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Gesellschaft

REVOLUTIONÄRE Die letzte Guerrillera Die Geschichte von Tamara Bunke, die an der Seite Ché Guevaras in Bolivien starb, ist der Stoff, aus dem Bücher und Hollywood-Filme gemacht werden. Aber die 90-jährige Mutter der Partisanin bekämpft jeden, der die Legende ihrer Tochter befleckt. Von Alexander Osang

n einem Vormittag im Oktober 1967 34 Jahre später wartet Christian Schertz ten, Politiker und Regisseure an Leiden- drückte ein hoher Beamter des ku- in seinem großen, hellen Büro am schaften anderer. Tamara Bunke starb an Abanischen Innenministeriums Nad- Ku’damm auf die Mutter der Partisanin. der Seite Ché Guevaras. Schertz vertritt ja Bunke einen Zettel in die Hand, auf dem Er ist einer der besten Medienanwälte seit Jahren die Mutter der toten Guerri- stand, dass ihre Tochter tot sei. Den Hel- Deutschlands. Sein Büro ist mit Fotos von llera. dentod sei sie gestorben, sagte der Coman- Jim Rakete geschmückt, es gibt Bruce Nadja Bunke ist 90 Jahre alt und betritt dante. Nadja Bunke fragte nicht weiter. Es Springsteen und Emmanuelle Béart, und es das lichte Büro wie einen fremden Plane- gab ja keine Antworten. Sechs Jahre lang gibt ein riesiges Poster des „Time“-Titels, ten. Sie scheint eine lange Reise bis nach hatte sie keine Antworten bekommen. der erschien, nachdem John Lennon er- Charlottenburg hinter sich zu haben. Es ist Jetzt war ihre Tochter tot, und sie wusste schossen worden war. Schertz mag Mythen warm draußen, aber sie trägt eine Mütze, nichts. Es war ganz still in dem alten Ge- wie auch Mick Jagger, Robert Redford und eine Fellweste und einen Schal, der aus- bäude in Havanna. Nadja Bunke weiß fast alle, die an dieser Geschichte beteiligt sieht, als würde er kratzen. Ihre Augen noch, dass sie danach Mittagessen gingen, sind. Anwälte hängen sich wie Journalis- verschwimmen hinter großen, milchigen weil Essen wichtig ist. Sicher habe sie auch geweint, sagt sie. Sicher. Als sie wieder in Berlin war, ging Nadja Bunke gleich zum „Neuen Deutschland“ und ließ eine Todesanzeige in die Zeitung setzen. Man wollte sie abwimmeln, weil es keine Erfahrungen mit privaten Todes- anzeigen für Partisanen gab, aber seltsa- merweise schaffte das niemand. Am 3. No- vember 1967 erschien die Anzeige. „Erst jetzt wurde es zur schmerzlichen Gewissheit, dass unsere liebe, tapfere Tochter, Schwester, Nichte, und Schwäge- rin, Genossin Tamara Bunke, Guerrillera ,Tania‘, geb. am 19. 11. 1937 in , am 31.8.1967 am Rio Grande in Bo- livien gefallen ist. Sie hat ihr junges Leben dem revolutionären Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker Latein- amerikas gewidmet und geopfert. Ihr Andenken werden wir stets in Ehren halten.“

Mutter Bunke, Tochter Tamara Kompliziertes Heldenleben

