Zwischen Plautdietsch, Hochdeutsch und Spanisch: Dreisprachigkeit von in und Bolivien lebenden Mennoniten und ihre Auswirkung auf die spanische Lernersprache

Inaugural Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie in der Fakultät für Philologie der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM

vorgelegt von Kristin Ostendorf

Gedruckt mit der Genehmigung der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum.

Referent: ______Prof. Dr. Judith Visser

Korreferent: ______Prof. Dr. Gerald Bernhard

Tag der mündlichen Prüfung: ______4. Dezember 2017 Meiner Mutter (†2012)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 9

2 Mennoniten: Glaube, Herkunft, Geschichte und Tradition 13 2.1 DieEntstehungdesmennonitischenGlaubens...... 13 2.2 GlaubensgrundlagenundLebensweisederMennoniten...... 14

3 Sprache und Migration 19 3.1 Sprachgebrauch religi¨oserGruppen...... 20 3.2 AuswanderungsbewegungenderMennoniten...... 21 3.2.1DeutscheinRussland...... 23 3.2.2DeutscheinderUkraine...... 25 3.3 AnabaptisteninAmerikaundKanada...... 28 3.4 Anabaptisten in Sudamerika...... ¨ 41 3.5 AußenkontaktederMennoniten...... 45

4 Mennoniten in Sudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander 49 4.1 Spanisch in Sudamerika...... ¨ 49 4.2 Paraguay...... 50 4.2.1LandesinformationenzuParaguay...... 50 4.2.2MennoniteninParaguay...... 51 4.2.3SpanischinParaguay...... 54 4.3 Bolivien ...... 58 4.3.1 Landesinformationen zu Bolivien ...... 58 4.3.2 Mennoniten in Bolivien ...... 62 4.3.3 Spanisch in Bolivien ...... 65

5 Plautdietsch als niederdeutsche Variet¨at 69 5.1 Niederdeutsch: ein historischer Uberblick...... ¨ 70 5.2 CharakteristikadesNiederdeutschen...... 70 5.3 DieEntwicklungdesPlautdietschen...... 71 5.4 CharakteristikadesPlautdietschen...... 74

5 Inhaltsverzeichnis

6 Vorbereitungen der Feldforschung in Paraguay und Bolivien 79 6.1 Mennonitische Glaubensgemeinschaft als Sprachminderheit in Sud-¨ amerika...... 79 6.2 WahlderBefragungsform...... 80 6.3 EntwicklungdesLeitfadeninterviews...... 81 6.4 BefragunganhanddesLeitfadeninterviews...... 82 6.5 Voraussetzungen furdieTeilnahmeamInterview...... ¨ 84

7 Feldforschung in Paraguay 87 7.1 DieIntervieworte...... 87 7.1.1 Das mennonitische G¨astehaus in Asunci´on...... 87 7.1.2DieIglesiaConcordia...... 88 7.1.3DasColegioConcordia...... 89

8 Auswertung der Interviews aus Paraguay 95 8.1 AuswertungnachAlterundGeschlecht...... 95 8.2 AuswertungnachberuflichemHintergrund...... 95 8.3 AuswertungnachHerkunft...... 96 8.4 SprachkompetenzenundSpracheinstellungen...... 97 8.4.1SprachkomptetenzenimPlautdietschen...... 97 8.4.2SprachkompetenzenimSpanischen...... 103 8.4.3SprachkompetenzenimHochdeutschen...... 109 8.4.4SprachkompetenzeninanderenSprachen...... 114 8.4.5 Die Mehrheitsgruppe und die eigene Sprachgemeinschaft . . 118 8.4.6 Einsch¨atzungzureigenenAußenwirkung...... 121

9 Feldforschung in Bolivien 129 9.1 DieIntervieworte...... 129 9.1.1 Die calle 6 de agosto ...... 129 9.1.2DasMennoniteCentralCommittee...... 130 9.1.3DieKolonieMorgenland...... 136

10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien 147 10.1AuswertungnachAlterundGeschlecht...... 147 10.2AuswertungnachberuflichemHintergrund...... 148 10.3AuswertungnachHerkunft...... 149 10.4SprachkompetenzenundSpracheinstellung...... 151 10.4.1SprachkompetenzenimPlautdietschen...... 151 10.4.2SprachkompetenzenimSpanischen...... 159 10.4.3SprachkompetenzenimHochdeutschen...... 164 10.4.4SprachkompetenzeninanderenSprachen...... 170

6 Inhaltsverzeichnis

10.4.5 Die Mehrheitsgruppe und die eigene Sprachgesellschaft . . . 172 10.5AusblickausmennonitischerSicht...... 179 10.6Zwischenfazit...... 183

11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten 185 11.1GewinnungderFehlerdaten...... 185 11.2FehlerdefinitionundKlassifizierung...... 186 11.2.1DieFehlerbestimmungimFremdsprachenunterricht..... 188 11.2.2 Die Verst¨andlichkeit...... 189 11.3Interferenz,Transfer,Entlehnung...... 190 11.3.1DerTransfer...... 191 11.3.2DieSimplifizierung...... 194 11.4 Kontrastive und ¨ahnlicheGrammatik...... 195

12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen 199 12.1Determinanten...... 200 12.1.1Paraguay...... 200 12.1.2Bolivien...... 202 12.2Flexionen...... 204 12.3 Differenzierung von ser, estar, hay und tener ...... 210 12.4Modus...... 212 12.5Tempora...... 212 12.6Kongruenzen...... 218 12.7 Pr¨apositionen...... 221 12.8Konjunktionen...... 225 12.9Pronomen...... 225 12.10Code-Switching...... 229 12.11 Weitere Besonderheiten zu m¨oglichenInterferenzen...... 230 12.12Zwischenfazit...... 232

13 Auswertung der direkten Translationen 235 13.1 Auswertung zu ErkamletztenSamstag“...... 237 ” 13.2 Auswertung zu ErkamjedenSamstag“...... 240 ” 13.3 Auswertung zu Ichbin20Jahrealt“...... 243 ” 13.4 Auswertung zu SiesollihrerMutterhelfen“...... 246 ” 13.5 Auswertung zu IchmagmeineNachbarn“...... 251 ” 13.6 Auswertung zu Bistdusicher,dassernichtsgetanhat?“..... 254 ” 13.7 Auswertung zu Wenn ich Zeit gehabt h¨atte, h¨atte ich das Buch ” gelesen“...... 260 13.8 Auswertung zu Ichbinbereit,eszutun“...... 264 ” 13.9 Auswertung zu PeterwirdzumFischengehen“...... 268 ”

7 Inhaltsverzeichnis

13.10Zwischenfazit...... 273

14 Ausblick 277

Literatur 281

Anhang 291

8 Mennonitische Identit¨at ist ein komplexes, ver¨anderbares Gebilde.“ ” Hans Adolf Hertzler, Pfarrer

1 Einleitung

Die Glaubensgemeinschaft der Mennoniten ist eine ursprunglich¨ aus Norddeutsch- land stammende und seit dem 16. Jh. existierende Gruppe, die uber¨ die vergangenen Jahrhunderte aus religi¨osen Grunden¨ immer wieder verfolgt wurde und daher oft auswanderte. Sie siedelte in vielen Regionen, bislang in Friesland, Preußen, Russ- land, Kanada, Mittel- und Lateinamerika sowie mittlerweile auch Afrika. Mennoni- ten wandern stets geschlossen in gr¨oßeren Gruppen weiter und das Besondere ist, dass sich viele von ihnen bis heute die niederdeutsche Sprache, die die Grunderv¨ ¨ater der Glaubensgemeinschaft sprachen und die in Teilen Norddeutschlands damals die Mehrheitssprache war, bis heute erhalten. Die niederdeutsche Variet¨at der Menno- niten ist das sogenannte Plautdietsche. Daneben spielt fur¨ die Wiedert¨aufer oder Anabaptisten, wie sie auch genannt werden, das Hochdeutsche eine entscheidende Rolle, da es bei ihnen als Sprache der Bibel gilt. Sie legen auch Wert darauf, ihre kulturellen europ¨aischen Wurzeln zu pflegen - selbst dann, wenn sie selbst noch nie dort waren und Europa lediglich von Bildern und Erz¨ahlungen kennen. Die meisten von ihnen ziehen eine isolierte Lebensweise vor und es gibt oft kaum Kontakt zu Eingeborenen ihrer Siedlungsl¨ander. Abh¨angig davon, wie konservativ die einzelnen mennonitischen Zweige sind, lernen sie kaum oder gar nicht die offiziellen Sprachen ihrer Einwanderungsl¨ander. In Lateinamerika ist das Spanische daher fur¨ die Wie- dert¨aufer eine Fremdsprache, die nicht von allen beherrscht wird. Mennoniten haben also in der Regel zwar die Staatsburgerschaft¨ ihres Einwanderungslandes, identifi- zieren sich aber mit dem Idiom und der Kultur des deutschsprachigen Raumes, unabh¨angig davon, ob sie schon einmal dort waren oder nicht. Die mennonitische Identit¨at ist daher offenkundig komplex, und dies manifestiert sich nicht zuletzt auf sprachlicher Ebene. Mittlerweile siedeln die Wiedert¨aufer auf allen Kontinenten und es gibt fur¨ eine Vielzahl der mennonitisch bewohnten Regionen unterschiedlich umfangreiche Un- tersuchungen zu ihrem Sprachverhalten. Ziell¨ander der vorliegenden Untersuchung sind Paraguay und Bolivien, eine detailliertere Begrundung¨ zu dieser Wahl folgt im Verlaufe der Arbeit, wichtig ist aber anzumerken, dass aus dem spanisch- und por- tugiesischsprachigen Raum stammende sprachwissenschaftliche Datenerhebungen zu diesem Thema bislang rar sind. Lediglich vereinzelte Arbeiten zu Uruguay, Brasilien und dem mittelamerikanischen Mexiko (Brand 1992, Kaufmann 1997, Scharf 2001, Durksen¨ 2013) konnten zeigen, wie unterschiedlich die (sprachliche) Integration der Wiedert¨aufer in den einzelnen Gebieten, in denen sie siedeln, ist. Die Grunde¨ fur¨

9 1 Einleitung diese Unterschiede sind vielf¨altig; sie h¨angen zum einen davon ab, inwiefern die Re- gierung des Gastlandes ihnen Privilegien wie den Aufbau und Erhalt eigener Kirchen und Schulen gew¨ahrt; dies spielt fur¨ die Wiedert¨aufer eine große Rolle, denn es ist fur¨ sie entscheidend, dass sie ihren Glauben praktizieren durfen¨ und sich nicht in das nationale Schulsystem ihrer Einwanderungsl¨ander eingliedern mussen,¨ da die dort gelehrten Inhalte stark davon abweichen, was zumindest die konservativen Glaubens- bruder¨ selbst an ihren Nachwuchs weitergeben m¨ochten: vor allem die Bibel und den Katechismus. Zum anderen ist das Interesse der unterschiedlichen mennonitischen Zweige hinsichtlich des Sprachkontakts mit der Mehrheitsgruppe verschieden. Dies h¨angt sicherlich zum Teil davon ab, wie lange sie schon in der jeweiligen Region sie- deln, aber auch davon, wie hilfreich ihnen Kontakte in wirtschaftlicher Hinsicht sind. So ist erneut deutlich zu erkennen, wie komplex das Sprachverhalten der Mennoniten ist. Aufgrund der isolierten Lebensweise und ihrem starken Wunsch, unter sich bleiben zu wollen, ist es generell schwierig, Kontakt mit Wiedert¨aufern zu bekommen. Noch schwieriger ist es, ihr Vertrauen so zu gewinnen, dass sie wissenschaftliche Unter- suchungen ihres (Sprach-)Verhaltens tolerieren oder sogar unterstutzen.¨ Das ist der entscheidende Grund, aus dem Datenerhebungen zu diesem Thema Desiderata sind. Die meisten traditionellen Mennoniten lehnen es ab, dass ihre Sprache auf einem technischen Hilfsmittel wie einem Tonbandger¨at aufgenommen wird. Hinzu kommt, dass diejenigen, die sich aufnehmen lassen, sehr viel Wert auf einen vollkommen vertrauensvollen Umgang mit dem Datenmaterial legen. So liegen die fur¨ diese Ar- beit ausgewerteten Sprachdaten der Verfasserin zwar vor, es wurde den Interviewten jedoch versichert, dass sie nicht an Dritte weitergegeben werden. Frageb¨ogenzuver- teilen, um die Daten schriftlich zu erheben, bietet sich grunds¨atzlich nicht an, da viele Mennoniten, gerade in den sehr konservativen Zweigen, wenig Schulbildung erfahren und daher oft nicht gut genug alphabethisiert sind, um einen Fragebogen zu beantworten. Eine behutsame Herangehensweise ist offenkundig unerl¨asslich. Da sich Mennoniten regelm¨aßig mit der plautdietschen, aber auch hochdeutschen Spra- che identifizieren, ist es, um ihr Vertrauen zu gewinnen, von Vorteil, wenn sie in einer der beiden Idiome angesprochen und so fur¨ die Unterstutzung¨ eines wissen- schaftlichen Projekts gewonnen werden k¨onnen. In Paraguay ist Hochdeutsch fur¨ die meisten Mennoniten eine vertraute Sprache, in Bolivien hingegen ist es von her- ausragenden Vorteil Plautdietsch zumindest rezeptiv zu beherrschen. Anabaptisten sind daruber¨ hinaus in der Regel auch uber¨ weite Strecken sehr gut miteinander ver- netzt, daher ist es wichtig zu wissen, dass beim ersten Kontakt mit einem Mennoni- ten viele andere Glaubensbruder¨ schnell daruber¨ informiert sind, ob dieser Kontakt positiv empfunden wurde. Die Umsetzung des Vorhabens ist fur¨ Frauen im Hinblick auf eine ausgewogene Informantengruppe insofern einfacher, als dass Mennonitin- nen kaum mit M¨annern allein und einigermaßen entspannt sprechen. Eine weitere Begleiterscheinung der isolierten Lebensweise ist, dass sich viele Wiedert¨aufer uber-¨

10 wiegend in ihren Kolonien in der Peripherie und ansonsten nur an ausgew¨ahlten Pl¨atzen außerhalb ihrer eigenen Infrastruktur aufhalten, um Eink¨aufe zu t¨atigen oder gesch¨aftliche Kontakte zu knupfen.¨ Es ist also wichtig, die Orte zu kennen, an denen sie sich aufhalten, und sie dort aufzusuchen. Der Umgang mit diesen Umst¨an- den ist im Vorfeld einer Datenerhebung zwingend zu reflektieren, damit sie gelingen kann. Die Aufnahmen fur¨ diese Arbeit wurden im Fruhjahr¨ 2014 in den Ziell¨andern Paraguay und Bolivien vorgenommen. Die paraguayischen Mennoniten gelten im Vergleich zu ihren bolivianischen Glaubensbrudern¨ als etwas moderner und leben bereits vielfach in der Landeshauptstadt Asunci´on; dort siedeln sie seit den 1920er Jahren. Dass sie nicht mehr nur in Kolonien leben, sondern bereits am Großstadt- leben Asunci´ons teilhaben, darf aber nicht daruber¨ hinweg t¨auschen, dass sie unter sich und durchaus noch isoliert von der spanischsprachigen Bev¨olkerung bleiben, zu der sie sich, obwohl die Befragten bereits dort geboren wurden, nicht z¨ahlen. Sie ha- benihreeigenewiedert¨auferische Infrastruktur, die hochdeutschsprachig ist und die sie vielleicht allm¨ahlich in der heranwachsenden Generation zu verlassen beginnen. In Bolivien, wo es erst seit den 1950er Jahren mennonitische Siedlungen gibt, ist die Situation noch etwas anders: Dort lebt die Mehrheit der Wiedert¨aufer sehr zuruck-¨ gezogen in l¨andlichen Kolonien und kommt nur fur¨ unumg¨angliche Besorgungen von dort in gr¨oßere St¨adte wie Santa Cruz. Viele sind auch noch derart traditionell und konservativ, dass sie den Kontakt mit Nicht-Mennoniten grunds¨atzlich vermeiden. Sie leben daher nur vereinzelt direkt in der Stadt, und mehrheitlich in den Kolo- nien der Peripherie. Im Alltag bedeutet die Mehrsprachigkeit der Wiedert¨aufer der Zielregionen dieser Arbeit daher, dass Spanisch eine Fremdsprache fur¨ sie ist, die sie meist nur verwenden, wenn die Situation es erfordert; ansonsten kommunizieren sie in ihren Muttersprachen Plautdietsch bzw. Hochdeutsch. Die Interviews wurden an den Orten aufgenommen, an denen sich die Anabaptisten regelm¨aßig aufhalten und die zu ihrem Alltag geh¨oren. In ihrer gewohnten Umgebung und in Hochdeutsch angesprochen fassten die meis- ten schneller Vertrauen als erwartet, dennoch war es schwierig, auswertbare Inter- views aufnehmen zu k¨onnen, denn die Interviews sollten auf Spanisch gefuhrt¨ werden, um sie aus romanistischer Sicht nach sprachlichen Besonderheiten untersuchen zu k¨onnen. Viele der Mennoniten sprechen jedoch gar kein Spanisch oder nur so wenig, dass eine l¨angere Befragung in dieser Sprache nicht m¨oglich ist. Und obwohl kei- ner der Anabaptisten sich einem Gespr¨ach grunds¨atzlich entzog, lehnten einige die Aufnahme der eigenen Stimme auf ein Tonband kategorisch ab. Es wird also offen- sichtlich, dass die Knupfung¨ der Kontakte mit den Mennoniten nur ein erster Schritt sein kann, der zweite ist es, auswertbare Interviews aufnehmen zu k¨onnen. Aber die Unterstutzung¨ der Wiedert¨aufer in Paraguay und Bolivien war so groß, dass 36 aus- wertbare Interviews aufgenommen werden konnten. Die Erkenntnisse dieser Arbeit beziehen sich daher auf dieses Korpus.

11 1 Einleitung

Die fur¨ diese Arbeit aufgenommenen Sprachdaten dienten dem Zweck festzustel- len, wie die Sprachgewohnheiten und Einstellungen der dort lebenden Mennoni- ten bzgl. des Plautdietschen, Hochdeutschen und Spanischen sind; in einem zweiten Schritt wurden die Interviews grammatikalisch ausgewertet um Erkenntnisse daruber¨ gewinnenzuk¨onnen, ob das Spanische der Wiedert¨aufer Einflusse¨ des regionalen Dialekts aufweist oder Interferenzen aus dem Plautdietschen bzw. Hochdeutschen festzustellen sind. Fur¨ das Verst¨andnis der Rahmenbedingungen erscheint es sinnvoll, zun¨achst einen kurzen geschichtlichen Uberblick¨ uber¨ Grundung¨ und Entwicklung der Wiedert¨aufer zu geben. Es wird auch skizziert, welche Siedlungsorte in den vergangenen Jahrzehn- ten wichtig waren. Darauf folgt eine Begrundung¨ der gew¨ahlten Befragungsmethode sowiederIntervieworteundeinekurzeBiografiederBefragten.Esschließensichdie Erkenntnisse hinsichtlich der Spracheinstellungen und -gewohnheiten der Befragten an. In einem zweiten Abschnitt werden die Ergebnisse der Analyse zu regionalen und muttersprachlichen Einflussen¨ im Spanischen der Mennoniten dargestellt. Diese Analyse erm¨oglicht eine Abgleichung der Spracheinstellungen mit dem tats¨achlichen Sprachverhalten. Ein Erkenntnisgewinn ist hier jedoch in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung: Zum einen gibt es kaum sprachwissenschaftliche Daten zum Spani- schen des bolivianischen Tieflands, zum anderen gibt es keine Untersuchungen zum Plautdietschen der Mennoniten speziell in Paraguay und Bolivien. Siemens (2012) liefert in seinem ubersichtlichen¨ Handbuch des Plautdietschen eine gute, weitgehend zu verallgemeinernde Ubersicht,¨ aber da die Wiedert¨aufer immer wieder in unter- schiedlichen Regionen siedeln, erscheint es wahrscheinlich, dass auch das Plautdiet- sche dadurch beeinflusst ist und es zu Interferenzen kommt. Diese Interferenzen fur¨ die Ziell¨ander dieser Arbeit herauszustellen, ist es ein Desideratum in Bezug auf die Feststellung, inwiefern das Spanische der anabaptistischen Sprecher von der plaut- dietschen Muttersprache beeinflusst ist. Die vorliegende Arbeit kann die Forschungs- lucken¨ der Germanistik nicht schließen, zeigt aber auf, welcher Erkenntnisgewinn daraus zu erwarten w¨are, sowohl im Hinblick auf die Auswertung der Analyse der Spracheinstellungen, als auch im Hinblick auf die eigentlichen sprachlichen Daten.

12 2 Mennoniten: Glaube, Herkunft, Geschichte und Tradition

Die fur¨ diese Arbeit ausgewerteten Interviews wurden in Paraguay und Bolivien mit dort lebenden Mennoniten durchgefuhrt.¨ Mennoniten bzw. Wiedert¨aufer sind eine christliche Gemeinschaft, die auf die Zeit der zuruckgeht.¨ Geschichtlich sind sie eng mit den Amischen und Hutterern verbunden. Im Folgenden werden so- wohl die Entstehung und Weiterentwicklung des mennonitischen Glaubens, als auch die Glaubenspfeiler und Grunds¨atze der Wiedert¨aufer in gebotener Kurze¨ nachge- zeichnet.

2.1 Die Entstehung des mennonitischen Glaubens

Die Gemeinschaft der Mennoniten entstand nicht erst zur Zeit ihres Glaubensvaters, dem Niederl¨ander , wie oftmals behauptet wird. Er ist lediglich ei- ner der bekanntesten Vertreter der Anfangszeit des mennonitischen Glaubens (Fast 1971: 11). Die T¨auferbewegung entstand um 1523 im schweizerischen Zurich.¨ Die Grundfeiler des mennonitischen Glaubens leiten sich aus den Gedanken der refor- mierten Kirche ab und fußen auf einer grunds¨atzliche Neuerung des Kirchwesens mit dem Neuen Testament als wichtigste Grundlage (ebd.: 12). Die ersten schweizer Wiedert¨aufer gehen auf Zwingli zuruck,¨ auch wenn sie sich schnell von vielen seiner Leitlinien distanzierten. Die Grunds¨atze der Wiedert¨aufer sind:

• zum einen die strikte Ablehnung jeder Art von Gewalt, dies ist der Grund, warum sie vehement den Wehrdienst ablehnen.

• Zum anderen steht die Gemeinschaft sehr stark im Vordergrund; dies beinhal- tet die Bereitschaft, sich von den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft bei Missverhalten zurechtweisen zu lassen (Fast 1971: 13).

Die Akzeptanz einer Zurechtweisung erfordert eine gewisse Reife und Erkenntnis. Daher ist fur¨ die Wiedert¨aufer charakteristisch, dass sie erst dann getauft werden, wenn sie diese auch tats¨achlichbesitzen.Siesindaucherstnachdervollzogenen Taufe vollwertige Mitglieder der Gemeinde (ebd.).

13 2 Mennoniten: Glaube, Herkunft, Geschichte und Tradition

2.2 Glaubensgrundlagen und Lebensweise der Mennoniten

Die ersten T¨aufergemeinden, die in der Schweiz entstanden, sahen sich Verfolgungen durch die (meist katholische) Obrigkeit ausgesetzt und waren oft lebenslang auf der Flucht; so gelangten sie auch nach Osterreich¨ und Deutschland (Fast 1971: 15). Zudem kam es unter den Wiedert¨aufern selbst zu Unstimmigkeiten in Bezug auf Sakramente und Kirchenbr¨auche (ebd.: 17). Aufgrund dieser Streitigkeiten bildeten sich bereits um 1530 vier Untergruppen:

• die Melchioriten,

• die Bundesgenossen, die sich bereit zeigten, im Zweifel auch zur Waffe zu grei- fen,

• die Batenburger, die sich auch mittels Gewalt fremdes Eigentum verschafften und

• die Obbeniten, aus denen die Mennoniten schließlich hervorgingen (Fast 1971: 22).

