»Und wir wollten so sein wie der blonde Trommler da oben auf der Leinwand«

Wolfgang Schneider im Gespräch mit Hilmar Hoffmann über sein Buch »Generation Hitlerjugend«

Prof. Dr. Dr. h.c. Hilmar Hoffmann war Kulturdezernent von am Main, Präsident des Goethe-Instituts, Vorsitzen- der Verwaltungsrat Deutsches Filmins- titut/Deutsches Filmmuseum Frankfurt, Ehrendoktor der Universität Hildesheim und Gründungs- sowie Ehrenmitglied der Foto: Deutsches Film- Kulturpolitischen Gesellschaft institut – DIF in Frank- furt am Main

ilmar Hoffmann hat noch kurz vor seinem Tod ein neu- eine Abrechnung mit der eigenen Jugendzeit, die er selbst als es Buch geschrieben. Sein Fünfzigstes, vielleicht sein »Refl exionen über eine Verführung« beschreibt. Das Buch ist da HPersönlichstes. Denn es geht nicht um »Kultur für alle« besonders beeindruckend, wo Hilmar Hoffmann erinnerte Ge- oder »Kultur als Lebensform«, um »Die großen Frankfurter« schichten erzählt, die das System Hitlerjugend ebenso entlarven oder »Frankfurts starke Frauen«, um »Kultur und Wirtschaft« wie die faschistische Propagandamaschinerie. Er war einer der oder die »Kulturpolitik der Berliner Republik«, es geht um ihn, klügsten Kenner des NS-Films und gewährt hierzu wiederum als Pimpf, um ihn als Mitglied der »Generation Hitlerjugend«. Im ausführliche Einblicke in die Macht der Bilder. Das Buch ist mit 93. Lebensjahr unternimmt er den Versuch, mittels Alltagsbe- seinen Erkenntnissen aus einer totalitären Vergangenheit zudem schreibungen und Gesellschaftsanalysen Ursachen und Folgen ein klares Bekenntnis zu künstlerischer Freiheit und kultureller nationalsozialistischer Erziehung zu ergründen. Ihm gelingt Bildung für eine demokratische Zukunft. eine zeitdiagnostische Selbstauskunft, gewissermaßen auch

Lieber Hilmar, du schreibst zu deinem herzustellen. Die Motivation kann ich Geschichtsschreibung ist zu jeder Zeit jüngsten Buch, dass es »wie eine schier aber auch mit Goethe ausdrücken; denn wichtig. In diesen Tag läuft einer der endlose Reise ins bejahrte Ich« gewesen wir seien deshalb da, heißt es, »um das Spielfi lme über den Generalstaatsanwalt sei. Was war der Impuls, dich mit deiner Vergängliche unvergänglich zu ma- Fritz Bauer im Fernsehen, der große eigenen Frühgeschichte zu beschäfti- chen«. Und weiter: »Über Geschichte Schwierigkeiten hatte, die Gerichtsver- gen? kann jemand nur urteilen, der an sich fahren über die Täter von Auschwitz selbst Geschichte erlebt hat«. überhaupt in Gang zu setzen. Und seit es Hilmar Hoffmann: Zunächst wollte ich die AfD gibt, kann es nie zu spät sein, das einen Text schreiben für meine Fami- Wir feiern ja jetzt gerade 50 Jahre 1968. Entstehen der populistischen Seite des lie. Weil die nichts wussten von den Kommt das Buch nicht zu spät? Denn Nationalsozialismus zu Papier zu bringen. Lebensanfängen des Vaters und des die damalige Zeit war ja auch eine, die Großvaters. Und dann gab es auch das sich intensiv mit der faschistischen Ver- Wenn Du im Buchtitel von der »Genera- Verlagsinteresse, mit mir mein 50. Buch gangenheit beschäftigt hat. tion Hitlerjugend« sprichst, dann greifst

6 Kulturpolitik Aktuell Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 161 II/2018 Du soziologische Strukturen auf, die sich an Jahrgängen festmachen. Du selbst bist 1925 geboren. Ist es im Rück- blick die gemeinsame Geschichte einer Generation?

Ja, es ist eine gemeinsame Geschichte meiner Generation, einer Jugend mit vielen Parallelgeschichten, die ganz oft tödlich endeten. Adolf Hitler hatte beispielsweise in allerletzter Not den Jahrgang 1926 auserkoren, noch an die Front zu gehen. Und das waren alles ehemalige Jungvolk- oder Hitlerju- gendführer. Also eine Truppe, auf die er sich ideologisch verlassen konnte. Die waren natürlich stolz und wir auch ein bisschen neidisch, weil nicht wir als Fall- schirmjäger, sondern diese SS-Truppe sozusagen das Aushängeschild von Adolfs Hitlers Jugend war.

