www.apb-tutzing.de | ISSN 1864-5488 | Ausgabe 04-2017

AKADEMIE-REPORT

AKADEMIE FÜR POLITISCHE BILDUNG TUTZING

JAHRE 1957 – 2017

Schwerpunktthema: Analyse der Bundestagswahl Schwierige Farbenspiele ab Seite 3

Vision Europa 2030 Hörbar glaubwürdig Denken am See Trotz Erfolgsgeschichte sieht Die zentrale Frage bei den Tut- Wie sollen Aus- und Weiterbil- sich die europäische Idee zinger Radiotagen: Wie können dung an die durch Digitalisie- zunehmend Skepsis und Relevanz und Glaubwürdigkeit rung veränderte Arbeitswelt Gleichgültigkeit gegenüber. des Radios im digitalen Zeital- angepasst werden? Reichen Prominenter Gastredner: ter angesichts neuer Konkur- Reformen oder brauchen wir EU-Kommissar Oettinger. renten gesichert werden? eine Bildungsrevolution? ab Seite 11 Seite 18 Seite 23 INHALT

Blick über den See

Inhalt Die Bundestagswahl war lehr- reich: Es hat Konsequenzen, BUNDESTAGSWAHL wenn eine Demokratie sich zur 3 Tektonische Verschiebungen „Zweidritteldemokratie“ entwi- 4 Tops und Flops der Werbekampagnen ckelt und es den Volksparteien 5 Künstliche „Horse-Race“-Dynamik nicht mehr gelingt, die „einfa- gegen Langeweile chen Leute“ anzusprechen und 6 Verlierer unter sich vor allem mit ihnen zu sprechen. 7 Vom Niedergang der Volksparteien Dieser Teil der Wählerschaft ist 9 Politische Führung und davon überzeugt, dass „die da die Mühen der Ebene oben“ sich nicht für ihr Schick- EUROPA sal interessieren und Politik sich 11 Identität – Krise – Zukunft auf ihr Leben nicht auswirkt – zumindest nicht positiv. Der 12 Europa vor dem Neuanfang? Selbstausschluss dieses Drittels hätte uns vermutlich auch 14 Vision 2030 für Europa weiterhin nicht allzu sehr interessiert, wenn uns nicht die Bundestagswahl eine Lehre erteilt hätte: Ein Teil dieser Nicht- MEDIEN wähler lässt sich durchaus mobilisieren. 15 Rattenfänger und Seelenfischer im Netz 16 Spannende Einblicke Und sie lassen sich ausgerechnet durch ein Thema mobili- in die Zukunft des Journalismus sieren, das den kosmopolitisch eingestellten Mitgliedern der 18 13. Tutzinger Radiotage: Hörbar glaubwürdig Mittelschicht, und damit denjenigen, die von der Globalisie- rung profitieren, besonders ans Herz gewachsen ist – durch WIRTSCHAFT die Grenzfrage. Damit ist ausnahmsweise nicht die sogenann- 20 Zehn Jahre nach dem großen Crash te Obergrenze gemeint, sondern ein Konflikt, der inzwischen BILDUNG viele Gesellschaften erfasst hat: Nämlich die Auseinanderset- 23 Die Evolution des Bildungssystems zung darüber, wie offen die Grenzen der Nationalstaaten für KULTUR Güter, Kapital, Arbeitssuchende oder Flüchtlinge sein sollen 17 Bavarabica bei der Tutzinger Kulturnacht und auf wie viele nationale Kompetenzen man im Gegenzug 24 Am Rand der Gesellschaft für ein friedliches Miteinander in Europa und der Welt zu ver- zichten bereit ist. Eine von vielen Herausforderungen, vor die SOZIALPOLITIK dieser neue gesellschaftliche Konflikt nicht nur die Parteien 25 Migration und Integration als stellt, besteht darin, dass solche Identitätsfragen sich nicht Dauerbrenner der politischen Bildung allein durch sozialpolitische Wohltaten abfedern lassen. Und ETHIK auch noch so gut gemeinte Ausführungen über die Vorzüge 26 Der neue Tutzinger Diskurs im Doppelpack des europäischen Friedensprojektes werden bei denjenigen, INTERNATIONALE POLITIK die sich von den Parteien ökonomisch, diskursiv und kulturell 27 Vertrauensverlust in den im Stich gelassen fühlen, kaum ankommen. transatlantischen Beziehungen POLITIKWISSENSCHAFT Ob und wie es gelingt, diesen neuen Konflikt zu befrieden, 29 Zur Lage der Nation wird nicht nur das bundesdeutsche Parteiensystem prägen. Sachliche Analysen und kontroverse Debatten werden wichti- ZEITGESCHICHTE ger denn je. 30 Mörderische Zusammenarbeit 32 1917 – ein Epochenjahr der Weltgeschichte Mit herzlichen Grüßen AKADEMIE INTERN 14 Impressum Ihre 33 „Eingeschlagenen Kurs erfolgreich weiter verfolgen“ 33 Starnberger Landkreislauf 33 Wechsel im Vorstand des Förderkreises 34 Neuerscheinungen 35 Medienspiegel Prof. Dr. Ursula Münch 37 Termine Direktorin der Akademie für Politische Bildung 38 Personalverzeichnis 40 Namen – Nachrichten

© Titelfoto: weinstock / pixabay CCO

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© INFRATEST DIMAP

Tektonische Verschiebungen

Das für viele Beobachter sagte der Meinungsforscher. Der SPD habe es ange- sichts ihrer vierjährigen Mitregierung an Glaubwürdig- überraschende Ergebnis der keit gefehlt. Auch der offen zu Tage getretene Konflikt Bundestagswahl vom 24. September der Unionsparteien in der Zuwanderungspolitik habe zu Stimmenverlusten geführt. und seine Analyse bestimmten die schon traditionelle Nachwahl-Tagung Jamaika im Osten ohne Mehrheit zusammen mit der Deutschen Bei gestiegener Wahlbeteiligung (von 71,5 auf 76,2 Prozent) verloren beide Volksparteien zusammen 13,8 Vereinigung für Parlamentsfragen. Prozent und kamen damit gemeinsam auf den histori- schen Tiefstand von 53,4 Prozent. Ihr Absturz in Ost- VON EINER AMBIVALENTEN GRUNDSTIM- und Westdeutschland läuft parallel. In Ostdeutschland MUNG während des Wahlkampfes sprach Nico Sie- hat die mögliche zukünftige Jamaika-Koalition nicht gel von infratest dimap. Obwohl eine Mehrheit der Be- einmal eine Mehrheit. Siegel sieht im Niedergang der völkerung die wirtschaftliche Lage positiv einschätzt Volksparteien im europäischen Vergleich eine Normali- und das Thema Arbeitslosigkeit an Bedeutung ver- tät und warnte vor „Hyperdramatisierung“. Die Zukunft liert, haben es die Bun- der Alternative für Deutschland (AfD) sei unsicher. An- desregierung und die gesichts möglicher Spaltungstendenzen sieht der Ber- Koalitionsparteien nicht liner Wahlforscher die Gefahr einer „neuen Rechten“. geschafft, diese positive Stimmung in Stimmen Keine Wechselstimmung für sich umzusetzen. Ebenfalls eine Mehrheit Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie in Al- artikulierte gleichzeitig lensbach beobachtete seit Anfang 2016 eine „lauwar- Angst, Sorgen und Un- me Zuversicht“, die bis zum Wahltag konstant blieb. behagen angesichts der Immerhin 46 Prozent der Bevölkerung sahen hoff- Flüchtlingssituation: „Es nungsvoll in die Zukunft und das Flüchtlingsthema gab eine Abkopplung habe zunehmend an Bedeutung verloren. Eine aus- zwischen den Eliten geprägte Wechselstimmung konnte man aus den Al- Nico Siegel: „Der SPD fehlt es und dem Volk und einen an Glaubwürdigkeit.“ lensbacher Daten nicht herauslesen. Die Deutschen Nährboden für Protest“, © Meyer / Schröder (APB) wollten der Wahl 2017 nicht das Prädikat einer „Schick-

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salswahl“ umhängen. Jung vom Meinungsforschungsinstitut GMS. Und die Und obwohl die Zustim- SPD habe mit der sozialen Gerechtigkeit kein relevan- mungswerte der Bun- tes und interessantes, sondern ein Randgruppenthe- deskanzlerin seit Febru- ma getroffen. Die relativ große Gewissheit über den ar 2017 anstiegen und Wahlausgang („Merkel bleibt auf jeden Fall Kanzle- die Unzufriedenen im rin“) habe bei vielen Wählern die Neigung zu Ument- Lande weniger wurden, scheidungen erhöht. Auch die ungeklärte Führungs- kam es zu den großen frage in der Union bei der Flüchtlingsthematik habe Verlusten der Unions- viele ihrer Wähler zur AfD getrieben. parteien – in Bayern für Michael Schröder die CSU sogar minus Thomas Petersen beobachtete 10,5 Prozent (von 49,3 eine „lauwarme Zuversicht“. auf 38,8 Prozent). Die Gründe für dieses über- raschende Ergebnis sieht Petersen in einem „Anti-Eli- ten-Klima“, das die AfD für ihre Erfolge braucht und dem allgemeinen Verfall des Ansehens der Politiker. Außerdem habe das Flüchtlingsthema im August und September 2017 wieder rasant an Bedeutung gewon- nen: „Entgegen der tatsächlichen objektiven Lage. Es muss also an der Berichterstattung darüber und an den Journalisten liegen“, sagte Petersen.

„Die Wohlfühlkampagne der Bundesregierung und der CDU hat nicht getragen. Damit traf man nicht die reale Gefühlslage der Bevölkerung“, sagte Helmut © STUTTMANN

Tops und Flops der Werbekampagnen

MATTHIAS STORATH hat mit seiner Berliner Wer- Kurzbotschaften und zum Teil auch kleiner Schrift: „Die beagentur HEIMAT die Werbung für den Bundes- Leute mussten zum Lesen stehen bleiben und sie blie- tagswahlkampf der FDP konzipiert und ist dabei für ben auch stehen.“ So wurde denn auch Analoges für politische Kommunikation („ein Schafottgeschäft“) social media und online-Kanäle interessant gemacht. ganz neue Wege gegangen. Sein Problem: Die Par- Die gesamte Kampagne war auf den Spitzenkandida- tei war die letzten vier ten abgestellt. Dafür eignete sich auch der Wahlkampf Jahre nicht im Bundes- in Nordrhein-Westfalen als erfolgreicher Probelauf sehr tag vertreten und hat- gut. Am Ende stand der Wiedereinzug in den Bundes- te so keine bundeswei- tag mit 10,7 Prozent und 80 Abgeordneten. te Aufmerksamkeit und Kommunikationsplatt- Weniger erfolgreich verlief die CDU-Kampagne, die form. Seine Rezepte: von der Hamburger Agentur Jung von Matt entwor- „Die Kampagne wird ra- fen wurde. Christian Gast erläuterte, dass man auf dikal digital. Wir führen die Verschmelzung von Land, Partei und Kanzlerin ge- keinen Wahlkampf, son- setzt hatte. Ohne inhaltlich auf politische Details und dern eine Marke. Und Themen einzugehen („ohne Tiefe und Kanten“), soll- wir wollten Agilität statt te das Konzept das Bauchgefühl der Menschen an- Matthias Storath: „Politische ‚Jour fixe‘, die Todeszo- Kommunikation ist ein Schafott- sprechen: Uns geht es gut, bleiben wir dabei. Gast ne der Kommunikation.“ geschäft.“ gab zu, dass man mit der Konzentration auf die letz- ten sechs Wochen vor der Wahl offensichtlich einen Nach der Einsicht „ohne Plakate geht es nicht“ wur- Fehlstart hingelegt hatte: „Wir waren zu sehr end- den vom Promi-Fotografen Olaf Heine 14 000 Fotos des spurtfixiert.“ Insgesamt sei die Kampagne zu statisch Spitzenkandidaten Christian Lindner gemacht („durch- gewesen. Die Idee „mobilisieren statt überzeugen“ aus nicht alle schmeichelhaft und hochglanzpoliert“). sei nicht aufgegangen. Daraus wurden sechs Plakate konzipiert mit politischen Michael Schröder

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Künstliche „Horse-Race“-Dynamik gegen Langeweile

Medien- und Politikwissenschaftler Als problematisch sieht der Berliner Politikwissen- schaftler die einseitige Fokussierung beim „TV-Du- untersuchen den Wahlkampf in den ell“ durch die Journalisten auf die Themen Flucht, Ter- Medien – analog und digital. ror und innere Sicherheit: „Zwei Drittel der Sendezeit sind dafür verwendet worden.“ Das stünde in keinem Verhältnis zur realen Bedeutung. Er kritisierte auch UWE WAGSCHAL von der Universität Freiburg hat das ständige Publizieren von immer neuen Umfragen, mit einem neuen Messinstrument, dem Debat-O-Me- die doch nur Momentaufnahmen seien und für künst- ter, das sogenannte TV-Duell zwischen Angela Mer- liche Dynamik sorgen. Diese „Pferderennen“-Menta- kel und Martin Schulz Anfang September untersucht. lität mit Zahlen verdränge die relevanten Themen und Über eine App auf ihrem Smartphone haben 20 000 Sachdebatten. Der Einfluss sozialer Netzwerke erzie- repräsentativ ausgewählte TV-Zuschauer in Echtzeit he ferner dazu, „unpassende“, zur eigenen Überzeu- permanent die Debatte bewertet. Das Ergebnis: Mer- gung quer stehende Meinungen, auszublenden. So kel gewinnt über alle Gruppen hinweg, Schulz punk- entstünden Filterblasen und Echokammern, die einen tet besonders bei den Unentschlossenen. Während Diskurs verhindern. vorher die erwartete Siegerin Merkel hieß, gab es da- nach einen Gleichstand – Schulz holte deutlich auf. Keine Fake News im Wahlkampf Spannende Elemente Der Münsteraner Kom- munikationsforscher Thorsten Faas von der Thorsten Quandt konn- FU wandte sich te entgegen ursprüng- gegen den Eindruck ei- lichen Befürchtungen nes langweiligen Wahl- keine ernsthaften Ma- kampfs. Er sieht viel- nipulationsversuche mehr auch spannende („Fake news“) durch Elemente in der zurück- social bots im Wahl- liegenden Kampagne: kampf feststellen. Da- der sehr schnell verflo- runter seien keine gene „Schulz-Hype“; journalistischen Fehl- Thorsten Quandt: „Keine ernst- Direktmandate für klei- leistungen zu verste- haften Manipulationsversuche ne Parteien so viel wie hen, wie sie immer wie- durch social bots im Wahlkampf.“ Thorsten Faas: „Einseitige The- © Meyer / Schröder (APB) nie zuvor; ein komplett menfokussierung beim ,TV-Duell' der unter den schwerer „schwarzer“ Süden, da- durch die Journalisten.“ werdenden Bedingun- gegen überall deutlich gen des professionellen Journalismus vorkommen weniger Wahlkreise für die SPD. Und die Spätent- (Zeitdruck, Verdichtung, ökonomische Zwänge). Viel- scheider werden mehr – ihr Anteil liegt mittlerweile mehr seien damit gezielte Desinformationskampag- bei 40 bis 45 Prozent. nen im Sinn von Propaganda mit dem Ziel strategi- scher Beeinflussung gemeint. Ortsgruppen der Freien Wäh- ler in Bayern hätten eine we- nig professionelle Aktion ge- startet und 45 Minuten vor dem TV-Duell seien von AfD- Bots massiv Tweets gepos- tet worden. Die Kampagnen seien schnell durchschaubar gewesen und ohne Wirkung verpufft. Quandt warnte aber: „Das Prinzip würde funktio- nieren. Und im ‚Darknet‘ kann man einen 3-Tage-Angriff von Bots bereits für 580 € kaufen.“ © INFRATEST DIMAP Michael Schröder

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 5 SCHWERPUNKT | BUNDESTAGSWAHL

Verlierer unter sich Parteistrategen analysieren das Wahlergebnis Die drei Volksparteien – wenn sie es denn überhaupt noch sind – CDU, CSU und SPD haben bei der Bundestagswahl zusammen insgesamt 13,8 Prozent der Stimmen verloren. Die Wahlkampfstrategen der drei Parteien waren sich bei der

Ursachenforschung nicht einig. © TOMICEK

JOACHIM KOSCHNICKE von der CDU betonte nicht getragen und am Ende war das Flüchtlingsthe- die große Bedeutung der für die Partei positiv aus- ma entscheidender. Mit der Debatte um die Integra- gegangenen Landtagswahlen des Frühjahrs im Saar- tion der Flüchtlinge habe sich eine „neue soziale Fra- land, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen: ge“ entwickelt: die nach der Versorgung der eigenen „Das war eine gute Startrampe.“ Er erkennt insge- Bevölkerung (Miete, Pflege, Rente etc.) in der ver- samt wieder eine stärkere Politisierung der Bevöl- meintlichen Konkurrenz mit Migranten: „Die Zerris- kerung, die positiv zu bewerten sei. Allerdings müs- senheit der Gesellschaft ist das Problem der Zukunft, se man sich verstärkt um „Abtrünnige“ bemühen das wir anpacken müssen. Wir werden die AfD knall- und ihnen gegenüber Empathie zeigen. Als Voraus- hart bekämpfen und ihre Wähler zurückgewinnen“, setzung für neue Erfolge der CDU macht er die Ge- sagte Blume. schlossenheit der Union aus: „Die Menschen sehnen sich nach Stabilität.“ Es gebe keinen Grund, der AfD Die SPD wiederum schöpft nach ihrem schlechtes- hinterherzurennen. Jetzt gehe es um eine stabile ten Ergebnis seit dem Krieg neue Hoffnung aus dem neue Koalition. beschlossenen Gang in die Opposition. Meinungsfor- scher Thomas Petersen nannte dies „Flucht aus der Todeszone Merkel“. Die Partei an ihrem neu- en Vorsitzenden Martin Schulz aufzurichten und zum Wahlsieg zu füh- ren, sei fehlgeschlagen, sagte Markus Engels aus der Wahlkampfzen- trale seiner Partei. Der Spitzenkandidat sei zu Joachim Koschnicke von der Markus Blume (CSU): „Wir brau- Markus Engels (SPD): „Royalisie- spät gekürt worden CDU erkennt insgesamt wieder chen eine bürgerlich-konservati- rung deutscher Politik“ und mit dem zentra- eine stärkere Politisierung der ve Neuorientierung.“ len Thema seines Wahl- Bevölkerung. © Meyer / Schröder (APB) kampfes nicht durchgedrungen. „Das Land ist poli- tisch sediert und entpolitisiert worden.“ Er sprach von Das dies mit der CSU nicht ganz einfach sein wer- einer „Royalisierung deutscher Politik“: „Gegen Bil- de, machte ihr stellvertretender Generalsekretär der einer Kanzlerin, die im Berliner Zoo Panda-Bären Markus Blume deutlich: „Wir brauchen eine bürger- streichelt, haben wir mit einem Themenwahlkampf lich-konservative Neuorientierung und die Erneue- keine Chance.“ rung der Union als strukturelle Mehrheitspartei rechts Michael Schröder der Mitte“, sagte er. Das CDU-Thema Stabilität habe

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Vom Niedergang der Volksparteien Angesichts des nunmehr auf sieben Parteien und sechs Fraktionen angewachsenen Parlaments fragte die letzte Sektion der Tagung nach Kontinuität und Wandel im deutschen Parteiensystem.