Nur die Gruppe der Obbeniten blieb uber¨ die Jahrhunderte bestehen. Zu den Ob- beniten geh¨orte der formals r¨omisch-katholische Priester Menno Simons, der als einer der bedeutendsten Richtungsgeber der heutigen Anabaptisten gilt. Simons betonte in seinen Schriften die Z¨asur in der menschlichen Geschichte, die mit dem Leben Jesu Christi einsetzte (ebd.: 23). Damit verst¨arkte er die Akzentuierung der Obbeniten auf das Neue Testament. Ein weiteres Charakteristikum des aufkommenden Men- nonitentums ist die Konfessionalisierung; dies bedeutet, dass der wiedert¨auferische Glaube die Verbreitung seiner Lehren durch seine Anh¨anger vorsieht. Die Obbeniten verstanden sich bis dahin als Missionare ihres Glaubens, mit Menno Simons stand die Missionierung weniger im Vordergrund, vielmehr wurde innerhalb der Gemeinde ein verst¨arktes famili¨ares Miteinander gepflegt, das nicht mehr zwingend darauf setz- te, neue Mitglieder zu werben. Nicht alle Obbeniten waren damit einverstanden und so kam es erneut zu Abspaltungen innerhalb der Glaubensgemeinschaft, die dazu fuhrten,¨ dass es bald keine wiedert¨auferische Gruppe der Obbeniten mehr gab, sich dafur¨ jedoch andere Gruppen entwickelten, die untereinander gleiche Glaubensin- terpretationen teilten. Es entwickelte sich die Gruppe der Meniten. Eine erstmalige, schriftliche Erw¨ahnung der Meniten erfolgte 1544 in der Polizeiordnung Ostfrieslands (Goertz, mennlex.de). Ab dem 17. Jh. setzte sich, vor allem in Norddeutschland, die Bezeichnung Mennoniten durch. Rasch breitete sich die Bezeichnung Mennoniten auf eine wachsende Anzahl von Wiedert¨aufergruppen aus. Dies sollte nicht den ge- meinsamen Leitgedanken Menno Simons unterstreichen, sondern als Zeichen einer großen Gemeinde, die sich gemeinsam konfessionalisierte, gelten (ebd.).

14 2.2 Glaubensgrundlagen und Lebensweise der Mennoniten

Mittlerweile gibt es mennonitische Gemeinden nicht nur in den europ¨aischen L¨an- dern wie der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Belgien sowie in Russland und Amerika, sondern auch im asiatischen und pazifischen Raum: Taiwan, Japan, Indien, Borneo, Sumatra und Java, daruber¨ hinaus auch in vielen afrikanischen Staaten (Go- ertz, mennlex.de). In Afrika leben mittlerweile die meisten Mennoniten, in Europa wiederum die wenigsten. Fur¨ die Wiedert¨aufer ist Jesus Christus das Mensch gewordene Wort Gottes, we- niger die Bibel oder die Predigt (Klaassen 1971: 33). Das Sakrament ist die Ge- meinschaft der Glaubensbruder.¨ Daran angelehnt glauben sie, dass das h¨ochste Gut die zu jeder Zeit zur Vergebung bereite Liebe sowohl innerhalb der Gemeinde als auch Fremden gegenuber¨ ist. Dies ist der Grund, aus dem sie Gewalt vehement ab- lehnen und keinen Wehrdienst leisten m¨ochten (ebd.: 34). Sie bezeichnen sich als wehrlos“; dies darf aber nicht als Unf¨ahigkeit verstanden werden, sich im Angriffs- ” falle zur Wehr zu setzen, sondern bezeichnet Verhaltensweisen und Attituden¨ der Mennoniten. Sie lehnen nicht nur den Wehrdienst grunds¨atzlich ab, sondern sind ebenso wenig gewillt, obrigkeitliche Amter¨ zu bekleiden (Wiebe, mennlex.de). Die bewusste Wehrlosigkeit der Mennoniten geht auf die Lebensumst¨ande Jesu zuruck.¨ Er und sein Volk sahen sich der Bibel zufolge Verfolgungen und Unterdruckungen¨ durch die R¨omer ausgesetzt und laut Matth. 5,39 riet er seinen Jungern,¨ im Falle von Gewalt auch die andere Wange hinzuhalten“ (Jeschke, mennlex.de). Die dahin- ” ter stehende Absicht ist, den Unterdruckern¨ keinen Anlass furTriumphzubieten.¨ Dies verstehen die Mennoniten als Hinweis auf Jesu grunds¨atzliche Ablehnung von gewaltsamer Zurwehrsetzung. Mennoniten versuchen stets, dem B¨osen durch das Gute zu begegnen. In vielen L¨andern, in denen die Mennoniten heute leben, wird jedoch mittlerweile ein Wehrersatzdienst angeboten, so dass die religi¨os begrundete¨ Wehrlosigkeit der Wiedert¨aufer fur¨ weniger gesellschaftliche Reibung sorgt. Die Einstellung der Mennoniten, keine obrigkeitlichen Amter¨ zu ubernehmen,¨ geht auch mit dem Grundsatz einher, dass sie es ablehnen, einen Eid zu schw¨oren. Dies geht auf das Eidesverbot Christi in der Bergpredigt zuruck.¨ Menno Simons zufolge ist dies so zu interpretieren, dass Jesus zur Wahrhaftigkeit aufforderte und ein Eid nur dort notwendig sei, wo die Unwahrheit gesprochen werde (Hertzler 1971: 103). Ersatzweise kann jedoch ein Gel¨obnis geleistet werden (ebd.: 100). Daruber¨ hinaus sehen Mennoniten sich mehr oder minder losgel¨ost von jeglicher politischer Organi- sation in Form eines Staates (Oosterbaan 1971: 141). Sie betrachten sich und ihre Gemeinde nicht in einem Zusammenhang zu einem staatlichen Gebilde, sie nehmen Abstand dazu und akzeptieren lediglich ihre Organisation innerhalb des Gemeinde- wesens. Dies tr¨agt sicherlich entscheidend dazu bei, dass sie in den L¨andern, in die sie in den vergangenen Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten auswanderten, stets klei- ne, selbstorganisierte St¨adte bildeteten, so weit wie m¨oglich unabh¨angig von ihrem Gastgeberland. Die Bedeutung der mennonitischen Gemeinschaft zeigt sich darin, dass sie grund-

15 2 Mennoniten: Glaube, Herkunft, Geschichte und Tradition s¨atzlich in gr¨oßeren Gruppen emigrieren. Die biblische Grundlage fur¨ den engen Zusammenhalt findet sich bei Matth. 18, 15-20. Dort ist zu lesen, dass da, wo sich zwei oder drei Christen versammeln, Christus selbst unter ihnen ist. Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam innerhalb der Gemeinde diskutiert und schließ- lich getroffen. Das gemeinsame Treffen von Entscheidungen ist eines der wichtigsten Merkmale des mennonitischen Daseins (Burkholder 1971: 60). Das Ideal einer jeden Gemeinde besteht darin, zur Einstimmigkeit zu gelangen. Die ¨außeren Umst¨ande der Zusammenkunfte¨ lockerten sich in vielen Gemeinden in den letzten Jahren jedoch. So finden sie nicht mehr zwangsl¨aufig in der Kirche statt, sondern k¨onnen auch in privaten R¨aumlichkeiten abgehalten werden (ebd.: 67). Dies geht einher mit einer Lockerung der Gottesdienste, die vermehrt von Laien abgehalten werden.

Daruber¨ hinaus ist es ein wichtiger Punkt, dass sich die Altkolonier, ein vergleichs- weise konservativer Flugel¨ der Mennoniten, bezuglich¨ ihrer Richtlinien nicht einzig nach der Heiligen Schrift richten, sondern dass es außerdem noch eine “ ” gibt. Dabei handelt es sich um eine Bandbreite ungeschriebener Regeln, nach denen sich alle Mitglieder der Gemeinde zu richten haben (Hedberg 2007: 19). Ordnun- gen haben in mennonitischen Gemeinden eine lange Tradition. Es gab sie bereits kurz nach der Entstehung der mennonitischen Glaubensbewegung (Friedmann 1956: gameo.de). Zun¨achst waren diese Ordnungen Richtlinien fur¨ die unterschiedlichen Berufsrichtungen, die von Mennoniten ausgeubt¨ werden konnten, sp¨ater wurden ver- mehrt Normen und Grunds¨atze festgeschrieben, die das allt¨agliche Leben innerhalb der Gemeinde reglementieren (ebd.). Die heutigen Ordnungen sind in zwei Unter- gruppen einzuordnen:

Es gibt die Ordnung, die generell das Leben innerhalb der Gemeinde reglemen- tiert, und eine weitere Ordnung, in der Richtlinien fur¨ die Verhaltensweisen einzelner Gemeindemitglieder sowie Richtlinien in Bezug auf die Ausubung¨ der landwirtschaft- lichen und handwerklichen Berufe zu finden sind (Friedmann 1956: gameo.de). Die Ordnungen sollen dazu dienen, den Alltag der Mennoniten zu strukturieren. Im Zen- trum steht die Warnung vor eigennutzigem¨ Handeln.

All handiwork was to be diligent, solid, and reliable, carefully done without waste. Work should be done every day including Saturday, without haste but also without loafing; luxuries must not be allowed, likewise no private possessi- ons of any kind. Inheritance shall remain abolished as of old; if someone dies, everything he has used shall revert to the community, even his books. (1956: gameo.de).

16 2.2 Glaubensgrundlagen und Lebensweise der Mennoniten

Die Regeln der Ordnungen werden w¨ahrend des mennonitischen Gottesdienstes ge- predigt und mussen¨ von allen getauften Mitgliedern der Gemeinde anerkannt wer- den. Neben der Uneigennutzigkeit¨ und Wehrlosigkeit ist auch die Kleiderordnung der Mennoniten vorgeschrieben (Cronk 1989: gameo.de). Daruber¨ hinaus ist in ihr auch eine Abspaltung“ von der ubrigen¨ Welt vorgesehen, das heißt, dass die Men- ” noniten unter sich zu bleiben haben und daher grunds¨atzlich keine Ehen außerhalb der Gemeinden dulden. Das Argument dafur¨ ist, dass das gegenseitige Verst¨andnis fur¨ die jeweilige Religion in einer Mischehe nicht bestehen k¨onnte, daher ist eine solche Verbindung niemals von Dauer und darf somit gar nicht erst geschlossen wer- den. Zu der selbst gew¨ahlten Abgrenzung von der Welt außerhalb der Gemeinde geh¨ort auch, dass die meisten modernen Errungenschaften, uberwiegend¨ technischer Art, eine Abkehr von dem ursprunglichen¨ Leben innerhalb der Gemeinde bedeuten wurden¨ und daher nicht zugelassen sind (ebd.). Die Ordnung sieht außerdem vor, dass sowohl Hochdeutsch als auch Plautdietsch als Sprachen zu pflegen sind. Die Landessprache zu erlernen, im Falle von Paraguay und Bolivien das Spanische, ist grunds¨atzlich nicht vorgesehen (Hedberg 2007: 235). Die schwedische Ethnologin Anna Sofia Hedberg lebte zwischen 2004 und 2006 drei Mal fur¨ mehrere Wochen in der bolivianischen Altkolonie Durango und unter- suchte die Lebensweise der Mennoniten dort wissenschaftlich. Hedberg stellte fest, dass die Ordnung in Durango ein ungeschriebenes Gesetz ist, an das sich alle halten mussen,¨ um Mitglied der Gemeinde zu bleiben. Sie schreibt, dass es in Mexiko und Paraguay einige Mennoniten gab, die den technischen Fortschritt und Elektrizit¨at nutzen wollten. Die konservativen Altkolonier aus Durango verließen die Gemeinde daher und bauten neue Gemeinschaften in Bolivien auf. Auf die Frage nach dem Grund wurde Hedberg regelm¨aßig darauf verwiesen, dass dies eben nicht vorgesehen sei und eine nicht gewollte Ann¨aherung an die Welt außerhalb der Gemeinde bedeu- te. Warum es wichtig ist, dass es diese Ordnung gibt, und aus welchem Grund es eine deutliche Abgrenzung zur Außenwelt geben muss, dazu wissen die meisten Men- noniten nach Hedbergs Erfahrung keine konkrete Antwort. Die Ordnung wird von den Wiedert¨aufern, die in der Gemeinde bleiben wollen, nicht infrage gestellt und als gegeben akzeptiert (ebd.: 130). Diejenigen Mennoniten, die jedoch nicht l¨anger unter dieser Ordnung leben m¨ochten oder k¨onnen, werden, sofern sie sich nicht ¨offentlich vor der Gemeinde fur¨ ihr Fehlverhalten erkl¨aren k¨onnen, unwiderruflich von der Ge- meinschaft ausgeschlossen (Hedberg 2007: 218). Ein Ausschluss aus der Gemeinde bedeutet, dass es in der Regel keinerlei Kontakte mehr dorthin gibt. Auch Familien- mitglieder durfen¨ mit dem Ausgestoßenen nicht mehr kommunizieren, anderenfalls droht ihnen selbst die Verbannung (ebd.). Ich selbst habe dies jedoch in Bolivien etwasanderserlebt.InPail´on, nahe Santa Cruz, leben sehr viele Mennoniten, die sich nicht l¨anger mit den Altkoloniern identifizieren und sich daher an einen Ort au- ßerhalb dieser Kolonien zuruckgezogen¨ haben. Sie berichteten mir zwar tats¨achlich davon, dass sie mit vielen ehemaligen Weggef¨ahrten nun nicht l¨anger in Verbindung

17 2 Mennoniten: Glaube, Herkunft, Geschichte und Tradition sind, jedoch waren einige unter ihnen, die dennoch Kontakt zu engen Familienmit- gliedern pflegen. Diese scheinen die Entscheidung der sich Abspaltenden nicht nur h¨aufig zu akzeptieren, sondern auch als keinen Hindernisgrund fur¨ Kontaktpflege zu empfinden. Die Mennoniten in Pail´on werden von Familienmitgliedern aus den Kolonien auch besucht. Hedberg beobachtete, dass es fur¨ die einzelnen Kolonien im- mer schwieriger wird, die Ordnung zu verteidigen und den von außen kommenden Neuerungen Widerstand zu leisten (Hedberg 2007: 243). Zusammenfassend sind die wichtigsten Regeln der Ordnung:

• der Erhalt des Plautdietschen,

• die Wehrlosigkeit,

• die Weigerung, einen Eid zu schw¨oren und Steuern abzufuhren,¨

• der Erhalt und der Aufbau eigener Schulen (ebd.: 17).

Heute gibt es insgesamt etwa eine Million Mennoniten, auf allen Kontinenten siedelnd (Hedberg 2007: 72). Die unterschiedlichen geografischen, sozialen und ¨oko- nomischen Bedingungen, unter denen sie alle leben, haben allerdings dazu gefuhrt,¨ dass sie mittlerweile eine sehr heterogene Glaubensbewegung sind, die zwar alle orientiert an dem Neuen Testament und der Ordnung ihr Leben gestalten; sie pfle- gen aber dennoch unterschiedliche Gottesdienste, Rituale und Lebenseinstellungen (ebd.: 72). Wichtig ist, dass sie alle sich als Wiedert¨aufer verstehen, die sich nicht in weltliche Angelegenheiten einmischen m¨ochten, Waffen ablehnen, keinen Eid schw¨o- ren und gern unter sich bleiben. Die sehr Konservativen unter ihnen unterwerfen sich auch einer Kleiderordnung, die lange Kleider und eine Haube fur¨ die Frauen als auch einen schwarzen oder dunkelblauen Overall fur¨ die M¨anner vorsieht (Hedberg 2007: 73). Diese Kleidung ist bei den meisten in Bolivien lebenden Mennoniten zu finden, in Paraguay ist die traditionelle Tracht hingegen zumindest fur¨ die in der Hauptstadt lebenden Wiedert¨aufer selten.

18 3 Sprache und Migration

Es gibt vielerlei Grunde,¨ warum eine Sprachgemeinschaft ihre Heimat verl¨asst: Poli- tische oder religi¨ose Verfolgung sowie wirtschaftliche Zwangslagen sind unter ande- rem denkbar. In der Regel herrscht in der neuen Umgebung eine andere Mehrheits- sprache vor, die Immigranten selbst sprechen nunmehr eine Minderheitssprache. So ist es auch bei den in Lateinamerika lebenden Mennoniten. Der Umgang mit die- ser Situation ist jedoch nicht fur¨ alle Sprachgemeinschaften gleich. Der Terminus Sprachgemeinschaft ist innerhalb der Soziolinguistik nicht unumstritten: Es gibt un- terschiedliche Ans¨atze einer Definition, die zum Teil den Schwerpunkt darauf legen, dass die Sprecher in engen Grenzen zusammen leben oder andererseits tats¨achlich nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch denselben Dialekt sprechen (Madera 1996: 169). So ist es also nicht eindeutig, ob unterschiedliche Dialekte noch zur selben Sprachgemeinschaft geh¨oren (Madera 1996: 170). Die in Bolivien und Paraguay le- benden Mennoniten sprechen abh¨angig von ihrer Heimatkolonie und dem wieder- t¨auferischen Zweig, dem sie abstammen, Niederdeutsch oder Hochdeutsch als erste Sprache. Da dies zwei unterschiedliche Idiome sind, ist die Frage zu stellen, ob sie dann noch immer als Sprachgemeinschaft gelten k¨onnen. Allerdings pflegen sie Min- derheitensprachen in einer spanischsprachigen Umgebung, so dass hier von einer Sprachgemeinschaft ausgegangen wird. Unter den vielfachen Grunden,¨ die Migration notwendig machen, treffen fur¨ die Wiedert¨aufer religi¨ose und auch politische Zwangslagen zu, die sie immer wieder dazu veranlasst haben, ihren Lebensort zu wechseln. Es ist umstritten, ob die Migrations- bewegungen der Mennoniten freiwillig oder unter Zwang stattgefunden haben. In der Regel haben sie ihre Privilegien aus politischen Grunden¨ einbußen¨ mussen¨ und sich folglich mehr oder minder freiwillig zu einer Migration entschlossen, um weiterhin ihren Lebensstil fortfuhrenzuk¨ ¨onnen. Mennoniten sind, wie bereits deutlich geworden ist, stark auf ihre Gemeinschaft bedacht und es suchen sich keine Einzelpersonen von ihnen einen neuen Lebensraum. Ehlich zufolge ist es gerade charakteristisch fur¨ wiedert¨auferische Glaubensgrup- pen, ihre Sprache als wichtigstes Identit¨atsmerkmal zu erhalten, um sich von der Mehrheitsgruppe ihrer Lebensumgebung deutlich abzugrenzen (Ehlich 1996: 189). Im Vergleich zu katholischen oder reformierten Einwanderern, die in der Regel als- bald nach der Immigration nach und nach dazu ubergehen,¨ ihren Gottesdienst in der Landessprache zu halten, legen Mennoniten langfristig Wert darauf, innerhalb der Kirche Deutsch zu sprechen (Moelleken 1996: 395). Obwohl die Anabaptisten

19 3 Sprache und Migration weiterhin Hoch- oder Niederdeutsch als ihre Muttersprache betrachten, sind auch einige von ihnen mehrsprachig. Milroy stellt außerdem fest, dass Einwanderer, die in gr¨oßeren Gruppen eine neue Heimat suchen, tendenziell dazu neigen, ihre Mut- tersprache l¨anger aufrecht zu erhalten als jene, die allein oder nur mit der engsten Familie umsiedeln (Milroy 1987: 203). Aufgrund der Auswanderung in Gruppen, ist auch in Bolivien und Paraguay eine langfristige Aufrechterhaltung der mennoniti- schen Muttersprache prinzipiell zu erwarten. Der Sprachkontakt zwischen den einzelnen Ethnizit¨aten fuhrt¨ h¨aufig, aber nicht grunds¨atzlich, zum Sprachwandel (Fought 2010: 285). Fought fuhrt¨ an, dass bei der- art isoliert lebenden Gruppen eine sprachliche Beeinflussung regelm¨aßig unterbleibt und Ethnizit¨at hier auch gleichzeitig eine Sprachgrenze darstellt (Fought 2010: 287). G¨anzlich unterbleiben kann eine sprachliche Beeinflussung sicherlich nicht, wie dies viele Untersuchungen zu den Wiedert¨aufern auch zeigen, die Assimilation in isoliert lebenden Gemeinden geschieht jedoch zwangsl¨aufig langsamer als dies bei Ethnizi- t¨aten der Fall ist, die st¨arkeren Kontakt zu Sprechern der Mehrheitssprache suchen.

3.1 Sprachgebrauch religi¨oser Gruppen

Es gibt nur sehr wenige Vergleichsgruppen, die ¨ahnlich wie die Mennoniten gemein- sam ihre Heimat verließen und sich als religi¨ose Gemeinde in einer neuen Umgebung niederließen. Eine dieser wenigen Vergleichsgruppen k¨onnten jedoch die orthodo- xen Griechen sein, die in die USA auswanderten und sehr lange versuchten, die griechische Sprache mithilfe des Gottesdienstes, der in diesem Idiom stattfand, dau- erhaft aufrecht zu erhalten (Demos 1988: 59). Auch die griechischen Orthodoxen emigrierten in Gruppen, außerdem gleichen sie den Anabaptisten insofern, als dass sie Mischehen mit Nicht-Griechen anfangs ablehnten, um ihre Kultur nicht zu gef¨ahr- den. Daruber¨ hinaus ist charakteristisch, dass die griechischen Frauen lange kaum Außenkontakt mit Englischsprachigen hatten (Demos 1988: 65). Ahnlich¨ wie bei den Wiedert¨aufern sprachen diejenigen unter ihnen, die nur eine geringe schulische Ausbildung aufwiesen, fast ausschließlich Griechisch, w¨ahrend diejenigen, die gar ei- nen Collegeabschluss erlangten, in Demos‘ Befragung mehrheitlich Englisch als die Sprache angaben, in der sie bevorzugt kommunizierten (Demos 1988: 67). Nach drei in den Vereinigten Staaten geborenen Generationen wurde die griechi- sche Kirchensprache der Orthodoxen dennoch nach und nach durch das Englische ersetzt - sehr zur Entrustung¨ der ¨alteren Glaubensanh¨anger, die der Meinung waren, der Verlust des Griechischen fuhre¨ zu einem Verlust der Ethnizit¨at und damit zur eigenen Identit¨at (Demos 1988: 60). Die von Demos durchgefuhrte¨ Studie zeigt, dass auch unter den jungeren¨ Orthodoxen die griechische Sprache einen hohen Stellen- wert hat, ihr Gebrauch aber dennoch stetig abnimmt (Demos 1988: 61). Hier wird deutlich, mit welcher Einzigartigkeit die Mennoniten sich ihre Muttersprache in den

20 3.2 Auswanderungsbewegungen der Mennoniten spanischsprachigen Einwanderungsl¨andern uber¨ so viele Generationen erhalten. Eine Zunahme der Mehrsprachigkeit kann zwar auch unter ihnen vermutet werden, den- noch ist aktuell nicht abzusehen, dass die nachfolgenden Generationen kein Deutsch mehr verstehen werden.