JENS RÖTZSCH / OSTKREUZ (L.) 60 Brillengläsern, sie läuft langsam und be- ein Romanistikstudium an der Humboldt- unbekannte Leben. Sie erfuhr, dass Tamara ginnt bereits auf dem Weg zu ihrem Stuhl Universität. Sie fieberte mit den kubani- seit 1963 für den kubanischen Geheimdienst zu reden. Sie setzt die Mütze nicht ab. Sie schen Revolutionären und lernte 1960 Ché gearbeitet hatte. Ihre Tochter hatte den redet von Verrat und Verleumdung, sie Guevara kennen, der als Minister für In- Agentennamen „Tania“ bekommen. Sie war nennt Namen, ohne sie zu erklären, sie dustrien die DDR besuchte. Sie dol- mit verschiedenen Namen, Frisuren, Pässen springt über Kontinente und Gesell- metschte in für ihn und war faszi- durch Westeuropa gereist. Sie hatte auch schaftsordnungen. Sie spricht ihr nie en- niert. Er stammte aus Argentinien wie sie. Berlin noch mal besucht, befand sich ganz in dendes Schlussplädoyer. Ein kubanischer Argentinier. Im Mai 1961 der Nähe des Hauses ihrer Eltern, ohne sich Nadja Bunke kommt aus einer jüdischen flog sie als Dolmetscherin mit dem kuba- zu melden. Schließlich war sie als Laura Gu- Familie in Odessa, sie lernte in Berlin den nischen Nationalballett nach Kuba und tiérrez Bauer nach Bolivien gefahren. Arbeitersohn und Sportlehrer Erich Bun- kam nie wieder. Sie schrieb ein paar Brie- Tamara Bunke sollte dort Verbindungen ke kennen. 1935 floh sie mit ihm vor den fe an ihre Eltern. zu Regierungskreisen knüpfen und her- Nazis nach Argentinien, wo 1937 ihre Toch- Nadja Bunke bewahrt 39 Briefe von Ta- ausfinden, ob die Arbeiter- und Bauern- ter Tamara geboren wurde. Die Bunkes mara in einem Kästchen auf. Im letzten schaft bereit sei für den revolutionären waren Kommunisten. 1952 kehrte die Fa- hatte die Tochter geschrieben, dass sie Aufstand. Zwei Jahre lang lebte sie hier milie in die DDR zurück, in die neu ge- genügend esse und mehr schlafe als früher. unentdeckt. Sie arbeitete für das Informa- gründete Stalinstadt, die später in Eisen- „Ich weiß, dass Ihr etwas Geduld haben tionsbüro im Präsidentenpalast, gab den hüttenstadt umbenannt wurde. Erich Bun- werdet und dass in diesem Fall Ihr sie mit Kindern des Präsidenten Deutschunter- ke arbeitete wieder als Lehrer. Die Eltern ‚großer Freude‘ haben werdet, weil Ihr richt, knüpfte Kontakte zu Männern der fühlten sich endlich angekommen, Tamara wisst, dass ich meine Pflicht erfülle, und ich feinen Gesellschaft. Sie heiratete einen Ein- Bunke vermisste Argentinien, die Musik, weiß, dass es für Euch, ebenso wie für heimischen, um die bolivianische Staats- die Sprache, die Mentalität. Ihren Antrag, mich, immer das Erste ist.“ angehörigkeit zu erlangen. 1966 traf endlich in die SED aufgenommen zu werden, be- Ihre Tochter hatte ihre Pflicht offenbar Ché Guevara mit seinen Getreuen ein, um gründete Tamara mit dem Wunsch, später erfüllt. Was aber war ihre Pflicht, die im bolivianischen Dschungel die Revolu- in Argentinien für die Sache der Arbeiter- Pflicht der Mutter? tion zu entfachen. Von da an lief nichts klasse zu kämpfen. Sie schrieb sich mit jun- Nadja Bunke begann, ihre Tochter zu su- mehr. Ché Guevara, der schon im Kongo gen Lateinamerikanern und begann 1958 chen. Sie sammelte Informationen über das beim Revolutionsexport gescheitert war, zerstritt sich mit dem Führer der - nischen Kommunisten. Er beauftragte Ta- mara Bunke, in zu bleiben, aber sie wollte endlich in den Dschungel, kämpfen. Tamara Bunkes Identität flog bald auf. Ob sie sich selbst verriet oder verraten wurde, ist unklar. Sie konnte nicht mehr zurück. In zwei kleinen Gruppen kreisten die Partisanen ziellos durch den Urwald. Ab und zu starb jemand, ab und zu deser- tierte jemand. Ché Guevara war in der ers- ten Gruppe, Tamara Bunke in der zweiten. Es heißt, sie sei zum Schluss sehr krank gewesen. Am 31. August geriet Tamara Bunkes Gruppe in eine Falle. Sie wurden erschossen, „Tanias“ Leiche trieb tagelang auf dem Rio Grande. Sechs Wochen später starb auch Ché Guevara. Die Mörder ver- scharrten die Toten irgendwo. Das war alles. Schon damals wuchsen zwischen den dünnen Nachrichten die Widersprüche. Ein