„IN DEN KNAPP 70 JAHREN der

Bundesrepublik ist der FDP schon mehr- DIMAP © INFRATEST fach und wiederholt das Totenglöckchen geläutet worden“, sagte der Dresdner Politikwissen- Jahre nahm Kanzler Adenauer weit weniger Rücksicht schaftler Hans Vorländer. Aber: „Totgesagte leben be- auf die Befindlichkeiten der CSU als auf die der ande- kanntlich länger.“ Seit dem Ausscheiden aus der Bun- ren Koalitionspartner von der FDP und Deutschen Par- desregierung 1966 sei es immer wieder auf und ab tei. Einen Tiefpunkt erreichte das Verhältnis der beiden mit der Partei gegangen. Unionsparteien unzweifelhaft 1976, als die CSU unter Und das Herausfliegen Franz Josef Strauß nach der knapp verlorenen Bundes- aus dem Parlament nach tagswahl mit dem Kreuther Trennungsbeschluss die der schwarz-gelben Re- Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag vo- gierung 2013 sei eine rübergehend aufkündigte. Geiger verwies darüber hi- „traumatische Nahtod- naus auf die unbestreitbaren Erfolge der CDU, ande- Erfahrung gewesen, die re Gruppierungen im rechten politischen Spektrum zu nachwirkt“. marginalisieren – sei es durch eine Umarmungsstrate- gie wie im Falle der Deutschen Partei oder des Bundes Wie 2009 mit Gui- der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), sei es do Westerwelle als Vor- durch klare Ab- und Ausgrenzung wie im Falle der NPD. sitzendem hatte man es auch 2017 mit einer Über die Entwicklung Hans Vorländer: „Schleichende Ein-Mann-Partei zu tun, populistische Transformation der der SPD mit Bezug auf deren Kampagne ganz Politik“ deren Modernitätsan- allein auf Lindner zuge- spruch referierte die schnitten war. Das Dilemma dieses Wahlkampfs sei Historikerin Daniela gewesen: Profil wahren und gleichzeitig den Willen Münkel. „Der Neuan- zur Mitregierung artikulieren. Man habe offenkundig fang der SPD ist beina- die Jamaika-Lösung nicht gewollt, füge sich jetzt wohl he schon Tradition ge- aber hinein. Die FDP war immer Mehrheitsbeschaffe- worden“, betonte die rin und Korrektiv gleichzeitig – also Opposition in der Mitarbeiterin beim Bun- Regierung. Das war im 2,5-Parteien-System bis zu den desbeauftragten für 1980er-Jahren noch einfach, jetzt werde es aber zuneh- die Stasi-Unterlagen. Daniela Münkel: „Der Neuanfang mend kompliziert. Vorländer erkannte an, dass man der SPD ist beinahe schon Tradi- Früher war „Moderni- der rechtspopulistischen Versuchung im Wahlkampf tion geworden.“ tät“ auch Ausdruck für nicht erlegen sei. Einen Knackpunkt sieht er bei der zu- das Auftreten im Wahl- künftigen Regierungsbeteiligung in der Europa-Politik. kampf. Im Jahr 1969 fielen die Sozialdemokraten mit neuer Farbe, neuem Logo und modernen Wahlwer- Richtungsstreit in der Union bespots („Wir schaffen das moderne Deutschland“) auf, die Show-Regisseur Michael Pfleghar gedreht Der aktuelle Streit in der Union ist aus Sicht des Histo- hatte. Während aber Modernität früher ganz über- rikers keine Neuheit. Tim Geiger vom Institut für Zeit- wiegend positiv konnotiert war, ist der Begriff heute geschichte zeigte, dass es das Spannungsverhältnis gerade aus Sicht vieler potentieller SPD-Wähler vor der „Schwesterparteien“ immer gegeben hat: „Es war dem Hintergrund der Agenda 2010 oder der Beglei- stabiler als die Union selbst.“ Bereits Mitte der 1950er terscheinungen der Globalisierung negativ besetzt.

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 7 BUNDESTAGSWAHL

Sebastian Bukow von der Heinrich-Böll-Stiftung ßen an Glaubwürdigkeit wegen der Nichtumsetzung sieht einen Grund für den Erfolg der Grünen (von 8,4 von Wahlprogrammen in Regierungsverantwortung auf 8,9 Prozent) in einer zunehmenden Unzufrieden- hat hinnehmen müssen. Um im Bund erfolgreicher heit mit der Großen Koalition, aber auch in der Zu- zu sein, müsse sie aus der Ecke der Anti-System-Par- friedenheit der eigenen Wähler mit der Flüchtlings- tei heraus: „Sonst bleibt politik Angela Merkels. Die wollte man mit einer sie eine Partei der zwei- taktischen Wahlentscheidung offenbar stützen. Die ten Liga auf Länderebe- Grünen hätten es innerhalb ihrer Klientel mit zwei ne im Osten“, sagte der differenten Milieus zu tun. Beide seien aber nötig Parteien- und Extremis- für eine Präsenz im Bundestag. Und es werde sicher musforscher. schwierig, dass sich beide Gruppen in einer mög- lichen Koalitionsvereinbarung wiederfinden. Prinzi- Drei-Flügel-AfD piell wollen die Grünen ein Jamaika-Bündnis. Man dürfe aber nicht übersehen, dass die Grünen in Ost- Neugebauer analysierte deutschland unter fünf Prozent liegen und dass Ja- ebenfalls den Erfolg der maika in den nicht mehr ganz so neuen Bundeslän- AfD: „Sie hat Versäum- dern keine Mehrheit hat. nisse der anderen Par- teien aufgegriffen und Gero Neugebauer: „Um im Bund erfolgreicher zu sein, muss die Linke eine „normale Partei“ thematisiert.“ Er sagte Linke aus der Ecke der Anti- ihr eine längere Exis- System-Partei heraus.“ Gero Neugebauer von der FU Berlin beschäftigte sich tenz voraus, wenn die mit der Rolle der Linken: „Ihr Lieblingsfeind, die SPD offenkundigen Probleme nicht gelöst werden. Der als Regierungspartei, ist ihr ja nun abhandengekom- Berliner Politikwissenschaftler beschrieb den Weg men.“ Inzwischen habe man in mehreren Bundeslän- von der Anti-Euro-Partei eines Bernd Lucke hin zur dern Regierungserfahrung gesammelt und die frühere „nationalistisch-rassistisch-völkischen Bewegung“ PDS sei eine „normale Partei“ geworden, die Einbu- unter Gauland und Weidel, die mit Themen wie Asyl, Sicherheit, Überfrem- dung, Islamisierung und nationaler Identität of- fenbar den Nerv einer schweigenden Minder- heit getroffen hätten. Die Präsenz im Bun- destag sichere der Par- tei Posten, Apparate, Finanzen, Zugang zu In- stitutionen und letztlich auch die Gründung ei- ner politischen Stiftung.

Entscheidend für das Überleben sei die In- tegration der drei von Neugebauer identifizier- ten Parteiflügel (bürger- lich-konservativ-natio- nal, rechtsextrem und wirtschafts-neoliberal). Die anderen Parteien müssten sich dringend um die Anliegen der AfD-Wähler kümmern, die die Partei nicht aus ideologischer Überzeu- gung, sondern aus Pro- test gewählt hätten. Dann könnte die AfD

© DIETER HANITZSCH / SÜDDEUTSCHE ZEITUNG / SÜDDEUTSCHE HANITZSCH © DIETER eine Episode bleiben.

8 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 BUNDESTAGSWAHL | SCHWERPUNKT

Der frühere Akademiedirektor Heinrich Oberreuter er- Man habe es mit dynamischen Wertewandelprozes- innerte daran, dass die Volksparteien bis zu Beginn sen zu tun, die Deutschland nach wie vor in Ost und der 1980er-Jahre noch rund 90 Prozent der Wähler für West spalten. sich gewinnen konnten. 2017 sei man auf dem bishe- rigen Tiefstand von 53 Prozent angekommen: „Zwi- Hans Vorländer wies darauf hin, dass Politik immer schen den großen und den kleinen Parteien herrscht komplizierter werde – ganz im Gegensatz zu dem, nahezu Gleichstand.“ was die Mehrheit der Bürger offenkundig will: näm- lich Einheit, einfache Lösungen und eine klare Ori- Tiefstand der Volksparteien entierung. Er erkennt eine „Hyperpersonalisierung der Politik“. Beispiele: Trump in den USA, Macron in Die Ursachen sieht der Passauer Parteienforscher in Frankreich, Kurz in Österreich. Das sei eine Anti-Sys- der Ökologie- und Friedensbewegung, die die Grünen tem-Politik, vorbei an den Institutionen und gegen sie hervorbrachte, in einer postmaterialistischen und in- gerichtet – am Ende eine schleichende populistische dividualistischen Orientierung einer größer werden- Transformation der Politik. den Gruppe der Bevölkerung und in einer wieder auf- Michael Schröder keimenden nationalistischen Anti-Europa-Stimmung.

Politische Führung und die Mühen der Ebene Im Rahmen der Tagung zur Analyse der Bundestagswahl würdigte die Akademie ihren früheren Direktor Heinrich Oberreuter anlässlich seines 75. Geburtstags mit einem Festvortrag von Bernhard Vogel.

„DAS WIRD KEINE LAUDATIO“, beton- te der frühere Ministerpräsident von Rhein- land-Pfalz (1976 bis 1988) und Thüringen (1992 bis 2003). Er wolle sich mit seiner Fest- © TOMASCHOFF / TOONPOOL.COM rede zu Ehren Oberreuters vielmehr am The- ma der Wahltagung orientieren: politische Führung Koalitionsregierungen sind mittlerweile in den Län- und Verantwortung und die Mühen der Ebene. Vogel dern zur Regel geworden – im Bund ohnehin seit 1957, schöpft aus einem Erfahrungsschatz von fast 40 Jah- als die CDU zuletzt die absolute Mehrheit erreichte. ren in der Politik, davon 23 Jahre als Ministerpräsi- Koalitionen, also „das Kunststück, den rechten Schuh dent in zwei Bundesländern. auf dem linken Fuß zu tragen, ohne Hühneraugen zu bekommen“ (Guy Mollet), müssten vom Erfolgswillen Wahlerfolge seien die Mutter der Autorität, aber es der Partner getragen sein. Es brauche Respekt unter- gelte auch der Satz: „Absolute Mehrheiten sind nie und voreinander. Es dürfe keinen offenen Streit und schöner als am Wahlabend. Danach beginnen die Mü- Beschimpfungen in der Öffentlichkeit geben. hen der Ebene“, sagte Vogel. Regieren mit einer Frak- tion sei voller Tücken. Selbstgefälligkeit drohe und für Probleme müssten benannt werden, um danach Journalisten sei nichts kritikwürdiger als eine Ein-Par- gemeinsame Lösungen anzustreben. Bei Niederla- teien-Regierung: „Es graut einem vor der nächsten gen werde immer die ganze Regierung abgestraft, Wahl, denn die kann man eigentlich nur verlieren.“ nicht einzelne Partner. Bei aller Zusammenarbeit sei

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die Profilierung der Partnerfraktionen wichtig und des Bernhard Vogel. Oberreuter zitierte Franz-Josef nötig. Dabei dürfe nie vergessen werden, dass ihre Strauß („Dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht Aufgabe in erster Linie die Stützung der Regierung nach dem Mund reden“) und kritisierte so Seehofers sei. Deshalb hätten auch die Vorsitzenden der Koali- „Koalition mit dem Volk“. Gleichzeitig lobte er den frü- tionsfraktionen eine besonders wichtige Rolle: „Sie heren SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der seine Agen- haben den Schlüssel für den Erfolg in der Hand.“ Als da 2010 gegen die Mehrheitsmeinung durchgesetzt, prägnantes Beispiel aus der Geschichte der Bundes- seine Kanzlerschaft damit aufs Spiel gesetzt und die republik nannte Vogel Helmut Schmidt und Rainer SPD an den Rand des Abgrunds getrieben hatte. Barzel während der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969). Angriff auf die offene Gesellschaft Eingeschränkte Richtlinienkompetenz Der neuerdings von der Pegida-Bewegung wieder aufgenommene Ruf der DDR-Bürgerrechtler ,,Wir Kritisch ging er mit dem Koalitionsvertrag der CDU/ sind das Volk!“ sei aktuell völlig unangebracht. Er sei CSU/FDP-Regierung von 2009 ins Gericht: Ihm nur in autoritären Staaten gerechtfertigt, wenn die Ba- habe es an Substanz und Tragweite gemangelt. sis der Legitimation fehle. In Staaten mit verankerten Während einer Koalition dürfe nie ein Partner sein Freiheits- und Grundrechten könne es kein einheitli- Selbstwertgefühl verlieren oder über den Tisch gezo- gen werden. Die Richtlini- enkompetenz des Regie- rungschefs sei erheblich eingeschränkt. Er sei we- niger Chef als vielmehr Schlichter und Vermittler.

Zum berühmt-berüchtig- ten „Fraktionszwang“ sagte der CDU-Politiker: „Im Alltag ist die Fraktion eine arbeits- teilig spezialisierte Arbeits- gemeinschaft. Man verlässt sich auf die Experten der Fraktion und vertraut ihnen als Grundlage der eigenen Entscheidung. Bei ethisch bedeutsamen Fragen wird der Fraktionszwang nicht Akademiedirektorin Ursula Münch würdigte ihren Vorgänger Heinrich Oberreuter (2. v. l.) zu seinem 75. Geburtstag. Bernhard Vogel (rechts) hielt die Festrede, in der Mitte sein Bruder aufgehoben, sondern nicht Hans-Jochen. angewendet.“ © Haas (APB)

Föderalismus schützt vor ches Volk geben. ,,Das Volk ist plural!“, unterstrich der Jubilar. Diejenigen, die für sich die exklusive Wahrheit Machtmissbrauch in Anspruch nehmen und einen homogenen Volkskör- per propagieren, starten in Wahrheit einen Angriff auf Den Föderalismus der Bundesrepublik verteidigte Vo- die offene Gesellschaft. gel gegen dessen Kritiker. Föderalismus sei zwar müh- sam, koste Geld und Zeit; doch er teile die Macht und Bereits zu Beginn der Wahl-Tagung hatte der frü- schütze dadurch vor deren Missbrauch. Ebenso seien here Akademiedirektor deutlich gemacht, dass er Plebiszite ein Irrweg als Antwort auf die Krise der re- weiter ein unbequemer und kritischer Geist bleiben präsentativen Demokratie. Die meisten Sachverhalte werde – ganz egal, wie groß die Kritik vonseiten der seien für Volksabstimmungen zu kompliziert und au- aktiven Politik daran sein werde. „Solange man sich ßerdem sei am Ende niemand verantwortlich für die wissenschaftlich äußert, äußert man sich analytisch, Entscheidung und müsse Rechenschaft ablegen. und wer das nicht tut, verrät seinen Beruf als Wissen- schaftler“, erklärte Oberreuter. Populistische Tendenzen und ihre anti-institutionelle Michael Schröder Stoßrichtung waren zentrale Punkte der Antwort Heinrich Oberreuters auf die Rede seines Freun-

10 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 © STUTTMANN tifizierung, dieauspolnischer Sicht zwar mitdem päischen Krise.DasgrößteProblem liegeinderIden- des G20-Gipfels inHamburgals Ausdruck dereuro- (PIS). Erbewertete die aktuellen Proteste anlässlich nischen Regierungspartei Recht undGerechtigkeit Kaczyn´ski und seit2014 EU-Parlamentarier derpol- an derUniversität Bremen, Vertrauter von Jarosław Zdzisław KrasnodebskiistProfessor fürSoziologie Polnische Skepsis rium“, betonteSelmayr. ist.Sieistkein undkeinner Staaten Gefängnis Impe- dass „die EUeinZusammenschluss freier, souverä- sei daherenormwichtig, sich vor Augen zuhalten, krise populistischen Tendenzen einenNährboden.Es lem diesich andeutendeRechtsstaats- und Werte- dem belasteten Verhältnis zu Russland biete vor al- Flüchtlingskrise, demanwachsenden Terrorismus und könnte. NebenderFinanz-und Wirtschaftskrise, der Freiheit und Wohlstand nicht mehrgehaltenwerden druck erweckten, dass das Versprechen nach Frieden, gleich fünfaktuell bestehendeKrisen,diedenEin- onspräsidenten Jean-Claude Juncker, siehtinderEU Martin Selmayr, Kabinettschef desEU-Kommissi- Nährboden fürPopulismus Henri Ménudier, MartinSelmayr undManfred Weber. dem Podium diskutiertenZdzisław Krasnodebski, KriseundZukunftIdentität, derEUzusprechen. Auf Oberreuter zum20.Passauer Tetralog ein,umüber lud die Akademie mitdemfrüheren DirektorHeinrich ropäische Wochen Passau undderUniversität Passau werden? InZusammenarbeitmitdenFestspielen Eu- bedeutet siedenBürgernundwas mussverbessert WAS LÄUFT GUT in der Europäischen Union, was Passauer Tetralog.20. Union waren Thema beim Rolle undZukunft derEuropäischen Identität –KriseZukunft Kontinent Europa vorhanden sei,nicht jedoch mitdempolitischen Gebil- de Europäische Union.Zwar

tionale Ebene. auch eineRückführung von Kompetenzen auf diena- völkerung dieEUpositiv, doch wünschte siesich sehe laut Umfragen der Großteil der polnischen Be- © Kunert mayr (von linksnach rechts) nodebski, Heinrich Oberreuter, HenriMénudierund MartinSel- Optimistische Blicke aufEuropa trotzderKrisen:Zdzisław Kras- Konstruktion, diedieserKontinent jehatte.“ Dennoch betonteer: „Die heutigeEUistdiebeste der EU. Esfehle einelebendige,öffentliche Debatte. te Problem sieht Weber inder Vermittlungsschwäche staatlicher Ebenegelöstwerden könnten. Dasgröß- zu viele Aufgaben, die nicht mehr allein auf national- der EU, dienationalen Egoismenzuzügeln.Esgebe Konsens seienwichtig, doch seiesvor allem Aufgabe ropäer“, bekannte der CSU-Politiker. Kompromiss und fürunerlässlich:Identität „Ich bineinbayerischer Eu- zwischen regionaler, nationalerundeuropäischer führung von Kompetenzen, sondernden Ausgleich schen Volkspartei imEU-Parlament, hältnicht dieRück - Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender derEuropäi- Vermittlungsschwäche sehr solideInstitution.“ bin optimistisch. Denn schlussendlich ist die EU eine positiv indieZukunft der Europäischen Union: „Ich fen werden. Doch trotzallerKrisenblickt Ménudier Es müsseeinneuesKlimades Vertrauens geschaf- te Anspringen desdeutsch-französischen Motors. werden könnte dieKrisederEUdurch daserneu- politische Bildungsarbeitzurückzuführen sei.Gelöst schen Demokratie,dievor allemaufdiegroßartige pa“, sagte Ménudier. der deut- Er lobte die Stabilität ren herrscht nunseitüber70Jahren Frieden inEuro- eine Erfolgsgeschichte. „Nach dreiKriegenin 75Jah- le. DieGeschichte dereuropäischen Integrationsei fessor anderUniversitätParis IIISorbonneNouvel- schränkten, meintehingegenHenriMénudier, Pro - Souveränität zugunstenvon ein- Supranationalität Es seieingroßerGewinn,ihreeigene dassStaaten Neuer deutsch-französischer Motor 04-2017 | AKADEMIE-REPORT EUROPA | THEMA Beryll KunertBeryll 11 THEMA | EUROPA

Europa vor dem Neuanfang?

