seiten, 14,80 € Generation zu Wort kommen, die den Sozialismus 1987 bis 2001 ausgestrahlt wurden. Auf einer Kartenhaus zum Einsturz. Die Wochen vor und nach nicht als Alternative zum Faschismus oder Gesamtlänge von über sechs Stunden dokumen tieren dem Fall der Berliner Mauer gehören zu den glück- Die Berliner Mauer in Zahlen ...... Seite 25 Hans-Hermann Hertle: Kapitalismus betrachtet, sondern als Einschränkung sie das Ende der DDR, angefangen von den lichsten der deutschen Geschichte. »Wahnsinn!« Die Mauer in Zahlen Die Berliner Mauer / The Berlin Wall der persönlichen Freiheit. Pro testen der Oppositionsbewegung Ende der Dieser Band der Zeitbilder dokumentiert in einmaliger Verlag Suhrkamp, 144 Seiten, 11,80 € 1980er-Jahre über den »Sturm auf die Stasi« 1990 war der Ruf der Stunde in diesen historischen Ta- und bewegender Weise die Geschichte der Berliner bis hin zur schwierigen Aufarbeitung der DDR- gen. Diese Revolution hat einige Namen bekom- Kleine Chronik des Mauerfalls . . . . Seite 26 –27 Mauer – dem zentralen Symbol des Kalten Krieges. Inge Müller: Vergangenheit im vereinigten Deutschland. men: 89, Mauerfall, Wiedervereinigung, Wende. Ein Schaubild bpb Bestell-Nr. 3.968; 2,00 € Daß ich nicht ersticke am Leisesein: Gesammelte Texte bpb Bestell-Nr. 1890; 6,00 € Posthum veröffentlichte Texte der Lyrikerin Inge Das letztere Wort hat sich in der Alltagssprache am Müller, die sich 1966 das Leben nahm. Parallelwelt: Film. Ein Einblick in die DEFA weitesten durchgesetzt, ungeachtet dessen, dass es Aufbau Verlag, 660 Seiten, 29,90 € Vom Schnulzenfilm bis zum Propagandastreifen – der unsägliche Egon Krenz beim Versuch, die SED viele Hundert Filme entstanden nach dem Krieg in der DEFA, die die sowjetische Besatzungsmacht als Herrschaft zu retten, als einer der Ersten in die erste deutsche Filmproduktionsgesellschaft in Welt setzte. Vielleicht ist »Wende« deshalb so ver- Potsdam-Babelsberg initiiert hatte. Diese Edition breitet, weil es den lebensgeschichtlichen Umbruch enthält zwölf ausgewählte Filme auf DVD. bpb Bestell-Nr. 1.568; 25,00 € für Millionen Menschen für viele am ehesten fass- bar macht. Denn mit der Revolution von 1989 war die Geschichte der DDR nicht zu Ende. Mehr gibt es auf der anderen Seite des Heftes – bitte wenden. So sah die Flagge der Deutschen Demokratischen Republik aus. Hammer, Zirkel, Ährenkranz auf Schwarz-Rot-Gold. Die Einwohnerzahl lag 1989 bei 16,35 Millionen Thorsten Schilling Das Foto auf dem Cover stammt übrigens von Jens Rötzsch (siehe S. 5)

Thema: DDR — 3 INTERVIEW: FABIAN DIETRICH & OLIVER GEHRS »Sich dumm zu stellen, war eine Form von Opposition«

Warum war die DDR schon 1953 am Ende? Wie konnte man als kluger Mensch in der Diktatur überleben, ohne 1945 wahnsinnig zu werden? Und warum hatten es Stasi-Männer schwer, eine Freundin zu finden? Ein Gespräch mit dem Geschichtswissenschaftler Stefan Wolle – vor allem darüber, was die DDR eigentlich war. KDGLtGIH fluter: Herr Wolle, war es nicht vielleicht eine gute Landwirtschaft vertraut. Die größte Hypothek wa- >BB:G Idee, nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Un- ren aber die Demontagen durch die Sowjetunion. gleichheiten des Kapitalismus aufzuräumen und Die Siegermächte hatten das Recht, Industrieanla- Gz8@LtGIH nach dem Faschismus mit der DDR eine gerechtere gen abzubauen, um sich für die Kosten des Krieges Gesellschaft zu schaffen? entschädigen zu lassen. Und das hat die Sowjet- Stefan Wolle: Eigentlich schon. Viele kamen ja aus union im Gegensatz zu den Alliierten im Westen im C>BB:G Erich Honecker 1945 – Ende des II. Weltkriegs dem Krieg zurück und stellten die Schuldfrage. großen Stil gemacht. In der sowjetischen Und da gab es weit über die Kreise der Kommunis- Besatzungszone werden die Großgrundbesitzer ten hinaus die Überzeugung, dass die Monopol- War nicht eh immer an allen Problemen der »Klas- und Industriellen kapitalisten, die Konzernherren und Junker, die senfeind« schuld? Die Bilder auf dieser Seite wurden enteignet. Hitler 1933 in den Sattel gehoben haben, für das Das war natürlich ein nützliches Konstrukt. Man von dem Fotografen Jens Rötzsch gemacht, der 1959 in Leipzig Desaster verantwortlich waren. Weil sie den Krieg hat immer gesagt, dass das alles nur Anfangs- geboren wurde und dort Fotografie gewollt hatten, um daran zu verdienen. Man sah schwierigkeiten sind, bald komme der wahre Sozia- studierte. also den Faschismus als die radikalste Ausprägung lismus. Wenn der Westen nicht mehr reinfunkt und Sie zeigen Versammlungen und Aufmärsche in den 80er-Jahren. des Kapitalismus und hatte schon in weiten Krei- keine Agenten mehr schickt, um die Kühe zu Heute ist Rötzsch Professor an der 1946 sen der Gesellschaft den Willen, damit Schluss zu vergiften. Kunsthochschule Kiel und bereist machen. Die neue Gesellschaft sollte sozialistisch mit der Kamera die Welt sein – die Frage war nur, ob nach dem Vorbild der Reine Propaganda? Oder war da auch etwas Wah- Sowjetunion. res dran, schließlich hat der Westen massiv die Arbeiter abgeworben? Wurde diese Frage von der Besatzungsmacht be- Das war ja gar nicht vonnöten, die strömten ja von antwortet? allein in den Westen, als dort das Wirtschaftswun- Ja, die Sowjetunion schuf schnell Fakten, die einen der begann. humaneren Sozialismus verhindert haben. Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Bodenreform Wurden sie auch durch die zunehmende Unfreiheit durchgezogen – also die Enteignung von Bauern aus dem Land getrieben? mit mehr als 100 Hektar Land. 1946 kam es dann Nach der Gründung der DDR hat sich der Kurs zur Zwangsvereinigung von Kommunisten und zunehmend verschärft – so bis Juli 1952: die Sozialdemokraten, nach der die SED das Heft fest Kollektivierung, der Kampf gegen die Kirche, die in der Hand hatte. Sozialdemokraten, die dagegen protestierten, wurden in die Sowjetunion verschleppt SED Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands war eine in der 1946 – Gründung der SED und in den Gulag gebracht. ehemaligen sowjetischen Besatzungszone aus der SPD und der Die SPD u n d d ie K PD KPD 1946 hervorgegangene politische Partei. Sie entwickelte sich werden zur Sozialisti- War es da schon vorbei mit der besseren, gerech- dort unter Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht zur führen- schen Einheitspartei den Partei in Form einer kommunistischen Kaderpartei, zur soge- Deutschlands (SED) teren Gesellschaft? nannten »Staatspartei«. zwangsvereinigt. Es gab ja auch gleich wirtschaftliche Schwierigkei- ten. Viele Vertriebene, etwa aus Schlesien, konnten Gulag ist der Begriff für die Haupt verwaltung der Besserungsarbeits- lager und gleichzeitig das Synonym für ein umfassendes Repressions- mit dem ihnen zugeteilten Land nichts anfangen. Die system in der Sowjetunion, bestehend aus Zwangsarbeitslagern, Straf- waren gar nicht mit den Techniken der modernen lagern, Gefängnissen und Ver bannungs orten.

4 — ffluter l u t e r Thema: DDR — 5 INTERVIEW: FABIAN DIETRICH & OLIVER GEHRS »Sich dumm zu stellen, war eine Form von Opposition«

Warum war die DDR schon 1953 am Ende? Wie konnte man als kluger Mensch in der Diktatur überleben, ohne 1945 wahnsinnig zu werden? Und warum hatten es Stasi-Männer schwer, eine Freundin zu finden? Ein Gespräch mit dem Geschichtswissenschaftler Stefan Wolle – vor allem darüber, was die DDR eigentlich war. KDGLtGIH fluter: Herr Wolle, war es nicht vielleicht eine gute Landwirtschaft vertraut. Die größte Hypothek wa- >BB:G Idee, nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Un- ren aber die Demontagen durch die Sowjetunion. gleichheiten des Kapitalismus aufzuräumen und Die Siegermächte hatten das Recht, Industrieanla- Gz8@LtGIH nach dem Faschismus mit der DDR eine gerechtere gen abzubauen, um sich für die Kosten des Krieges Gesellschaft zu schaffen? entschädigen zu lassen. Und das hat die Sowjet- Stefan Wolle: Eigentlich schon. Viele kamen ja aus union im Gegensatz zu den Alliierten im Westen im C>BB:G Erich Honecker 1945 – Ende des II. Weltkriegs dem Krieg zurück und stellten die Schuldfrage. großen Stil gemacht. In der sowjetischen Und da gab es weit über die Kreise der Kommunis- Besatzungszone werden die Großgrundbesitzer ten hinaus die Überzeugung, dass die Monopol- War nicht eh immer an allen Problemen der »Klas- und Industriellen kapitalisten, die Konzernherren und Junker, die senfeind« schuld? Die Bilder auf dieser Seite wurden enteignet. Hitler 1933 in den Sattel gehoben haben, für das Das war natürlich ein nützliches Konstrukt. Man von dem Fotografen Jens Rötzsch gemacht, der 1959 in Leipzig Desaster verantwortlich waren. Weil sie den Krieg hat immer gesagt, dass das alles nur Anfangs- geboren wurde und dort Fotografie gewollt hatten, um daran zu verdienen. Man sah schwierigkeiten sind, bald komme der wahre Sozia- studierte. also den Faschismus als die radikalste Ausprägung lismus. Wenn der Westen nicht mehr reinfunkt und Sie zeigen Versammlungen und Aufmärsche in den 80er-Jahren. des Kapitalismus und hatte schon in weiten Krei- keine Agenten mehr schickt, um die Kühe zu Heute ist Rötzsch Professor an der 1946 sen der Gesellschaft den Willen, damit Schluss zu vergiften. Kunsthochschule Kiel und bereist machen. Die neue Gesellschaft sollte sozialistisch mit der Kamera die Welt sein – die Frage war nur, ob nach dem Vorbild der Reine Propaganda? Oder war da auch etwas Wah- Sowjetunion. res dran, schließlich hat der Westen massiv die Arbeiter abgeworben? Wurde diese Frage von der Besatzungsmacht be- Das war ja gar nicht vonnöten, die strömten ja von antwortet? allein in den Westen, als dort das Wirtschaftswun- Ja, die Sowjetunion schuf schnell Fakten, die einen der begann. humaneren Sozialismus verhindert haben. Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Bodenreform Wurden sie auch durch die zunehmende Unfreiheit durchgezogen – also die Enteignung von Bauern aus dem Land getrieben? mit mehr als 100 Hektar Land. 1946 kam es dann Nach der Gründung der DDR hat sich der Kurs zur Zwangsvereinigung von Kommunisten und zunehmend verschärft – so bis Juli 1952: die Sozialdemokraten, nach der die SED das Heft fest Kollektivierung, der Kampf gegen die Kirche, die in der Hand hatte. Sozialdemokraten, die dagegen protestierten, wurden in die Sowjetunion verschleppt SED Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands war eine in der 1946 – Gründung der SED und in den Gulag gebracht. ehemaligen sowjetischen Besatzungszone aus der SPD und der Die SPD u n d d ie K PD KPD 1946 hervorgegangene politische Partei. Sie entwickelte sich werden zur Sozialisti- War es da schon vorbei mit der besseren, gerech- dort unter Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht zur führen- schen Einheitspartei den Partei in Form einer kommunistischen Kaderpartei, zur soge- Deutschlands (SED) teren Gesellschaft? nannten »Staatspartei«. zwangsvereinigt. Es gab ja auch gleich wirtschaftliche Schwierigkei- ten. Viele Vertriebene, etwa aus Schlesien, konnten Gulag ist der Begriff für die Haupt verwaltung der Besserungsarbeits- lager und gleichzeitig das Synonym für ein umfassendes Repressions- mit dem ihnen zugeteilten Land nichts anfangen. Die system in der Sowjetunion, bestehend aus Zwangsarbeitslagern, Straf- waren gar nicht mit den Techniken der modernen lagern, Gefängnissen und Ver bannungs orten.

4 — fluter Thema: DDR — 5 Remilitarisierung der Gesellschaft, der wachsende Musik der unterdrückten Schwarzen – dann wurde Stalin-Kult. Erst nach Stalins Tod wurde diese stän- das geduldet. Später kam das Theater mit dem dige Verschärfung abgebremst und eine Politik des Rock'n'Roll. Da wurde gesagt, es sei unmoralisch, neuen Kurses verkündet. Das empfanden aber die so mit der Hüfte zu wackeln und dass Deutsche 1949 meisten schon nicht mehr als Liberalisierung, son- nicht so tanzen. Und dann gab es 1963 die Beatles, dern als den Anfang vom Ende der Regierung. Des- die erst als Unkultur beschimpft wurden. Dann L>:L>G wegen war ja auch der Protest am 17. Juni 1953 so schrieben die Zeitungen, das seien Arbeiterjungs massiv. aus Liverpool, die gegen den Kapitalismus an- =:JI:6G7:>I:C! spielten. Im Dezember 1965 erklärte schließlich Kann man sagen, dass die Entfremdung der Men- Ulbricht, dass man nicht jeden Dreck aus dem HDL:G9:C schen vom Staat einerseits und die Entfernung der Westen anhören müsse, und das »Yeah, yeah, Führung von der Realität andererseits schon 1953 yeah« der Beatles schon mal gar nicht. So ging das L>GBDG<:C so weit waren, dass das große Experiment geschei- immer hin und her. tert war? A:7:C# Das kann man so sehen. Die ganze Geschichte der Warum war das Politbüro so kurzsichtig? Eltern DDR war ja dadurch gekennzeichnet, dass es im- wissen doch, dass die Kinder abhauen, wenn man 7. Oktober 1949 mer wieder Ansätze zu neuen Kursen gab, die dann ihnen alles verbietet. Die Gr ü n d u n g d er DDR au f d e m G e biet d er wieder abgebremst wurden. Das war eine ständige Die Marxisten hatten halt die Weisheit mit den sowjetischen Besat- Pendelbewegung zwischen Neuaufbruch und Zeiten Löffeln gefressen, schlimmer als der Papst. Die Par- zungszone erfolgte der Repression, und diese Pendelbewegung erklärt tei hat immer recht. Die Diktatur ist nun mal so ge- v ier Ja h r e n ac h d e m E n d e d es Zw eite n auch, warum noch bis 1989 so viele Menschen strickt, dass sie niemals unrecht haben kann. Wenn Während sich das Volk mit Weltkrieges. einem Trabant begnügen dem System die Treue hielten und daran glaubten, sie einmal sagt, dass sie sich geirrt hat, ist das schon Erster Prä sid e nt ist musste, fuhren die Funktionäre dass die DDR letztlich doch die antifaschistische ein Teil Selbstaufgabe. Wil h el m Pie ck. schon mal mit dem Volvo vor Alternative zur kapitalistischen BRD und auf lange (links). Die Fußballfans unterschieden sich nicht groß Sicht der bessere Staat sei. Viele Kritiker der DDR Konnte man angesichts des Mauerbaus 1961, der von denen im Westen (oben), haben ja das System nicht abschaffen, sondern ver- Mangelwirtschaft und der Spitzelei in so einem die Läden allerdings schon. bessern wollen. Dem Sozialismus gehöre die Zu- Leben überhaupt zufrieden sein? Meistens standen lange Schlangen davor (unten) kunft, hieß es, er müsse nur demokratisch erneuert Ja, konnte man. Aber man ist dabei verblödet. Das werden. Wirtschaftlich effi zienter und humaner ging auch nur in bestimmten Berufen – als Schlos- sein. ser zum Beispiel oder als Klempner, die als Hand- werker in der Mangelwirtschaft natürlich Vorteile In der benachbarten Tschechoslowakei wurde das hatten, weil sie improvisieren konnten. Die konn- im Prager Frühling 1968 sogar Regierungspro- ten es sich leisten, sich nicht für Politik zu gramm. interessieren. Dort hat sich die Führung vom Steinzeitsozialismus der Sowjets abgewandt. Und dann kamen deren »Es gab den Staat und es gab unser Land«, sagen 1950 Panzerdivisionen und machten alles zunichte. heute viele, die sich an gemütliche Zeiten in der DDR erinnern. An Abende vor der Datscha, den Warum ist die Führung in der DDR mit dem poli- Ostseeurlaub, das große Miteinander. Sind das die tischen Idealismus der Menschen so fahrlässig Leute, die die DDR am Leben erhielten und heute umgegangen? So haben Sie den Jungen das die besten Erinnerungen haben? Rock 'n' Roll-Tanzen verboten, obwohl diese Jungen Dieser massenhafte Rückzug ins Private stabilisiert ja durchaus am neuen Staat mitarbeiten wollten. eine Diktatur vielleicht kurzfristig, aber langfristig Die Leute im Politbüro haben immer gesagt: Es ist lebt die Diktatur von der ständigen Mobilisierung noch nicht so weit. Wenn der Klassenfeind erst ein- der Massen. Dass die Menschen zu Aufmärschen mal einen Fuß in der Tür hat – und sei es durch kommen, organisiert sind, einfach mitmachen. seine Musik – ist er nicht mehr aufzuhalten. Das 1950 B:>C: Schlimme ist ja, dass selbst die Intellektuellen, die Also war Verweigerung Opposition? Wa lter Ul bric ht (1893 – 1973) wird sich für das Land eingesetzt haben, ständig vor den Ja, beim Subbotnik nicht mitzumachen, beim FDJ- Staatsoberhaupt und =6C9;zG Kopf gestoßen wurden. Wolf Biermann war zum Aufmarsch zu fehlen. Der Rest war eine tägliche blei bt es bis 1971. Beispiel ein überzeugter Kommunist, vom Marxis- Neujustierung zwischen Anpassung und Opposi- B:>C mus tief geprägt und von der DDR als dem besse- tion. Das lernte man schon als Schüler. Wenn der ren deutschen Staat überzeugt. Dennoch wurde er 1976 ausgewiesen. EGD9J@I Subbotnik ist ein in Sowjetrussland entstandener Begriff für einen freiwilligen, unbezahlten Arbeitseinsatz am Sonnabend, der in den Hat die Unfreiheit nicht vor allem die Jugend zur DDR-Sprachgebrauch übernommen wurde. Verzweifl ung gebracht? Es gab ja schon 1948 den Kampf gegen die Jazz- FDJ Die Freie Deutsche Jugend war eine Massenorganisation, die Copyright DDR-Staat: der sozialistischen Erziehung diente. Die Mitgliedschaft war freiwillig, Mit den Parolen auf diesen Seiten sollten die Menschen musik. Da wurde gesagt, das sei ein Ausdruck ame- aber wer nicht eintrat, hatte erhebliche Nachteile etwa bei der Wahl auf das System eingeschworen werden rikanischer Unkultur. Plötzlich war Jazz aber die eines Studienfachs.

6 — fluterf l u t e r Thema: DDR — 7 Remilitarisierung der Gesellschaft, der wachsende Musik der unterdrückten Schwarzen – dann wurde Stalin-Kult. Erst nach Stalins Tod wurde diese stän- das geduldet. Später kam das Theater mit dem dige Verschärfung abgebremst und eine Politik des Rock'n'Roll. Da wurde gesagt, es sei unmoralisch, neuen Kurses verkündet. Das empfanden aber die so mit der Hüfte zu wackeln und dass Deutsche 1949 meisten schon nicht mehr als Liberalisierung, son- nicht so tanzen. Und dann gab es 1963 die Beatles, dern als den Anfang vom Ende der Regierung. Des- die erst als Unkultur beschimpft wurden. Dann L>:L>G wegen war ja auch der Protest am 17. Juni 1953 so schrieben die Zeitungen, das seien Arbeiterjungs massiv. aus Liverpool, die gegen den Kapitalismus an- =:JI:6G7:>I:C! spielten. Im Dezember 1965 erklärte schließlich Kann man sagen, dass die Entfremdung der Men- Ulbricht, dass man nicht jeden Dreck aus dem HDL:G9:C schen vom Staat einerseits und die Entfernung der Westen anhören müsse, und das »Yeah, yeah, Führung von der Realität andererseits schon 1953 yeah« der Beatles schon mal gar nicht. So ging das L>GBDG<:C so weit waren, dass das große Experiment geschei- immer hin und her. tert war? A:7:C# Das kann man so sehen. Die ganze Geschichte der Warum war das Politbüro so kurzsichtig? Eltern DDR war ja dadurch gekennzeichnet, dass es im- wissen doch, dass die Kinder abhauen, wenn man 7. Oktober 1949 mer wieder Ansätze zu neuen Kursen gab, die dann ihnen alles verbietet. Die Gr ü n d u n g d er DDR au f d e m G e biet d er wieder abgebremst wurden. Das war eine ständige Die Marxisten hatten halt die Weisheit mit den sowjetischen Besat- Pendelbewegung zwischen Neuaufbruch und Zeiten Löffeln gefressen, schlimmer als der Papst. Die Par- zungszone erfolgte der Repression, und diese Pendelbewegung erklärt tei hat immer recht. Die Diktatur ist nun mal so ge- v ier Ja h r e n ac h d e m E n d e d es Zw eite n auch, warum noch bis 1989 so viele Menschen strickt, dass sie niemals unrecht haben kann. Wenn Während sich das Volk mit Weltkrieges. einem Trabant begnügen dem System die Treue hielten und daran glaubten, sie einmal sagt, dass sie sich geirrt hat, ist das schon Erster Prä sid e nt ist musste, fuhren die Funktionäre dass die DDR letztlich doch die antifaschistische ein Teil Selbstaufgabe. Wil h el m Pie ck. schon mal mit dem Volvo vor Alternative zur kapitalistischen BRD und auf lange (links). Die Fußballfans unterschieden sich nicht groß Sicht der bessere Staat sei. Viele Kritiker der DDR Konnte man angesichts des Mauerbaus 1961, der von denen im Westen (oben), haben ja das System nicht abschaffen, sondern ver- Mangelwirtschaft und der Spitzelei in so einem die Läden allerdings schon. bessern wollen. Dem Sozialismus gehöre die Zu- Leben überhaupt zufrieden sein? Meistens standen lange Schlangen davor (unten) kunft, hieß es, er müsse nur demokratisch erneuert Ja, konnte man. Aber man ist dabei verblödet. Das werden. Wirtschaftlich effi zienter und humaner ging auch nur in bestimmten Berufen – als Schlos- sein. ser zum Beispiel oder als Klempner, die als Hand- werker in der Mangelwirtschaft natürlich Vorteile In der benachbarten Tschechoslowakei wurde das hatten, weil sie improvisieren konnten. Die konn- im Prager Frühling 1968 sogar Regierungspro- ten es sich leisten, sich nicht für Politik zu gramm. interessieren. Dort hat sich die Führung vom Steinzeitsozialismus der Sowjets abgewandt. Und dann kamen deren »Es gab den Staat und es gab unser Land«, sagen 1950 Panzerdivisionen und machten alles zunichte. heute viele, die sich an gemütliche Zeiten in der DDR erinnern. An Abende vor der Datscha, den Warum ist die Führung in der DDR mit dem poli- Ostseeurlaub, das große Miteinander. Sind das die tischen Idealismus der Menschen so fahrlässig Leute, die die DDR am Leben erhielten und heute umgegangen? So haben Sie den Jungen das die besten Erinnerungen haben? Rock 'n' Roll-Tanzen verboten, obwohl diese Jungen Dieser massenhafte Rückzug ins Private stabilisiert ja durchaus am neuen Staat mitarbeiten wollten. eine Diktatur vielleicht kurzfristig, aber langfristig Die Leute im Politbüro haben immer gesagt: Es ist lebt die Diktatur von der ständigen Mobilisierung noch nicht so weit. Wenn der Klassenfeind erst ein- der Massen. Dass die Menschen zu Aufmärschen mal einen Fuß in der Tür hat – und sei es durch kommen, organisiert sind, einfach mitmachen. seine Musik – ist er nicht mehr aufzuhalten. Das 1950 B:>C: Schlimme ist ja, dass selbst die Intellektuellen, die Also war Verweigerung Opposition? Wa lter Ul bric ht (1893 – 1973) wird sich für das Land eingesetzt haben, ständig vor den Ja, beim Subbotnik nicht mitzumachen, beim FDJ- Staatsoberhaupt und =6C9;zG Kopf gestoßen wurden. Wolf Biermann war zum Aufmarsch zu fehlen. Der Rest war eine tägliche blei bt es bis 1971. Beispiel ein überzeugter Kommunist, vom Marxis- Neujustierung zwischen Anpassung und Opposi- B:>C mus tief geprägt und von der DDR als dem besse- tion. Das lernte man schon als Schüler. Wenn der ren deutschen Staat überzeugt. Dennoch wurde er 1976 ausgewiesen. EGD9J@I Subbotnik ist ein in Sowjetrussland entstandener Begriff für einen freiwilligen, unbezahlten Arbeitseinsatz am Sonnabend, der in den Hat die Unfreiheit nicht vor allem die Jugend zur DDR-Sprachgebrauch übernommen wurde. Verzweifl ung gebracht? Es gab ja schon 1948 den Kampf gegen die Jazz- FDJ Die Freie Deutsche Jugend war eine Massenorganisation, die Copyright DDR-Staat: der sozialistischen Erziehung diente. Die Mitgliedschaft war freiwillig, Mit den Parolen auf diesen Seiten sollten die Menschen musik. Da wurde gesagt, das sei ein Ausdruck ame- aber wer nicht eintrat, hatte erhebliche Nachteile etwa bei der Wahl auf das System eingeschworen werden rikanischer Unkultur. Plötzlich war Jazz aber die eines Studienfachs.

6 — fluter Thema: DDR — 7 Lehrer sagte: Heute wollen wir uns mal über Erich in der Kirche – so Ende der 70er, Anfang der 80er.

1952 Honecker unterhalten. Dann konnte man als Schü- Die haben aber immer gesagt: Wir sind keine ler natürlich sagen, dass das der Größte und Un- O pposition. Der Begriff war ja geradezu tabuisiert. 1953 fehlbarste ist, und hat dafür ein Bienchen bekom- Man wollte in Einzelfragen Konkretes bewirken, men. Aber es reizte natürlich, kritisch zu sticheln. Feindbilder abbauen – auch das Feindbild SED- Das war ein intellektuelles Vergnügen. Staat. Und das war nicht nur ironisch gemeint. Die standen in der Kirche und sagten: Wir beten auch Wie bitte? Die DDR war für die Mitarbeiter der Stasi, ein Land, wo die Oppositi- die vor der Tür stehen – dass on Spaß machte. sie abkommen von ihrem Na ja, es schärfte den Geist. Wer die DDR regierte schlimmen Tun. 21. Juni 1953 Es war immer eine intel- Die Normerhöhungen w er d e n vo n d er lektuelle Herausforderung. »Die Deutsche Demokratische Republik ist War die Ausweisung ein be- ein sozialistischer Staat der Arbeiter und DDR-Regierung 1952 Das wiederholte sich ja al- Bauern. Sie ist die politische Organisation liebtes Mittel der Regierung, zurückgenommen. Die SED v erk ü n d et d e n les auf höherer Ebene, etwa der Werktätigen in Stadt und Land unter sich der Dissidenten zu Aufbau des Sozialismus, bei der Armee und im Stu- Führung der Arbeiterklasse und ihrer entledigen? Preissteigerungen und marxistisch-leninistischen Partei.« Arbeitsnorm- dium. Da gab es im Marxis- Einerseits war der Ausreise- erhöhungen. mus-Seminar die, die alles So stand es im Artikel 1 der Verfassung der antrag der härteste Ausdruck M it d er Gr ü n d u n g d er richtig machten, und die DDR, der den Machtanspruch der SED einer kritischen Haltung, an- kasernierten Volks- festschrieb. Laut Verfassung war eigentlich p olizei b e gi n nt d ie anderen. Wenn es hieß, man der von der Volkskammer gewählte dererseits für die Führung Remilitarisierung der solle im Text alles Wichtige Ministerrat das höchste exekutive Organ des der bequemste Weg. Die Stö- Gesellschaft. von Lenin unterstreichen, Staates. Die Minister kamen aus den renfriede waren dann weg verschiedenen Parteien und Organisationen dann haben manche eben der Nationalen Front wie den Blockparteien und konnten nichts mehr alles unterstrichen und ge- CDU, LDPD oder DBD. Die Wahlen waren verbessern. Aber die Gesell- sagt: Bei Lenin ist alles Scheinwahlen, bei denen lediglich die schaft braucht ja diese Im- Nationale Front gewählt werden konnte. Die wichtig. Ob das Verar- Minister wiederum bekamen Anweisungen pulse der Verbesserung. Nicht so schick wie heute: So sah der Prenzlauer Berg vor dem Mauerfall aus (1989) schung war oder nicht, war vom Zentralkomitee, dem ein Generalsekre- nicht festzustellen. tär vorstand. Haben nicht aber die Men- Von 1950 bis 71 war das Walter Ulbricht, schen mehr noch als unter Ist das eine Art intellektu- danach Erich Honecker. Alle hochrangigen der fehlenden Freiheit unter So war es ja eher Wasser predigen und Wein trin- Aber es gab doch auch in der DDR genügend Men- eller Zeitvertreib? Partei- und Staatsfunktionäre der DDR dem wirtschaftlichen Mangel ken. Auf der einen Seite schimpfte man auf den schen mit Angst – etwa vor der Stasi. Wie viel waren – sofern Mitglied der SED – im ZK Es gab natürlich auch radi- vertreten. gelitten? Westen, auf der anderen bot man den Privilegier- wusste man von denen? kalere Formen: Leute, die Es hing ja alles zusammen: ten die Westwaren im Intershop an. Eher wenig. Die haben sich ja abgeschottet und den Wehrdienst verweigert Der Generalsekretär des ZK der SED war Der Mangel an Demokratie Es war ja alles bekannt, was es im Westen gab. Und sind sehr unter sich geblieben. Auf der anderen Seite zugleich Vorsitzender des Politbüros, das haben, die in keine Organi- das politische Tagesgeschäft übernahm. und der Mangel an Mei- grundsätzlich wollten die Menschen dieselbe Kon- wurden sie ja auch gemieden. Das war eher pein- sation gingen. Solange es Das Politbüro bestand aus einem kleinen nungsfreiheit resultierte ja sumgesellschaft mit allen erfreulichen und uner- lich, wenn man in der Verwandtschaft einen von Proleten waren, wurden die Zirkel hochrangiger Parteifunktionäre, aus dem niedrigen Lebens- freulichen Begleitumständen. Man sah ja, dass die der Stasi hatte. Für die war es auch schwer, eine darunter die etwa zehn Sekretäre des ZK. geduldet, aber die wurden standard. Wenn das halb- DDR auch kein schönerer Ort ist: Dort hat man ja Freundin zu bekommen. 30. März bis 6. April 1954 nichts mehr. Und das war Diese knapp 30 SED-Kader waren der wegs ausgeglichen gewesen die Städte teilweise noch menschenfeindlicher als 4. Pa r teit ag d er SED. Machtzirkel der DDR. Die eigentliche Es w ir d b esc h losse n, 17. Juni 1953 genauso wirkungslos. Wenn wäre, hätte es ja gar keine im Westen gebaut und die Umwelt noch mehr Was hat denn letztlich zur Wende geführt? d a ss d ie Pa r tei- Au s d e m B au a r b eiter- Regierung, der Ministerrat hatte dessen man sagt: Macht euren Beschlüsse umzusetzen. Beitrittsbewegung für ein zerstört. Eine reale Chance für den Wandel in der DDR hat Mitgliedschaft st r eik w ir d ei n le b e n sla n g gilt u n d Au fst a n d g e g e n d ie Scheiß allein, tut man dem vereinigtes Deutschland ge- es erst gegeben, als die Sowjetunion in die Krise ge- ZK und Politbüro standen zentralistische nu r d u rc h Pa r tei- DDR-Regierung. In Land auch keinen Gefallen. geben. Sind die Mensch aus dem Osten bis heute beschei- riet. Und die DDR war ja Teil der Krise der Sowjet- ausschluss beendet mehreren Hundert Strukturen zur Verfügung, zu denen ein umfangreicher Überwachungsapparat denere Menschen? union. War Teil eines Systems, das insgesamt die w er d e n k a n n. Wa lter St ädte n u n d G e m ei n d e n Ul bric ht w ir d a ls d er DDR ko m m t es z u Besteht nicht die Gefahr, gehörte, der besonders die Medien, aber Wenn man heute sieht, wie Sie haben vor allem diese Sehnsucht nach Sicher- Welt erobert oder zusammen untergeht. In der auch das Kulturleben kontrollierte. Erster Sek r et ä r d es ZK Aufständen gegen die allmählich zynisch und ver- ein entfesselter Kapitalis- heit. Im Osten war ja alles so sicher: Man saß in DDR selbst hat das Politbüro der SED am meisten bestätigt. SED. A m Nac h m itt ag bittert zu werden, wenn mus die Welt in eine Krise seiner Neubauwohnung, hatte einen Krippenplatz zum Niedergang beigetragen. Das war so gesehen rücken Sowjetpanzer g e g e n d ie Au fst ä n d i- man die triste Realität nur stürzt, hören sich manche für die Kinder, den Trabi vor der Tür, 14 Tage Ost- das effektivste Widerstandsnest. Die haben den sc h e n vor u n d sc h lag e n noch mit Ironie erträgt? Parolen von damals gar see im Jahr und vor allem: Die anderen hatten auch Staat zugrunde gerichtet. U d e n Au fst a n d n ie d er. Noch besser war das Dummstellen – das war das A nicht so unvernünftig an. Heute rufen ja viele nicht mehr. Das hat natürlich den Stress rausge- Es gi bt m e h r er e Dutzend Tote. Tausende und O. Man tat so, als begreife man es nicht. Das nach mehr Staat in der Wirtschaft. nommen. Heute haben alle ständig Angst, und die- w er d e n v erh a ftet u n d war die Hauptform des Widerstandes. Das war Einer der wenigen klugen Sätze, die Ulbricht ge- se Angst wird noch durch die Medien gefüttert. Stefan Wolle studierte Geschichte in Ostberlin. v iele d avo n s p äter z u auch das, was alle ihren Kindern empfahlen. sagt hat, war: Überholen ohne einzuholen. Das Das zumindest war in der DDR besser. 1972 wurde er aus politischen Gründen von der langen Haftstrafen verurteilt. hieß: Wir machen uns nicht die Wertmaßstäbe des Humboldt-Universität verwiesen. Nach dem Fall War das eine stille Mehrheit oder eine brodelnde Kapitalismus zu eigen. Wir verzichten zum Bei- der Mauer war er Mitarbeiter des Komitees für die 1954 Stasi Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR war der Masse? spiel auf das Privatauto – das wäre ja bis heute Inlands- und Auslandsgeheimdienst der DDR und zugleich Ermitt- Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit Dass es hier gebrodelt hat, ist eine falsche Vorstel- ein Segen für die Welt. Aber zu so einer eigenen lungsbehörde für »politische Straftaten«. Das MfS war vor allem ein und des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des 1953 lung. Das war 1953 so – aber später? Selbst 1989 Kultur hat es nicht gereicht. Nicht mal zu einer innenpolitisches Unter drückungs- und Überwachungsinstrument der Staatssicherheitsdienstes. Seit 2005 ist Stefan Wolle SED, das dem Machterhalt diente. Dabei setzte es neben massiver kann man nicht sagen, dass die DDR ein Vulkan Kultur des Verzichts. Das wäre richtiger Sozialis- Überwachung und Einschüchterung auch Terror und Folter gegen Wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in war. Es gab Einzelne, die aktiv geworden sind, etwa mus gewesen. Oppositionelle und Regimekritiker als Mittel ein. Berlin (www.ddr-museum.de).