3.2 Auswanderungsbewegungen der Mennoniten

Der Verlust sehr wichtiger Privilegien und die Nicht-Einhaltung von gegebenen Zu- sicherungen seitens der Regierungen der Einwanderungsl¨ander machte es in den Au- gen der Wiedert¨aufer im Verlaufe der Geschichte oftmals notwendig umzusiedeln. Die unterschiedlichen Stationen vom Deutschen Reich bis nach Sudamerika¨ werden nachfolgend kurz dargestellt. Die deutsche Einwanderung in Russland hat eine lange Geschichte: Bereits Zar Peter I. gab einen Erlass heraus, nach dem Fachkr¨afte aus Deutschland angeworben werden sollten, da diese im Land fehlten. 1702 waren schon 30% der Fuhrungskr¨ ¨afte in Russland deutscher Abstammung (Frank 1992: 36). Die deutschen Einwanderer begannen rasch, eigene Kirchen, Schulen, Pflegeheime und andere Einrichtungen zu erbauen. Hinzu kommt, dass das Zarenhaus selbst auch eheliche Verbindungen mit deutschst¨ammigen Adligen einging und die Verbindung zwischen Deutschland und Russland auf diesem Wege gest¨arkt wurde (ebd.). Peter I. musste sich von seinem eigenen Volk jedoch vorwerfen lassen, er bevorzuge die Deutschen den russi- schen Landsleuten gegenuber¨ (Frank 1992: 39). Hier ist bereits erkennbar, dass die Privilegien, die die Deutschen erhalten haben, n¨amlich ihre eigenen Institutionen aufzubauen, im Einwandererland auf Missgunst stießen. Zarin Katharina II. sorg- te w¨ahrend ihrer langj¨ahrigen Regentschaft jedoch fur¨ eine noch weitaus verst¨arkte Einwanderung Deutschst¨ammiger. Sie suchte vordergrundig¨ nach fleißigen Bauern, die den oftmals erfolglosen russischen Landwirten tatkr¨aftig zur Seite stehen soll- ten (Frank 1992: 42). Deutsche hatten damals den Ruf besonders fleißig zu sein. 1763 warb Katharina II. mit einem Manifest um Einwanderer. Um die Attraktivit¨at des Angebots zu steigern, sicherte sie den Interessenten, trotz vielfacher Bedenken im eigenen Land, Privilegien wie die freie Religionsausubung,¨ den Bau von eigenen Schulen und die Befreiung vom Milit¨ar- und Zivildienst verst¨arkt zu (Frank 1992: 43). Dies sind die Privilegien, auf die die Mennoniten auch heute noch viel Wert legen - ohne ihre Zusicherung erfolgt normalerweise keine Ansiedlung der Wiedert¨aufer. Knapp 26000 Deutsche wanderten in den darauf folgenden zehn Jahren nach Russ- land aus. Unter ihnen waren auch viele Mennoniten, die als sehr fleißige und erfolg- reiche Bauern galten - ein Ruf, der ihnen bis heute anhaftet. Die nach Russland eingewanderten Wiedert¨aufer stammten allesamt aus Westpreußen. Dort hatten sie begonnen, als gr¨oßere Gruppen zusammen zu leben und ihre beruflichen T¨atigkeiten uberwiegend¨ auf die Landwirtschaft zu verlegen (Hedberg 2007: 67). Vorher lebten

21 3 Sprache und Migration sie in kleineren, meist unzusammenh¨angenden Siedlungen und ubten¨ viele unter- schiedliche Berufe aus (ebd.). Sie zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass sie geschlossen kamen, also direkt in großen Familien. Dies war bei den ubrigen¨ Ein- wanderern nicht die Regel. Daruber¨ hinaus sprachen sie alle dieselbe niederdeutsche Mundart und geh¨orten derselben Glaubensrichtung an (Frank 1992: 86). Die sehr friedliebenden Mennoniten sahen sich zum Zeitpunkt des Manifests von Katharina II. im deutschen Reich wegen ihres Glaubens schwerster Verfolgung aus- gesetzt (Frank 1992: 87). In Preußen hatten sie Jahrhunderte lang ungest¨ort leben k¨onnen und Religionsfreiheit genossen. Friedrich der Große (Regierungszeit von 1740 bis 1786) plante jedoch die Aufstellung eines großen Heeres. Zur Bildung und Auf- rechterhaltung dieser Streitmacht war die allgemeine Wehrpflicht notwendig, von der die Mennoniten nicht ausgeschlossen werden sollten (Frank 1992: 88). Die sich weigernden Anabaptisten wurden von der deutschen Regierung mit nicht aufbring- baren Steuerverpflichtungen und einem eingeschr¨ankten Recht des Grundbesitzes unter Druck gesetzt (ebd.). Die von Katharina versprochene Glaubensfreiheit ließ sie nach Russland kommen. Das in der Regel schwer zu bebauende Ackerland, das sie erhielten, lernten sie schnell zu bewirtschaften (ebd.). Die ersten Mennoniten, die nach Russland auswanderten, siedelten 1789 in Chortitza an. Nicht alle Versprechen, die ihnen vorab gemacht wurden, wurden von der russischen Regierung tats¨achlich eingehalten: So erhielten sie oft das ihnen zugesicherte Baumaterial nicht und auch finanzielle Unterstutzung¨ fur¨ die Anfangszeit ließ meist lange auf sich warten (Frank 1992: 89). Eine zweite Welle von Mennoniten kam zwischen 1803 und 1814 nach Russland; sie siedelten am Fluss (Frank 1992: 91). Obwohl in Russland zu diesem Zeitpunkt noch keine Schulpflicht bestand, grundeteten¨ die Wiedert¨au- fer in ihren Gemeinden Einrichtungen, die einer Grundschule ¨ahnlich waren (Frank 1992: 92). Im Vordergrund standen das Erlernen der deutschen Sprache und das Ver- tiefen des mennonitischen Glaubens (Frank 1992: 93). Die Unterrichtssprache war zun¨achst Niederdeutsch, sp¨ater dann jedoch Hochdeutsch. Es gab eine Art Curri- culum fur¨ alle mennonitischen Schulen und die Lehrkr¨afte wurden h¨aufig aus dem deutschsprachigen Heimatland angeworben, oder Anabaptisten aus den russischen Kolonien wurden anderenorts ausgebildet (ebd.). Die Mennoniten richteten daruber¨ hinaus auch Krankenh¨auser, Kinderheime und andere soziale Anlaufstellen ein, die zunehmend auch von der russischen Bev¨olkerung genutzt wurden. Der Sohn Katharinas, Paul I., setzte daher auf die Einwanderung weiterer Men- noniten in das russische Reich (Frank 1992: 46). Privilegien wurden fortan aber nur noch bestimmten Berufsgruppen (vor allem Bauern) zugesichert. Dies war notwen- dig, um das russische Volk in seiner Missgunst auf die erfolgreichen Einwanderer zu bes¨anftigen. Zu Beginn des 19. Jh. kam es daher zu einer weiteren Welle von deut- schen Einwanderern, die vorrangig den Berufsstand der Bauern innehatten (Frank 1992: 48). Neid und Missgunst konnten jedoch nicht g¨anzlich ausger¨aumt werden und Ende des 19. Jh. wurden weitreichende Reformen im Land durchgefuhrt,¨ die die

22 3.2 Auswanderungsbewegungen der Mennoniten

Rechte der Russen st¨arken und diejenigen der eingewanderten Minderheiten schw¨a- chen sollten. 1874 wurde eine allgemeine Wehrpflicht eingefuhrt,¨ von der die Menno- niten nicht mehr grunds¨atzlich befreit waren (Frank 1992: 56). Wenig sp¨ater trat ein Fremdengesetz in Kraft, das fur¨ nationale Minderheiten nur noch ein eingeschr¨ank- tes Wahlrecht und kein prinzipielles Recht auf Grundbesitz mehr vorsah (ebd.). Besonders hart traf die eingewanderten Wiedert¨aufer jedoch, dass Russisch fortan in allen Schulen als erste Unterrichtssprache eingefuhrt¨ und die deutsche Sprache sogar offiziell in der Offentlichkeit¨ verboten wurde (ebd.). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die russische Regierung den Unterricht in den Schulen der Kolonisten unter- stutzt,¨ indem sie fur¨ Lehrkr¨afte aus deren Heimatland sorgte. Diese Unterstutzung¨ wurde nun nicht mehr gew¨ahrt, wodurch die Qualit¨at des Unterrichts sank, da mit der Zeit nur noch schlecht ausgebildete (Hilfs-)Lehrer aus den Kolonien zur Verfu-¨ gung standen, die selbst nur ungenugend¨ Bildung erhalten hatten (Frank 1992: 77). Die wichtigsten Unterrichtsmaterialien zu diesem Zeitpunkt waren die Bibel, das Gesangbuch und der Katechismus. Damals lebten in Russland knapp zwei Millio- nen deutschsprachiger Einwanderer. W¨ahrend des Zweiten Weltkrieges unter Stalin versch¨arfte sich die Situation erneut; nunmehr standen deutsche Kolonisten unter Generalverdacht, Kollaborateure zu sein. Die Nutzung der deutschen Sprache wurde daher mit harten Strafen sanktioniert (Frank 1992: 83). Sonnt¨agliche Zusammen- kunfte¨ waren ebenfalls verboten und die Wiedert¨aufer waren auch nicht l¨anger vom Kriegsdienst befreit. Zudem wurden die mennonitischen Lehrkr¨afte an den Schulen durch russische ersetzt und Religion war fortan kein Unterrichtsfach mehr.

3.2.1 Deutsche in Russland Aufgrund des Manifestes der Zarin Katharina II. im Jahre 1763 kam es zur ersten Einwanderungswelle der Deutschen nach Russland (s.o.); hierzu z¨ahlten nicht aus- schließlich Mennoniten, sondern auch andere Deutschsprachige, die eine neue Heimat suchten. Die Wiedert¨aufer siedelten uberwiegend¨ in dem Gebiet um das Schwarze Meer (Berend & Riehl 2008: 21). Mitte des 20. Jh. wurde die deutsche Sprache in Russland als sehr bedeutend angesehen und es kam zu einer Blutezeit¨ des Deutschen, so dass es sogar eine beachtliche Anzahl deutschsprachiger Schulen und Universit¨aten gab (ebd.). W¨ahrend des Zweiten Weltkrieges kam es jedoch vermehrt zu Verfolgung Deutschst¨ammiger, denen vorgeworfen wurde, nationalsozialistische Verbindungen zu unterhalten (Berend & Riehl 2008: 22). Trotz einer teilweisen Rehabilitation des Deutschen nach dem Krieg und einer erneut ansteigenden Zahl Deutschsprachiger, hatte das Deutsche keine Rolle im ¨offentlichen Bereich mehr, sondern war zu einer Sprache des Privaten degradiert (Berend & Riehl 2008: 23). Allerdings wird seit 1958 der Bilingualismus gef¨ordert, indem an vielen Schulen Deutsch als Muttersprache ein Unterrichtsfach fur¨ diejenigen ist, die aus deutschsprachigen Familien stammen (ebd.). Es ist jedoch oft ein Problem, dafur¨ qualifizierte Lehrkr¨afte zu finden.

23 3 Sprache und Migration

Gem¨aß Berend und Riehl wird die geschriebene Standardsprache lediglich noch von der Urgroßeltern-Generation beherrscht, die jungeren¨ Deutschst¨ammigen be- herrschen die Schriftsprache in der Regel nicht mehr (Berend & Riehl 2008: 33). Zudem variieren die gesprochenen Variet¨aten sehr stark, abh¨angig von Herkunft und Bildung der Sprecher (Berend & Riehl 2008: 34). Berend und Riehl unterschei- den zwischen den Sprechern, die haupts¨achlich in einer deutschen Schule die Sprache erlernten und jenen, die aus einem Elternhaus stammen, das viel Wert auf die Pflege des Deutschen legt (Berend & Riehl 2008: 35). Auff¨allig ist bei den Informanten der Kasussynkretismus zwischen Dativ und Akkusativ (von die Wolga), der bei den Sprechern, die ihre Sprachkompetenzen vornehmlich aus der Schule beziehen, merkbar ausgepr¨agter ist (ebd.). W¨ahrend die Einwandergeneration und ihre Kin- der noch einen Dialekt (es waren mehr oder minder alle Dialekte vertreten, die es auch in Deutschland gab) als Erstsprache beherrschten, sprechen die nachfolgenden Generationen ab einem Geburtsjahr von ca. 1952 Deutsch nur noch als Zweitsprache und beziehen ihre Sprachkompetenzen haupts¨achlich aus dem Deutschunterricht in der Schule. Dies fuhrt¨ dazu, dass sie, im Gegensatz zu den ¨alteren Generationen, eine Standardvariante sprechen (Berend & Riehl 2008: 37). Davon gibt es jedoch zahlreiche Ausnahmen, abh¨angig davon, welche Variet¨at in welcher Intensit¨at im Elternhaus gepflegt worden ist (ebd.). Bei allen Sprechern lassen sich jedoch zahlreiche Ubernahmen¨ aus dem Russi- schen in lexikalischer und syntaktischer Hinsicht feststellen. H¨aufig kommt es auch zu Transferenzen im Bereich der Intonation und einiger morphologischer Ph¨anomene (Berend & Riehl 2008: 35). Genauere Feststellungen hierzu gestalten sich insofern schwierig, als dass oftmals nicht sicher untersucht werden kann, ob es sich bei den einzelnen Sprechern um Performanzfehler handelt oder ob die Konstruktion gene- rell unbekannt ist (ebd.). Interessanterweise wechseln zudem viele Sprecher zwischen einzelnen Variet¨aten und auch hier ist nicht sicher, ob dies evtl. als Code-Switching gewertet werden muss (ebd.). Es geschieht jedoch seltener, wenn mehr Deutschun- terricht in der Schule genossen worden ist (Berend & Riehl 2008: 36). Die jungere¨ Generation der Sprecher beherrscht außerdem h¨aufig nur noch eine Art interlangua- ge. Dies zeigt sich dadurch, dass sich Inversionsfehler, inkorrekte Flexionsformen und vom Standard abweichende Genuszuweisungen h¨aufen (ebd.). Besonders auff¨allige Merkmale der Deutschsprachigen sind, wie bereits erw¨ahnt, der Kasussynkretismus, auch in Verbindung mit Possessivpronomen:

Von de Mama ihre Seite. (Berend & Riehl 2008: 39ff.)

Im Dativ und Akkusativ werden zudem auch h¨aufig die Pronomina vertauscht:

Mit mich. Vielleicht interessiert Ihnen. (ebd.)

24 3.2 Auswanderungsbewegungen der Mennoniten

In Bezug auf die Kasusflexion ist auff¨allig, dass die Mehrfachmarkierung der Flexi- onsendung -n ruckl¨ ¨aufig zu sein scheint:

Die andere Sprachen. In den ersten Jahre. (ebd.)

Dies trifft auch auf den -n-Plural bestimmter Substantive zu:

Die Deutsche (anstelle von die Deutschen). (ebd.)

Besonders auff¨allig ist bei fast allen Sprechern eine deutliche Unsicherheit hinsicht- lich der Artikelverwendung, insbesondere nach einer Pr¨aposition:

In Dorf. In Kolchos. (ebd.)

Zudem wird das deutsche Passiv beinahe gar nicht mehr gebraucht und im Bereich der Nebens¨atze l¨asst sich ein Abbau der Verbendstellung zugunsten der Zweitstellung feststellen:

Wissen Sie, weshalb schrieb ich. (ebd.)

Ebenso kommt es h¨aufig zu Ellipsen des Personalpronomens, die im Russischen ub-¨ lich sind:

Hat gearbeitet und hat gelernt. (ebd.)

Die im Russischen ubliche¨ doppelte Verneinung findet sich im Sprachgebrauch der Befragten ebenfalls wieder:

Kein Recht hatten wir doch nicht. (ebd.)

Da es sich bei einigen dieser Ph¨anomene erstens um grunds¨atzliche Charakteristika isoliert lebender deutscher Migrantengruppen bzw. Sprachgemeinschaften handeln k¨onnte und zweitens, wie noch zu zeigen sein wird, Mennonitengruppen aus Russ- land teilweise nach Amerika weiteremigrierten, sind die hier vorgestellten Merkmale fur¨ die Analyse des in Paraguay und Bolivien erhobenen Sprachmaterials zu beruck-¨ sichtigen.

3.2.2 Deutsche in der Ukraine Auch in die Ukraine sind viele Deutschsprachige ausgewandert. Die sprachliche Ent- wicklung verl¨auft ¨ahnlich wie bei der in Russland lebenden Minderheit und wird zur Demonstration sprachlicher Parallelen kurz dargestellt. Anders als in vielen anderen L¨andern besteht fur¨ alle in der Ukraine lebenden Minderheiten das Recht, jede belie-

25 3 Sprache und Migration bige Sprache zu sprechen und kulturelle Entfaltungsm¨oglichkeiten zu haben (Stand 2015). Dies ist sogar verfassungsrechtlich abgesichert (Hvozdyak 2008: 99). So gibt es vielerorts deutsche Kinderg¨arten; Schulen, in denen uberwiegend¨ Deutsch gespro- chen wird, gibt es jedoch kaum, wahrscheinlich aus Lehrermangel (ebd.: 101). Eine umfassende Bildung in der deutschen Sprache ist daher, trotz der verfassungsrecht- lichen Grundlage, kaum m¨oglich. Auch in der Ukraine wird das Standarddeutsche praktisch nur noch von der bis 1939 geborenen Generation beherrscht, in den nach- folgenden Generationen sind in der deutschen Sprache vielerlei Interferenzen mit dem Ukrainischen, Russischen und Ungarischen zu verzeichnen (Hvozdyak 2008: 103). Ukrainisch ist fur¨ sie bereits die Erstsprache und es gibt in der Ukraine keine monolingualen Deutschsprachigen mehr (ebd.: 104). Nach Hvozydaks Beobachtung machen die Wenigen, die die M¨oglichkeit hatten, eine deutsche Schule zu besuchen, deutlich seltener Fehler in der Wortfolge der deut- schen Sprache sowie in der Kasuswahl und im Artikelgebrauch (ebd.) als diejenigen, die Deutsch lediglich im Elternhaus pflegten. Fur¨ die zugrunde liegende Studie wur- den nur Gew¨ahrspersonen der ersten und zweiten Generation befragt, die Deutsch noch frei beherrschen, dennoch gibt es in ihrem Sprachgebrauch einige Besonder- heiten. Es gibt eine deutliche generelle Unsicherheit im deutschen Kasussystem, am h¨aufigsten wird der Genitiv gemieden und stattdessen mithilfe eines Possessivs ge- bildet:

Meine Tochter ihre Freundin. (Hvozdyak 2008: 109ff.)

Ahnlich¨ wie in Russland verwenden die Deutschsprachigen der Ukraine h¨aufig den Dativ anstelle des Akkusativs:

Wo sprechen Sie am meisten Deutsch? - Nur in die Kirche. (ebd.)

Da bei Deutschen in Amerika schnell ein Kasussynkretismus festgestellt werden konnte, lag die Vermutung nahe, das Deutsche bewege sich auf das Englische zu, das nur ein sehr reduziertes Kasussystem kennt. Da die sprachliche Entwicklung der DeutscheninOsteuropaundRusslandjedochsehr¨ahnlich verl¨auft, obwohl Rus- sisch, Ukrainisch und Polnisch ein sehr reiches Kasussystem haben, mussen¨ fur¨ die Reduktion der F¨alle andere Grunde¨ gefunden werden (Riehl 2013: 166). Laut Riehl ist im Reduktionsprozess allgemein die Regelm¨aßigkeit zu erkennen, dass zun¨achst der Dativ im Femininum und im Plural bei Nominalgruppen mit dem bestimmten Artikel abgebaut werden (Riehl 2013: 167). Es folgen die ubrigen¨ Genera-Gruppen mit unbestimmtem Artikel (ebd.). Als letzter Schritt des Kasuszusammenfalls steht gem¨aß Riehl die Dativmarkierung der Personalpronomina (ebd.). Somit fallen zu- n¨achst Flexionsmorpheme weg, die den Kasus markieren. Generell spielt aber auch die H¨aufigkeit, in der Morpheme verwendet werden, eine entscheidende Rolle – je h¨oher die Frequenz, desto l¨anger z¨ogert sich die Reduktion hinaus (Riehl 2013: 168).

26 3.2 Auswanderungsbewegungen der Mennoniten

Neben der Komplexit¨at und der H¨aufigkeit ist auch die Bedeutung des Kontextes, mit der ein Gefuge¨ verwendet wird, hinsichtlich des Prestige der Mehrheits- und Minderheitssprache zu berucksichtigen.¨ Je besser die Sprache des Einwanderungs- landes angesehen ist, desto eher kommt es zu Transferenzen. Auch im Bereich der Flexionen im Dativ mit -n-Suffix gibt es vergleichbare Beobachtungen mit den Ge- w¨ahrspersonen aus Russland:

Mit zwei Kinder. (Riehl 2013: 168)

Ebenso sind Abweichungen in der Bildung des Plurals der Substantive zu verzeich- nen:

Ein Jahr und acht Monat. (ebd.)

Es gibt daruber¨ hinaus eine generelle Unsicherheit in der Verwendung von Artikeln. Besonders nach der Pr¨aposition in fehlt er h¨aufig:

Er wohnt in Stadt in Quartier. (ebd.)

Interessant ist auch, dass es bei den analytisch gebildeten Tempora keine Unterschei- dung zwischen haben und sein gibt. Das Perfekt und das Plusquamperfekt werden in der Regel mit sein gebildet:

Mein Vater war in Gesch¨aft gearbeitet. (ebd.)

Das Passiv wird, wie im Russischen und Ukrainischen, praktisch gar nicht verwendet. Aus dem Einfluss der Kontaktsprachen kommt auch die Verbzweitstellung:

Weil sie gehen in eine deutsche Kirche, [. . . ] (ebd.) sowie die doppelte Verneinung:

Die M¨anner haben keine Arbeit nicht. (ebd.)

Und auch in dieser Studie konnte beobachtet werden, dass es innerhalb eines Ge- spr¨achs schnell zum Code-Switching kommt, abh¨angig vom Thema oder nach dem Gebrauch von Lehnw¨ortern (Hvozdyak 2008: 118). Eine hohe Frequenz des Code- Switchings erh¨oht m¨oglicherweise die Wahrscheinlichkeit von syntaktischen Ver¨ande- rungen, in der Regel die Verbzweitstellung. Dies wurde u.a. im Pennsylvania German (PG) beobachtet:

If der Vater hat keine Farm (Riehl 2013: 170).

Die syntaktischen Angleichungen k¨onnen Ausdruck kognitiver Okonomie¨ sein. Ins- gesamt spielt kognitive Okonomie¨ im Sprachkontakt generell sicherlich eine entschei-

27 3 Sprache und Migration dende Rolle: Fur¨ den Sprecher ist die Geschwindigkeit, in der er Sprache verarbeiten und produzieren kann, ausschlaggebend (Riehl 2013: 173). In der Morphologie wird diese Form der Okonomie¨ am besten durch Reduktion und Vereinfachung der For- men erreicht. So verringern sich die Formen, die sich der Produzent merken muss, und vereinfachen Sprache auf diese Weise (ebd.). In der Syntax werden Muster wie z.B. die Wortstellung der Kontaktsprachen angeglichen und somit verringert sich auch hier die Variantenvielfalt, die der Sprecher kennen muss (ebd.). Zwischen den in Russland und der Ukraine lebenden Deutschsprachigen gibt es also ganz offensichtlich deutliche Parallelen hinsichtlich der Beeinflussung der Mehr- heitssprachen auf das Deutsche. Gerade im Fall der Wiedert¨aufer muss jedoch betont werden, dass der Institutionalisierungsgrad der Sprache in Schule und Kirche sowie das Prestige der eigenen und der Kontaktsprache in Hinblick auf m¨ogliche sprachli- che Einflusse¨ nicht außer Acht gelassen werden durfen.¨

3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada

Viele Mennoniten sahen keinen anderen Ausweg aus der sich zuspitzenden Situation in Russland, als erneut auszuwandern. Bei der Suche nach einem geeigneten Ein- wanderungsland wurden einige Wiedert¨aufer unter anderem zun¨achst nach Nord- amerika, sp¨ater auch nach Kanada ausgesandt, um vor Ort die Lebensbedingungen auszukundschaften. In Kanada wurde ihnen, wie zu Beginn in Russland, die un- eingeschr¨ankte Religionsfreiheit und die Befreiung vom Wehrdienst zugesagt (Frank 1992: 95). Die ersten Mennoniten siedelten 1873 dorthin um. Fur¨ die in Russland verbleibenden Wiedert¨aufer wurde die Situation immer schwieriger: Sie wurden ent- eignet und h¨aufig ihrer Habe beraubt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entspannten sich die Umst¨ande etwas und die Schulen durften wieder er¨offnet werden, so dass einige Gemeinden auch dort blieben (ebd.: 97). Bei den in Amerika und Kanada zugezogenen Mennoniten verlief die Assimilation der Sprache anders als bei ihren Glaubensbrudern¨ in Lateinamerika. Grunds¨atzlich wird h¨aufig davon ausgegangen, dass der Spracherhalt einer Minderheit von Indus- trialisierung und Urbanisierung des Gebietes, in dem sie siedelt, abh¨angt, und auch von der ¨okonomischen Situation der Einwanderer (Johnson-Weiner 1992: 26). Hinzu kommt sicherlich die Sprachpolitik des Einwanderungslandes und - wie erneut betont wird - das Prestige der Mehrheitssprache in den Augen der Immigranten. Obwohl die ersten Mennoniten 1683 nach Amerika einwanderten, spielte die engli- sche Sprache fur¨ sie keine bedeutende Rolle, bis 1834, als es auch fur¨ die Wiedert¨au- fer zur Pflicht wurde, in den Schulen Englisch zu lernen (Johnson-Weiner 1992: 28). Noch zu Beginn des 19. Jh. lehnten die mennonitischen Einwanderer der Vereinig- ten Staaten den Gebrauch des Englischen ab, weil sie befurchteten,¨ ihre Lebensweise damit negativ beeinflussen zu k¨onnen (ebd.). Der vermehrte Spracherwerb des Engli-