Trotz Erfolgsgeschichte sieht sich die in der EU. Offenbar habe die Politik nicht gese- europäische Idee zunehmend Skepsis hen oder nicht sehen und Gleichgültigkeit gegenüber. Das wollen, dass diese drei Ziele nicht gleichzeitig, Forum Verfassungspolitik analysierte nicht gleichmäßig und nicht gleichrangig ver- die vielschichtigen Herausforderungen. wirklicht werden kön- nen. Vielmehr bestünde „ES IST LETZTLICH DAS MISSVERHÄLTNIS ein offenkundiges Span- zwischen Nationalstaatlichkeit und europäischer Ein- nungsverhältnis, so Pa- heit, was viele europäische Bürger enttäuscht“, kon- pier. Derjenige, der eine Hans-Jürgen Papier sieht die In- statierte der ehemalige Präsident des Europäischen vertiefte Integration an- tegrationsziele der EU in einem Gerichtshofs Vassilios Skouris. Er widmete sich in sei- strebt, müsse letzt- Spannungsverhältnis. nen Ausführungen dem Begriff der „nationalen Identi- endlich Abstriche bei tät“, der seit dem Maastrichter Vertrag von 1993 einen Demokratie und Parlamentarismus innerhalb der Euro- festen Bestandteil der europäischen Verträge bildet. päischen Union machen. Das gelte auch und erst recht mit Blick auf die geographischen Erweiterungen. Skouris erläuterte, dass die nationale Identität durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Lehren aus dem Brexit (EuGH) eine übergreifende Bedeutung erhalten und praktische Auswirkungen entfaltet habe. Nicht nur Immer wieder hört man, dass die EU gestärkt aus grundlegende verfassungsrechtliche Entscheidun- Krisen hervorgehe. Eugénia da Conceição-Heldt, Re- gen der Mitgliedstaaten seien Bestandteil der nati- formrektorin an der Hochschule für Politik München, onalen Identität, sondern auch weniger dramatische stellt dieses Mantra in Frage: „Sehr lange haben wir Optionen. Dazu gehörten, wie Skouris anhand von geglaubt, dass die europäische Integration nur eine Beispielen der Rechtsprechung des EuGH zeigte, Richtung kennt, nämlich mehr Integration“, sagte sie. etwa die Regelung von Das Brexit-Votum hät- Glückspiel in Deutsch- te aber gezeigt, dass land, die Altersversor- der europäische Integ- gung von teilzeitbe- rationsprozess ziemlich schäftigten Richtern im schnell rückgängig ge- Vereinigten Königreich, macht werden könne. Aspekte des Vergabe- Wir hätten es hier mit wesens in Griechenland grundsätzlichen Proble- und die Schreibwei- men zu tun, sagte sie se von Namen in Litau- auch mit Blick auf die en. Die Vermutung, der Flüchtlingskrise. Wie EuGH würde stets das könne nun die EU die Unionsinteresse in den Brexit-Verhandlungen Vordergrund stellen, lie- Vassilios Skouris: „Das Missver- Eugénia da Conceição-Heldt: erfolgreich abschließen hältnis zwischen Nationalstaat- „Bei Brexit-Verhandlungen mit ße sich nicht aufrechter- lichkeit und europäischer Einheit einer Stimme sprechen.“ und gestärkt daraus halten, sagte Skouris. enttäuscht viele Bürger.“ © Haas (APB) hervorgehen? Sie sieht es als erforderlich an, Ziele der Integration dass die EU imstande ist, intern eine Position zu for- mulieren, um diese dann extern mit einer Stimme zu Die europäische Integration werde seit längerem von vertreten – auch wenn dies nicht die bevorzugte Posi- drei Zielsetzungen geprägt, sagte der ehemalige Präsi- tion aller Mitgliedstaaten ist. dent des Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Pa- pier: Die erste und sicher wichtigste war und ist die Zukunft der Währungsunion stetige Vertiefung der Europäischen Union, das zwei- te Ziel die ständige geographische Erweiterung der Franz Josef Benedikt, Präsident der Hauptverwal- EU und das dritte Integrationsziel sei der Ausbau und tung der Deutschen Bundesbank in Bayern, widme- die Festigung von Demokratie und Parlamentarismus te sich der Stabilität und Zukunft der Währungsunion.

12 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 EUROPA

Um das Investitionskli- es dünn“, so Lutz. Sollte es nicht gelingen, die wirt- ma im Euroraum nach- schaftlichen Probleme in Frankreich in den Griff zu haltig zu verbessern, kriegen, drohten wieder Emergency-Aktivitäten. plädierte er für durch- greifende Reformen. Akzeptanzkrise Die Haushalte in den Problemstaaten der Europa leidet in erster Linie an einer Akzeptanzkri- Währungsunion müss- se, analysiert der Staats- und Europarechtler Matthias ten konsolidiert und die Rossi von der Universität Augsburg. Wir würden nicht Bindungskraft der Fis- umhinkommen, an der kalregeln erhöht wer- europäischen Notwen- den. Strukturreformen digkeit festzuhalten. Franz Josef Benedikt plädierte seien notwendig, um für durchgreifende Reformen im Im globalisierten Wett- Wettbewerbsfähigkeit Euroraum. bewerb habe ein einzi- zurückzugewinnen und ger Mitgliedstaat keine Wachstum zu fördern, sagte Benedikt. Auch wies er Chance, sich durchzu- auf Mängel im Ordnungsrahmen der Währungsuni- setzen. Es bleibe natür- on hin: Dem Haftungsprinzip und den disziplinieren- lich die Frage eines de- den Kräften der Finanzmärkte müsse wieder Geltung mokratischen Defizits. verschafft werden. Das Europäische Par- lament habe nicht das „Die Europäische Uni- Versprechen einhalten Matthias Rossi: „Problem des on ist auch für die Wirt- können, die europäi- demokratischen Defizits in schaft ein großes Frie- schen Völker mitzuneh- Europa bleibt.“ densprojekt, aber auch men. Rossi prognosti- mit Blick auf das Busi- zierte ein Modell, bei dem Legitimation doch wieder ness alternativlos“, sag- stärker auch über die nationalen Parlamente erfolgt. te Klaus Josef Lutz, der „Da wird man wohl umdenken müssen“, sagte Rossi. Vorstandsvorsitzende der BayWa AG. Dreh- Ehrlichkeit nötig und Angelpunkt für die weitere Entwicklung sei Martin Winter, der frühere Leiter des SZ-Büros in der Erfolg von Macron. Brüssel, sprach sich dafür aus, von allen Ideen ei- „Wenn er die angekün- Klaus Josef Lutz: „Dreh- und An- ner europäischen Finalität Abschied zu nehmen. gelpunkt für die weitere Entwick- digten Reformen nicht lung der EU ist der Erfolg des fran- Eine solche Finalität, wie etwa eine europäische Fö- hinbekommt, dann wird zösischen Präsidenten Macron.“ deration, würde in diesem Europa nicht funktionie- ren, wie der Blick auf die verschie- denen historischen und kulturellen Hintergründe und Erfahrungen zei- ge. „Alles das kriegen wir in einem staatsähnlichen Gebilde nicht zu- sammen“, so Winter.

Er appellierte an die Kreativität der Mitgliedsländer außerhalb des Rahmens der Europäischen Uni- on. So regte er zum Beispiel eine deutsch-französische oder eine nie- derländisch-luxemburgische Krea- tivität an, die sage: „Wir machen jetzt einmal was“. Dazu dürfe man nicht die Augen vor den Proble- men verschließen, sondern müsse mit einer Grundehrlichkeit die Pro- bleme analysieren. Gero Kellermann © TOMICEK

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 13 THEMA | EUROPA

Vision 2030 für Europa EU-Kommissar Günther Oettinger beim Forum Verfassungspolitik über die Zukunft der Europäischen Union

„WAS IST DIE LAGE der Europäischen Union im Jahr 2017 und wie könnte eine Vision 2030 aussehen?“, fragte Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal. Als die fünf Säulen der Union identifizier- te er die Friedensunion, die Wertegemeinschaft, den Die europäische Grenzschutztruppe Frontex patrouilliert vor Malta. Binnenmarkt, die Währungsunion sowie die Freizügig- © Dragan Tatic / flickr.com / CC BY 2.0 keit. Die Friedensunion gründe sich nicht nur auf die beiden Weltkriege, sondern sei nach wie vor von aktu- relevante Leitwährung sein kann?“, fragte er. Die fünf- eller Bedeutung. Dies zeige etwa die Stabilisierung der te Säule, die Freizügigkeit, erläuterte Oettinger am Situation nach dem Jugoslawienkrieg. Außerdem sei Aufblühen der Städte Straßburg und Görlitz nach den die EU ein Exporteur von Frieden und Werten. Kriegen bzw. der deutschen Teilung. Rückgrat durch Einbettung Frontex ausbauen

Dies erkenne man zum Beispiel in Rumänien, wo Hinsichtlich einer „Vision 2030“ plädierte Oettinger heutzutage friedlich gegen einen Gesetzentwurf de- für mehr Europa durch eine wirksame europäische monstriert werden kann, der rückwirkend Strafbe- Grenzschutzpolizei, die die Außengrenzen kontrolliert. freiung von korrupten Frontex sei vor drei Jahren noch eine rein beraten- Amtsträgern ermögli- de Behörde ohne Vollzugskompetenz mit nur 650 Be- chen sollte. Dies käme amten gewesen. Heute seien es zwar 2000 Beamte, nur durch das Rückgrat man könne aber mit besten Gründen 10.000 verant- der Einbettung in die worten und einen europäischen Grenzschutz mit Voll- Europäische Union zu- funktion aufbauen, so Oettinger. Dafür solle es dann stande, sagte Oettinger. im Innern keine Grenzkontrollen mehr geben, son- Die dritte Säule der EU, dern nur noch anlassbezogene Kontrollen. der europäische Binnen- markt, sei immer noch Ein zweites Beispiel, bei dem laut Oettinger mehr der größte gemeinsame Europa angebracht ist, sei die Verteidigung. Die Bun- Markt der Welt – und deswehr gerate an die Grenzen ihrer Leistungsfähig- damit der Ast, auf dem EU-Kommissar Günther Oet- keit. Wenn man den Weg des NATO-Beschlusses gin- der Arbeitsmarkt und tinger plädierte für den Aufbau ge und die Verteidigungsausgaben von 1,2 Prozent einer wirksamen europäischen der soziale Wohlstand in Grenzschutzpolizei. auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigere, Deutschland aufgebaut © Haas (APB) könne man durch eine europäische Lösung 10 Milliar- sind. Der Binnenmarkt den Euro einsparen. Es sei im Interesse der Steuer- verschaffe der EU weltweit wirtschaftliche Autorität. zahler, die vielen unterschiedlichen Waffengattungen Auch die Währungsunion mache die Stärke der EU europäisch zu standardisieren und gemeinsam auszu- aus, auch wenn dort zurzeit nicht alles stabil sei. Der schreiben. „Ich hoffe, noch eine europäische Armee Euro sei die zweite Leitwährung in der Welt. „Glau- zu erleben“, sagte der EU-Kommissar. ben wir wirklich, dass die D-Mark heute eine weltweit Gero Kellermann

Akademie-Report Herausgeber: Akademie für Politische Bildung Buchensee 1 82327 Tutzing Tel. 08158 / 256-0 Fax 08158 / 256-14 Internet: https://www.apb-tutzing.de E-Mail: [email protected] Redaktion: Prof. Dr. Ursula Münch (verantw.), Dr. Michael Schröder (Redaktion und Gestaltung), Antonia Kreitner (Redaktionsassistenz) Layout-Konzept: Michael Berwanger Agentur Tausendblauwerk www.tausendblauwerk.de Druck: Peter Molnar Blumenstr. 26 82407 Wielenbach Der Akademie-Report wird kostenlos abgegeben.

14 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 MEDIEN | THEMA

Rattenfänger und Seelenfischer im Netz Extremisten und Fundamentalisten aller Art nutzen die Freiheit des Internets immer professioneller für die Verbreitung ihrer kruden Ansichten.

EGAL OB „ISLAMISCHER STAAT“ oder Neona- zis: Extremistische und terroristische Organisationen rekrutieren ihre Gefolgsleute auch über professionell gemachte Internetseiten und Apps. Was fasziniert Jugendliche und junge Erwachsene daran? Welche Möglichkeiten präventiver Medienarbeit und politi- scher Bildung haben die Schulen? © GERALT / PIXABAY CCO

Jugendliche sind heute fast rund um die Uhr on- Das ist die Aufgabe von Gudrun Riedl, der stellvertre- line, meist über ihr Smartphone. Susanne Eggert, tenden Leiterin von BR24, dem aktuellen Online-An- Medienforscherin am JFF – Institut für Medienpäda- gebot des Bayerischen Rundfunks. „Wir sind keine gogik in Forschung und Praxis in München, bezeich- Sendeanstalten mehr, wir sind Kommunikationsun- nete das Internet als unabdinglich, um zu kommuni- ternehmen“, sagt Riedl. Es gebe dank der Online-Prä- zieren, sich zu informieren und zu unterhalten. Doch senz ein zunehmendes Bedürfnis nach eigener Re- ein souveräner Umgang mit den Angeboten der On- cherche, was sehr positiv sei. Durch die Vielfalt im line-Welt sei für Kinder und Jugendliche schwierig – Netz kämen die Interessen und Bedürfnisse des Pub- so bei rechtlichen Fragen oder Schutz vor Mobbing likums mehr zur Geltung. User seien häufig auch die oder Datenmissbrauch. Quelle von Geschichten. Aber es sei oft nicht einfach, unter Zeitdruck wahre Nachrichten von bewusst ge- Filterblasen und Echokammern steuerten „Fake News“ zu unterscheiden. Dafür gebe es beim BR und anderen ARD-Sendern eigene Teams, Medienprofessor Wolfgang Schweiger (Universität Ho- die mit der Verifikation von Nachrichten befasst sind. henheim) sieht die Rolle des World Wide Web in drei wesentlichen Schritten beim demokratischen Prozess: Modern und reaktionär Information, Diskussion und Meinungsbildung. Im on- line-Zeitalter habe der Bürger nicht nur Zugriff auf tradi- Auch religiöser Fundamentalismus und Extremismus tionelle journalistische Medien, sondern auch auf alter- finden sich im Netz, etwa bei den Zeugen Jehovas. native Medien, die sich oft nur schwer unterscheiden Matthias Pöhlmann, der Beauftragte für Sekten- und ließen. Die personalisierte Suche über Algorithmen, Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen die hinter Suchmaschinen stehen, führt zu Filterblasen Kirche in Bayern, schilderte, dass in letzter Zeit eine Viel- und Echokammern. Man glaubt, die eigene Meinung zahl neuer christlicher Gruppen entstanden sei – mo- sei die der Mehrheit. Das wiederum führe zu erhöh- dern im Auftritt nach außen, inhaltlich ausgesprochen ter Kommunikationsbereitschaft im eigenen Zirkel und konservativ bis reaktionär, meist mit „sehr problema- so zur Verstärkung der eigenen Meinung. Dabei gehe tischen Haltungen“ zu Homosexualität und zum Islam. ein ausgewogener und umfassender Nachrichtenüber- blick verloren. Es entstehe eine höhere Anfälligkeit für Dazu komme der Bereich Esoterik, meist eine Desinformation und Pseudo-Informiertheit. „institutionen-, technik- und fortschrittsskeptische Strömung“ mit starken Tendenzen zu anti-demo- Medienbildung und Medienkompetenz kratischem Gedankengut von links wie rechts. On- line-Plattformen seien eine effektive Möglichkeit zur Bei Diskussionen habe das Internet eine enthem- Verbreitung der Ansichten dieser Gruppen, die gerne mende Wirkung, die Online-Kommunikation sei oft auch Verschwörungstheorien aller Art in selbst produ- destruktiv, wenn es überhaupt zu einer kommt. Da- zierten „Fernsehsendungen“ im Netz präsentieren, gegen helfe nur eine frühzeitige Medienbildung und eigene Videoportale betreiben, sich gegenseitig ver- Medienkompetenz. Schweiger sagt: „Wir brauchen netzen und unterstützen. unabhängigen Journalismus, der weiterhin einen gu- Michael Schröder ten Job macht.“ Sara Borasio

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 15 THEMA | MEDIEN

Spannende Einblicke in die Zukunft des Journalismus

Künstliche Intelligenz, automatisierte Kommunikation, neue Möglichkeiten in Bild und Video – technische Innovationen verändern den Journalismus. Was ist bald möglich, und welche Rolle nehmen Journalistinnen und Journalisten künftig ein?*

ÜBERNEHMEN DIE ROBOTER die Re- daktionen? Noch nicht. Doch die Geschäfts- Das Auditorium der Akademie mit 360-Grad-Kamera aufgenommen modelle rund um den automatisierten © APB Journalismus entwickeln sich in rasanter Ge- schwindigkeit. Johannes Sommer (Retresco Auto- ChatFuel gelingt nach einem Baukastensystem die Er- matisierung) betont aber: Die menschliche Beob- stellung von Robotern in wenigen Stunden. Einfach- achtungsgabe bleibt unersetzlich. Sogenannte Bots heit, Minimum und Sozialisation seien die wichtigsten können nur mit strukturierten Daten arbeiten – Fuß- Aufgaben bei der automatisierten Kommunikation. ball, Wetter, Börsenwerte – und schaffen neue Auf- gaben: Programmieren, Warten, Beobachten. Saim Individuelle News-Angebote Alkan, Geschäftsführer des Automatisierers AX Se- mantics, sieht das größte Potenzial des Roboterjour- Sollten Journalisten und Verlage – die (noch) vorder- nalismus in der Personalisierung und Internationali- gründig Inhalte vertreiben und nachrangig Technolo- sierung: Auch kleine Gruppierungen werden ohne gien – mehr über ihre Nutzer wissen? ,,Wir müssen größeren Aufwand erreicht. Die Geschwindigkeit anfangen, Algorithmen und Automatisierung wirklich der technischen Entwicklung erfordere aber ein Be- zu nutzen“, meint Datenjournalist und Medienbera- wusstsein für deren ständige Kontrolle. ter Marco Maas (OpenDataCity). Konkret sollen infol- ge des Nutzerverhaltens Nachrichten im Hintergrund Hendrik Luehrsen erklärte in einem Workshop, dass einer jeweiligen App sortiert werden. Damit können das Programmieren solcher Bots keineswegs ein In- die Nutzer personalisierte und an ihre Umgebung formatikstudium erfordert. Durch Plattformen wie angepasste Nachrichten erhalten, also keine Videos bei schwachem Akkustand, Audiobeiträge bei Be- wegung, keine Push-Nachrichten, wenn man schläft. Diese Art der Personalisierung dann noch mit einem möglichst effektiven Datenschutz zu koppeln, reizt Maas besonders an dieser Nachrichten-Vision. Virtual Reality nimmt Fahrt auf

Arne Ludwig (Erster Deutscher Fachverband für Virtual Reality) und Virtual-Reality-Berater Dennis Meyer sind sich sicher: Neue Technologien sind nicht mehr aufzuhalten und können den Journalismus sinnvoll ergänzen. 360-Grad-Berichterstattung über die Datenbrille zum Beispiel kann den Betrachter ins Auge eines Hurrikans oder in den Orchestergra- Virtual-Reality-Berater Dennis Meyer im vollen Einsatz mit VR-Brille ben der Münchner Philharmoniker bringen. Virtuelles