8 — ffluter l u t e r Thema: DDR — 9 Lehrer sagte: Heute wollen wir uns mal über Erich in der Kirche – so Ende der 70er, Anfang der 80er.

1952 Honecker unterhalten. Dann konnte man als Schü- Die haben aber immer gesagt: Wir sind keine ler natürlich sagen, dass das der Größte und Un- O pposition. Der Begriff war ja geradezu tabuisiert. 1953 fehlbarste ist, und hat dafür ein Bienchen bekom- Man wollte in Einzelfragen Konkretes bewirken, men. Aber es reizte natürlich, kritisch zu sticheln. Feindbilder abbauen – auch das Feindbild SED- Das war ein intellektuelles Vergnügen. Staat. Und das war nicht nur ironisch gemeint. Die standen in der Kirche und sagten: Wir beten auch Wie bitte? Die DDR war für die Mitarbeiter der Stasi, ein Land, wo die Oppositi- die vor der Tür stehen – dass on Spaß machte. sie abkommen von ihrem Na ja, es schärfte den Geist. Wer die DDR regierte schlimmen Tun. 21. Juni 1953 Es war immer eine intel- Die Normerhöhungen w er d e n vo n d er lektuelle Herausforderung. »Die Deutsche Demokratische Republik ist War die Ausweisung ein be- ein sozialistischer Staat der Arbeiter und DDR-Regierung 1952 Das wiederholte sich ja al- Bauern. Sie ist die politische Organisation liebtes Mittel der Regierung, zurückgenommen. Die SED v erk ü n d et d e n les auf höherer Ebene, etwa der Werktätigen in Stadt und Land unter sich der Dissidenten zu Aufbau des Sozialismus, bei der Armee und im Stu- Führung der Arbeiterklasse und ihrer entledigen? Preissteigerungen und marxistisch-leninistischen Partei.« Arbeitsnorm- dium. Da gab es im Marxis- Einerseits war der Ausreise- erhöhungen. mus-Seminar die, die alles So stand es im Artikel 1 der Verfassung der antrag der härteste Ausdruck M it d er Gr ü n d u n g d er richtig machten, und die DDR, der den Machtanspruch der SED einer kritischen Haltung, an- kasernierten Volks- festschrieb. Laut Verfassung war eigentlich p olizei b e gi n nt d ie anderen. Wenn es hieß, man der von der Volkskammer gewählte dererseits für die Führung Remilitarisierung der solle im Text alles Wichtige Ministerrat das höchste exekutive Organ des der bequemste Weg. Die Stö- Gesellschaft. von Lenin unterstreichen, Staates. Die Minister kamen aus den renfriede waren dann weg verschiedenen Parteien und Organisationen dann haben manche eben der Nationalen Front wie den Blockparteien und konnten nichts mehr alles unterstrichen und ge- CDU, LDPD oder DBD. Die Wahlen waren verbessern. Aber die Gesell- sagt: Bei Lenin ist alles Scheinwahlen, bei denen lediglich die schaft braucht ja diese Im- Nationale Front gewählt werden konnte. Die wichtig. Ob das Verar- Minister wiederum bekamen Anweisungen pulse der Verbesserung. Nicht so schick wie heute: So sah der Prenzlauer Berg vor dem Mauerfall aus (1989) schung war oder nicht, war vom Zentralkomitee, dem ein Generalsekre- nicht festzustellen. tär vorstand. Haben nicht aber die Men- Von 1950 bis 71 war das Walter Ulbricht, schen mehr noch als unter Ist das eine Art intellektu- danach Erich Honecker. Alle hochrangigen der fehlenden Freiheit unter So war es ja eher Wasser predigen und Wein trin- Aber es gab doch auch in der DDR genügend Men- eller Zeitvertreib? Partei- und Staatsfunktionäre der DDR dem wirtschaftlichen Mangel ken. Auf der einen Seite schimpfte man auf den schen mit Angst – etwa vor der Stasi. Wie viel waren – sofern Mitglied der SED – im ZK Es gab natürlich auch radi- vertreten. gelitten? Westen, auf der anderen bot man den Privilegier- wusste man von denen? kalere Formen: Leute, die Es hing ja alles zusammen: ten die Westwaren im Intershop an. Eher wenig. Die haben sich ja abgeschottet und den Wehrdienst verweigert Der Generalsekretär des ZK der SED war Der Mangel an Demokratie Es war ja alles bekannt, was es im Westen gab. Und sind sehr unter sich geblieben. Auf der anderen Seite zugleich Vorsitzender des Politbüros, das haben, die in keine Organi- das politische Tagesgeschäft übernahm. und der Mangel an Mei- grundsätzlich wollten die Menschen dieselbe Kon- wurden sie ja auch gemieden. Das war eher pein- sation gingen. Solange es Das Politbüro bestand aus einem kleinen nungsfreiheit resultierte ja sumgesellschaft mit allen erfreulichen und uner- lich, wenn man in der Verwandtschaft einen von Proleten waren, wurden die Zirkel hochrangiger Parteifunktionäre, aus dem niedrigen Lebens- freulichen Begleitumständen. Man sah ja, dass die der Stasi hatte. Für die war es auch schwer, eine darunter die etwa zehn Sekretäre des ZK. geduldet, aber die wurden standard. Wenn das halb- DDR auch kein schönerer Ort ist: Dort hat man ja Freundin zu bekommen. 30. März bis 6. April 1954 nichts mehr. Und das war Diese knapp 30 SED-Kader waren der wegs ausgeglichen gewesen die Städte teilweise noch menschenfeindlicher als 4. Pa r teit ag d er SED. Machtzirkel der DDR. Die eigentliche Es w ir d b esc h losse n, 17. Juni 1953 genauso wirkungslos. Wenn wäre, hätte es ja gar keine im Westen gebaut und die Umwelt noch mehr Was hat denn letztlich zur Wende geführt? d a ss d ie Pa r tei- Au s d e m B au a r b eiter- Regierung, der Ministerrat hatte dessen man sagt: Macht euren Beschlüsse umzusetzen. Beitrittsbewegung für ein zerstört. Eine reale Chance für den Wandel in der DDR hat Mitgliedschaft st r eik w ir d ei n le b e n sla n g gilt u n d Au fst a n d g e g e n d ie Scheiß allein, tut man dem vereinigtes Deutschland ge- es erst gegeben, als die Sowjetunion in die Krise ge- ZK und Politbüro standen zentralistische nu r d u rc h Pa r tei- DDR-Regierung. In Land auch keinen Gefallen. geben. Sind die Mensch aus dem Osten bis heute beschei- riet. Und die DDR war ja Teil der Krise der Sowjet- ausschluss beendet mehreren Hundert Strukturen zur Verfügung, zu denen ein umfangreicher Überwachungsapparat denere Menschen? union. War Teil eines Systems, das insgesamt die w er d e n k a n n. Wa lter St ädte n u n d G e m ei n d e n Ul bric ht w ir d a ls d er DDR ko m m t es z u Besteht nicht die Gefahr, gehörte, der besonders die Medien, aber Wenn man heute sieht, wie Sie haben vor allem diese Sehnsucht nach Sicher- Welt erobert oder zusammen untergeht. In der auch das Kulturleben kontrollierte. Erster Sek r et ä r d es ZK Aufständen gegen die allmählich zynisch und ver- ein entfesselter Kapitalis- heit. Im Osten war ja alles so sicher: Man saß in DDR selbst hat das Politbüro der SED am meisten bestätigt. SED. A m Nac h m itt ag bittert zu werden, wenn mus die Welt in eine Krise seiner Neubauwohnung, hatte einen Krippenplatz zum Niedergang beigetragen. Das war so gesehen rücken Sowjetpanzer g e g e n d ie Au fst ä n d i- man die triste Realität nur stürzt, hören sich manche für die Kinder, den Trabi vor der Tür, 14 Tage Ost- das effektivste Widerstandsnest. Die haben den sc h e n vor u n d sc h lag e n noch mit Ironie erträgt? Parolen von damals gar see im Jahr und vor allem: Die anderen hatten auch Staat zugrunde gerichtet. U d e n Au fst a n d n ie d er. Noch besser war das Dummstellen – das war das A nicht so unvernünftig an. Heute rufen ja viele nicht mehr. Das hat natürlich den Stress rausge- Es gi bt m e h r er e Dutzend Tote. Tausende und O. Man tat so, als begreife man es nicht. Das nach mehr Staat in der Wirtschaft. nommen. Heute haben alle ständig Angst, und die- w er d e n v erh a ftet u n d war die Hauptform des Widerstandes. Das war Einer der wenigen klugen Sätze, die Ulbricht ge- se Angst wird noch durch die Medien gefüttert. Stefan Wolle studierte Geschichte in Ostberlin. v iele d avo n s p äter z u auch das, was alle ihren Kindern empfahlen. sagt hat, war: Überholen ohne einzuholen. Das Das zumindest war in der DDR besser. 1972 wurde er aus politischen Gründen von der langen Haftstrafen verurteilt. hieß: Wir machen uns nicht die Wertmaßstäbe des Humboldt-Universität verwiesen. Nach dem Fall War das eine stille Mehrheit oder eine brodelnde Kapitalismus zu eigen. Wir verzichten zum Bei- der Mauer war er Mitarbeiter des Komitees für die 1954 Stasi Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR war der Masse? spiel auf das Privatauto – das wäre ja bis heute Inlands- und Auslandsgeheimdienst der DDR und zugleich Ermitt- Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit Dass es hier gebrodelt hat, ist eine falsche Vorstel- ein Segen für die Welt. Aber zu so einer eigenen lungsbehörde für »politische Straftaten«. Das MfS war vor allem ein und des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des 1953 lung. Das war 1953 so – aber später? Selbst 1989 Kultur hat es nicht gereicht. Nicht mal zu einer innenpolitisches Unter drückungs- und Überwachungsinstrument der Staatssicherheitsdienstes. Seit 2005 ist Stefan Wolle SED, das dem Machterhalt diente. Dabei setzte es neben massiver kann man nicht sagen, dass die DDR ein Vulkan Kultur des Verzichts. Das wäre richtiger Sozialis- Überwachung und Einschüchterung auch Terror und Folter gegen Wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in war. Es gab Einzelne, die aktiv geworden sind, etwa mus gewesen. Oppositionelle und Regimekritiker als Mittel ein. Berlin (www.ddr-museum.de).

8 — fluter Thema: DDR — 9 TEXT: FELIX DENK, FOTOS: HARALD HAUSWALD (OSTKREUZ) Ein Stück Karibik

Das 17. Bundesland in der Karibik: Schenkte Fidel Castro der DDR eine Insel im Süden Kubas? Die Geschichte einer Legende

VON OLE SCHULZ

s ist ein sonniger Junitag des Jahres 1972, als Fidel lagen. Zur Besiegelung der »brüderlichen Einheit« zwischen Castro bei seiner Ankunft in Ostberlin Erich Honecker der DDR und Kuba ließ sich Castro damals zu einer großen Ein die Arme fällt. Kurz darauf breitet der »máximo Geste hinreißen – zwei Monate nach seinem Besuch in der líder« eine riesige Karte vor sich aus. Er zeigt auf eine kleine DDR-Hauptstadt wurde auf der »Cayo Ernesto Thaelmann« Insel im Süden Kubas und erklärt: »Das ist an der Schweine- eine meterhohe Statue für den deutschen Kommunisten er- bucht, wo sich die Aggression der Imperialisten vollzogen richtet, im Beisein des DDR-Botschaftsrats Gerhard Witten. hat.« Danach unterzeichnet Erich Honecker die Kuba-Karte. Drei Jahre später folgte der Landgang der DDR-Schlager- Es ist die Geburt einer Legende: Fidel schenkt der DDR eine Legende Frank Schöbel, der 1975 durch das azurfarbene Insel. Wasser am »DDR-Strand« watete, um das Musikvideo für »Cayo Blanco del Sur«, nur wenige Hundert Meter breit, sein Lied »Insel im Golf von Cazzone« aufzunehmen. Das aber dafür rund zwanzig Kilometer lang, ein unbewohntes, schnulzige Machwerk konnte die fernwehkranken Ostdeut- idyllisches Eiland, war kurz zuvor von den Kubanern in schen aber nicht recht begeistern, und schnell geriet die Ernst- »Cayo Ernesto Thaelmann« umbenannt worden – in Geden- Thälmann-Insel in Vergessenheit. ken an einen »beispielhaften Sohn des deutschen Volkes«. Damit nicht genug: Der lang gestreckte palmengesäumte Die Insel tauchte erst wieder im Jahr 2001 in den Medien Strand im Süden der Insel erhielt den Namen »Playa RDA«, auf, als eine Internetzeitschrift die vermeintliche Sensation »Strand Deutsche Demokratische Republik«. verkündete: »17. Bundesland in der Karibik«. Doch schnell Die graue DDR im Besitz eines tropischen Archipels? wurde festgestellt, dass die Ernst-Thälmann-Insel im Eini- Hintergrund der angeblichen Schenkung war, dass sich die gungsvertrag nicht erwähnt worden war. Sowohl das Auswär- Beziehungen zwischen Kuba und der DDR Anfang der 70er- tige Amt als auch die Kubanische Botschaft in Deutschland Jahre entspannt hatten. Nachdem Ostberlin zuvor Kubas un- erklärten auf Anfrage, dass die Gerüchte, laut denen die Insel orthodoxe Interpretation des Marxismus noch argwöhnisch nach der Wiedervereinigung zum Hoheitsgebiet der Bundes- Der Soundtrack zum Untergang: beäugt hatte. In den Augen der SED-Führung war Fidel Castros republik Deutschland gehöre, jeglicher Grundlage entbehren. In der wohlgeordneten Welt der DDR blühte eine wilde eigenwillige Machtausübung »Partisanenmethoden«, die nur Es sei bloß ein »symbolischer Akt« gewesen, der nichts mit »Unordnung« brächten. Auch dass sich Kuba mehr am chi- tatsächlicher Besitzübertragung zu tun gehabt hätte. Schon Jugendkultur, die den Staat das Fürchten lehrte. nesischen als am sowjetischen Modell orientierte, sorgte für drei Jahre zuvor hatte bereits Hurrikan »Mitch« die neuer- Grufties, Rocker und Hippies – sie allen waren ausge- Verstimmung. lichen Kolonial träume der Deutschen zerstört und die Ernst- Doch Fidel Castro blieb schließlich nichts anderes übrig, Thälmann-Büste am Strand der »Cayo Blanco del Sur« ein- machte Feinde des Landes – nur aus Punk wurde das als den Canossa-Gang nach Moskau anzutreten: 1970 scheiter- fach umgeweht. U System nicht schlau. te sein Versuch, in der sogenannten »Gran Zafra« eine Rekord- ernte von zehn Millionen Tonnen Zuckerrohr einzufahren. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation der Karibikinsel sah sich Castro fortan zu einer engeren Zusam- menarbeit mit der UdSSR genötigt. Als in der DDR Walter Ulbricht 1971 von Erich Honecker abgelöst wurde, begann auch das Tauwetter in den ost- Ernst Thälmann Der Arbeiterführer Ernst Thälmann war in der Weimarer Republik deutsch-kubanischen Beziehungen. Kuba lieferte Zitrusfrüchte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er starb 1944 im KZ Buchenwald. Neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gehörte er in und die DDR kaufte im Gegenzug Zucker zu sogenannten der DDR zu den politischen Galionsfi guren. Ihm waren nicht nur viele Denkmäler Präferenzpreisen, die deutlich über dem Weltmarktniveau gewidmet, die heute noch stehen, sondern auch eine Briefmarke.

10 — f l u t e r Thema: DDR — 11 TEXT: FELIX DENK, FOTOS: HARALD HAUSWALD (OSTKREUZ) Ein Stück Karibik

Das 17. Bundesland in der Karibik: Schenkte Fidel Castro der DDR eine Insel im Süden Kubas? Die Geschichte einer Legende

VON OLE SCHULZ

s ist ein sonniger Junitag des Jahres 1972, als Fidel lagen. Zur Besiegelung der »brüderlichen Einheit« zwischen Castro bei seiner Ankunft in Ostberlin Erich Honecker der DDR und Kuba ließ sich Castro damals zu einer großen Ein die Arme fällt. Kurz darauf breitet der »máximo Geste hinreißen – zwei Monate nach seinem Besuch in der líder« eine riesige Karte vor sich aus. Er zeigt auf eine kleine DDR-Hauptstadt wurde auf der »Cayo Ernesto Thaelmann« Insel im Süden Kubas und erklärt: »Das ist an der Schweine- eine meterhohe Statue für den deutschen Kommunisten er- bucht, wo sich die Aggression der Imperialisten vollzogen richtet, im Beisein des DDR-Botschaftsrats Gerhard Witten. hat.« Danach unterzeichnet Erich Honecker die Kuba-Karte. Drei Jahre später folgte der Landgang der DDR-Schlager- Es ist die Geburt einer Legende: Fidel schenkt der DDR eine Legende Frank Schöbel, der 1975 durch das azurfarbene Insel. Wasser am »DDR-Strand« watete, um das Musikvideo für »Cayo Blanco del Sur«, nur wenige Hundert Meter breit, sein Lied »Insel im Golf von Cazzone« aufzunehmen. Das aber dafür rund zwanzig Kilometer lang, ein unbewohntes, schnulzige Machwerk konnte die fernwehkranken Ostdeut- idyllisches Eiland, war kurz zuvor von den Kubanern in schen aber nicht recht begeistern, und schnell geriet die Ernst- »Cayo Ernesto Thaelmann« umbenannt worden – in Geden- Thälmann-Insel in Vergessenheit. ken an einen »beispielhaften Sohn des deutschen Volkes«. Damit nicht genug: Der lang gestreckte palmengesäumte Die Insel tauchte erst wieder im Jahr 2001 in den Medien Strand im Süden der Insel erhielt den Namen »Playa RDA«, auf, als eine Internetzeitschrift die vermeintliche Sensation »Strand Deutsche Demokratische Republik«. verkündete: »17. Bundesland in der Karibik«. Doch schnell Die graue DDR im Besitz eines tropischen Archipels? wurde festgestellt, dass die Ernst-Thälmann-Insel im Eini- Hintergrund der angeblichen Schenkung war, dass sich die gungsvertrag nicht erwähnt worden war. Sowohl das Auswär- Beziehungen zwischen Kuba und der DDR Anfang der 70er- tige Amt als auch die Kubanische Botschaft in Deutschland Jahre entspannt hatten. Nachdem Ostberlin zuvor Kubas un- erklärten auf Anfrage, dass die Gerüchte, laut denen die Insel orthodoxe Interpretation des Marxismus noch argwöhnisch nach der Wiedervereinigung zum Hoheitsgebiet der Bundes- Der Soundtrack zum Untergang: beäugt hatte. In den Augen der SED-Führung war Fidel Castros republik Deutschland gehöre, jeglicher Grundlage entbehren. In der wohlgeordneten Welt der DDR blühte eine wilde eigenwillige Machtausübung »Partisanenmethoden«, die nur Es sei bloß ein »symbolischer Akt« gewesen, der nichts mit »Unordnung« brächten. Auch dass sich Kuba mehr am chi- tatsächlicher Besitzübertragung zu tun gehabt hätte. Schon Jugendkultur, die den Staat das Fürchten lehrte. nesischen als am sowjetischen Modell orientierte, sorgte für drei Jahre zuvor hatte bereits Hurrikan »Mitch« die neuer- Grufties, Rocker und Hippies – sie allen waren ausge- Verstimmung. lichen Kolonial träume der Deutschen zerstört und die Ernst- Doch Fidel Castro blieb schließlich nichts anderes übrig, Thälmann-Büste am Strand der »Cayo Blanco del Sur« ein- machte Feinde des Landes – nur aus Punk wurde das als den Canossa-Gang nach Moskau anzutreten: 1970 scheiter- fach umgeweht. U System nicht schlau. te sein Versuch, in der sogenannten »Gran Zafra« eine Rekord- ernte von zehn Millionen Tonnen Zuckerrohr einzufahren. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Situation der Karibikinsel sah sich Castro fortan zu einer engeren Zusam- menarbeit mit der UdSSR genötigt. Als in der DDR Walter Ulbricht 1971 von Erich Honecker abgelöst wurde, begann auch das Tauwetter in den ost- Ernst Thälmann Der Arbeiterführer Ernst Thälmann war in der Weimarer Republik deutsch-kubanischen Beziehungen. Kuba lieferte Zitrusfrüchte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er starb 1944 im KZ Buchenwald. Neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gehörte er in und die DDR kaufte im Gegenzug Zucker zu sogenannten der DDR zu den politischen Galionsfi guren. Ihm waren nicht nur viele Denkmäler Präferenzpreisen, die deutlich über dem Weltmarktniveau gewidmet, die heute noch stehen, sondern auch eine Briefmarke.

10 — f l u t e r Thema: DDR — 11 abgebrochen«, erinnert sich Ronald Lippok, der

1956 damals in der Band »Rosa Extra« spielte. »Mir hat man mal auf der Straße Steine hinterhergeschmis- sen«, erinnert sich sein Bruder. Anlass dafür war seine Frisur: kurz, mit Stoppeln und einer langen Strähne. Manche Punks wurden von der Volkspo- lizei verhaftet, um ihnen auf dem Revier den Iroke- senschnitt abzurasieren. Im Ministerium für Staats- sicherheit gab es einen Erkennungsschlüssel, der zwischen Punks, Skinheads, Heavys, New Roman- tics und Poppern als dominante Jugendgruppen der DDR unterschied. Sogar eine Breakdanceszene blühte im Sozialismus. Was sie alle gemein hatten: 1956 Das MfS hielt sie für gefährlich. Volk sau fst a n d i n Auch wenn die »Härte gegen Punk«-Episode Un g a r n, Protest a n den Universitäten den Höhepunkt staatlicher Repression gegen Ju- d er DDR, Gr ü n d u n g d er gendliche darstellte, war das Misstrauen der DDR- Nationalen Volksarmee Führung chronisch gegenüber allen, die anders sein ( N V A ) . wollten. Insbesondere, wenn man die bürgerliche Dekadenz des Westens dahinter witterte. Schon Rock 'n' Roll roch nach Ärger. Walter Ulbricht sah im hüftenschwingenden Elvis ein gefährliches Ge- schütz im Kalten Krieg. Die Beatles galten im Kul- turministerium als Motor der imperialistischen Musikalisch den Aufstand proben: An Rockfans herrschte in der DDR kein Mangel Propagandamaschinerie, die langhaarigen Hippies als maskierte Klassenfeinde. Wann immer neue Ju- gendbewegungen entstanden, versuchte man sie enn es in der DDR einen Ort gab, an dem Band konnte durch den Hintereingang rein, ihre mit aller Macht zu unterdrücken. Scheiterte dies, es unmöglich war, musikalisch den Auf- Anlage im Foyer aufbauen und mit »Stranger than Harald Hauswald, der Fotograf der Bilder zu dieser Geschichte, was in der Regel der Fall war, probierte man sie stand zu proben, dann war das der Palast Kindness« von Nick Cave loslärmen. Es folgte eine stand unter ständiger Beobachtung der Stasi, weil seine Bilder zu vereinnahmen und erfand eigene Musikrich- W angeblich den DDR-Alltag als zu trist zeichneten – bzw. kritischen 1957 der Republik. Das zweitbekannteste Bauwerk der knappe dreiviertel Stunde schräger Instrumental- Geistern ein Gesicht gaben. tungen, die sich an die Westimporte anlehnten: Da Intellektuelle werden DDR nach der Mauer diente als Parlamentsgebäu- versionen von »T-Rex«, den »Beach Boys« und den man Rock nicht verbieten konnte, wurde Anfang inhaftiert. de und Kulturhaus. Es gab einen Konzertsaal, ein »Residents«. Höflicher Applaus des Theaterpubli- So publizierte er 1983 in der BRD ein Buch gemeinsam mit Lutz D er erste Tra b a nt Rathenow, in dem Jugendliche aus der DDR kritisch zu Wort kamen. läu ft vo m B a n d. Theater, eine Milchbar, ein Eiscafé, eine Galerie kums, keine Zugabe, schnell weg. »Wir waren im Der Brief von Kurt Hager, zuständig für die Kulturpolitik, an Erich und sogar eine Bowlingbahn. Alles, was der DDR- Auge des Orkans«, sagt Robert Lippok. »Das war Mielke dokumentiert den Argwohn des Staatsapparats Durchschnittswerktätige allzu oft in seinem be- einfach nicht denkbar, dass da was Illegales aufge- tongrauen Alltag missen musste, sollte er hier be- zogen wird.« Anarchy in the GDR! kommen. Hinter den Kulissen allerdings war der 1961 sozialistische Idealort ein Hochsicherheitstrakt: Auf dem Revier wurde der komplett verkabelt, voller Kameras und sichtbarer wie unsichtbarer Wachmänner. Sogar zwei Stasi- Irokesenschnitt abrasiert Abhörräume gab es. Diese Festung der Staatskul- tur war der allerletzte Ort, wo etwas unbemerkt In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre tanzte eine passieren konnte, geschweige denn ein illegales ganze Generation von Bands dem zerfallenden Punk-konzert. Vorhang auf für »Ornament und Staat auf der Nase rum. Kurz zuvor war das noch Schau mir in die Augen: Die Frauen waren in der DDR emanzipierter, Verbrechen«. brandgefährlich: 1983 forderte Stasi-Chef Mielke auch die Punkerinnen »Piraten-Gigs fanden wir immer schon super«, »Härte gegen Punk«. In einem MfS-Rapport war erzählt Ronald Lippok, und der Palast der Repub- von »Zügen der Entartung und der Asozialität« die der 70er-Jahre mit dem Wechsel von Ulbricht zu lik war nun mal die ultimative Herausforderung. Rede. Sieben Punkbands landeten vor Gericht. Mu- Honecker das »Komitee für Unterhaltungskunst« 1986 ergab sich eine Möglichkeit. »An dem Abend siker von »Namenlos« kamen ins Gefängnis, ande- ein gerichtet, eine Koordinierungsstelle zwischen spielte die englische Rockband Ten Years After. re Bandmitglieder, etwa von »Planlos«, wurden in Kulturministerium und Bands. Ein enormer Behör- 13. August 1961 So eine FDJ-Veranstaltung mit paar Tausend Zu- die NVA eingezogen, wieder andere wurden in die den apparat kümmerte sich fortan um die planwirt- M au er b au u m d e n schauern«, erinnert sich Ronalds Bruder Robert; Nervenheilanstalt ein- oder in den Westen ausge- schaftliche Produktion von Musik, die nach ideo- zuneh menden Flüchtlingsstrom der beide begleiteten an jenem denkwürdigen Tag ein wiesen. »Damals kam oft die Polizei und hat Gigs logischen Maßstäben organisiert wurde. Mit Bands DDR-Bü r g er i n d e n Theaterstück musikalisch. »Wir dachten, wir wä- wie den »Puhdys« sollte ein genuiner Ost-Rock ge- W este n au f zuhalten; ren ja blöd, wenn wir nichts machen würden, wo schaffen werden, um die Wünsche der Jugend zu be- a n d er Gr e nze i m L a n d w er d e n Zäu n e u n d wir schon mal drin sind. Es fehlten ja nur noch die Palast der Republik Der Palast der Republik wurde 1976 in Berlin friedigen. Die Tauwetterperiode währte indes nicht Todesstreifen errich- restlichen vier Bandmitglieder. Und die Verstärker. feierlich eröffnet. Nach der Wende wurde über seinen Erhalt disku- lang. 1975 wurde die Gruppe Renft verboten, 1976 tiert. Am Ende stand der Abriss 2008. An seiner Stelle soll nun das tet, teilweise auch Und natürlich die Instrumente.« Eine Menge Zeug. der kritische Liedermacher Wolf Biermann ausge- Minenfelder. Stadtschloss aufgebaut werden, das 1950 auf Ulbrichts Geheiß hin Doch die Sicherheitskräfte waren überfordert, die gesprengt worden war. bürgert. Von der Strategie der Umarmung ließ man

12 — fluterf l u t e r Thema: DDR — 13 abgebrochen«, erinnert sich Ronald Lippok, der