28 3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada schen unter den Anabaptisten geht also in erster Linie auf die Schulpolitik Amerikas zuruck.¨ Nun begannen einige mennonitische Gruppen auch Englisch im zeremoni- ellen Kontext zu verwenden, wenn nicht-mennonitische Außenseiter zugegen waren, andere mennonitische Gemeinden lehnten dies jedoch ab (Johnson-Weiner 1992: 29). Die Amischen, ebenfalls eine wiedert¨auferische Glaubensgruppe, die etwas sp¨ater in die Vereinigten Staaten auswanderten als die Mennoniten, zeigten, im Vergleich zu ihren anabaptistischen Glaubensbrudern,¨ von Beginn an eine st¨arkere Tendenz zum Englischen. Sie nutzen englischsprachige Printmedien und fuhrten¨ schneller Schul- unterricht in dieser Sprache ein (ebd.: 36). Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Amerika eine generell ablehnende Haltung der deutschen Sprache gegenuber.¨ Dies hatte zur Folge, dass auch die Mennoni- ten, die dort lebten, ihre hochdeutsche und niederdeutsche Sprache immer weniger nutzten, um nicht negativ aufzufallen (Buchheit 1988: 6). Die in den Vereinigten Staaten lebenden Wiedert¨aufer sprachen uberwiegend¨ Hochdeutsch in den Schulen und im Gottesdienst. Im privaten Bereich hingegen war Niederdeutsch weitgehend vorherrschend (ebd.: 7). Wurde vorher Deutsch zu Hause gesprochen und waren auch die Gottesdienste noch in dieser Sprache, so gaben die Eltern das Deutsche ab den 1940er und 50er Jahren nicht mehr an die nachfolgende Generation weiter. Stattdessen sprachen sie uberwiegend¨ Englisch (ebd.). Laut Buchheit fuhrte¨ die ne- gative Rolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg dazu, dass die in Amerika lebenden Wiedert¨aufer die deutsche Sprache lediglich funf¨ bis zehn Jahre l¨anger erhielten als nicht-mennonitische Einwanderer aus dem deutschsprachigen Raum (ebd.). In Kansas, aber auch anderen Staaten leben Anabaptisten vergleichsweise isoliert undinihreneigenenl¨andlichen D¨orfern. Es uberrascht¨ nicht, dass die Mutterspra- che der Einwanderer unter diesen Lebensbedingungen regelm¨aßig l¨anger erhalten wird als dies bei Immigranten in st¨adtischen Gegenden der Fall sein kann (Buchheit 1988: 7). Hier muss also der Sprachgebrauch in den unterschiedlichen Lebensr¨aumen differenziert werden. Dennoch hatte die negative Einstellung der amerikanischen Bev¨olkerung und die Furcht der Mennoniten, deshalb verfolgt zu werden, einen gr¨oßeren Einfluss auf das SprachverhaltenalsdieengeemotionaleBindungandasDeutschealsSpracheGottes und Zeichen ihrer europ¨aischen Herkunft. Besonders interessant ist, dass Buchheit in seiner Untersuchung zum Sprachwandel der Mennoniten in Kansas feststellen konn- te, dass die Altkolonier, die als besonders konservativ gelten, grunds¨atzlich die ersten waren, die den Wandel vom Nieder- und Hochdeutschen zum Englischen vollzogen (ebd.: 15). Dies verh¨alt sich deutlich abweichend von den in Bolivien lebenden Altko- loniern, die kaum Spanisch, dafur¨ weitgehend eine deutsche Variet¨at sprechen. Hier kann sicherlich auf das hohe Prestige, das die englische Sprache fur¨ die Mennoniten im Gegensatz zum Spanischen zu haben scheint, verwiesen werden. Hinzu kam in Kansas, dass der allgemeine technische und ¨okonomische Fortschritt Amerikas dazu fuhrte,¨ dass die Landwirtschaft mit immer weniger Helfern auskam

29 3 Sprache und Migration und diese in die st¨adtischen Gebiete auswanderten, um dort Arbeit zu finden; dies betraf auch die Anabaptisten. Das Leben inmitten von Englischsprachigen f¨orderte somit ebenfalls den Wandel vom Deutschen zum Englischen (ebd.: 16). Die Wie- dert¨aufer merkten alsbald, dass Arbeitspl¨atze außerhalb der Kolonien nur mit einer guten Ausbildung zu erreichen sind. Dies war ebenso ein Grund, warum die deutsche Sprache zugunsten der englischen nicht mehr weitergegeben worden ist. Den Men- noniten war bewusst, dass ein Zugang zur Bildung langfristig nur mit ausreichenden Sprachkenntnissen des Englischen m¨oglichseinwurde¨ (ebd.). In Bolivien mag eine Abwanderung in die gr¨oßeren St¨adte wie Santa Cruz zu erkennen sein, der Großteil der Wiedert¨aufer lebt jedoch nach wie vor in den Kolonien auf dem Land. Auch in Paraguay lebt die Mehrheit der Mennoniten noch in l¨andlichen Gegenden. Seit den 1840er Jahren leben die Amischen, die sich generell von der Außenwelt zu isolieren pflegen, in Iowa. Sie stellen die ¨alteste Wiedert¨aufergruppe, die in Amerika lebt (Reimer 1978: 174). Sie stammen ursprunglich¨ aus dem Schweizer Raum, so dass ihre Muttersprache eine andere deutsche Variet¨at darstellt als diejenige der Menno- niten (Johnson-Weiner 1992: 36). Noch in den 1960er Jahren wurde angenommen, dass die deutsche Sprache dieser religi¨osen Gruppe stabiler erhalten bleiben wurde¨ als dies bei den Mennoniten in Kansas der Fall ist (Dow 1988: 20). Mittlerweile kann diese These jedoch nicht l¨anger aufrecht erhalten bleiben. Die Amischen entschlos- sen sich, in ihren eigenen Schulen Englisch zur Unterrichtssprache zu erkl¨aren, so dass Deutsch zu ausschließlich h¨auslichen Zwecken genutzt wurde (ebd.: 23). Dow sieht bzgl. der Entwicklung des Englischen jedoch darin eine Besonderheit, dass die Lehrkr¨afte, die die Amischkinder anfangs unterrichteten, selbst ausnahmslos Wieder- t¨aufer waren, so dass ihre Muttersprache nicht Englisch, sondern Deutsch war. Der Unterricht fand somit in einem Idiom statt, das fur¨ alle eine Fremdsprache darstellte (ebd.). Dies war einige Zeit fur¨ die Amischen die einzige Umgebung, in der sie mit einem Glaubensbruder in Englisch kommunizierten, außerhalb des Bildungswesen war dies absolut unublich.¨ Daruber¨ hinaus berichtet Dow, dass die Amischen Kontakte zu Mennoniten pfle- gen,dieeineanderedeutscheVariet¨at sprechen (Dow 1988: 24). Zum besseren gegen- seitigen Verst¨andnis wird bei diesen Zusammenkunften¨ regelm¨aßig auf die englische Sprache zuruckgegriffen¨ (ebd.). Die Amischen besuchen auch h¨aufiger die Gottes- dienste der Mennoniten, die seit einiger Zeit in Englisch stattfinden (ebd.). Die Kontakte bestehen jedoch in erster Linie zwischen den jungeren¨ Wiedert¨aufern; je ¨alter sie werden, desto mehr bleiben sie ihrer eigenen Gruppe verhaftet. In Bezug auf Lexis und Grammatik des Deutschen der Amischen in Iowa konnte gezeigt werden, dass vor allem der Kontakt mit Arzten,¨ Handelspartnern, Rechts- anw¨alten etc., der seit Beginn der wiedert¨auferischenSiedlungeninEnglischstatt- findet, sowohl zu Entlehnungen als auch zum syntaktischen Transfer des Englischen indasDeutschefuhren¨ (Dow 1988: 25). Besonders h¨aufig ist der Gebrauch von eng- lischer Lexis in Verbindung mit deutscher Syntax (ebd.: 26). Dies hat unweigerlich

30 3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada zur Folge, dass das Deutsche seit den 1980er Jahren dort sehr stark vom Englischen beeinflusst ist. Eine derart deutliche Beeinflussung des Deutschen durch das Spani- sche in Paraguay oder Bolivien konnte, wie noch zu zeigen sein wird, bei den dort lebenden Wiedert¨aufern bislang nicht beobachtet werden. Ebenfalls anders als in Paraguay und Bolivien pflegen die Amischen in Iowa nicht uberwiegend¨ deutsche Presse zu lesen, sondern ebenso auch die englische (Dow 1988: 27). Sogar die vor Ort von Amischen fur¨ Amische herausgegebenen Zeitschriften sind weitgehend in Englisch, ganz anders als in Lateinamerika, wo die Zeitschriften der Mennoniten ausschließlich in Deutsch verfasst sind. Dow vermutet, dass diese Ent- wicklungen, die klare Tendenzen zum Sprachtod des Deutschen unter den Amischen in Iowa vermuten lassen, damit zusammenh¨angen, dass es, anders als es bei den Mennoniten der Fall ist, keine Amischen mehr im deutschsprachigen europ¨aischen Raum gibt, so dass das Interesse am Erhalt der ethnischen Wurzeln und damit der deutschen Sprache geringer wird. Hinzu kommt, dass Dow w¨ahrend seiner Arbeit in Iowa feststellte, dass sich die Amischen fur¨ ihre deutsche Variet¨at beinahe sch¨amen, weil in ihren Augen mittlerweile nur Standarddeutsch noch allgemeines Ansehen außerhalb der wiedert¨auferischen Gruppen genießt und sie dies aber nicht in einer modernen, sondern eher antiquierten Form beherrschen, die es nicht mehr l¨anger Wert ist, aufrecht erhalten zu werden (Dow 1988: 29). Auch dies ist offenkundig ein Grund fur¨ den Tod des Deutschen unter den Wiedert¨aufern in Iowa zugunsten des Englischen. Auch zu den in Delaware lebenden Amischen gibt es eine Studie, die mit dem Ziel durchgefuhrt¨ wurde herauszufinden, inwieweit die deutschen Variet¨aten von den Wiedert¨aufern noch genutzt werden. Diese Daten stammen jedoch ebenfalls bereits aus den 1980er Jahren. In Delaware ist die Unterrichtssprache auch Englisch, in den Pausen wird jedoch ausschließlich Deutsch gesprochen (Enninger 1988: 42). Die von den Amischen dort gesprochene Variet¨atistwedereinUnterrichtsfach,nochdarfsie w¨ahrend des Unterrichts gesprochen werden (ebd.: 43). Dies bedeutet, dass die Mut- tersprache der Kinder, und somit fur¨ viele von ihnen die einzige Sprache, die sie beim Schuleintritt beherrschen, nicht berucksichtigt¨ wird. Stattdessen wird ausschließlich in einer Fremdsprache fur¨ die Kinder unterrichtet. Teilweise gibt es offenbar sogar vereinzelte Versuche seitens der Lehrkr¨afte Deutsch in den Pausen zu unterbinden und die SchulerInnen¨ dazu anzuhalten, Englisch miteinander zu sprechen (ebd.). Der Gedanke, der dahinter steht, ist, dass die englische Sprache nur dann automatisiert werden kann, wenn sie nicht nur in formellen, sondern auch in informellen Registern genutzt wird. Lediglich im Gemeindewesen spielt Deutsch noch immer eine bedeu- tende Rolle; es werden nach wie vor religi¨ose Zeremonien auf Deutsch vollzogen. Zu diesem Zwecke wird Hochdeutsch gesprochen, allerdings ist es als Sprache konkret kein Unterrichtsgegenstand, vielmehr werden deutsche Bibeltexte schlicht auswendig gelernt und rezipiert (Enninger 1988: 46). Hier durften¨ jedoch in den vergangenen Jahren einige Ver¨anderungen vollzogen worden sein, die Englisch weiter in den Vor-

31 3 Sprache und Migration dergrund haben rucken¨ lassen - zuungunsten des Deutschen. Der Hintergrund, warum soviel Wert auf das Englische gelegt wird, ist offenbar, dass die M¨oglichkeiten aus ¨okonomischer Sicht in den Vereinigten Staaten schlicht gr¨oßer sind, wenn die Mehrheitssprache beherrscht wird. Auch hier wird das niedri- ge Prestige, das deutsche Variet¨aten, die vom Hochdeutschen abweichen, genießen, deutlich. Schweizerdeutsch hat in den Augen der Amischen offenkundig keine Bedeu- tung mehr und bringt, zumindest in den USA, keinerlei Nutzen. Dies ist jedoch bei Einwanderern in die Vereinigten Staaten allgemein ein zu beobachtendes Ph¨anomen. Auch die aus Zentralamerika stammenden Immigranten sind alsbald nach ihrer An- kunft bemuht,¨ eine m¨oglichst prestigetr¨achtige Variet¨at des Englischen zu erlernen, weil sie nur so ihre Chancen sehen, als amerikanische Burger¨ anerkannt zu werden und ¨okonomische Zufriedenheit zu erreichen (Bouchard & Carranza 1977: 61). Aus diesem Grunde sprechen viele mexikanische Einwanderer mit ihren Kinder ebenfalls nach M¨oglichkeit uberwiegend¨ Englisch und nicht mehr Spanisch (ebd.: 68). Viele texanische Arbeitgeber stellen laut Bouchard & Carranza auch tats¨achliche keine Bewerber ein, die einen spanischen Akzent aufweisen (ebd.: 69). Der Hintergrund ist offenbar, dass jenen mit einem deutlichen Akzent grunds¨atzlich unterstellt wird, sich st¨arker mit Mexiko und den dortigen Gepflogenheiten zu identifizieren als mit den Vereinigten Staaten (ebd.: 77). Die USA haben sehr fruh¨ festgelegt, dass Englisch dieAmtssprachedesLandesistundalleBurger¨ diese Sprache zu erlernen haben (ebd.: 63). Es gibt zwar mittlerweile auch staatliche Programme, die den Bilingua- lismus der Einwanderer zu unterstutzen¨ versprechen, damit diese nicht ausgegrenzt werden, sondern von ihrer Muttersprache profitieren k¨onnen (ebd.). Der Druck der Einwanderer, Englisch zu erlernen, besteht dennoch in offenbar hohem Maße. In Paraguay und Bolivien hingegen ist Spanisch nicht die einzige Amtssprache. Zwar sollen auch dort dem Gesetz zufolge alle BurgerInnen¨ Spanisch erlernen, aber die sprachliche Diversit¨at war bislang st¨arker akzeptiert und wurde nicht weiter kontrolliert. Da die Notwendigkeit des Englischlernens den Kindern bereits fruh¨ vermittelt wird und zunehmend weniger Bemuhungen¨ zum Spracherhalt des Nie- derdeutschen unter den Amischen zu erkennen sind, ist auch in Delaware mit einem absehbaren Sprachtod dieses Idioms zu rechnen. Der Vorzug, den diese wiedert¨aufe- rische Gruppe den Sprachen Deutsch und Englisch gibt, ist im Prinzip eine Kosten- Nutzen-Abw¨agung. Mittlerweile beherrschen alle Amischen in Delaware die englische Sprache, Niederdeutsch wird unter den Jungeren¨ jedoch immer weniger gesprochen und von vielen kaum noch als Kommunikationsmittel genutzt. Es k¨onnte noch einige Gruppen geben, die sich um Hochdeutsch bemuhen;¨ aktuelle Erkenntnisse dazu sind jedoch bedauerlicherweise nicht verfugbar.¨ Ich habe w¨ahrend meines Aufenthalts in Paraguay eine Gruppe Amischer aus Delaware getroffen; keiner von ihnen war des Niederdeutschen m¨achtig, alle beherrschten einzig Englisch. Raith fuhrte¨ 1982 eine Studie in Pennsylvania mit Informanten aus unterschied- lichen wiedert¨auferischen Gruppen durch, die den Zweck hatte herauszufinden, wel-

32 3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada chen Einfluss die englische Sprache auf das Pennsylvania German (PG) und das Hochdeutsche dort zeigte. PG ist eine Sprachvariet¨at des Deutschen, die mittler- weile deutlich vom amerikanischen Englisch beeinflusst ist (Raith 1989: 163). Es lassen sich u.a. sprachliche Charakteristika von anabaptistischen Zuwanderern aus der Schweiz, Wurttemberg,¨ dem Elsass, Westfalen, Hessen und Sachsen nachwei- sen (van Ness 1989: 182). Der Dialekt stammt daher aus dem Westmitteldeutschen (Hans-Bianchi 2013: 196). In den USA und Kanada gibt es ca. 200.000 Sprecher (ebd.). In einem weiteren Schritt hinterfragte Raith die Einstellung der Anabaptisten zum PG und die Motivation der Sprecher vor Ort, diese Sprache zu erhalten. Er wollte außerdem erfahren, ob es starke Tendenzen gibt, dass das PG dort zugunsten des Englischen zuruckgedr¨ ¨angt wird. Die Daten wurden ebenfalls anhand von Interviews gewonnen (Raith 1982: 85). Einige der Befragten geh¨oren einer wiedert¨auferischen Gruppe an, in deren Gemeinde in PG gepredigt wird, andere Gemeinden stellten bereits auf die englische Sprache innerhalb der Kirche um. Raith machte dabei die bemerkenswerte Beobachtung, dass diejenigen Gemeinden, deren Gottesdienste in Englisch stattfinden, deutlich prunkvoller ausgestattete Kirchen haben als jene, die beim traditionellen Deutschen geblieben sind (Raith 1982: 89). Raith begrundete¨ dies damit, dass mit dem Wegfall der Traditionssprache andere, nicht-verbale Got- tesdienstmerkmale des wiedert¨auferischen Glaubens zunehmen (ebd.). Im Bereich der Entlehnungen konnte Raith feststellen, dass alle befragen Gruppen deutlich aus den Bereichen Haus/Kuche“¨ und Berufen“ aus dem Englischen in das ” ” PG entlehnen. Seiner Beobachtung zufolge gibt es kaum noch Berufsbezeichnungen, die nicht aus dem Englischen entlehnt werden - zutreffend auf alle anabaptistischen Gruppen, die befragt wurden (Raith 1982: 90). Auch Schulf¨acher werden in der englischen Sprache bezeichnet (writing, reading). Nur eine einzige wiedert¨auferische Gruppe bildet hier die Ausnahme, sie benennt Schulf¨acher weiterhin in ihrer deut- schen Sprache (ebd.: 91). Viele der Befragten aus allen wiedert¨auferischen Gruppen zeigen mittlerweile Un- sicherheiten bzgl. der Genera im PG, obwohl dies ursprunglich¨ ihre erste Sprache ist (Raith 1982: 152). Das Deutsche kennt drei Geschlechter, maskulin, feminin, neutrum, das Englische hingegen nur ein Genus. Ein deutliches Muster bei den Ana- baptisten, zu welchem Genus sie aufgrund des englischen Einflusses tendieren, l¨asst sich jedoch laut Raith nicht erkennen, da der Gebrauch unter den Informanten sehr uneinheitlich ist (ebd.: 153). Es bestehen also Parallelen zu der interlanguage der Deutschen in Russland und der Ukraine. Auch im Hinblick auf englische Pr¨apositionen finden bei den Interviewten Uber-¨ tragungen in das PG statt. Besonders h¨aufig werden die englischen Pr¨apositionen to, on und off entlehnt und somit in deutsche Satzgefuge¨ integriert (Raith 1982: 153). Des Weiteren werden die Pr¨apositionen regelm¨aßig in der im Englischen ub-¨ lichen Wortstellung verwendet (What is it made of ?),obwohleinePr¨aposition am

33 3 Sprache und Migration

Ende eines Satzes im PG korrekterweise nicht m¨oglich ist (ebd.: 154). Bei einigen anabaptistischen Gruppen konnte Raith auch die Tendenz einer Verwendung von englischen question tags aufzeigen (isn´t it?)(ebd.). Raith stellte in seinen Interviews auch sehr oft fest, dass es bei fast allen Be- fragten h¨aufig zum Code-Switching vom PG hin zum Englischen kommt: Meist gibt es ein Ausl¨osewort, das im PG nicht existiert, und die Konversation wird in Eng- lisch weitergefuhrt¨ (Raith 1982: 161). Außerdem gibt es manche Themen, die eher mit dem Englischen als mit dem Deutschen assoziiert werden und ebenfalls zum Code-Switching fuhren¨ (ebd.: 162). Laut Raith zeigt sich hier sehr deutlich, dass das Deutsche nicht mehr zwangsl¨aufig an die Kinder weitergegeben wird und wie stark sich viele von ihnen schon sprachlich integriert haben (ebd.: 161). Schließlich versuchte Raith in seinen Interviews herauszustellen, wie hoch die Mo- tivation der Befragten ist, das PG, aber auch das vor allem in vielen Gottesdiensten verwendete Hochdeutsche weiterhin aufrecht zu erhalten. Die Ergebnisse differierten in den einzelnen Gemeinden sehr stark, es konnte aber eine Tendenz dahingehend aufgezeigt werden, dass das PG grunds¨atzlich als Bauernsprache“ gesehen wird, die ” kaum Zukunft und außerhalb der Wiedert¨aufergemeiden so gut wie keine Relevanz hat. Die Erkenntnisse Raiths unterstreichen daher die Feststellungen, die bereits bei den Untersuchungen zu den Amischen gemacht wurden. Außerdem geben die meisten Befragten an, dass ihnen ihr deutscher Akzent in der Konversation mit englischen Muttersprachlern peinlich und ihnen wichtig ist, dass ihre Kinder Eng- lisch sprechen lernen - und zwar ohne Akzent der deutschen Sprache (Raith 1982: 170). Dennoch gehen die Interviewten davon aus, dass PG langfristig uberdauern¨ wird, da es immerhin ein wichtiges Merkmal ihrer europ¨aischen Herkunft ist (ebd.: 171). Diese Einstellung unterscheidet sie von den Amischen in Delaware, zeigt aber Parallelen zu den in Lateinamerika lebenden Mennoniten. Die von Raith befragten Wiedert¨aufer sehen PG als private Sprache zu Hause, wohingegen viele sich vorstel- len k¨onnten, Hochdeutsch in den Schulen zu lehren, da diese Sprache auch außerhalb der wiedert¨auferischen Gemeinden Bedeutung hat (ebd.). Huffines fuhrte¨ in den 1980er Jahren mit in Pennsylvania lebenden Mennoniten und Amischen Interviews durch, mit dem Ziel zeigen zu k¨onnen, in wieweit das PG dem Englischen noch vorgezogen wird. Dabei hat auch sie feststellen k¨onnen, dass unter den jungeren¨ Befragten nur noch sehr wenige PG sprechen, aber einige es noch verstehen k¨onnen (Huffines 1989: 168). Eltern legen h¨aufig auch keinen Wert mehr darauf, das Deutsch an ihre Kinder weiterzugeben, sondern sprechen stattdessen Englisch mit ihnen, da sie befurchten,¨ das Deutsche k¨onnte ihre Englischkenntnis- se negativ beeinflussen (ebd.). Diejenigen unter ihnen, die PG sprechen, versuchen nach eigener Aussage, in der Offentlichkeit¨ ihren Dutch accent zu verbergen (Huf- fines 1989: 169). Hier wird zum wiederholten Male deutlich sichtbar, welch hohes Prestige die englische Sprache unter den Anabaptisten hat. Es gibt Huffines‘ Beob- achtung zufolge noch Gemeinden, die PG zu zeremoniellen Zwecken nutzen, aber

34 3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada auch hier ist bei den meisten Wiedert¨aufern bereits eine deutliche Entwicklung zum Englischen zu erkennen (ebd.). So muss an dieser Stelle erneut deutlich werden, dass der Sprachgebrauch in den Gemeinden sehr unterschiedlich ist; bevorzugen die einen bereits das Englische, so fuhlen¨ sich die anderen noch mit dem Deutschen wohler. Da nach Huffines‘ Aussage jedoch auch unter denjenigen, die als Kommunikationsmit- tel noch das PG bevorzugen, bereits sehr viele Entlehnungen w¨ahrend fortlaufender Gespr¨ache festzustellen sind (Huffines 1989: 170), ist die Tendenz zum Englischen dennoch offensichtlich. Hinzu kommt, dass Huffines in ihren Interviews feststellen konnte, dass in den F¨allen, in denen PG gesprochen wird, Entlehnungen des Engli- schen, vor allem im Bereich der Nomen, zunehmen, je junger¨ der Sprecher ist (ebd.: 176). Auch hier wird best¨atigt, dass die Amischen mehr entlehnen als die Men- noniten (ebd.: 177). Die Untersuchung von Huffines best¨atigt die vorangegangenen Erkenntnisse deutlich. Leider ist auch ihre Datenerhebung aus den 1980er Jahren, so dass davon ausgegangen werden muss, dass die Bedeutung des Englischen in der Zwischenzeit merkbar zugenommen hat. Eine Untersuchung neueren Datums von Hans-Bianchi diente dazu festzustellen, in wie weit das englische progressive bereits Einzug in das PG gehalten hat. Hierzu wurden Alt- und Neu-Amische gebeten, das Neue Testament, das ihnen in englischer Sprache vorlag, auf PG zu ubersetzen,¨ um eine weitere Bibelubersetzung¨ im eigenen Dialekt zu haben (Hans-Bianchi 2013: 200). Es gibt bereits Ubersetzungen¨ von 1769 und 1989. Im PG existiert die Verlaufsform am Spielen, also eine substantivische Infinitiv- form in Kombination mit der Pr¨aposition an und dem Artikel dem,diezuam verschmolzen sind (Hans-Bianchi 2013: 201). Ob diese Verlaufsform aufgrund des englischen Einflusses im Gebrauch der Amischen zugenommen hat, galt es festzu- stellen. Die Untersuchung ging von einer Gleichsetzung der progressiven Bedeutung in beiden Konstruktionen aus (ebd.). Erhoben wurden 135 Belege der Verlaufsfor- men und es wurde an den entsprechenden Stellen mit dem englischen Text verglichen (Hans-Bianchi 2013: 202). Daneben wurden die Ergebnisse mit den Ubersetzungen¨ aus den Jahren 1769 und 1989 verglichen, um zu uberpr¨ ufen,¨ ob die Nutzung der Verlaufsform seitdem zugenommen hat (ebd.). Das meist genutzte Matrixverb war tats¨achlich sein in Verbindung mit dem Infinitiv:

Judas war am ihnen den Weg zeigen (Hans-Bianchi 2013: 203).