* Tagung in Kooperation mit der Professur für Praktischen Journalismus an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm

16 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 MEDIEN

Storytelling macht, vom Computer generiert, außer- neue Formate sollten „nicht um jeden Preis wegen gewöhnliche Situationen erlebbar: Wer einmal einen der Technik umgesetzt werden“. Es gebe viele Mög- Bombenangriff im syrischen Krieg virtuell erlebt hat, lichkeiten, sein Publikum zu begeistern, aber auch zu merkt, „das ist das Empathie-Tool schlechthin, das langweilen. Spannende Geschichten jedenfalls gibt schafft keine weitere Technik“, zumal über kurz oder es noch immer zuhauf – und damit, konstatiert Mario lang Gerüche und haptische Wahrnehmung die virtu- Geisenhanslüke, keine bessere Zeit als heute, um im elle Realität ergänzen werden. Journalismus zu arbeiten. Sebastian Haas Folgen für Journalisten Sebastian Meyer (siehe Presseschau Seite 36) Kathrin Konyen, die stellvertretende Bundesvorsit- zende des Deutschen Journalistenverbandes, Mario Geisenhanslüke von der Mittelbayerischen Zeitung in Online mehr sehen Regensburg und Florian Meyer-Hawranek (PULS, Bay- Eine Redaktionswerkstatt unter Koor- erischer Rundfunk)) diskutierten über den Wandel im dination des MedienCampus Bayern Berufsbild der Journalistinnen und Journalisten. „Es hat ausführlich über unsere Veranstal- wird weniger Schreiberlinge, dafür mehr Manager ge- tung berichtet. Mehr zu Virtual Reality ben“, meint Kathrin Konyen. Weil zum journalistischen und künstlicher Intelligenz, Personali- Handwerk immer mehr Kompetenzen hinzukommen, sierung und automatisierter Kommu- muss sich auch die Ausbildung anpassen, sie muss nikation unter http://bit.ly/apb-technik. mehr technisches Grundverständnis und mehr di- gitalen Pioniergeist vermitteln. Für alle Medienhäu- Daten, Daten, Daten – ein Tagungs- ser gelte: „Wer nicht am Ball bleibt und in Innovati- bericht zu „Datenjournalismus und onen investiert, wird gnadenlos untergehen.“ Florian sichere Recherche“ in Fotos unter Meyer-Hawranek pflichtet ihr bei und ergänzt: Tech- http://bit.ly/apb-daten. nik muss immer im Dienst des Journalismus stehen,

Bavarabica bei der Tutzinger Kulturnacht

MUSIKERINNEN UND MUSIKER aus Marok- ko, Syrien und Bayern begeisterten mit ihrem erst- klassigen Konzert das voll besetzte Auditorium der Akademie bei der Tutzinger Kulturnacht. In Zusam- menarbeit mit der Bayerischen Philharmonie und im Rahmen der Initiative „Integration und Toleranz“ des Wertebündnis Bayern präsentierte die Akade- mie das Projekt „Musik schafft Heimat“. Durch ge-

meinsames Musizieren soll die Integration Ge- © MEYER (APB) flüchteter gestärkt werden. Linktipps: Das Duo „Zweimalig“ (Lisa Schöttl am Hackbrett Konzertausschnitt auf Twitter und Christine Horter an der Harfe) präsentierte den https://twitter.com/APBTutzing/status/ bayerischen Teil des Abends. Den arabischen Part 921440644886908928/video/1 bestritt das Trio Jisr („Brücke“) mit den syrischen Musik schafft Heimat http://www.bayerische-philharmonie.de/Navigation/ Künstlern Ehab Abou Fakhir (Viola) und Abathar Soziales-Engagement/Musik-schafft-Heimat Kmash an der Oud sowie dem Marokkaner Moh- Duo Zweimalig cine Ramdan (Gembri und Gesang). Das inspirie- https://www.lisa-schoettl.de/zweimalig/ rende Konzert fand seinen virtuosen Höhepunkt in http://www.christinehorter.de/ mehreren gemeinsam gespielten Stücken von Fla- Jisr-Ensemble https://www.youtube.com/watch?v=NxJTzk9Rs2U menco bis Tango. Langanhaltender, stürmischer https://de-de.facebook.com/Jisr-%D8%AC%D9%90%D8% Applaus. B3%D9%92%D8%B1-Br%C3%BCcke-1210837858978010/ Michael Schröder

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 17 THEMA | MEDIEN

13. Tutzinger Radiotage: Hörbar glaubwürdig

Die Radiosender mischen längst kräftig auf den neuen digitalen Plattformen im Netz mit. Sie stehen dort in unmittelbarer Konkurrenz zu neuen Mitspielern auf dem Markt. Wie können dabei Relevanz und Glaubwürdigkeit des Radios gesichert werden? Das war eine zentrale Frage © FLORANTEVALDEZ / PIXABAY / CCO bei den 13. Tutzinger Radiotagen, die sich 50 Journalistinnen und Die Landeskorrespondentin für Sachsen vom Mittel- deutschen Rundfunk (MDR) Ine Dippmann, hat schon Journalisten aus Deutschland und der häufig Aggressivität gegenüber Journalisten erlebt – besonders aus der AfD und der Pegida-Bewegung. Schweiz stellten. Trotzdem sagt sie: „Wir dürfen Medienkritik nicht ver- nachlässigen, nur weil sie aus der rechten Ecke des UWE KRÜGER, Medienforscher an der Universität politischen Spektrums kommt.“ Einerseits sei man Leipzig, beobachtet „Mainstream-Journalismus“: „Die Hassobjekt der Rechten, andererseits brauchen sie Mehrheit der Journalisten konzentriert sich auf iden- Journalisten als Resonanzboden für ihre Öffentlich- tische Themen und der Meinungskorridor war schon keitsarbeit, ergänzte Wentzien. Sie will Glaubwürdig- mal breiter.“ So gebe es einen fast 100-prozentigen keit dadurch wieder herstellen, dass wir „Geschichten Konsens beim Thema Migration, während die Bevöl- richtig erzählen, zu Ende erzählen und sie umfassend kerung bei den Themen Flucht und Asyl gespalten sei. erzählen: Damit haben wir noch genügend zu tun.“ Krüger sagt: „Die Verteidiger und Kritiker des Systems polarisieren sich. Die Zahl der Unentschiedenen in der Interaktives Radio Mitte geht zurück.“ Journalisten lebten und stammten aus einem bürgerlich-elitärem Milieu, das sich deutlich Dominik Born ist Experte für Online-Innovation beim vom Durchschnitt der Bevölkerung abhebt. Schweizer Radio und Fernsehen SRF in Zürich. Er empfahl den versammelten Hörfunkern, die neuen Die Chefredakteurin „Smartspeaker“ wie Alexa, Google Home oder Ama- des Deutschlandfunks zon Echo auszuprobieren und neue Ausspielwege Birgit Wentzien gab zu, fürs Programm zu suchen. Sonst würden die Nutzer dass sich Journalisten schnell zu den Anbietern wechseln, die mit dem tech- bei der Einschätzung nischen Fortschritt gehen. Born rät deshalb: „Weg und Beurteilung großer vom RAdio, hin zum AUdio!“ Dem personalisierten Themen der letzten Jah- Programm – egal ob Nachrichten oder Musik – gehö- re geirrt hätten. Als Bei- re die Zukunft. So könne man bei Radio-Nachrichten spiele nannte sie den „weiterspulen“, weil manche Inhalte schon bekannt Ausgang des Brexit- sind oder nicht interessieren. Für Dominik Born ist Al- Votums und der US-Prä- exa schon so etwas wie ein Familienmitglied: „Wenn sidentschaftswahlen. wir in die Ferien fahren, nimmt unsere Tochter Al- Bezogen auf die bun- Birgit Wentzien, Chefredakteurin exa mit, denn die spielt ihr Lieblingsprogramm vom des Deutschlandfunks, sieht kei- desdeutsche Realität ne zu große Nähe zwischen Poli- WDR.“ Nachrichtenchef Dietz Schwiesau vom MDR sagte sie, dass es zwar tikern und Journalisten. gab zu bedenken: „Wenn wir dort unsere Nachrich- eine geografische Nähe, ten ausspielen, wird unsere Marke noch wahrgenom- aber keine inhaltliche Nähe zur Politik in Berlin gebe. men? Oder sind es dann Alexa-Nachrichten?“ Auf der Ebene der Bundesländer könne dies durch- aus passieren, weil sich dort Medien und Politik noch Auch in diesem Jahr gab es bei den Radiotagen näher seien und es vielleicht auch mal eine Beißhem- wieder ausführliche Workshops. Dabei geht es ums mung gegenüber Landespolitikern gebe. Ausprobieren und Selbermachen.

18 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 MEDIEN

Was tun, wenn der Interviewpartner Fragen der Jour- da Gloria Martins. Damals war es hilfreich, weil man nalisten immer nur scheinbar beantwortet, aber nie so sehr schnell eine große Verbreitung unter Journa- konkret? Welche Desinformationstechniken gibt es listen hatte und so zur Klärung der Lage und Beruhi- und wie werden sie eingesetzt? Wie erkennen wir gung der Bevölkerung beitragen konnte. sie, wie gehen wir mit ihnen um? Trainiert wurden Te- lefoninterviews mit zwei Politikern, die gerne streitba- Vorproduzierte Elemente re Thesen (auch innerhalb ihrer Parteien) formulieren: der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach und Boris Für Gudrun Riedl war Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen. eine wichtige Erfahrung: „Ein einzelner Tweet be- Viele Podcasts haben mit neuer Anmutung und wirkt viel. Mit ihm kann Sound Erfolg. Radioleute können davon lernen – von man die ganze Kommu- neuen Erzählweisen und Mini-Audios mit neuem nikation so oder so steu- Klang. So waren auch die Stücke, die im Workshop ern.“ Deshalb sollte man vorbereitet wurden, voller Klang- und Tonexperimen- „immer mit angezoge- te, aus der Ich-Perspektive sehr persönlich erzählt. ner Handbremse fah- Aber Achtung: „Leichtigkeit ist harte Arbeit“, sagte ren.“ Korrekturen und Moderator Sven Preger. Und sie braucht Zeit. Entwarnungen müss- ten unbedingt über den Aktuelle technische Sender, wenn sie verifi- Gudrun Riedl ist beim aktuel- Entwicklungen wie die ziert sind: „Wir müssen len Nachrichtengeschäft immer mehr mit der Prüfung von Quel- Smartspeaker stellen auch kommunizieren, len beschäftigt. Radioleute vor neue was nicht ist.“ © Borasio (APB) ethische Herausforde- rungen. Roboter kön- Jan Herold hatte für den Fall eines möglichen Ter- nen Nachrichtentexte roranschlags in München ein ganzes Arsenal von vorlesen. Was bedeutet vorproduzierten akustischen Elementen fürs Pro- das fürs Radio und sein gramm zur Verfügung: Terror in München – dazu die Publikum? Wie stellen passende, dramatische Musik. Die kamen auch zum wir in Zukunft fest, was Einsatz – obwohl noch nicht klar war, worum es sich echt ist und was nicht? bei der Schießerei im Olympia-Einkaufszentrum tat- Smartspeaker wie der HomePod Gefährden solche Pro- sächlich handelte. von Apple oder Alexa von Ama- gramme die Glaubwür- zon können die Radiowelt revolu- tionär verändern. digkeit des Radios? Im Herold ist bereit, bei Ausnahmesituationen, in de- © Rick4512 / flickr.com / CC BY-SA 4.0 Workshop wurden neue nen es noch keine Reporter vor Ort gibt, Augenzeu- Techniken getestet und gen zu aktivieren: „Stimmungen müssen aufgegrif- ihr Einsatz in der Redaktion der Zukunft diskutiert. fen und transportiert werden.“ Marcus da Gloria Eine synthetische Stimme könnte eingesetzt werden, Martins widerspricht dem: Menschliche Wahrneh- wenn der Moderator krank ist. Oder sie könnte ein mung sei in solchen extremen Situationen sehr geschriebenes Statement der Bundeskanzlerin spre- subjektiv und häufig überfordert. Er schilderte, wie chen. Oder einen Tweet von Donald Trump. emotionale Meldungen – gerade auch über die so- zialen Medien – weitere Falschmeldungen und Breaking News „Phantom-Tatorte“ provoziert hätten. Normale Bür- ger seien in Ausnahmesituationen keine gute Quel- Katastrophen, schwere Unfälle, Amokläufe, Terroran- le. Schließlich sei die Tonalität der Berichterstattung schläge – das sind immer wieder emotionale Ausnah- wichtig, damit sich die Menschen in ihrer Stadt si- mesituationen für Sicherheitskräfte und Journalisten. cher fühlen. Auch Gudrun Riedl forderte eine mög- Am Beispiel des Amoklaufs in München im Juli 2016 lichst große Distanz, Zurückhaltung und wenig Emo- diskutierten der Pressesprecher der Münchner Polizei tion in der Berichterstattung. Marcus da Gloria Martins; die stellvertretende Leite- rin von BR24 Gudrun Riedl; der Medienjournalist Da- Daniel Bouhs sprach sich für Schulungen und Kri- niel Bouhs und der Programmchef des Münchner Ra- sentraining in der Ausbildung und regelmäßig auch in dios Charivari, Jan Herold. den Redaktionen aus. So könne man besser auf Kri- sensituationen reagieren. Bei Wirtschaftsunterneh- Ein großer Teil der Medienarbeit der Münchner Poli- men sei das üblich – warum nicht bei Journalisten? zei lief an jenem Abend in München über Twitter: „Wir Denn: Wie sich emotionaler Druck anfühlt, wisse man sind bei Twitter, weil dort viele Multiplikatoren sind. Es erst beim konkreten Erleben. ersetzt aber nicht die klassische Pressearbeit“, sagte Michael Schröder

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 19 THEMA | WIRTSCHAFT

Zehn Jahre nach dem großen Crash Eine Zwischenbilanz der Finanz- und Weltwirtschaftskrise

MIT DEM PLATZEN der Immobilienblase in den USA und dem Zusammenbruch von Lehman Brothers begann vor zehn Jahren die Wirtschafts- und Finanz- krise. Es folgten etliche Bankenzusammenbrüche. Die weltweite Rezession konnte nur mit Hilfe beispielloser staatlicher Rettungsaktionen und einer extrem locke- ren Geldpolitik seitens der Zentralbanken aufgefangen werden. Dennoch haben viele Länder das Produkti- onsniveau der Vorkrisenzeit nicht wieder erreicht, die Finanzmärkte bleiben fragil und die Verschuldungs- Symbol des Bankencrashs von 2008: Lehman Brothers in New York und Eurokrise ist noch lange nicht bewältigt. © Hard Seat Sleeper / flickr / CC BY 2.0

Der Wirtschaftshistoriker Harold James von der sam sei den beiden Krisen, dass ihnen eine starke Princeton Universität verglich die jetzige Krise mit der Überschuldung und ein Kreditausfall voraus ging. Die Großen Depression der 1930er Jahre. Bis heute gäbe Große Depression sei eigentlich erst mit dem Ende es keinen Konsens über die Gründe der beiden Kri- des 2. Weltkrieges zu Ende gewesen. Die jetzige Kri- sen, so James. Einig sei se habe man aufgrund der staatlichen Interventionen man sich, dass sie bei- im Zaum halten können. Kontrovers würde allerdings de nicht alleine durch diskutiert, ob wir schon im sicheren Fahrwasser sei- das Platzen spekulativer en, oder eine dritte Phase der Krise drohe, die von Blasen erklärbar seien. den Schwellenländern ausgehen könne. Crashs habe es immer wieder ohne solche fa- Gegenspieler China tale Auswirkungen ge- geben. Verstärkt wurde die Krise in den 1930er Jahren noch durch den sich ausbreitenden Protektionismus. So Entscheidend sei wohl, etwas drohe jetzt zwar nicht, so Gabriel Felbermayr so der US-Wissen- vom Ifo-Institut, dennoch verstärke sich Protektion schaftler, wie stark der und der internationa- Harold James verglich die Große Depression von 1930 mit der Fi- Banken- und Finanzsek- le Handel wachse nicht nanzkrise von 2008. tor kontaminiert wird. mehr so schnell. Einige So habe die Große De- Regionen und Sektoren pression erst richtig an Fahrt aufgenommen als sich der USA hätten unter die Bankenkrise in Europa, bedingt aus einem Mix dem Globalisierungs- von Firmenpleiten, Kapitalabflüssen und Kreditausfäl- schub vor allem seitens len, 1931 von Deutschland und Österreich nach Eng- Chinas stark gelitten, land und dann in die USA ausbreitete. Ähnliches gelte was auch den politi- für 2007, allerdings in umgekehrter Richtung. schen Aufstieg von Do- nald Trump erkläre, der Überschuldung und jetzt wieder die protek- tionistische Karte spie- Gabriel Felbermayr: „Protektio- leichtfertige Kreditvergabe le. Dabei werde China, nismus nimmt wieder zu.“ das in den letzten zwei © Borasio / Haas (APB) In einem solchen Fall könnten, so Harold James, nur Dekaden seine Bedeu- massive staatliche Interventionen zur Bankenrettung tung im Welthandel massiv ausgebaut habe, immer helfen, Schneeballeffekte zu unterbinden. Eine Leh- mehr zum globalen Gegenspieler der USA. re aus den 1930er Jahren sei auch, dass dies von ei- ner extensiven Geld- und Fiskalpolitik begleitet wer- Wie bedeutsam China für die Krisenbewältigung den müsse, um die Geldversorgung zu sichern und war, erläuterte Markus Taube (Universität Duis- die ausfallende Nachfrage zu kompensieren. Gemein- burg-Essen). Das Land sei nicht direkt durch den Fi-

20 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 WIRTSCHAFT

nanzsektor, sondern nur indirekt durch den Nach- Zudem werde dieser magere Aufschwung durch ext- frageausfall der Industrieländer von der Krise 2007 rem niedrige Zinsen und steigende Schulden erkauft. getroffen worden. China habe dann mit einem massi- Sie seien eine Art Droge, ohne die die Weltwirtschaft ven Konjunkturprogramm reagiert, was der Weltwirt- nicht mehr funktioniere. schaft enorm geholfen habe, den Wirtschaftseinbruch zu überwinden. Doch es seien erhebliche Überkapa- „Heraussparen“ könne man sich nicht, denn dafür zitäten entstanden, was teilweise die handelspoliti- seien die Staatsschulden zu hoch. Geringere Staats- schen Konflikte (u.a. im Stahlbereich) erkläre. ausgaben würden die Rezession noch vertiefen. Die bevorzugte Strategie der Zentralbanken aller Indus- Markus Taube stellte trieländer sei es, so Stelter, zu versuchen, aus den fest: „China agiert zu- Schulden herauszuwachsen und höhere Inflation zu- nehmend nicht nur als zulassen. Doch die Strategie funktioniere einfach wirtschaftspolitischer, nicht, denn die zusätzliche Geldmenge produziere sondern auch als stra- kaum Wachstum und so gut wie keine Inflation. Die tegischer außenpoliti- dritte Möglichkeit wäre eine Art Schuldenschnitt, der scher Akteur.“ Deshalb jedoch höchst unpopulär wäre. Realistisch sei des- steige das Konfliktpo- halb, dass man sich weiter „durchwurstele“, d.h. Geld tential mit dem Wes- drucke. Es bestehe aber die Gefahr, dass sich die Bla- ten, besonders mit den sen weiter aufblähten, die sich dann wieder in einem USA. Zudem seien zu- neuen Crash entladen könnten. nehmende Zentralisie- Markus Taube: „Das Konfliktpo- rungstendenzen und tential zwischen China und dem EZB überfordert politische Einflussnah- Westen wächst.“ men auf die Wirtschaft Die Euro-Krise war ein durch die Kommunistische Partei zu beobachten. weiteres Thema. Gera- Problematisch sei, dass auch in China die öffentli- de weil die Unterschie- che und private Verschuldung stark gestiegen sei. de in der Wettbewerbs- Dies ginge mit einer Immobilienblase und einem fähigkeit nicht über den boomenden Schattenbankensystem einher. Aus die- Wechselkurs ausgegli- ser Mixtur könne eine neue globale Finanz- und Wirt- chen werden könnten, schaftskrise entstehen. so Ulrich Fritsche von der Universität Ham- Niedrige Zinsen als Droge burg, hätten die Konst- ruktionsfehler der Euro- Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Art „Eiszeit“, zone so große negative Ulrich Fritsche: „Fiskal- und Ban- so die These des Unternehmensberaters Daniel Stel- Wirkungen. Gravierend kenunion fehlt.“ ter. Schon vor 2007 stiegen die Schulden von privaten seien vor allem das Feh- Haushalten, Unternehmen und dem Staat. In Folge len automatischer Stabilisatoren (Transfers über So- der Krise explodierten sie. Man habe damit zwar im zialsysteme) sowie das Fehlen einer Fiskal- und Ban- Gegensatz zu den 1930er Jahren die Rezession ver- kenunion. Einzig die EZB könne europäisch handeln, kürzt, doch die Erholung verlaufe nur sehr langsam. doch sei die Geldpolitik mit den Aufgaben der Stabili- sierung der europäischen Wirtschaft überfordert.

