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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Natur und Mensch - Jahresmitteilungen der naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg e.V.

Jahr/Year: 1992

Band/Volume: 1992

Autor(en)/Author(s): Feist Ernst

Artikel/Article: Die ” ”-Auslegerboote der Marshall-Inseln 95-104 © Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.; download www.zobodat.at

ISSN 0077-6025 Jahresmitteilungen Seite Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V. Natur und Mensch 1992 95 -104 Gewerbemuseumsplatz 4 • 90403 Nürnberg

Ernst Feist Die ” walap”-Auslegerboote der Marshall-Inseln In Abhandlung 38/1981 der NHG mit dem Titel (Papua Neuguinea) nachgebaut (Länge ca. 50 ’’Dokumente verschollener Südseekulturen” cm) und bei Fahrversuchen getestet. stellt Herbert Tischner auf den Seiten 173ff ein Die Rümpfe der Tami-Boote sind vollkommen Auslegerboot in Gesamt- und Einzelaufnahmen symmetrisch. Rumpf und Schwimmer werden vor, das unter der Nummer 1974/6 aus dem Besitz durch das Auslegergestell parallel gehalten. Der von Dr. Schultze-Westrum in das Magazin der Mast steht in der Mitte des Rumpfes und trägt ein Abt. für Völkerkunde kam. Die ausgezeichnete viereckiges Mattensegel. Der Antrieb wirkt Abhandlung von Herbert Tischner bedarf nach direkt auf den Hauptrumpf, nicht aber auf den über 10 Jahren der Ergänzung, denn die Samm­ Schwimmer des Auslegers. lungsbestände und die Möglichkeiten ihrer Das Boot wurde auf einen bestimmten Kurs ein­ Bestimmung sind gewachsen. Die Abt. für Völ­ gestellt und war während der Fahrt nicht mehr zu kerkunde stellt deshalb im folgenden neue und beeinflussen. Das Fahrverhalten zeigte daher in neu bestimmte Objekte vor. extremer Weise alle Probleme auf. Die Ausstellung ’’Kolumbus, oder wer entdeckte Das Modell fuhr vor dem Wind mit hoher Amerika” 1992/93 in der Prähistorischen Staats­ Geschwindigkeit und relativ großer Kursge­ sammlung München war Anlaß für eine erneute nauigkeit. Dazu war eine leichte Steuereinstel­ Beschäftigung mit den ’’walap”-Auslegerbooten lung gegen den Schwimmer erforderlich. Bei der Marshall-Inseln. Das ’’walap” des Staatli­ halbem Wind und bei Böen zeigte das Boot ein chen Museums für Völkerkunde war, nachdem es anderes Verhalten. Es drehte beim Windstoß restauriert und getakelt worden war, dekorativer über den Schwimmer weg in den Wind. Der nicht Mittelpunkt der Ausstellung. Das Boot Nr. 1974/ angetriebene Schwimmer bremste so stark ab, 6 im Magazin der Abt. für Völkerkunde ist ein daß das Boot querschlug und erst nach dem ’’walap”-Auslegerboot, sehr wahrscheinlich von Nachlassen der Bö langsam auf den ursprüngli­ der Insel Yaluit der Marshall-Inselgruppe. Das chen Kurs zurückdrehte, um beim nächsten Modell ist im ursprünglichen Zustand. Restau­ Windstoß erneut anzuluven. rierungen wurden am Flechtwerk des Segels vor­ Wenn der Wind zu stark wurde, hob der genommen. Schwimmer ab und das Boot erhöhte seine ’’Ausleger, Auslegerboot, ”, belehrt Geschwindigkeit beträchtlich. Die instabile Brockhaus 1906, ’’ist bei vielen Naturvölkern ein Lage darf ca. 30° Neigung nicht übersteigen, mit dem schmalen Kanu gleichgerichteter sonst beginnt das Boot zu kentern. schwimmender Holzbalken, der durch Querhöl­ Besonders lehrreich war das Verhalten des Boo­ zer mit dem Kanu verbunden ist und dieses gegen tes mit einer Takelung, bei welcher der Ausleger Umschlagen sichert.” Das Wort canoe (engl.), nach Lee zeigte. Man könnte glauben, daß sich canot (franz.), canoa (span.), stammt aus der das Boot dann sicher auf den Schwimmer stützt Karibik von canaoa ab und bedeutet Baumkahn, und ein Kentern unmöglich macht. Der Wind Einbaum. drückte jedoch den Schwimmer unter Wasser Versuche und das Modell über schlug sich. Nach Vorbildern in unseren Museumsbeständen Damit waren einige Grundprobleme der Technik wurde ein Auslegerbootsmodell der Tami-Inseln des Bauens und Segelns mit Auslegerbooten