Im Englischen ist das Verb to be sicherlich auch die am h¨aufigsten vorkommende M¨oglichkeit, eine korrekte Verlaufsform zu bilden. In der PG-Ubersetzung¨ fanden sich jedoch vier weitere Matrixverben, mit denen eine Verlaufsform gebildet wurde, auch wenn diese nicht so h¨aufig vorkamen; all diese Matrixverben sind auch im Englischen fur¨ die Bildung des progressive m¨oglich. Z.B.:

Ist das nicht der Mann, der manchmal gesessen hat, am betteln? (Hans-Bianchi

35 3 Sprache und Migration

2013: 204)

Laut Hans-Bianchi sind Verlaufsformen in der Partizipalfunktion im PG eine Neue- rung, da sie in der ¨alteren Literatur von 1769 und 1989 noch nicht zu finden sind und m¨oglicherweise auf den zunehmenden Einfluss des Englischen zuruckgehen.¨ Das Matrixverb entf¨allt g¨anzlich und nur eine Aquivalenz¨ bleibt ubrig:¨

Eine Frau am ein Kind kriegen hat Angst. (Hans-Bianchi 2013: 207).

Alle Verlaufsformen in dem von Hans-Bianchi ausgewerteten Korpus haben eine Entsprechung im Englischen und zeigen somit den deutlichen Einfluss des Englischen auf das PG, denn in den deutschsprachigen Variet¨aten sind Verlaufsformen mit den unterschiedlichen Matrixverben nicht gebr¨auchlich (Hans-Bianchi 2013: 209). Der Grund fur¨ den Transfer der Verlaufsform ist gem¨aß Hans-Bianchi darin zu finden, dass das PG hier eine Lucke¨ aufweist, die durch den Sprachkontakt geschlossen werden kann - das PG kennt keine Partizipalkonstruktion im Pr¨asens (ebd.: 211). In Kanada siedelten die ersten Mennoniten 1873 (Moelleken 1989: 77). Auch dort hatten sie zun¨achst ihre eigenen Schulen und verwalteten ihre Kolonien selbstst¨an- dig (ebd.). Die meisten unter ihnen sprachen zun¨achst Hochdeutsch und dies war auch die zeremonielle Sprache; Englisch spielte in den Anfangsjahren auch in Kanada nur eine untergeordnete Rolle (Moelleken 1989: 78). Auch hier begann der verst¨arkte Erwerb des Englischen 1914 mit der Auflage der kanadischen Regierung, die Landes- sprache musse¨ fl¨achendeckend Unterrichtssprache werden (ebd.). Daraufhin mussten viele mennonitische Schulen schließen, da sie dieser Auflage aus logistischen Grunden¨ nicht nachkommen konnten. Zwar konnten dies einige der Wiedert¨aufer nicht akzep- tieren und wanderten nach Zentralamerika aus, diejenigen, die verblieben, passten sich den neuerlichen Anforderungen jedoch an und besuchten eine ¨offentliche, eng- lischsprachige Schule (ebd.). Im Zuge des Ersten Weltkrieges wurde Deutsch zudem zu einer nicht mehr gern geh¨orten Sprache in Kanada und konnte von den Menno- niten nur noch im Verborgenen gesprochen werden. Daruber¨ hinaus begannen die Wiedert¨aufer den guten Schulunterricht der ¨offentlichen Schulen zu sch¨atzen, denn die verbesserte Schulbildung bot gleichzeitig verbesserte wirtschaftliche Lebensbe- dingungen (Moelleken 1989: 79). Im zeremoniellen Umfeld blieb Hochdeutsch zu- n¨achst die dominante Sprache, musste mittlerweile aber in den meisten Gemeinden dem Englischen weichen (ebd.). Im Zuge des Zweiten Weltkrieges kam es erneut zu einer mennonitischen Einwan- derungswelle, die einen neuerlichen Aufschwung der deutschen Sprache zur Folge hatte. Die nun zugezogenen Mennoniten sprachen jedoch Plautdietsch, so dass es in Kanada seit dieser Zeit auch viele niederdeutschsprachige Mennoniten gibt (Mo- elleken 1989: 80). Durch den fl¨achendeckenden Besuch englischsprachiger Schulen, in denen Deutsch allenfalls ein Unterrichtsfach ist, und das sinkende Prestige des Niederdeutschen ist das Plautdietsche laut Moelleken unter den kanadischen Men-

36 3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada nonitenjedochkontinuierlichruckl¨ ¨aufig (ebd.). Viele der in Paraguay lebenden Wie- dert¨aufer haben Verwandte in Kanada, mit denen sie zum Teil auch regelm¨aßigen Kontakt pflegen. Einige meiner Informanten konnten mir berichten, dass der gegen- seitige Kontakt jedoch immer schwieriger werde, da die meisten kanadischen Glau- bensbruder¨ kaum noch Hochdeutsch und gar kein Plautdietsch, dafur¨ ausschließlich Englisch beherrschten. Aufgrund der Auswanderung aus Kanada kam es zu einer verst¨arkten Einsied- lung in Mexiko; ca. 50.000 Mennoniten emigrierten dorthin (Moelleken 1989: 81). In Mexiko leben sie bis heute sehr isoliert und haben keinen nennenswerten Kontakt zu Spanischsprachigen (ebd.: 82, außerdem s.o.). Der Grund der Ubersiedlung¨ war zudem ein in Kanada verabschiedetes Gesetz, das die Schulen unter die Aufsicht des Staates stellte und vorsah, dass Englisch zwingend Unterrichtssprache war (ebd.). Kanada wollte damit zwar keineswegs Minderheitssprachen ausgrenzen, legte jedoch verst¨arkt Wert auf die Bildung einer nationalen Einheit und sah dies nur in der Vereinheitlichung der Unterrichtssprache gew¨ahrleistet. Der mexikanische Pr¨asident gestand den Mennoniten freie Religionsausubung¨ und ein eigenes Schulwesen zu (Dyck 1971: 207). Der Großteil der Anabaptisten ließ sich im mexikanischen Staat Chihuahua nieder; bis 1954 waren ca. 16000 Wiedert¨au- fer dort angekommen (ebd.). Die Gemeinden siedelten erneut zumeist geschlossen um, so dass die sozialen Strukturen beinahe g¨anzlich erhalten blieben. Wie auch schoninRusslandundKanadawarendiemeistenMennonitenalsBauernt¨atig. Die Schulbildung war abermals mehr als durftig:¨ Im Vordergrund standen, wie schon in Russland, die Bibel, der Katechismus und ein Liederbuch (ebd.). Das Auswendigler- nen der Heiligen Schrift war grunds¨atzlich das oberste Unterrichtsziel. Vielen von ihnen kehrten jedoch nach Kanada zuruck,¨ weil ihre Erwartungen in Mexiko nicht erfullt¨ werden konnten. Ihre niederdeutsche Variet¨at wurde jedoch vom Spanischen beeinflusst und wird, Moellekens Beobachtungen vor Ort zufolge, daher oftmals im Vergleich mit dem kanadischen Plautdietsch als minderwertig angese- hen, da Spanisch offenbar nicht prestigetr¨achtig ist. Aus diesem Grund werden die ehemals mexikanischen Mennoniten nicht selten von ihren kanadischen Glaubensbru-¨ dern ausgegrenzt (Moelleken 1989: 86). Dies geschieht laut Moelleken aber nicht nur aufgrund der ver¨anderten Variet¨at, sondern auch, weil ihr Verhalten als unzuverl¨as- sig, unzivilisiert und grunds¨atzlich als lateinamerikanisch“ empfunden wird (ebd.). ” Da die Ruckkehrer¨ aus Mexiko dieses Image nicht pflegen wollen, versuchen sie, so schnell wie m¨oglich Englisch zu erlernen und das Niederdeutsche ganz aufzugeben (Moelleken 1989: 87). Einige blieben jedoch in Mexiko und begannen, dort ihren Lebensmittelpunkt zu errichten. Zum Sprachgebrauch der Mennoniten in Mexiko machte Brandt in den 1980er Jahren eine Untersuchung. W¨ahrend seines Aufenthalts in mexikanischen Ko- lonien Ende der 1980er Jahre untersuchte er das dort vorherrschende Plautdietsche in erster Linie lexikalisch und verglich zu diesem Zweck Sprecher von vier mennoni-

37 3 Sprache und Migration tischen Kolonien. Brandt schaute sich jedoch auch zumindest ansatzweise an, welche Sprache die Mennoniten vor Ort in welcher Dom¨ane sprechen. Bereits damals war es offensichtlich, dass die mexikanischen Mennoniten nur dann Spanisch sprechen, wenn die Umst¨ande, vor allem in gesch¨aftlicher Hinsicht, dies zwingend erfordern (Brandt 1992: 27). Außerdem waren es uberwiegend¨ M¨anner, die uberhaupt¨ in der Lage waren, auf Spanisch zu kommunizieren. Frauen beherrschten diese Sprache nur vereinzelt und unzureichend (ebd.). Zur Zeit von Brandts Untersuchung wurde noch ausschließlich Plautdietsch in den Kolonien gesprochen. Hochdeutsch war eine in- stitutionelle Sprache, die der Kirche und dem Schulwesen vorbehalten war, jedoch nicht der allt¨aglichen Kommunikation diente (Brandt 1992: 27). Abh¨angig vom Leh- rer wurde an einigen Schulen jedoch wohl auch uberwiegend¨ Niederdeutsch gespro- chen. Nichtsdestotrotz war Hochdeutsch auch schon damals diejenige Sprache, die im Schriftgebrauch verwendet wurde (ebd.). Obwohl sie es mundlich¨ wenig verwen- deten, war es Mennoniten dennoch immer wichtig, das Hochdeutsche zu pflegen, da es als ihre eigentliche Muttersprache und Sprache Gottes angesehen wurde und wird. Brandt befragte die mexikanischen Mennoniten nicht nach ihrer Sprachkompetenz in den einzelnen Sprachen. Er machte aber die Beobachtung, dass Plautdietsch in allen Lebensbereichen an der ersten Stelle stand, Hochdeutsch und Spanisch waren seiner Einsch¨atzung zufolge gleichauf an zweiter Stelle (Brandt 1992: 268). Obwohl die Mennoniten bemuht¨ waren, das Hochdeutsche zu pflegen und dies in der Schule sowie in der Kirche eine tragende Rolle spielte, deutete Brandt an, dass die Wieder- t¨aufer diese Sprache kaum besser sprachen als Spanisch (ebd.). Brandts Erkenntnisse wurden sp¨ater von Kaufmann erweitert. Kaufmann befragte Mitte der 1990er Jahre Mennoniten in Mexiko und Texas ver- gleichend bzgl. ihrer Sprachkompetenzen und erfragte auch die Gewohnheiten zu den von ihnen beherrschten Idiomen und fand heraus, dass seine Interviewteilneh- mer in Mexiko ihre Sprachkompetenz im Plautdietschen mit bedeutendem Abstand am h¨ochsten einsch¨atzten (Kaufmann 1997: 139). An zweiter Stelle stand in Mexiko das Hochdeutsche. In der spanischen Sprache sch¨atzten die Mennoniten in Nord- amerika ihre Sprachkompetenzen am niedrigsten ein (Kaufmann 1997: 140). Dies deckt sich mit den Informationen uber¨ die aus Kanada nach Mexiko eingewanderten Mennoniten (s.o.). Auch in Texas ist Plautdietsch diejenige Sprache, in der die dort befragten Men- noniten ihre Sprachkompetenzen am h¨ochsten einsch¨atzten - allerdings nicht mit einem so deutlichen Abstand wie dies in Mexiko der Fall war (ebd.). Offenbar sind traditionelle Gruppen befragt worden, die das Niederdeutsche pflegen. An zweiter Stelle folgt in Texas jedoch nicht wie in Mexiko das Hochdeutsche, sondern die eng- lische Sprache. Erst an dritter Stelle steht schließlich das Hochdeutsche (Kaufmann 1997: 140). Sowohl an dem Umstand, dass das Plautdietsche nicht mit einem derart uberzeugenden¨ Vorsprung diejenige Sprache ist, in der die Befragten ihre Sprach- kompetenz am h¨ochsten einsch¨atzten, als auch daran, dass in Texas die Mehrheits-

38 3.3 Anabaptisten in Amerika und Kanada sprache des Landes in Bezug auf die selbst eingesch¨atzte Sprachkompetenz dicht folgt, wird ersichtlich, dass die interviewten Mennoniten in Texas sprachlich besser integriert sind als in Mexiko und dass die Mehrheitssprache einen h¨oheren Stellen- wert fur¨ sie angenommen hat. In Texas ist offenbar die Wahrscheinlichkeit h¨oher, dass das Hochdeutsche und m¨oglicherweise auch das Plautdietsche zu Gunsten des Englischen aussterben werden. Es kann erwartet werden, dass in Texas die Entwick- lung in Richtung einer englischen Einsprachigkeit geht, wie dies auch in anderen Bundesstaaten der Fall ist (s.o.). Einen m¨oglichen Grund fur¨ diese Tendenz sieht Kaufmann darin, dass die me- xikanischen Mennoniten insgesamt st¨arker in ein Gemeindeleben eingebunden sind als in Texas (Kaufmann 1997: 141). Das Sprechen und Pflegen der deutschen Spra- che innerhalb der Gemeinde als auch das regelm¨aßige Feiern des Gottesdienstes auf Deutsch tragen somit entscheidend dazu bei, dass Plautdietsch bzw. Hochdeutsch unter den Mennoniten erhalten bleiben. In Texas sind die einzelnen Wiedert¨aufer mit ihrer Gemeinde offenbar bereits nicht mehr so stark verbunden und die Predigt findet uberwiegend¨ in der Mehrheitssprache des Landes statt. Auch dies best¨atigt die Lebensweise der Wiedert¨aufer in anderen Staaten Amerikas (s.o.). Daruber¨ hinaus stellte Kaufmann durch seine Untersuchung fest, dass die Sprach- kompetenzen in den jeweiligen Sprachen speziell in Texas auch deutlich vom Alter der Befragten abh¨angen. Die jungeren¨ Mennoniten in Texas sprechen deutlich bes- ser Englisch und weniger Plautdietsch bzw. Hochdeutsch, als dies bei den ¨alteren Mennoniten der Fall ist (Kaufmann 1997: 143). Kaufmann begrundet¨ dies damit, dass die jungeren¨ Mennoniten mit ihrer Familie nach Texas eingereist sind, als sie unter 15 Jahre alt waren (ebd.). Zu diesem Zeitpunkt war die Identit¨atsbildung er- wartungsgem¨aß noch nicht abgeschlossen, so dass es ihnen leichter als den ¨alteren Familienmitgliedern f¨allt, sich in einem englischsprachigen Umfeld zu integrieren. Dies spricht auch dafur,¨ dass Englisch an die kunftigen¨ Generationen m¨oglicherwei- se weitergegeben werden wird. Neben der Sprachkompetenz untersuchte Kaufmann in Mexiko und Texas auch die Verwendungsh¨aufigkeit der von den Mennoniten gesprochenen Sprachen. Die so gewonnenen Daten waren fur¨ ihn ein wichtiger Indikator bzgl. Sprachkontakt- ph¨anomenen (Kaufmann 1997: 146). Dabei stellte er zun¨achst fest, dass Frauen in Mexiko mehr Plautdietsch sprechen als M¨anner. Außerdem sprechen Altere¨ mehr Plautdietsch als Jungere¨ und konservative Wiedert¨aufer sprechen mehr als weniger konservative Anabaptisten in der niederdeutschen Variet¨at (ebd.: 158). Dies ist in meinen untersuchten Daten aus Paraguay und Bolivien sehr ¨ahnlich und geht auf die Lebensumst¨ande der jeweiligen Sprechergruppe zuruck.¨ Die Jungeren¨ sprechen und verstehen das Plautdietsche zwar noch sehr gut, da es von der vorangegangenen Generation an sie weitergegeben worden ist, sie nutzen es untereinander jedoch immer weniger (Kaufmann 1997: 159). Dies ist in Texas eben- so. W¨ahrend in Mexiko das Plautdietsche jedoch eher dem Hochdeutschen weichen

39 3 Sprache und Migration muss, ist es in Texas das Englische, das die jungeren¨ Mennoniten untereinander verst¨arkt verwenden (ebd.: 160). Kaufmann fiel auch auf, dass die mexikanischen Mennoniten fur¨ die mundliche¨ Kommunikation auch mit ihm bevorzugt das Hoch- deutsche w¨ahlten und nicht auf Spanisch kommunizieren wollten (ebd.: 162). Das Spanische spielt in allen Bereichen, auch innerhalb der Arbeitswelt, eine untergeord- nete Rolle. In Texas wird fur¨ die mundliche¨ Kommunikation außerhalb der Familie uberwiegend¨ Englisch gew¨ahlt, das Hochdeutsche ist selten eine Alternative (ebd.). Kaufmann befragte seine Interviewpartner auch danach, welche Sprache die gr¨oß- te Wichtigkeit fur¨ sie habe. Hier zeigten sich die Mennoniten sowohl in Mexiko als auch in Texas als sehr homogen: Sie waren sich einig daruber,¨ dass die jeweilige Mehrheitssprache grunds¨atzlich die bedeutendste sei (Kaufmann 1997: 243). Das Prestige der Sprachen unterscheidet sich in den Augen der Mennoniten jedoch in- teressanterweise von ihrer Nutzlichkeit:¨ Die Wiedert¨aufer in Mexiko erachteten das Englische als die wichtigste Sprache - nutzlicher¨ als die Mehrheitssprache des Landes, das Spanische. Erstaunlicherweise rangiert an zweiter Stelle das Hochdeutsche, das als nutzlicher¨ fur¨ ihre Lebenswelt angesehen wird als das Spanische (ebd.). Damit unterscheiden sie sich nicht von den Mennoniten, die in Texas leben, wo Englisch die Mehrheitssprache ist. Offenbar ist Englisch fur¨ Mennoniten h¨aufig eine Sprache mit sehr hohem Prestige, unabh¨angig davon, ob sie in einem Land siedeln, in dem diese eine offizielle Landessprache ist oder nicht. Dies erkl¨art auch, warum die texa- nischen Mennoniten bereits eine bessere Sprachkompetenz in der Mehrheitssprache des Landes, in dem sie wohnen, zeigen als die mexikanischen Anabaptisten. Fur¨ die Wiedert¨aufer in den USA ist Englisch eine Sprache, mit der sie einen gewissen Stolz verbinden und die sie sprechen wollen; die mexikanischen Mennoniten sprechen nur dann Spanisch, wenn sie es unbedingt mussen.¨ Dies ist eine bedeutende Erkenntnis Kaufmanns. Auch in meiner Befragung offenbarte sich, dass die in Lateinamerika lebenden Mennoniten Englisch als sehr prestigetr¨achtig empfinden. Sowohl in Texas als auch in Mexiko wird die Wichtigkeit und Nutzlichkeit¨ der jeweiligen Mehrheits- sprache deutlich h¨oher eingesch¨atzt als die des Plautdietschen. Eine sehr ¨ahnliche Tendenz zeigt sich, wie bereits erw¨ahnt, ebenfalls in anderen Untersuchungen (s.o.) und ebenso im Colegio Concordia in Asunci´on, das ich besuchte; auch dort ist der Austausch mit den USA und Kanada sehr beliebt, weil die englische Sprache in den Augen der Mennoniten derart prestigetr¨achtig ist. Kaufmann zufolge sind die Mennoniten in Mexiko auf dem Wege zur Mehrspra- chigkeit. Plautdietsch wird mehr und mehr zuruckgedr¨ ¨angt, w¨ahrend Hochdeutsch verst¨arkt zum Kommunikationsmittel avanciert. Daruber¨ hinaus wird von vielen me- xikanischen Mennoniten, vor allem den jungeren,¨ zunehmend Englisch gelernt und genutzt. Da es die Mehrheitssprache in Mexiko ist, lernen viele Wiedert¨aufer, vor- nehmlich die M¨anner, auch Spanisch (Kaufmann 1997: 250). In Texas nimmt die Entwicklung eine andere Richtung: Dort ist Englisch auf dem Wege, sowohl Plaut- dietsch als auch Hochdeutsch in allen Lebensbereichen, vor allem im Umgang mit

40 3.4 Anabaptisten in Sudamerika¨

Gleichaltrigen und am Arbeitsplatz, zu ersetzten. Im Gegensatz zu den mexikani- schen Mennoniten sind die texanischen Wiedert¨aufer tendenziell auf dem Wege zur Einsprachigkeit (ebd.). Es darf jedoch auch nicht vergessen werden, dass der Assi- milationsdruck in den Vereinigten Staaten generell deutlich h¨oher ist als in Mittel- und Sudamerika.¨

3.4 Anabaptisten in Sudamerika¨

Aufgrund l¨angerer Trockenzeiten, die die Bebauung der Felder erheblich erschwer- ten, beschlossen viele Mennoniten in den 1950er Jahren, Mexiko wieder zu verlas- sen und andere Regionen Sudamerikas¨ zu besiedeln (Dyck 1971: 208). Paraguay war bereit, ihnen ebenfalls freie Religionsausubung¨ und ein selbstst¨andiges Schul- wesen zu gew¨ahren. Letztlich erfuhren sie vor Ort aber wenig Unterstutzung¨ von der paraguayischen Regierung. Hinzu kam, dass die klimatischen Bedingungen sehr schlecht waren. Es kam zu Epidemien und Ruckwanderungen¨ nach Mexiko. Viele blieben jedoch; sie entwickelten Getreide, das in Paraguay gedeihen konnte, grunde-¨ ten mennonitische D¨orfer und soziale Einrichtungen (ebd.: 209). Die Schulbildung der in Paraguay lebenden Mennoniten besserte sich teilweise erheblich: Zwar lag der Schwerpunkt des Unterrichts in einigen D¨orfern noch immer auf der Bibel und dem Katechismus, es bildeten sich jedoch auch fortschrittlichere Gemeinden, die ein Schulsystem in Anlehnung an Europa aufbauten (ebd.: 211). So waren sechs Grund- und vier Mittelschuljahre vorgesehen; daruber¨ hinaus erhielten Lehrer eine zweij¨ah- rige Ausbildung außerhalb der Gemeinde. Es wurden mennonitsche Zeitungen eta- bliert, Buchl¨aden er¨offnet und ein Radiosender von und fur¨ Mennoniten gegrundet¨ (ebd.: 212). Des Weiteren gab es Umsiedlungen nach Brasilien, wenn auch wenige. Noch heute gibt es dort Gemeinden, die jedoch st¨arker dem Druck der brasilianischen Umge- bung ausgesetzt sind als ihre Glaubensbruder¨ in Paraguay (Dyck 1971: 213). Die vereinzelten mennonitischen Schulen, die es gibt, haben ausgebildete Lehrer und ein fortschrittliches Bildungssystem. Sie werden daruber¨ hinaus nicht nur von Wie- dert¨aufern, sondern auch von Brasilianern besucht; die Unterrichtssprache ist nicht ausschließlich Deutsch, es wird ebenso Portugiesisch gesprochen (ebd.). Laut Alten- hofen ist Portugiesisch in der Regel sogar die einzige Unterrichtssprache (Altenhofen 1996: 171). In jungerer¨ Zeit wurde eine aufschlussreiche Untersuchung von Siemens Duck¨ durchgefuhrt,¨ die auf Interviews basierend die Bewohner vier mennonitischer Kolo- nien in Brasilien hinsichtlich ihrer Sprachgewohnheiten verglich. Die Datenerhebung zeichnet ein etwas anderes Bild als bei Dyck. Sicherlich sind die in den Metropolen Brasiliens lebenden Mennoniten bereits sehr gut integriert und es ist anzunehmen, dass die Tendenz, die sich Anfang der 1970er zeigt, fortsetzen konnte. Allerdings gibt

41 3 Sprache und Migration es im Inneren des Landes auch noch traditionelle wiedert¨auferische Gruppen, die sich, zumindest zum Teil, das kulturelle Erbe Europas erhalten haben. Dies gilt vermut- lich fur¨ mehrere L¨ander, in denen Mennoniten siedeln, abh¨angig davon, inwiefern eine abgeschiedene Lebensweise mit der Dichte der Einwohnerzahl zu vereinbaren ist. Vereinzelt gibt es auch kleinere Gemeinden in Chile, Peru und Kolumbien. Vor allem in Kolumbien sehen Mennoniten sich jedoch vehementer religi¨oser Verfolgung ausgesetzt, gegen die die kolumbianische Regierung kaum einschreitet (Dyck 1971: 217). Laut Dyck haben die Wiedert¨aufer l¨angst begonnen, sich den sudamerikanischen¨ Regionen anzupassen, auch wenn dies nicht auf alle Gemeinden in gleichem Ma- ße zutrifft (ebd.: 218). Die heranwachsenden Generationen identifizieren sich seiner Beobachtung zufolge auch immer st¨arker mit dem Land, in dem sie auf die Welt kamen. Im Zentrum der Arbeit von Siemens Duck¨ stand die Frage, ob und mit wem in welchem Kontext die in Brasilien lebenden befragten Wiedert¨aufer Hochdeutsch, Plautdietsch oder Portugiesisch, teilweise sogar Englisch sprechen. Die Linguistin in- teressierte sich im Besonderen fur¨ die Sprechsituationen in der Kirche, in der Schule bzw. Arbeit sowie im famili¨aren Bereich (Siemens Duck¨ 2011: 107). In ihrer unter- suchten Kolonie Nova sprechen die Mennoniten im Alltag uberwiegend¨ Plautdietsch und empfinden dies als ihre Muttersprache (ebd.: 108). Es ist aber offenbar eine deutliche Tendenz zu erkennen, der zufolge vermehrt Portugiesisch unter den jun-¨ geren Wiedert¨aufern gesprochen wird, die das Idiom oftmals bereits als Kommu- nikationsmittel untereinander verwenden (ebd.). Unter den Jugendlichen ist zudem auch eine hohe Frequenz des Code-Switchings zu erkennen, indem sie einen Satz auf Plautdietsch beginnen, jedoch auf Portugiesisch beenden (ebd.: 109). Hochdeutsch ist in dieser Kolonie die Sprache der Kirche und wird im zeremoniellem Kontext verwendet (ebd.). Allerdings sieht Siemens Duck¨ auch hier eine aufkommende Ten- denz dahingehend, dass die jungeren¨ Gemeindemitglieder zunehmend Portugiesisch im kirchlichen Kontext bevorzugen (ebd.: 116). Die Kolonie fuhrt¨ ihre eigene Schule, in der viel Wert auf den Erwerb der hochdeutschen Sprache gelegt wird, die Menno- niten der Kolonie Nova besuchen jedoch in immer geringer werdender Anzahl diese Schule; stattdessen werden die meisten Kinder bereits auf ¨offentliche, brasilianische Schulen geschickt, an denen selbstredend Portugiesisch die erste Sprache ist (ebd.: 118). Daruber¨ hinaus nutzen die Jungeren¨ auch portugiesische Medien wie Fernse- hen und Zeitschriften (ebd.: 120). Die arbeitnehmende mennonitische Bev¨olkerung spricht uberwiegend¨ noch Plautdietsch untereinander, aber es kann davon ausge- gangen werden, dass die heranwachsenden Wiedert¨aufer in Zukunft auch bevorzugt Portugiesisch am Arbeitsplatz sprechen werden (ebd.). Abh¨angig vom Alter der Be- fragten gaben sie an, bevorzugt in Hochdeutsch oder Portugiesisch zu schreiben (ebd.: 124). In Plautdietsch wird, wie allgemein ublich,¨ nicht geschrieben.