Jannis Emmanoulidis vom European Policy Centre (EPC) in Brüssel verbreitete jedoch verhaltenen Opti- mismus. Die sich überlappenden Krisen in der EU sei- en zwar noch nicht überwunden, doch bestehe nach der Wahl von Emmanuel Macron zum Staatspräsiden- ten Frankreichs Hoffnung, dass sich Berlin und Paris auf politische Initiativen einigten, um die Konstruktion der Eurozone stabiler zu gestalten. Einige Vorschläge u.a. von der EU-Kommission lägen auf dem Tisch, u.a. der eines eigenen Eurozonen-Budgets. Eine Revoluti- on könne man sicher nicht erwarten.

Zur expansiven Geldpolitik der EZB gebe es keine Bankenkrise 1931: Massenandrang der Sparer vor einer Sparkas- se in Berlin. Alternativen, so Gerhard Illing (LMU München). Eini- © Bundesarchiv / Bild 102-12023 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 ge wichtige und letztlich erfolgreiche Strukturen zur

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 21 WIRTSCHAFT

Stützung von Krisenländern habe man mit dem ESM ternationale Finanzsystem stabiler gemacht werden (European Stabilisation Mechanism) und den damit soll. Kernpunkt sei eine stärkere Überwachung des verbundenen Programmen geschaffen. Die Rettungs- Finanzsektors, was mit einer Erhöhung der Eigenkapi- politik sei im Falle Griechenlands jedoch gescheitert, talquoten der Banken einhergehen soll. Man habe in so Ulrich Fritsche. Selbst der IWF habe nicht mehr an Europa hier schon einiges erreicht, doch die USA hät- die Wirksamkeit der Politik geglaubt, die sich in einem ten schneller gehandelt. Einige Maßnahmen wie bei- Stop-and-Go aus Sparen, Neuverhandlungen und im- spielsweise die einheitliche Einlagensicherung seien pliziten Schuldenerlassen beschränkte. Illing und Frit- noch nicht durchgesetzt und umstritten. sche zogen den gleichen Schluss: Die EU bleibe ein Sara Borasio „Papiertiger“, solange kein Europäischer Stabilisie- Sebastian Haas rungsfonds mit Eurobonds entstehen würde. Wolfgang Quaisser Fiskalunion oder „Maastricht 2.0“

Wolfgang Wiegard, der frühere Chef der „Wirtschafts- Panama und Paradise Papers: weisen“ (Universität Regensburg), kritisierte solche Enttarnung der Steueroasen Lösungen, denn sie liefen letztlich auf eine Transfe- runion hinaus, wie sie im Maastricht-Vertrag aus- FREDERIK OBERMAIER von der Süddeutschen drücklich nicht vorgesehen war. Die Spannungen in Zeitung stellte ein eindrucksvolles Beispiel des in- der Währungsunion seien aber auch Ausdruck un- vestigativen Journalismus vor. Er gehörte zu einem terschiedlicher wirtschaftspolitischer Philosophien. weltweiten Rechercheteam und hat zusammen mit Während Deutschland auf die Einhaltung von Regeln rund 400 Kolleginnen und Kollegen ein System von poche, fordere man seitens der EU-Südländer von Steueroasen aufgedeckt: die sogenannten Panama Deutschland höhere Investitionen und eine expansi- Papers. Die Veröffentlichungen haben einigen Re- vere Fiskalpolitik. Die Währungsunion sei zwar durch gierungschefs u.a. von Island das Amt gekostet und die lockere Geldpolitik gerettet worden, aber keines- noch immer werden neue Details veröffentlicht. Da- wegs in sicherem Fahrwasser. für gab es den Pulitzer-Preis als Anerkennung für die journalistische Leistung. Aber was hat die Recher- Regelverstöße in der Fiskalpolitik würden letztlich che darüber hinaus gebracht? nicht geahndet, so Wiegard. Reformen könnten nur dann zu einem stabilen institutionellen Rahmen der „Die Diskussion über Steueroasen geht weiter“, Währungsunion führen, wenn Haftung und Kontrol- berichtet Obermaier und verweist auf Anti-Offsho- le in einer Hand lägen. Dies wäre zwar in einer Fis- re-Gesetzgebung, verstärkte Offenlegungspflichten kalunion möglich, doch für Politiker und Transparenzregister, auf Steuerab- das sei auch aus verfas- kommen und Datenankäufe durch Steuerbehörden. sungsrechtlichen Grün- „Wer eine Briefkastenfirma gründet und Schutz- den nicht realisierbar mauern um sein Vermögen baut, muss mittlerwei- und ohnehin nicht wün- le Angst haben“, meint Obermaier – und sieht dabei schenswert. Es bleibe in der Europäischen Union noch großen Handlungs- deshalb als „saubere bedarf. Die Beispiele der Steueroasen Niederlande, Lösung“ nur die konse- Malta, Zypern oder Luxemburg zeigen es. quente Durchsetzung des Prinzips der „Sub- Obermaier gehör- sidiarität“. Aber auch te auch zum interna- ein solches „Maastricht tionalen Recherche- Wolfgang Wiegard: „Die Wäh- 2.0“ sei politisch we- rungsunion ist keineswegs in team, das im Herbst nig realistisch. Deshalb sicherem Fahrwasser.“ 2017 die Geschäfte hielt Wiegard das bis- der Kanzlei Appleby her praktizierte „Durchwursteln“ für die wahrschein- aufdeckte („Paradise lichste Variante, weshalb die Währungsunion auch Papers“). Die Unter- weiterhin instabil bleibe. lagen lassen in eine Welt blicken, die spe- ziell für die Bedürf- Bankenunion als Stabilitätsanker Frederik Obermaier war an den nisse der Großkon- globalen Recherchen zu den Entscheidend für die Stabilität der Währungsunion sei zerne, der Reichen Panama Papers beteiligt. die Einführung der Bankenunion, so Christoph Kase- und Superreichen zu- rer (TU München). Sie sei eingebettet in die interna- geschnitten wurde, um Steuern zu vermeiden. tionalen Basel-III-Vereinbarungen, mit denen das in-

22 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 BILDUNG | THEMA

Die Evolution des Bildungssystems In unserer Reihe „Denken am See“* wurde die Anpassung der Aus- und Weiterbildung an die veränderte Arbeitswelt diskutiert.

VOR ZEHN JAHREN hat Bundeskanzlerin Merkel die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen. Doch noch immer verlassen zu viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Der Übergang in eine Berufsausbil- dung bleibt für Jugendliche mit Hauptschulabschluss oder Migrationshintergrund schwierig. Gleichzeitig nimmt die Anzahl der Studienanfänger zu. Aber was © LIEBERMANN braucht die Gesellschaft? Wer fragt die Jugendlichen nach ihren Wünschen und Erwartungen an die Zu- nigen Bereichen zu einem Arbeitskräftemangel kom- kunft? Kann unser Bildungssystem überhaupt bei so men werde, der durch Automatisierung ausgeglichen divergierenden Interessenlagen reformiert werden? werden könne. Brauchen wir eine Bildungsrevolution? Digitale Qualifikationsanforderungen blieben ein Anpassungsbedarf sehr wichtiges Thema, allerdings benötigten nicht alle eine Weiterbildung, um weiterhin ihre Arbeit auszu- Unser duales Ausbildungssystem genießt einen sehr üben. Es gebe Einfacharbeiten, bei denen eine Auto- guten Ruf. Die Tatsache, dass Deutschland trotz mit- matisierung viel zu teuer wäre, und die demnach nicht telmäßiger Akademikerquote wirtschaftlich sehr gut verschwinden werden. Denkleistungen mit wenigen aufgestellt ist, könne man als Indiz für die Stärke der Variabeln hingegen würden vermutlich ersetzt wer- beruflichen Bildung in Deutschland sehen, so Fried- den. Dies würde aber nicht sofort zu einer Massenar- rich Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufs- beitslosigkeit führen, da in einer digitalen Welt neue bildung in Bonn. Allerdings müsse man das duale Sys- Stellen und Arbeitsformen entstehen. „Wie sich die tem hinterfragen, denn es passe nicht mehr zu vielen Qualifikationsstrukturen entwickeln werden, ist bran- Berufen, die von ihm repräsentiert sind. Jüngere Ge- chenabhängig zu sehen“, meinte Widuckel. nerationen hätten Anforderungen an die Flexibilität der Ausbildung und Entscheidungsfreiheit, die im du- Evolution statt Revolution alen System so nicht abrufbar seien. Eine neue Justie- rung könne man eventuell im deutschen, beziehungs- Die Trennung von beruflicher und akademischer Bil- weise europäischen Qualifikationsrahmen ansetzen. dung, die wachsende sozioökonomische Kluft und der feste Sockel der Ausbildungslosigkeit sind nur ei- Digitalisierung ist ein offener Prozess. Allerdings nige der Herausforderungen der Bildungswelt, wel- stehen viele der Digitalisierung skeptisch gegen- che Matthias Anbuhl erläuterte. Es gebe jedoch auch über, stellte Matthias Anbuhl, Leiter der Abteilung Bil- Möglichkeiten, dies zu verbessern, indem man bei- dungspolitik und Bildungsarbeit beim DGB, fest: „Die spielsweise eine Ausbildungsgarantie für alle Jugend- Propheten streiten über die Auswirkungen der Digita- lichen einführe, ein Weiterbildungssystem etabliere lisierung auf die Arbeitswelt.“ Arbeitsplätze könnten und lebenslanges Lernen finanziell fördere. Für die- wegfallen, zugleich gäbe es vermutlich eine gestei- se Schritte sei allerdings der Begriff „Revolution“ gerte Produktivität. vollkommen unpassend. Es gehe darum, die existie- renden Strukturen zu verbessern. Werner Widuckel Wir sollten nicht angstvoll auf Prognosen starren, brachte es auf den Punkt: „Es braucht eine Evolution sondern die Arbeitswelt gestalten. Werner Widuckel und keine Revolution.“ (Universität Erlangen-Nürnberg) sagte, es sei nicht Sara Borasio unbedingt eine Tragödie, wenn bestimmte Arbeits- Linktipp bereiche wegfielen. Die Babyboomer-Generation http://denk-doch-mal.de/wp/Ausgaben/04-17-hilft-nur- werde nicht demografisch ersetzt, so dass es in ei- eine-revolution-bildung-braucht-radikale-veraenderungen/

* In Kooperation mit der IG Metall und dem KAB Bildungswerk

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 23 THEMA | KULTUR

Am Rand der Gesellschaft 4. Filmgespräch am See mit Eva Mattes und Kai Wessel

DIE SPÄTESTENS SEIT ihrer Rolle als „Tatort“- Kommissarin Klara Blum einem großen Publikum bekannte Schauspielerin Eva Mattes und der Regis- seur Kai Wessel, der im vergangenen Jahr „Nebel im August“ herausbrachte, waren Gäste des von BR- Redakteurin Sylvia Griss („Capriccio“) moderierten 4. Filmgesprächs am See*. Als Ehrengast ebenfalls dabei: Regisseur und Oscar-Preisträger István Szabó.

Mattes und Wessel setzen sich oft in ihrem künst- lerischem Schaffen mit denen auseinander, die am Rande stehen, ausgestoßen werden aus der Gesell- schaft, in ihren Familien nicht zurechtkommen, gar als nicht erhaltenswertes Leben gelten. Die Regisseure Kai Wessel, István Szabó und Schauspielerin Eva Mattes (von links) waren Gäste des Filmgesprächs am See. Berühmt mit Skandalfilm © Haas (APB)

Mattes tat dies als geistig zurückgebliebene und kurz- Wessel fragte: „Wer steht eigentlich am Rand der sichtige Beppi 1972 im Theaterstück „Stallerhof“ (Au- Gesellschaft? Der Vorstandschef eines Automobil- tor: Franz Xaver Kroetz) oder als Vergewaltigungs- konzerns, der die Kunden jahrelang mit falschen Ab- opfer Phan Ti Mao im Anti-Vietnam-Film „o.k.“ (Regie gaswerten betrogen hat oder der Behinderte mit Michael Verhoeven). Der 1970 als anti-amerikanisch Down-Syndrom?“ empfundene Skandalfilm wurde auf der Berlinale ge- zeigt und die Festivaljury unter ihrem amerikanischen 90 Prozent Abtreibungsquote Präsidenten George Stevens gab den Film nach der Vorführung an die Auswahlkommission zurück. Nach Die Abtreibungsquote bei Down-Syndrom liege heu- heftigen Auseinandersetzungen musste die Berlinale – te bei 90 Prozent. Bei den Nazis habe der Staat getö- zum bisher einzigen Mal – abgebrochen werden. Prei- tet, jetzt überlasse man die Entscheidung über Leben se wurden nicht vergeben. Festivalleiter Alfred Bauer und Tod den Familien. In der Klinik Kaufbeuren-Irsee, trat vorübergehend zurück. Eva Mattes bekam für ihre in der Ernst Lossa einsaß, wurde übrigens auch nach Rolle den Bundesfilmpreis als beste Nachwuchsdar- dem Ende der Nazi-Diktatur weiter gemordet – mit stellerin. Sie war damals 15 Jahre alt. Billigung der amerikanischen Besatzer.

Systematische Tötung Eva Mattes berichtete von ihrer Arbeit mit Behin- derten – der Berliner Theatergruppe RambaZamba Weniger skandalträchtig, dafür umso aufwühlender und dem Stück „Der gute Mensch von Downtown“: und berührender ist der Film „Nebel im August“ von „Diese Menschen haben einfach eine andere geistige Kai Wessel, der nach einem dokumentarischen Ro- Ordnung. Sie sind besonders liebevoll und phantasie- man von Robert Domes gedreht wurde. Er erzählt die begabt.“ Diese Arbeit gebe ihr als Mensch und Schau- wahre Geschichte des 13-jährigen Ernst Lossa. Er ist spielerin sehr viel. ein „Jenischer“, Sohn fahrender Händler und Halbwai- Michael Schröder se, ein aufgeweckter, aber unangepasster Junge, der (siehe Presseschau Seite 35) von den Nazi-Behörden 1940 als „nicht erziehbar“ und „asozial“ eingestuft wird. Er kommt in eine Nerven- Linktipps: heilanstalt und bemerkt, dass dort Insassen systema- https://de.wikipedia.org/wiki/Kai_Wessel_ tisch umgebracht werden. Er setzt sich zur Wehr und http://www.fbw-filmbewertung.com/film/nebel_im_august versucht, den behinderten Patienten und Mitgefange- http://evamattes.com/ nen zu helfen. Schließlich kommt er selbst auf die To- https://www.berlinale.de/de/archiv/jahresarchive/1970/01_ desliste des Klinikchefs und wird 1944 ermordet. jahresblatt_1970/01_Jahresblatt_1970.html

* In Zusammenarbeit mit dem Starnberger Fünf-Seen-Filmfestival. Das Filmgespräch am See wurde am 16. September 2017 auf ARD-alpha gesendet und ist in der Mediathek verfügbar.

24 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 SOZIALPOLITIK | THEMA

Migration und Integration als Dauerbrenner der politischen Bildung Seit 50 Jahren beschäftigt sich die Ausländern in der Bundesrepublik eine rational(er)e Dis- kussion ermöglichen sollte. Es handelte sich dabei um Akademie mit praktischen Problemen den ersten größeren Versuch dieser Art in der gesam- ten Bundesrepublik, der auch über München hinaus in der Sozialarbeit mit Zugewanderten. anderen Großstätten mit Interesse verfolgt wurde.