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Bild 1: ’’walap” mit Wanten und Stags Bild 2: ’’walap”, voll getakelt offensichtlich. Die Erbauer der ”walap”-Boote belegen sowohl den Einfallsreichtum der Kon­ der Marshall-Inseln haben interessante techni­ strukteure als Reaktion auf die Erfahrung auf sche Lösungen gefunden, um die geschilderten See, als auch die Übernahme von Konstruktions­ Schwierigkeiten zu vermeiden. ideen an den Treffpunkten mikronesischer und polynesischer Kulturen (siehe Karte). Die ”walap”-Boote der Marshall- Unser heutiges Wissen über die ”walap”-Boote Inseln (Bild 1 + 2) stammt aus Beschreibungen, von einem original­ Die ”walap”-Boote gehören zu einer Gruppe vongroßen ’’walap” im Völkerkundemuseum in Ber­ Auslegerbooten, deren Rumpf aus einem Ein­ lin und einer Reihe von Bootsmodellen dieses bau, aufgesetzten Planken und gleichen Rümpf­ Typs, die in den Völkerkundemuseen (z.B. Ham­ enden samt Steven besteht. Sie sind asymme­ burg, München, Freiburg, Nürnberg ...) aufbe­ trisch kraweel gebaut. Die Ausleger enden in wahrt werden. einem Schwimmer, der beim Segeln immer in Die Modelle sind von Eingeborenen für Ausstel­ den Wind zeigt. Die Ausleger tragen Plattformen lungszwecke gebaut worden und geben meist für Besatzung und Ladung. Die großen, dreiecki­ deutlich die wesentlichen Konstruktionsmerk­ gen Segel sorgen für Vortrieb. Hochseeboote und male wieder. Häufig sind sie Geschenke vermö­ Fischerboote dieser Bauart findet man in der gender Bürger an deren heimatliche Museen. Sie ’’flying ” der Karolinen, auf den Marshall- unterscheiden sich deutlich von Spielzeugboo­ Inseln, den Gilbert-Inseln und auf . Größere ten eingeborener Kinder oder den Rennmodellen örtliche Unterschiede in den Auslegerformen wettlüsterner Inselbewohner.

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Das ”walap”-Modell der NHG sind in geringem Abstand in der Rumpfmitte mit Der Rumpf (Bild 3) den Hauptauslegerbäumen zusammengebunden. Der Rumpf besteht aus insgesamt 10 Teilen, die Zwei kleine Brettchen setzen das Deck zur aus dem Holz des Brotfruchtbaumes gefertigt Bootsmitte fort. sind. Grundlage ist ein Einbaum, in dessen Inne­ Alle Teile sind mit Kokosfaserschnur kraweel rem drei Querstollen stehengelassen wurden. Sie (gestoßen) zusammengebunden. Die Zwischen­ sind an ihrer tiefsten Stelle durchbrochen und räume sind mit Pandanusblättern gedichtet und bilden eine durchgehende Bilge. Unter den mit dem leimhaltigen Saft des Brotfruchtbaums scharfgeschnittenen Kiel ist mittschiffs eine verklebt. Das Holz quillt stark im Wasser und Kufe gebunden, die den Rumpf beim Landen sorgt ebenfalls für Dichtung. Trotzdem muß bei oder Queren von Untiefen schützt. Die beiden Originalbooten auf See fast ständig geschöpft gleichen Rumpfenden sind jeweils aus einem werden. Zur Standardausrüstung gehört daher Block geformt. Sie bilden die hohen Steven, die ein Ösfaß. Der Rumpf ist asymmetrisch geformt, anschließenden Bordwandteile und ein Stück d.h. die Luvseite ist stärker gekrümmt als die Deck samt den Anfängen der Reling. Die Rümpf­ Leeseite. (Häuptlingsboote tragen an den Boots­ enden sind so aus dem gewachsenen Stamm enden Verzierungen, ’’bellik”, die Dr. Otto Fisch geformt, daß die Holzfasern Steven und Bord­ mit ’’Ulanenhelmen” vergleicht: Halbkugeln mit wand in einem Zug durchlaufen und somit höch­ fächerförmigen Flügeln. Außerdem werden Top, ster Belastung gewachsen sind. Auf dem Deck Rah und Baum mit Fregattvogelfedern deko­ sind die Jahresringe des Stammquerschnitts zu riert.) erkennen. Zwischen den Rumpfenden bilden profilierte Teile sowohl Bordwand wie Deck. Die Das Auslegersystem (Bild 4) Luvbordwand ist mittschiffs erhöht und mit zwei Zum Auslegersystem gehören zwei Haupt­ Löchern zur Aufnahme der beiden Hauptausle­ bäume, drei gekrümmte Nebenbäume, ein Joch gerbäume versehen. Die Leebordwand ist nicht und der Schwimmer. durchbrochen. Einschnitte in den Decksteilen Die Hauptbäume (gie), zwei kräftige Vierkant­ machen den Rumpf zugänglich. Die beiden hölzer, sind mit ihren inneren Enden an der Spanten (oft fälschlich als Schotten bezeichnet) Innenseite der Leebordwand und an den beiden