Guerrillero Guevara, trauernde Bunke am Sarg ihrer Tochter (1998): Pflicht erfüllt

ALBERTO KORDA / ZEITENSPIEGEL (L.); ADALBERTO ROQUE / AFP (R.) 61 Gesellschaft

Stasi-Offizier namens Günter Männel, der Auseinandersetzungen mit Nadja Bunke Zapata hatte das Bild einer berechnenden in den Westen gegangen war, behauptete in immer noch nicht, woher deren Entschlos- Mehrfachagentin Tamara Bunke gezeich- der Zeitung, dass Tamara Bunke KGB- senheit kommt. Er holt vergilbten Schrift- net, die sich durch die Betten der bolivia- Agentin und Geliebte von Ché Guevara wechsel auf krissligem, holzhaltigem DDR- nischen High Society schlief und am Ende gewesen sei. In Bolivien hieß es, Ché Gue- Papier hervor. Seitenlange Einschätzungen Ché Guevara ans Messer lieferte. vara sei verraten worden, weil seine Ideen von Nadja Bunke, unnachgiebig, gnaden- Nadja Bunke führte an 14 Punkten vor, die sowjetischen Parteiführer gestört hät- los, ohne Ende. Sie sammelte ihre Argu- dass Zapata schlecht recherchiert habe. ten. Nadja Bunke begriff, dass ihre Tochter mente in langen Listen und schrieb immer Punkt 9: Es sei unzutreffend, dass Ta- für ein Mädchen aus Stalinstadt ein ziem- mit vielen Durchschlägen. Sie wachte wie mara Bunke Hass auf ihre Eltern gehabt lich schwieriges Heldenleben geführt hat- eine Buchhalterin über das Leben Tamaras. habe. te. Der DDR-Filmemacher Konrad Wolf Panitz schaut auf einen Beschwerdekatalog Punkt 13: Es sei unzutreffend, dass Ta- hat zweimal versucht, einen Film über das mit 35 Punkten, den Nadja Bunke 1973 in mara Bunke dreifache Agentin für KGB, Leben von Tamara Bunke zu drehen. Zwei- ihre Schreibmaschine hämmerte. Staatssicherheit und den kubanischen Ge- mal ist er an der SED gescheitert. Niemand Punkt 25: Ich habe mit dem Manuskript heimdienst gewesen sei. wusste, wie man mit Tamara Bunke um- von Eberhard Panitz nichts zu tun. Nadja Bunke hatte sich im Dezember gehen sollte. Sie schien eine zerbrechliche „Es war ziemlich unüblich in der DDR, 1997 auf den Weg nach Moskau gemacht, Heldin zu sein. Am besten, man ließ sie dass man Prozesse führte. Normalerweise um aus dem Pressebüro des russischen unberührt. einigte man sich so. Unter Genossen“, sagt Auslandsaufklärungsdienstes folgende Er- Nadja Bunke ahnte, was ihre Pflicht war. Panitz. „Ich habe immer versucht, die Frau klärung abzuholen: „Da wir jedoch Sie musste das Andenken ihrer Tochter be- zu verstehen. Sie war ja die Mutter.