BEREITS 1967 hat die Akademie begonnen, Fragen Im März 1984 wurde nach mehr als vierjähriger Tätig- der sozialen Integration von Zugewanderten als The- keit ein erster Bericht des „Projekts – Verbesserung der ma der politischen Bildung aufzugreifen. Im Zeichen Hilfen für ausländische Familien“ vorgelegt. Eine der des sogenannten „Wirtschaftswunders“ und des Ar- zentralen Erkenntnisse resultierte aus der gemeinsa- beitskräftemangels kam es zu Beginn der 1960er-Jah- men Erfahrung, dass eine wirkliche und weitergehen- re zur Anwerbung von Millionen von „Gastarbeitern“. de Verbesserung der Hilfen wohl nur dann zu erreichen Viele blieben auf Dauer und zogen ihre Familien nach. wäre, wenn „alle ‚einschlägigen‘ Dienststellen und Be- So wurde „aus der ‚Gastarbeiterfrage‘ (…) eine Ein- hörden in das Kooperationsgeschehen mit einbezogen wanderungsfrage, aus dem Arbeitskräfteimport eine würden, deren Tätigkeit und Entscheidungen existenti- importierte soziale Frage, die nicht einfach wieder ex- elle Bedeutung für ausländische Familien haben.“ Dem- portiert werden kann, weil es hier nicht um Gebrauchs- entsprechend wurde der Arbeitskreis um folgende In- artikel, sondern um Menschen geht“. So bereits da- stitutionen erweitert: Amt für Wohnungswesen, die mals der Migrationsexperte Klaus J. Bade. Abteilung für Sozialplanung, das Schul- und das Sozial- amt der Landeshauptstadt München, das Kreisverwal- Gegen Vorurteile – für Rationalität tungsreferat (Ausländeran- gelegenheiten) sowie das „Das sogenannte Gastarbeiter-Problem“, stand im Feb- Arbeitsamt München. Ab ruar 1967 im Mittelpunkt einer Akademietagung in Zu- 1985 saßen damit alle für sammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft „Ar- die ausländischen Famili- beit und Leben“. Ausgehend von der Tatsache, dass im en wichtigen Institutionen Juni 1966 in der Bundesrepublik über 1,3 Millionen Aus- in der bayerischen Lan- länder in allen Zweigen der Wirtschaft arbeiteten, wur- deshauptstadt an einem de danach gefragt, ob sich die (west-)deutsche Bevöl- Tisch. Später sind noch kerung inzwischen an die Gastarbeiter gewöhnt habe? weitere Einrichtungen hin- Auch seinerzeit hat es in allen Schichten starke Vorur- zugekommen: wie bei- teile gegen Ausländer gegeben und politische Gruppen spielsweise die Informati- versuchten, daraus Nutzen zu ziehen. So zog die rechts- onsstelle für Ausländer des extreme NPD 1966 mit 15 Abgeordneten in den Baye- BRK oder das Büro der/ Tagungsband des Tutzinger Symposiums „Vom Auswan- rischen Landtag ein und scheiterte 1969 bei den Bun- des Ausländerbeauftragten derungsland zum Einwande- destagswahlen nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. der Stadt München. rungsland“ 1982

Zweck der Tagung war es, zunächst einmal ein rea- Wie wichtig es ist, Netzwerke der Kooperation zu listisches Bild über die Lage speziell der Gastarbeiter bilden und Ansprechpartner zu benennen und konti- zu gewinnen, ihre Wirkung auf die wirtschaftliche Ent- nuierlich zusammenzubringen, hatte sich in München wicklung unseres Landes zu erörtern und nach Mög- bereits in den 1990er-Jahren mit den Bürgerkriegs- lichkeiten zu suchen, die grassierenden Vorurteile ge- flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ge- gen sie kritisch zu hinterfragen und auszuräumen. zeigt. Welche positiven Effekte diese frühen Koope- rationsanstrengungen in München gebracht haben, Ein wichtiger Schritt zur Konsolidierung der Auslän- hat sich gerade während des Sommers 2015 nach der der(sozial)arbeit stellte das Anfang der 1980er-Jahre – in Grenzöffnung erwiesen. Wegen der langen Erfahrun- Zusammenarbeit zwischen der Akademie und verschie- gen im Bereich der gemeinsamen Ausländer(sozial)- denen Münchner Wohlfahrtseinrichtungen – entwi- arbeit war man in München recht gut auf die Heraus- ckelte Modell-Projekt zur „Verbesserung der Hilfen für forderungen ab September 2015 vorbereitet. ausländische Familien“ dar. In der gemeinsamen Pla- nungsgruppe waren für die Akademie Klaus Grosch und „AKIA“ steht heutzutage für „Arbeitsgemeinschaft Karl-Heinz Willenborg vertreten. Sie konzipierten den Kooperation in der interkulturellen Arbeit“ und bleibt Teil, der auf der Grundlage aktueller Informationen und wichtiger Kooperationspartner der Akademie. Analysen von Wissenschaftlern über die Situation von Steffen H. Elsner

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 25 THEMA | ETHIK

Der neue Tutzinger Diskurs im Doppelpack

Der Tutzinger Diskurs etabliert sich am Krishantan gestalten das Big Data-Projekt, Chris- tian Hofmann und Juliane Schwab begleiten den als dauerhaftes Format. Gleich zwei Integrations-Diskurs. erfolgreiche Forschungsanträge Big Data im Diskurs Michael Spiekers ermöglichen, Big Data im Diskurs erforscht die Chancen und Risi- dass rund dreißig Experten in zwei ken, die sich durch die zunehmende Digitalisierung im Projekten aktuelle und kontroverse Gesundheitswesen ergeben. Der zweijährige Diskurs gliedert sich in zwei Phasen: Im ersten Jahr werden Themen angehen können. in vier Workshops in Tutzing Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet, wobei dieses Ergebnis in ei- Interdisziplinarität, Pluralismus und nem fünften Workshop in Zagreb mit südosteuropäi- Freiheit im Diskurs sowie die Suche schen Kooperationspartnern in einem internationalen Rahmen diskutiert wird. Im zweiten Jahr werden die nach philosophischer Begründung Diskursteilnehmenden ihre Kenntnisse und Erfahrun- gen in eigenen Projekttagen mit jungen Menschen prägen die Projekte. weitertragen. Eine Begleitforschung untersucht, in welcher Weise der Diskurs zur Bildung kritischer Ur- NACH DEM ERSTEN Tutzinger Diskurs „Gute teilkraft beitragen kann. Wissenschaft“ (2012/13) und einem weiteren zum Thema „Reproduktionsmedizin und Pränataldia- Wege der Integration gnostik“ (2015/16) geht der Tutzinger Diskurs nun in die 3. und 4. Runde. Das Bundesministerium für Der Integrationsdiskurs fragt, was „Erneuerung“ und Bildung und Forschung fördert für zwei Jahre das „Herstellung eines Ganzen“, so die ursprüngliche Be- Projekt „Big Data im Diskurs“ und das Bayerische deutung von „integratio“, im Hinblick auf eine Gesell- Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie schaft und besonders in Deutschland und Bayern be- und Integration finanziert über 15 Monate den Dis- deuten. Dabei soll auch die Frage nach dem Verhältnis kurs „Wege der Integration“. Für diese Zeit werden der kulturellen Integration zu strukturellen Aspekten an der Akademie fünf weitere Projektmitarbeiter tä- wie Arbeit, Wohnen oder Bildung untersucht werden. tig sein – Ludwig Krüger, Jana Funk und Balasundar- Das Ziel ist, Wege der Integration aufzuzeigen. Ludwig Krüger Michael Spieker

Weitere Informationen auf www.tutzinger-diskurs.de

Die Teams der beiden neuen Tut- zinger Diskurse: Jana Funk, Chris- tian Hofmann, Michael Spieker, Ludwig Krüger, Juliane Schwab und Balasundaram Krishantan (von links) © Meyer (APB)

26 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 INTERNATIONALE POLITIK | THEMA

Vertrauensverlust in den transatlantischen Beziehungen Donald Trump ist der erste US-Präsident, der das transatlantische Bündnis in Frage stellt und es einem ökonomischen Nutzenkalkül unterwirft. Die Partner diesseits des Atlantiks eint die Sorge, ob sie sich auf die USA noch verlassen können. © STUTTMANN

IM FRÜHJAHR 2017 absolvierte Donald Trump „America First“ als eine Art vorideologische Mentalität seine erste Auslandsreise: Neun Tage für den Nahen begreifen. Trump gelinge es, dieser Mentalität durch Osten und Europa. Seine Rede im NATO-Hauptquar- eine starke Rhetorik breite Öffentlichkeit zu verschaf- tier und das Ausbleiben eines Bekenntnisses zur Bei- fen, stellte Steffen Hagemann (TU Kaiserslautern) fest. standsgarantie werden zum Sinnbild für seine Hal- Sie könne durchaus machtvoll und eskalierend wirken. tung gegenüber der transatlantischen Partnerschaft: „Der hat uns einfach den Stinkefinger gezeigt“, resü- Abkehr vom Multilateralismus mierten diplomatische NATO-Kreise. Bundeskanzlerin Merkel nahm daraufhin die Mitgliedstaaten der EU in Allerdings wird die gegenwärtige sicherheitspoliti- die Verantwortung und zeigte die künftige Richtung sche Komplexität der Welt durch populistische Ant- auf: Es sei an der Zeit, dass die Europäer ihr Schicksal worten wenig adäquat aufgegriffen. Trumps einfache nun „wirklich in die eigene Hand nehmen müssen.“ Antworten bleiben konkrete Umsetzungsmöglich- Unsere Sommerakademie Internationale Politik frag- keiten schuldig. Und so folgt seinen schrillen Wor- te nach den Folgen der Präsidentschaft Trumps für die ten bislang eine eher gemäßigte Politik, sagte Carolin transatlantischen Beziehungen. Busch (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft IABG, München). So bekannte sich Trump zur Bündnisver- Weder Demagoge noch Ideologe pflichtung innerhalb der NATO, wenn auch reich- Donald Trump regiert nach seinem im Wahlkampf ver- lich spät. Ein erster Blick sprochenen Narrativ „America First“. Der Slogan sei- auf seine Außenpolitik ner Kampagne („Make America great again“) ist aller- lässt konkrete Tenden- dings nicht neu, sondern mehr als dreißig Jahre alt. Er zen erkennen. Lukas geht auf den Wahlkampf Ronald Reagans zurück, der Herr (TU Kaiserslautern) bereits 1980 gegen das identifizierte einen aus- politische Establishment geprägten Nationalis- wetterte. Torben Lütjen mus, der sich stark an (Max Kade Center for den ökonomischen Inte- European and German ressen der USA ausrich- Carolin Busch: „Schrillen Worten Studies, Nashville) gab te und internationalen folgt eine eher gemäßigte Entwarnung: Trump sei Verpflichtungen weni- Politik.“ kein totalitärer Dema- ger Bedeutung beimes- goge, der die Demokra- se. Genau diese Abkehr vom Multilateralismus ent- tie in den USA abschaf- faltet nachhaltige Folgen für die partnerschaftliche fen wolle. Hinter seinem Kooperation innerhalb bestimmter Politikfelder. Narrativ stecke auch keine ausgefeilte politi- Torben Lütjen: „Trump will die Der Zusammenarbeit im Bereich der Terrorismu- Demokratie in den USA nicht sche Ideologie. Vielmehr abschaffen.“ sabwehr liegen aufgrund unterschiedlicher Erfahrun- müsse man die Idee des © APB gen mit Terrorismus auch unterschiedliche Bedro-

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 27 INTERNATIONALE POLITIK

hungsmuster zugrunde. Europa war bereits vor dem 11. September 2001 von häufigen Anschlägen kleine- ren Ausmaßes betroffen. Die Täter stammten meist aus den betroffenen Ländern. Für die USA hingegen sei das Datum bis heute ein traumatisches Ereignis. Es habe sich in einem gesamtgesellschaftlichen Ge- fühl einer von außen kommenden Bedrohung mani- festiert, so Andrea Rotter von der Hanns-Seidel-Stif- tung. Demnach würde der globale, grenzenlose Kampf gegen den Terrorismus, wie ihn bereits die Bush- Administration prägte, in Europa schon immer anders bewertet. Sowohl unter der Bush- als auch unter der Obama-Administration zielte die transatlantische Zu- sammenarbeit auf die Harmonisierung verschiedener Bewältigungsstrategien ab. Die dysfunktionale Füh- rung der Trump-Regierung hingegen unterminiere die Donald Trump spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung in bereits erreichten Schritte, wie sich etwa in der Lo- Phoenix, Arizona. ckerung der Obama-Richtlinien für die gezielte Tötung © Gage Skidmore / flickr.com / CC BY-SA 2.0 durch Drohnen oder einer konsequenten Vernachläs- sigung ziviler und gesellschaftlicher Ansätze zeige. Nach einem knappen Jahr der Präsidentschaft Trumps fällt das Resümee für die transatlantischen Bezie- „America First“ hungen nüchtern aus: Ihr zentrales Element, das mo- ralische Vertrauen in den Partner USA, sei stark be- Eine ähnliche Wirkung entfaltet das Narrativ „America schädigt, fasste Florian Böller (TU Kaiserslautern) First“ auch in der Klima- und in der Handelspolitik. Ge- zusammen. rade die transatlantischen Handels- und Investitions- beziehungen sind hochgradig voneinander abhängig Vertrauensverlust und verwoben. Trumps einseitige Forderung an die transatlantischen Partner, ihre Märkte für US-ameri- Die weltpolitische Stellung der USA beruhe nicht al- kanische Waren und Dienstleistungen zu öffnen, ver- lein auf ihren materiellen Ressourcen. Zentral sei kenne die Zusammenhänge, sagte Julia Howald vom ihre Anerkennung als Führungsmacht. Deren Legi- Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). So timität sei derzeit aber durch die Inkonsistenz der seien etwa die deutschen Direktinvestitionen in den US-amerikanischen Außenpolitik unterminiert. Ein- USA deutlich höher als die US-amerikanischen Direkt- zig das strategische Vertrauen in die institutionellen investitionen in Deutschland. Strukturen, wie die NATO, sei von dieser Krise unbe- rührt geblieben und fungiere derzeit als Hoffnungs- Stärkung fossiler Energie schimmer. Nicht nur, aber auch aufgrund der Außen- politik Trumps eröffnet Was „America First“ sich für die EU eine ein- für die Klima- und Ener- zigartige Chance, als giepolitik bedeutet, ist starker und souveräner alarmierend: Im Grund- Akteur in den transat- satz ziele die Regierung lantischen Beziehungen Trump darauf ab, alles aufzutreten. Die Fort- rückgängig zu machen, führung der Integration was die Obama-Admi- in den EU-Außenbezie- nistration auf den Weg hungen, deutliche In- gebracht hat, stellte vestitionen in den Auf- Sonja Thielges (Institute bau ziviler, aber auch Sonja Thielges beschrieb Trumps Florian Böller sieht das Vertrau- for Advanced Sustaina- Rückwärtskurs in der Klima- und en in den Partner USA stark be- militärischer Strukturen bility Studies, Potsdam) Energiepolitik. schädigt sind notwendige Schrit- fest. Hinter seinem Ziel, te, die die EU insbeson- Arbeitsplätze in den USA selbst zu schaffen, schöp- dere seit Lancierung ihrer neuen Globalen Strategie fe Trump alle Möglichkeiten aus, politisch zu wirken. 2016 auf den Weg brachte. Interessant ist hier auch Das bedeute unter anderem eine Stärkung fossiler die Rolle der Bundesrepublik: Eine mutige, multila- Energieträger, die Steuerung der Umweltpolitik durch terale Außenpolitik hat das Potential, Europa insge- Streichungen im Haushalt oder die drastische Kür- samt zu stärken. zung von Mitteln für Forschung und Entwicklung. Anja Opitz

28 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 POLITIKWISSENSCHAFT | THEMA

Zur Lage der Nation

ZAHLREICHE RENOMMIERTE Fachvertreterin- der Identifikation mit der nationalsozialistischen Ideo- nen und -vertreter der deutschen Politikwissenschaft logie, erfolgten dabei laut Wolffsohn häufig zu ande- diskutierten unter dem Titel „Zur Lage der Nation. ren, meist viel früheren Zeitpunkten, als gemeinhin Konzeptionelle Debatten, gesellschaftliche Realitä- angenommen. Dass sich dieser facettenreiche Ein- ten, internationale Perspektiven“* über die Bedeu- stellungswandel vollziehen konnte und kann, liege tung der Nationalstaaten. Vor kurzer Zeit galten sie an den sich ebenfalls wandelnden Rahmenbedingun- als nur noch von historischem Interesse. Dies hat gen, durch die die Menschen gewissermaßen „um- sich unter dem Eindruck einer zunehmenden Globa- programmiert“ würden. Wolffsohn machte jedoch lisierungskritik und der jüngsten Migrationsströme keinen Hehl daraus, dass er nicht jede dieser Verän- deutlich gewandelt. derungen in den Einstellungen zur Nation oder deren Selbstverständnis für eine positive Entwicklung hält. Der Historiker (Universität der Besonders kritisch äußerte er sich zur „moralischen Bundeswehr München) analysierte Kontinuitäten und Großmannssucht“, mit der Deutschland seines Erach- Brüche in den Einstellungen der Deutschen zu ver- tens zuletzt auf internationaler Ebene agiere. schiedenen Aspekten ihrer Nation seit dem Kaiser- reich. Dabei nahm er vor allem die „kleinen“ Leute Umstrittene Funktionalität und weniger die Positionseliten in den Blick. Verände- rungen, etwa beim Verhältnis zur Obrigkeit oder bei Auf dem Panel zu den konzeptionellen Grundlagen der Nationalstaaten ging Samuel Salzborn (Univer- sität Gießen) dem Spannungsverhältnis von Ethnizi- Trauer um Sylke Tempel tät, Homogenität und Nation nach, während Hans- Christof Kraus (Universität Passau) die historischen Nicht nur auf dem Podium, auch während der Dis- Voraussetzungen und gegenwärtige Bedeutung von kussionen im und außerhalb des Auditoriums war Nationen und Nationalstaaten untersuchte. Deren Sylke Tempel bei dieser Tagung sehr präsent. Man Funktionalität und Zweckmäßigkeit sei nach wie vor spürte deutlich, dass sie von vielen Teilnehmerin- unumstritten, so Kraus, zumal ein alternatives, prak- nen und Teilnehmern als engagierte Expertin für tikableres Ordnungsmodell nicht in Sicht sei. Für die Außenpolitik und Internationale Beziehungen ge- Ebene der internationalen Ordnungen wurde dieser schätzt wurde und ihr Rat sehr gefragt war. Befund von Hans W. Maull (Universität Trier) und Syl- ke Tempel (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Po- Die ebenso fein- wie litik) auf dem folgenden Panel bestätigt. Die bemer- scharfsinnige Analy- kenswerte Offenheit der Internationalen Politik, vor tikerin forcierte seit allem die Erosions- und Desintegrationstendenzen in- 2008 als Chefredak- nerhalb der liberalen internationalen Ordnung verlang- teurin der Zeitschrift ten geradezu eine nachhaltige Konsolidierung der na- „Internationale Politik“ tionalstaatlichen Ordnungen als Korrektiv. strategische Debat- ten innerhalb der Fach- Hinsichtlich der Herausforderungen auf der gesell- welt, war darüber hin- schaftlichen Ebene riet Tilman Mayer (Universität aus aber auch einem Bonn) dazu, auch in Demokratien größere Sensibili- Sylke Tempel 1963 – 2017 breiten Publikum aus tät für den vorpolitischen Raum aufzubringen, weil verschiedenen Medi- in ihm die politische Kultur geprägt werde. Werner en als Interview- und Diskussionspartnerin bekannt. J. Patzelt (TU Dresden) analysierte den zunehmen- Sie engagierte sich in vielen Netzwerken und un- den Populismus, den er als Indikator für tatsächliche terstützte unter anderen als Vorsitzende der Verei- Funktionsstörungen der repräsentativen Demokra- nigung „Women in International Security Deutsch- tie charakterisierte. Folglich müsse sich deren Per- land“ junge Forscherinnen auf ihrem Weg. Der formanz verbessern oder Politik zumindest nachvoll- Lebensweg von Sylke Tempel nahm am 5. Oktober ziehbarer erläutert werden, um Populisten den Wind 2017 im Sturm „Xavier“ ein jähes Ende, als sie auf aus den Segeln zu nehmen. Dabei dürfe man, so Pat- der Rückfahrt von einem Termin mit Bundesaußen- zelt, auch den „kommunikativen Nahkampf“ mit Po- minister in Berlin von einem Baum pulisten nicht scheuen, wenn man ihnen wirksam be- erschlagen wurde. Sie wird uns sehr fehlen. gegnen möchte. JS Jörg Siegmund

* 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft e.V. (DGfP)

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 29 THEMA | ZEITGESCHICHTE

Mörderische Zusammenarbeit Zum 75. Jahrestag der Massendeportationen von Juden aus Frankreich

Am Institut français in München diskutierten deutsche und französische Historiker, wie französische Behörden an dem von Deutschen initiierten Holocaust beteiligt waren.