1956 damals in der Band »Rosa Extra« spielte. »Mir hat man mal auf der Straße Steine hinterhergeschmis- sen«, erinnert sich sein Bruder. Anlass dafür war seine Frisur: kurz, mit Stoppeln und einer langen Strähne. Manche Punks wurden von der Volkspo- lizei verhaftet, um ihnen auf dem Revier den Iroke- senschnitt abzurasieren. Im Ministerium für Staats- sicherheit gab es einen Erkennungsschlüssel, der zwischen Punks, Skinheads, Heavys, New Roman- tics und Poppern als dominante Jugendgruppen der DDR unterschied. Sogar eine Breakdanceszene blühte im Sozialismus. Was sie alle gemein hatten: 1956 Das MfS hielt sie für gefährlich. Volk sau fst a n d i n Auch wenn die »Härte gegen Punk«-Episode Un g a r n, Protest a n den Universitäten den Höhepunkt staatlicher Repression gegen Ju- d er DDR, Gr ü n d u n g d er gendliche darstellte, war das Misstrauen der DDR- Nationalen Volksarmee Führung chronisch gegenüber allen, die anders sein ( N V A ) . wollten. Insbesondere, wenn man die bürgerliche Dekadenz des Westens dahinter witterte. Schon Rock 'n' Roll roch nach Ärger. Walter Ulbricht sah im hüftenschwingenden Elvis ein gefährliches Ge- schütz im Kalten Krieg. Die Beatles galten im Kul- turministerium als Motor der imperialistischen Musikalisch den Aufstand proben: An Rockfans herrschte in der DDR kein Mangel Propagandamaschinerie, die langhaarigen Hippies als maskierte Klassenfeinde. Wann immer neue Ju- gendbewegungen entstanden, versuchte man sie enn es in der DDR einen Ort gab, an dem Band konnte durch den Hintereingang rein, ihre mit aller Macht zu unterdrücken. Scheiterte dies, es unmöglich war, musikalisch den Auf- Anlage im Foyer aufbauen und mit »Stranger than Harald Hauswald, der Fotograf der Bilder zu dieser Geschichte, was in der Regel der Fall war, probierte man sie stand zu proben, dann war das der Palast Kindness« von Nick Cave loslärmen. Es folgte eine stand unter ständiger Beobachtung der Stasi, weil seine Bilder zu vereinnahmen und erfand eigene Musikrich- W angeblich den DDR-Alltag als zu trist zeichneten – bzw. kritischen 1957 der Republik. Das zweitbekannteste Bauwerk der knappe dreiviertel Stunde schräger Instrumental- Geistern ein Gesicht gaben. tungen, die sich an die Westimporte anlehnten: Da Intellektuelle werden DDR nach der Mauer diente als Parlamentsgebäu- versionen von »T-Rex«, den »Beach Boys« und den man Rock nicht verbieten konnte, wurde Anfang inhaftiert. de und Kulturhaus. Es gab einen Konzertsaal, ein »Residents«. Höflicher Applaus des Theaterpubli- So publizierte er 1983 in der BRD ein Buch gemeinsam mit Lutz D er erste Tra b a nt Rathenow, in dem Jugendliche aus der DDR kritisch zu Wort kamen. läu ft vo m B a n d. Theater, eine Milchbar, ein Eiscafé, eine Galerie kums, keine Zugabe, schnell weg. »Wir waren im Der Brief von Kurt Hager, zuständig für die Kulturpolitik, an Erich und sogar eine Bowlingbahn. Alles, was der DDR- Auge des Orkans«, sagt Robert Lippok. »Das war Mielke dokumentiert den Argwohn des Staatsapparats Durchschnittswerktätige allzu oft in seinem be- einfach nicht denkbar, dass da was Illegales aufge- tongrauen Alltag missen musste, sollte er hier be- zogen wird.« Anarchy in the GDR! kommen. Hinter den Kulissen allerdings war der 1961 sozialistische Idealort ein Hochsicherheitstrakt: Auf dem Revier wurde der komplett verkabelt, voller Kameras und sichtbarer wie unsichtbarer Wachmänner. Sogar zwei Stasi- Irokesenschnitt abrasiert Abhörräume gab es. Diese Festung der Staatskul- tur war der allerletzte Ort, wo etwas unbemerkt In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre tanzte eine passieren konnte, geschweige denn ein illegales ganze Generation von Bands dem zerfallenden Punk-konzert. Vorhang auf für »Ornament und Staat auf der Nase rum. Kurz zuvor war das noch Schau mir in die Augen: Die Frauen waren in der DDR emanzipierter, Verbrechen«. brandgefährlich: 1983 forderte Stasi-Chef Mielke auch die Punkerinnen »Piraten-Gigs fanden wir immer schon super«, »Härte gegen Punk«. In einem MfS-Rapport war erzählt Ronald Lippok, und der Palast der Repub- von »Zügen der Entartung und der Asozialität« die der 70er-Jahre mit dem Wechsel von Ulbricht zu lik war nun mal die ultimative Herausforderung. Rede. Sieben Punkbands landeten vor Gericht. Mu- Honecker das »Komitee für Unterhaltungskunst« 1986 ergab sich eine Möglichkeit. »An dem Abend siker von »Namenlos« kamen ins Gefängnis, ande- ein gerichtet, eine Koordinierungsstelle zwischen spielte die englische Rockband Ten Years After. re Bandmitglieder, etwa von »Planlos«, wurden in Kulturministerium und Bands. Ein enormer Behör- 13. August 1961 So eine FDJ-Veranstaltung mit paar Tausend Zu- die NVA eingezogen, wieder andere wurden in die den apparat kümmerte sich fortan um die planwirt- M au er b au u m d e n schauern«, erinnert sich Ronalds Bruder Robert; Nervenheilanstalt ein- oder in den Westen ausge- schaftliche Produktion von Musik, die nach ideo- zuneh menden Flüchtlingsstrom der beide begleiteten an jenem denkwürdigen Tag ein wiesen. »Damals kam oft die Polizei und hat Gigs logischen Maßstäben organisiert wurde. Mit Bands DDR-Bü r g er i n d e n Theaterstück musikalisch. »Wir dachten, wir wä- wie den »Puhdys« sollte ein genuiner Ost-Rock ge- W este n au f zuhalten; ren ja blöd, wenn wir nichts machen würden, wo schaffen werden, um die Wünsche der Jugend zu be- a n d er Gr e nze i m L a n d w er d e n Zäu n e u n d wir schon mal drin sind. Es fehlten ja nur noch die Palast der Republik Der Palast der Republik wurde 1976 in Berlin friedigen. Die Tauwetterperiode währte indes nicht Todesstreifen errich- restlichen vier Bandmitglieder. Und die Verstärker. feierlich eröffnet. Nach der Wende wurde über seinen Erhalt disku- lang. 1975 wurde die Gruppe Renft verboten, 1976 tiert. Am Ende stand der Abriss 2008. An seiner Stelle soll nun das tet, teilweise auch Und natürlich die Instrumente.« Eine Menge Zeug. der kritische Liedermacher Wolf Biermann ausge- Minenfelder. Stadtschloss aufgebaut werden, das 1950 auf Ulbrichts Geheiß hin Doch die Sicherheitskräfte waren überfordert, die gesprengt worden war. bürgert. Von der Strategie der Umarmung ließ man

12 — fluter Thema: DDR — 13 Mit Stolz und Arroganz gegen erste DDR-Indie-Disco aufzogen. »Die machten die Behörden da Filmabende und Töpfernachmittage, also öde Komplettbetreuung«, erinnert sich Galenza – mehr 1968

1963 als 15 Besucher kamen selten zu den braven FDJ- Bands wie »Feeling B«, aus denen später »Ramm- Veranstaltungen. Einer seiner Freunde hatte beim stein« hervorging, »AG. Geige« oder »Herbst in Peking« waren das Gegenteil des ausgeprägten Ordnungswunsches der DDR-Obrigkeit. Und die reagierte mit Zuckerbrot und Peitsche: In man- che Bands schleuste die Stasi sogar IMs ein, etwa in »Die Firma« oder »Wutanfall«. Wieder andere Bands erhielten Genehmigungen für Auftritte, Plat- tenaufnahmen und sogar Auslandsreisen. So spiel- te »Feeling B«ausgerechnet am 9. November 1989 in Westberlin. In den späten 80er-Jahren regierte auch in der 1963 – 6. Parteitag der SED Kulturpolitik das Chaos. »In der DDR musste man 1968 – Prager Frühling Au f d e m 6. Pa r teit ag eigentlich immer für etwas sein«, erinnert sich Mo- Im Nachbarland setzt d er SED w ir d ei n e sic h d ie ko m m u n ist isc h e Reform der Wirtschaft nika Bloss, die bis 1985 als wissenschaftliche Mitar- Re gier u n g f ü r m e h r u n d d ie L o ck er u n g d er beiterin im Komitee für Unterhaltungskunst arbei- D e m ok rat ie ei n. Dieser Ku ltu r- u n d tete. »In den 80er-Jahren organisierte das Komitee Vers uc h w ir d a m Jugendpolitik 21. Au g u st 1968 d u rc h verkündet. mit der FDJ ein Festival. Im Westen hießen solche d ie Tr u p p e n d es Veranstaltungen immer Rock against Racism oder Warschauer Pakts so. In der DDR konnte man sich dann auf Rock niedergeschlagen. Mit Beschattung: Die Kirche war für die Bands einer der wenigen Auftrittsorte für den Frieden einigen.« Das jährliche Festival war der letzte große Versuch, die Jugendlichen mit staatlichen Kulturprodukten zu erreichen. »Offi- dennoch nicht ganz ab. In einem Positionspapier normale Band, eher etwas Flüchtiges, ein Gerücht zielle« Bands wie »Silly« und »Karat« wurden an- hieß es noch 1984: »Rock musik ist geeignet, die aus verfallenen Kellern und Hinterhöfen des Prenz- gehalten, Songs dafür zu schreiben. Doch selbst in Schönheiten des Lebens in Frieden und Sozialismus lauer Bergs, wo die Künstler und Querdenker der Mangelwirtschaft ließen sich diese Platten bald zu propagieren, den Lebensmut zu stärken, Stolz wohnten. Die Besetzungen schwankten, der Sound nicht mehr verkaufen. Die jungen Leute hatten sich Beliebter Treff der Punks: Freizeitpark Plänterwald in Berlin Treptow auf Erreichtes zu zeugen, staatsbürgerliche Haltung auch. Er konnte von Samba bis Industrial gehen. längst ihre eigenen Nischen geschaffen, und die mi- und Aktivität zu fördern und auch Widersprüche »Der Stil war uns egal«, sagt Ronald Lippok. »Das nisteriellen Instanzen waren ziemlich verwundert, transparent zu machen und mit ihren Mitteln Par- hatte damit zu tun, wer gerade mitgemacht hat.« dass sich da junge Leute mit Stolz und Arroganz Jugendklub eine Anstellung bekommen und konn- tei zu nehmen in den Kämpfen unserer Zeit.« Selbst Wichtig war den Musikern vor allem die Inten- den offiziellen Kanälen verweigerten. te das Kollektiv überreden, ihr Programm zu er- als Anfang der 80er-Jahre die neue deutsche Welle sität. 1988 fand das erste Acid-House-Konzert in weitern. »Wir wollten Discoabende machen. Dafür mit Spaßkanonen vom Schlage eines Markus (»Ich der DDR statt – in der Kunsthochschule Berlin- brauchte man einen Discoschein und eine Prü- will Spaß«) vom Westen in die DDR schwappte, Weißensee. Ein Commodore 64 sorgte für die fung seitens der Kulturämter. Dann gab es noch wurden flugs eigene Bands gegründet. Sounds. Statt ihre kommunistische Persönlichkeit die 40-zu-60-Regel. Die besagte, dass 60 Prozent in Jugendklubs oder staatlichen Kulturhäusern zu der Musik aus dem sozialistischen Lager kommen Die zweite Punkgeneration entwickeln, spielten die Bands in Galerien und musste. Unsere Quote war konstant null.« Weil die Wohnungen, Kirchen und Ateliers, experimentier- Partys von Anfang an knallvoll waren, lies sie die war für den Staat nicht mehr zu ten mit Radios und selbst gebauten Instrumenten FDJ gewähren. 1966 entschlüsseln und nahmen in nächtlichen Jamsessions Kassetten Die Musik kam von Kassetten, die aus dem Beginn der Ostpolitik auf, die in 30er-Auflagen im Sympathisantenkreis (West-)Radio aufgenommen waren, am Ende der 1970 unter Außenminister Den Punkbands war diese Vereinnahmung reich- die Runde machten. Unterhalb des Radars der Stücke redete immer Moderator John Peel rein, B ei m B es uc h vo n Willy Willy Brandt. Bra n dt ju b el n d ie Die Bundesrepublik lich egal. Sie wollten von der DDR nichts wissen staatlichen Kontrolle entstand so eine Kommuni- aber das störte niemanden. Platten fanden nicht DDR-Bü r g er d e m n eu e n gi bt i h r e n A llei n- und bemühten sich weder um eine offizielle Spieler- kationsguerilla, die immer neue Nischen für Auf- »Part of the old world lives on this island in « sang die den Weg in die Disco, auch wenn Galenza dank K a nzler d er BR D z u. vertretungsanspruch laubnis, genannt »Pappe«, noch um Plattenaufnah- tritte und Aktionen fand. Die Punkforderung »Do britische Band »Fischer-Z«: Rocker, oder besser Teds in einem seiner Westoma einige hatte. »Das waren Kult- au f, d ie DDR erk e n nt Hinterhof a n, d a ss es ei n men bei dem staatseigenen Label Amiga. Sangen it yourself« wurde wohl nirgends konsequenter um- objekte, die hätte ich nie mitgebracht.« deutsches Volk gibt, Bands der ersten Punkgeneration wie »Planlos« gesetzt als in ostdeutschen Hinterhöfen – und die »Punk war der Soundtrack zum Untergang das lediglich i n z w ei Staaten lebt. oder »Schleimkeim« noch über politische Miss- Umsetzung hat womöglich nirgendwo mehr Spaß Oder sie unterwanderten – wie Ronald Galenza. der DDR«, da ist sich Ronald Galenza sicher. Hier stände, etwa über Stasi-Bespitzelung und Zensur, gemacht. »Der Alltag in der DDR war unfassbar langweilig. machte sich ein Individualismus breit in einer Ge- distanzierte sich die zweite Generation von allzu Wir waren erfüllt von Musik, die nirgends statt- sellschaft, die einen hohen Konformitätsdruck aus- 1966 Politischem und baute auf die Macht des Rätsel- fand.« Die Musik, das war das, was man heimlich übte. Anders auszusehen war eine gehörige Provo- haften, Unentschlüsselbaren, was für die kontroll- Feeling B Die 1983 unter dem Namen »Feeling Berlin« gegründete bei John Peel im britischen Truppensender BFBS kation in einem Staat, dem man nirgends entkam. wütigen Behörden fast der größere Affront war. Band mit ihrem charismatischen Sänger Aljoscha Rompe veröffent- hörte. Doch tanzen konnte man dazu nirgends, bis Die Punks haben das System nicht gestürzt. lichte 1993 ihr letztes Album. Drei Mitglieder der Band stiegen da-

»Eigene Netzwerke aufzubauen war unsere Reak- Galenza und ein paar Punkfreunde den FDJ-Kreis- Doch sie lehrten den Staat das Fürchten. 1970 nach bei Rammstein ein. Rompe suchte neue Mitstreiter für Feeling U tion auf den Staat«, sagt Robert Lippok. Seine B. und machte bis 1999 weiter. Ein Jahr später starb er an einem jugendklub Pablo Neruda auf der Insel der Jugend Band »Ornament & Verbrechen« war nie eine ganz Asthmaanfall in seiner Wohnung in Berlin. in Treptow kaperten und dort mit »X-MAL!« die

14 — fluterf l u t e r Thema: DDR — 15 Mit Stolz und Arroganz gegen erste DDR-Indie-Disco aufzogen. »Die machten die Behörden da Filmabende und Töpfernachmittage, also öde Komplettbetreuung«, erinnert sich Galenza – mehr 1968

1963 als 15 Besucher kamen selten zu den braven FDJ- Bands wie »Feeling B«, aus denen später »Ramm- Veranstaltungen. Einer seiner Freunde hatte beim stein« hervorging, »AG. Geige« oder »Herbst in Peking« waren das Gegenteil des ausgeprägten Ordnungswunsches der DDR-Obrigkeit. Und die reagierte mit Zuckerbrot und Peitsche: In man- che Bands schleuste die Stasi sogar IMs ein, etwa in »Die Firma« oder »Wutanfall«. Wieder andere Bands erhielten Genehmigungen für Auftritte, Plat- tenaufnahmen und sogar Auslandsreisen. So spiel- te »Feeling B«ausgerechnet am 9. November 1989 in Westberlin. In den späten 80er-Jahren regierte auch in der 1963 – 6. Parteitag der SED Kulturpolitik das Chaos. »In der DDR musste man 1968 – Prager Frühling Au f d e m 6. Pa r teit ag eigentlich immer für etwas sein«, erinnert sich Mo- Im Nachbarland setzt d er SED w ir d ei n e sic h d ie ko m m u n ist isc h e Reform der Wirtschaft nika Bloss, die bis 1985 als wissenschaftliche Mitar- Re gier u n g f ü r m e h r u n d d ie L o ck er u n g d er beiterin im Komitee für Unterhaltungskunst arbei- D e m ok rat ie ei n. Dieser Ku ltu r- u n d tete. »In den 80er-Jahren organisierte das Komitee Vers uc h w ir d a m Jugendpolitik 21. Au g u st 1968 d u rc h verkündet. mit der FDJ ein Festival. Im Westen hießen solche d ie Tr u p p e n d es Veranstaltungen immer Rock against Racism oder Warschauer Pakts so. In der DDR konnte man sich dann auf Rock niedergeschlagen. Mit Beschattung: Die Kirche war für die Bands einer der wenigen Auftrittsorte für den Frieden einigen.« Das jährliche Festival war der letzte große Versuch, die Jugendlichen mit staatlichen Kulturprodukten zu erreichen. »Offi- dennoch nicht ganz ab. In einem Positionspapier normale Band, eher etwas Flüchtiges, ein Gerücht zielle« Bands wie »Silly« und »Karat« wurden an- hieß es noch 1984: »Rock musik ist geeignet, die aus verfallenen Kellern und Hinterhöfen des Prenz- gehalten, Songs dafür zu schreiben. Doch selbst in Schönheiten des Lebens in Frieden und Sozialismus lauer Bergs, wo die Künstler und Querdenker der Mangelwirtschaft ließen sich diese Platten bald zu propagieren, den Lebensmut zu stärken, Stolz wohnten. Die Besetzungen schwankten, der Sound nicht mehr verkaufen. Die jungen Leute hatten sich Beliebter Treff der Punks: Freizeitpark Plänterwald in Berlin Treptow auf Erreichtes zu zeugen, staatsbürgerliche Haltung auch. Er konnte von Samba bis Industrial gehen. längst ihre eigenen Nischen geschaffen, und die mi- und Aktivität zu fördern und auch Widersprüche »Der Stil war uns egal«, sagt Ronald Lippok. »Das nisteriellen Instanzen waren ziemlich verwundert, transparent zu machen und mit ihren Mitteln Par- hatte damit zu tun, wer gerade mitgemacht hat.« dass sich da junge Leute mit Stolz und Arroganz Jugendklub eine Anstellung bekommen und konn- tei zu nehmen in den Kämpfen unserer Zeit.« Selbst Wichtig war den Musikern vor allem die Inten- den offiziellen Kanälen verweigerten. te das Kollektiv überreden, ihr Programm zu er- als Anfang der 80er-Jahre die neue deutsche Welle sität. 1988 fand das erste Acid-House-Konzert in weitern. »Wir wollten Discoabende machen. Dafür mit Spaßkanonen vom Schlage eines Markus (»Ich der DDR statt – in der Kunsthochschule Berlin- brauchte man einen Discoschein und eine Prü- will Spaß«) vom Westen in die DDR schwappte, Weißensee. Ein Commodore 64 sorgte für die fung seitens der Kulturämter. Dann gab es noch wurden flugs eigene Bands gegründet. Sounds. Statt ihre kommunistische Persönlichkeit die 40-zu-60-Regel. Die besagte, dass 60 Prozent in Jugendklubs oder staatlichen Kulturhäusern zu der Musik aus dem sozialistischen Lager kommen Die zweite Punkgeneration entwickeln, spielten die Bands in Galerien und musste. Unsere Quote war konstant null.« Weil die Wohnungen, Kirchen und Ateliers, experimentier- Partys von Anfang an knallvoll waren, lies sie die war für den Staat nicht mehr zu ten mit Radios und selbst gebauten Instrumenten FDJ gewähren. 1966 entschlüsseln und nahmen in nächtlichen Jamsessions Kassetten Die Musik kam von Kassetten, die aus dem Beginn der Ostpolitik auf, die in 30er-Auflagen im Sympathisantenkreis (West-)Radio aufgenommen waren, am Ende der 1970 unter Außenminister Den Punkbands war diese Vereinnahmung reich- die Runde machten. Unterhalb des Radars der Stücke redete immer Moderator John Peel rein, B ei m B es uc h vo n Willy Willy Brandt. Bra n dt ju b el n d ie Die Bundesrepublik lich egal. Sie wollten von der DDR nichts wissen staatlichen Kontrolle entstand so eine Kommuni- aber das störte niemanden. Platten fanden nicht DDR-Bü r g er d e m n eu e n gi bt i h r e n A llei n- und bemühten sich weder um eine offizielle Spieler- kationsguerilla, die immer neue Nischen für Auf- »Part of the old world lives on this island in Germany« sang die den Weg in die Disco, auch wenn Galenza dank K a nzler d er BR D z u. vertretungsanspruch laubnis, genannt »Pappe«, noch um Plattenaufnah- tritte und Aktionen fand. Die Punkforderung »Do britische Band »Fischer-Z«: Rocker, oder besser Teds in einem seiner Westoma einige hatte. »Das waren Kult- au f, d ie DDR erk e n nt Hinterhof a n, d a ss es ei n men bei dem staatseigenen Label Amiga. Sangen it yourself« wurde wohl nirgends konsequenter um- objekte, die hätte ich nie mitgebracht.« deutsches Volk gibt, Bands der ersten Punkgeneration wie »Planlos« gesetzt als in ostdeutschen Hinterhöfen – und die »Punk war der Soundtrack zum Untergang das lediglich i n z w ei Staaten lebt. oder »Schleimkeim« noch über politische Miss- Umsetzung hat womöglich nirgendwo mehr Spaß Oder sie unterwanderten – wie Ronald Galenza. der DDR«, da ist sich Ronald Galenza sicher. Hier stände, etwa über Stasi-Bespitzelung und Zensur, gemacht. »Der Alltag in der DDR war unfassbar langweilig. machte sich ein Individualismus breit in einer Ge- distanzierte sich die zweite Generation von allzu Wir waren erfüllt von Musik, die nirgends statt- sellschaft, die einen hohen Konformitätsdruck aus- 1966 Politischem und baute auf die Macht des Rätsel- fand.« Die Musik, das war das, was man heimlich übte. Anders auszusehen war eine gehörige Provo- haften, Unentschlüsselbaren, was für die kontroll- Feeling B Die 1983 unter dem Namen »Feeling Berlin« gegründete bei John Peel im britischen Truppensender BFBS kation in einem Staat, dem man nirgends entkam. wütigen Behörden fast der größere Affront war. Band mit ihrem charismatischen Sänger Aljoscha Rompe veröffent- hörte. Doch tanzen konnte man dazu nirgends, bis Die Punks haben das System nicht gestürzt. lichte 1993 ihr letztes Album. Drei Mitglieder der Band stiegen da-

»Eigene Netzwerke aufzubauen war unsere Reak- Galenza und ein paar Punkfreunde den FDJ-Kreis- Doch sie lehrten den Staat das Fürchten. 1970 nach bei Rammstein ein. Rompe suchte neue Mitstreiter für Feeling U tion auf den Staat«, sagt Robert Lippok. Seine B. und machte bis 1999 weiter. Ein Jahr später starb er an einem jugendklub Pablo Neruda auf der Insel der Jugend Band »Ornament & Verbrechen« war nie eine ganz Asthmaanfall in seiner Wohnung in Berlin. in Treptow kaperten und dort mit »X-MAL!« die

14 — fluter Thema: DDR — 15 TEXT: FABIAN DIETRICH ls der Mann auf den Hof zurückkehrte, Landlosen eigene, kleine Äcker zu. Doch es war ein war er mehr tot als lebendig. Eine ausge- mühsamer Anfang für die neuen Bauern. Der lehmig- A mergelte, zerlumpte Gestalt, die alles aß, sandige Boden ließ sich nur schwer bearbeiten. Es 1971 was ihr in die Finger kam. Der Bauer Lorenz war gab wenige Pferde und Maschinen. Einige hatten 1946 erst acht Jahre alt, aber erinnert sich noch ge- noch nie zuvor einen Pflug bedient. nau an seinen Vater, der aus der Kriegsgefangen- Für Bauer Lorenz und seine Familie war der @:>CH8=yC:GA6C9 schaft kam. »Wir mussten aufpassen, dass er nicht Sommer 1952 eine unruhige Zeit. Der Vater sorgte zu viel isst. In Russland hatte er sein Sättigungs- sich, dass die Russen die DDR zu einer Art zwei- gefühl verloren. Einigen von den Heimkehrern war ten Sowjetunion machen wollten, denn fernab von L>:6J;:>CE66Gt8@:GC:>C: der Magen geplatzt.« Mestlin hatte die SED eine folgenschwere Entschei- Das mecklenburgische Dorf Mestlin bot nach dung getroffen. Auf ihrer zweiten Parteikonferenz 1971 – 8. Parteitag der SED dem Zweiten Weltkrieg ein erbärmliches Bild. beschlossen die Delegierten die »planmäßige Er- Eric h Ho n e ck er löst A6C9L>GIH8=6;IA>8=:EGD9J@I>DCH<:CDHH:CH8=6;IAE< Wa lter Ul bric ht a ls Zwischen den Äckern standen ein paar einfache, richtung der Grundlagen des Sozialismus in der erste n Sek r et ä r d es schuppen ähnliche Katen und ein Gutshaus aus DDR«. Das klang nach Kollektivierung und Re- Zentralkomitees der :CIHI:=IJC9>B@ JAIJG=6JHE6GIN<:B68=IL>G9# Backstein. Über die Felder zogen die Vertriebenen pression. Aus Angst vor den Veränderungen flohen SED a b. aus den Ostgebieten mit Pferdewagen und Hand- fast alle Bauern aus Mestlin und den Nachbar- karren in den Ort. Die Häuser waren überfüllt, die dörfern in den Westen. Sie nahmen ihre Tiere mit Lebensmittel von der Roten Armee rationiert. Die und auch ihr Wissen über die Böden und die Ernte. Mestliner malten ihr Getreide illegal mit Kaffee- Noch heute reden die Alten im Dorf davon, wie Die mühlen zu Mehl. Um nicht aufzufallen, schlach- ganze Familien nachts ihr Hab und Gut zusam- teten sie ihr Vieh heimlich nachts im Licht von menschnürten und tags darauf verschwunden wa- Geschichte des Petroleumlampen. ren. Bauer Lorenz und sein Vater hatte nicht viel mecklenburgischen Mestlin war ein bedeutungsloser Flecken, ein Dorfes Mestlin unterentwickeltes, größtenteils von Tagelöhnern Teil 1 bewohntes Dorf, das bis auf den Gutshof noch nicht einmal an die Stromversorgung angeschlos- sen war. Der Boden wurde an einen Gutsherren verpachtet und von armen Landarbeitern bestellt. Es sprach eigentlich nichts dafür, dass sich daran je etwas ändern würde. Doch im Jahr 1949, als der Arbeiter- und Bauernstaat DDR gegründet wurde, wandelte sich Mestlin genau wegen seiner Armut und Abgelegenheit zu einem interessanten Ort.

Für Mestlin war sich keiner zu schade: Auch die berühmte DDR-Band Karat spielte im Kulturhaus

Land zu verlieren. Sie blieben, obwohl sich Mestlin ein paar Wochen nach der Parteikonferenz bereits zu verändern begann. 25 Neubauern schlossen sich zu einer Landwirtschaftlichen Produktions- 1973 genossenschaft (LPG) zusammen und begannen, Die Weltfestspiele der Jugend und Studenten gemeinsame Sache zu machen. Sie nannten das i n Ost b erli n solle n ganze »Neues Leben«, wahrscheinlich weil es so d er W elt zeig e n, w ie sehr nach Zukunft klang. jugendnah und liberal d ie DDR ist. Unser Dorf soll schöner werden: Nach nur drei Jahren Bauzeit hatte Viele der Bauern, darunter auch Lorenz’ Vater, Mestlin das schönste Kulturhaus weit und breit weigerten sich zunächst, in die LPG zu gehen. Doch es war keine freiwillige Entscheidung, nicht Hier konnte man sehen, welch elende Verhältnisse in Mestlin und nirgendwo sonst in der DDR. Die die feudale Landwirtschaft den Menschen gebracht SED setzte die Bauern unter Druck. Sie trieb die hatte. Hier konnte man spüren, wie der Kapitalis- Kollektivierung der Landwirtschaft voran. Bald mus die Menschen knechtet. Mestlin war der per- konnte auch Lorenz nicht mehr standhalten – sein

fekte Ort für ein Experiment. Hier konnte man de- Land wurde Teil der LPG. 1973 monstrieren, wie überlegen der Sozialismus war. Zur selben Zeit rückten im ehemaligen Trotz des Materialmangels wuchs das Dorf Tagelöhnerdorf Mestlin die Baukolonnen an. Um schnell, die Vertriebenen errichteten schlichte die »Lebensbedingungen von Stadt und Land« Siedler häuser für sich und ihre Familien. Die Kriegs- heimkehrer nahmen die Wirtschaft wieder auf. LPG Die Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft Auf Anordnung der sowjetischen Militäradminis- war ein Ideal des Sozialismus und äußerte sich u. a. im Zusammen- tration sicherte eine Bodenreform schon 1947 den schluss von Betrieben zu Produktionsgenossenschaften.

16 — fluter Thema: DDR — 17 TEXT: FABIAN DIETRICH ls der Mann auf den Hof zurückkehrte, Landlosen eigene, kleine Äcker zu. Doch es war ein war er mehr tot als lebendig. Eine ausge- mühsamer Anfang für die neuen Bauern. Der lehmig- A mergelte, zerlumpte Gestalt, die alles aß, sandige Boden ließ sich nur schwer bearbeiten. Es 1971 was ihr in die Finger kam. Der Bauer Lorenz war gab wenige Pferde und Maschinen. Einige hatten 1946 erst acht Jahre alt, aber erinnert sich noch ge- noch nie zuvor einen Pflug bedient. nau an seinen Vater, der aus der Kriegsgefangen- Für Bauer Lorenz und seine Familie war der @:>CH8=yC:GA6C9 schaft kam. »Wir mussten aufpassen, dass er nicht Sommer 1952 eine unruhige Zeit. Der Vater sorgte zu viel isst. In Russland hatte er sein Sättigungs- sich, dass die Russen die DDR zu einer Art zwei- gefühl verloren. Einigen von den Heimkehrern war ten Sowjetunion machen wollten, denn fernab von L>:6J;:>CE66Gt8@:GC:>C: der Magen geplatzt.« Mestlin hatte die SED eine folgenschwere Entschei- Das mecklenburgische Dorf Mestlin bot nach dung getroffen. Auf ihrer zweiten Parteikonferenz 1971 – 8. Parteitag der SED dem Zweiten Weltkrieg ein erbärmliches Bild. beschlossen die Delegierten die »planmäßige Er- Eric h Ho n e ck er löst A6C9L>GIH8=6;IA>8=:EGD9J@I>DCH<:CDHH:CH8=6;IAE< Wa lter Ul bric ht a ls Zwischen den Äckern standen ein paar einfache, richtung der Grundlagen des Sozialismus in der erste n Sek r et ä r d es schuppen ähnliche Katen und ein Gutshaus aus DDR«. Das klang nach Kollektivierung und Re- Zentralkomitees der :CIHI:=IJC9>B@ JAIJG=6JHE6GIN<:B68=IL>G9# Backstein. Über die Felder zogen die Vertriebenen pression. Aus Angst vor den Veränderungen flohen SED a b. aus den Ostgebieten mit Pferdewagen und Hand- fast alle Bauern aus Mestlin und den Nachbar- karren in den Ort. Die Häuser waren überfüllt, die dörfern in den Westen. Sie nahmen ihre Tiere mit Lebensmittel von der Roten Armee rationiert. Die und auch ihr Wissen über die Böden und die Ernte. Mestliner malten ihr Getreide illegal mit Kaffee- Noch heute reden die Alten im Dorf davon, wie Die mühlen zu Mehl. Um nicht aufzufallen, schlach- ganze Familien nachts ihr Hab und Gut zusam- teten sie ihr Vieh heimlich nachts im Licht von menschnürten und tags darauf verschwunden wa- Geschichte des Petroleumlampen. ren. Bauer Lorenz und sein Vater hatte nicht viel mecklenburgischen Mestlin war ein bedeutungsloser Flecken, ein Dorfes Mestlin unterentwickeltes, größtenteils von Tagelöhnern Teil 1 bewohntes Dorf, das bis auf den Gutshof noch nicht einmal an die Stromversorgung angeschlos- sen war. Der Boden wurde an einen Gutsherren verpachtet und von armen Landarbeitern bestellt. Es sprach eigentlich nichts dafür, dass sich daran je etwas ändern würde. Doch im Jahr 1949, als der Arbeiter- und Bauernstaat DDR gegründet wurde, wandelte sich Mestlin genau wegen seiner Armut und Abgelegenheit zu einem interessanten Ort.