“ In berücksichtigen, dass es sich hier um Ihre schützen. Sie kündigte in ihrem Betrieb, sie seinem Arbeitszimmer stapeln sich die un- geliebte Tochter handelt, die sich leider sagte dem Direktor, dass sie jetzt andere verkäuflichen Exemplare seines letzten Ro- nicht selbst verteidigen kann, versichern Aufgaben habe. Der Kampf war nicht zu mans. Er hat „Der Weg zum Rio Grande“ wir Ihnen, dass der Auslandsaufklärungs- Ende, Nadja Bunke nahm die Fahne auf. noch mal als kleine Broschüre in einem dienst keinerlei Materialien und Do- Eberhard Panitz war so was wie ihr ers- winzigen Verlag namens GNN herausge- kumente besitzt, welche die Version der tes Opfer. Er war ein erfolgreicher DDR- bracht. Es ist nur ein schmales rotes Heft, Zusammenarbeit von Tamara Bunke mit Schriftsteller, der Tamara Bunke bei einer das unansehnlich aussieht wie eine Bro- der Auslandsaufklärung des KGB be- Kuba-Reise getroffen hatte. Sie bestiegen schüre mit dem Rechenschaftsbericht ei- stätigen.“ zusammen einen Berg, den Pico Turquino, nes SED-Parteitags. Aber auch das hat Mit etwas kippliger Handschrift versi- es gibt ein paar Fotos von den beiden. Nadja Bunke entdeckt. cherte ihr auch noch Nikolai Sergejewitsch Panitz glaubt, dass sie ein Auge auf ihn ge- „Er hat den Satz reinschreiben lassen, Leonow, pensionierter General der so- worfen hatte. „Ich kannte sie ja länger, als dass sein Buch sich auf die Informationen wjetischen Auslandsaufklärung, dass „un- Ché Guevara sie kannte“, sagt er, was ein der Eltern stütze“, sagt Nadja Bunke. „Das ser Dienst keinerlei Beziehungen mit Ta- bemerkenswerter Satz ist. Und vielleicht musste er zurücknehmen. Er denkt, ich bin mara Bunke (Partisanin Tania) in Verbin- sein ganzes Problem umreißt. Später eine alte Frau, die sich an nichts mehr er- dung mit Ché Guevara hatte“. schrieb er ein Buch über Tamara Bunke. Es innert. Aber da liegt er falsch.“ Die Gauck-Behörde versicherte ihr, dass heißt „Der Weg zum Rio Grande“. Nadja Das Buch „Tania. Die Frau, die Ché zu ihrer Tochter „keine Hinweise auf Un- Bunke versuchte, die Veröffentlichung zu Guevara liebte“ des uruguayischen Jour- terlagen vorliegen“. Der Aufbau-Verlag verhindern. Mit allen Mitteln. nalisten José Zapata, das 1997 im Aufbau- nahm das Buch vom Markt. Vor kurzem Der alte Schriftsteller sitzt in seinem Verlag erschien, hat Nadja Bunke noch im hat Nadja Bunke herausbekommen, dass es hübschen Häuschen in Berlin-Grünau. Er selben Jahr von Schertz per einstweiliger eine spanische Version des Zapata-Buches begreift nach all den Jahren, nach all den Verfügung aus dem Verkehr ziehen lassen. gibt. Auch sie ist inzwischen verboten. THOMAS BILLHARDT (L.) BILLHARDT THOMAS Guerrillera Bunke auf Kuba (1961), in Bolivien (1967): Immer wieder neue Frisuren, Namen, Pässe

62 der spiegel 11/2002 Sie kennt sogar die Buchseite, auf der Nadja Bunke ist viel gereist im Auftrag ihre Eltern: Wir gehen jetzt zurück nach der Hamburger Journalist Volker Skierka ihrer Tochter. Einmal im Jahr fährt sie nach Deutschland, um dich auf den richtigen in seiner Fidel-Castro-Biografie die Le- Kuba, wo Tamara Bunke seit 1998 begra- Weg zu bringen. Und, nebenbei, wir re- gende ihrer Tochter befleckte. Es ist die ben ist. In Hollywood aber war Nadja Bun- den hier von Ostdeutschland. Und so Seite 233. Sie hat die Stelle gefunden, be- ke noch nie. Es würde sie verwirren, denn kommt sie aus sexy Argentinien direkt ins vor das Buch erschien. Irgendwie ist sie an hier ist jedes Leben nur Material. kalte, schlecht gelaunte Leipzig oder wo die Druckfahnen gekommen. Skierka hat- Alex Butler sitzt in einem flachen, pas- immer sie auch hinging, egal, ein nieder- te geschrieben, dass