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EKKEHARD KNÖRER

SCHLECHT VERDAUT

Harmony Korines Drastik der Form

I Drastisches Medium der Kulturindustrie:

eodor W. Adorno hat das Kino mit deutlichen Worten als „das drastische Me- dium der Kulturindustrie“ bezeichnet. In den Minima Moralia, Abschnitt 131, Überschrift „Wolf als Großmutter“. Adorno führt in seinem drastisch kinokriti- schen Minima-Moralia-Kapitel einen dialektischen Zangenangriff, in dem er das Kino weder als technologisch hochgerüstete Volkskunst (in der also ein irgend au- thentischer Geschmack oder Wille der Massen seinen und sei es noch so unbewuss- ten Ausdruck fände) noch als Kunst strictu sensu gelten lassen will – wobei er Fra- gen genuiner Autorschaft beim Kulturindustrieprodukt Film so wenig erwägt wie er die kollektive Arbeit als solche anzuerkennen bereit ist: „Daß schließlich beim Film zahlreiche Experten, auch einfache Techniker mitzureden haben, garantiert so wenig seine Humanität wie die Entscheidung kompetenter wissenschaftlicher Gre- mien die von Bomben und Giftgas.“ Kurzum: „Dem Film ist die Verwandlung der Subjekte in gesellschaftliche Funktionen so differenzlos gelungen, daß die ganz Er- faßten, keines Konflikts mehr eingedenk, die eigene Entmenschlichung als Mensch- liches, als Glück der Wärme genießen.“1 Drastische Worte über ein drastisches Medium mit sehr großen Zähnen. Es ist nicht nur der Entstehung des Buchs im amerikanischen Exil wegen klar, dass Adorno hier in erster Linie Hollywood, und also das Studiosystem meint. Dass aber aus der Kulturindustrie kein Heil kommt, auch dann, wenn sie sich als Großmutter camoufliert, gilt gewiss auch für den spä- teren und spätestens seit der Freundschaft mit Alexander Kluge dem Kino mit mehr Interesse zugewandten Adorno. Gerade die doppelte und doppelt ausweglose Adornosche Verurteilung des Ki- nos ist für eine erste Annäherung an den Filmemacher aber durchaus nicht ungeeignet. Dieser bewegt sich mit seinem Werk nämlich – in bei- nahe konzeptueller Absicht – zwischen beiden Polen, die er, auf seine Art dialek- tisch, beide eher affirmiert als verwirft: Kino als Kunst und Kino als Teil der Kul- turindustrie. Zu letzterer haben seine Filme ein, wenngleich programmatisch ungeklärtes, Verhältnis. Programmatisch ungeklärt soll heißen: Korines Kino sucht die Aufklärung dieses Verhältnisses nicht, sondern spitzt den Widerspruch zu. Es meidet nicht den Kontakt zur Kulturindustrie, sondern sucht ihn, aber in Formen, die zwischen Mimikry und Konfrontation ungeklärt und womöglich unklärbar,

1 Theodor W. Adorno, Minima Moralia, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1951, S. 274 f.

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also genuin ambivalent, schwanken. Mit Spring Breakers (von 2013) ist Korine nicht im Zentrum, aber doch in der Peripherie Hollywoods angekommen, wenn- gleich der Status des für 2017 angekündigten Films e Trap mit , , , , James Franco derzeit wieder unklar ist. Mit einem Karriereweg, dessen Teleologie vom äußeren Kunstrand des Kinos in Rich- tung kommerzieller Erfolg zielt, hat das dennoch wenig zu tun. Korine ist ein ganz anderer Fall als Steve McQueen oder Sam Taylor-Woods, RegisseurInnen, die aus der Kunst kamen und nun Filme machen, die nicht mit, sondern nach den Regeln Hollywoods spielen. Korine wurde 1995, da war er Anfang zwanzig, als Drehbuchautor des Larry- Clark-Films Kids berüchtigt oder berühmt. Der Streit darüber, ob Clark ein beson- ders einfühlsamer Dokumentarist junger Menschen in ihrer seelischen und körper- lichen Nacktheit oder eher ein grenzpädophiler Provokateur ist, lässt sich vielleicht nicht entscheiden. (Und der Vergleich der Filme von Clark mit denen Korines wäre auch im Hinblick auf die Frage der Drastik interessant.) Damals war der Vorwurf zu hören, der alternde Skandalfotograf Clark habe Korine und dessen Szenekennt- nisse nur benutzt. Korines eigene Filme erwiesen sich dann aber als noch einmal ganz anders und außerordentlich eigen, Zeugnisse eines Projekts, das woanders her kommt und woanders hin führt. Die Farben und Formen wechseln, von den sehr räudigen Americana von Gummo (1997) bis zu Trash Humpers (2009) einerseits und den deutlich höher budgetierten und auf den ersten Blick kommensurableren Mister Lonely und Spring Breakers andererseits. Drastik jedoch spielt in allen Fällen eine Rolle, vielleicht sogar dieselbe, aber gerade die gezielte Rekontextualisierung ist dabei speziell interessant. Erzählt wird in Spring Breakers vom Ausflug dreier Teenagerinnen in die Feier- meile der Strände Floridas während der einwöchigen Frühjahrsferien. Dort erleben sie Rausch, Gewalt, Alkohol, Sex und Crime und begegnen einem kriminellen Bling-Bling-Typen aus dem Klischeebilderbuch. Der eigentliche Coup ist die Be- setzung: Als eines der Mädchen hat Korine gecastet, On- and Off- Freundin von Justin Bieber und Star der bunten, kitschigen Serien für Kids des amerikanischen Disney Channel. Daneben steht schroff als Gangster James Fran- co, der große Trickster der amerikanischen Gegenwartskultur, Nervensäge, Hass- objekt, Künstler, Sexiest Man Living, Schriftsteller, Regisseur, Workaholic, Star und vor allem der Mann, der zwischen den kulturellen Subsystemen, Milieus und Rollenzuschreibungen geradezu nach Belieben wechselt, von MoMA bis Spider- man, von Wim Wenders bis , von Daily Soap bis Yale, von Cannes und Venedig und Berlin bis n +1, als wäre das nichts. (Was den Leuten dabei be- sonders auf die Nerven geht, ist vermutlich, dass dieses Shapeshiften und Milieu- wechseln wie ein cleveres Konzeptkunstprojekt aussieht – und dann auch noch aufgeht). In Spring Breakers ist Franco am richtigen Platz: mitten in Hollywood, aber in einem Film, der als ese und Antithese zugleich zu lesen wäre zu „dem Kinopro- dukt, das den Zuschauern die Gerechtigkeit jeglicher Weltordnung in jeglichem Lande grell, drohend in die Augen und Ohren treibt, um sie aufs neue, und gründ-

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