Für Mestlin war sich keiner zu schade: Auch die berühmte DDR-Band Karat spielte im Kulturhaus

Land zu verlieren. Sie blieben, obwohl sich Mestlin ein paar Wochen nach der Parteikonferenz bereits zu verändern begann. 25 Neubauern schlossen sich zu einer Landwirtschaftlichen Produktions- 1973 genossenschaft (LPG) zusammen und begannen, Die Weltfestspiele der Jugend und Studenten gemeinsame Sache zu machen. Sie nannten das i n Ost b erli n solle n ganze »Neues Leben«, wahrscheinlich weil es so d er W elt zeig e n, w ie sehr nach Zukunft klang. jugendnah und liberal d ie DDR ist. Unser Dorf soll schöner werden: Nach nur drei Jahren Bauzeit hatte Viele der Bauern, darunter auch Lorenz’ Vater, Mestlin das schönste Kulturhaus weit und breit weigerten sich zunächst, in die LPG zu gehen. Doch es war keine freiwillige Entscheidung, nicht Hier konnte man sehen, welch elende Verhältnisse in Mestlin und nirgendwo sonst in der DDR. Die die feudale Landwirtschaft den Menschen gebracht SED setzte die Bauern unter Druck. Sie trieb die hatte. Hier konnte man spüren, wie der Kapitalis- Kollektivierung der Landwirtschaft voran. Bald mus die Menschen knechtet. Mestlin war der per- konnte auch Lorenz nicht mehr standhalten – sein

fekte Ort für ein Experiment. Hier konnte man de- Land wurde Teil der LPG. 1973 monstrieren, wie überlegen der Sozialismus war. Zur selben Zeit rückten im ehemaligen Trotz des Materialmangels wuchs das Dorf Tagelöhnerdorf Mestlin die Baukolonnen an. Um schnell, die Vertriebenen errichteten schlichte die »Lebensbedingungen von Stadt und Land« Siedler häuser für sich und ihre Familien. Die Kriegs- heimkehrer nahmen die Wirtschaft wieder auf. LPG Die Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft Auf Anordnung der sowjetischen Militäradminis- war ein Ideal des Sozialismus und äußerte sich u. a. im Zusammen- tration sicherte eine Bodenreform schon 1947 den schluss von Betrieben zu Produktionsgenossenschaften.

16 — fluter Thema: DDR — 17 in Mestlin von den Festen, die sie damals feierten. »Kulturhaus voll bis unde die Dägge. Erntefest,

1976 Schnaps, Musik. Dann geht dat ab hier, nä!«, er- zählt ein Landarbeiter. Die Energiekrise 1979/80 warf die LPG »Neues Leben« zurück. Statt bessere Maschinen zu be- kommen, mussten die Arbeiter wieder mehr mit der Hand anpacken. »Mehr produzieren, besser wirtschaften, billiger verkaufen«, solche Parolen müssen damals geklungen haben wie Hohn. Es war eine Zeit der Mangelwirtschaft. Wenn Bauer Lorenz Baustoffe oder Heizungen kaufen wollte, ging er nicht ins Geschäft, weil ihn das nicht wei- terbrachte. Er machte es wie alle. Er »organisier- te«, bestach die Händler einfach mit Ziegeln oder Dung. 22. August 1976 Als er in die Sowjetunion in den Urlaub fuhr, Au s Protest g e g e n d ie war Bauer Lorenz irritiert. »Die Arbeitsmoral war Die Ostmark: Viel größer waren die Scheine in Polit ik i n d er DDR so sehr im Keller, das konnte nicht mehr so weiter- echt auch nicht. Die Geldstück waren aus v er br e n nt sic h i n Aluminium, also sehr leicht H a lle d er ev a n g elisc h e gehen.« In Sotschi entdeckte er ein Geschäft, vor Pa stor Osk a r dem sich Hunderte Menschen in Fünferreihen an- Brüsewitz. stellten. Er betrat den Raum und sah, dass es um Den Einkaufsbeutel immer Millionen Tonnen kürzte, wirkte sich nichts als Alkohol ging. im Anschlag das auf die DDR fatal aus. Zudem ver- Dass Bauer Lorenz nicht mit allem zufrieden ursachten sozialpoli tische Leistungen Heile Welt: Ein Trabi vor der Tür und ein eigenes Haus waren schon mal zwei Gründe, sich in Mestlin wohlzufühlen war, fiel offenbar niemandem auf. Insbesondere Die Plan(los)- Wirtschaft wie günstiger Wohnraum oder Kindes- der Stasi nicht. Als er ohne größere Hoffnung ei- der DDR betreuung enorme Kosten. Der Export nen Reiseantrag stellte, um mit seiner Mutter die hochwertiger Produkte sollte Devisen Verwandten im Westen zu besuchen, wurde es ihm ins Land bringen, sorgte aber vor al- auszugleichen, wurde die Wasser- und Abwasser- wollte ein guter Landwirt sein und sonst nichts. überraschenderweise erlaubt. Im Westen organi- Bei aller Propaganda gegen den Klas- lem für einen Mangel im eigenen Land. versorgung erneuert, es wurden 152 Wohnungen Wenn es etwas auszusetzen gab am Sozialismus sierten seine Verwandten eine Tour über die Höfe senfeind: Das Geld aus dem Westen Mal fehlten Durchlauferhitzer, dann errichtet und elektrische Leitungen verlegt. Auf oder an der Arbeit in der LPG, hütete er sich, vor in der Umgebung. Für Bauer Lorenz war es eine nahm man gern. Ausgerechnet der da- wieder Schreibmaschinen oder Leder- dem Gutsherrenacker entstanden gewaltige, fast den SED-Parteigenossen zu sprechen. Gründe sich Studienreise, er sah das erste Mal, auf welchem malige bayerische Ministerpräsident schuhe und Knäckebrot. Immer hatte großstädtische Gebäude in Sichtweite der alten zu ärgern gab es genug: Die Politik gab ihnen stän- technologischen Stand das kapitalistische Ausland Franz-Josef Strauß vermittelte der der DDR-Bürger einen Beutel in der Tage löhnerkaten. Sie bauten eine Kinderkrippe dig steigende Produktionspläne vor, die sie zu er- war. Er sagt, da habe er gewusst, »dass es bei uns DDR 1983 und 1984 zwei Kredite im Tasche, falls es doch irgendwo Sel- und einen Kindergarten, eine Schule und ein me- füllen hatten, aber ohne Fälschereien nicht erfüllen bald knallen wird«. Umfang von fast zwei Milliarden DM. tenheiten wie Bananen oder Orangen dizinisches Zentrum. Nach nur drei Jahren Bauzeit konnten. »Unsere Losung hieß damals: Ohne Gott Als es 1989 in vielen Städten Proteste gab, wa- Aber auch das war angesichts der gab. Wohl daher konnte die Banane ragte auf dem neuen Dorfplatz, der den Namen und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein. Doch ren die Mestliner rein räumlich gesehen weit da- Ver schuldung der DDR, die zwischen nach der Wende zu einem Symbol für Marx-Engels-Platz bekam, ein gewaltiges Kultur- das stimmte nicht wirklich. Unsere Maschinen wa- von entfernt. Aber sie erfuhren aus dem Fernsehen, 1981 und 1989 zwischen 15 und 20 den neuen Wohlstand werden. haus in den Himmel. ren nicht gut. Die Ernte zog sich in die Länge. Wir dass ihr Staat ins Wanken geriet. Bauer Lorenz war Milliarden DM lag, nur ein Tropfen auf Die Arbeiter frustrierte es außer- Helmut Krenz und seine Frau Elsbeth zogen brauchten so lange, bis der Regen kam, und dann überzeugt davon, dass er nun eingezogen würde. den heißen Stein. dem, dass ihre Produkte zunehmend Anfang der 60er-Jahre nach Mestlin und waren be- produzierten wir nicht genug.« Er dachte, er müsste im Bruderkrieg auf die ande- Wie konnte es zu diesem Beinahe- in den »Westen« gingen. Andererseits geistert von der Stimmung im Ort. »Das war ’ne ren Deutschen schießen. Doch die Wende verlief bankrott kommen? Der Wirtschaft der ließ man westdeutsche Marken wie Kinderfabrik, junge Leute wohin man sieht. Und an Die Energiekrise stoppte friedlich in Mestlin. Eine Handvoll Menschen de- DDR lagen strenge Planvorgaben zu- Nivea oder Salamander-Schuhe zu Bil- den Sozialismus haben wir auch geglaubt«, erzählt monstrierte auf dem Marx-Engels-Platz für einen grunde – für die Arbeiter gab es eine liglöhnen in der DDR produzieren – er. Die Arbeiter der LPG »Neues Leben« verdien- den Aufschwung. besseren Sozialismus. Viel mehr passierte nicht. feste Norm, für die Konsumenten gegen einen Teil der produzierten Pro- ten nicht viel, aber sie waren Teilhaber eines auf Plötzlich war auf dem Feld Dass nun Veränderungen anstanden, war auch absolute Preisbindung. Es gab keine dukte. Zu einem regelrechten Faktor über 400 Menschen angewachsenen Betriebs. Sie Handarbeit gefragt hier, im mecklenburgischen Hinterland, allen klar. Festlegung auf ein System von Angebot des Finanzhaushalts wurde auch der November 1976 hatten Anspruch auf Freizeit, Urlaub und Rente. Doch keiner von ihnen hatte damals geglaubt, dass und Nachfrage, das eine freie Markt- Verkauf von Menschen: Über 33.000 Der Liedermacher Der Konsum Mestlin verkaufte Fernseher, Kühl- Mestlin den Weg nicht nach weiter vorne, sondern wirtschaft stark bestimmt – mit den Menschen kaufte die BRD aus Ge- Wolf Bier m a n n w ir d ausgebürgert. schränke, Waschmaschinen, Motorräder und Mo- Um das Kulturhaus beneideten die umliegenden zurückgehen wird. U entsprechenden Folgen. Den Arbeitern fängnissen frei – je schlechter es der Nac h d e m er z u vor peds. Das Dorf wuchs auf mehr als 1.500 Einwoh- Dörfer Mestlin. Zweimal in der Woche fanden und Geschäftsführern fehlte in diesem DDR ging, desto höher war der Preis: in Westdeutschland ner. Die Schweriner Volkszeitung schrieb: »Dieses Kino abende statt. Freitags feierten die Betriebe Wie es mit dem Dorf Mestlin nach der Revolution bürokratisierten System jede Eigenver- Kurz vor der Wende kostete ein Konzerte gegeben h atte, w ir d i h m d ie Ereignis ist für das einstmals arme Gutsdorf und rauschende Feste und am Samstag die Jugend- weiterging, lest ihr auf Seite 5 des zweiten Teils. antwortung. Die Waren, die von oben Mensch 90.000 DM. Rückreise verweigert. heute sozialistische Dorf Mestlin eine Krönung all lichen. In den Räumen trafen sich die Menschen zu zugeteilt wurden, kamen oft an der fal- Wer über DM verfügte, konnte in dessen, was durch unsere Arbeiter- und Bauern- Parteiveranstaltungen, Jugendweihen und Vorträ- schen Stelle oder gar nicht an. Hinzu den sogenannten Intershops einkau- macht in den letzten Jahren geschaffen wurde.« gen mit dem Titel »Kennst du die Sowjetunion?«. kam eine veraltete Industrieausrüstung fen, in denen es Waren gab, die in den Auch Bauer Lorenz sah, dass das ein Fort- Bands wie die Amigos und Karat traten auf, es gab und steigende Rohöl- und Rohstoff- normalen Läden fehlten. So wurde aus 1976 schritt war. Seit er und sein Vater nicht mehr pri- ein Dorftheater, eine Bibliothek und ein Fotolabor. preise. Als die selbst in eine ökonomi- der vorgeblich klassenlosen Gesell- vat wirtschafteten, arbeitete er als Traktorist in Aus dem ganzen Kreisgebiet strömten die Men- sche Schieflage geratene Sow jetunion schaft doch wieder ein System mit un- der LPG, die eine der größten in der DDR war. Er schen zu ihnen ins Dorf. Noch heute schwärmen sie ihre Öllieferungen 1981 um 19 auf 17 terschiedlichen Privilegien. U

18 — fluterf l u t e r Thema: DDR — 19 in Mestlin von den Festen, die sie damals feierten. »Kulturhaus voll bis unde die Dägge. Erntefest,

1976 Schnaps, Musik. Dann geht dat ab hier, nä!«, er- zählt ein Landarbeiter. Die Energiekrise 1979/80 warf die LPG »Neues Leben« zurück. Statt bessere Maschinen zu be- kommen, mussten die Arbeiter wieder mehr mit der Hand anpacken. »Mehr produzieren, besser wirtschaften, billiger verkaufen«, solche Parolen müssen damals geklungen haben wie Hohn. Es war eine Zeit der Mangelwirtschaft. Wenn Bauer Lorenz Baustoffe oder Heizungen kaufen wollte, ging er nicht ins Geschäft, weil ihn das nicht wei- terbrachte. Er machte es wie alle. Er »organisier- te«, bestach die Händler einfach mit Ziegeln oder Dung. 22. August 1976 Als er in die Sowjetunion in den Urlaub fuhr, Au s Protest g e g e n d ie war Bauer Lorenz irritiert. »Die Arbeitsmoral war Die Ostmark: Viel größer waren die Scheine in Polit ik i n d er DDR so sehr im Keller, das konnte nicht mehr so weiter- echt auch nicht. Die Geldstück waren aus v er br e n nt sic h i n Aluminium, also sehr leicht H a lle d er ev a n g elisc h e gehen.« In Sotschi entdeckte er ein Geschäft, vor Pa stor Osk a r dem sich Hunderte Menschen in Fünferreihen an- Brüsewitz. stellten. Er betrat den Raum und sah, dass es um Den Einkaufsbeutel immer Millionen Tonnen kürzte, wirkte sich nichts als Alkohol ging. im Anschlag das auf die DDR fatal aus. Zudem ver- Dass Bauer Lorenz nicht mit allem zufrieden ursachten sozialpoli tische Leistungen Heile Welt: Ein Trabi vor der Tür und ein eigenes Haus waren schon mal zwei Gründe, sich in Mestlin wohlzufühlen war, fiel offenbar niemandem auf. Insbesondere Die Plan(los)- Wirtschaft wie günstiger Wohnraum oder Kindes- der Stasi nicht. Als er ohne größere Hoffnung ei- der DDR betreuung enorme Kosten. Der Export nen Reiseantrag stellte, um mit seiner Mutter die hochwertiger Produkte sollte Devisen Verwandten im Westen zu besuchen, wurde es ihm ins Land bringen, sorgte aber vor al- auszugleichen, wurde die Wasser- und Abwasser- wollte ein guter Landwirt sein und sonst nichts. überraschenderweise erlaubt. Im Westen organi- Bei aller Propaganda gegen den Klas- lem für einen Mangel im eigenen Land. versorgung erneuert, es wurden 152 Wohnungen Wenn es etwas auszusetzen gab am Sozialismus sierten seine Verwandten eine Tour über die Höfe senfeind: Das Geld aus dem Westen Mal fehlten Durchlauferhitzer, dann errichtet und elektrische Leitungen verlegt. Auf oder an der Arbeit in der LPG, hütete er sich, vor in der Umgebung. Für Bauer Lorenz war es eine nahm man gern. Ausgerechnet der da- wieder Schreibmaschinen oder Leder- dem Gutsherrenacker entstanden gewaltige, fast den SED-Parteigenossen zu sprechen. Gründe sich Studienreise, er sah das erste Mal, auf welchem malige bayerische Ministerpräsident schuhe und Knäckebrot. Immer hatte großstädtische Gebäude in Sichtweite der alten zu ärgern gab es genug: Die Politik gab ihnen stän- technologischen Stand das kapitalistische Ausland Franz-Josef Strauß vermittelte der der DDR-Bürger einen Beutel in der Tage löhnerkaten. Sie bauten eine Kinderkrippe dig steigende Produktionspläne vor, die sie zu er- war. Er sagt, da habe er gewusst, »dass es bei uns DDR 1983 und 1984 zwei Kredite im Tasche, falls es doch irgendwo Sel- und einen Kindergarten, eine Schule und ein me- füllen hatten, aber ohne Fälschereien nicht erfüllen bald knallen wird«. Umfang von fast zwei Milliarden DM. tenheiten wie Bananen oder Orangen dizinisches Zentrum. Nach nur drei Jahren Bauzeit konnten. »Unsere Losung hieß damals: Ohne Gott Als es 1989 in vielen Städten Proteste gab, wa- Aber auch das war angesichts der gab. Wohl daher konnte die Banane ragte auf dem neuen Dorfplatz, der den Namen und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein. Doch ren die Mestliner rein räumlich gesehen weit da- Ver schuldung der DDR, die zwischen nach der Wende zu einem Symbol für Marx-Engels-Platz bekam, ein gewaltiges Kultur- das stimmte nicht wirklich. Unsere Maschinen wa- von entfernt. Aber sie erfuhren aus dem Fernsehen, 1981 und 1989 zwischen 15 und 20 den neuen Wohlstand werden. haus in den Himmel. ren nicht gut. Die Ernte zog sich in die Länge. Wir dass ihr Staat ins Wanken geriet. Bauer Lorenz war Milliarden DM lag, nur ein Tropfen auf Die Arbeiter frustrierte es außer- Helmut Krenz und seine Frau Elsbeth zogen brauchten so lange, bis der Regen kam, und dann überzeugt davon, dass er nun eingezogen würde. den heißen Stein. dem, dass ihre Produkte zunehmend Anfang der 60er-Jahre nach Mestlin und waren be- produzierten wir nicht genug.« Er dachte, er müsste im Bruderkrieg auf die ande- Wie konnte es zu diesem Beinahe- in den »Westen« gingen. Andererseits geistert von der Stimmung im Ort. »Das war ’ne ren Deutschen schießen. Doch die Wende verlief bankrott kommen? Der Wirtschaft der ließ man westdeutsche Marken wie Kinderfabrik, junge Leute wohin man sieht. Und an Die Energiekrise stoppte friedlich in Mestlin. Eine Handvoll Menschen de- DDR lagen strenge Planvorgaben zu- Nivea oder Salamander-Schuhe zu Bil- den Sozialismus haben wir auch geglaubt«, erzählt monstrierte auf dem Marx-Engels-Platz für einen grunde – für die Arbeiter gab es eine liglöhnen in der DDR produzieren – er. Die Arbeiter der LPG »Neues Leben« verdien- den Aufschwung. besseren Sozialismus. Viel mehr passierte nicht. feste Norm, für die Konsumenten gegen einen Teil der produzierten Pro- ten nicht viel, aber sie waren Teilhaber eines auf Plötzlich war auf dem Feld Dass nun Veränderungen anstanden, war auch absolute Preisbindung. Es gab keine dukte. Zu einem regelrechten Faktor über 400 Menschen angewachsenen Betriebs. Sie Handarbeit gefragt hier, im mecklenburgischen Hinterland, allen klar. Festlegung auf ein System von Angebot des Finanzhaushalts wurde auch der November 1976 hatten Anspruch auf Freizeit, Urlaub und Rente. Doch keiner von ihnen hatte damals geglaubt, dass und Nachfrage, das eine freie Markt- Verkauf von Menschen: Über 33.000 Der Liedermacher Der Konsum Mestlin verkaufte Fernseher, Kühl- Mestlin den Weg nicht nach weiter vorne, sondern wirtschaft stark bestimmt – mit den Menschen kaufte die BRD aus Ge- Wolf Bier m a n n w ir d ausgebürgert. schränke, Waschmaschinen, Motorräder und Mo- Um das Kulturhaus beneideten die umliegenden zurückgehen wird. U entsprechenden Folgen. Den Arbeitern fängnissen frei – je schlechter es der Nac h d e m er z u vor peds. Das Dorf wuchs auf mehr als 1.500 Einwoh- Dörfer Mestlin. Zweimal in der Woche fanden und Geschäftsführern fehlte in diesem DDR ging, desto höher war der Preis: in Westdeutschland ner. Die Schweriner Volkszeitung schrieb: »Dieses Kino abende statt. Freitags feierten die Betriebe Wie es mit dem Dorf Mestlin nach der Revolution bürokratisierten System jede Eigenver- Kurz vor der Wende kostete ein Konzerte gegeben h atte, w ir d i h m d ie Ereignis ist für das einstmals arme Gutsdorf und rauschende Feste und am Samstag die Jugend- weiterging, lest ihr auf Seite 5 des zweiten Teils. antwortung. Die Waren, die von oben Mensch 90.000 DM. Rückreise verweigert. heute sozialistische Dorf Mestlin eine Krönung all lichen. In den Räumen trafen sich die Menschen zu zugeteilt wurden, kamen oft an der fal- Wer über DM verfügte, konnte in dessen, was durch unsere Arbeiter- und Bauern- Parteiveranstaltungen, Jugendweihen und Vorträ- schen Stelle oder gar nicht an. Hinzu den sogenannten Intershops einkau- macht in den letzten Jahren geschaffen wurde.« gen mit dem Titel »Kennst du die Sowjetunion?«. kam eine veraltete Industrieausrüstung fen, in denen es Waren gab, die in den Auch Bauer Lorenz sah, dass das ein Fort- Bands wie die Amigos und Karat traten auf, es gab und steigende Rohöl- und Rohstoff- normalen Läden fehlten. So wurde aus 1976 schritt war. Seit er und sein Vater nicht mehr pri- ein Dorftheater, eine Bibliothek und ein Fotolabor. preise. Als die selbst in eine ökonomi- der vorgeblich klassenlosen Gesell- vat wirtschafteten, arbeitete er als Traktorist in Aus dem ganzen Kreisgebiet strömten die Men- sche Schieflage geratene Sow jetunion schaft doch wieder ein System mit un- der LPG, die eine der größten in der DDR war. Er schen zu ihnen ins Dorf. Noch heute schwärmen sie ihre Öllieferungen 1981 um 19 auf 17 terschiedlichen Privilegien. U

18 — fluter Thema: DDR — 19 Die Paket- lösung

Wer als DDR-Bürger Verwandte im Westen hatte, bekam von denen nicht selten Darunter waren u. a. Stereoanlagen, Autos, Waschmittel, Spielzeug und sogar Pakete geschickt – voller Westwaren wie Wrangler-Jeans, Jacobs-Kaffee oder Fertighäuser von Neckermann. Die Waren wurden prompt geliefert – ohne die Milka-Schokolade. Die DDR-Regierung erkannte in der Geschenke-Laune eine gute üblichen Wartezeiten. Ein Wartburg etwa, auf den man in der DDR bis zu 15 Jahre Quelle für die dringend benötigten Devisen und schuf mit der »Geschenkdienst- und warten musste, stand schon Wochen später vor der Tür. Allein 1973 wurden 6.800 Kleinexporte GmbH« (kurz Genex) ein Unternehmen, das eigens einen Katalog voller davon über den Katalog bestellt. Es gab aber auch Westautos wie den VW-Golf oder Ost- und West-Waren herausgab, die Westdeutsche für DM bestellen und direkt an in anderen Jahren einen Fiat Uno. Zwischen 1963 und 1989 setzte die Gemex ihre Verwandten in der DDR schicken lassen konnten. insgesamt 3,3 Milliarden DM um.

20 — fluterf l u t e r Thema: DDR — 21 Die Paket- lösung

Wer als DDR-Bürger Verwandte im Westen hatte, bekam von denen nicht selten Darunter waren u. a. Stereoanlagen, Autos, Waschmittel, Spielzeug und sogar Pakete geschickt – voller Westwaren wie Wrangler-Jeans, Jacobs-Kaffee oder Fertighäuser von Neckermann. Die Waren wurden prompt geliefert – ohne die Milka-Schokolade. Die DDR-Regierung erkannte in der Geschenke-Laune eine gute üblichen Wartezeiten. Ein Wartburg etwa, auf den man in der DDR bis zu 15 Jahre Quelle für die dringend benötigten Devisen und schuf mit der »Geschenkdienst- und warten musste, stand schon Wochen später vor der Tür. Allein 1973 wurden 6.800 Kleinexporte GmbH« (kurz Genex) ein Unternehmen, das eigens einen Katalog voller davon über den Katalog bestellt. Es gab aber auch Westautos wie den VW-Golf oder Ost- und West-Waren herausgab, die Westdeutsche für DM bestellen und direkt an in anderen Jahren einen Fiat Uno. Zwischen 1963 und 1989 setzte die Gemex ihre Verwandten in der DDR schicken lassen konnten. insgesamt 3,3 Milliarden DM um.

20 — fluter Thema: DDR — 21 TEXT: OLIVER GEHRS ielleicht ist man mit 18 einfach sorgloser. Vielleicht hat Marinetta Jirkowski an die- sem Novembertag im Jahr 1980 gedacht, V 1980 Die Stille nach dass die Grenze gar nicht so unüberwindbar aus- sieht, ja, dass in einem günstigen Moment schnell dem Schuss drüberklettern kann. Versteckt im Gebüsch hatte sie zusammen mit zwei Freunden über Stunden die Grenzer beobachtet, die am Todesstreifen patroul- Die Morde an der Mauer wurden lierten und sich dann entschieden, über die Mauer schnell verdrängt – erst jetzt zu klettern. Vielleicht hat sie auch nur mitgemacht, um ihre Freunde nicht allein zu lassen und vor al- 1980 wird das Drama vieler Schicksale lem: um nicht selbst allein zu bleiben – in einem Nach Protesten gegen Preiserhöhungen für deutlich Land, in dem sie alle nicht mehr leben wollten. Lebensmittel gründet Man kann Marinetta nicht mehr danach fragen: sic h i n Pole n d ie Sie wurde in dieser Nacht, keine drei Monate nach Gewerkschaft Solidar- nosc,´´ deren landeswei- ihrem 18. Geburtstag erschossen. te St r eik s z u ei n er Massenbewegung w er d e n. I m D eze m b er 81 Ihr Freund hielt ihre Hand, w ir d d a s K rie gsr e c ht au s g er u fe n u n d d ie da traf sie der Schuss Solidarnosc-Führer,´´ d a r u nter L e c h Wa´ lesa,˛ m ü sse n i n s G efä n g n is. Gemeinsam mit ihrem Verlobten Peter W. und dem gemeinsamen Freund Falko V. ist sie um halb vier Großes Foto links und oben: Der 18-jährige Maurergeselle Peter in der Nacht mithilfe einer Leiter bereits über die Fechter lag am 17.8.1962 eine Stunde lang verblutend im Todesstreifen, weil sich weder Polizisten aus dem Westen noch Hinterlandmauer geklettert und anschließend über Grenzer aus dem Osten durchringen konnten, ihm zu helfen den 2 Meter 50 hohen Signalzaun, an dem sie je- doch Alarm auslöst. An der zweiten, 3 Meter 50 hohen Mauer, sackt die Leiter tief in den morasti- zu wehren wusste, als mit dem Bau von Todesstrei- gen Boden ein. Dennoch gelingt es den jungen Män- fen, Zäunen und Mauern. Gab es anfangs in Teilen nern, die Mauerkrone zu erreichen. Peter W. ver- der Bevölkerung sogar noch Verständnis für diese sucht seine Verlobte hochzuziehen, als sie von den Maßnahme, die die DDR vor dem frühen Ende be- Grenzposten unter Beschuss genommen werden. wahren sollte, wurde ihnen und der ganzen Welt Ihre Hand gleitet aus der ihres Freundes, einen Mo- das Ausmaß der Menschenrechtsverletzung spätes- ment später fällt sie mit einem Bauchdurchschuss tens mit dem Tod des 18-jährigen Peter Fechter be- von der Leiter. Peter W. lässt sich auf die Westseite wusst, der am 17. August 1962 eine Stunde lang fallen, während Marinetta von den Soldaten gebor- angeschossen im Grenzstreifen lag und verblutete, 1983 gen und erstversorgt wird. Doch es ist zu spät – um weil weder aus dem Osten noch aus dem Westen Der Bayerische Ministerpräsident 11 Uhr 30 des nächsten Tages stirbt sie im nahe ge- Hilfe kam. Franz-Josef Strauß legenen Kreiskrankenhaus Hennigsdorf. g e w ä h r t d er DDR ei n e n Marinetta Jirkowskis Ende könnte aus einem Milliardenkredit, Nach der Maueröffnung hieß es: u m d ie d esolate Wir t- Hollywoodfilm stammen – so dramatisch waren schaft zu stützen. die Ereignisse am 22. November 1980, gleich- Die Todesschützen hätten nur auf wohl war das Schicksal der Textilfabrikarbeiterin nur eins unter vielen. Auf mehr als tausend schätzt Befehl gehandelt man die Zahl der Menschen, die an den Außen- grenzen der DDR bei Fluchtversuchen umkamen, Und dennoch ist für das Gedenken an die Mauer- 136 sollen es allein an der Berliner Mauer gewesen opfer nach der Wende wenig Raum. Im allgemei- sein. Die meisten von ihnen waren jung und träum- nen Vereinigungsrausch fehlt Platz für die Trauer, ten von einem Leben in Freiheit. Für diesen Traum die Menschen wollen nicht so gern an das Unrecht schwammen sie durch die Ostsee oder die Spree, erinnert werden, sondern erst einmal die neue Frei- 1984 sie bauten sich U-Boote und Heißluftballone, sie heit genießen. Später kommen die ersten Rufe nach buddelten Tunnel, brachen mit Autos durch die einem Schlussstrich unter die Vergangenheit dazu, Schlagbäume oder versuchten in einem unbeobach- dann wieder überlagern die wirtschaftlichen Pro- 1984 teten Moment die Mauer zu überwinden. Vielen bleme die Erinnerung an die Gewaltherrschaft. Für Noch ein Milliarden- k r e d it au s d e m W este n; gelang tatsächlich die Flucht in den Westen, andere die Trauer der Angehörigen gibt es keinen Halt, die viele Ausreisewillige starben durch Schüsse oder sie ertranken erschöpft meisten Holzkreuze zur Erinnerung werden privat dürfen in den Westen im deutsch-deutschen Niemandsland. errichtet. Erst als Anfang der 90er die ersten Pro- übersiedeln. Das Kapitel der Maueropfer ist die traurigste zesse gegen die Mauerschützen geführt werden, die Hinterlassenschaft eines Landes, das sich seit 1961 zu DDR-Zeiten sogar Auszeichnungen für die Mor- nicht anders gegen den Wegzug seiner Bewohner de an der Grenze bekamen, regt sich bei vielen die

22 — fluter Thema: DDR — 23 TEXT: OLIVER GEHRS ielleicht ist man mit 18 einfach sorgloser. Vielleicht hat Marinetta Jirkowski an die- sem Novembertag im Jahr 1980 gedacht, V 1980 Die Stille nach dass die Grenze gar nicht so unüberwindbar aus- sieht, ja, dass in einem günstigen Moment schnell dem Schuss drüberklettern kann. Versteckt im Gebüsch hatte sie zusammen mit zwei Freunden über Stunden die Grenzer beobachtet, die am Todesstreifen patroul- Die Morde an der Mauer wurden lierten und sich dann entschieden, über die Mauer schnell verdrängt – erst jetzt zu klettern. Vielleicht hat sie auch nur mitgemacht, um ihre Freunde nicht allein zu lassen und vor al- 1980 wird das Drama vieler Schicksale lem: um nicht selbst allein zu bleiben – in einem Nach Protesten gegen Preiserhöhungen für deutlich Land, in dem sie alle nicht mehr leben wollten. Lebensmittel gründet Man kann Marinetta nicht mehr danach fragen: sic h i n Pole n d ie Sie wurde in dieser Nacht, keine drei Monate nach Gewerkschaft Solidar- nosc,´´ deren landeswei- ihrem 18. Geburtstag erschossen. te St r eik s z u ei n er Massenbewegung w er d e n. I m D eze m b er 81 Ihr Freund hielt ihre Hand, w ir d d a s K rie gsr e c ht au s g er u fe n u n d d ie da traf sie der Schuss Solidarnosc-Führer,´´ d a r u nter L e c h Wa´ lesa,˛ m ü sse n i n s G efä n g n is. Gemeinsam mit ihrem Verlobten Peter W. und dem gemeinsamen Freund Falko V. ist sie um halb vier Großes Foto links und oben: Der 18-jährige Maurergeselle Peter in der Nacht mithilfe einer Leiter bereits über die Fechter lag am 17.8.1962 eine Stunde lang verblutend im Todesstreifen, weil sich weder Polizisten aus dem Westen noch Hinterlandmauer geklettert und anschließend über Grenzer aus dem Osten durchringen konnten, ihm zu helfen den 2 Meter 50 hohen Signalzaun, an dem sie je- doch Alarm auslöst. An der zweiten, 3 Meter 50 hohen Mauer, sackt die Leiter tief in den morasti- zu wehren wusste, als mit dem Bau von Todesstrei- gen Boden ein. Dennoch gelingt es den jungen Män- fen, Zäunen und Mauern. Gab es anfangs in Teilen nern, die Mauerkrone zu erreichen. Peter W. ver- der Bevölkerung sogar noch Verständnis für diese sucht seine Verlobte hochzuziehen, als sie von den Maßnahme, die die DDR vor dem frühen Ende be- Grenzposten unter Beschuss genommen werden. wahren sollte, wurde ihnen und der ganzen Welt Ihre Hand gleitet aus der ihres Freundes, einen Mo- das Ausmaß der Menschenrechtsverletzung spätes- ment später fällt sie mit einem Bauchdurchschuss tens mit dem Tod des 18-jährigen Peter Fechter be- von der Leiter. Peter W. lässt sich auf die Westseite wusst, der am 17. August 1962 eine Stunde lang fallen, während Marinetta von den Soldaten gebor- angeschossen im Grenzstreifen lag und verblutete, 1983 gen und erstversorgt wird. Doch es ist zu spät – um weil weder aus dem Osten noch aus dem Westen Der Bayerische Ministerpräsident 11 Uhr 30 des nächsten Tages stirbt sie im nahe ge- Hilfe kam. Franz-Josef Strauß legenen Kreiskrankenhaus Hennigsdorf. g e w ä h r t d er DDR ei n e n Marinetta Jirkowskis Ende könnte aus einem Milliardenkredit, Nach der Maueröffnung hieß es: u m d ie d esolate Wir t- Hollywoodfilm stammen – so dramatisch waren schaft zu stützen. die Ereignisse am 22. November 1980, gleich- Die Todesschützen hätten nur auf wohl war das Schicksal der Textilfabrikarbeiterin nur eins unter vielen. Auf mehr als tausend schätzt Befehl gehandelt man die Zahl der Menschen, die an den Außen- grenzen der DDR bei Fluchtversuchen umkamen, Und dennoch ist für das Gedenken an die Mauer- 136 sollen es allein an der Berliner Mauer gewesen opfer nach der Wende wenig Raum. Im allgemei- sein. Die meisten von ihnen waren jung und träum- nen Vereinigungsrausch fehlt Platz für die Trauer, ten von einem Leben in Freiheit. Für diesen Traum die Menschen wollen nicht so gern an das Unrecht schwammen sie durch die Ostsee oder die Spree, erinnert werden, sondern erst einmal die neue Frei- 1984 sie bauten sich U-Boote und Heißluftballone, sie heit genießen. Später kommen die ersten Rufe nach buddelten Tunnel, brachen mit Autos durch die einem Schlussstrich unter die Vergangenheit dazu, Schlagbäume oder versuchten in einem unbeobach- dann wieder überlagern die wirtschaftlichen Pro- 1984 teten Moment die Mauer zu überwinden. Vielen bleme die Erinnerung an die Gewaltherrschaft. Für Noch ein Milliarden- k r e d it au s d e m W este n; gelang tatsächlich die Flucht in den Westen, andere die Trauer der Angehörigen gibt es keinen Halt, die viele Ausreisewillige starben durch Schüsse oder sie ertranken erschöpft meisten Holzkreuze zur Erinnerung werden privat dürfen in den Westen im deutsch-deutschen Niemandsland. errichtet. Erst als Anfang der 90er die ersten Pro- übersiedeln. Das Kapitel der Maueropfer ist die traurigste zesse gegen die Mauerschützen geführt werden, die Hinterlassenschaft eines Landes, das sich seit 1961 zu DDR-Zeiten sogar Auszeichnungen für die Mor- nicht anders gegen den Wegzug seiner Bewohner de an der Grenze bekamen, regt sich bei vielen die

22 — fluter Thema: DDR — 23 jedenfalls die Richter. Von diesem Moment an ist klar: Die Morde bleiben ungesühnt.