Tamara eine Affäre tellfarbenen Haus auf dem Gelände der schmetternder Ort. Die lässt nicht lan- mit Ché Guevara hatte und für den KGB Filmfirma Paramount in Los Angeles. Er ge auf sich warten, klar, Tania ist zwei- arbeitete. hat die Füße auf einem kleinen Schränk- sprachig, sie soll ein Auge auf die latein- Die Mutter erzwang eine Unterlas- chen abgelegt. Er trägt weiße Leinenhosen amerikanischen Studenten werfen. Sie geht sungserklärung, und als Skierka vor ein und Slipper, keine Strümpfe. Durch das mit dem einen oder anderen ins Bett, paar Monaten in Berlin ein Gespräch mit kleine, freundliche Büro wieselt ein win- macht diese Mata-Hari-Nummer. Ziemlich Ché Guevaras Tochter moderieren sollte, ziger Hund. deprimierend für ein junges Mädchen. lud ihn der Veranstalter wie- Aber da kommt Ché Guevara ins Land. der aus, weil sich Nadja Ihre Tochter war tot. Nadja Bunke wusste Und Ché Guevara war die aufregende Sei- Bunke über den Journalis- te des Sozialismus. Er war Sex. Und sie ten bei der kubanischen nichts. Nur eins: Der Kampf war trifft ihn, und es wirft sie um. Ich meine, da Botschaft beschwert hatte. nicht zu Ende, sie nahm die Fahne auf. stehen all diese Parteibürokraten in ihren Skierka hat die Unterlas- billigen Anzügen, und plötzlich kommen sungserklärung, der er sich schnell unter- Butler ist ein Produzent, der vor fünf die Kubaner an, sie stecken in Kampfuni- werfen musste, inzwischen wieder zurück- Jahren auf die Idee kam, irgendwas über formen, sie haben Bärte, Barette und rau- gezogen. Er sagt, er habe neue Beweise. Ché Guevara zu machen. Damals fand man chen Zigarren. So. Wenig später geht sie Vielleicht gibt es bald einen Prozess. die Knochen des Revolutionärs, und es gab nach Kuba, da passiert es. Sie trifft Ché Schertz sagt, es sei eine Schande, die alte wieder mal großes Interesse an dem Frei- wieder, und er bittet sie, mit ihm die Re- Dame vor Gericht zu zerren. heitskämpfer. volution in die Welt zu tragen. Sie geht ins Zu DDR-Zeiten gab es über 200 Jugend- „Die einen wollen erzählen, wie Ché beschissene Bolivien, heiratet zum Schein clubs, Schulen und Brigaden, die den Na- Guevara als junger Mann mit dem Motorrad einen einheimischen Jungen, sie hat in- men Tamara Bunke trugen. Sie war eine durch Argentinien fährt, noch bevor er Fi- zwischen schon drei oder vier Identitäten Heldin. Heute gibt es nur noch einen Club, del trifft. Das ist das Roadmovie. Und dann und wartet auf Ché. Zwei Jahre lang ganz und Tamara Bunke ist nicht mehr un- gibt’s das Buddymovie. Ché und Fidel. Wir allein. Eine junge Revolutionärin zwischen berührbar. Jeder tatscht sie an. aber wollten einen romantischen Film. Wir all diesen rechten Bolivianern. Dann Nadja Bunke hat im hohen Alter noch schauen uns Ché Guevara durch die Augen kommt Ché, geht in den Dschungel, ver- den Namen von Mick Jagger kennen ge- einer Frau an. Er ist nicht die Hauptfigur. rennt sich. Und im Finale entscheidet sich lernt. Auch jemand, der einen Film ma- Unsere Hauptrolle spielt eine Frau. Tania.