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WALAP j MARSHALL INSELN RU MPP UND AUSLE(3EC2.SySTEN

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Spanten befestigt. Auf der Luvseite ragen sie waagrecht bis zur Mitte des Schwimmers hinaus. Starke Bindungen aus Kokosfaserschnüren fixieren ein geschwungenes Joch und zwei senk­ rechte Stützen, die lose in Vertiefungen des Schwimmers stecken. Die drei gekrümmten Nebenbäume (abed) sind unter der Luvplattform befestigt und durchbrechen nicht die Bordwand. Sie sind mit starken Bindungen links und rechts sowie zwischen den beiden Hauptbäumen direkt am Schwimmer angelascht. Andere Modelle und das Originalboot im Ber­ liner Völkerkundemuseum sind mit sechs gekrümmten Nebenbäumen, jeweils drei zu bei­ den Seiten der Hauptbäume, versehen. Das Tau­ werk wird durch viereckige, in V-Form quer durch den Schwimmer geschnittene Löcher geführt. Die Krümmung der Nebenbäume ist gewachsen und wird mit einem Querholz, das zwischen Haupt- und Nebenbäume eingeschoben ist, auf­ rechterhalten. Der kräftige Schwimmer hat spitze, etwas aufge- bogene Enden. Sein Querschnitt ist unten rund, an der Oberseite dachförmig. Bild 6: Der Top eines ”walap” Das Auslegersystem wird durch acht Querhölzer aus Bambus, die über die ganze Breite reichen, kleine Gräting aus Bambusstäbchen eingefügt, und drei kurze Querhölzer, die nur die beiden die mit einem Profilteil abgeschlossen wird. Die Hauptstämme verbinden, stabilisiert. Dieses ­ Leeplattform dient zur Lagerung von Lasten terartige Gerüst dient zur Befestigung der Wan­ oder zum Aufenthalt der Besatzung. Sie kann ein ten und ermöglicht beim Abheben des kleines Deckhäuschen aus Pandanusblättern tra­ Schwimmers ein rasches Hinausklettern zu des­ gen. sen Beschwerung. Die Luvplattform ruht auf den Querhölzern des Auslegergestells und auf einem Grundbrettchen, Luv- und Leeplattform (Bild 5) an das sämtliche Auslegerbäume angelascht Beide Plattformen nehmen die gesamte Breite sind. Auf das Grundbrett sind zwei Träger gebun­ des Auslegergestells ein. Die Leeplattform liegt den, welche die sechs Teile des Decks tragen. Am in der Schiffsmitte auf den beiden Erhöhungen äußersten Brettchen ist ein Profil, das sich in des Rumpfes auf und wird durch ein auf der Lee- zwei vierkantigen Hölzern an beiden Seiten als bordwand angelaschtes Joch leicht schräg nach eine Art Reling fortsetzt. In diesen Rahmen ist oben gehalten. Beim Modell der NHG besteht sie das Deckhäuschen eingefügt. aus drei Profilbrettchen, die auf der Luvseite ein Viereck als Mastfuß und in der Rumpfmitte Mast, Takelung, Segel (Bild 6) einen Zugang zum Bootsinneren offen lassen. Der Mast steht außerhalb des Rumpfes in einer Der Mastfuß befindet sich also nicht in der kleinen Lücke zwischen Luv- und Leeplattform. Rumpfmitte, sondern knapp neben der Luvseite Er ist etwa so lang wie der Rumpf und besteht aus des Rumpfes. Zur Leeseite hin ist als Deck eine zwei Teilen, dem Mast aus langfaserigem Weich-