1985 »Es gab Jahre, in denen ein absolutes Desinte- resse an den menschlichen Schicksalen bestand«, 1987 sagt der Historiker Hans-Hermann Hertle. Gemein- sam mit Maria Nooke von der Gedenkstätte Berli- ner Mauer recherchiert er seit Jahren in einem von der Bundesregierung geförderten Projekt die Ge- schichte der Mauer und ihrer Opfer. So ist auf dem Onlineportal »Chronik der Mauer« auch eine Seite mit sämtlichen Todesopfern entstanden, deren Le- bensläufe von Hertle und seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern aus Akten, aber auch aus Gesprächen 12. Juni 1987 mit Familien und Freunden zusammengetragen 750-Jahr-Feier in West-Berlin. werden. Auf diese Weise erhalten die Opfer von US-Präsident Reagan damals ein Gesicht, ihre Schicksale Kontur. Erst- h ä lt sei n e b er ü h m te mals werden die Gründe ihrer Flucht deutlich und Rede am Brandenburger Tor u n d for d er t: das ganze Ausmaß ihres Leidenswegs. Wo es außer »Herr Gorbatschow, Privatinitiativen kaum Mahnmale gibt, entsteht so r ei ß e n Sie d iese M au er eine Art virtuellen Andenkens. nieder!« Es gibt sogar Angehörige, die erst durch Hertle erfahren haben, unter welchen Umständen ihre Vä- ter oder Söhne ums Leben kamen. Denn das Ver- Herbert Halli (oben links) wurde erschossen, als er schon wieder in schleiern der wahren Todesumstände der Flüchtlin- den Osten zurückklettern wollte. Lutz Schmidt starb mit 24. Chris ge war in der DDR gängige Praxis – um Proteste Gueffroy (unten links) war das vorletzte Maueropfer – die Todes- anzeige (unten) spricht noch von einem »Unglücksfall«. Marinetta zu vermeiden und dem Klassenfeind im Westen Jirkowski starb zwei Monate nach ihrem 18. Geburtstag keinen Grund zur Propaganda zu geben. Der Mut- Eigentlich gab es zwei Mauern: Erst die Hinterlandmauer (links), dann der Signalzaun und der Todesstreifen, der nachts hell erleuchtet war, ter von Herbert Halli, der am 3. April 1975 an der und schließlich die zweite Mauer (hier die Grenze an der Bernauer Straße) Grenze erschossen wurde, erzählte man, dass ihr Hoffnung, dass der Tod ihrer Familienmitglieder Sohn betrunken in eine Baugrube gefallen und den oder Freunde doch noch gesühnt werden könnte. Verletzungen erlegen sei. Die Urne mit seiner Asche traf ihn in den Rücken. Erst Jahre nach der fried- Doch die wird schnell enttäuscht. Mit dem Urteil bekam sie per Post, beides war damals durchaus lichen Revolution erfuhr Hallis Mutter von den Die Berliner Mauer in Zahlen gegen die Beteiligten am Tod des vorletzten Mauer- üblich. wahren Umständen seines Todes. »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« opfers Chris Gueffroy, der noch im Februar 1989 In Wirklichkeit wurde Herbert Halli erschossen Manche Angehörige können immer noch nicht Das hatte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht noch mit 20 Jahren erschossen wurde, wird so etwas wie – bei seinem Weg zurück in den Osten. Nachdem er über den Verlust von damals sprechen – zu tief sitzt am 15. Juni 1961 verkündet, wenige Monate später war es so weit, Erich Honecker hatte als Sicherheitssekretär des ein Präzedenzfall geschaffen: Das Gericht spricht die Ausweglosigkeit seines Fluchtversuchs erkannt der Schmerz, auch im Angesicht des teilweise pro- ZK alles organisiert: Die DDR machte am 13. August 1961 drei der vier Tatbeteiligten frei, einer bekommt und bereits Alarm ausgelöst hatte, kehrte er näm- fanen Umgangs mit den Opfern des Gewaltregimes. die Grenzen nach Westberlin dicht. zwei Jahre Haft auf Bewährung. Begründung: lich um, und versuchte über die Hinterlandmauer So kann man sich als Tourist am Checkpoint Char- Von der DDR wurde die Mauer übrigens als »antifaschistischer Schutzwall« bezeichnet. Der damalige US-Präsident John Die schießenden Grenzer hätten auf Anordnung zurück in die DDR zu kommen. Doch das gelang lie heutzutage mit kostümierten US- oder Sowjet- F. Kennedy sagte zur Mauer: »Keine schöne Lösung, aber von oben gehandelt. Tatsächlich gibt es nach der ihm nicht mehr – ein Schuss aus einer Kalaschnikow soldaten fotografieren lassen – einen ähnlich deut- immer noch besser als Krieg.« Wende widersprüchliche Meldun- lichen Hinweis auf die Mauertoten sucht man Hier sind einige Daten zur Mauer, die zu dem Symbol gen über die Existenz eines schrif- allerdings vergebens. 26. August 1988 im Ost-West-Konflikt wurde tlichen »Schießbefehls«, der aller- Dass das Interesse an den Menschen, die für Die DDR-Wirtschaft ste ht vor d e m Ru i n. dings nie gefunden wird. Es gab aber ihren Traum von der Freiheit das höchste Risiko Länge: 156,4 km Grenzbefestigungen um Westberlin davon 111,9 km Beton- und Steinmauern D er C h ef d er 11. März 1985 in schriftlichen Anordnungen, Befeh- eingingen, wieder zunimmt, ist auch Hertles Ver- Planungs kommission 44,5 km Metallgitterzaun Nac h d e m To d vo n len und schließlich im Grenz gesetz dienst. Seine fast schon kriminologische Arbeit am for d er t i m k lei n e n Staatschef Konstantin Höhe zwischen 3,40 und 4,20 m Höhe Kreis eine Verdrei- Tschernenko wird eine Schieß erlaubnis, die durch die Computer und am Telefon, die er unbeirrt in ei- 161 km Lichttrasse fac hu n g d er E x p or t- Michael Gorbatschow mündliche Befehlserteilung in die nem mit Akten zugestopften Arbeitszimmer im 113,85 km Grenzsignal- und Sperrzaun erlöse. sei n Nac h folg er. Er Nähe einer Pflicht rückte. Diese Wei- Zentrum für Zeithistorische Forschung in Pots- 127,5 km Kontakt- und Signalzaun Sonst sei »die DDR im leitet mit Glasnost 186 Beobachtungstürme (302 rund um Westberlin) Verlauf des Jahres und Perestroika sung lautete bis in die 80er-Jahre: dam versieht, mündet nun auch in einem Buch, 1990 n ic ht m e h r 259 Hundelaufanlagen Refor m e n i n d er »Grenzverletzer sind festzunehmen das im Jubiläumsjahr der Wende erscheint. Ver- zahlungsfähig.« Kurz Sowjetunion ein. oder zu ver nichten«. süßt wird Hertle die Arbeit durch Briefe von Men- darauf prognostiziert Wirtschafts sekretär Die Grenzsoldaten, die Menschen schen, die dankbar sind, dass sich endlich jemand Günter Mittag: auf der Flucht erschossen, waren dem Schicksal ihrer ums Leben gekommenen An- der von der Stadt »Berliner Mauerweg« getauft »So, wie es jetzt ist,

1985 also Befehlsempfänger, so sehen es gehörigen annimmt. Oder auch durch Berichte wurde. Weit draußen, wo Berlin immer grüner g e ht es a n d e n B au m, Totalschaden!« von Privatinitiativen, die sich angeregt durch die wird, zwischen Hohen Neuendorf und Reinicken- »Chronik der Mauer« ebenfalls um das Andenken dorf steht ein Holzpfahl, der rosa angesprüht wur- Glasnost und Perestroika Beide Schlagworte der Maueropfer kümmern – wie zum Beispiel die de. Er steht an der Stelle, an der einst Marinetta stehen für die Liberalisierung der sowjetischen 1988 Gesellschaft und die Modernisierung ihrer Wirt- Deutsche Waldjugend in Bergfelde. Die veranstal- Jirkowski erschossen wurde. Auf ihrem Weg in ein schaft nach Gorbatschows Amtsantritt. tet Fahrradtouren am ehemaligen Grenzstreifens – neues Leben. U

24 — f l u t e r Thema: DDR — 25 jedenfalls die Richter. Von diesem Moment an ist klar: Die Morde bleiben ungesühnt.

1985 »Es gab Jahre, in denen ein absolutes Desinte- resse an den menschlichen Schicksalen bestand«, 1987 sagt der Historiker Hans-Hermann Hertle. Gemein- sam mit Maria Nooke von der Gedenkstätte Berli- ner Mauer recherchiert er seit Jahren in einem von der Bundesregierung geförderten Projekt die Ge- schichte der Mauer und ihrer Opfer. So ist auf dem Onlineportal »Chronik der Mauer« auch eine Seite mit sämtlichen Todesopfern entstanden, deren Le- bensläufe von Hertle und seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern aus Akten, aber auch aus Gesprächen 12. Juni 1987 mit Familien und Freunden zusammengetragen 750-Jahr-Feier in West-Berlin. werden. Auf diese Weise erhalten die Opfer von US-Präsident Reagan damals ein Gesicht, ihre Schicksale Kontur. Erst- h ä lt sei n e b er ü h m te mals werden die Gründe ihrer Flucht deutlich und Rede am Brandenburger Tor u n d for d er t: das ganze Ausmaß ihres Leidenswegs. Wo es außer »Herr Gorbatschow, Privatinitiativen kaum Mahnmale gibt, entsteht so r ei ß e n Sie d iese M au er eine Art virtuellen Andenkens. nieder!« Es gibt sogar Angehörige, die erst durch Hertle erfahren haben, unter welchen Umständen ihre Vä- ter oder Söhne ums Leben kamen. Denn das Ver- Herbert Halli (oben links) wurde erschossen, als er schon wieder in schleiern der wahren Todesumstände der Flüchtlin- den Osten zurückklettern wollte. Lutz Schmidt starb mit 24. Chris ge war in der DDR gängige Praxis – um Proteste Gueffroy (unten links) war das vorletzte Maueropfer – die Todes- anzeige (unten) spricht noch von einem »Unglücksfall«. Marinetta zu vermeiden und dem Klassenfeind im Westen Jirkowski starb zwei Monate nach ihrem 18. Geburtstag keinen Grund zur Propaganda zu geben. Der Mut- Eigentlich gab es zwei Mauern: Erst die Hinterlandmauer (links), dann der Signalzaun und der Todesstreifen, der nachts hell erleuchtet war, ter von Herbert Halli, der am 3. April 1975 an der und schließlich die zweite Mauer (hier die Grenze an der Bernauer Straße) Grenze erschossen wurde, erzählte man, dass ihr Hoffnung, dass der Tod ihrer Familienmitglieder Sohn betrunken in eine Baugrube gefallen und den oder Freunde doch noch gesühnt werden könnte. Verletzungen erlegen sei. Die Urne mit seiner Asche traf ihn in den Rücken. Erst Jahre nach der fried- Doch die wird schnell enttäuscht. Mit dem Urteil bekam sie per Post, beides war damals durchaus lichen Revolution erfuhr Hallis Mutter von den Die Berliner Mauer in Zahlen gegen die Beteiligten am Tod des vorletzten Mauer- üblich. wahren Umständen seines Todes. »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« opfers Chris Gueffroy, der noch im Februar 1989 In Wirklichkeit wurde Herbert Halli erschossen Manche Angehörige können immer noch nicht Das hatte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht noch mit 20 Jahren erschossen wurde, wird so etwas wie – bei seinem Weg zurück in den Osten. Nachdem er über den Verlust von damals sprechen – zu tief sitzt am 15. Juni 1961 verkündet, wenige Monate später war es so weit, Erich Honecker hatte als Sicherheitssekretär des ein Präzedenzfall geschaffen: Das Gericht spricht die Ausweglosigkeit seines Fluchtversuchs erkannt der Schmerz, auch im Angesicht des teilweise pro- ZK alles organisiert: Die DDR machte am 13. August 1961 drei der vier Tatbeteiligten frei, einer bekommt und bereits Alarm ausgelöst hatte, kehrte er näm- fanen Umgangs mit den Opfern des Gewaltregimes. die Grenzen nach Westberlin dicht. zwei Jahre Haft auf Bewährung. Begründung: lich um, und versuchte über die Hinterlandmauer So kann man sich als Tourist am Checkpoint Char- Von der DDR wurde die Mauer übrigens als »antifaschistischer Schutzwall« bezeichnet. Der damalige US-Präsident John Die schießenden Grenzer hätten auf Anordnung zurück in die DDR zu kommen. Doch das gelang lie heutzutage mit kostümierten US- oder Sowjet- F. Kennedy sagte zur Mauer: »Keine schöne Lösung, aber von oben gehandelt. Tatsächlich gibt es nach der ihm nicht mehr – ein Schuss aus einer Kalaschnikow soldaten fotografieren lassen – einen ähnlich deut- immer noch besser als Krieg.« Wende widersprüchliche Meldun- lichen Hinweis auf die Mauertoten sucht man Hier sind einige Daten zur Mauer, die zu dem Symbol gen über die Existenz eines schrif- allerdings vergebens. 26. August 1988 im Ost-West-Konflikt wurde tlichen »Schießbefehls«, der aller- Dass das Interesse an den Menschen, die für Die DDR-Wirtschaft ste ht vor d e m Ru i n. dings nie gefunden wird. Es gab aber ihren Traum von der Freiheit das höchste Risiko Länge: 156,4 km Grenzbefestigungen um Westberlin davon 111,9 km Beton- und Steinmauern D er C h ef d er 11. März 1985 in schriftlichen Anordnungen, Befeh- eingingen, wieder zunimmt, ist auch Hertles Ver- Planungs kommission 44,5 km Metallgitterzaun Nac h d e m To d vo n len und schließlich im Grenz gesetz dienst. Seine fast schon kriminologische Arbeit am for d er t i m k lei n e n Staatschef Konstantin Höhe zwischen 3,40 und 4,20 m Höhe Kreis eine Verdrei- Tschernenko wird eine Schieß erlaubnis, die durch die Computer und am Telefon, die er unbeirrt in ei- 161 km Lichttrasse fac hu n g d er E x p or t- Michael Gorbatschow mündliche Befehlserteilung in die nem mit Akten zugestopften Arbeitszimmer im 113,85 km Grenzsignal- und Sperrzaun erlöse. sei n Nac h folg er. Er Nähe einer Pflicht rückte. Diese Wei- Zentrum für Zeithistorische Forschung in Pots- 127,5 km Kontakt- und Signalzaun Sonst sei »die DDR im leitet mit Glasnost 186 Beobachtungstürme (302 rund um Westberlin) Verlauf des Jahres und Perestroika sung lautete bis in die 80er-Jahre: dam versieht, mündet nun auch in einem Buch, 1990 n ic ht m e h r 259 Hundelaufanlagen Refor m e n i n d er »Grenzverletzer sind festzunehmen das im Jubiläumsjahr der Wende erscheint. Ver- zahlungsfähig.« Kurz Sowjetunion ein. oder zu ver nichten«. süßt wird Hertle die Arbeit durch Briefe von Men- darauf prognostiziert Wirtschafts sekretär Die Grenzsoldaten, die Menschen schen, die dankbar sind, dass sich endlich jemand Günter Mittag: auf der Flucht erschossen, waren dem Schicksal ihrer ums Leben gekommenen An- der von der Stadt »Berliner Mauerweg« getauft »So, wie es jetzt ist,

1985 also Befehlsempfänger, so sehen es gehörigen annimmt. Oder auch durch Berichte wurde. Weit draußen, wo Berlin immer grüner g e ht es a n d e n B au m, Totalschaden!« von Privatinitiativen, die sich angeregt durch die wird, zwischen Hohen Neuendorf und Reinicken- »Chronik der Mauer« ebenfalls um das Andenken dorf steht ein Holzpfahl, der rosa angesprüht wur- Glasnost und Perestroika Beide Schlagworte der Maueropfer kümmern – wie zum Beispiel die de. Er steht an der Stelle, an der einst Marinetta stehen für die Liberalisierung der sowjetischen 1988 Gesellschaft und die Modernisierung ihrer Wirt- Deutsche Waldjugend in Bergfelde. Die veranstal- Jirkowski erschossen wurde. Auf ihrem Weg in ein schaft nach Gorbatschows Amtsantritt. tet Fahrradtouren am ehemaligen Grenzstreifens – neues Leben. U

24 — f l u t e r Thema: DDR — 25 7. Mai 1989 In der DDR finden Kommunalwahlen statt. Egon Krenz August 1989 verkündet das offizielle Wahlergebnis: 98,85 % In den Sommerferien fliehen DDR-Bürger in Ja-Stimmen für die Liste der Nationalen Front. die bundesdeutschen Botschaften in Wie immer ist das Ergebnis gefälscht, doch diesmal Ostberlin, Budapest und Prag. Außenminis- fliegt die Manipulation dank unabhängiger ter Hans-Dietrich Genscher verkündet in Wahlbeobachter auf. Schon kurz darauf finden Prag die Genehmigung zur Ausreise. Protestaktionen statt. 4. September 1989 4. Juni 1989 Die Leipziger Montagsdemonstrationen Chinesische Truppen schlagen beginnen. Etwa 1.200 ausreisewillige Demons- die Demokratiebewegung in Peking auf tranten skandieren: »Wir wollen raus!« dem Platz des Himmlischen Friedens Spätestens am 9. Oktober ist daraus eine blutig nieder. Hunderte Menschen Massenbewegung geworden. Ihre Leitmotive: sterben. Die DDR-Volkskammer wertet Kleine Chronik des Mauerfalls »Wir sind das Volk!« und »Keine Gewalt«. das Massaker als »Niederschlagung Texte: Andreas Braun einer Konterrevolution«.

12. bis 15. Juni 1989 Der sowjetische Staatschef Gorbatschow besucht die BRD. Die Bevölkerung jubelt dem Reformer aus Moskau zu. »Gorbi! Mach Liebe, 6. und 7. Oktober 1989 keine Mauern« steht auf Trotz Massenflucht – die DDR feiert ihren den Plakaten. 40. Geburtstag. Die Bevölkerung begrüßt Staatsgast Gorbatschow mit »Gorbi, hilf uns«-Rufen. Vor dem SED-Politbüro mahnt dieser Reformen an: »Wenn wir zurück- bleiben, bestraft uns das Leben sofort.« 10. September 1989 Erst sein Pressesprecher macht daraus Prominente DDR-Oppositio- den berühmten Satz »Wer zu spät kommt, nelle schließen sich zum den bestraft das Leben!« »Neuen Forum« zusammen. Die Gruppierung will den 18. Oktober 1989 »demokratischen Dialog« Die zweite Reihe in der SED meutert gegen einklagen und beantragt als Parteichef Honecker und zwingt ihn zum erste oppositionelle Gruppe Rücktritt. Egon Krenz wird sein Nachfolger. eine offizielle Zulassung. Fast hätte ein Zeitungsartikel den im Im Oktober gründen sich geheimen geplanten Putsch verhindert. Die weitere neue Parteien wie »Bild« verkündete bereits am 13. Oktober: »Sozialdemokratische Partei »Honecker: Mittwoch letzter Arbeitstag« in der DDR« (SDP), »Deutsche Soziale Union« (DSU), »Demokratischer 9. November 1989 Aufbruch« (DA) und Eine Pressekonferenz lässt die Mauer einstürzen: »Demokratie Jetzt« (DJ). SED-Sprecher Günter Schabowski teilt Journalisten mit, dass Westreisen für jedermann möglich sind. Auf die Frage, wann die Regelung in Kraft treten soll, antwortet ein offensichtlich schlecht informierter Schabowski: »Nach meiner Kenntnis 10. / 11. September 1989 tritt das – ist das sofort, unverzüglich!« Eigentlich war die Maueröffnung als gestaffelter Die ungarische Regierung ist dem Prozess geplant, der sich über Wochen hinziehen Flüchtlingsstrom aus der DDR nicht sollte. Gegen 21.30 Uhr stürmen die ersten DDR- mehr gewachsen. Ohne Moskau um Bürger in den Westen. Die Mauer ist gefallen! Erlaubnis zu bitten, öffnet Ungarn in der Nacht die Grenze zu Öster- reich für DDR-Bürger – und reißt damit das erste Loch in den Eisernen Vorhang. In den kommenden Monaten reisen 90.000 DDR-Bürger über Österreich in die BRD aus.

28. November 1989 Bundeskanzler Kohl verblüfft den Bundes- 10. November 1989 tag mit einem »Zehn-Punkte-Programm zur »Jetzt wächst zusammen Überwindung der Teilung Deutschlands was zusammen gehört«, und Europas«. Dieser Vorstoß in Richtung Willy Brandt Wiedervereinigung sorgt für scharfe 10. Februar 1990 Reaktionen weltweit. Helmut Kohl erhält in Moskau Bei einem Treffen mit dem französischen die Zustimmung Gorbatschows Staatschef Mitterrand sagt ein verärgerter zur deutschen Einheit; auch die Gorbatschow, dass ihn die Politik Kohls britische Premierministerin an den »Auftritt eines Elefanten im Thatcher gibt ihre Vorbehalte Porzellanladen« erinnere. gegen eine Wiedervereinigung auf.

7. Dezember 1989 18. März 1990 Der »Runde Tisch« tritt das erste Mal Die DDR-Bürger wollen eine in Berlin zusammen. Dieses Gremium rasche Wiedervereinigung soll zwischen der Staatsführung und den und die D-Mark. Das zeigen wichtigsten oppositionellen Gruppen die ersten demokratischen vermitteln. Die Verhandlungen drehen Wahlen: Die CDU gewinnt mit sich vor allem um die grundlegende 40,8 Prozent, die SPD erhält Demokratisierung der Gesellschaft, nur knapp 22 Prozent der die Vorbereitung freier Wahlen und die Stimmen. Die SED-Nachfolge- Ablösung der Alleinherrschaft der SED. partei PDS bekommt über 16 Prozent, die Bürgerrechts- gruppe Bündnis 90, die die 8. und 9. Dezember 1989 Wende im Land initiiert Auf einem EG-Gipfeltreffen in Straßburg hatte, liegt bei knapp drei wird das Recht der Deutschen auf staat- Prozent. Nach der Wahl geht liche Einheit anerkannt – aber dennoch die Zahl der DDR-Übersied- liegt eine angespannte Stimmung in der ler in die BRD schlagartig Luft: Nicht alle europäischen Nachbarn zurück. – allen voran Großbritannien – finden an der Perspektive eines geeinten 24. April 1990 Deutschlands Gefallen. Der frisch gewählte DDR- Ministerpräsident de Maizière und Kanzler Kohl treffen sich in Bonn. Sie geben bekannt, dass 13. und 14. Mai 1990 die D-Mark in der DDR zum In geheimer Mission fliegt 1. Juli eingeführt wird. Kanzlerberater Horst Teltschik nach Moskau. 14. und 16. Juli 1990 Es geht um einen 5-Milliar- Staatsbesuch von Bundeskanzler Kohl den-DM-Kredit. Gorbatschow in der Sowjetunion. Nach ersten braucht dringend Geld, um Gesprächen in Moskau fliegt er mit die Versorgungskrise im Gorbatschow in dessen kaukasische eigenen Land zu überwinden. Heimat. Die Gespräche werden in Die Bundesregierung erhofft lockerer Atmosphäre fortgesetzt. sich dadurch ein Entgegen- Dabei gelingt der Durchbruch: kommen der Sowjetunion Zum Zeitpunkt der Vereinigung soll in der Frage der NATO-Mit- Deutschland »seine volle und unein- gliedschaft. geschränkte Souveränität« erhalten.

1. Juli 1990 30. Mai bis 3. Juni 1990 Knapp acht Monate nach dem Fall der Mauer Gorbatschow gibt bei einem verschwindet die Ost-Mark aus den Geldbeuteln Treffen mit US-Präsident Bush der DDR. Die Währungsunion tritt in Kraft, die in Washington überraschend D-Mark ist offizielles Zahlungsmittel. seine Zustimmung zur freien Insgesamt werden an diesem Tag 180 Milliarden Bündniswahl des vereinten DDR-Mark in DM-Konten umgeschrieben. Deutschlands. 7. Mai 1989 In der DDR finden Kommunalwahlen statt. Egon Krenz August 1989 verkündet das offizielle Wahlergebnis: 98,85 % In den Sommerferien fliehen DDR-Bürger in Ja-Stimmen für die Liste der Nationalen Front. die bundesdeutschen Botschaften in Wie immer ist das Ergebnis gefälscht, doch diesmal Ostberlin, Budapest und Prag. Außenminis- fliegt die Manipulation dank unabhängiger ter Hans-Dietrich Genscher verkündet in Wahlbeobachter auf. Schon kurz darauf finden Prag die Genehmigung zur Ausreise. Protestaktionen statt. 4. September 1989 4. Juni 1989 Die Leipziger Montagsdemonstrationen Chinesische Truppen schlagen beginnen. Etwa 1.200 ausreisewillige Demons- die Demokratiebewegung in Peking auf tranten skandieren: »Wir wollen raus!« dem Platz des Himmlischen Friedens Spätestens am 9. Oktober ist daraus eine blutig nieder. Hunderte Menschen Massenbewegung geworden. Ihre Leitmotive: sterben. Die DDR-Volkskammer wertet Kleine Chronik des Mauerfalls »Wir sind das Volk!« und »Keine Gewalt«. das Massaker als »Niederschlagung Texte: Andreas Braun einer Konterrevolution«.

12. bis 15. Juni 1989 Der sowjetische Staatschef Gorbatschow besucht die BRD. Die Bevölkerung jubelt dem Reformer aus Moskau zu. »Gorbi! Mach Liebe, 6. und 7. Oktober 1989 keine Mauern« steht auf Trotz Massenflucht – die DDR feiert ihren den Plakaten. 40. Geburtstag. Die Bevölkerung begrüßt Staatsgast Gorbatschow mit »Gorbi, hilf uns«-Rufen. Vor dem SED-Politbüro mahnt dieser Reformen an: »Wenn wir zurück- bleiben, bestraft uns das Leben sofort.« 10. September 1989 Erst sein Pressesprecher macht daraus Prominente DDR-Oppositio- den berühmten Satz »Wer zu spät kommt, nelle schließen sich zum den bestraft das Leben!« »Neuen Forum« zusammen. Die Gruppierung will den 18. Oktober 1989 »demokratischen Dialog« Die zweite Reihe in der SED meutert gegen einklagen und beantragt als Parteichef Honecker und zwingt ihn zum erste oppositionelle Gruppe Rücktritt. Egon Krenz wird sein Nachfolger. eine offizielle Zulassung. Fast hätte ein Zeitungsartikel den im Im Oktober gründen sich geheimen geplanten Putsch verhindert. Die weitere neue Parteien wie »Bild« verkündete bereits am 13. Oktober: »Sozialdemokratische Partei »Honecker: Mittwoch letzter Arbeitstag« in der DDR« (SDP), »Deutsche Soziale Union« (DSU), »Demokratischer 9. November 1989 Aufbruch« (DA) und Eine Pressekonferenz lässt die Mauer einstürzen: »Demokratie Jetzt« (DJ). SED-Sprecher Günter Schabowski teilt Journalisten mit, dass Westreisen für jedermann möglich sind. Auf die Frage, wann die Regelung in Kraft treten soll, antwortet ein offensichtlich schlecht informierter Schabowski: »Nach meiner Kenntnis 10. / 11. September 1989 tritt das – ist das sofort, unverzüglich!« Eigentlich war die Maueröffnung als gestaffelter Die ungarische Regierung ist dem Prozess geplant, der sich über Wochen hinziehen Flüchtlingsstrom aus der DDR nicht sollte. Gegen 21.30 Uhr stürmen die ersten DDR- mehr gewachsen. Ohne Moskau um Bürger in den Westen. Die Mauer ist gefallen! Erlaubnis zu bitten, öffnet Ungarn in der Nacht die Grenze zu Öster- reich für DDR-Bürger – und reißt damit das erste Loch in den Eisernen Vorhang. In den kommenden Monaten reisen 90.000 DDR-Bürger über Österreich in die BRD aus.

28. November 1989 Bundeskanzler Kohl verblüfft den Bundes- 10. November 1989 tag mit einem »Zehn-Punkte-Programm zur »Jetzt wächst zusammen Überwindung der Teilung Deutschlands was zusammen gehört«, und Europas«. Dieser Vorstoß in Richtung Willy Brandt Wiedervereinigung sorgt für scharfe 10. Februar 1990 Reaktionen weltweit. Helmut Kohl erhält in Moskau Bei einem Treffen mit dem französischen die Zustimmung Gorbatschows Staatschef Mitterrand sagt ein verärgerter zur deutschen Einheit; auch die Gorbatschow, dass ihn die Politik Kohls britische Premierministerin an den »Auftritt eines Elefanten im Thatcher gibt ihre Vorbehalte Porzellanladen« erinnere. gegen eine Wiedervereinigung auf.