“ diese Mata Hari, diese aufregende, außer- chen will. Wie damals Konnie Wolf. Nur Butler erzählt den Plot eines Films. Er ordentliche Frau, an seiner Seite zu ster- mit längeren Haaren. Sie hat Zeitungsaus- redet, als wolle er Tamara Bunkes Leben ben. Und das Wahnsinnige ist: Wir müssen schnitte in ihren Ordnern, die sagen, dass verkaufen. uns fast nichts ausdenken. Ich würde gern sowohl Robert Redfords Filmfirma Wild- „Also. Sie ist in Argentinien geboren. festschreiben, dass es ihre Entscheidung wood Enterprises als auch Mick Jaggers Im wunderbaren, sonnigen, sexy Argenti- ist, im Dschungel bei Ché zu bleiben. Es Filmfirma Jagged Films an dem Stoff in- nien, wohin ihre Eltern fliehen mussten vor könnte viele Gründe geben. Ich finde jede teressiert sind. den Nazis. Als sie ein Teenager war, sagen Menge Bolivianer, die mir sagen, sie sei ARCHIVO FAMILIAR / AFP (L.)ARCHIVO FAMILIAR Lebemann Guevara mit Ehefrau in Havanna (1959), Kampfgenossin Bunke: Sie traf ihn, und es warf sie um

der spiegel 11/2002 63 Gesellschaft zum Schluss schwanger gewesen. Oh. Da star und ein Polit-Star“, sagt Alex Butler. Die Schrankwand ist voll gestopft mit den frage ich mich, von wem?“ Mick und Ché. Irgendwie passt das alles Dokumenten ihrer Tochter. Überall gibt es Man kann sich vorstellen, wie die Ohren zusammen. Butler hatte auch mal die Idee, Gemälde von Tania la Guerrillera. Sie hän- der Repräsentanten von der Produktions- Tamara von Katarina Witt spielen zu las- gen an der Wand, stehen auf der Erde, im firma Warner Brothers bei den ersten sen. Weil die ja auch aus dem Osten Flur, auf dem Sofa. Es gibt Ehrenteller, Abendessen glühten. Interessant, sagten kommt. Alles fließt. Das Leben, das Nad- Wandteppiche und Gedenkmedaillen. Wie sie. Bringen Sie uns einen erstklassigen ja Bunke so sorgsam zusammenzurrte, löst soll man so was wegschmeißen. Es stapeln Drehbuchschreiber. Butler brachte ihnen sich hier auf. sich das „Neue Deutschland“ und die ku- seinen Freund Deric Washburn, der am Draußen scheint die Sonne auf die Ku- banische „“, die beiden einzigen Drehbuch für „Die durch die Hölle gehen“ lisse der alten Cowboy-Serie „Rauchende Zeitungen, die sie liest. Nadja Bunke hat mitgeschrieben hatte und dafür eine Oscar- Colts“, die jetzt ein Restaurant ist. Man auf zwei Teller Rosinenbrot gelegt, es gibt Nominierung bekam. Gut, sagten die Pro- kann darüber nachdenken, ob die Atten- Johannisbeermarmelade und winzige Gläs- duzenten von Warner. Bringen Sie uns ei- tate in New York die Situation für roman- chen mit Wodka. Vorm Fenster steht der nen erstklassigen Regisseur. Sie brachten tische Terroristenfilme eher verschlechtert Berliner Fernsehturm. Michael Radford, der den Film „Il Posti- oder verbessert haben. Oder no“ gemacht hatte. Warner sagte okay, aber man genießt den Tag. Ihr Leben liest sich wie ein Drehbuch – man dann brauchen wir noch einen Star. Sie tra- Seit ein paar Monaten dis- fen sich mit Antonio Banderas, der Inter- kutiert man in Amerika über kann sich vorstellen, wie den Leuten esse zeigte an der Rolle von Ché Guevara. das Recht Hollywoods, im von Warner Brothers die Ohren glühten. Es gab Geld. Es hieß, Winona Ryder sei wahren Leben herumzubas- als Tamara Bunke im Gespräch. Es wurden teln. Anlass war der Film „A Beautiful Sie erzählt über ihre Mutter und den Va- zwei Drehbuchentwürfe erarbeitet. Es sah Mind“, in dem Russell Crowe eine freie, ter, der verbannt wurde. Von der Zeit in gut aus, aber dann verlor das