IHM STÜNDEN ZÜGE ZUR DEPOR- TATION von Juden in den Osten zur Ver- fügung, erklärte der Chef des Reichssicher- heitshauptamts, Reinhard Heydrich, im Mai 1942. Sein Gesprächspartner, der französi- sche Polizeichef René Bousquet, horchte auf. Bousquet witterte sofort eine Chance, „uner- wünschte“ ausländische Juden loszuwerden, Festnahme von Juden in Paris 1941 die sich in Lagern der französischen Polizei in © Bundesarchiv Bild 183-B10816 der unbesetzten Zone im Süden Frankreichs befanden. Der französische Polizeichef fragte darauf- Nur wenige Tage zuvor hatte der neue französische hin Heydrich, „ob nicht auch die über eineinhalb Jah- Staatspräsident Emmanuel Macron zu den Massen- re im unbesetzten Gebiet internierten Juden mit ab- verhaftungen 1942 erklärt: „Es war Frankreich, das transportiert werden könnten“? die Razzia organisierte und später die Deportation.“ Macron ergänzte: „Nicht ein einziger Deutscher“ In den Folgemonaten einigten sich Deutsche und habe an den Razzien teilgenommen. Franzosen in einem mörderischen Tauschgeschäft darauf, dass Frankreich 10 000 Juden aus der unbe- Späte Entschuldigung setzten Zone an Deutschland ausliefern könnte, im Gegenzug aber für die deutsche Besatzungsmacht Der Staatspräsident erkannte damit erstmalig eine weitere 10 000 Juden in der besetzten Zone Frank- umfassende Verantwortung Frankreichs für dieses reichs zu verhaften habe. Die Mas- Verbrechen an. Macron reagier- sendeportationen im Sommer te dabei auf Äußerungen der und Herbst 1942 von Juden aus rechtsextremen Politikerin Mari- Frankreich sind eine mörderische ne Le Pen, die während des Präsi- Konsequenz einer deutsch-fran- dentschaftswahlkampfes im April zösischen Interessenshomogeni- 2017 behauptet hatte, Frankreich tät. 1942 wurden 42 000 Juden sei „nicht verantwortlich“ für die deportiert, meist in das Konzen- Massenverhaftungen. Zudem er- trationslager Auschwitz. Nach weiterte Macron eine noch relativ zehn Wochen waren bereits allgemein gehaltene Entschuldi- 80 Prozent der Verschleppten er- gung des französischen Präsiden- mordet worden. ten Jacques Chirac aus dem Jahr 1995. Er hatte zwar erstmals eine Bei unserer Veranstaltung in gewisse Verantwortung Frank- München diskutierten die Histori- reichs für die Geschehnisse 1942 ker Jean-Marc Dreyfus (Universi- anerkannt, jedoch auch betont, die ty of Manchester), Bernd Kasten französische Polizei habe allein auf (Universität Rostock) und Micha- deutschen Befehl gehandelt. el Mayer (Akademie für Politische Bildung) die französische Betei- Bei der Diskussion am Institut ligung an diesem von den Deut- Verhaftung von Juden im besetzten Paris 1941 français wurde intensiv über die schen initiierten Massenmord. © Bundesarchiv Bild 183-B10813 französische Verantwortung de-

30 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 ZEITGESCHICHTE

battiert. Michael Mayer betonte dabei die Konti- nuitätslinien des franzö- sischen Antisemitismus aus der Zwischenkriegs- zeit, die während des Vichy-Regimes (1940 bis 1944) kulminierten. Bereits seit 1933/34 habe es faktische Be- rufsverbote für auslän- dische Juden für die Deutsch-französischer Austausch über die französische Beteiligung am Holocaust: Jean-Marc Dreyfus, Bereiche Medizin, Jus- Michael Mayer und Bernd Kasten (von links) tiz und Staatsverwal- © Borasio (APB) tung gegeben. Zudem hätten die Säuberungen der französischen Verwal- gab. Die Vichy-Regierung wollte 1942 ausländische tung von Kommunisten, Juden und Freimaurern be- Juden aus dem Lande treiben und beteiligte sich des- reits im September 1939 begonnen und seien im Ap- halb bereitwillig am Holocaust. Als jedoch die deut- ril 1940, also noch vor der deutschen Invasion im Mai, schen Sicherheitsbehörden auch die Deportation verschärft worden. Die für Frankreich traumatisieren- französischer Juden forderten, bremste das Vichy-Re- de Niederlage im Mai/Juni 1940 habe zu einer Radi- gime. Dies geschah jedoch nicht aus einer den Juden kalisierung geführt. Deshalb wurde im Sommer und gegenüber wohlgesonnen Haltung heraus: Der fran- Herbst 1940 ein umfassendes Gesetzespaket zur Ver- zösischen Regierung erschien es als unzulässiger Ein- folgung und Internierung ausländischer Juden sowie griff in die französische Souveränität, wenn französi- der Segregation französischer Juden beschlossen. sche Staatsangehörige deportiert wurden. Französische Arisierungspolitik

Jean-Marc Dreyfus ergänzte, dass die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden in Frankreich im Septem- ber 1940 von den deutschen Besatzungsbehörden in- itiiert worden sei. Die französische Verwaltung habe jedoch verhindern wollen, dass Deutsche Zugriff auf jüdische Unternehmen in Frankreich erhielten. Aus diesem Grunde habe das französische Produktions- ministerium die Enteignung jüdischen Vermögens in die Hände genommen und auf diese Weise erfolg- reich einen deutschen Einfluss verhindern können. Die deutschen Initiativen hätten damit, so Dreyfus, den Anstoß zu einer eigenen französischen Arisie- rungspolitik gegeben. Französische Polizei verhaftet auf Weisung der deutschen Besatzer Bernd Kasten wiederum informierte über die Hal- Juden in Paris und nimmt die Personalien auf (August 1941). tung der französischen Polizeiorgane. Diese hätten bis © Bundesarchiv Bild 183-B10921 Ende 1943 ausgesprochen loyal und effektiv die Befeh- le der französischen Regierung ausgeführt. Erst 1944 Dabei wurden sogar bewusst ausländische Juden ge- hätte die französische Polizei immer weitgehendere opfert, um Franzosen zu schützen: Im Herbst 1942 Auflösungserscheinungen gezeigt. Dreyfus betonte wollten die deutschen Polizeibehörden 1 300 französi- jedoch, dass auch in der ersten Jahreshälfte 1944 wei- sche Juden, die sich in Lagern in Frankreich befanden, terhin eine größere Anzahl von Juden deportiert wor- nach Auschwitz deportieren. Um dies zu verhindern, den seien, zusammen etwa 16 000 Menschen. verhaftete die französische Polizei 1 300 ausländische Juden und übergab sie den deutschen Stellen mit der Bereitwillige Beteiligung Bitte, die französischen Juden zu verschonen. Trocken kabelte der Vertreter des Reichssicherheitshauptam- Insgesamt zeigte sich in Frankreich, dass die franzö- tes in Paris, Helmut Knochen, im Februar 1943 nach sischen Behörden solange mit der deutschen Besat- Berlin: „Es ist klar, daß beide Kategorien von Juden in zungsmacht zusammenarbeiteten, wie es kongruen- diesem Falle abtransportiert wurden“. te Zielsetzungen zwischen Deutschen und Franzosen Michael Mayer

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 31 THEMA | ZEITGESCHICHTE

1917 – ein Epochenjahr der Weltgeschichte Der Erste Weltkrieg bringt nicht nur einen Paradigmenwechsel in der Militärtechnik – auch eine wahre Explosion von Gewalt ist Ausdruck aufeinanderprallender Epochen.

EPOCHEN SIND bekanntlich ein wissenschaftli- ches Konstrukt, doch notwendig, um strukturiert zu forschen. Die Umwälzungen vor 100 Jahren werden Ein britischer Soldat im Stellungskrieg an der Somme im Juli 1916 häufig als Beginn der Zeitgeschichte gehandelt. Kön- © John W. Brooke (Nr. Q 3990 Imperial War Museums) nen diese Wendepunkte jedoch auf ein einzelnes Jahr datiert werden? Anhand zeitgenössischer Einschätzun- flexibler und kleingliedriger aufgestellt. Die alliierten gen fragten Experten, ob die Bezeichnung Epochen- Gewinner hielten auch später im Zweiten Weltkrieg jahr für 1917 gerechtfertigt ist und welche Formen von an altbewährten Strategien fest und ließen sich zu- Staatlichkeit und Zusammenleben die „richtigen“ sind. nächst von der Neuartigkeit der gegnerischen Kriegs- führung überrumpeln. Laut Neitzel hat das Festhalten Peter März, Historiker im Bayerischen Kultusmi- an Traditionen die britischen Streitkräfte noch bis in nisterium und Klaus Schwabe (ehemals Technische die 1980er-Jahre beeinflusst. Hochschule Aachen) sind sich einig: US-Präsident Wil- son sorgte mit seiner Rede im April 1917 für eine Neu- Die russische Revolution ausrichtung des amerikanischen Selbstverständnis- ses. Denn die Entscheidung zum Kriegseintritt mittels „Die Not kennt kein Gesetz – sie schafft Gesetz“, einer „Peace Without Victory“-Formulierung beruht erklärte Jörg Baberowski von der Berliner Hum- nicht auf imperialen oder wirtschaftlichen, sondern boldt-Universität. Nachdem Anfang 1917 die bürger- vordergründig auf moralischen Grundlagen. Damit er- liche Revolution das Zarentum in Russland zu Fall fand Wilson die amerikanische Außenpolitik neu, so- gebracht hatte und die neue Regierung an der Beteili- dass die USA fortan die internationale Stellung eines gung am Ersten Weltkrieg festhielt, eroberten die Bol- friedlichen Hegemons annahmen. Noch zum Jah- schewiki unter Lenins Führung während der Oktober- resende 1917 entwickelte Wilson seinen 14-Punkte- revolution die Macht. Lenin und sein Vertrauter Leo Plan für eine europäische – wenn nicht gar weltwei- Trotzki waren demnach Schlüsselfiguren einer Revo- te – Friedensordnung. Der Verlauf der Geschichte hat lution, „die sich nicht auf die Gesetze berufen konnte, die Nachwirkungen dieses Handelns sogar über den die es zu stürzen galt“. In der zeitgenössischen Ein- Zweiten Weltkrieg hinaus gezeigt. schätzung von Carl Schmitt hat sich Lenin somit zum souveränen Diktator aufgeschwungen – durch ge- Neuer Krieg schicktes Auftreten konnte er den Ausnahmezustand durchsetzen, um eine neue gesellschaftliche Ordnung In der Hochphase des Ersten Weltkriegs galt der Zep- zu etablieren. Lenins Diktatur berief sich im Verlauf pelin zunehmend als Auslaufmodell. Flugzeuge lös- der Jahre auf „Ziele, die in der Zukunft liegen“. Eine ten die Luftschifffahrt ab und werden in einem zuvor echte Legitimation fehlte, einzig die Angst vor erneu- nie dagewesenen Bombenkrieg eingesetzt. Die Mög- ten Unruhen festigte den Machtanspruch. Baberows- lichkeit des Angriffs aus der Luft ließ „den Geist ei- ki schlussfolgert: „Mit der Diktatur ist es wie mit den nes rationalen Kriegsdenkens aus der Flasche“, sag- Kriegen: Man kann leicht beginnen, sofern man die te Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Macht dazu hat. Doch genau wie Kriege können Dik- Potsdam. Es folgte die Kriegsführung mittels Panzern, taturen niemals zu Ende gedacht werden.“ U-Booten oder dem Einsatz von Gas. Moralische und rechtliche Debatten über diese neuen Techniken ka- Das Fazit der Tagungsleiter: Das Jahr 1917 trennt men auch in den nächsten Jahrzehnten kaum auf, be- das 20. Jahrhundert wie kein anderes: Eintritt der sagter Geist war kaum noch einzufangen. USA in den Ersten Weltkrieg, Revolution in Russland und Zerfall des Osmanischen Reichs. Die Entgren- Eine weitere Erkenntnis: Nur Kriegsverlierer entwer- zung in Politik und Gesellschaft, Geografie und Mili- fen neue Konzepte für Kriegsführung. Die Verlierer von tär markiert eine Zeitenwende, deren Auswirkungen 1918 verwarfen die Strategie des Stellungskriegs. Vor noch bis heute zu spüren sind. allem die deutschen und russischen Armeen wurden Sebastian Meyer

32 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 AKADEMIE INTERN

„Eingeschlagenen Kurs erfolgreich weiter verfolgen“ Direktorin Prof. Ursula Münch für zweite Amtszeit ernannt

BAYERNS KULTUSMINISTER Ludwig Spaen- le hat unserer Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursu- la Münch die Urkunde für ihre zweite Amtsperiode überreicht und gratulierte: „Ich freue mich, dass Pro- fessorin Münch den unter ihrer Führung eingeschla- genen Kurs der Akademie für Politische Bildung in den kommenden sechs Jahren erfolgreich weiter ver- folgen kann. Mit einer erfahrenen Direktorin an der Spitze wird die Akademie auch in Zukunft innovati- ve Impulse setzen und wertvolle Beiträge zur politi- schen Bildungsarbeit leisten.“ Er ergänzte: „Aktuel- le Wahlergebnisse zeigen deutlich, wie wichtig die politische Bildungsarbeit auf der Grundlage unserer Bayerischen Verfassung und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist.“ Ursula Münch war im Sommer vom Kuratorium einstimmig wiederge- Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle überreichte Ursula Münch die Ernennungsurkunde für die zweite Amtszeit als Akademie- wählt worden. direktorin bis 2023. Michael Schröder © BStMBKWK

7. Platz beim Starnberger Landkreislauf am Ammersee AUCH BEIM DIESJÄHRIGEN Starnberger Landkreislaus in In- ning am Ammersee überzeugte das Akademieteam mit einer gu- ten Platzierung in der oberen Hälf- te des Starterfelds. Aus der Titel- verteidigung der Firmenwertung wurde zwar nichts, das tat dem Spaß auf und neben der Rennstre- cke aber keinen Abbruch.

Auch ehemalige Praktikanten und ein Kooperationspartner – in Person des Präsidenten der Bay- erischen Ingenieurekammer-Bau – trugen maßgeblich zum guten Er- Tolle Mannschaftsleistung: Das nicht mehr ganz komplette Akademieteam gebnis bei. © APB GK

Wechsel im Vorstand des Förderkreises

SEIT DER GRÜNDUNG des Förderkreises 1988 zur Verfügung gestellt. Neu im Vorstand sind als war der Tutzinger Kommunalpolitiker Gernot Abendt Schatzmeister Herbert Klein, als Schriftführerin Sig- sein Vorsitzender. Nun hat er die Aufgaben in neue rid Friedl-Lausenmeyer sowie Renate Heinz als Bei- Hände übergeben: Sein Nachfolger ist der Tutzinger sitzerin. Im Amt bestätigt wurden der 2. Vorsitzende Anwalt Dr. Ernst Lindl (bisher Schatzmeister). Wir Heinrich Oberreuter sowie Elisabeth Dörrenberg als danken Gernot Abendt für die geleistete Arbeit und Beisitzerin. Wir danken allen ausgeschiedenen Vor- sein Engagement, ohne das vieles in der Akademie standsmitgliedern für ihren Einsatz und freuen uns so nicht möglich gewesen wäre. Immerhin wurden auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Vorstand. seit der Gründung vor 29 Jahren rund 190 000 Euro MS

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 33 NEUERSCHEINUNGEN | REZENSIONEN

Medien Big Data – In den Fängen der Datenkraken Die (un-)heimliche Macht der Algorithmen

DIE SCHÖNE NEUE DIGITALE WELT hat ihren Preis. Bezahlt wird mit der Weitergabe persönlicher Daten – beim Einkaufen, beim Autofah- ren, beim Chatten und Surfen. Von den dafür nötigen intelligenten Algo- rithmen geht eine potentielle Gefahr für eine freiheitliche Gesellschaft aus. Sie analysieren, prognostizieren und berechnen uns. Big Data und Data Mining heißen die Geschäftsmodelle der Zukunft. Was bedeutet das für Politik, Wirtschaft, den Journalismus und die po- Michael Schröder / litische Kommunikation? Müssen Grundrechte und Menschenwürde ge- Axel Schwanebeck (Hrsg.) gen die digitale Revolution verteidigt werden? Brauchen wir neue Geset- Big Data – In den Fängen ze und eine Ethik der Algorithmen? Und wie funktionieren Politik, Medien der Datenkraken und freiheitliche Demokratie unter den genannten Bedingungen? Die (un-)heimliche Macht der Algorithmen. Experten aus verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft, dem Jour- nalismus und der Politik diskutieren diese zukunftsweisenden und ge- Nomos, Baden-Baden 2017 sellschaftlich relevanten Fragen. ISBN: 978-3-8487-4147-2, 163 Seiten, 24,00 Euro Mit Beiträgen von Johanna Haberer, Yvonne Hofstetter, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Klaus Mainzer, Daniel Moßbrucker, Peter Schaar, Michael Schröder, Axel Schwanebeck und Thomas Zeilinger.

Bildungsphilosophie Disziplin – Gegenstandsbereich – Politische Bedeutung

DER BAND diskutiert Grundbegriffe und normative Orientierungen von Bildungspolitik und pädagogischem Handeln. Damit die Bildungsphilo- sophie den Raum der philosophischen Reflexion über bildungspolitische und pädagogische Grundsatzfragen bildet, muss sie ihre eigene diszipli- näre Identität klären und ihren Standort zwischen „allgemeiner“ Philoso- phie, diversen anderen philosophischen Teildisziplinen und den Bildungs- und Erziehungswissenschaften bestimmen. Dem ist der erste Teil des Bandes gewidmet. Der zweite Teil demonstriert, mit welchen Themen und methodischen Michael Spieker / Zugängen sich bildungsphilosophische Erkundungen befassen. Dabei Krassimir Stojanov (Hrsg.) werden zentrale epistemologische und wissenschaftstheoretische Fra- Bildungsphilosophie gestellungen von Bildungsforschung und praktischer Pädagogik aufge- Disziplin – griffen sowie das bildungsphilosophische Gedankengut „klassischer“ Gegenstandsbereich – Autoren rekonstruiert. Politische Bedeutung. Tutzinger Studien zur Politik, Schließlich finden sich im dritten Teil des Bandes Aufsätze zu aktuellen Band 9 Fragestellungen von Bildungspolitik und politischer Bildung aus philoso- Nomos, Baden-Baden 2017 phischen Perspektiven. ISBN: 978-3-8487-3169-5, 362 Seiten, 69,00 Euro

34 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 MEDIENSPIEGEL

Akademie-Veranstaltungen im Spiegel der Medien

© ANDREAS HERMSDORF / PIXELIO.DE

Süddeutsche Zeitung, 2. August 2017 Tödlicher Himbeersaft Eva Mattes und Kai Wessel disku- tieren in Tutzing über „Menschen am Rande der Gesellschaft“.