7. Dezember 1989 18. März 1990 Der »Runde Tisch« tritt das erste Mal Die DDR-Bürger wollen eine in Berlin zusammen. Dieses Gremium rasche Wiedervereinigung soll zwischen der Staatsführung und den und die D-Mark. Das zeigen wichtigsten oppositionellen Gruppen die ersten demokratischen vermitteln. Die Verhandlungen drehen Wahlen: Die CDU gewinnt mit sich vor allem um die grundlegende 40,8 Prozent, die SPD erhält Demokratisierung der Gesellschaft, nur knapp 22 Prozent der die Vorbereitung freier Wahlen und die Stimmen. Die SED-Nachfolge- Ablösung der Alleinherrschaft der SED. partei PDS bekommt über 16 Prozent, die Bürgerrechts- gruppe Bündnis 90, die die 8. und 9. Dezember 1989 Wende im Land initiiert Auf einem EG-Gipfeltreffen in Straßburg hatte, liegt bei knapp drei wird das Recht der Deutschen auf staat- Prozent. Nach der Wahl geht liche Einheit anerkannt – aber dennoch die Zahl der DDR-Übersied- liegt eine angespannte Stimmung in der ler in die BRD schlagartig Luft: Nicht alle europäischen Nachbarn zurück. – allen voran Großbritannien – finden an der Perspektive eines geeinten 24. April 1990 Deutschlands Gefallen. Der frisch gewählte DDR- Ministerpräsident de Maizière und Kanzler Kohl treffen sich in Bonn. Sie geben bekannt, dass 13. und 14. Mai 1990 die D-Mark in der DDR zum In geheimer Mission fliegt 1. Juli eingeführt wird. Kanzlerberater Horst Teltschik nach Moskau. 14. und 16. Juli 1990 Es geht um einen 5-Milliar- Staatsbesuch von Bundeskanzler Kohl den-DM-Kredit. Gorbatschow in der Sowjetunion. Nach ersten braucht dringend Geld, um Gesprächen in Moskau fliegt er mit die Versorgungskrise im Gorbatschow in dessen kaukasische eigenen Land zu überwinden. Heimat. Die Gespräche werden in Die Bundesregierung erhofft lockerer Atmosphäre fortgesetzt. sich dadurch ein Entgegen- Dabei gelingt der Durchbruch: kommen der Sowjetunion Zum Zeitpunkt der Vereinigung soll in der Frage der NATO-Mit- Deutschland »seine volle und unein- gliedschaft. geschränkte Souveränität« erhalten.

1. Juli 1990 30. Mai bis 3. Juni 1990 Knapp acht Monate nach dem Fall der Mauer Gorbatschow gibt bei einem verschwindet die Ost-Mark aus den Geldbeuteln Treffen mit US-Präsident Bush der DDR. Die Währungsunion tritt in Kraft, die in Washington überraschend D-Mark ist offizielles Zahlungsmittel. seine Zustimmung zur freien Insgesamt werden an diesem Tag 180 Milliarden Bündniswahl des vereinten DDR-Mark in DM-Konten umgeschrieben. Deutschlands. Volkspolizei, die das Gebäude ab jetzt von außen Scheußlichkeit nach der anderen und zugleich ent- sichern soll. Die Vopos haben Angst vor den aufge- stand so eine merkwürdige Nähe«, erinnert er sich. brachten Massen und machen erst mit, als das »Wenn man ein paar Tage zusammenarbeiten muss, 1990 Neue Forum die ungewöhnliche Kooperation zwi- bleibt es nicht aus, dass man irgendwann auch über schen Polizei und Dissidenten auf einem Transpa- andere Dinge redet. Da sind ja auch Leute dabei, rent draußen am Gebäude gut sichtbar absegnet. die Kinder haben.« Doch die Gefahr, sein Feind- 2. Dezember 1990 Dann muss die DDR-Staatsanwaltschaft einge- bild, oder besser gesagt den festen inhaltlichen B ei d e n erste n g esa m t- deutschen Bundestags- schaltet werden und Räume versiegeln. Das Neue Standpunkt vorschnell zu verlieren, ist in diesen wahlen gewinnt die Forum muss zusätzlich eigene Siegel basteln, weil Tagen nie wirklich groß. Bald kommt der »Plan X« CDU. Helmut Kohl setzt auch der Staatsanwaltschaft nicht zu trauen ist. ans Licht, den die beiden obersten Erichs des Lan- sich gegen Oskar Lafontaine durch und Raum für Raum müssen sie sichern – immer, wenn des, Mielke und Honecker, bis in den späten Herbst w ir d er n eut Bu n d es- in der Runden Ecke ein weiteres Licht aufleuchtet, 89 in der Schublade bereithielten, immer noch auf kanzler. Die Grünen jubeln draußen die Demonstranten. Sie sind jetzt eine günstige Gelegenheit hoffend. Die »Direktive sc h eiter n i n W est- d eutsc h la n d a n d er wirklich das Volk, von dem alle Gewalt ausgeht, 1/67« sah vor, »zur Bewältigung von Krisensitua­ Fünf-Prozent-Hürde. und sie wollen Erfolge sehen. Regelmäßig berichtet tionen«, innerhalb von 24 Stunden das ganze Land einer der Besetzer über Megafon von den neusten mit Lagern zu überziehen, in denen Personen mit Entdeckungen. Erst nach und nach wird die ganze »verfestigter feindlich-negativer Einstellung« zu Dimension sichtbar: »internieren«, »isolieren« und »liquidieren« waren. Die Gelegenheit bleibt aus, weil zu viele Menschen Freigang in gemauerten im Lande Mut beweisen. Die Macht haben jetzt die anderen, die mit der verfestigten Einstellung. Nach Käfigen wenigen Tagen ist die Selbstauflösung derL eipziger Stasi-Bezirksverwaltung beurkundet. Weitere Be- Ein Großteil der Briefpost im Raum Leipzig musste zirksverwaltungen und die Berliner Zentrale folgen. zuerst durch das Nadelöhr der Stasi. Sämtliche Te- Sechs Monate später organisiert das Neue Forum legramme liefen parallel in der Runden Ecke vom die erste öffentliche Stasi-Ausstellung der Welt auf 3. Oktober 1990 Ticker. Bisweilen reichten kleinste Anzeichen von dem Sachsenplatz. Deutschland ist vereint. Das geeinte Regimekritik, damit die Verfolgungsmaschine an- »Dass wir mit so vielen Menschen vernünftig Deutschland zählt 78,7 lief: Wie bei der Leipzigerin, die im Café neben ei- handeln konnten und so ein diffiziles Problem ge- Millionen Einwohner. nen Zeitungsartikel eine kritische Notiz geschrieben löst haben, war für mich schon wie ein Wunder«, Das Staatsgebiet hat sich um 108.000 auf hatte. Ein anderer Fall: Jemand bot West­besuchern sagt Tobias Hollitzer. Überhaupt sieht er als poli- 357.000 Quadratkilome- der Leipziger Frühjahrsmesse seine Privatunter- tisch engagierter Mensch wunderbare Zeiten an- ter vergrößert. kunft und freundete sich mit einem an. Der neue brechen zum Jahreswechsel 89/90. An den Runden Freund und seine späteren Briefe kamen jedoch Tischen lassen sich die ehedem fest betonierten po- nicht aus Hamburg, sondern von der Stasi. Er soll- litischen Strukturen formen wie weich gekneteter te dem Leipziger eindeutige Kritik am System ent- Ton. locken. Verdächtige wie er wurden unter Vorwän- Doch auch im neuen, demokratischeren Sys- den auf Amtsstuben geladen, nur damit sie auf tem weht ein kalter Wind, der die Verhältnisse wie- präparierten Stühlen ihre Geruchsprobe hinterlie- der erhärten lässt. Da ist der Plan des damaligen ßen. Vergleichshunde brachten Tatgegenstände wie Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, die Stasi- Flugblätter mit den archivierten Duftmustern zu- Akten vor der Wiedervereinigung zu vernichten, sammen und zerstörten so mitunter Menschen­ damit die alten Streitigkeiten nicht den Wiederauf- leben. Stasi-Untersuchungshaft trat man nicht an, bau und die Zukunft der neuen Bundesländer be- man verschwand darin: Die Stasi machte Gefange- lasten – so seine Begründung. Erst die frei gewählte ne nach der Verhaftung orientierungslos, isolierte Volkskammer erwirkte die dauerhafte Öffnung der 23. August 1990 sie strikt und verwehrte ihnen jeden Kontakt nach Stasi-Aufzeichnungen. Und dann ist da der ständi- In einer nächtlichen Abstimmung beschließt draußen. Freigang gab es nur in gemauerten Käfi- ge Geldmangel, der die Arbeit der Gedenkstätte in die DDR-Volkskammer gen von wenigen Quadratmetern. Nachts wurde der Runden Ecke bedroht, obwohl der Besucher- mit 294 zu 62 Stimmen ständig das Licht in den Zellen an- und ausge- strom und das Informationsbedürfnis zusehends den Beitritt zur BRD z u m 3. Ok to b er. knipst. Auch kranke Gefangene kauerten in unbe- wachsen. Über eine Million Menschen kamen bis heizten Räumen, einige mussten angekettet in ihren Oktober 2008 in die Runde Ecke. Trotzdem muss eigenen Exkrementen liegen. Der Unterdrückungs- Tobias Hollitzer auch im Jahr 20 nach der Wende apparat war zu einer Parallelgesellschaft ausgewu- mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann förder- chert mit eigener Sparkasse, Sauna, Klinik unterm politische Fragen diskutieren und für die weitere eigenen Dach. Die Stasi hatte eigene Finanzquellen: Kofinanzierung durch Bund, Land und Kommune

rund 32 Millionen D-Mark Beutegut aus Plünde- kämpfen. »Revolution macht eben auch viel Arbeit«, 1990 rung von Westpost und viel mehr noch aus dem ist so ein Lieblingsspruch von Tobias Hollitzer, der Waffenhandel. irgendwie immer noch passt. • Die aktive Besetzung ist für Tobias Hollitzer eine bizarre Erfahrung. »Man entdeckte eine

Thema: DDR — 25 DDR? Warum eigentlich nicht?

Puzzlearbeit: In Leipzig werden nach der Wende von der Stasi vernichtete Akten rekonstruiert

24 — f l u t e r Sieg des Proletariats im Klassenkampf mit Fallbeil und Genick- an. Das liegt in der Luft: Lastwagen verlassen das Areal und aus schuss nach. Erst als Erich Honecker Anfang der 70er-Jahre Kaminen steigt Rauch. Mit jeder Schwade steigen auch die Er- mehr internationale Anerkennung und bessere Handelsbezie- wartungen der Straße an die revolutionäre Initiative des Neuen hungen für sein Land erwirken will, muss der Staatsterror sub- Forums. Das große Vorbild ist allerdings schon längst nicht tiler aufgezogen und an die »unsichtbare Front« verlegt werden. mehr Lenin, sondern eine Erfurter Frauengruppe. Die hat, um Die als »Juristische Hochschule« verbrämte Stasi-Uni in Pots- den in der dortigen Stasi-Kreisdienststelle ebenfalls angelaufenen dam setzt das Thema »Psychologische « aufs Curri- Akten-Abtransport zu stoppen, einen Bagger samt Führer ge­ culum. Die Lektionen für die gehobene Unterdrückerlaufbahn kapert und angeordnet, die Eingänge des Gebäudes mit Beton- lautet nun: Karrieren verbauen, Kinder von Eltern entfremden, platten und Baustellensand zu verrammeln. Die Nachricht der in Ehen Misstrauen säen, Bewegungsfreiheit rauben – zum Bei- Ereignisse vom Montagvormittag erreichen die Leipziger blitz- spiel durch Führerscheinentzug. Die Stasi schnell, natürlich auch die Stasi, die ja ist vernetzt mit allen Staats- und Verwal- immer alles weiß. Nur für den bevorste- tungsorganen. Gewaltenteilung, jenes de- Das Gedächtnis der Diktatur henden Abend weiß sie keinen Rat. Die mokratische, für staatlich organisierten Herren Tschekisten laufen im Büro des Terror so lästige Hindernis, gibt es nicht. BStU Neuen Forums auf und fordern großspu- 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter und rig eine »Sicherheitspartnerschaft«. Doch zuletzt ca. 200.000 IMs haben freie Bahn, Um das Wirken der Staatssicherheit auf­ mit Fordern sind jetzt die anderen dran. zuarbeiten und die Akten mit den Spitzel- das Leben kritischer Geister von innen berichten zu erhalten, wurde auf Betreiben Die Ansage des Neuen Forums lautet: und außen aufzubohren. der Bürgerrechtsbewegungen am Tag der »Stoppt die Aktenvernichtung und legt deutschen Einheit, dem 3. Oktober 1990, noch heute Abend alles offen, dann bleibt die Behörde der Bundesbeauftragten für es friedlich. Oder ihr bekommt Besuch Die Staatsmacht zeigt die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) gegründet. Die BStU hat den Auftrag, von voraussichtlich 250.000 Demons­ Nerven die Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und tranten.« Das Ministerium der Angst wil- Wirkungsweise des MfS zu unterrichten. Mit insgesamt 180 Kilometer an Unterlagen – ligt ein. Die Hollitzers warnen ihren Sohn vor Akten, Kartei­karten, Filme, Tondokumente, Gegen 20 Uhr betritt die erste Delega- dem Protestieren: Ob er denn nicht wisse, Mikrofiches – ist es eines der größten Archive tion des Neuen Forums das Gebäude, um Deutschlands. Die Internetseiten von BStU- wie am 17. Juni 1953 die Aufstände nie- Online geben einen Überblick. Menschen, die das die Leipziger fast 40 Jahre lang einen dergeprügelt wurden? Aber es hilft von der Stasi ausgespäht wurden, können ihre großen Bogen gemacht haben. Tobias nichts, Tobias gehört zu den ersten, die Akten einsehen. (www.bstu.de) Hollitzers Anspannung entlädt sich, wie 1989 gegen das Regime auf die Straße gesagt, erst mal in Übersprungslachen. gehen. Bei den jungen Oppositionellen Stiftung Aufarbeitung Die Räume des verhassten »VEB Horch funktioniert die alte Drohkulisse nicht und Guck« erinnern eher an die Heim- Das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung mehr so lückenlos. Vielleicht fehlt dazu zur Aufarbeitung der SED-Diktatur trat am werkstatt eines Verfolgungswahn-Psycho- die Erinnerung an die physische Brutali- 13. Juni 1998 in Kraft. Die Stiftung steht für tikers, als an die Zentrale einer gefürchte- tät der frühen Jahre. Jedenfalls sind sie eine lebendige und pluralistische Auseinan- ten Geheimpolizei. Da stehen selbst dersetzung mit der kommunistischen Diktatur es, die den alten Angstgegner auf den und ihren Folgewirkungen für das vereinigte gezimmerte Geräte zum Briefe öffnen Montagsmärschen als Erste schon mal Deutsch­land. Sie ist Ansprechpartnerin und und schließen, Schräglichtlampen zum verbal attackieren. Erste Rufe »Stasi weg, Mittlerin zwischen gesellschaftlicher Aufar­ Entziffern von Geheimcodes, mit Kame- beitung, Wissenschaft, Politik, Medien und hat kein Zweck!« kommen auf. Als im Öffentlichkeit. In der Stiftung bestehen ein ras präparierte Handtaschen und falsche Laufe des Novembers die SED-Macht in Archiv und eine wissenschaftliche Spezial­ Bäuche. In den Telefonabhöranlagen lei- Berlin zusehends bröckelt, stimmen mehr bibliothek, in denen u. a. Zeugnisse von Wider- ern aus Westpaketen geklaute Audiokas- stand und Repression gesammelt werden. Menschen ein. Es wird lauter: »Stasi weg, (www.stiftung-aufarbeitung.de) setten. Da gibt es verschiedene Bastel­ hat kein Zweck!« Die Stasi-Oberen zei- ecken: zum Personalausweisefälschen, gen Nerven. Sie warnen das Neue Forum zum Perückenknüpfen oder zum Kneten vor Übergriffen. Weil Gewaltlosigkeit in von falschen Nasen. Der Rest des Gebäu- Leipzig oberste Maxime ist, baut sich eine Abordnung der Bür- des ist rammelvoll mit Akten, die mithilfe solcher Tarnungen gerrechtler als friedlicher Puffer vor der Runden Ecke auf. gefüllt worden sind. Zehn laufende Kilometer Ordner sind es, Doch selbst die vom eigenen Gegner geschützte Stasi bleibt wie sich später herausstellt.­ Den Mitgliedern des Neuen Forums lernschwach. Ihre Dreistigkeit wird in der neuen Konstellation wird klar: Der Feierabend fällt flach, jetzt ist Revolution. Akti- sogar erst richtig plakativ: Hinter dem Rücken der Bürgerrecht- ve Besetzung ist gefordert, um die weitere Vernichtung von Be- ler läuft in der Runden Ecke die ganz große Aktenvernichtung weismaterial zu verhindern. Noch in derselben Nacht gründet sich das Bürgerkomitee zur Sicherung der Stasi-Akten. Nicht ohne Gegenwehr. Neues Forum Eine Partei, die 1989 in der Bürgerbewegung aktiv war und für de- »Die wollten uns ständig einwickeln«, erinnert sich Tobias mokratische Reformen kämpfte. Kurz darauf ging das Neue Forum im Bündnis 90 Hollitzer, »wenn wir dazu aufforderten, einen Panzerschrank auf, das später mit den Grünen fusionierte. zu öffnen, konterten sie: ›Ihr wollt doch Rechtstaatlichkeit, jetzt IM So hießen in der Sprache der Stasi inoffizielle Mitarbeiter, also Privatpersonen, werdet euch doch nicht untreu‹«. Historisch einmalig ist auch, die Spitzeltätigkeiten verrichteten. Sie lieferten Berichte über Bekannte, Kollegen, wie viele Schlüssel in dieser Nacht angeblich gerade mit einem Freunde und teilweise sogar über den eigenen Ehepartner. Manche der IMs wurden gezwungen, dem Geheimdienst zu helfen, andere machten aus opportunistischen anderen Mitarbeiter unterwegs sind. Erst mal bedarf es Ver- oder ideologischen Gründen freiwillig mit. handlungsgeschick: im Umgang mit der Stasi, aber auch mit der

Thema: DDR — 23 »Stasi weg, hat kein Zweck!«, riefen die Demonstranten von draußen. Um 20 Uhr durfte die erste Delegation des Neuen Forums das »Schreckenshaus« betreten

ir haben uns totgelacht, als wir da reinkamen. Überall stehen hier Apparate der Marke Eigenbau und irgend- Wie die arbeiteten, diese Hilfsmittel!« Wenn welche selbst gebastelten Utensilien herum, in denen die Absicht »W ­Tobias Hollitzer von den Ereignissen in der Nacht eines allumfassenden Staates, seine ungefügigen Bürger zu gän- des vierten auf den 5. Dezember 1989 erzählt, hebt er die Stim- geln, banal böse Gestalt annimmt. »Stasi – Macht und Banali- me. Als wolle er wieder durchs Megafon zu den Montags­ tät« heißt die Dauerausstellung in den weitgehend unveränder- demonstranten sprechen. Vielleicht ist das auch noch so ein al- ten Räumen der Stasi Leipzig. Dass es hier einmal die erste ter Reflex, laut werden, wenn es auf Mut ankommt. Dasser Stasi-Gedenkstätte geben würde und Tobias Hollitzer, der ehe- damals, als sie mit einer Gruppe Oppositioneller in das berüch- malige Staatsfeind, sie leitet – wer hätte sich das im Herbst 1989 tigte Gebäude mit der »Runden Ecke« vordrangen, zum Spaß- ausmalen können. Vielleicht einer von Hunderttausenden. Auf haben aufgelegt war, mag man dem Mann mit der Nickelbrille dem Foto von einer der Montagsdemonstrationen ragt aus dem jedenfalls nicht so recht abkaufen. Er sich selbst auch nicht: Meer der Köpfe ein Transparent, bekritzelt mit »Runde Ecke – »Warum lacht der Mensch ursprünglich?«, fragt er. »Aus Schreckenshaus, wann wird ein Museum draus!« Dass hier Angst.« Monate später tatsächlich ein Stasi-Museum eröffnet, ist ein Gelbe Gardinen, Linoleumfußboden, Überwachungskame- Wunder – aber eins, das sich erklären lässt. ras – Türen mit Knauf, die zuschnappen wie Fallen. Angesichts des vergilbten Schreckens im Gebäude mit der abgerundeten Revolution mit Fallbeil Ecke am Leipziger Innenstadtring vergeht vielen Besuchern noch heute das Lachen. Vor allem die Jüngeren bringen nur und Genickschuss noch selten nennenswertes Vorwissen über die DDR und ihre Geheimpolizei mit. Besonders wenig ist es bei denen aus dem Die Stasi-Angst sitzt tief in der DDR. Die Republik ist noch Osten, wie die Museumsführer hier täglich erleben. Aber genau jung, da schlagen die Tschekisten (hauptamtliche Stasi-Mitar- das gibt ihrer Arbeit einen Sinn. Heute war wieder eine Gruppe beiter) schon ungestüm los: Allein in den ersten sechs Monaten von der Bundeswehr da, sagt der Museumsdirektor. Die kom- 1953 werden 4.200 politische Gefangene gemacht und sechs mandiert ihre Truppen aus dem Raum Leipzig regelmäßig zur davon hingerichtet. 1955 weitere sechzehn. Und das ist nur der politischen Horizonterweiterung an diesen Ort, wo die Rekru- Anfang. Die Staatssicherheit, »Schild und Schwert der sozialisti- ten den Mund nicht wieder zukriegen: »Damit sollen die ein schen Einheitspartei«, wähnt sich ganz weit vorne im Lauf der ganzes Volk überwacht haben?« Weltgeschichte. Sie hilft der marxschen Formel vom sicheren

22 — f l u t e r Text: oliver geyer

Zeiten des Aufruhrs

Allein mit Demos und Lichterketten war das DDR-Unrechtsregime dann doch nicht abzuschütteln. Nach der friedlichen Revolution mussten die Zentralen der Stasi gestürmt werden – wie die Runde Ecke in Leipzig

Thema: DDR — 21 uns. Doch es nützte nicht viel. Anfang der Neunzi- namens Dan Bao in einem Zelt auf. Er machte ein 1991 gerjahre verloren sie praktisch alle ihren Job. In bisschen Musik und erzählte deutschen Kindern dieser Zeit sprach es sich bei den Vietnamesen he­ ein Märchen aus Vietnam. rum, dass Herr Duc ein Mensch war, der gut mit den Deutschen umgehen konnte. Sie brauchten sei- Die Kinder haben blaue ne Beratung dringend: Die Jahre nach der Wende waren nicht gut für sie. Flecken auf dem Po Der Aufenthaltsstatus der vietnamesischen Gastarbeiter war unsicher im vereinigten Deutsch- Nach allem, was er erlebt hatte, verstand Herr Duc land. Anders als die Migranten in Westdeutschland irgendwann, warum Vietnamesen es so schwer ha- 20. Juni 1991 wurden sie bis 1997 nicht als reguläre Arbeitneh- ben in diesem Land. Vor Kurzem hat er ein Buch Nach einer kontrovers mer mit unbeschränktem Bleiberecht anerkannt. geschrieben, in dem er erklärt, warum das so ist. Es geführten Debatte fällt die Entscheidung Gastarbeiter mussten ihre Heime verlassen und ist ein Buch voller Missverständnisse und Sonder- f ü r ei n e n eu e H au pt- manche wurden obdachlos. Wenn sie bereit waren barkeiten. Darin steht zum Beispiel, dass Vietname- stadt. 388 Bundestags- zurückzukehren, erhielten die Vietnamesen einen sen an Feen glauben, dass es Unglück bringt, eine abgeordnete stimmen für Berlin, 320 für Freiflug und 3000 DM. Zwischen 45.000 und Mutter mit ihrem Neugeborenen zu besuchen, dass Bonn (auch wenn das 50.000 von ihnen nutzten diese Möglichkeit. Aber Kinder blaue Flecken auf dem Po haben und dass Ergebnis in den es gab auch andere, die bleiben wollten, aber nicht diese Flecken nichts mit Misshandlung zu tun Zeitungen zunächst falsch verkündet wussten wie man mit einer deutschen Behörde ver- haben. wird). handelt. Herr Duc war arbeitslos und hatte viel Herr Duc erzählt, dass Vietnam eine konfuzia- Zeit. Er half seinen vietnamesischen Landsleuten nische Kultur hat, die schon Jahrtausende zurück- gern. reicht. Es gibt einen fein gesponnenen Katalog von Regeln, damit jeder weiß, was zu tun ist und was besser nicht. Es ist zum Beispiel äußerst unhöflich, sich in die Augen zu schauen oder den anderen di- rekt beim Namen anzusprechen. Wenn man etwas ablehnt, sagt man seltsamerweise nicht »Nein«, sondern »Ja Ja Ja«. Herr Duc kennt eine Vietname- sin, die deswegen mal in eine peinliche Situation geriet. Sie wollte zur Schwangerschaftsberatung, doch sie verirrte sich in die Drogenberatung, wo sie die ganze Zeit nickte, wenn man sie etwas frag- te. Es erschien ihr unhöflich zu erklären, dass sie überhaupt nicht süchtig war. »Die Bescheidenheit ist ein großes Problem der Vietnamesen in Deutsch- Als Herr Duc noch mit dem Dan Bao für die deutschen Genossen land«, sagt Herr Duc. Kinderärzte und promovier- auftrat, war die Wende noch weit entfernt te Chemiker verkaufen auf Wochenmärkten Obst und Stoffe, ein Kinetiker betreibt ein Lebensmittel- 20. November 1990 Die Politiker diskutierten in diesen Jahren nicht be- geschäft in Ostberlin. Der Deutsche Fußball sonders viel über Integration, sondern mehr darü- Im Büro von Herrn Duc hängt versöhnlich wir- Verband der DDR löst sich auf. Letzter ber, wie man Gastarbeiter und Asylbewerber am kender Wandschmuck aus Deutschland und Viet- DDR-Meister wird Hansa schnellsten loswerden kann. In Rostock-Lichtenha- nam. Er sagt, es sei nicht immer einfach gewesen Rostock, ein Team, das gen griffen Rechtsradikale über mehrere Tage hin- hierzubleiben. Er habe sich oft einsam gefühlt und keine wichtigen Spieler an Westklubs weg ein von Vietnamesen bewohntes Haus an und Heimweh gehabt, doch er sei in Deutschland sehr verloren hat. Ab der wurden dafür von den Nachbarn beklatscht. In froh. An einer Pinnwand ist eine Zeichnung von ei- Saison 1991 / 1992 Magdeburg, einer Stadt, in der im Schnitt nur jeder nem kleinen, grünen Frosch im Schnabel eines gro- spielen Rostock und Dynamo Dresden in der Dreißigste ein Ausländer ist, rasierten sich Jugend- ßen Vogels befestigt. Noch aus dem Schnabel her- Ersten Bundesliga. liche Glatzen und pöbelten auf der Straße herum. aus greift der Frosch nach dem Hals des Vogels, Einen nationalen oder Einmal sagte ein Junge »du Fidschi raus« zu Herrn um ihn mit letzter Anstrengung zu würgen. »Nie- internationalen Titel h at bis h eute k ei n Duc. Da erwiderte er: »Ich habe mehr für dieses mals aufgeben« steht darüber. Herr Duc ist jetzt 54 ostdeutscher Verein Land getan als du.« Jahre alt. Er hat gegen die Amerikaner gekämpft, mehr gewonnen. Heute lebt Herr Duc noch immer in Magde- gegen die Kapitalisten, gegen die Rechtsradikalen burg. Hinter seinem Haus züchten er und seine in Deutschland. Ein bisschen kann er vielleicht so- Frau vietnamesisches Gemüse, das es hier nicht so gar verstehen, wieso sie Jagd machten auf Men- gut zu kaufen gibt. Herr Duc hat einen deutschen schen wie ihn. »Ich habe immer Feinde gehabt«, Pass, er hat ein zweites Studium mit besten Noten sagt Herr Duc. »Das macht eine Gruppe stark.« abgeschlossen, seit über zehn Jahren berät er in Aber irgendwie müsse das doch aufhören, sagt er. 1990 Magdeburg Ausländer für die Caritas. Für ein Inte­ »Ist es nicht möglich, dass man ohne äußere Feinde gra­tionsprojekt trat er vergangenen Herbst mit ei- zusammenhalten kann?« • nem traditionellen, E-Gitarren-artigen Instrument

20 — f l u t e r en ersten Irrtum hatte es schon vor seiner ­gefährdete. Sie brauchten im Osten Leute wie Ankunft gegeben. Das war kurz nach dem Herrn Duc. Über 60.000 Vietnamesen holten sie DKrieg in Vietnam. Doch Nguyen Tien Duc, bis 1989 in die DDR. den alle nur Duc oder Herr Duc nennen, ahnte Als Herr Duc und die anderen die Elbe sahen, noch nicht, dass das vielleicht ein Zeichen war. Er waren sie maßlos enttäuscht. »Das ist kein Fluss, konnte ja nicht wissen, was da noch kommen soll- da kann man ja rüberspucken«, sagten sie. Und te. Nie hätte er sich ausgemalt, dass das Missver- auch die Sprache war ein größeres Problem, als sie 1992 ständnis einmal zu seiner Lebensaufgabe werden gedacht hatten. Die Wörter waren gespickt mit würde. Umlauten und Konsonanten, zusammengeschnürt Als sein Zug schnaufend und schwankend in von einer verwirrenden Grammatik. Herr Duc trug Richtung China fuhr, war er 22 Jahre alt. Er war überall ein Büchlein mit sich rum, wenn er sich mit September 1992 zur Schule gegangen und dann zur Armee. Er hat- Deutschen unterhalten wollte, suchte er sich am Das Verfahren gegen vier Mitglieder des te Lebensmittel verwaltet und Uniformen. Er war Anfang einfach ein Kind. Nicht alle lernten so Verteidigungsrates der ordentlich und strebsam. Er hatte einen Krieg ge- schnell wie er. Die Vietnamesen waren meistens un- DDR, die für den wonnen. Er machte seine Sache gut. Weit weg, am ter sich, ihre Regierung hatte ihnen verboten, den »Schießbefehl« an der innerdeutschen Grenze anderen Ende der Welt, gibt es ein Land, das von Deutschen zu nahezukommen. Sie lebten in Hei- verantwortlich sein einem gewaltigen Fluss namens Elbe durchzogen men, sie durften nicht in die Kneipe, sie durften sollen, beginnt. Erich wird, sagten sie. Dort ist es besser als zu Hause. sich nicht die Haare lang wachsen lassen, sie durf- Honecker entgeht einer Verurteilung aus Dort sind die Straßen sauber und modern. Dort ten keine Mädchen kennenlernen und sie durften gesundheitlichen kannst du eine Uhr auf einer Parkbank vergessen nicht nackt zum FKK. Wenn eine Gastarbeiterin Gründen. Die andern und eine Woche später liegt sie noch immer da. ein Kind erwartete, musste sie entweder abtreiben drei Angeklagten werden wegen Anstif- Die Menschen sind ehrlich und weise. Außerdem oder zurück nach Vietnam. tung zum Totschlag zu bauen sie die besten Maschinen der Welt. Nach Herr Duc arbeitete fleißig: Erst zeigten sie ihm, Haftstrafen zwischen allem was Herr Duc wusste, war dieses Land das wie man schwere Dieselmotoren zusammenbaut, viereinhalb und siebeneinhalb Jahren Paradies. dann wie man dieses Wissen an Lehrlinge weiter- verurteilt. Herr Duc erinnert sich noch genau an den Tag gibt. Vom sozialistischen Bewusstsein der Deut- seiner Abreise. Es war der 28. August 1977. Viet- schen aber war er enttäuscht. Wenn der Meister nam lag in Trümmern. Entlaubt, verbrannt, zer- weg war, begannen die deutschen Kollegen zu trin- bombt. »Doch die Stimmung«, sagt Herr Duc, »die ken oder sie stahlen Sachen aus dem Betrieb. Ein- Stimmung war gut. Es gab einen gemeinsamen mal half er einem Kollegen, der kein Deutsch Feind. Alle waren füreinander da.« Sie fühlten sich sprach, eine Jacke zu kaufen, die in einem Schau- damals wie die Größten. Sie hatten das riesige fenster ausgestellt war. »Ham wa nich«, schnauzte Amerika besiegt, das ein Mehrfaches an Bomben die Frau die beiden Vietnamesen an. Da erinnerte auf ihr Land geworfen hatte, als im Zweiten Welt- sich Herr Duc an einen Satz, den er in einem Buch krieg auf ganz Deutschland fielen. Sie glaubten an gelesen hatte, das »Rechte der Käufer« hieß. »Sie die Partei, das Land, den Kommunismus – nicht sind verpflichtet uns alle Waren im Laden zu ver- unbedingt an die Bücher darüber. Marx, Engels, kaufen. Wenn die Jacke momentan zu Dekorati- Lenin – die Theorie war so weit weg wie der Mond, onszwecken gebraucht wird, holen wir sie in zwei der über ihnen kreiste, als der Zug sie nach Wochen ab«, sagte Herr Duc. Er sagte es leise und Deutschland fuhr. bestimmt – sie bekamen die Jacke sofort. Da merk- te Herr Duc: Wer in diesem Land etwas erreichen 20. Januar 1992 will, muss erstens selber denken und zweitens wis- Im ersten Die DDR brauchte Menschen Mauerschützen­prozess sen, nach welchen Regeln man hier spielt. w er d e n n ac h erfolg r ei- wie Herrn Duc In der Vorwendezeit hielten die Deutschen und cher Revision drei der ihre Gastarbeiter noch einigermaßen zusammen. vier Angeklagten freigesprochen; nur »Ich bitte Sie, auf Ihre Sachen zu achten. Sonst Wenn die Magdeburger demonstrieren gingen, pass- einer bekommt zwei kommt hier noch was weg«, sagte der deutsche Be- te Herr Duc auf ihre Kinder auf. Doch je mehr sich Jahre Haft auf treuer zu den Vietnamesen, als sie nach 13 Tagen der Staat auflöste, desto ungemütlicher wurde es für Bewährung. Fahrt aus dem Zug stiegen. »Kommt hier doch was ihn. Als er das erste Mal mitbekam, dass die Deut- weg?«, dachte Herr Duc. »Was ist mit den Uhren schen sie Fidschis nannten, verwirrte ihn das unge- auf den Parkbänken? Das haben die falsch über- mein. »Fidschi ist ein schönes Land«, sagt Herr Duc. setzt.« Es war kein Geschenk, das die Deutschen »Die Menschen dort sind sehr kultiviert.« Es dauer- den Vietnamesen da machten, kein Schüleraus- te nicht lange, dann merkten sie, dass dieses Wort, tausch. Es war ein Vertrag zwischen zwei sozialisti- von dem niemand wusste, woher es eigentlich kam, schen Staaten, von denen der eine Menschen im Grunde nur ein Synonym für Abschaum war.

brauchte, weil seine eigenen Menschen wegliefen, Es gab ein paar Facharbeiter in seinem Betrieb, 1992 und der andere Geld und Technologie. Mehr als die ahnten sehr früh, was nach der Wiedervereini- 2,7 Millionen Bürger waren seit der Gründung der gung mit der Industrie der DDR passieren würde. DDR nach Westdeutschland geflüchtet. Es gab ein Sie sammelten Unterschriften bei den Kollegen und Vakuum, das die Produktion in den Fabriken forderten: Erst die Vietnamesen entlassen und dann

Thema: DDR — 19 Text: Fabian Dietrich Fidschi ist ein schönes Land

Erst kämpften sie gegen die Amerikaner, dann gegen

1995 die Fremdenfeindlichkeit in der DDR und im vereinigten Deutschland. Wirklich heimisch wurden die meisten Vietnamesen nie. Die Geschichte eines Nichtverstehens.