42 3.4 Anabaptisten in Sudamerika¨

DiezweiteKolonie,inderSiemensDuck¨ Interviews fuhrte,¨ Curitiba, liegt im Gegensatz zur Kolonie Nova l nahe einer gr¨oßeren Stadt, in der viele Mennoniten leben (Siemens Duck¨ 2011: 132). Daher ist es nicht unerwartet, dass die Mehrheit der Befragten am Arbeitsplatz Portugiesisch spricht (ebd.: 133). Untereinander wird teilweise Hochdeutsch, zum Teil jedoch auf Portugiesisch kommuniziert; Plautdietsch ist nur noch fur¨ Wenige eine Sprache des Alltags, der Gebrauch nimmt kontinuierlich ab (ebd.). Hochdeutsch ist auch hier die Sprache des zeremoniellen Kontextes und gilt als Idiom der h¨oheren Bildung. Alle Interviewten beherrschen Hochdeutsch und lernten es in der Schule. Es ist ebenfalls diejenige Sprache, in der viele von ihnen lesen (ebd.: 34). In Curitiba sind offenbar auch Mischehen mit Brasilianern sehr h¨aufig. Dies hat nicht selten zur Folge, dass die Mennoniten mit ihren Kindern Portugiesisch sprechen (ebd.: 136). Das ist in Bolivien ¨ahnlich, auch dort sprechen einige Mennoniten aus Santa Cruz mit ihren Kindern die Mehrheitssprache Spanisch, weil sie dieses Idiom auch in der Kommunikation mit ihrem nicht-mennonitischen Ehepartner brauchen. In der Kolonie Witmarsum sprechen die Jungeren,¨ die nach 1975 geboren wur- den, uberwiegend¨ Portugiesisch, die Alteren¨ hingegen Plautdietsch (Siemens Duck¨ 2011: 157). Auch dort ist Hochdeutsch die Sprache der zeremoniellen Zwecke (ebd.). Allerdings geben die jungeren¨ Gemeindemitglieder im Gegensatz zu den ¨alteren an, die Bibel gelegentlich in Portugiesisch zu lesen (ebd.: 170). Diejenigen, die Plaut- dietsch sprechen, beherrschen regelm¨aßig ebenso Hochdeutsch und versuchen, diese Sprache bevorzugt an ihren Nachwuchs weiterzugeben (ebd.). Diese Einstellung, die ein sehr niedriges Prestige des Plautdietschen nahe legt, l¨asst vermuten, dass die niederdeutsche Variet¨at zugunsten des Hochdeutschen ruckl¨ ¨aufig ist. Siemens Duck¨ stellte fest, dass uberwiegend¨ diejenigen noch im Alltag Plautdietsch sprechen, die in ihrem eigenen Betrieb t¨atig sind, jene jedoch, die außerhalb ihrer direkten Wohn- umgebung erwerbst¨atig sind, sprechen Hochdeutsch oder h¨aufig Portugiesisch am Arbeitsplatz (ebd.: 160). Die Linguistin schreibt, dass Plautdietsch in der Kolonie Witmarsum nicht als eigenst¨andige Sprache gesehen wird, sondern lediglich als ein unbedeutender Dialekt (ebd.: 163). Die vierte von Siemens Duck¨ untersuchte Kolonie, Rural de Rio Verde, ist insofern besonders, als dass von den ca. 300 Einwohnern 70% bilingual Englisch/Portugiesisch sind (Siemens Duck¨ 2011: 188). Sie sprechen daruber¨ hinaus die Variet¨at des PG (ebd.). Fur¨ die Mehrheit der Mennoniten in Rural de Rio Verde ist tats¨achlich Eng- lisch diejenige Sprache, die sie am h¨aufigsten und bevorzugt sprechen, auch im fami- li¨aren Umfeld (ebd.: 191). Sie pflegen auch einen engen Kontakt zu ihren Glaubens- brudern¨ in Amerika und Kanada (ebd.). Nur die ¨alteren Bewohner kommunizieren teilweise noch in Plautdietsch, die Jungeren¨ bevorzugen mehrheitlich Englisch (ebd.: 202). Englisch ist neben Portugiesisch auch die Sprache fur¨ zeremonielle Zwecke in- nerhalb der Kolonie (ebd.). Plautdietsch wird in dieser Kolonie bereits uberwiegend¨ als kulturelles Erbe der europ¨aischen Vorfahren gesehen (ebd.: 196). Rural de Rio

43 3 Sprache und Migration

Verda verfugt¨ ebenfalls uber¨ eine eigene Schule. Die Lehrkr¨afte stammen alle aus der Kolonie selbst und sind bilingual Englisch/Portugiesisch (ebd.: 199). Das Lern- material ist in der Regel ebenfalls bilingual (ebd.: 200). Viele der Befragten gaben dennoch an, mit der portugiesischen Orthografie mehr Schwierigkeiten zu haben als mit der englischen (ebd.: 204). Hochdeutsch gilt in dieser Kolonie als sehr offizielle, f¨ormliche Sprache (ebd.: 208). Die Untersuchung von Siemens Duck¨ zeigt deutlich, dass die Sprachentwicklung einer Gemeinschaft sehr stark vom Schulsystem und den in den Schulen unterrichte- ten Sprachen abh¨angt. Die Tendenz in Brasilien geht offenbar auch in die Richtung, in den Schulen vermehrt Wert auf die portugiesische Sprache zu legen, dem entspre- chend werden die heranwachsenden Generationen dem Portugiesischen zugunsten weniger Plautdietsch und Hochdeutsch sprechen. Hochdeutsch hat oftmals jedoch noch den Rang des Offiziellen und F¨ormlichen, ebenso den der Sprache der Kirche, so dass es noch l¨anger erhalten bleiben k¨onntealsdieniederdeutscheVariet¨at. Auch in Uruguay kamen nach dem Zweiten Weltkrieg Anabaptisten an. Sie stamm- ten jedoch uberwiegend¨ aus Polen und mussten vor den politischen Umw¨alzungen dort fliehen (Dyck 1971: 214). Sie siedelten unweit von Montevideo und bauten Kartoffeln, Baumwolle und Erdnusse¨ an. Sie bedurften von Anfang an keiner beson- deren Unterstutzung,¨ da die klimatischen Bedingungen vor Ort derart gut waren, dass sie keine Probleme hatten, von ihren Erzeugnissen zu leben. Die Wiedert¨aufer in Uruguay haben, verglichen mit ihren Glaubensbrudern¨ in anderen lateinamerika- nischen L¨andern, den Ruf, in ihrem Immigrationsland besonders gut integriert zu sein (ebd.). Sie genießen jedoch nicht das Vorrecht der eigenen Schulen, sondern sie mussen¨ staatliche Bildungseinrichtungen, deren Unterrichtssprache Spanisch ist, besuchen. Eine interessante Studie in Uruguay wurde Ende der 1990er Jahre von Clemens Scharf durchgefuhrt.¨ Es ging Scharf vordergrundig¨ darum, den muttersprachlichen Einfluss des Deutschen auf das Spanische aufzuzeigen. Der Germanist arbeitete zu diesem Zweck ebenfalls in Form von Interviews, sowohl auf Niederdeutsch als auch auf Spanisch (Scharf 2001: 26). Scharf fand dabei heraus, dass es im Speziellen in Bezug auf Flexionen zu Abweichungen vom Standardspanischen kommt. Dies ist seiner Aussage zufolge auf den Einfluss der deutschen Muttersprache zuruckzuf¨ uhren¨ (ebd.: 55):

Yo sabe de memoria. Yo quiere el tiempo. Elnoeranalaasamblea.´ Nosotros llegaron ayer (Scharf 2001: 55).

Der Germanist fand dabei auch heraus, dass die Frauen mehr Abweichungen in Bezug auf die spanischen Flexionen aufwiesen als die teilnehmenden M¨anner (Scharf 2001:

44 3.5 Außenkontakte der Mennoniten

56). Eine m¨ogliche Erkl¨arung dafur¨ ist, dass mennonitische M¨anner aus beruflichen Grunden¨ in der Regel mehr Kontakt mit Spanischsprachigen haben als die eher h¨auslichen Ehefrauen. Daher verwenden M¨anner das Spanische h¨aufiger und festigen so ihre Kenntnisse. Des Weiteren konnte Scharf zeigen, dass es nicht selten zu einem Fehlgebrauch der bestimmten und unbestimmten Artikel im Spanischen kommt; hierbei konnte er sowohl das Auslassen eines notwendigen Artikels als auch das Hinzufugen¨ eines nicht notwendigen Artikels nachweisen:

Me rob´o el canasto con [. . . ] carne Cuando nosotros volvimos, los otros ya estaban en [. . . ] cama (Scharf 2001: 57). Entonces un otro pe´on dice (Scharf 2001: 58).

Vereinzelt zeigt die Studie von Scharf auch das Auslassen von notwendigen Pr¨aposi- tionen, vor allem, wenn es sich um die spanische Akkusativpr¨aposition a vor einem belebten Objekt handelt:

No entiendo [. . . ] ustedes [...] ´el le gusta la plata (Scharf 2001: 58).

Besonders auff¨allig ist auch, dass die Verwendung vom im Spanischen redundanten Subjektpronomen bei allen Befragten h¨aufig vorkam:

Yotrabajoenlaoficina. Yo tengo una posibilidad (Scharf 2001: 59).

Scharf stellt die Verwendung von redundanten Subjektpronomen jedoch lediglich in Bezug auf die 1. Pers. Sg. heraus. Zu den in Paraguay lebenden Wiedert¨aufern und vor allem zu jenen, die in Bo- livien siedeln, gibt es bislang kaum sprachwissenschaftliche Untersuchungen, nicht zuletzt deswegen, weil sie deutlich zuruckgezogener¨ leben als ihre Glaubensbruder¨ in Uruguay und deswegen die Kontaktaufnahme sowie eine Projektplanung in diese Richtung deutlich erschwert ist.

3.5 Außenkontakte der Mennoniten

Die Außenwirkung der Mennoniten ist sicherlich sehr vielf¨altig und h¨angt von jedem einzelnen ab. Sehr aufschlussreich war das Gespr¨ach mit einem bolivianischen Arzt, das ich in seiner Praxis mit ihm fuhren¨ konnte. Er hat in Deutschland studiert und einige Jahre praktiziert, so dass er der deutschen Sprache muhelos¨ m¨achtig ist. Dies ist der haupts¨achliche Grund, warum eine Vielzahl von Mennoniten diesen Arzt

45 3 Sprache und Migration aufsuchen: Mit ihm k¨onnen sie in ihrer Muttersprache kommunizieren. Der Arzt behandelt die in Santa Cruz und Umgebung lebenden Mennoniten seit mehr als 30 Jahren und konnte in dieser Zeit auch einige Ver¨anderungen feststellen. Der Allgemeinmediziner spricht ausschließlich Hochdeutsch und nicht Plautdietsch. Nach seinen eigenen Angaben fuhrt¨ dies dazu, dass die Kommunikation nicht immer reibungslos verl¨auft; vor allem dann, wenn es notwendig wird, komplexere Diagno- senzuvermitteln.VielenMennonitenf¨allt es schwer, Hochdeutsch zu verstehen oder gar zu sprechen. Sie verwenden ausschließlich das Plautdietsche. Schließlich und end- lichhabeesaberdochimmerfur¨ ein grobes gegenseitiges Verst¨andnis gereicht und notfalls k¨onnemanjaauchH¨ande und Fuße¨ benutzen. Den Angaben des Arztes zufolge suchen die bolivianischen Mennoniten bei Anzeichen des Unwohlseins relativ schnell einen Mediziner auf und nehmen Vorsorgeuntersuchungen, speziell bei ihren Kindern, sehr ernst. Dies fuhrt¨ dazu, dass die Sterblichkeit unter den Kindern im Vergleich zu den ubrigen¨ Bolivianern und den Indigenen sehr gering ist. Allerdings neigten Mennoniten auch dazu, sehr schnell und unbedacht Antibiotika einzuneh- men, die es in Bolivien freiverk¨auflich gibt. Hier fehlt es seiner Einsch¨atzung zufolge noch an der rechten Aufkl¨arung. Mennonitische Frauen kommen grunds¨atzlich in Begleitung ihrer Ehem¨anner. Sie sprechen in den seltensten F¨allen selbst fur¨ sich, sondern lassen ihren Mann reden. Die Frauen anzufassen und zu untersuchen stellt jedoch kein Problem dar, denn die Mennoniten wissen, dass dies unumg¨anglich ist, wenn sie medizinische Hilfe erhalten m¨ochten. Der Mediziner merkte an, dass die traditionelle Kleidung der Mennoniten vor 30 Jahren noch ein sicheres Erkennungszeichen war und dass damals praktisch kein Mitglied der Wiedert¨aufer in anderer Kleidung in seine Praxis gekommen ist. Heute wird ihm zunehmend deutlich, dass immer mehr Mennoniten, vor allem jene, die sich viel in der Großstadt Santa Cruz aufhalten, in modernerer Kleidung erscheinen. Mir selbst ist ebenfalls aufgefallen, dass die Mennoniten, die direkt in der Stadt leben, westliche Kleider tragen, die sich von dem Stil, der in Westeuropa als modern gilt, praktisch nicht unterscheiden. Der Arzt bemerkte daruber¨ hinaus, dass die heranwachsende Generation der Men- noniten immer weniger einen deutschsprachigen Arzt aufsucht. Sie wendet sich an spanischsprachige Kollegen. Er behandelt heute viel weniger Mennoniten als noch vor 30 Jahren und das, obwohl die Anzahl der Wiedert¨aufer in Bolivien seitdem stark angestiegen ist. Dies deutet sicherlich darauf hin, dass die jungeren¨ Mennoni- ten zum einen weniger Schwierigkeiten mit der spanischen Sprache haben und sich daher auch vertrauensvoll an einen Arzt wenden k¨onnen, der ihre Muttersprache nicht beherrscht. Zum anderen kann es aber auch bedeuten, dass die Mennoniten mehr Vertrauen in bolivianische Kollegen haben. Nach der Einsch¨atzung des Arztes sind es aber in den Kolonien die Dorf¨altesten, die auf die Ordnung und die Traditionen bestehen. Die heranwachsende Generation

46 3.5 Außenkontakte der Mennoniten legt weniger Wert darauf und es f¨allt ihr zunehmend leicht, sich in Bolivien zu integrieren. Seine Schlussfolgerung daraus ist, dass die mennonitische Kultur, so wie sie derzeit noch besteht, in der kommenden Zeit stark zuruckgedr¨ ¨angt werden wird, zugunsten einer Kultur, die st¨arker an Bolivien angepasst ist. Vieles endet seiner Meinung nach mit dem Tod des jeweiligen Dorf¨altesten. Auf der sehr belebten Marktstraße in Santa Cruz, wo die Mennoniten gew¨ohnlich ihre Eink¨aufe t¨atigen, wenn sie in der Stadt sind, konnte ich ebenfalls mit einigen H¨andlern sprechen. Die Mennoniten sind von ihnen bevorzugte Kunden, die sehr zu- verl¨assig zahlen und auch immer wieder zuruckkommen,¨ wenn sie das Gefuhl¨ haben, dass eine Transaktion zufriedenstellend gelaufen ist. Auff¨allig ist, dass einige H¨andler an ihren Schaufenstern mit deutschsprachiger Werbung locken ( Traktoren hier gunstig“).¨ Dies hat sich auch offenbar schon h¨aufig ” als lohnend erwiesen, da die Mennoniten sich prinzipiell gern in ihrer Muttersprache ansprechen lassen. Einige der H¨andler verfugen¨ daruber¨ hinaus uber¨ basale Kenntnis- se der deutschen Sprache, die sie mit der Absicht erlernt haben, ein besseres Gesch¨aft machen zu k¨onnen, wenn sie die Sprache der Kundschaft ansatzweise sprechen. Bei den erlernten Kenntnissen handelt es sich um einige W¨orter des Plautdietschen, die die bolivianischen Verk¨aufer in direktem Kontakt mit den Mennoniten erworben haben. Interessant an dieser Stelle ist, dass mit hochdeutscher, schriftlicher Wer- bung geworben wird, die erworbenen mundlichen¨ F¨ahigkeiten jedoch Plautdietsch sind. Offenbar ist bekannt, dass das Plautdietsche auch unter den Mennoniten kaum geschrieben wird, sondern eine beinahe rein mundlich¨ existierende Sprache ist.

47

4 Mennoniten in Sudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander

Wie bereits erw¨ahntlebenMennoniteninsehrvielenL¨andern Sudamerikas.¨ Da die fur¨ diese Arbeit relevanten Interviews in Paraguay und Bolivien durchgefuhrt¨ wurden, werden sowohl einige allgemeine Informationen zu beiden Staaten als auch die Lebensumst¨ande der Wiedert¨aufer dort dargestellt.

4.1 Spanisch in Sudamerika¨

Es gibt einige morphosyntaktische Besonderheiten des Spanischen in den sudame-¨ rikanischen L¨andern bzgl. des Tempusgebrauchs, der Pronomina, der Syntax und der Nutzung von Konjunktionen sowie des Gebrauchs von Numerus und Genus, die auf der Iberischen Halbinsel gar nicht oder weniger h¨aufig vertreten sind. Die- se Besonderheiten sind teilweise so verbreitet, dass sie auch unter den Mennoniten vorkommen. Hier werden nur Charakteristika des sudamerikanischen¨ Spanisch kurz vorgestellt, die fur¨ die Auswertung des Sprachmaterials von Relevanz sind. Eine der bekanntesten Charakteristika des sudamerikanischen¨ Spanisch ist sicher- lich der Voseo, der in einigen L¨andern der Neuen Welt anstelle des seit dem 18. Jh. in Spanien verwendeten t´u in der 2. Pers. Sg. verwendet wird (Noll 2009: 100). In welchen der L¨ander vos oder eher t´u bevorzugt wird, h¨angt davon ab, wie eng der Kontakt zum spanischsprachigen Mutterland w¨ahrend der Kolonialzeit war; Mexiko undPerusindTuteo -Gebiete, wohingegen der La-Plata-Raum beispielsweise isolier- ter war und sich die archaische Form des Voseo erhielt (ebd.). Im sudamerikanischen¨ Spanisch haben einige Nomen ein anderes Genus haben als auf der Iberischen Halbinsel (puente, mar), es handelt sich hier ebenfalls um Archaismen des Spanischen (Noll 2009: 101). Eine weitere Besonderheit, die in vielen Regionen Sudamerikas¨ beobachtet werden kann, ist die Bevorzugung der Pronomen lo/los im Akkusativ maskulin (Noll 2009: 101). Die Verwendung dieser Pronomen ist heute auch noch auf den Kanaren und in Andalusien beobachtbar; im Kastilischen wurden diese Akkusativpronomen im 16. Jh. durch le/les abgel¨ost (ebd.). Im Gegensatz zum Spanischen der Alten Welt gibt es in Sudamerika¨ oftmals eine Numerusangleichung bei den Verben hacer und haber (hab´ıan dos mil personas; hacen diez a˜nos) (Noll 2009: 102). In passivischen Konstruktionen, die ein Agens

49 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander beinhalten, wird das Verb grunds¨atzlich singularisch eingestuft (se vende libros), auch dies unterscheidet sich vom Spanischen im Mutterland (ebd.). Die periphrastische Futurbildung wird im gesprochenen Spanisch allgemein be- vorzugt, im sudamerikanischen¨ Raum ist dies noch deutlicher und h¨aufiger als auf der Iberischen Halbinsel (Noll 2009: 102). Außerdem gibt es im sudamerikanischen¨ Spanisch eine Tendenz, das pret´erito perfecto nicht nur fur¨ Ereignisse aus der Vergangenheit zu verwenden, die einen Gegenwartsbezug aufweisen, sondern auch bei Handlungen, die keinen Bezug zur Gegenwart erkennen lassen (ebd.). Lo he encontrado ayer. Es gibt allerdings auch Regionen Spaniens, die diese Bedeutungsverschiebung ebenfalls aufweisen, z.B. Galizien und Asturien (ebd.). Hinzu kommt eine Ten- denz, aus sprach¨okonomischen Grunden¨ unregelm¨aßige Perfektformen zu vereinfa- chen (Noll 2009: 102). Ebenfalls charakteristisch ist, dass das sudamerikanische¨ Spanisch das presente in konjunktivischen Nebens¨atzen pr¨aferiert (quer´ıa que lo hagamos) (ebd.). Hinzu kommt, dass festgestellt werden kann, dass die Endung -ra im Konjunktiv Imperfekt gegenuber¨ der ebenfalls m¨oglichen Alternative -se bevorzugt verwendet wird (Noll 2009: 102). Allerdings ist diese Tendenz im Kastilischen bereits seit dem 17. Jh. ebenfalls beobachtbar (ebd.). Das Spanische des Mutterlandes kannte in abh¨angi- gen Nebens¨atzen bis zum 16. Jh. die Verbindung de que nicht, sondern verwendete schlicht que (el hecho que) (ebd.). Dieser Archaismus (que´ısmo)wirdimsudameri-¨ kansischen Spanisch noch heute h¨aufig verwendet (Noll 2009: 102).

4.2 Paraguay

In Paraguay leben Mennoniten insgesamt bereits etwas l¨anger als in Bolivien. Die paraguayischen Wiedert¨aufer gelten, wie es schon zum Ausdruck gekommen ist, als grunds¨atzlich st¨arker in das Land integriert und weniger konservativ als ihre - nischen Nachbarn. Sie leben auch unter etwas anderen politischen und wirtschaftli- chen Bedingungen als ihre Glaubensbruder¨ in Bolivien.