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Bild 7: Das stehende Gut. Bild 8: Das laufende Gut. holz und dem Top aus sehr dichtem Hartholz, die Während der Fahrt stehen nur die Luvwanten. überplattet zusammengefügt sind. Sie bilden den Gegenzug zum Winddruck im Am Top und am oberen Mastende sind alle Segel. Die beiden Leewanten werden während wesentlichen Taue des stehenden und des laufen­ der Fahrt entfernt, weil sie sonst das Wenden des den Gutes angebracht. Während die Taue des ste­ Segels unmöglich machen würden. Sie werden henden Gutes durch Tauschlingen am Mast nur während der Liegezeit des Bootes am Strand geführt werden, laufen Fall, Brassen und Stags an der Leeplattform festgemacht, damit der Mast direkt durch große Bohrungen. Die Taue sind, nicht umfällt. von oben nach unten gesehen, in folgender Rei­ Die Stags gehören zum laufenden Gut. Vorstag henfolge angebracht: Leewanten, Brassen, Want und Achterstag sind an Querhölzern befestigt, 1, Tophalterung, Fall, Want 2, Want 3, Achter­ die in Durchbohrungen an den Bootsenden stag, Tophalterung, Want 4, Want 5, Vorstag gesteckt sind und gleichzeitig der Befestigung (siehe Bild 6). des Segelhalses dienen. Die Stags sind nicht dau­ ernd festgemacht. Mit ihnen wird der Mast Stehendes und laufendes Gut (Bild 7 + 8) jeweils zum anderen Bootsende geneigt, wenn Das NHG-Bootsmodell trägt fünf Luvwanten das Boot auf den anderen Bug geht. und zwei Leewanten (andere Modelle drei bis Das Segel besteht aus einer Matte aus Pandanus­ sieben Luvwanten). Der oberste Want führt vom blättern und hat die übliche Dreiecksform der Top zum Joch des Auslegers. Die übrigen Wan­ Karolinen. Die langen Seiten des Dreiecks sind ten laufen parallel vom Mast zu den kurzen Quer­ oben an eine Rah und unten an einen Baum hölzern des Auslegers. gebunden. Rah und Baum sind vielfach durch-