20. Mai 1995 Der Immobilien-Unter- nehmer Jürgen Schneider und seine Frau Claudia werden in Miami verhaftet. Vor seiner Flucht renovierte Schneider etwa 60 prunkvolle Gebäude in Leipzig. Doch seine Rechnungen bezahlte er n ic ht. M it b et r ü g eri- schen Bauprojekten verursachte Schneider i n s g esa m t 5,4 M illia r- den Mark Schaden.

Auf fluter.de - gibt es eine Bilder geschichte über DDR- Gastarbeiter aus Vietnam, Mosambik, Angola und Kuba.

»Da kann man ja rüberspucken«: Herr Duc und die anderen Vertragsarbeiter waren enttäuscht, als sie die Elbe das erste Mal sahen

18 — f l u t e r Mehr Geschichten über die DDR gibt es auf www.fluter.de

Zwischen Traum und Trauma: Menschen erzählen, wie sie als Jugendliche aus der DDR die friedliche Revolution erlebt haben. »Flugasche«: Wie die Schriftstellerin Monika Auf fluter.de - gibt es eine Bilder Maron 1981 die Umweltverschmutzunggeschichte in derüber DDR- Gastarbeiter aus Vietnam, Mosambik, DDR thematisierte. Angola und Kuba. Mal eben nach Ostberlin: Udo Lindenberg wollte 1983 mit dem Sonderzug in das Bonzenviertel Pankow fahren. Eine Songtextanalyse. Picknick für die Freiheit: Wie tausend DDR-Bürger am 19. August 1989 bei einem Picknick nach Ungarn flüchteten, weil der ungarische Grenzoffizier­ Arpad Bella zur Seite schaute.

Spurensuche: Was gibt es über die DDR im Netz zu entdecken? fluter.de

Thema: DDR — 17 bei allen beliebt, die darauf hofften, dass etwas von Beim Lohn heißt es: deren Glamour auf den Träger übergeht. Bruno Banani – das klang nach Giorgio Armani und Hosen runter nach Mailand. Dafür gaben die Kunden gern ein bisschen mehr Geld aus, als für die Unterhemden Bruno Banani ist heute eines der Vorzeigeunter- 1995 und Tangas, die im Regal daneben lagen. Weil der nehmen in Ostdeutschland. Dass es auch einen an- Name aber besonders in Anbetracht des anfäng­ deren Teil der Wahrheit gibt, sieht man nur, wenn lichen Heißhungers auf Südfrüchte im Osten auch man hinter den Vorhang blickt. Dort sitzt Birgit ganz andere Assoziationen weckt, war es von Be- Albrecht, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall in ginn an verboten, die Unterhosen in der Nähe ei- Chemnitz. Sie sagt: »Mit Bruno Banani zu verhan- ner Banane zu zeigen – und mit Entwürfen in Gelb deln, war am Anfang wie Steine zu schneiden.« brauchten die Designer Jassner gar nicht erst zu Anfang der 90er-Jahre hatte sie die Insolvenz kommen. »Sonst wären wir schnell eine Ulkmarke von Jungnickels Mittelbacher Textilfabrik beglei- geworden«, sagt er. Schon nach zwei Jahren machte tet, danach konnte sie aber nicht verhindern, dass das Unternehmen sechs Millionen D-Mark Umsatz die Türen von Bruno Banani für sie geschlossen und beschäftigte 60 Mitarbeiter. Das war Jassner blieben. Jassner und Jungnickel wollten in Ruhe ihr aber nicht genug. Unternehmen aufbauen, da hätte die Gewerkschaft nur gestört. Nach fünf Jahren aber war die Unzu- friedenheit bei den Mitarbeitern groß: Die Löhne Die String-Rakete waren niedrig, Überstunden wurden nicht bezahlt. 1995 Sie wollten einen Betriebsrat, Albrecht organisierte Egon Krenz, der letzte Gemeinsam mit seiner Herrenberger Werbeagentur geheime Treffen mit den Näherinnen, um sie über Staatsratsvorsitzende der DDR wird vom und ein paar jungen Kreativen suchte er nach Ideen, ihre Rechte zu informieren. Nach der Wahl dauerte Landgericht Berlin zu die Marke noch bekannter zu machen. Für eine es allerdings noch ein ganzes Jahr, bis Jungnickel sechseinhalb Jahren klassische Kampagne in Zeitschriften und auf Pla- und Jassner die branchenüblichen Gehälter zahl- Haft wegen Totschlags i n v ier Fä lle n katwänden fehlte das Geld, es musste etwas sein, ten. »Für die Kunden und die Medien war Bruno verurteilt. was auf einen Schlag viele Menschen sehen konn- Banani von Beginn an eine Erfolgsgeschichte«, sagt ten. Also schickte Jassner am 13. August 1998 eine Albrecht. »Aber der Erfolg muss ja nicht unbedingt Unterhose zur russischen Weltraumstation MIR, bei denen ankommen, die ihn erarbeitet haben.« und beauftragte einen Kosmonauten, sie auf ihr Doch das ist Vergangenheit. Das Verhältnis Verhalten in der Schwerelosigkeit zu überprüfen. zwischen der Firma und der Gewerkschaft hat sich Was aber viel wichtiger war, als die Ergebnisse beruhigt, Jungnickel, mit dem sich Albrecht in vie- dieser Tests: Weltweit zeigte das Fernsehen Bilder len Verhandlungen gestritten und danach wieder aus dem All, auf denen der Flugingenieur Nikolai vertragen hat, hat das Unternehmen im vergange- Budarin mit breitem Grinsen beide Daumen hob, nen Herbst verlassen, nicht ganz freiwillig, räumt mit Bruno-Banani-Mütze und im Bruno-Banani- Jassner ein. Er will nun langsam die Übergabe ein- T-Shirt. Für einen sechsstelligen Betrag, den Jassner leiten. »Man muss der nächsten Generation die den Russen überwiesen hatte, kannte seine Firma Möglichkeit geben, sich freizuschwimmen.« Sein jetzt die ganze Welt, auf den Etiketten stand fortan Sohn Jan, 37 Jahre alt, in Chemnitz verheiratet, der Zusatz »first space proofed underwear«. Spä- arbeitet jetzt schon in der Geschäftsführung mit, er ter folgten Ausflüge auf den Mount Everest und in soll die Firmenleitung übernehmen. 4.800 Meter Wassertiefe im Bermudadreieck. »Das Für den Alten geht dann das Abenteuer in Sach- waren alles so Ideen, die ein bisschen Spaß gemacht sen zu Ende, er wird zurückkehren auf die Schwä- haben«, sagt Jassner. »Wir wollten eine Botschaft bische Alb, wo er bis heute lebt. Denn so richtig vermitteln, was unsere Marke ausmacht.« ist er selbst im Osten offenbar nie angekommen. In 29. Mai 1994 Mit dieser unkonventionellen Strategie ist Chemnitz wohnt er seit 16 Jahren im Hotel. • Erich Honecker stirbt Bruno Banani zu einer Marke geworden, die in 17 in Chile im Alter von 81 Ja h r e n a n L e b erk r e b s. Länder nicht nur Unterwäsche verkauft, sondern auch Sonnenbrillen, Düfte, Taschen und Uhren. Insgesamt 15 Lizenznehmer nutzen ihre Bekannt- heit, bis heute muss jedes Produkt erst von Jassner abgenickt werden, bevor es in seinem Namen ver- kauft werden darf. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen so den Umsatz gegenüber dem Vor- jahr um knapp 17 Prozent auf 75,2 Millionen 1994 Euro gesteigert. In Chemnitz wird davon aber nur noch ein geringer Teil erwirtschaftet. Dort arbeiten knapp 100 Angestellte und produzieren Unter- und Schwimmhosen für Männer, eigentlich wie vor 156 Jahren.

16 — f l u t e r Text: Kai Schächtele Schiesser, die unlängst Insolvenz anmeldete. Ein Drittel der Bevölkerung war in der Branche be- schäftigt. Nach dem Fall der Mauer allerdings sank die Quote rapide, die kleinen Firmen, die aus den Der VEBs hervorgegangen waren, konnten dem Druck der Marktwirtschaft nicht standhalten. Wolfgang

Schiesser-Befehl Jasser war zu dieser Zeit als Berater in den neuen 2000 Bundesländern unterwegs, davor hatte er 16 Jahre Früher war die Region um lang ein Textilunternehmen mit 800 Mitarbeitern auf der Schwäbischen Alb geführt. Er versuchte, Chemnitz eine Hochburg seine Kollegen mit den Grundregeln des Kapita- der Textilindustrie. lismus vertraut zu machen. Er fragte sie: Wie er- mittelt man den richtigen Preis für eine Unterhose? Heute ist sie immerhin Wie funktioniert Marketing? Und wie baut man das Zentrum der deutschen ein rentables Unternehmen auf? Und bekam kaum Antworten darauf. Unterhosenmanufaktur. Irgendwann traf er Klaus Jungnickel, der sich Dank Bruno Banani. im Chemnitzer Stadtteil Mittelbach mit seinen 15 Angestellten erfolglos gegen den Untergang stemm- te, 1993 ging der Betrieb in Konkurs. Für Jassner war das die Gelegenheit, auf den Resten von Jung- Herbst 2000 ls Wolfgang Jassner und Klaus Jungnickel nickels Firma eine Marke nach dem Vorbild ameri- Die Bürgerrechtlerin Marianne Birthler vor 16 Jahren in einem Büro der Industrie- kanischer Wäschekonzerne aufzubauen, die in den übernimmt von Joachim Aund Handelskammer Südwestsachsen Platz 80ern aus bloßen Unterhosen Kultobjekte gemacht Gauck den Vorsitz der nahmen, lag bereits ein weiter Weg hinter ihnen. hatten. Diese Nische war in Deutschland noch un- B e h ör d e z u r Au fa r b ei- tu n g d er St a si-Unter- Von Chemnitz aus wollten die Männer mit hoch- besetzt. Am 1. November 1993 meldete Jassner die lagen, die daraufhin wertiger Designwäsche den deutschen Unterhosen- Firma an. Er hielt 80 Prozent der Anteile und küm- im Volksmund nur noch markt erobern. Jassner, der Schwabe, hatte einen merte sich darum, Bruno Banani bekannt zu ma- Birthler-Behörde heißt. Das Interesse Werbefachmann in Herrenberg bei Stuttgart be- chen, Jungnickel bekam 20 Prozent und war ver- a n d er eig e n e n Ver g a n- auftragt, dafür einen Namen zu finden, und war antwortlich dafür, dass die Produktion lief. Vorbild g e n h eit blei bt u n g e- mit etwas zurückgekehrt, was nach internationa- war das Modelabel Calvin Klein, das an den Hüften brochen. Im Jahr 2008 stelle n n o c h i m m er lem Flair klang statt nach Feinripp. Jungnickel, der von Nachwuchsmodels wie Mark Wahlberg be- 87.366 Menschen einen Sachse, hatte die Näherinnen seiner kleinen Textil­ rühmt geworden war. Die Zeiten, das hatte Jassner Antrag auf Einsicht fabrik auf die neue Aufgabe vorbereitet. Und es klar erkannt, standen auf Kate Moss und nicht von Stasi-Akten. war Jassner gelungen, dem Direktor der örtlichen mehr auf Kati Witt. Wenn er von dieser Anfangs- Sparkasse die Zusage für einen Millionenkredit ab- zeit erzählt, klingt das allerdings weniger nach dem zuringen, gegen sein Haus auf der Schwäbischen Rock des Aufbruchs als nach solider Volksmusik: Alb als Pfand. Doch vor dem Schreibtisch eines »In Deutschland gab es damals nichts, das so war Mitarbeiters der regionalen Handelskammer er- wie der Kallwinn Klein.« kannten beide, dass das Abenteuer jetzt erst richtig losging. »Bruno Banani GmbH – das geht nicht«, ließ Kate Moss statt Kati Witt der Mann vom Amt wissen. »Sie brauchen einen Zusatz. Nennen Sie Ihre Firma doch Bruno Banani Heute sitzt Jassner im Konferenzraum eines kan- 1999 Textilfabrik GmbH.« Gegen die Moderne aus dem tigen Gebäudes aus Glas und schwarzem Stahl im Die Regierung und das Parlament nehmen in Westen musste doch wenigstens ein letzter Rest Gewerbegebiet von Chemnitz. Bereits vor zehn der neuen Hauptstadt sächsischer Tradition verteidigt werden. Doch damit Jahren ist Bruno Banani aus der Mittelbacher Klin- B erli n i h r e A r b eit war er bei Jassner und Jungnickel an der falschen kerhalle hierher umgezogen. Jassner trägt ein rotes auf. Adresse, die ließen »bruno banani underwear Hemd und ein blaues Sakko, eine Jeans und flotte GmbH« eintragen. »Einen dümmeren Namen hät- Sneaker. Die wenigen noch verbliebenen Silberhaare ten Sie wohl nicht finden können«, beschied später kräuseln sich um seinen Hinterkopf. Der 67-Jährige der Mann von der Treuhand-Anstalt, die verwal- sieht etwas müde aus, in seinen Augen schimmert tete, was aus der Blütezeit der Chemnitzer Textil­ es rot. Doch wenn der Unternehmer alten Schlags, industrie noch übrig war. auf dessen Visitenkarte »Dipl.-Betriebswirt Wolfgang Vor der Wende war Karl-Marx-Stadt, wie der Jassner« steht, über die hinter ihm liegenden Jahre

Ort damals hieß, das Manchester der DDR. Viele spricht, merkt man ihm die Befriedigung darüber 1999 Textilbetriebe waren hier angesiedelt, die den Ost- an, etwas aufgebaut zu haben, das er einmal seinen block genauso belieferten wie Westdeutschland. Kindern übergeben kann. Der Volkseigene Betrieb (VEB) Trikotex produ- Mit den hochwertigen Stoffen und dem mo- zierte Unterhosen im Auftrag der Traditionsmarke dernen Design waren die neuen Schlüpfer schnell

Thema: DDR — 15 Banani-Chef Jassner mit einem seiner Top-Modelle

14 — f l u t e r nicht, dann wird die Frage nach dem Solidaritäts- Stereotype verhärten sich in dem Ausmaß, wie wir pakt laut. nur zusammen leben, aber keinen Kontakt haben. Wir leben praktisch in ökonomisch friedlicher Ko-

Können wir in Bezug auf die Einheit vielleicht von existenz. Wir können da von der Integration der 2005 anderen Ländern lernen? Ausländer lernen: Unser Bild von Türken und Itali- In England gibt es eine Reihe von Studien, die be- enern im Westen hat sich ebenfalls durch Kontakte sagen, dass die meisten Konflikte in Irland und verbessert. Das Wissen um die Sorgen, die Ängste, Nordirland auf mangelndem Vertrauen beruhen. aber auch die positiven Seiten des Alltages der an- Vertrauensbildende Maßnahmen sind also ein gu- deren baut Vorurteile ab. tes Vereinigungs­instrument. In ihrer Studie haben sie auch Der Umzug der Regierung nach die Rollenklischees hinterfragt. Berlin, war ein Einheitsymbol vor Im Osten gibt es demnach die 91,0 allem für das Ausland. Ist Bun- selbstbewussteren Frauen und deskanzlerin Angela Merkel, die weniger Machos. 89,0 in der DDR aufwuchs, ein Ein- Im Osten war eben die Gleich- heitssymbol für die Deutschen? berechtigung der Frau weiter Ich glaube ja. Sie ist eine größere fortgeschritten – etwa im Be- Kanzlerin der Einheit, als es Kohl rufsleben und in der Kindesbe- gewesen ist, und wird auch als sol- Ich finde es gut, dass Deutsch- treuung. Allerdings wurde diese 22. November 2005 che wahrgenommen und zitiert. land wiedervereinigt wurde Gleich­stellung mit dem Beitritt Die Phy sik eri n u n d CDU-Politikerin Angela Merkel hält die Ostthemen hoch. zum Westen infrage gestellt, M erk el w ir d Bu n d es- Auch Bundesminister Wolfgang viele Frauen verloren nach der kanzlerin und schreibt Tiefensee vermittelt in seinen Re- Wende ihren Job. Das war ein gleich zwei Mal Geschichte: Sie ist den zum Tag der Deutschen Ein- Werteumbruch. die erste Frau und die heit gut die Alltagsrealitäten und erste Ostdeutsche in Verbesserungen in Ost wie in 41,3 Was erwarten sie sich vom 20. diesem Amt. West; er spricht immer über bei- 59,8 Geburtstagsjahr des vereinig- de Seiten ausgleichend. Ein gutes ten Deutschlands? Symbol wäre vielleicht auch, die Es ist eine Chance, sich über Einheitsfeiern am dritten Oktober den Zustand der Gesellschaft viel stärker in der Lokalpolitik zu und die noch vorhandene ge- Ost- und Westdeutschland sind verorten. Sodass wir auch in Ost- zusammengewachsen sellschaftliche Teilung zu ver- westfalen merken, dieser Tag ist ständigen. Der Osten fühlt sich ein Einheitstag. immer noch zu stark benachtei- ligt, da muss man was tun. War der Beitritt des Ostens auch eine Chance für den Westen? Wie lange werden wir auf eine 64 Einige Studien zeigen, dass die echte Einheit noch warten Einheit dem Westen am Anfang müssen? erst mal einen Selbstwert beschert In zwanzig Jahren werden wir hat. Dort waren eben die Bürger 13 eine Generation von Menschen »erster Klasse«. Der Westen hat haben, die sich als Europäer sich als Unterstützer erleben kön- verstehen. Die Fragen gestellt Ich fühle mich als Bürger haben über die nationalsozia- 13. Februar 2003 nen, auch wenn es inzwischen viel zweiter Klasse Kritik um den Soli-Zuschlag gab. listische Vergangenheit, Stasi, Goodbye Lenin! läuft an. In dem Film geht Jetzt aber gibt es Regionen im Sozialismus und Kontrolle und es u m ei n e au s d e m Westen, die durch die massiven (Positionen zur Vereinigung die daraus gelernt haben. Ich Koma erwachte Frau, GMF-Survey 2008, Kosten der Einheit nun in einer wünsche mir weniger Autorita- deren Sohn ihr vor- Angaben in Prozent) spielt, die DDR sei ähnlich desolaten Situation sind, rismus in Ost wie in West. nie untergegangen. In wie Teile des Ostens. Auch der Westen hat dazuge- vielen Kinos wird es lernt: Einige kleinere Gemeinden in Westdeutsch- Also mehr Selbstdenker? der Erfolg des Jahres. Trotzdem mäkeln land pflegen Partnerschaften zuO stkommunen. Sie Genau. Menschen, die nicht verstehen, wie man Kritiker, die DDR haben deren Eigeninitiative beobachtet und davon 2009 so große Unterschiede zwischen Minderhei- werde romantisiert und gelernt, wie die Bürger in den neuen Bundeslän- ten und Mehrheiten gemacht hat. • verharmlost. dern Alltagsprobleme selber lösen. Andreas Zick ist Professor für Sozialisation und

Ost-West-Freundschaften gibt es allerdings kaum, Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. Ge- 2003 wie sie herausgefunden haben. Die negativen Ste- meinsam mit Wilhelm Heitmeyer untersucht er seit reotype verhärten sich demnach immer weiter. 2002 die Einstellungsmuster der Bundesbürger.

Thema: DDR — 13 Interview: Patricia Dudeck 2007 »Wir leben in friedlicher­ Koexistenz«

Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall sind die Deutschen kein vereintes Volk: Der Soziologe Andreas Zick über das lange Warten auf blühende Landschaften und das Misstrauen zwischen Ost und West

16. Juni 2007 Die SED-Nachfolge­ p a r tei PDS b eko m m t einen neuen Namen. Sie fusioniert mit der Wahlalternative Arbeit Wie steht es 20 Jahre nach dem Mauerfall um die Gilt das auch für den ostdeutschen Porsche­fahrer? u n d sozia le G er e c ht ig- keit (WASG) zur Partei deutsche Einheit, Herr Zick? Tatsächlich ja. Im Osten gibt es viele Leute, denen »die Linke«. Erstens: Der Begriff »Wiedervereinigung« ist zwar es ökonomisch zwar gut geht, die sich aber den- positiv gemeint und hat sich auch eingebürgert, noch benachteiligt fühlen. Wenn sie dort einen Por- er ist aber nicht sinnvoll. Denn faktisch wurde ja sche fahren, können sie immer noch darüber jam- nichts wieder-vereint. Nach dem Fall der Mauer mern, dass die Straßen dort nicht gut genug sind. sind zwei völlig unterschiedliche Gesellschaftsmo- delle zusammengekommen. Die Begriffe »Vereini- Woher kommt dieser Frust? gung« oder »Beitritt« sind eher angemessen. Helmut Kohls Versprechen der »blühenden Land- schaften« und das Versprechen, das kapitalistische Und zweitens? System werde die Lage im Osten ganz schnell ver- Zweitens identifizieren sich Ost- und Westdeut- bessern, haben sich negativ ausgewirkt. Wenn die sche immer noch mehr mit ihrer Region und we- Hoffnung jedoch idealisiert wird und das Ideal der niger mit ihrer Nation. Auch in der gegenseitigen Realität davonläuft, dann setzt Frustration ein. Wahrnehmung zwischen Ost und West gibt es im- mer noch deutliche Unterschiede. Psychologisch Was wünscht sich der Rest zurück, der sagt, vor ist das ganz verständlich: Schließlich haben wir 40 der Wende war es besser? Jahre lang in zwei verschiedenen Kulturen gelebt, Die Leute vergessen oder verklären Geschichte so das wirkt bis heute nach. leicht, die massive Kontrolle, Reglementierung, die Stasi. Sehr viele Menschen sagen auch, dass ihnen Sie selbst haben in Ost- und Westdeutschland ge- der gesellschaftliche Wandel zu schnell geht und lebt. Was ist schlimmer: Wenn ich Sie Ossi oder fühlen sich desorientiert. Das ist ein klassisches Wessi nenne? Einfallstor für Populisten. Wessi ist nicht so schlimm wie Ossi. Aber beides kann nett gemeint sein, solange man auf gleicher Mehr als 60 Prozent der Ostdeutschen klagen über Augenhöhe ist. Aber unsere Daten zeigen, dass wir mangelnde Anerkennung der Westdeutschen. 6. Februar 2006 das nicht sind: 64 Prozent der Ostdeutschen em­ Da ist ein großes Bedürfnis, die Leistungen und D er Bu n d est ag b e- pfinden sich als Bürger zweiter Klasse. Opfer für die Einheit mehr gewürdigt zu sehen. sc h lie ßt, d a ss d er Palast der Republik Das ist ein Zwei-Klassen-System: Die einen sind abgerissen wird. Es wurde doch viel in den Osten investiert, der oben und die anderen stehen etwas darunter, und Au f d e m Gr u n d stück Lebensstandard dort ist stark gestiegen. Woher das sind die Ostdeutschen. des ehemaligen DDR-Prestigebaus soll rührt dieses Minderwertigkeitsgefühl? d a s B erli n er St adt- In Ostdeutschland sind immer noch viele Men- Gibt es denn Themen, wo wir einig sind? schloss wieder schen arbeitslos. Sie haben Angst, am Rand der Ge- Gerade aktuell in der Sorge um die Zukunft: In der aufgebaut werden. sellschaft zu stehen und nicht teilhaben zu können. wirtschaftlichen Krise rücken Ost und West ganz Dabei war das Benachteiligungsgefühl anfangs gar nah zusammen. nicht so stark ausgeprägt. Aber noch heute gilt der 2006 Osten als Entwicklungsland. Es gibt den »Aufbau Ist die Krise also eine Chance für eine gesellschaft- Ost«, den Solidaritätszuschlag – wir haben also liche Einheit? einen Teil Deutschlands, der besonderer Hilfe be- Vielleicht kann es den Effekt haben, wenn wir ähn- darf. Und wenn man dort lebt, fühlt man sich eben liche Probleme gemeinsam bewältigen. Doch was wie ein Hartz-IV-Empfänger. passiert, wenn Eisenach gefördert wird und Bochum

12 — f l u t e r Das Freizeitbad Tropical Islands ist in der ehemaligen Cargo- Anschließend baute ein Konzern aus Malaysia eine Art Indoor- Lifter-Halle in Brandenburg untergebracht, der mit 360 Meter Dschungel mit Strand und riesiger Wasserrutsche. Probleme Länge und 107 Meter Höhe größten freitragenden Halle der bestehen in dem enormen Energieverbrauch und in der Wirt- Welt. Bei Cargo-Lifter sollten Transport-Zeppeline hergestellt schaftlichkeit: Noch finden zu wenige Besucher den Weg in die werden, das Land schoss Millionen Euro zu. Doch nur wenig Lausitz, 35 Kilometer südlich von Berlin. später ging das Unternehmen pleite.

Thema: DDR — 11 der Noch- bzw. Ex-DDR im selben Zeitraum um fünfzehn bis und Roland Ernst für eine Mark. Im Nachhinein stellte sich zwanzig Prozent schrumpfte. heraus, dass allein der Substanzwert des Betriebes um die 170 Eine nach außen abgeschottete, technologisch veraltete und Millionen Mark wert gewesen war. Ebenfalls eine Mark zahlten über weite Strecken unproduktive sozialistische Planwirtschaft indische Investoren für die Textilbetriebe Thüringische Faser war von einem Moment zum nächsten dem freien Markt und und Sächsische Kunstseiden GmbH. Nachdem die versproche- einem Zusammenprall mit der leistungsfähigsten Volkswirt- nen Investitionen ausblieben, mussten die Firmen 1993 Konkurs schaft Europas ausgesetzt worden. Als die Treuhand sich an- anmelden. Bei derartigen »Geschäften« nimmt es nicht Wunder, schickte, die ostdeutsche Wirtschaft zu »privatisieren« blieb ihr dass ein Mitglied des Treuhand-Vorstandes bitter bemerkte, in vielen Bereichen oft wenig mehr, als die Trümmer der Kollision man habe oftmals nicht Betriebe ver-, sondern Investoren ge- aufzusammeln, die postsozialistische Konkursmasse schnellst- kauft. Eine Privatisierung, bei der der Verkäufer den Markt zu- möglich abzustoßen. nächst durch ein riesiges Überangebot verzerrt und sich zudem Die große Schnelligkeit, mit der die Treuhand sich ihrer noch selbst unter immensen Zeitdruck setzt, hat tatsächlich mit Aufgabe entledigte und der Zeitdruck, unter den sie sich dabei Marktwirtschaft nicht viel zu tun. Leitende Treuhand-Mitarbei- selbst setzte, ist vielleicht das bemerkenswerteste Merkmal ihres ter erhielten gar Prämien für schnelle Privatisierungen. Poten­ Wirkens. Wo es an Zeit fehlte, stand der Anstalt immerhin eine tielle »Investoren« hätten in keiner besseren Verhandlungsposi- andere Ressource in ausreichender Menge zur Verfügung: Geld. tion sein können. Womit denn auch nicht gespart wurde. Beträchtliche Summen wurden an im Osten tätige westdeutsche Liquidatoren, Unter- Leistungsfähige Industrie- und nehmensberater, Wirtschaftsprüfer und Notare gezahlt. Juris­ tische Berater kassierten Stundensätze von bis zu 600 DM, Un- Wachstumskerne enstehen ternehmensberatungen wie Roland Berger, BCG, Kienbaum und Price Waterhouse erhielten für jede Außenstelle im »wilden« Eine Studie ermittelte, dass sich Ende 1994 von 1.247 Unter- Osten bis zu 250.000 DM monatlich. Findige »Consultants« nehmen mit mehr als 100 Beschäftigten im Osten 62,7 Pro- stellten für ihre Dienste 2.000 bis 4.000 DM pro Tag in Rech- zent in Westbesitz befanden. Der Anteil stieg mit der Größe der nung, bis die Treuhand nach Protesten des Bundesrechungs­ Betriebe. Die meisten dieser Betriebe wurden als »verlängerte hofes und interner Prüfung den Höchstsatz auf 2.000 DM Werkbänke« westdeutscher Konzerne klassifiziert. Forschungs- begrenzte. Auch Politprominenz engagierte sich im Osten. Klaus und Entwicklungsabteilungen gab es in ihnen nicht mehr, sie von Dohnanyi (SPD), Exbürgermeister von Hamburg, beriet die dienten im Wesentlichen der kurzfristigen Kapazitätsauswei- Treuhand für einen hohen Tagessatz. Für Liquidatoren erwies tung und der Fertigung von Einzelkomponenten für den Mut- sich das Betriebssterben im Osten als wahrer Segen, Millionen- terkonzern. In nur 280 Privatunternehmen in den neuen Bun- beträge als Honorare waren keine Seltenheit. desländern gab es noch mehr als 500 Beschäftigte. Zwischen 1989 und 1997 ging die Zahl der Arbeitsplätze im produzieren- den Gewerbe von 4,3 Millionen auf 1,9 Millionen zurück. Bis Die Berater aus dem heute hat der Osten diese Strukturimplosion nicht verwunden. Westen bekamen schöne Hohe Arbeitslosigkeit, Massenabwanderung junger und quali- fizierter Arbeitskräfte und Überalterung der zurückbleibenden Ostzulagen Bevölkerung prägen bis heute das Bild in weiten Teilen der neu- en Bundesländer. Die mit Abstand größten volkswirtschaftlichen Kosten ergaben Dennoch hat es seit dem Ende des Wirkens der Treuhand- sich jedoch aus den sozialen Folgen der marktwirtschaftlichen anstalt auch positive Entwicklungen gegeben – nicht zuletzt Rosskur und aus den ökologischen und sonstigen »Altlasten« aufgrund milliardenschwerer Transferleistungen von West nach der DDR-Betriebe, die plötzlich nach westdeutschen Maßstä- Ost im Rahmen des Solidarpaktes. Neben den immer wieder ben gemessen wurden. gern als Indikatoren eines Aufschwungs bemühten Erfolgen So wurden potenziell lukrative Privatisierungen zum Verlust- beim Ausbau der Infrastruktur und der Erneuerung von Städten geschäft für die Treuhand. Beim Verkauf der ostdeutschen und Gemeinden, haben sich besonders in Sachsen und Thü- Braunkohlewirtschaft übernahm die Treuhand die Kosten für ringen leistungsfähige Industrie- und Wachstumskerne heraus­ 95.000 Entlassungen ebenso wie für die Beseitigung sämtlicher gebildet. Die Arbeitslosenquote im Osten lag zwar im Novem- ökologischer Altlasten – Rekultivierung durchwühlter Mond- ber 2008 mit 11,8 Prozent noch immer doppelt so hoch wie landschaften, Müll- und Abraumbeseitigung und vieles mehr. im Westen, stand aber auf dem niedrigsten Niveau seit 1991. Bei der Veräußerung der ostdeutschen Vereinigten Energiewerke Abgesehen von den Auswirkungen der aktuellen Krise, die nie- (VEAG) (Jahresumsatz 1991: 6 Milliarden Mark) an Preussen- mand vorhersehen kann, ist eine generelle Angleichung der Elektra, RWE, die Bayernwerk AG und die EBH zahlte die Lebensverhältnisse in Ost und West jedoch noch lange nicht in Treuhand trotz des Kaufpreises von mehreren Milliarden Mark Sicht. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Osten lag im Jahr am Ende noch drauf. Die Bundesanstalt für vereinigungs­ 2007 bei etwa 70 Prozent des Westniveaus, und auch die negati- bedingte Sonderaufgaben (BvS), die 1995 die noch verbliebenen ve Bevölkerungsentwicklung stimmt noch immer nachdenklich. Treuhand-Firmen übernahm, stellte bei 2.700 Verträgen aus der Eine Prognose geht davon aus, dass einige der neuen Länder Frühphase der Privatisierung zum Teil grobe Unregelmäßigkei- bis 2030 mehr als ein Viertel ihrer ohnehin seit Wendezeiten ten fest. Schlagzeilen machten dabei nur die wirklich großen merklich geschrumpften Bevölkerung verlieren könnten. Ob ein Skandale, wie zum Beispiel der Verkauf der Geräte- und Regler- wirklicher Aufschwung Ost bis dahin zu einer Kehrtwende ge- Werke Teltow an die westdeutschen Investoren Claus Wisser führt haben wird, bleibt fraglich. •