4.2.1 Landesinformationen zu Paraguay Paraguay wie auch Bolivien sind die einzigen Binnenl¨ander innerhalb Sudamerikas.¨ Der paraguayische Staat grenzt im Norden an Bolivien, im Osten an Brasilien, sowie im Suden¨ und Westen an Argentinien. Paraguay ist ca. ein Achtel gr¨oßer als die Bundesrepublik Deutschland und hat nach dem Stand von 2012 6.541.591 Einwohner (Symeonidis 2013: 807). Die Amtssprachen sind sowohl Spanisch als auch Guaran´ı. Das Binnenland wird grob in zwei Regionen eingeteilt: Ost- und Westparaguay (Schuller¨ & Wagner 2011: 27). Der Osten des Landes zeichnet sich durch zahlreiche

50 4.2 Paraguay

Weidefl¨achen, Hugelketten¨ und Sumpfgebiete aus. Asunci´on, die Hauptstadt, liegt sudlich¨ an der Grenze zu Westparaguay. Der Chaco, in dem der uberwiegende¨ Teil der Mennoniten leben, geh¨ort zu Westparaguay, unweit der bolivianischen Grenze. Das Landschaftsbild hier ist sehr feucht und sumpfig. Paraguay ist seit 1992 eine pr¨asidiale Republik, an deren Spitze der jeweils fur¨ funf¨ Jahre gew¨ahlte Staatspr¨asident steht (Schuller¨ & Wagner 2011: 48). Das Land ist in 17 departamentos eingeteilt, hinzu kommt der Distrikt Asunci´on. Die departamen- tos sind ihrerseits in distritos unterteilt, die sich wiederum in municipales gliedern (ebd.). In Paraguay gibt es mittlerweile noch 17 unterschiedliche indigene Grup- pen; insgesamt sind ca. 50.000 Bewohner des Binnenlandes indigener Abstammung (Schuller¨ & Wagner 2011: 49). Die gr¨oßte und auch bei Weitem bedeutendste Gruppe unter ihnen ist diejenige der Guaran´ı. Die Guaran´ısindinunterschiedlicheSt¨amme unterteilt, die auch sehr unterschiedliche Lebensweisen pflegen. Einige St¨amme sind in engem Kontakt mit der weißen Bev¨olkerung Paraguays und sind Teil des para- guayischen Bildungswesens. Andere wiederum leben sehr zuruckgezogen¨ in relativer Armut (ebd.: 50). Das sudamerikanische¨ Binnenland hat zahlreiche Einwanderungs- wellen erlebt und setzt sich folglich aus vielen unterschiedlichen Kulturen zusammen. Neben Spaniern siedelten, vornehmlich im 19. Jh., auch viele Franzosen, Italiener, Polen und auch Asiaten in Paraguay (ebd.: 63). Aufgrund dieser vielseitigen Ein- flusse¨ ist es heute nur sehr schwer definierbar, was nun tats¨achlich einen Paraguayer ausmacht. L¨angst nicht bei allen ist der Staat, der den Reisepass ausgestellt hat, auch das gefuhlte¨ Heimatland.

4.2.2 Mennoniten in Paraguay Zu Beginn der 1920er Jahre waren den Mennoniten durch die paraguayische Re- gierung Sonderrechte versprochen worden, die die Religionsfreiheit, das Recht auf eigene Schulen, sowie die Befreiung vom Wehrdienst umfassten (Schuller¨ & Wagner 2011: 61). Von besonderer Bedeutung war jedoch in diesem Zusammenhang auch, dass ihnen eigenes Land zugestanden worden war. Die ersten Mennoniten kamen schließlich 1926 nach Paraguay und die erste mennonitische Kolonie namens Menno entstand 1927. Diese Kolonie ist heute so groß wie Hessen (ebd.: 61). Bereits 1930 folgte die Grundung¨ der Kolonie Fernheim (ebd.). Nach dem Zweiten Weltkrieg sie- delten viele weitere Mennoniten in Paraguay und grundeten¨ die Kolonie Neuland. Viele siedelten aus Kanada uber,¨ nachdem dort der Unterricht in deutscher Spra- che per Gesetz untersagt worden war (ebd.: 61). Bis ins Jahr 1983 entstanden in Paraguay weitere 14 Kolonien mit heute insgesamt ca. 30.000 Einwohnern. Die paraguayischen Wiedert¨aufer sind uberwiegend¨ in der Fleisch- und Milchver- arbeitung sowie in der Viehzucht t¨atig (ebd.: 62). Im Chaco, wo sich die meisten der mennonitischen Kolonien befinden, werden mittlerweile 20% des paraguayischen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet (ebd.). Bereits 1921 wurden ihnen Privilegien

51 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander von der paraguayischen Regierung zugebilligt:

• Religionsfreiheit

• Eigene Schulen und Kirchen

• Eigenes Waisenamt

• Alkoholverkaufsverbot bis funf¨ km vor der Grenze zu den Kolonien

• Es darf kein Gesetz verabschiedet werden, dass die Einwanderung von Menno- niten aufgrund ihres Alters oder ihrer gesundheitlichen Verfassung verhindert.

• Der Erhalt von Ackerland zur alleinigen Bewirtschaftung (Ramirez 1983: 267f.)

Diese Grunds¨atze gelten im Prinzip bis heute. Die nach Paraguay ausgewanderten Mennoniten siedeln mehrheitlich ca. 500km nordwestlich von Asunci´on (Rohkohl 1993: 24). Das Land wurde ihnen damit in einer Gegend zugewiesen, die vielseitig von Indigenen bewohnt wurde. Interessant ist, dass es nicht lange dauerte und es sehr viele Indigene gab, die versuchten, das Plautdietsche zu erlernen und die daruber¨ hinaus auch die Sitten und Br¨auche der Mennoniten teilweise zu imitieren begannen (Ramirez 1983: 299). Es war also eher der Fall, dass die Sprache und Kultur der eingewanderten Wiedert¨aufer Einfluss auf die indigenen Gruppen hatte als umgekehrt. Ramirez schreibt daruber¨ hinaus, dass einige der Mennoniten fruh¨ begannen, Spanisch zu lernen, jedoch nur aus rein gesch¨aftlichen Grunden¨ (ebd.: 301). Eine der sehr wenigen Studien zu den Wiedert¨aufern in Paraguay ist von Rohkohl in den sp¨aten 1980er Jahren durchgefuhrt¨ worden mit dem Ziel, den Sprachenge- brauch der Mennoniten in der paraguayischen Kolonie Fernheim zu untersuchen. Die von Rohkohl Befragten fuhlen¨ sich dem deutschen Kulturkreis zugeh¨orig und legen Wert auf die Betonung dieses Umstands (Schuller¨ & Wagner 2011: 63). Die Wiedert¨aufer Fernheims sprechen untereinander Plautdietsch, Hochdeutsch wird in der Schule gelernt. Hochdeutsch galt im privaten Bereich lange als unangemessen und zuweilen sogar als hochn¨asig, da es lange als Sprache der Religion und Bil- dung gesehen wurde, im Gegensatz zum Niederdeutschen, das als Privatsprache gilt (Rohkohl 1993: 39). Elterngespr¨ache in der Schule und Predigten werden generell in Hochdeutsch gehalten (ebd.: 104). Mittlerweile wird nach Rohkohls Beobachtungen jedoch vermehrt Hochdeutsch unter den Befragten gesprochen. Dennoch sprechen nur etwa 5 bis 10% der dort lebenden mennonitischen Familien im privaten Bereich Hochdeutsch (ebd.). Rohkohl fuhrte¨ seine Untersuchung anhand eines Fragebogens mit geschlossenen Fragen durch, bei dem die meisten Fragen durch Ankreuzen zu beantworten waren (Rohkohl 1993: 62). Er verschickte 497 Exemplare an die mennonitischen Haushalte,

52 4.2 Paraguay davon kamen 107 ausgefullte¨ B¨ogen an ihn zuruck¨ (ebd.: 65). Der Fragebogen war untergliedert in einen ersten Teil, im Wesentlichen mit den Sozialdaten. Dies ist vor allem wichtig, um erfragen zu k¨onnen, woher die Familie des Informanten eingewan- dert ist und welchen Einfluss dies evtl. auf sein Sprachverhalten hat (ebd.: 63). In einem zweiten Teil wurden Fragen zum Sprachgebrauch gestellt und schließlich in einem dritten Teil die Einstellung und Einsch¨atzung der Befragten zu den in der Kolonie gesprochenen Sprachen erfragt (ebd.: 63). Beinahe alle der Befragten besitzen die paraguayische Staatsangeh¨origkeit, etwa die H¨alfte daneben auch die deutsche (Rohkohl 993: 67). Rohkohl stellte, wie ich selbst auch in Paraguay, fest, dass die Staatsangeh¨origkeit fur¨ die Mennoniten keine bedeutende Rolle spielt; sie legen Wert auf ihre deutschen Wurzeln, ob sie den deut- schen Pass nun haben oder nicht, und sie sch¨atzen die stereotypischen deutschen Tugenden wie Punktlichkeit¨ und Zuverl¨assigkeit sehr (ebd.: 68). Als Heimatland ge- ben sie jedoch mehrheitlich Paraguay an und sehen sich somit als Deutsche, die in einem lateinamerikanischen Land leben (ebd.: 102). Auch dies stimmt mit meinen Erhebungen uberein.¨ Etwa die H¨alfte der Informanten haben Fernheim schon min- destens einmal fur¨ l¨angere Zeit verlassen, um sich weiterzubilden oder eine Arbeit anzunehmen (Rohkohl 1993: 70). Die beliebtesten Aufenthaltsorte sind die angren- zenden L¨ander und die Bundesrepublik Deutschland (ebd.). Alle Befragten gaben an, mit den Verwandten deutschsprachig zu kommunizieren, haupts¨achlich Niederdeutsch, in einigen Ausnahmen Hochdeutsch (Rohkohl 1993: 74). Hoch- und Niederdeutsch werden als diejenigen Sprachen bezeichnet, die die Befragten generell am h¨aufigsten sprechen und in denen sie sich die beste Sprach- kompetenz zutrauen (ebd.: 81). Die Informanten gaben jedoch an, zunehmend mit ihren Kindern Hochdeutsch zu sprechen, unabh¨angig davon, ob sie selbst mit Nieder- oder Hochdeutsch aufgewachsen sind (ebd.: 85). Hier zeigt sich das abnehmende Prestige des Niederdeutschen in Fernheim zugunsten des Hochdeutschen, das in den Augen der Mennoniten fur¨ wirtschaftliches Vorankommen von gr¨oßerer Bedeutung ist als Niederdeutsch. Daruber¨ hinaus lesen 98% der Informanten Literatur in Hochdeutsch, kaum je- mand liest Plautdietsch, m¨oglicherweise aber auch aus Mangel an Angeboten (Roh- kohl 1993: 85). Der Schriftverkehr ist ebenfalls ausschließlich in Hochdeutsch und es gibt Radiosendungen in dieser Sprache (ebd.: 104). Einige M¨anner lesen auch in indigenen Sprachen, weil sie diese aus missionarischen Grunden¨ erlernt haben (ebd.: 75). Die H¨alfte der Befragten versucht jedoch regelm¨aßig, mit den Indigenen auch in Niederdeutsch zu kommunizieren (ebd.: 90). 67% der M¨anner und 53% der Frauen kommunizieren zumindest gelegentlich auch in Spanisch, meistens im Zuge eines Arztbesuchs oder in Form von technischem Vokabular in kaufm¨annischen Si- tuationen (ebd.). In Fernheim wird also am Nieder- und Hochdeutschen festgehalten und andere Sprachen werden nur dann gesprochen, wenn es die Situation zwingend erfordert.

53 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander

Eine weitere Untersuchungen zum Sprachgebrauch der Wiedert¨aufer in Paragu- ay erfolgte Anfang der 2000er Jahre durch Thiessen. Er machte die Beobachtung, dass im paraguayischen Chaco nicht nur eine Reihe englischer Lehnw¨orter aus Ka- nada in den mennonitischen Kolonien verwendet werden, sondern auch einige, die aus dem Spanischen stammen (Thiessen 2000: 132). Er bemerkte, dass englische Lehnw¨orter sehr viel schneller Eingang in das Plautdietsche f¨anden als spanische, dies deutet auf das h¨ohere Prestige des Englischen hin. Dennoch stellte er in seiner Arbeit fest, dass es fur¨ einige Begriffe aus der mechanisch-technischen Lexik sowie in einigen allt¨aglichen Gebieten (ba˜no) im paraguayischen Chaco kaum mehr plaut- dietsche Entsprechungen gibt. Der Einfluss des Spanischen auf das Plautdietsche l¨asst auf eine sprachliche Offnung¨ der Wiedert¨aufer der romanischen Sprache gegen- uber¨ hindeuten. Es existieren meines Wissens zufolge keine vergleichbaren Arbeiten zum Sprachgebrauch der in Bolivien lebenden Mennoniten. Eine Untersuchung der Situation in Bolivien stellt daher ein Forschungsdesiderat dar.

4.2.3 Spanisch in Paraguay Paraguay wurde 1536 unter die Herrschaft Spaniens gestellt (Dietrich 2003: 1045). Die spanischsprachige Oberschicht blieb aber eine Minderheit gegenuber¨ der indi- genen Bev¨olkerung. Hinzu kam die rasch voranschreitende Mestizierung, die durch das Ausbleiben von Spanierinnen aus dem Mutterland bedingt wurde (ebd.: 1047). Dadurch, dass die nachfolgende Generation guaran´ısprachige Mutter¨ hatte, war dies auch meist die erste Sprache der Kinder. Spanisch lernte der Nachwuchs allenfalls von den spanischen V¨atern und auch meist nur funktionell fur¨ das Milit¨ar und die Verwaltung (ebd.). Das so erlernte Spanisch wies viele Archaismen auf und war lexikalisch verarmt (ebd.). Abgesehen davon verfugte¨ Paraguay w¨ahrend der Ko- lonialzeit nicht uber¨ wichtige Ressourcen und daher auch kaum uber¨ bedeutende Kommunikationswege mit anderen L¨andern. Dies fuhrte¨ dazu, dass Paraguay w¨ah- rend der Kolonialzeit relativ isoliert war (Symeonidis 2013: 809). In Bezug auf den Erhalt des Guaran´ı spielten auch die Jesuiten eine entscheiden- de Rolle. In den im 17. und 18. Jh. gegrundeten¨ reducciones, die dazu dienten, die Indigenen besser auszubilden und vor der Ausbeutung der weißen Oberschicht zu schutzen,¨ war Guaran´ı das einzige Kommunikationsmittel. Die Jesuiten, die eben- falls eine Minderheit unter der indigenen Bev¨olkerung bildeten, haben aus den vielen Guaran´ı-Dialekten, mit denen sie sich konfrontiert sahen, eine einheitliche Sprach- form erschaffen (ebd.: 808). Dies ist im Prinzip noch immer diejenige Sprachform, die in Paraguay gesprochen wird. Im 18. Jh. musste Paraguay im Krieg gegen das sp¨atere Brasilien und Argentinien Gebiete abtreten, die zu einer deutlichen Verkleinerung des Landes fuhrten¨ (Dietrich 2003: 1048). Das ubrige¨ paraguayische Gebiet erkl¨arte sich 1811 unabh¨angig und de- finiert sich seitdem als Spanisch/Guaran´ı bilingual (ebd.). Spanisch ist in erster Linie

54 4.2 Paraguay die Sprache des f¨ormlichen, ¨offentlichen Gebrauchs, es ist auch Regierungssprache. Allerdings wurde das Guaran´ıauchinf¨ormlichen Registern niemals g¨anzlich ausge- schlossen (ebd.). Die ersten Pr¨asidenten Paraguays setzten sich vehement fur¨ den Erhalt des Guaran´ı und ausdrucklich¨ gegen eine Ausbreitung des Spanischen ein. Die rechtlichen Vorgaben gingen sogar soweit, dass Eheschließungen von Spaniern nur mit indigenen Frauen m¨oglich waren (ebd.: 1048). Dies fuhrte¨ nicht nur dazu, dass die spanische Sprache in Paraguay rasch einen starken Einfluss des Guaran´ı aufwies, sondern auch dazu, dass die indigene Sprache in keiner Weise einer sozia- len Abstufung unterworfen wurde (ebd.). Dadurch begunstigt¨ kam es zu zahlreichen Lehnubersetzungen¨ aus dem Guaran´ı ins Spanische (Dietrich 2003: 1050). Es gab daruber¨ hinaus kaum mehr Kontakt mit dem Spanischen des Mutterlandes, da spa- nische Siedler nur noch selten bis Paraguay durchdrangen (ebd.: 1048). Trotz des prinzipiell hohen Prestige des Guaran´ı genießt laut Symeonidis heute diejenige spa- nische Variet¨at gr¨oßeres Ansehen, die m¨oglichst wenig Einfluss des indigenen Idioms aufweist; sie wird uberwiegend¨ von der gehobenen Bildungsklasse gesprochen (ebd.: 813). Guaran´ı ist inzwischen eine private Sprache for the expression of humour and intimacy (Gynan 2007: 221). Wissenschaftliche Belege fur¨ diese Behauptung ste- hen aber bislang noch aus. Konkreter in Zahlen bedeutet dies, dass ca. 81% der paraguayischen Bev¨olkerung Guaran´ıbeherrschen,wasfur¨ Amerika einzigartig ist (Symeonidis 2013: 808). In Paraguay sind 53% der Einwohner bilingual, sprechen also Spanisch und Guaran´ı (ebd.). Lediglich 10% der Paraguayer sind monolingua- le Spanischsprecher. Diese Zahlenverh¨altnisse lassen einen deutlichen Einfluss des Guaran´ı auf das Spanische annehmen. Eine sehr geringe Minderheit der Paraguayer ist portugiesischsprachig. Es uberrascht¨ nicht, dass sie uberwiegend¨ an der Grenze zu Brasilien lebt (Gynan 2007: 223). Daruber¨ hinaus spricht ca. 1,2% der paragu- ayischen Bev¨olkerung eine der weiteren 17 indigenen Idiome, die noch in Paraguay vertreten sind, als erste Sprache. Erst nach der Epoche der Diktaturen wurden Bucher¨ in Spanisch importiert und der Druck spanischer Zeitschriften gebilligt (Dietrich 2003: 1050). Dies erh¨ohte den Verbreitungsgrad des Spanischen nun auch innerhalb der weiblichen Bev¨olkerung. Heute ist Spanisch in Paraguay nicht nur die Sprache der Burokratie,¨ sondern auch des Fernsehens und anderer Medien (ebd.: 1051). In den letzten Jahrzehnten hat Paraguay vermehrt Zugang zu modernen Medien erhalten und spielt auch auf in- ternationaler Ebene eine gr¨oßere Rolle. Da das Guaran´ı, im Gegensatz zum Spani- schen, international kaum Ansehen genießt, besteht durchaus die M¨oglichkeit, dass der Sprachgebrauch auch bedingt durch die spanischsprachige Medien abnimmt. Außerdem spielen weitere Faktoren bei der Verbreitung des Spanischen eine ent- scheidende Rolle: Eine Zunahme der Zweisprachigkeit auf dem Lande durch inl¨an- dische Migration bei zeitgleicher zunehmender Einsprachigkeit innerhalb der St¨adte fuhrt¨ zu einer absinkenden Geburtenrate monolingualer Guaran´ısprecher im Ver- gleich zu den bilingualen Paraguayern. Zudem wird das Spanische h¨aufiger an nach-

55 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander folgende Generationen weitergegeben als das Guaran´ı (Symeonidis 2013: 812), so dass die Tendenz bestehen k¨onnte, dass das Prestige der indigenen Sprache zuguns- ten des Spanischen sinkt. Aufgrund des außergew¨ohnlichen Umstandes, dass das Spanische und das Guaran´ı sehr lange nebeneinander in Paraguay verwendet worden sind, hatte die indigene Sprache einen bedeutenden Einfluss auf das Spanische; dies trifft zwar uberwiegend¨ auf die Ebene des Lexikons zu (s.o.), in nicht geringem Maße jedoch auch auf die Phonologie bzw. Phonetik und die Morphosyntax (Symeonidis 2013: 812). Hinsichtlich der Morphosyntax des Spanischen in Paraguay lassen sich vielf¨altige Besonderheiten feststellen. Sie sind nicht alle auf den Einfluss des Guaran´ızuruck-¨ zufuhren,¨ sondern es handelt sich teilweise auch um typische Charakteristika des sudamerikanischen¨ Spanisch. Im Hinblick auf die Bedeutung fur¨ diese Arbeit, die relativ gering ist, da nur wenige Charakteristika des regionalen Spanisch bei den interviewten Mennoniten beobachtet wurden, kann hier nur eine begrenzte Auswahl der Besonderheiten des paraguayischen Spanisch dargestellt werden.

Pronomina

• Der Le´ısmo kann in Paraguay durchgehend festgestellt werden; dies gilt sowohl fur¨ alle sozialen Schichten als auch fur¨ alle Regionen Paraguays (Alvar 2001: 359).

• Le wird h¨aufig als Pluralform anstelle von Les verwendet, wie dies ebenfalls h¨aufig in Sudamerika¨ der Fall ist (ebd.).

• Es finden sich sowohl der Voseo als auch der Tuteo (ebd.). Es gibt unterschied- liche Formen des Voseo. Manchmal wird das Pronomen in Verbindung mit dem Verb in der 2. Pers. Sg. verwendet (Vostienestiempo). Das Personalpronomen kann jedoch auch in Verbindung mit dem konjugierten Verb der 2. Pers. Pl. auftreten (Vos tene´ıs tiempo). In beiden F¨allen ist allerdings die angesprochene Person im Singular gemeint (Choi 1998: 58).

• Es kommt oft zu einer Erg¨anzung des Possessivums durch einen unbestimmten Artikel oder ein Demonstrativum (Uno mi hermano vive en Colonia). Dies ist auch im Guaran´ı ublich,¨ kann jedoch auch aus dem Altspanischen stammen, wo dies ebenfalls gebr¨auchlich war (ebd.).

• Das aus dem Guaran´ı stammende Possessivpronomen der 1. Pers. Sg. che wird h¨aufig verwendet: Che amigo (ebd.).

Tempus und Aspekt

56 4.2 Paraguay

• Uberwiegend¨ wird das analytische Futur I verwendet, gelegentlich jedoch auch das synthetische (Alvar 2001: 353).

• Daruber¨ hinaus wird das Suffix -´ına gelegentlich in der 3. Pers. Sg. verwendet, um den fortlaufenden Aspekt auszudrucken:¨ Jose trabaja h´ına en Asunci´on (Jose est´a trabajando en Asunci´on) (ebd.).

• Vereinzelt wird das Indefinido fur¨ Ereignisse der Vergangenheit mit Gegen- wartsbezug verwendet (Alvar 2001: 313).

Verbformen

• Gelegentlich k¨onnen Vereinfachungen der unregelm¨aßigen Partzipformen be- obachtet werden, z. B. hacido, rompido (Alvar 2001: 357).

Diminutiv- und Augmentativformen • Die Diminutivbildung erfolgt in Paraguay zumeist mithilfe -ito/a, wie auch uberwiegend¨ in Spanien (Alvar 2001: 333). Laut De Granda gibt es jedoch auch das Diminutivsuffix -´ı (De Granda 1988: 171).

• Ebenso gibt es eine aus dem Guaran´ı stammende Augmentativform : Guas´u (patr´on guas´u)(ebd.).

Artikel

• Es gibt Unregelm¨aßigkeiten im Artikelgebrauch, z. B. el/la costumbre, el/la clima, el/la calor (Alvar 2001: 318 f.).

Pr¨apositionen

• Sprecher der niedrigeren Bildungsschicht bevorzugen die Pr¨aposition en in Kombination mit Bewegungsverben (Voy en Asunci´on). Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Entlehnung aus dem Guaran´ı (Choi 1998: 152).

Verneinung und Interrogativpartikel • Es wird im paraguayischen Spanisch gelegentlich der Interrogativpartikel pa verwendet: ¿Entiende, pa?

• Auff¨allig h¨aufig kommt die doppelte Verneinung vor (nadie no dije). Dieses Ph¨anomen ist im Guaran´ıebenfallsublich.¨ Dazu ist anzumerken, dass die doppelte Verneinung bei Spanischsprechern mit h¨oherer Bildung seltener vor- kommt als bei jenen mit geringerer Bildung (Symeonidis 2013: 813).

57 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander

4.3 Bolivien

In Bolivien leben erst seit den 1950er Jahren Mennoniten. Es ist uberwiegend¨ der als konservativ geltende Glaubenszweig der Altkolonier, der in dem sudamerikanischen¨ Binnenstaat siedelt. Die meisten Wiedert¨aufer, die in Bolivien einen Zufluchtsort gefunden haben, leben in der Umgebung von Santa Cruz.