100 © Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.; download www.zobodat.at bohrt, um die Laschen für die Segelbefestigung aufzunehmen. Die Rah endet in einer kleinen Gabel, mit der die Spitze des Segels (Segelhals) an dem Querholz des jeweiligen Buges festge­ steckt wird. Das Segel wird mit einem Fall geheißt, das von der Rah durch das unterste Loch im Top zu einer Klampe am unteren Teil des Mastes geführt wird, wo es belegt werden kann. Die Schot ist mit einem kleinen ’’Zügel” (Haddon und Hornell) am Baum belegt. Rah und Baum sind etwa gleich lang und ein klein wenig länger als der Mast. Das Segel führt auf beiden Seiten Brassen, die zwischen den beiden ’’Zügeln” der Schot befestigt sind und zum Aufgeien des Bild 9: Wendemanöver ’’auf den anderen Bug gehen” beim Segeln gegen den Wind. Segels beim Wenden oder zum Segelkürzen die­ nen. Beide Brassen werden über das obere Quer­ loch im Top zur Vorderseite der Luvplattform Zur Bootsbesatzung gehören mindestens zwei geführt und dort belegt. bis drei Mann, deren Aufgaben beim Segeln Top, Rah und Baum können mit Fregattvogelfe­ wechseln. Wenn während einer steifen Brise eine dern geschmückt sein. Bö das Boot trifft, wird das Segel mit einer Brasse aufgezogen. Damit bringt man den Baum Segeln mit Auslegerbooten nahe an den Mast und verkürzt die Segelfläche Die asymmetrisch gebauten Rümpfe der so weit wie nötig. Ist die Bö vorüber, wirft man ”walap”-Boote verbessern das Seeverhalten die Brasse los und holt Baum und Segel wieder erheblich (siehe Modellversuche). Beim Gleiten herunter, d.h., die Segelfläche wird wieder ver­ des Rumpfes drückt das Wasser auf die stärker größert. Man verfährt genauso, wenn eine Brise gekrümmte Luvseite und schiebt den Bug gegen zu steif wird: Die Segelfläche wird verkleinert, den Zug des Schwimmers nach Lee. Damit wird bis sie den Wind aushält. das Drehen über den nicht angetriebenen Ein Wendemanöver europäischer Art ist mit Schwimmer verhindert. Da beide Bootsenden einem Auslegerboot nicht möglich. Das Wenden gleich sind, tritt derselbe Effekt beim Wenden mit einem ’’walap” (Bild 9) beginnt, wenn der auf den anderen Bug ein. Steuermann den Winddruck auf das Segel ver­ Die stärkere Krümmung bewirkt weiter, daß das mindert und damit die Fahrt verlangsamt. Er Wasser an der längeren Luvseite schneller strömt wirft die Schot los, und ein zweiter Mann kann als an der kürzeren, weniger gekrümmten Lee­ mit der Brasse das Segel aufheißen und Rah und seite. Dadurch entsteht an der Leeseite Über­ Baum an den Mast bringen. Nun wird der Segel­ druck und an der Luvseite Unterdrück, ein Sog hals vom bisherigen Bug gelöst, zum anderen gegen den Wind, der die Abdrift mindert (Prinzip Bootsende gebracht und dort wieder festge­ der Flugzeugtragfläche). Da der Ausleger immer macht. Damit wurde das Segel auf der Leeseite in den Wind zeigt, hebt er bei starkem Wind ab des Mastes um 180° gedreht. Gleichzeitig wirft und bildet ein Gegengewicht. Bläst der Wind zu der bisherige Steuermann das etwa 3 m lange stark, klettern ein oder mehrere Männer auf die Ruder nach Lee über Bord. Es treibt an einem Auslegerbäume und beschweren sie. Auf man­ Tau, das unter der Leeplattform befestigt und chen Inseln benennt man die Windstärke nach halb so lang wie der Rumpf ist, zum anderen der Zahl der Männer, die auf dem Ausleger Bootsende und wird vom neuen Steuermann sitzen. Das Abheben des Schwimmers erhöht die übernommen. Mit den beiden Stags wird der Bootsgeschwindigkeit erheblich. Mast zum neuen Bug geneigt. Dabei ist es gut,

101 © Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.; download www.zobodat.at den Mast an seinem Fuß festzuhalten, weil die Hochseefahrten zum Fischfang oder Handel Leewanten auf See weggenommen sind. Nun setzt man eine oder zwei kleine Hütten aus Palm­ wird das Segel mit der Brasse wieder herunterge­ blättern auf die Auslegerplattformen. Sie dienen lassen und die Schot angezogen. Das Boot nimmt den Seefahrern und ihrer Ladung - z.B. Lebens­ Kurs über den neuen Bug (das bisherige Heck) mittelvorräte - als Schutz gegen die Witterung. auf. Die Abdrift während des Manövers ist nicht ”Walap”-Boote können nach Größe sechs bis groß, weil es bei einer eingespielten Besatzung zehn Mann samt Ladung transportieren. nicht länger als eine Minute dauert. Auslegerboote ähnlicher Bauart von den Gilbert- Die Reisegeschwindigkeit eines ’’walap” Inseln erreichen als ’’Rennboote” bei Wettfahr­ erreicht 5-10 Knoten (9-18 km/Std.). Die Tages­ ten, wenn der Ausleger abhebt, Geschwindigkei­ leistung beträgt zwischen 180 und 400 km. Bei ten bis zu 35 Knoten (64,8 km/Std.).