10 — f l u t e r Ziemlich kleine Welt und warm noch dazu: In Tropical Islands kann man Schildkröten in einem Mangrovensumpf beobachten oder in der Südsee am Strand liegen. Das ganze Jahr hat es 26 Grad. Sollte es zumindest haben

Thema: DDR — 9 ie viel Staat braucht die Wirtschaft? Diese Frage hat vorwirft. Zudem sei die Mehrzahl der Treuhandunternehmen in der gegenwärtigen Krise Hochkonjunktur. Soll mit etwa vier Millionen Beschäftigten, die sich 1990 im Besitz W der Staat angeschlagene Unternehmen durch Kapi- der Treuhand befanden, unter marktwirtschaftlichen Bedingun- talspritzen und Kreditbürgschaften oder gar direkte Beteiligun- gen nicht überlebensfähig gewesen. Umso verwunderlicher ist gen retten? Kann der Staat es zulassen, dass – wie im Fall Opel es, dass man sich angesichts dieser Diagnose dennoch dazu ent- – eine ganze Region durch die mögliche Pleite eines Großun- schloss, den Markt zum Richter über Tod und Leben der ehe- ternehmens und den Verlust Zehntausender Arbeitsplätze ihres maligen VEBs zu machen. Privatisierung nach Treuhand-Rezept, wirtschaftlichen Rückgrats beraubt wird? Es scheint, als sei der das bedeutete die Betriebe schleunigst an private Investoren zu Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes nachhaltig er- verkaufen. Birgit Breuel, Nachfolgerin des 1991 von der Rote schüttert. Vor fast zwanzig Jahren, als die Bundesrepublik die Armee Fraktion (RAF) erschossenen Treuhandpräsidenten Roh- Volkswirtschaft der DDR erbte, war das anders. Man traute wedder, stellte die einfache Formel auf: »Schnelle Privatisierung dem Markt alles zu, denn der Kapitalismus hatte sich als das bedeutet schnelle Sanierung.« wirtschaftlich leistungsfähigere der beiden Systeme erwiesen. Die Treuhand erbte nicht nur eine nach westlichen Maß- So entschied man sich dafür, von der staatlichen Planwirtschaft stäben vielfach veraltete und unproduktive Ökonomie, sondern schnellstmöglich zur Marktwirtschaft überzugehen, indem man auch eine Volkswirtschaft, die durch die deutsch-deutsche Wäh- die ehemals »Volkseigenen Betriebe« (VEBs) im Eiltempo pri- rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 mit ei- vatisierte. Die Stilllegung oder das Eindampfen von Firmen, die nem Schlag ihrer Märkte beraubt worden war. Die Übernahme auf dem freien Markt nicht überlebensfähig waren, den Verlust der D-Mark durch die DDR machte ostdeutsche Produkte in von Millionen von Arbeitsplätzen und die Deindustrialisierung den Ostblockstaaten, wohin zwei Drittel der Exporte gingen, ganzer Landstriche nahm man damals in Kauf. Sie erschienen über Nacht unbezahlbar. Im Westen hatte die DDR ihre Pro- als eine harte, aber notwendige Schocktherapie, auf die in Kürze dukte oft nur aufgrund des für den Außenhandel geltenden, in- ein selbsttragender »Aufschwung Ost« folgen würde. offiziellen Umrechnungskurses von 4,40 DDR-Mark zu einer D-Mark verkaufen können. Auch dieser war nach der Wäh- Alles verkauft und trotzdem einen rungsunion hinfällig. Zugleich wurde der ostdeutsche Binnen- markt über Nacht mit Westprodukten überschwemmt. Es ent- Schuldenberg hinterlassen behrt nicht einer gewissen bitteren Ironie, dass die DDR-Bürger, deren Sparguthaben bis zu einer bestimmten Höhe (je nach Al- Im Erinnerungsbild vieler Ostdeutscher ist die Blitzprivatisie- ter 2.000, 4.000 oder 6.000 Mark) im Kurs 1:1 in D-Mark um- rung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhand-Anstalt, kurz getauscht worden waren, den Niedergang der DDR-Industrie Treuhand, von 1990 bis 1994 eher als »Abbau Ost« präsent. nach Kräften beschleunigten, indem sie mit dem neuen, »echten« Damals verkaufte die zeitweise größte Staatsholding der Welt in Geld all die Dinge kauften, die es in der DDR gar nicht oder weniger als fünf Jahren fast 14.000 Ostunternehmen an private nur in minderer Qualität gegeben hatte. Die politischen Visi- Investoren und schloss zahlreiche weitere Betriebe für immer. onäre, die im Osten die Wende gemanagt hatten, Bürgerrecht- Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft kostete nicht nur 80 ler, Künstler und Intellektuelle, konnten angesichts dieser Blitz- Prozent der Erwerbstätigen vorübergehend oder auf Dauer den metamorphose des befreiten Volkes zu Bilderbuchkonsumenten Arbeitsplatz. Sie war auch ein gigantisches Verlustgeschäft für nur die Köpfe schütteln. den deutschen Staat. Noch im Oktober 1990 hatte Treuhand- Chef Detlev Karsten Rohwedder den Wert der Treuhand-Betriebe Mit einem Schlag wurde die DDR recht hoch geschätzt: »Der ganze Salat ist 600 Milliarden wert«. Am Ende verdiente die Treuhand am Verkauf von Betrie- ihrer Märkte beraubt ben und Grundstücken gerade einmal 66,6 Milliarden Mark. Die Ausgaben überstiegen die Einnahmen jedoch bei Weitem. Die Währungsunion, die Bundeskanzler Helmut Kohl trotz der Die Kosten für den massiven Arbeitsplatzabbau in den Betrie- Bedenken der Bundesbank und anderer Kritiker hinsichtlich des ben und die Beseitigung ökologischer und sonstiger Altlasten, Zeitpunktes und des Umtauschkurses durchsetzte, war zwei- Kreditbürgschaften, Verlustausgleichszahlungen an die Investo- fellos eine Katastrophe für die ostdeutsche Industrie. Für den ren, Beraterhonorare und die Altschulden der Betriebe, all das Machterhalt des Kanzlers erwies sie sich jedoch als wesentlich. schlug bei der Treuhand zu Buche. Bei ihrer Selbstauf­lösung Das Versprechen, die D-Mark einzuführen und auf eine baldige Ende 1994 hinterließ sie einen Schuldenberg von rund 250 Mil- Wiedervereinigung hinzuarbeiten, sicherte den DDR-Christ­ liarden Mark. demokraten den Sieg in den ersten und letzten freien Wahlen War die DDR-Wirtschaft nach 40 Jahren »real existieren- in der Geschichte der DDR im März 1990 und bereitete Kohls dem Sozialismus« tatsächlich keinen Pfifferling mehr wert, wie eigene Wiederwahl bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen im die Treuhändler behaupteten, oder ist das ostdeutsche Produktiv- Dezember 1990 vor. Nebenbei stoppte die Währungsunion vor- vermögen im Schlussverkauf DDR auf verantwortungslose Weise erst auch die Massenflucht von DDR-Bürgern in den Westen. verramscht worden, wie Treuhand-Kritiker meinen? Sicher ist, dass die Währungsunion vor allem eine gigan­ Die Frage, wie man eine zentralistische Planwirtschaft in tische Staatssubvention für die westdeutsche Wirtschaft war, die eine Marktwirtschaft transformiert, war bis zum Zusammen- ungestüm auf den neuen Markt drängte. Von Mitte 1990 bis bruch des Ostblocks niemals ernsthaft erörtert worden. Es gab 1997 wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von 1,4 Bil- weder Lehrbücher noch Präzedenzfälle. Dieses Argument füh- lionen DM von West nach Ost transferiert. Das westdeutsche ren die Treuhänder gern ins Feld, wenn man ihnen den Ausver- Bruttoinlandsprodukt stieg vor allem aufgrund der Nachfrage kauf der DDR-Wirtschaft und das Plattmachen ganzer Industrien im Osten bis 1991 um fünf bis sechs Prozent, während es in

8 — f l u t e r Text: RoHland Schuknecht, Fotos: Steffen Roth (Visum) Gesetz des Dschungels

Heute wird über staatliche Beteiligung an Unternehmen gesprochen – nach 1989 war es umgekehrt: Im Hauruckverfahren wurde die DDR-Wirtschaft abgewickelt Das hat bis heute Folgen

Auferstanden aus Ruinen: Vor ein paar Jahren ging in dieser Halle ein Zeppelin- Hersteller pleite – heute befindet sich darin das Spaßbad Tropical Islands

Thema: DDR — 7 gelassen von allen. Die Landespolitiker kämen nur noch vorbei, wenn Wahlkampf ist. Sie meiden Mestlin, weil es hier ohne großen Einsatz nichts

2007 zu gewinnen gibt. Das Dorf hat eine ansteckende Krankheit namens Erfolglosigkeit. In der für viel Geld sanierten Kita, in der es früher über Hundert Kinder gab, sind nur noch 18 untergebracht. Mo- mentan überlegen die Mestliner, ob es überhaupt noch Sinn macht, weiterhin eine Grundschule zu betreiben. 9. November 2007 Dass Mestlin tot ist, oder zumindest stirbt, sa- Der Deutsche Bundestag gen sie einem hier an jeder Ecke. Und auch, dass st i m m t f ü r ei n Einheitsdenkmal. man froh sein soll, im Winter da zu sein, weil man Was und wann gebaut sonst auch noch die kaputten Straßen sehen wür- wird, ist bis heute de. Ein paar Kinder haben sich hinter dem Marx- nicht klar. Engels-Platz ein kleines Iglu gebaut. »Was sollen wir denn hier noch machen?«, fragen sie.

Schlägereien wegen 49 Cent

Im Jugendzentrum von Mestlin liegen die Tisch- tennisschläger fein säuberlich aufgereiht neben der Platte. Der Fernseher und der DVD-Player sind aus. Es gibt einen aus Pappe gebastelten Kummer- kasten, in dem kein einziger Zettel steckt. Seit ver- »Ich habe grade noch den Kleingärtnerverein gerettet«: gangenem Sommer sind die Räume geschlossen. Bürgermeister Uwe Schultze würde sich wünschen, dass auch ein Das Arbeitsamt genehmigt keinen Ein-Euro-Job Landespolitiker mal in Mestlin vorbeikäme für die Betreuung der Jugendlichen mehr. Es gibt noch die freiwillige Feuerwehr und den Fußball- Der Familie Lorenz geht es verhältnismäßig gut. verein. Doch weil sie so wenige sind, bekommen Sie trat nach der Wende aus der LPG aus. Stefan sie keine Mannschaft mehr für die Jugendlichen Lorenz, der 16-jährige Enkel von Bauer Lorenz, zusammen. wird den Betrieb bald übernehmen und 600 Hek­tar Eine Art Ersatzjugendzentrum sind Parkplätze

2007 bewirtschaften. Er sagt, in seiner Schulklasse seien oder das Bushäuschen, das in Mecklenburg-Vor- nur die Jungen geblieben. Von den Mädchen sind pommern liebevoll »die Busse« genannt wird. Ein schon zehn von zwölf woanders hingezogen. Die nach Schnaps riechender Achtzehnjähriger grüßt Kinder einer Mestliner-Generation, in der fast alle vorbeifahrende Autos und Radfahrer mit Hitler- auf der LPG gearbeitet haben, wandern nach Ham- gruß und murmelt »Heil«. Obwohl, wie er sagt, burg oder Schwerin ab, wo sie Lehrstellen finden das alles nur ein Spaß und er gar nicht so rich- und Arbeit. tig rechts sei. Er erzählt von Hansa Rostock, von »Ich geh nicht weg. Brauch ich nicht. Was soll Schlägereien, bei denen sich zwei wegen einer 49 ich da?«, sagt Felix Lappe, ein sechzehn Jahre alter Cent teuren Bierflasche den Schädel einhauen, von 22. Juli 2007 Lehrling auf der LPG. Er wird bleiben, selbst wenn seinem Plan, nicht mehr ins Gefängnis zu gehen Der ostdeutsche Mestlin irgendwann eine Geisterstadt ist. Schon als und seinen Schulabschluss zu machen. Sein großer Schauspieler Ulrich Mühe (»Das Leben der Kind ging er am liebsten auf den Hof und schaute Traum: abhauen und das Leben auf die Reihe Anderen«) stirbt an den Arbeitern zu, wie sie auf die Felder fuhren und kriegen. Krebs. Vor seinem Tod die Kälber tränkten. Jetzt macht er das, was ihm Egal wen man fragt in Mestlin, sie alle hän- hatte er sich mit seiner Exfrau Jenny am meisten Spaß macht. In seinem grünen LPG- gen an den alten Tagen – als sie trotz fehlender Gröllmann darüber Overall mistet er mit einem Radlader den Stall aus, Technik die Felder für die LPG bestellten, als sie g est ritte n, o b sie dann holt er mit einem alten DDR-Traktor frisches alle zusammenhielten und im Kulturhaus feierten. ihn an die Stasi verraten hatte. 2008 Heu für die Tiere. Die Jugendlichen sagen, sie interssieren sich nicht erklärte ein Gericht Der Ort ist so stark verschuldet, dass sie nicht für die Vergangenheit, sondern für die Gegenwart. diese Behauptung einmal einen kleinen Eigenanteil zahlen könnten, Aber natürlich sei es besser gewesen in der DDR. für unzulässig. wenn doch irgendjemand Geld für die Sanierung So erzählen es ihnen ihre Eltern jedenfalls. Soll des Kulturhauses bereitstellen würde. Vor ein paar doch mal einer nach Mestlin kommen und ihnen Jahren wurde Mestlin auch noch der Status als beweisen, dass es anders gewesen ist. • ländlicher Zentralort aberkannt, was nicht nur we- niger Prestige, sondern auch weniger Geld bedeutet Wie Mestlin einst zum Musterdorf der DDR hat. Der Bürgermeister sagt, er fühle sich im Stich wurde, lest ihr auf Seite 18

6 — f l u t e r er heute nach Mestlin fährt, kann die ihr Kulturhaus wiederzubekommen. Es ist nur eine DDR eigentlich gar nicht übersehen. Je- von vielen Sachen, die nach der Wiedervereinigung der Acker, jedes Haus, jede Tür atmet schiefliefen in Mestlin. Doch sie tut ihnen am meis- W 2009 Vergangenheit. Filmteams kommen gerne her, weil ten weh. Das Problem mit dem Haus ist, dass es zu man hier Geschichten über das sozialistische groß ist, um es zu übersehen oder zu vergessen. Deutschland drehen kann und nicht einmal Kulis- sen dafür braucht. Die Straßen sind nach alten Die Utopie ist kaum noch Kommunisten und Revolutionären benannt, auf dem Marx-Engels-Platz erhebt sich, eingerahmt zu erkennen von einem braun-gräulichen Gebäudeensemble, das alte Kulturhaus – ein wuchtiger Klotz, dessen Aus den Pulten, in denen früher die Musiktechnik Fassade Risse hat und sich schält. untergebracht war, ragen noch immer ein paar Ka- bel. Kaputtes Glas liegt auf dem Boden. »Guck mal hier, ha ha«, knurrt Michael-Günther Bölsche, der Lokaljournalist, der früher einmal im Kulturhaus 24. Januar 2009 arbeitete. An der Wand eines kleinen Raumes im Ein Architekt entdeckt eine seit über 20 ersten Stock lehnt ein verstaubter Bilderrahmen mit Jahren unberührte einem Poster darin: »Der Weg ins neue Leben – 40 DDR-Wohnung in Jahre DDR«. In der Ecke steht ein zerschlissenes, L eipzig. D er Wa n d k a- lender in der Küche auf Holzplatten aufgebrachtes Modell des Dorfes. zeigt August 1988 und Nach der Wende haben sie Münchener Architekten feier t d e n ze h nte n viel Geld gezahlt, damit sie eine Zukunftsvision für Jahrestag des »Welt- raumflugs UdSSR-DDR Mestlin entwickeln. Die Utopie ist auf dem rampo- m it d e m erste n Kos m o- nierten Brett kaum noch zu kennen. Am Rand des nauten der DDR, Dorfes sollte es Golf- und Tennisplätze geben, auch Sigmund Jähn«. Wenig später ergeben Es werde Licht: Im Jugendzentrum gibt es leider keine Partys mehr ein halb überdachtes Schwimmbad war irgend- Recherchen, dass der wann einmal geplant. Inhaber der Wohnung in »Ich habe grade noch den Kleingärtnerverein ge- Es gibt kein Schwimmbad und keinen Golf- d e n W este n ü b er g esie- delt ist und dort bei rettet, die wollten sich auflösen«, sagt der partei­ platz – und Einwohner gibt es auch viel weniger als einem Verkehrsunfall lose Bürgermeister Uwe Schultze und gießt ein paar früher: Etwa ein Viertel der Häuer steht leer. Mitt- u m s L e b e n k a m. Tassen Filterkaffee ein. Neben ihm liegt ein Fax lerweile leben nur noch 823 Menschen in Mestlin, mit Angeboten einer Künstleragentur. »Lieder vom viele von ihnen sind arbeitslos. Von den einigen Wolga-Strand: Russische Weisen und Volkslieder Hundert Arbeitern auf der LPG sind nur noch 16 mit Ronny Weiland und SABAWA. Preis: 2.000« übrig. Nach der Wende wurden alle unprofitablen steht zum Beispiel darauf. »Wäre schon fein«, sagt Betriebszweige eingestellt und neue, moderne Ma- Uwe Schultze, »aber das könnten wir uns alles schinen wie ein Melkkarussell angeschafft, die die nicht leisten.« Arbeit von zehn Arbeitern übernahmen. Dennoch Das Kulturhaus, das früher der Stolz des Dor- fes war, würden viele von ihnen jetzt am liebsten verstecken oder abreißen, aber das dürfen sie nicht, weil es unter Denkmalschutz steht. Es ist stark sanierungsbedürftig und hat nur noch sporadisch geöffnet. Der große Theaterraum, in dem früher auch Parteiversammlungen stattfanden, wird nicht mehr genutzt. Wenn sie hier irgendwas besprechen Sommer 2008 wollen, gehen sie lieber in die Garderobe, weil sie In Berlin Lichtenberg eröffnet unweit der die richtige Größe dafür hat. ehemaligen Stasi-Zent- Nach der Wende vermietete die damalige Ge- ra le i n d er Nor m a n n e n- meindevertretung das Kulturhaus an einen Ham- st ra ß e d ie Erle b n is- kneipe »zur Firma«. burger Diskothekenbetreiber, der es in »Joy Disco Die Dekoration besteht Palace Mestlin« umbenannte. Der Hamburger »Ich geh nicht weg. Brauch ich nicht«: Felix Lappe ist Lehrling aus FDJ-Hemden, strich die Wände innen schwarz, er verstreute Sand in der LPG Kameraattrappen und Verhörtischen. Das für simuliertes Strandgefühl auf dem Parkett und Motto der Betreiber: versprach den Mestlinern eine Mark pro Besucher. lassen sie im Dorf nichts auf ihre LPG kommen. Sie »Kommen Sie zu uns, Obwohl die Disco gut lief, kam kaum etwas bei ih- sind stolz, dass es sie noch gibt und dass sie nach o d er w ir ko m m e n z u Ihnen.« nen an. Als der Spaßpalast 1996 schloss, war das der Wende nicht auf die westlichen Berater gehört Gebäude völlig verwahrlost. Das Parkett war auf- haben, die ihnen rieten, den Betrieb ganz einzustel- gequollen, die Heizungen geplatzt, das Inventar, len. Die wenigen, die noch bei der LPG arbeiten,

zu dem auch zwei Filmprojektoren gehörten, ge- sind nicht reich, aber sie sind konkurrenzfähig. 2008 plündert. Sie mussten erst vor Gericht gehen, um Und das ist es doch, was im Kapitalismus zählt.

Thema: DDR — 5 text: Fabian Dietrich Leere Orte Ein Hamburger macht eine Disko auf, dem Bürgermeister fehlt das Geld, die Jugend­lichen ziehen nach Schwerin.

Die Geschichte des mecklenburgischen Dorfes Mestlin Teil 2

Wie ein alter Maya-Tempel: Das Kulturhaus, in dem einst gefeiert wurde, verfällt zunehmend

4 — f l u t e r Editorial Inhalt

Leere Orte ...... Seite 4 Die Geschichte des mecklenburgischen Dorfes Mestlin, Teil 2: Erst macht ein Hamburger im Kulturhaus eine Disko auf, dann ist die Party endgültig vorbei. Nur Felix hat gute Laune

Gesetz des Dschungels ...... Seite 7 Bei der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft ging es drunter und drüber. Wie es aussieht, hat sie vor allem den Konzernen im Westen und deren Beratern genutzt Dazu: Willkommen in Tropical Islands. Im größten Hallen-Dschungel der Welt blüht alles, nur die Bilanz noch nicht. Eine Foto-Safari Zeitleiste In dieser Spalte findest du wichtige »Wir leben in friedlicher Koexistenz« . . . Seite 12 D ate n n ac h d e m Ich mag dich nicht, du magst mich nicht: Der M au erfa ll bis h eute Sozialwissenschaftler Andreas Zick über den Die DDR geht weiter. Auch fast 20 Jahre nach dem neuesten Stand der Liebe zwischen Ost und West Ende ist das Land als Ort gelebten Lebens für Mil- lionen Menschen ebenso präsent, wie als Vergleich Der Schiesser-Befehl ...... Seite 14 zur Gegenwart, als Prägung der eigenen Einstellun- Meine erste Bruno Banani: Tief in Sachsen werden gen und als Projektionsfläche inO st und West. Das Unterhosen für die Welt produziert vereinigte Deutschland ist in vielem ein Land mit zwei Gesellschaften, der Weg zur »Vollendung der Fidschi ist ein schönes Land ...... Seite 18 Einheit« ist weiter als gedacht. Viele Vietnamesen kamen als Gäste in ein Land, das plötzlich nicht mehr da war. Aber was war Das hat zum einen damit zu tun, dass die DDR dieser neue Staat? Und wo war ihr Platz darin? noch keine vollendete Vergangenheit sein kann. Geschichte eines Missverständnisses Staatliche Institutionen, Stiftungen und bürger- schaftliche Initiativen wie die an der »Runden Zeiten des Aufruhrs ...... Seite 21 Ecke« in Leipzig kämpfen um ein adäquates Erin- Nach der friedlichen Revolution lief die Akten­ nern, um Aufarbeitung des historischen Materials. vernichtung auf Hochtouren, um die Untaten der Viele Geschichten sind noch nicht erzählt und ver- Stasi zu vertuschen. In Leipzig kämpften viele dienten es doch. Zum Beispiel die der Einwanderer Bürger wider das Vergessen – bis heute mit Erfolg aus den »Bruderländern« wie Vietnam, die ebenso um eine neue Existenz ringen wie die Einheimi- Kleine Chronik des Mauerfalls . . . . Seite 26 –27 schen, die erst lernen mussten, sie wirklich als Ein Schaubild gleichberechtigte Mitbürger anzuerkennen.

Es ist auch die Erfahrung der Transformationen Das Foto auf dem Cover stammt übrigens von Jens Rötzsch nach der friedlichen Revolution, die die Gebiete der ehemaligen DDR zu etwas Besonderem macht. Die unter enormem Zeitdruck realisierte Privatisie- rung der Staatswirtschaft der DDR aus einem ab- geschotteten Markt des Ostblocks hinein in eine sich gleichzeitig radikal globalisierende Weltwirt- schaft zeigt sich als Schocktherapie. Dabei ist der Schock ebenso nachhaltig, wie die Therapie lang- wierig bleibt. Mit offenem Ausgang. Auch und ge- rade jetzt, da sich der Kapitalismus eine seiner gro- ßen Krisen nimmt. Aber krisenerprobt ist man in der DDR ja gewesen. Das steht auf der anderen Seite des Heftes – bitte wenden.

Thorsten Schilling

Thema: DDR — 3 Was nicht in Alle bpb-Produkte unter www.bpb.de diesem Heft steht, steht woanders Und zwar hier: Sachbücher, Romane, Broschüren, Filme & Links zum Thema

Alexander von Plato: Christoph Dieckmann: Online: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Rückwärts immer. Deutsches Erinnern Machtspiel Christoph Dieckmann, Jahrgang 1956, Autor der Schock ohne Therapie Die Vereinigung Deutschlands bewegte nicht nur die Wochenzeitung »Die Zeit«, beschreibt in 16 Überblick über unterschiedliche Transformations- Deutschen. Sie war auch ein politisches Weltereignis Kapiteln gelebte DDR-Vergangenheit in Form konzepte für die DDR-Wirtschaft mit weitreichenden Folgen für die EU, die NATO, von Erzählungen und kurzweiligen Reportagen. http://www.bpb.de/themen/MX169S Russland und die USA. bpb Bestell-Nr. 1.500; 4,00 € bpb Bestell-Nr. 1.381, kostenlos Rettung industrieller Kerne Clemens Meyer: Bald nach der Wiedervereinigung erreichte die Jon Elster: Als wir träumten Deindustrialisierung im Osten ein nie erwartetes Die Akten schließen. Nach dem Ende von Von Skinheads, Boxkämpfen und Besäufnissen: Die Ausmaß Diktaturen Geschichte der wilden Nachwendejahre in Leipzig http://www.bpb.de/themen/051LZI Impulsive Akte der Zerstörung begleiten oft die Verlag Fischer, 528 Seiten, 9,95 € Befreiung eines Volkes von Diktatur. Jon Elster Momentaufnahmen 1989/1990 analysiert in diesem Band prominente historische Thomas Hettche: Ständig wachsende Sammlung von privaten Filmen und aktuelle Beispiele der Aufarbeitung staatlicher Nox und Bildern aus der Wendezeit Gewalt. Ausgerechnet in der Nacht des Mauerfalls begeht ein http://www.wir-waren-so-frei.de/ bpb Bestell-Nr. 1.520; 2,00 € junges Mädchen einen Mord. List Verlag, 137 Seiten, 6,95 € Martin Sabrow u.a. (Hrsg.): Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Thomas Brussig: Dokumentation einer Debatte Helden wie wir Opfer und Protagonisten streiten um den zukünftigen Die groteske Geschichte eines größenwahnsinnigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Das Buch fasst Stasi-Mannes, der in die Einheit stolpert. die Debatte um die Schaffung eines Geschichtsver- Fischer Verlag, 336 Seiten, 8,95 € bundes »Aufarbeitung der SED-Diktatur« zusammen. bpb Bestell-Nr. 1.619; 4,00 € Heiner Müller: Germania Tod in Berlin Der berühmte DDR-Dramatiker Heiner Müller collagiert die Deutsche Geschichte zu einer großartigen Satire. Klett, 111 Seiten, 5,80 €

Impressum fluter – Magazin der Lektorat: Barbara Doering Abonnement & Leserservice: Papier Seite 17–18: Michael-Günther Seite 18–19: Jörg Bundeszentrale Societäts-Verlag Dieses Magazin wurde auf Bölsche (3) Brüggemann, picturealliance/ für politische Bildung, Redaktionsanschrift / Vertrieb »fluter« umweltfreundlichem, chlorfrei Seite 17 (Zeitleiste): Thomas dpa (2, Zeitleiste) Ausgabe 29, Winter 2008 Leserbriefe: 60268 Frankfurt am Main gebleichtem Papier gedruckt. Sandberg/Ostkreuz (oben), dpa Seite 20: privat, picturealliance/ Herausgegeben von der fluter Tel. 069 / 75 01-48 27 Seite 18 (Zeitleiste): dpa (2, Zeitleiste) Bundes­zentrale für politische Magazin der Bundeszentrale Fax 069 / 75 01-45 02 Bildnachweise: picturealliance/dpa (2) Seite 21–22: Maurice Weiss/ Bildung (bpb) für politische Bildung fluter fsd.de Seite 19–21: privat Ostkreuz Adenauerallee 86 Max-Beer-Str. 33 Vor dem Mauerfall Seite 22–23: picturealliance/ Seite 24: Jens Rötzsch/ 53113 Bonn 10119 Berlin Vertriebsleitung: Titel: Jens Rötzsch/Ostkreuz dpa (3) Ostkreuz Tel. 02 28 / 9 95 15-0 Tel. 030 / 24 72-38 13 Klaus Hofmann Seite 3: Matthew Black/flickr Seite 24: privat/Zentrum für Seite 25: picturealliance/dpa (2, Fax 030 / 24 72-38 12 Societäts-Verlag creative commons Zeithistorische Forschung e.V. Zeitleiste) Redaktion: Thorsten Schilling post fluter.de Frankenallee 71–81 Seite 4: picturealliance/dpa (2, (6), picturealliance/dpa (3, (verantwortlich), Bundeszentrale 60327 Frankfurt am Main Zeitleiste) Zeitleiste) für politische Bildung (schilling Redaktionelle Umsetzung: Tel. 069 / 75 01-48 07 Seite 5: Jens Rötzsch/Ostkreuz Seite 25 (Zeitleiste): dpa (2) bpb.de), Fabian Dietrich (CvD), Dummy Media GbR Fax 069 / 75 01-45 02 (4) Oliver Gehrs (redaktionelle Max-Beer-Str. 33 zeitschriftenvertrieb fsd.de Seite 6: Werner Mahler/ Centerfold Koordination) 10119 Berlin Ostkreuz (oben), Harald picturealliance/dpa (20), ISSN 1611-1567 Kostenloses Abo bestellen, Hauswald/Ostkreuz (Mitte/ Ostkreuz (6), privat Bildredaktion: Tobias Kruse, Bundeszentrale für verlängern & abbestellen: unten) Jörg Brüggemann politische Bildung www.fluter.de/abo Seite 7–8: picturealliance/dpa Nach dem Mauerfall info bpb.de abo heft.fluter.de (4, Zeitleiste) Titel: Jens Rötzsch/Ostkreuz Gestaltung: Neue Gestaltung www.bpb.de Seite 9 : Harald Hauswald/ Seite 3: Jens Rötzsch/Ostkreuz GmbH (Peter Stenkhoff, Anna Nachbestellungen: Ostkreuz, dpa (Zeitleiste) Seite 4–6: Willam Minke (4) Bühler, Carsten Giese) Druck: IBRo Seite 11–15: Harald Hauswald/ Seite 5–6 (Zeitleiste): Societäts-Druck Kastanienweg 1 Ostkreuz (6) picturealliance/dpa (3) Mitarbeit: Andreas Braun, Felix Westdeutsche Verlags- u. 18184 Roggentin Seite 12 (Zeitleiste): Seite 7 – 11: Steffen Roth/ Denk, Patricia Dudeck, Oliver Druckerei Gesellschaft mbH Fax: 03 82 04 / 66-273 picturealliance/dpa (2) u. Visum (6) Geyer, Kai Schächtele, Rohland Kurhessenstraße 4–6 bpb ibro.de Harald Hauswald/Ostkreuz Seite 12–13 (Zeitleiste): Schuknecht, Ole Schulz 64546 Mörfelden-Walldorf (Mitte) picturealliance/dpa (4) Tel. 069 / 75 01-56 01 Nachbestellungen von fluter Seite 14–15 (Zeitleiste): Seite 14: picturealliance/dpa (8) Schlussredaktion: Kathrin Fax 069 / 75 01-56 02 werden ab 1 kg bis 15 kg mit picturealliance/dpa (4) Seite 15–16: picturealliance/ Lilienthal akzidenz fsd.de 4,60 Euro kostenpflichtig. Seite 16: privat dpa (4, Zeitleiste)

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