... SCHAUSPIELERIN Eva Mattes glänzt, Regisseur Kai Wessel („Das Sommeralbum“, „Goebbels und Ge- Eva Mattes und Kai Wessel waren Gäste beim Filmgespräch. duldig“, „Nebel im August“) argumentiert ruhig und be- © Haas (APB) sonnen, und Sylvia Griss („Capriccio“, „TTT“) moderiert elegant. Eines der Resümees: Der Umgang mit Be- Down-Syndrom, von deren Empathie jeder nur lernen hinderten in diesem Land ist immer noch hochproble- könne. 2016 stand „Der gute Mensch von Downtown“ matisch. Was die Nazis staatlich zu regeln versuchten, auf dem Spielplan, Mattes gab eine Mischung aus Erz- „lösen wir jetzt demokratisch“ und „überlassen es engel und Vogelwesen. „Ich kann gar nicht sagen, wie den einzelnen Familien“, sagt Wessel, auch wenn das großen Spaß es macht, mit denen zu spielen.“ jetzt hart klinge und er sich auf dünnem Eis bewege. Wessel wiederum, der Mattes und deren Tochter Vielleicht ist es ja nur eine Sache der Definition, aber Hanna für seinen zweiten Film „Sommeralbum“ be- bald kommt bei der Debatte im gut besetzten Audi- setzt hatte, berichtet von seinem Drama „Nebel im torium des Hauses die Frage auf, ob im Grunde nicht August“ nach dem gleichnamigen Roman von Ro- jeder ernstzunehmende Film von Menschen am Ran- bert Domes. Die Geschichte dreht sich um die Klinik de handelt, wie Wessel sagt. Eva Mattes, dem zwei- Kaufbeuren-Irsee und das grauenhafte Euthanasie- ten Ehrengast des Filmfestivals, fällt auf, wie sehr sie programm der Nazis. Kinder werden mit Barbitura- selbst mit diesem Thema über all die Jahre beschäf- ten umgebracht, die in Himbeersaft aufgelöst sind. tigt war. Als sie mit 15 anfing, „war ich der richtige Typ Der 14-jährige Ernst Lossa lehnt sich auf gegen den zur richtigen Zeit“, sagt sie. Und: Sie wollte immer mit Irrsinn, er kommt am Ende selbst auf die Todesliste. guten Leuten arbeiten, sei es mit Michael Verhoeven, 200 000 bis 300 000 Menschen seien im Dritten Rainer Werner Fassbinder oder Franz Xaver Kroetz. Reich euthanasiert worden, sagt Wessel. Heutzutage 1970 war sie die Phan Ti Mao in Verhoevens Abrech- bleibe es den Familien überlassen, wie sie mit Un- nung mit dem Vietnamkrieg, „o.k“, der zum Rücktritt geborenen umgehen, bei denen Behinderungen dia- der Berlinale-Jury und zum vorzeitigen Ende des Film- gnostiziert werden. Bei Kindern mit Down-Syndrom festivals führte. Zu ihren jüngsten Entdeckungen ge- liege die Abtreibungsquote bei 90 Prozent … hört das Theater „RambaZamba“ aus Berlin. Im En- Gerhard Summer semble sind Schauspieler und bildende Künstler mit (siehe Seite 24)

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 35 MEDIENSPIEGEL

Börsen-Zeitung, 7. September 2017 Infrastruktur gezielter fördern

DAS IFO-INSTITUT hält eine „massive Auswei- Nutzung des Seitenstreifens auf Autobahnen. Zu- tung“ der öffentlichen Investitionen in Infrastruk- dem könne eine gezieltere Bepreisung knapper Infra- tur nicht für sinnvoll. Statt flächendeckender Inves- strukturen die hohe Auslastung regulieren: Übermä- titionen solle mehr Wert gelegt werden auf gezielte ßig stark befahrene Straßen könnten etwa für Lkw Förderungen zur Beseitigung vorhandener Engstel- bei Nachtnutzung billiger sein und für Pkw am Tag. len, etwa bei maroden Straßen, Brücken oder Schu- In manchen dünn besiedelten Gegenden wie bei- len, forderte Joachim Ragnitz, stellvertretender Lei- spielsweise in Teilen Ostdeutschlands komme auch ter der Ifo-Niederlassung Dresden, auf einer Tagung ein Rückbau der Infrastruktur in Frage: „Straßen, sind zu Investitionen in der Politischen Akademie in Tut- nur eine notwendige Vorbedingung für wirtschaftliche zing. Derlei Fördergebiete hätten den größten volks- Entwicklung, aber keine hinreichende.“ Als Beispiel wirtschaftlichen Nutzen. Darüber hinaus sprach sich nannte Ragnitz den Bau einer neuen A14 von Mag- Ragnitz für eine bessere Auslastung des Vorhande- deburg nach Schwerin, obwohl es dort parallel eine nen aus, beispielsweise die zeitweise erweiterte Bundesstraße gibt.

Nürnberger Nachrichten, 26. September 2017 Wenn der Roboter statt des Redakteurs den Artikel produziert

Start-up Retresco bei einer Fachtagung in der Akade- Die Digitalisierung schreitet immer mie für Politische Bildung in Tutzing. Denn nur solche weiter voran, auch Journalisten kann eine Software verwerten. Das wiederum limi- tiert die Anwendungsbereiche. „Alles was datensei- müssen sich umstellen. Dabei tig getrieben ist, strukturierbar und standardisierbar ist kann vom Roboter verwertet werden“, sagt Som- eröffnen sich völlig neue mer. Reportagen, einordnende Hintergründe oder Möglichkeiten. Ein Blick in die Zukunft. Kommentare kann die Maschine jedoch nicht liefern – zumindest noch nicht.

DIE ERGEBNISSE mancher Studien möchte man Tausend Wetter-Texte eigentlich gar nicht hören. Etwa diese: In 20 Jahren, prophezeien Forscher des japanischen Noruma Insti- Was sie allerdings kann: Texte sehr zielgruppengenau tuts, werden 50 Prozent der heutigen Jobs automati- produzieren. Um beim Wetter-Beispiel zu bleiben: Je siert sein. Ob dies zutreffen wird, kann man sicher dis- nach Postleitzahl kann der Roboter hunderte – oder kutieren, doch klar ist: Vieles, das heute der Mensch auch tausende – unterschiedliche Versionen erstel- macht, wird bald eine Maschine übernehmen. Auch len, dafür die Daten der örtlichen Wetterstationen Redakteure treibt das um, das Gespenst vom Robo- aufgreifen und in einen Text einfließen lassen. „Diese terjournalismus geht in der Brache um. Und tatsäch- genaue Personalisierung war früher unmöglich“, sagt lich gibt es immer mehr Firmen, die Systeme anbie- Saim Alkan vom Stuttgarter Entwickler AX Semantics. ten, die computergenerierte Texte erstellen. Diese „Nun können wir unzählige Menschen erreichen und erscheinen auch schon längst – bei Wetterberichten gleichzeitig jeden persönlich ansprechen – und das in- etwa. Dort sind die Parameter genau bestimmbar, es nerhalb von Sekunden und in dutzenden Sprachen.“ lassen sich leicht „wenn-dann-Bedingungen“ erstel- Doch in diesem engen Zuschnitt liegt eine Gefahr: Fil- len, mit Hilfe derer die Maschine dann durchaus les- terblasen können entstehen, räumt Alkan ein … bare Texte produziert. Franziska Holzschuh (siehe Seite 16) Dafür braucht es eine ordentliche Programmierung. Und: „Das wichtigste sind strukturierte Daten“, sagt Johannes Sommer, Geschäftsführer des Berliner

36 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 TERMINE

Eine Auswahl von Tagungen der Akademie in den nächsten Monaten

© APB

JANUAR 2018 FEBRUAR 2018

Januar Tutzinger Journalistenakademie 4-2 Februar Planspiele der Zukunft 5-2 24. – 26. Recherche-Werkstatt 2. – 4. (Politik-)Simulationen in der In Zusammenarbeit mit ProRecherche digitalisierten Welt Leitung: Michael Schröder / Thomas Schuler In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Planspiele in Deutschland, Österreich und der Schweiz (SAGSAGA) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 4-1 Januar Autonomy and Education Leitung: Michael Schröder / Stefan Rappenglück / In Kooperation mit der Detlef Dechant 25. – 27. Ludwig-Maximilians-Universität München Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Leitung: Michael Spieker / Monika Betzler Sekretariat: Simone Zschiegner Tel. +49 8158 256-47 Februar Heroism and the Heroic in 6-2 American History 5-5 Januar Populismus als Herausforderung 9. – 11. In Zusammenarbeit mit der Deutschen für die digitale und politische Gesellschaft für Amerikastudien 29. – 30. Bildung am Gymnasium Leitung: Michael Mayer / Simon Wendt Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Impulse aus der Akademie für Direktorinnen und Direktoren bayerischer Gymnasien Februar Transplantation, Migration 8-3 und Gerechtigkeit In Zusammenarbeit mit der Regionalen Lehrerfortbildung Oberbayern-West 22. Medizinisch-ethische Diskurse Leitung: Ursula Münch / Jörg Siegmund In Kooperation mit der Ludwig-Maximili- Sekretariat: Antonia Kreitner Tel. +49 8158 256-58 ans-Universität und Technischen Universität München, der Katholischen Hochschule 5-4 München und der Fachstelle für Ethik und Januar Flucht und Migration aus Afrika Anthropologie im Gesundheitswesen der Ursachen, Herausforderungen Ev. Landeskirche Bayern 30. – 31. Leitung: Michael Spieker / Andreas Umgelter / und Perspektiven Konstanze Giese / Arne Manzeschke In Zusammenarbeit mit der Interkulturellen Sekretariat: Simone Zschiegner Tel. +49 8158 256-47 Akademie der Inneren Mission München – Außenveranstaltung in München Diakonie in München und Oberbayern e.V. Leitung: Andreas Kalina / Sabine Lindau Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Tiefgang am See

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 37 TERMINE

Februar Aufwachsen in digitalen 8-4 Februar Verflixte acht Jahre 8-2 Gesellschaften 22. – 23. 23. – 25. Die Entwicklungen nach dem Ara- Zur Ethik mediatisierter bischen Frühling kritisch hinterfragt Kindheit und Jugend In Kooperation mit MEIA Research München In Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Leitung: Anja Opitz Kommunikations- und Medienethik in der Sekretariat: Antonia Kreitner Tel. +49 8158 256-58 DGPuK und dem Netzwerk Medienethik Leitung: Michael Schröder / Alexander Filipovi´c / Kerstin Liesem Februar Die Sprache von Forschung und 9-1 Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Lehre: Lenkung durch Konzepte Außenveranstaltung in der Hochschule für 26. – 27. der Ökonomie? Philosophie in München In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache e.V. und dem Zentrum für Europäische Bildung der Fakultät für Lehrerbildung der Universität Zagreb Leitung: Ursula Münch / Ralph Mocikat / Siegfried Gehrmann / Jörg Siegmund Sekretariat: Simone Zschiegner Tel. +49 8158 256-47

Februar Historizität und Sozialität in der 9-2 sozioökonomischen Bildung 27. – 1. In Kooperation mit der Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft März Leitung: Michael Spieker / Tim Engartner Sekretariat: Antonia Kreitner Tel. +49 8158 256-58

Februar Unternehmen der Region in der 9-6

© TOMASCHOFF © TOMASCHOFF / TOONPOOL.COM globalisierten Welt 28. Leitung: Ursula Münch / Christoph Winkelkötter / Wolfgang Quaisser Sekretariat: Simone Zschiegner Tel. +49 8158 256-47 Anmeldung über die gwt Starnberg GmbH

Akademiedirektorin: Dr. Anja Opitz Prof. Dr. Ursula Münch Internationale Politik Dr. Wolfgang Quaisser Vorsitzender des Kuratoriums: Wirtschafts- und Sozialpolitik Dr. Friedrich Wilhelm Rothenpieler Dr. Michael Schröder Vorsitzender des Beirats: Medien, Kommunikationspolitik, Öffentlichkeitsarbeit Prof. Dr. Klaus Meisel Dr. Manfred Schwarzmeier Kollegium: Organisationsreferent Dr. Saskia Hieber Parlamentarismus- und Parteienforschung Internationale Politik Jörg Siegmund M.A. Dr. Andreas Kalina Persönlicher Referent der Direktorin Gesellschaftlicher und politischer Wandel Demokratie- und Wahlforschung, Politikevaluation Dr. Gero Kellermann Dr. Michael Spieker Staats- und Verfassungsrecht, Rechtspolitik Ethische und theoretische Grundlagen der Politik Dr. Michael Mayer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Zeitgeschichte Dr. Sebastian Haas

38 AKADEMIE-REPORT | 04-2017 TERMINE

MÄRZ 2018 APRIL 2018

März Das Phänomen Populismus 9-3 April Die digitale Revolution *15-1 Politik und Öffentlichkeit in einer Fortbildung für Seminarlehrkräfte in 2. – 4. 9. – 11. Grundfragen Staatsbürgerlicher Bildung „postfaktischen“ Ära am Gymnasium mit der ALP Dillingen Leitung: Andreas Kalina Leitung: Michael Schröder / Sabine Wintermantel / Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Johannes Schittler Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 März Tutzinger Journalistenakademie 9-4 Anmeldung über die ALP Dillingen Beste Freunde: 2. – 4. Radionachrichten und Internet April Demokratiegefährder in Europa *15-3 Fortbildung für Seminarlehrkräfte Sozial- Workshop in Zusammenarbeit mit der kunde am Gymnasium mit der ALP Dillingen ARD.ZDF medienakademie und dem 11. – 13. Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) Leitung: Michael Schröder / Sabine Wintermantel / Wolf Weigand Leitung: Michael Schröder / Tobias Geißner / Marion Brandau Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Sekretariat: Simone Zschiegner Tel. +49 8158 256-47 Anmeldung über die ALP Dillingen Außenveranstaltung beim RBB in Berlin. Achtung: erhöhte Tagungsgebühr! Anmeldung über die ARD.ZDF medienakademie April Bürgernah und 17-4 entscheidungsstark?! März Die Zukunft der Hochschulen für 10-5 27. – 28. Landesparlamente im politischen angewandte Wissenschaften Wettbewerb 9. – 10. Lehre, Forschung, Third Mission In Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Föderalismus-Forschung In Kooperation mit dem Verband der Tübingen (EZFF) Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer Leitung: Ursula Münch / Rudolf Hrbek / Jörg Siegmund an Fachhochschulen in Bayern e.V. (vhb) Sekretariat: Simone Zschiegner Tel. +49 8158 256-47 Leitung: Michael Spieker / Ilse Bartke Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17

März Bildungsgerechtigkeit 11-3 13. – 15. Philosophische Perspektiven In Kooperation mit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Leitung: Michael Spieker / Krassimir Stojanov Sekretariat: Alexandra Tatum-Nickolay Tel. +49 8158 256-17 Außenveranstaltung in Eichstätt

März 11. Forum: Menschenwürdige 11-2 Wirtschaftsordnung 16. – 17. Ethik und Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Welt

In Zusammenarbeit mit dem © TOMASCHOFF / TOONPOOL.COM Peter Löscher-Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München Leitung: Wolfgang Quaisser / Christoph Lütge Sekretariat: Antonia Kreitner Tel. +49 8158 256-58 April Leben Smombies gefährlich? 17-3 28. Chancen und Risiken mobiler Medien März Brennpunkte europäischer Politik 12-3 In Zusammenarbeit mit der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Medien (EAM) im 21. – 23. Reformideen, Grundwerte, Deutschen Evangelischen Frauenbund (DEF), Digitalisierung Landesverband Bayern e.V. Leitung: Michael Schröder / Sabine Jörk In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale Sekretariat: Antonia Kreitner Tel. +49 8158 256-58 für politische Bildung (bpb) Leitung: Gero Kellermann / Walter Staufer Außenveranstaltung in Sekretariat: Antonia Kreitner Tel. +49 8158 256-58

04-2017 | AKADEMIE-REPORT 39 AKADEMIE INTERN

Namen und Nachrichten aus der Akademie

Direktorin Kollegium Prof. Dr. Ursula Münch referier- Dr. Saskia Hieber unterrichtet im Wintersemester an der Universität Re- te im Rahmen einer Tagung der gensburg „Concepts of Power and Political Structure in Asia“. In München Schweizer Gesellschaft für In- sprach sie über die Sicherheitslage und über Politikerinnen in Asien. Für formatik an der ETH Zürich über eine Dokumentation über Nordkorea (ARD-alpha) wurde sie als Expertin „Disruption der Demokratie? Die interviewt. Mit einer chinesischen Delegation diskutierte sie in Tutzing Bedeutung der Digitalisierung über Europapolitik. An der Bayerischen EliteAkademie hielt sie einen Vor- für Politik und Gesellschaft". Das trag über die politischen Systeme Chinas und Vietnams. Thema Bundestagswahl spielte Dr. Andreas Kalina nahm in München an einer Expertenrunde zum Thema bei verschiedenen Vorträgen und „Europäische Perspektiven und Aktionen – Populismus in Europa“ teil. In Diskussionen eine zentrale Rolle: Hattingen (Ruhr) vertrat er die Akademie in der Kommission Europäische U.a. beim „Room for Discussion“ und Internationale Bildungsarbeit des Arbeitskreises deutscher Bildungs- an der Universität Amsterdam, stätten. In Cadenabbia hielt er Vorträge zu „Politische Ansichten, Kom- bei einer Diskussion mit Ober- petenzen und Partizipation der jungen Generation in Deutschland“ so- stufenschülerinnen und –schülern wie „Von Deutschland lernen? Das System der politischen Bildung in der am Münchner Maximiliansgym- Bundesrepublik“. In Tutzing sprach er zu „Am Ende der europäischen Eini- nasium sowie bei einer gemein- gungsgeschichte? Die EU in der Demokratiefalle“. Im Wintersemester hält samen Veranstaltung der Nemet- Kalina an der Universität Passau ein Oberseminar zum Thema „Exit Uni- schek Stiftung und des Münchner on? Reformkonzepte und Zukunftsszenarien für die Europäische Union“. Volkstheaters „Wer will was?“, die eine szenische Lesung aus Wahl- Dr. Gero Kellermann referierte im Gymnasium Tutzing über die „Grundla- programmen mit Analysen und gen des Strafrechts“. Kommentaren verband. Bei der Dr. Michael Mayer hielt am Pomona College in Claremont, Kalifornien, TUM Graduiertenschule in Raiten- einen Vortrag zum Thema „The Holocaust in France – New Findings, New haslach referierte die Direktorin Debates“. Vor der Historischen Kommission des Landes Baden-Würt- über „Europe in the world disor- temberg in Reutlingen sprach er zum Thema „Handlungsspielräume und der“ und bei der Bayreuther Som- Chancen in der Migrationsgesellschaft nach 1945: Das Schriftstellerpaar meruniversität für interkulturelle Ingeborg und Herbert Wendt in Baden-Baden“. Auf Burg Falkenberg refe- Deutsch-Studien 2017 zum Thema rierte er zu „Diplomaten im NS-Staat: Herkunft, Funktion, Verantwortung“. Flucht und Migration. Die Direkto- rin war Mitdiskutantin bei einer Dr. Anja Opitz hielt an der Führungsakademie der Bundeswehr für den Podiumsrunde der Bayerischen Generalstabslehrgang ein Seminar über Sicherheitssektorreform und Architektenkammer „Was haben sprach an der Diplomatischen Akademie Wien über die Einrichtung einer wir zu verlieren?“ sowie beim europäischen Armee. Dort hielt sie eine Vorlesung International Institu- „Salon Zukunft Heimat“, einer tions, Organisations & Relations. von der Fachberatung des Bezirks Dr. Michael Schröder hielt bei der Veranstaltung „Haltung zählt: Schule Oberbayern In Kooperation mit für die Demokratie“ des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes dem Kleinem Theater Haar veran- (BLLV) in München einen Workshop zum Thema „Planspiele im Unterricht“. stalteten Reihe. Beim Forum Bil- dungspolitik in Bayern sprach sie Jörg Siegmund, M.A., referierte bei der Konrad-Adenauer-Stiftung zum über die Anforderungen an politi- Thema „Populismus, Propaganda, Postfaktizität“. Er sprach zu Fragen der sche Bildung und Demokratieer- Wahlforschung beim Unternehmerkreis Weilheim-Peißenberg und mode- ziehung im 21. Jahrhundert. rierte eine Podiumsdiskussion zur Integration von Migranten.

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