Maße von ”walap”-Auslegerbooten

Abmessungen des NHG-Modells: Abmessungen eines Fischerbootes*: Länge des Rumpfes über alles 157 cm 600 cm Breite des Rumpfes über alles 22 cm 75 cm Höhe des Rumpfes mittschiffs Lee 28 cm - Höhe des Rumpfes mittschiffs Luv 33 cm 90 cm Länge der Auslegerbäume 70 cm - Länge des Schwimmers 86 cm 360 cm Länge der Kufe 32 cm - Fläche der gesamten Plattform 68 x 27 cm - Ruderlänge 42 cm 300 cm Länge des Mastes insgesamt 157 cm 700 cm Länge des Tops 50,5 cm - Länge des Mastes 125 cm Länge der Segelstangen 126 cm 730 cm Länge der Wasserlinie Lee 111 cm - Länge der Wasserlinie Luv 116 cm - Länge des Einbaums 115 cm -

* Nach Haddon und Hornell. Alexander erwähnt 1902 Boote von 50 - 70 Fuß Länge. Das würde 15 m - 21 m bedeuten. Auf solchen Booten sollen bis zu 50 Personen samt Fracht befördert worden sein. Die Berechnungen von Maßverhältnissen zwi­ schen Modellen und originalgroßen Booten zei­ gen, daß die Modelle im Vergleich der Maße etwas vergröbert sind. Das NHG-Modell ent­ spricht gegenüber den Maßen des Fischerbootes einem Verhältnis von ca. 1:25.

102 © Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.; download www.zobodat.at Glossar Die Begriffe sind nach Haddon und Hornell sowie nach dem Wörterbuch der Seemannsspra­ che verwendet.

Abdrift seitliches Versetzen durch den Wind Anluven näher an den Wind gehen Auf den anderen wenden; hier: Fahrt über das bisherige Heck aufnehmen, Bug und Heck Bug gehen in ihrer Funktion vertauschen, Bilge tiefste Stelle im Rumpf; hier sammelt sich Wasser Bö Windstoß Brasse Tau zum Hochziehen des Segelbaumes Brise Wind bis ca. Stärke 5 Bug Vorderteil des Bootes Fall Tau zum Hochziehen und Herunterholen des Segels ’’Flying proa” Asymmetrische Auslegerboote der Karolinen Gräting Fußboden aus Holzleisten, der überkommendes Wasser durchläßt Heck Hinterteil des Bootes Klampe Querholz, hölzerner Steg, Haken Klinker Planken, die den Rumpf ziegelartig verkleiden (Wikingerschiffe) Knoten Geschwindigkeitsmaß: 1 kn = 1 Seem/Std. = 1852 m/Std. Kraweel Planken, die stumpf aneinanderstoßen und einen glatten Rumpf bilden (von Caravelle), Gegenteil zu Klinker Lee windabgewandte Seite Luv Windseite Paddel Gerät zum Vortrieb mit beiden Händen Pandanus Schraubenbaum, Blätter zum Flechten sehr geeignet Reling Geländer Ruder Bootssteuer Schot Tau zum Halten des Baumes Segelhals festgemachte Spitze des Dreiecksegels Stag Tau, das den Mast nach vorn und hinten stützt (Vorstag, Achterstag) Steven vorderster Teil des Buges Top Mastspitze Want Tau, das den Mast seitlich festhält

103 © Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e.V.; download www.zobodat.at Literatur: ALEXANDER, A.B.: U.S. Fish Comm. Rept. for 1901. PARKINSON, R., 1907: Dreißig Jahre in der Südsee. HADDON, A.C. und HORNELL, J., 1936-1938, Repr. Strecker und Schröder, Stuttgart. 1975: Canoes of . I. , Fiji and . STEIN, WOLFGANG, 1992: Kolumbus oder - wer ent­ II. and . III. Definition of Terms, deckte Amerika. Hirmer Verlag, München. General Survey and Conclusions. Bishop Museum Press, TISCHNER, HERBERT, 1981: Dokumente verschollener Flonolulu, . Südseekulturen. Abh. 38, Naturhist. Ges. Nürnberg. , GERD, 1970-71: Führungsblätter des Museums für Völkerkunde Abt. Südsee. No. 059, 061, 061b. Berlin. KOCH, GERD, 1984: Boote aus aller Welt. Museum für Anschrift des Verfassers: Völkerkunde, Berlin. Ernst Feist NATIONAL GEOGRAPHIC: Vol. 131, No. 5, 1967, S. Goldberger Str. 60 702ff. 90473 Nürnberg

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