Projekt ein leichte Variante des schizophrenen Nobel- Odessa, wo sie hin und her zogen, weil ihr wenig an Tempo. preisträgers John Forbes Nash Jr. spielt. Das Vater, der an der Revolution 1905 beteiligt „Die Studiojungs in den Anzügen ken- ist keine schlechte Nachricht für den Anwalt war, gesucht wurde. Das Revolutionäre lag nen doch von Ché Guevara nicht mehr als in Charlottenburg. Schertz hat in Kalifornien in der Familie. Sie hält das Marmeladen- das Poster. Die haben keine Überzeugun- recherchiert, dass das Persönlichkeitsrecht brot in der Hand, will abbeißen, aber dann gen. Wir schauen mehr nach europäischen dort gar nicht so anders gehandhabt wird. Er legt sie es doch wieder hin. Manchmal Geldgebern. Deutschland ist ein interes- will kein Geld mit dem Fall verdienen, sagt schaut sie hoch, um kurz zu sehen, wer santer Markt. Man muss Geduld haben. Es er. Er will, dass sie die Wahrheit erzählen. dort eigentlich sitzt. Als erwachte sie aus ei- ist ein guter Stoff. Mick hängt auch dran. Die Wahrheit. nem Traum. Beim letzten Gespräch saß sie Wenn er hier ist, so fünf-, sechsmal im Jahr, Nadja Bunke sitzt neben ihrer kleinen in einem kleinen Zeuthener Eiscafé fünf reden wir immer über das Projekt Tania. Einbauküche. Das Glas der Durchreiche ist Stunden lang vor Palatschinken und einer Ché Guevara ist ein Held seiner Genera- braungelb geriffelt. Sie ist in eine kleinere Tasse Tee. Essen ist immer noch wichtig, tion. Mick Jagger ist ein sehr politischer Wohnung gezogen. Ihr Mann starb vor ein aber sie hat nicht mehr viel Zeit. Mensch. Sie sind ja beide Ikonen, ein Rock- paar Jahren. Zu viel Platz lenkt nur ab. Im Herbst 1967, als sie noch nicht wuss- te, dass ihre Tochter tot war, bekam sie vom Kubanischen Institut für Völker- freundschaft einen Ausschnitt aus der bo- livianischen Zeitung „El Diario“ zuge- schickt. In dem Ausschnitt posierte der Prä- sident René Barrientos neben der Leiche einer Agentin, einer Frau namens Laura Bauer Gutiérrez. Daneben war der boli- vianische Pass der Toten abgebildet. Es war Bolivien, es war ein fremder Name, ein fremdes Gesicht. Aber Nadja Bunke fiel ein, dass ein hoher Offizier des kubani- schen Sicherheitsdienstes ihr gesagt hatte: Wenn es schlechte Nachrichten gibt, er- fahren sie es. Dieser Zeitungsausschnitt war die Nachricht. Es war abends. Ihr Mann lag schon nebenan im Schlafzimmer. Sie hat die Zeitung vor ihm versteckt. Viel- leicht hielt sie ihn für zu schwach. Am nächsten Tag kaufte sie sich einen schwarzen Mantel. „Die Mutter ist wohl so eine gute, alte ostdeutsche Kommunistin“, sagt Holly- wood-Produzent Butler nach dem Mittag- essen. Er hat eine einfachen Espresso in der Hand, in dem ein Zitronenfitzelchen schwimmt. „Richtiger Hardcore. Sie ist noch gut beieinander, sagen Sie? Na, ver- mutlich hält sie die Story ihrer Tochter am ACTION PRESS ACTION ANN SUMMA (L.); REX FEATURES / ACTION PRESS (M.); CAMERA PRESS / PICTURE PRESS (R.) PRESS / PICTURE PRESS (M.); CAMERA / ACTION (L.);ANN SUMMA REX FEATURES Leben, diese spannende Geschichte.“ Filmproduzent Butler, Darsteller Ryder, Er bezahlt, lobt das Tattoo der Kellnerin Banderas, Geldgeber Jagger und blinzelt in den wolkenlosen Himmel „Ché Guevara war Sex“ über Los Angeles. ™

64 der spiegel 11/2002