Aber es hat ein tragisches Ende genom- men. Und für Dich war es ein Trauma. den Konzentrationslagern passiert. Wir von Joseph Goebbels und Gedichten wussten wohl, dass es die gab und das von Heinrich Anacker, aus eben jenem Sie waren nicht nur Jungs gleichen da politische Gefangene sein sollen, Volksempfänger. Und wir wollten so Jahrgangs, sondern sie sind auch zum die da nur festgehalten werden bis der sein wie der blonde Trommler da oben größten Teil am selben Tage umgekom- Endsieg erreicht war. auf der Leinwand. men. Wenn man den Soldatenfriedhof La Cambe bei Bayeux in Frankreich Du beschreibst die Hitlerjugend als Du hast da mitgemacht und wolltest besucht, erschüttert nicht nur die An- System. Es gab die Uniform, den Fah- auch eine Rolle spielen? zahl der Kreuze, sondern eben auch das nenkult, es gab auch die Lieder und die gleiche Todesdatum darauf. 9.000 blut- Lyrik dazu. Mein Ehrgeiz war groß. Ich war Jung- junge SS-Kindersoldaten starben durch scharführer, Jungzugführer, Fähnlein- amerikanische Luftminen. Am zweiten Wir waren als Zehnjährige stolz in führer bis rauf zum Jungstammführer. Tag meiner Gefangennahme wurden Uniform erscheinen zu dürfen. Mit einer Und meine Mutter wollte ja, dass ihre wir rausgefahren ins Niemandsland, um Koppel und einem Fahrtenmesser. drei Söhne Berufsoffi ziere werden. die Toten einzusammeln, die noch ihr Wir haben uns stark gefühlt in unserer Meine Brüder, fünf und zehn Jahre Maschinengewehr im Anschlag oder Gemeinschaft. Und selbst Goebbels hat älter als ich, hatten mir aber gedroht, das Feldtelefon am Ohr hatten. Das ist die Ode von Hölderlin zitiert, sozusa- dass sie mit mir nicht mehr sprechen bis heute mein traumatischstes Erlebnis. gen als indirekte Aufforderung: »Lebe würden, wenn ich zur Waffen-SS gehen droben, o Vaterland. Und zähle nicht die würde. Denn das war sozusagen durch Und trotzdem – auch das beschreibst Du Toten! Dir ist, Liebes! nicht Einer zu viel meine Laufbahn im Jungvolk vorge- in deinem Buch – wird verklärend in der gefallen«. Und das hat uns bewegt und zeichnet, aber auch durch meine Größe Nachkriegszeit von einer unbeschwer- das haben wir verinnerlicht. von 1,92m und die blauen Augen. Ich ten Kindheit gesprochen, die sich in der entsprach also rein optisch dem natio- »Hitlerjugend« erfüllt habe. Es gab ja diverse Instrumente der Propa- nalsozialistischen »Idealbild« in Anfüh- ganda, von denen Du berichtest, vom rungsstrichen. Das hat bei mir damit begonnen, dass Volksempfänger über den Film bis hin ich eine Mutter hatte, die eine über- zur Schullektüre. Obwohl Du Dich ja bei der Musterung zeugte Nationalsozialistin war. Was kleiner machen musstest, wie man auch übrigens auch zur Scheidung meiner Die Hitlerjugend war eine emphatische lesen kann, damit Du überhaupt genom- Eltern führte. Ich habe meine Jugend- Organisation. Wir sind jeden Sonn- men wurdest. zeit aber eher unbewusst erlebt. Was tagmorgen in die Jugendfi lmstunde ich jetzt dazu offenbare, das ist die marschiert. Und dort haben wir Filme Das ist eine ironische Pointe in meinem refl ektierte Erinnerung. Wir haben die gesehen, beispielsweise die von Leni Lebenslauf. Um der SS zu entkommen, Zeit nicht als eine Diktatur empfunden, Riefenstahl. Nachträglich muss ich habe ich mich freiwillig für eine der bei- weil wir da hinein geboren worden leider feststellen, dass ich durch diese den Elitetruppen gemeldet. Man konnte sind. Wir wussten auch gar nicht mit Filme überzeugt worden bin, dass ich U-Bootfahrer werden oder Fallschirmjä- dem Begriff Demokratie umzugehen. auf dem richtigen Wege mitmarschiere. ger, um nicht zur Waffen-SS eingezogen Dafür hatten die Nazis dann Plutokratie Ihr Reichsparteitagsopus »Triumph des zu werden. Und als ich einem Unteroffi - und andere Bezeichnungen. Wir sind Willens«, das war ja ein genialischer zier gegenüber stand, der meine Länge aufgewachsen, ohne zu wissen, was in Entwurf. Eingerahmt von einer Rede messen musste, sagte er: »Junge, Du

II/2018 Nr. 161 Kulturpolitische Mitteilungen Kulturpolitik Aktuell 7 kannst wieder nach Hause gehen, wir von denen vermutet werden konnte, akademisches Studium damals zum nehmen keine Riesen, wir nehmen nur dass sie am Wiederaufbau nicht nur Leiter dieser »Die Brücke« geworden. welche bis 1,85m!« Und dann habe der Trümmerlandschaft, sondern auch ich wirklich emotional reagiert und mit des geistigen Deutschlands beteiligt Und daraus ist ja dann auch die Volks- Tränen in den Augen gesagt, aber dann sein werden. Als Dolmetscher bei der hochschule geworden, die du geleitet muss ich doch zur Waffen-SS. Und dann britischen Rheinarmee wurde ich an hast. hatte er ein Einsehen: »Nee, da gehst den Wilton Park vermittelt. Und das war Du mir nicht hin, geh mal lieber ein biss- in der Tat eine Bildungsmaßnahme, die Eine musische Volkshochschule; denn chen in die Knie.« Und so wurde ich der mich eines Besseren belehrte. Immerhin das war mir mit meinen Erfahrungen mit längste Fallschirmjäger der deutschen traf ich dort auf den Nobelpreisträger staatlicher Verführung wichtig: geistige Wehrmacht. Bertrand Russel und wurde mit dessen Aufklärung und kulturelle Bildung. Mei- »Philosophie des Abendlandes« mit den ne Refl exionen zu meiner Hitlerjugend Am Ende Deines Buches gibt es ein Ka- Grundlagen für ein Demokratieverständ- eignen sich deshalb auch als Schul- pitel, in dem du ausführlich beschreibst, nis konfrontiert. buch, auch um darauf hinzuweisen, was was nach Deiner Gefangenschaft zur mit einem Volk passiert, das solchen weiteren persönlichen Entwicklung Das hatte auch berufl iche Konsequen- Leuten wie denen der AfD hinterher beigetragen hat, nämlich die Wochen im zen … läuft … englischen Wilton Park. War das ein Mo- dell Deiner persönlichen Re-Education? Ja, sechs Wochen danach bekam ich Wolfgang Schneider ist seit seiner vom Auswärtigen Amt in London einen Studentenzeit an der Johann Wolfgang Der Churchill soll schon in der letzten Brief, in dem stand, ich möchte doch in Goethe-Universität mit Hilmar Hoffmann Phase des Krieges gesagt haben: »Was , wo ich herkam, ein British freundschaftlich verbunden. Das Ge- passiert denn jetzt, wenn wir gesiegt Information Center, »Die Brücke«, grün- spräch wurde am »Wäldchestag«, dem haben, mit den Deutschen?« Und hat den – analog zu den Amerikahäusern 22. Mai 2018, im Forsthaus im Stadtteil schon 1944 an eine Akademie für oder dem Institut Français oder dem Oberrad geführt.  ehemalige Kriegsgefangene gedacht, Goethe-Institut. Und dann bin ich ohne

Zum Tod von Hilmar Hoffmann Herrmann Glaser

inen Nachruf verfasst man am besten aus »Nähe eine Verführerin« – ein zeitgeschichtliches Standard- und über Distanz«; denn mit objektivem Blick, aus einer Meisterwerk (600 Seiten). Egewissen Ferne zum Betrauernden gilt es, seine Lebensleistung zu würdigen. Seine profunde Bildung und praktische Erfahrung ließen ihn zum einfl ussreichsten Kulturpolitiker der Bundesrepublik Beim Tod von Hilmar Hoffmann kann ich in diesem Sin- werden, der mit »Kultur für alle« (auch Titel eines Buches) das ne keinen Nachruf schreiben: Eine große Nähe ist seit plakativ und immer wieder zitierte Schlüsselwort der »neuen Jahrzehnten gegeben; aber der Schmerz über sein Hin- Kulturpolitik« schuf. Nach seinem sehr erfolgreichen Wirken scheiden lässt keine prüfende Entfernung zu. So ist mein als Kulturdezernent in Frankfurt am Main, u.a. Begründer Denken an ihn Hommage für eine große Persönlichkeit, einer Reihe Museen (»Museumsufer«), konnte er seine kultur- die er für mich stets war. Wo ich ihn, die wir kulturpolitisch und kommunalpolitische Kompetenz als Präsident des Goe- miteinander konkurrierten, etwas beneidete, geschah dies the-Instituts im In- und Ausland zur Geltung bringen. Dass stets in bewundernder Verbundenheit. dieser urbane und universale »global player« des Geistes nun nicht mehr unter uns weilt, ist ein unersetzlicher Verlust. Als Autor gewann er Ansehen mit seinem Buch über die »Kulturgeschichte der Taube«, die er – in 1925 ge- Meine persönliche Trauer und mein Schmerz bekundet die boren und im Ruhrgebiet aufgewachsen, am Anfang seiner Verszeile eines von Ludwig Uhland überlieferten, oft ideo- Laufbahn Leiter der Filmfestspiele von Oberhausen – als logisch missbrauchten, aber ergreifenden Volksliedes: ein Haustier empfand; vor ein paar Wochen erschien sein letztes Buch: »Generation Hitlerjugend. Refl exionen über »Ich hatt‘ einen Kameraden, einen bessern fi ndst du nit …« 

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