4.3.1 Landesinformationen zu Bolivien

Bolivien ist etwa 4 Mal so groß wie Deutschland, hat allerdings nur ca. 10 Mil- lionen Einwohner. Damit ist es ¨außerst dunn¨ besiedelt. Das Land ist aufgeteilt in neun Departments, 112 Provinzen und 327 Munizipien (Guti´errez 2010: 46). Das sudamerikanische¨ Land gliedert sich in sieben landschaftlich verschiedene Zonen: die Anden, das Altiplano, die Subpuna, die Yungas, den Regenwald, die Feuchtsavanne und schließlich den Chaco (Pampuch & Echalar 1993: 12). Nicht alle von ihnen sind tats¨achlich bewohnbar, wodurch die geringe Bev¨olkerungsdichte zum Teil erkl¨art werden kann. Die Stadt Pail´on, die zum Munizipal Pail´on geh¨ort, das wiederum Teil des De- partments Santa Cruz ist und im Sudosten¨ von Bolivien liegt, geh¨ort zum Gebiet des Chaco und grenzt an die Anden. Mennonitische Kolonien sind in Bolivien grund- s¨atzlich sehr verteilt und liegen teilweise mehrere tausend Kilometer auseinander. Die Mehrheit der Mennoniten lebt jedoch im Chaco und in der Region Santa Cruz im Municipal Pail´on. Im Chaco sind Landwirtschaft und Rinderzucht vorherrschend (Pampuch/Echalar 1993: 16). Der Chaco zeichnet sich durch eine außerordentliche Trockenheit aus. Das Department hat dem Zensus von 2005 zufolge ca. 1.344.000 Einwohner (ine.gob.bo). Das Municipal Pail´on hat gem¨aß dem Zensus aus dem Jahre 2001 eine Gesamteinwohnerzahl von ca. 28.500, wovon ca. 15.000 m¨annlich und 13.500 weiblich sind (ine.gob.bo). Der Großteil der boliviani- schen Bev¨olkerung lebt nach dem Zensus von 2001 im Hochland, obwohl die Tierras Altas insgesamt den kleineren Teil des Staatsgebietes ausmachen (Hentschel 2013: 16). Grunds¨atzlich sind die Tierras Altas wohlhabender als die Tierras Bajas.Der bolivianische Pr¨asident, Evo Morales, hat dort seinen Wohn- und Regierungssitz, wie auch die meisten seiner politischen Mitstreiter. Das Tiefland, zu dem das Depart- ment Santa Cruz geh¨ort, umfasst 62% des Staatsgebietes, es leben jedoch lediglich 35% der bolivianischen Bev¨olkerung dort (ebd.). Santa Cruz grenzt an Beni im Nor- den, Cochabamba im Westen, Chuquisaca im Sud-Westen,¨ Paraguay im Suden¨ und schließlich Brasilien im Osten. Santa Cruz ist die am meisten industrialisierte Region Boliviens und bildet das kommerzielle Zentrum des Landes. In Bolivien ist, wie beinahe im gesamten Andenraum, eine deutliche Urbanisie- rungstendenz zu verzeichnen; uber¨ 60% der Bev¨olkerung insgesamt leben aktuell bereits in St¨adten mit mehr als 2000 Einwohnern - die Tendenz ist steigend. Santa

58 4.3 Bolivien

Cruz de la Sierra ist nach Cobija die am schnellsten wachsende Stadt Boliviens (ebd.: 17). Die Migration in Großst¨adte, die mit einem starken Bev¨olkerungsschwund in den ruralen Gegenden einhergeht, zieht nicht nur kulturelle und ¨okonomische sowie soziale und demografische Ver¨anderungen nach sich, sondern selbstverst¨andlich auch sprachliche. Die Bev¨olkerung Boliviens ist in ihrer Vielf¨altigkeit beinahe vergleichbar mit ih- ren klimatischen Zonen. Obwohl es keine aktuellen statistischen Daten daruber¨ gibt, wie die Bev¨olkerung Boliviens zusammengesetzt ist, kann sicher festgestellt werden, dass es das sudamerikanische¨ Land ist, in dem, hinter Peru, besonders viele Indi- os leben. Die Anzahl der Indios in Bolivien wird auf ca. 60% gesch¨atzt (Pampuch & Echalar 1993: 17). Die Indios sind in rund 40 verschiedene St¨amme einzuteilen, wobei die Aymaras und die Quetchuas die meiste Bedeutung einnehmen (ebd.). Im Department Santa Cruz bilden jedoch die Guaran´ı die Mehrheit der indigenen Be- v¨olkerung (Hentschel 2013: 19). Einer Erhebung des Jahres 2001 zufolge setzt sich die Bev¨olkerung aus 31% Quechuas, 25% Aymaras, 5% anderen Indiost¨ammen und 38% nicht indigenen Einwanderern aus sehr unterschiedlichen, gr¨oßtenteils europ¨ai- schen, Vaterl¨andern zusammen (Guti´errez 2010: 46). Die Aymaras sind uberwiegend¨ im Hochplateau zu finden, w¨ahrend die Quechuas in den T¨alern und Kordillieren zu finden sind, zu denen Santa Cruz geh¨ort. Sie leben h¨aufig unter einfachsten Be- dingungen, ohne Strom und fließendes Wasser (Pampuch & Echalar 1993: 119). Im Department Potos´ı leben mit 81% die meisten Indigenen; im Department Santa Cruz hingegen ist der indigene Bev¨olkerungsteil mit lediglich 22% vergleichsweise niedrig (Hentschel 2013: 18). Auch in Bezug auf den pers¨onlichen Glauben ist Bolivien, im Vergleich zu anderen sudamerikanischen¨ L¨andern, vielf¨altig. Der katholische Glaube hat in Bolivien nie die tragende Rolle gespielt, wie es in vielen anderen L¨andern Lateinamerikas der Fall ist - obwohl ca. 96% der Bolivianer katholisch getauft sind (Pampuch & Echalar 1993: 130). Dies ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass die hohe Anzahl der in Bolivien lebenden Indios ihre eigenen Traditionen und ihren eigenen Glauben ein Stuck¨ weit uber¨ die Jahrhunderte bewahrt und weitergegeben haben. Aus diesem Grund ist es typisch fur¨ Bolivien, dass sich europ¨aische und indianische Glaubens- elemente uberlagern¨ (ebd.). So hat die katholische Kirche nie wirklich Fuß fassen k¨onnen. Hinzu kommt, dass die Armutsrate in Bolivien eine der h¨ochsten in Lateinamerika ist: 31% der Bolivianer gelten als extrem arm“ (Hentschel 2013: 21), dies bedeutet, ” dass sie kaum uber¨ ausreichende Nahrung verfugen.¨ Der Unterschied zwischen st¨ad- tischen und l¨andlichen Gebieten ist hier allerdings enorm. So sind in den St¨adten 16,2% der Bev¨olkerung von extremer Armut betroffen, auf dem Land 59% (ebd.). Fur¨ die indigene Bev¨olkerung gilt dies besonders stark. Es gibt Bolivianer, die der mennonitischen Minderheit vorwerfen, die Indigenen aufgrund ihrer Armut und ihrer Lebensweise als minderwertig zu betrachen. Aus

59 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander eigenen Gespr¨achen mit Mennoniten geht hervor, dass sie h¨aufig Indigene auf ihren Feldern und ihren Betrieben besch¨aftigen und von ihrer Arbeitskraft nicht immer uberzeugt¨ sind. Zwar k¨onnten sie sehr hart und ausdauernd arbeiten, seien jedoch unzuverl¨assig und auch sehr unpunktlich;¨ oftmals k¨amen sie nach einer Weile einfach nicht wieder, ohne dies vorher kommuniziert zu haben. Hier zeigt sich eine Diskre- panz zwischen den Mennoniten, denen die typisch deutschen Tugenden wie Punkt-¨ lichkeit und Zuverl¨assigkeit viel bedeuten, und den Indigenen, denen diese Dinge m¨oglicherweise oftmals weniger wichtig sind. Hinzu kommt, dass viele Wiedert¨aufer der Meinung sind, die indigene Bev¨olkerung sei nicht in der Lage, oder zumindest nicht interessiert daran, vorausschauend zu denken. Dies sehen sie darin best¨atigt, dass die Indigenen immer nur saisonal in der Landwirtschaft erfolgreich sind. Sie ernten ihre Erzeugnisse und verbrauchen oder verkaufen sie direkt; sie versuchen kaum, Nahrungsmittel fur¨ schlechtere Zeit zu konservieren. Mennoniten hingegen besch¨aftigen sich seit jeher mit Konservierungsmethoden und sind stets bemuht,¨ ihre Ertr¨age zu optimieren. Trotz kultureller Differenzen scheint das Verh¨altnis zwischen Anabaptisten und der indigenen Bev¨olkerung in Bolivien nicht grunds¨atzlich angespannt zu sein. Viele Wiedert¨aufer erz¨ahlten mir, dass sie sich sogar bemuhen,¨ einige W¨orter der indigenen Sprache zu lernen, um die Kommunikation zu vereinfachen. Ebenso habe ich Indigene getroffen, die einige W¨orter in der Sprache der Mennoniten sprachen, ebenfalls mit dem Hintergrund, die Kommunikation zwischen beiden V¨olkern zu vereinfachen. Quechua und Aymara sind, neben Spanisch, offiziell als Amtssprachen in Bolivien seit langem anerkannt. Nach der Regierungsubernahme¨ Evo Morales gab es bald Gesetzesentwurfe,¨ die der Mehrsprachigkeit des Landes gerecht werden sollten. Seit 2009 sind alle 33 indigenen Sprachen Boliviens offizielle Amtssprachen (Hentschel 2013: 36). Daruber¨ hinaus ist es Vorschrift geworden, dass alle Angestellten in staat- lichen und privaten ¨offentlichen Funktionen neben Spanisch mindestens eine weitere der anerkannten Sprachen sprechen sollen. Dies ist in der Regel diejenige indigene Sprache, die in der jeweiligen Region am st¨arksten verbreitet ist (ebd.). Obwohl die indigenen Sprachen seitdem ein gr¨oßeres Ansehen genießen und ihre Sprecher nun weniger Zuruckhaltung¨ ihren Sprachen gegenuber¨ haben, bleibt dennoch das Spani- sche das Idiom mit dem h¨ochsten Prestige. Es wird weiterhin bevorzugt in formellen Situationen verwendet und ein m¨oglichst kastilisches Spanisch, frei von regionalen Einflussen,¨ gilt als prestigetr¨achtig (Hentschel 2013: 110). Dem Zensus von 2001 zufolge sprechen 86,6% der bolivianischen Bev¨olkerung uber¨ sechsJahreneineVariet¨at des Spanischen (ebd.: 22). Außerdem beherrschen 35% der Bolivianer nach eigenen Angaben neben Spanisch noch eine oder mehrere indige- ne Sprachen, 52,6% bezeichnen sich als monolingual spanischsprachig und 12,3% als monolingual in einer der indigenen Sprachen (ebd.). Die Entwicklung von 1976 bis 2001 betrachtend, l¨asst sich feststellen, dass die Sprecherzahl der spanischsprachi- gen Monolingualen angestiegen ist, wohingegen die Sprecherzahl der Monolingualen

60 4.3 Bolivien einer indigenen Sprache leicht gesunken ist (ebd.: 23). Daruber¨ hinaus ist jedoch auch die Anzahl der Bilingualen gesunken; offenbar zugunsten der monolingualen Spanischsprecher. Es ist davon auszugehen, dass die Urbanisierung dazu beitr¨agt, dass der Druck auf die Bolivianer, Spanisch zu sprechen, w¨achst und dass das An- sehen der indigenen Sprachen durch diese Entwicklung zwangsl¨aufig gesunken ist (ebd.: 29). Eine leichte ruckl¨ ¨aufige Tendenz dieser Entwicklung l¨asst dich aufgrund verschiedenster Initiativen zur Erhaltung der indigenen Sprachen seit der Ernennung Evo Morales als ersten indigenen Pr¨asidenten des Landes im Jahre 2005 verzeichnen. Das Department Santa Cruz ist aufgrund der vergleichsweise dichten Bev¨olkerung der Guaran´ı angehalten, diese indigene Sprache fl¨achendeckend zu lehren (ebd.: 110). Fur¨ die mennonitische Bev¨olkerung Boliviens ergibt sich daraus, dass sie angehalten sind, neben ihrer niederdeutschen Minderheitensprache an ihren Schulen nicht nur Spanisch, sondern auch Guaran´ı zu lehren. Bolivien versteht sich seit langem als plurinationaler Staat, der Wert darauf legt, die indigenen Sprachen zu erhalten. Seit 2011 ist das Ziel der Regierung nicht l¨anger ein ausschließlicher Erhalt bestimmter Minderheitensprachen, die innerhalb des Landes von kleineren oder gr¨oßeren Grup- pen gesprochen werden, sondern der Erhalt aller Minderheitensprachen und somit auch der Sprache der Wiedert¨aufer. Verankert ist dies im Decreto Supremo Ley Nr. 1063 vom 28.11.2011 (Art. 7, Nr. 1 En poblaciones o comunidades monolingues¨ y de predominio de la lengua originaria, la lengua originaria como primera lengua y el castellano como segunda lengua). Viele Mennoniten, zumindest die sehr traditionellen, lernen ungern eine Fremd- sprache. Einige haben mir erz¨ahlt, dass dies so ist, weil in ihren Augen ihre eigene Muttersprache auch die Sprache Gottes ist. Alle anderen Sprachen stehen ihrer An- sicht nach dahinter zuruck.¨ Diese Einstellung teilen jedoch l¨angst nicht mehr alle Mennoniten. Viele haben ein Bewusstsein dafur¨ entwickelt, dass sie in einem Land leben, in dem Spanisch die vorherrschende Sprache ist, deren Beherrschung viele Vorteile hat. Viele traditionelle Kolonien haben jedoch ihre eigenen Schulen, in denen aus- schließlich Plautdietsch als gesprochene Sprache und Hochdeutsch als Schriftspra- che gelehrt werden. Diese Mennoniten stehen dem wachsenden Druck der Regierung, dass auch an ihren Schulen Spanisch unterrichtet werden muss, skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend, gegenuber.¨ Gleichzeitig hat die Regierung auch Schwierigkeiten, ih- re Forderungen fl¨achendeckend durchzusetzen. Sei es zum einen, weil der Regierung sowohl Personal als auch finanzielle Mittel dafur¨ fehlen; zum anderen aber auch, weil sie oftmals keine verl¨asslichen Einwohnerzahlen fur¨ die l¨andlichen Gebieten Bolivi- ens hat. Hinzu kommt, dass viele Kinder auch privat gegrundete¨ Schulen besuchen, die vom Staat nicht anerkannt worden sind. Nicht zuletzt aufgrund der schwierigen klimatischen Bedingungen hat es in Bolivi- en nie viele Einwanderer gegeben. Aus deutscher Sicht gab es ab dem 19. Jh. einige Gesch¨aftsleute, Techniker und Milit¨ars, die nach Bolivien umgesiedelt sind (Pam-

61 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander puch & Echalar 1993: 166). Sie waren um einen regen Handelsaustausch mit dem damaligen Deutschen Reich bemuht¨ (Born & Dickgießer 1989: 53). Die Zahl der deut- schen Einwanderer stieg zwar zwischen 1900 und 1950 kontinuierlich an, insgesamt h¨alt sie sich jedoch in uberschaubaren¨ Grenzen (ebd.). Es gibt in La Paz jedoch ein Goethe-Institut, eine deutsch-bolivianische Handelskammer und eine lutherische Kir- che. Obwohl der Großteil der Bolivianer traditionell r¨omisch-katholischen Glaubens ist, gibt es dort keine deutsche Kirchengemeinde. Fur¨ die evangelisch-lutherischen Glaubensanh¨anger hingegen gibt es eine deutschsprachige Gemeinde in La Paz, in der auch ein aus Deutschland abgeordneter Pastor t¨atig ist (ebd.: 53). Daneben sind auch deutsche Schulen in Santa Cruz und Sucre gegrundet¨ worden. Dorthin werden sogar Lehrkr¨afte aus Deutschland entsandt, die vor Ort unterrichten (ebd.: 53). Dies tr¨agt dem Umstand Rechnung, dass die deutsche Sprache insgesamt in Bolivien eine wichtige Stellung einnimmt und in den Lehrpl¨anen eine ubergeordnete¨ Rolle spielt (ebd.). Heute sind etwa 20% der nach Bolivien kommenden Touristen Deutsche (Pampuch & Echalar 1993: 169).

4.3.2 Mennoniten in Bolivien Nach Bolivien sind die ersten Siedler ebenfalls schon Mitte der 1950er Jahre gekom- men. Die bolivianische Regierung sicherte ihnen die gleichen Privilegien zu, die sie auch in Paraguay genossen hatten. Sie siedelten sich uberwiegend¨ nahe Santa Cruz an und bauten innerhalb der ersten zehn Jahre mehrere kleinere Siedlungen dort auf (Dyck 1971: 212). Die Mennoniten in Bolivien waren lange relativ autark und konnten von dem, was sie anbauten, leben. Dies waren vordergrundig¨ Mais, Baum- wolle, Zuckkerrohr, Erdnusse¨ und Weizen; daneben hatten sie auch eine florierende Viehzucht (ebd.). Die klimatischen Bedingungen in Bolivien sind noch etwas besser als in Paraguay, so dass die Landwirtschaft ein wenig reibungsloser funktioniert.

Die in Bolivien lebenden Mennoniten stammen aus 14 unterschiedlichen Gemein- degruppen, die vielerlei Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten aufweisen (Schart- ner & Schartner 2009: 196):

• Der sehr traditionsbewusste Flugel¨ der Altkolonier betont das einfache Leben und kleidet sich streng nach den Vorgaben der Ordnung. Die Altkolonier dul- den daruber¨ hinaus fur¨ sich selbst keinen technischen Fortschritt; es ist nicht einmal erlaubt, motorisierte Fahrzeuge zu fuhren.¨ Das Mitfahren bei anderen ist jedoch erlaubt. Strom ist daruber¨ hinaus nur fur¨ den landwirtschaftlichen Betrieb zugelassen, im Haushalt selbst nicht. Die Altkolonier unterteilen sich wiederum in drei nicht n¨aher benannte Untergruppen, die streng voneinander getrennt sind. Von den insgesamt in Bolivien lebenden Mennoniten sind fast 85% Altkolonier (Schartner & schartner 2009: 198).

62 4.3 Bolivien

• Daruber¨ hinaus gibt es die sogenannten Sommerfelder, dies bezeichnet jene Mennoniten, die ursprunglich¨ aus Kanada nach Bolivien umgesiedelt sind. Die- ser mennonitische Zweig macht etwa 9% der in Bolivien lebenden Mennoniten aus (ebd.). Auch unter den Sommerfeldern gibt es vier nicht benannte Un- tergruppierungen. Die Untergruppen unterscheiden sich vornehmlich dadurch, welche Zwischenstationen sie auf dem Weg nach Bolivien eingelegt hatten. Die meisten haben zun¨achst in Paraguay oder Mexiko gesiedelt, ehe sie sich in Bolivien niederließen. Die Gruppen der Sommerfelder gelten als ebenso tradi- tionsbewusst wie die Altkolonier.

• Außerdem gibt es noch die Reinl¨ander, die etwa 3,6% der Mennoniten in Bo- livien ausmachen (ebd.: 199). Die Reinl¨ander stammen allesamt direkt aus kanadischen Kolonien. Sie sind weniger konservativ in Bezug auf die Kleider- ordnung und motorisierte Fahrzeuge. Dennoch ist technischer Fortschritt allein zur Unterhaltung nicht erwunscht.¨ Die Reinl¨ander unterteilen sich in zwei un- benannte Untergruppen, die jedoch engen Kontakt miteinander pflegen.

• Schließlich gibt es noch die Bergthaler, die lediglich 1% der Mennoniten in Bo- livien ausmachen. Dennoch waren sie die ersten, die in dem sudamerikanischen¨ Binnenstaat siedelten. Die Bergthaler gelten ebenfalls als absolut traditions- bewusst und konservativ. Sie lehnen den Kontakt zu anderen mennonitischen Gemeinden beinahe g¨anzlich ab (ebd.: 200).

• Die restlichen etwa 2% der Mennoniten in Bolivien sind kleinere Gruppen, die mittlerweile weniger Wert auf Abgrenzung legen. Besonders interessant ist je- doch die Evangelische Mennonitengemeinde, die sich um die Stadt Pail´on, ca. 40 km von Santa Cruz entfernt, gebildet hat. Es handelt sich um Mennoni- ten, die ihre konservativen Kolonien verlassen und sich in Pail´on zusammen- gefunden haben. Diese Kleinstgemeinde besteht seit 2000 und wird von einer kanadischen Organisation unterstutzt.¨

Insgesamt wird offensichtlich, dass die in Bolivien lebenden Mennoniten beinahe durchgehend als sehr konservativ und traditionsbewusst angesehen werden mussen.¨ Grunds¨atzlich sind alle Kolonien sehr abgeschottet und haben wenig Kontakt un- tereinander. Sie respektieren sich jedoch gegenseitig und sehen letztlich st¨arkere Gemeinsamkeiten unter sich als mit den einheimischen Bolivianern. Diese konserva- tive, sich ausgrenzende Haltung macht es schwer, Kontakt mit ihnen zu bekommen. Sie bleiben unter sich und lehnen Gespr¨ache mit Außenstehenden in der Regel ab. Die Landverteilung in Bolivien entwickelt sich jedoch zunehmend zu einem Pro- blem, das viele Mennoniten langfristig auch zwingen k¨onnte, das Land zu verlassen. W¨ahrend der Milit¨ardiktaturen in den 1970er Jahren sind L¨andereien als Schenkung an die Gefolgschaft der Machthaber ubergegangen¨ (Lessmann 2010: 158). Da diese

63 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander

Gebiete keine gultigen¨ Besitzurkunden haben, mussen¨ sie h¨aufig mit Waffengewalt verteidigt werden. Nicht selten werden sie auch von Unberechtigten weiterverkauft. Mennoniten, die des Lesens nur unzureichend m¨achtig sind, haben bereits solche L¨andereien erworben, ohne zu ahnen, dass sie keinen rechtsgultigen¨ Titel bekommen k¨onnen. Dies erz¨ahlten mir einige Wiedert¨aufer aus Pail´on, die ihre H¨ofe nun gegen Besitzanspruche¨ der Bolivianer verteidigen mussen.¨ Hinzu kommt, dass der amtierende Pr¨asident Evo Morales uberwiegend¨ getreue Anh¨anger im Hochland hat. Im Tiefland, so auch in Santa Cruz, gibt es jedoch eine deutliche Front gegen ihn. Um Stimmen gewinnen zu k¨onnen, wurde¨ er gern groß- zugig¨ Land verteilen. Da bebaubares Land jedoch rar wird, sind die H¨ofe der Men- noniten vor poltisch motivierten Enteignungen, noch dazu, wenn kein rechtsgultiger¨ Titelbesteht,nichtsicher.Daruber¨ hinaus sehen weitere, dem Land versprochene Landreformen vor, dass es eine Umverteilung des Ackers zugunsten der Indigenen und Landlosen geben wird (ebd.: 161). Außerdem sind weitere Enteignungen je- ner L¨andereien geplant, die keine soziale und ¨okonomische Funktion zugunsten der ” Wirtschaft des Landes“ erfullen¨ (ebd.: 160). Dieser wenig transparent erscheinende Grundsatz soll unterstreichen, dass der Ertrag der H¨ofe dem Land dienen soll und weniger den Einzelpersonen (ebd.). Morales unterstrich außerdem, dass es ihm wich- tig ist, dass jene, die Land neu erwerben, eine indigene Sprache sprechen. Auch diese Voraussetzung ist offenkundig ein Hindernis fur¨ die Mennoniten, die sich ca. alle 15 Jahre in ihrer Anzahl verdoppeln und deswegen auf den regelm¨aßigen Neuerwerb von L¨andereien angewiesen sind, um alle Mitglieder der Glaubensgemeinschaft in Lohn und Brot halten zu k¨onnen. Hinzu kommt, dass den Mennoniten vorgeworfen wird, dass sie die landwirtschaft- lichen B¨oden in Bolivien durch Brandrodung und eine zu intensive, ohne Brachle- gung uber¨ mehrere Jahre andauernde, Nutzung zerst¨oren (Markussen 2002: 115). Verst¨arkt wird dies zudem durch die in einigen Kolonien Boliviens ubliche¨ Stahlbe- reifung, die den N¨ahrstoffgehalt des Bodens zus¨atzlich nachhaltig st¨ort (ebd.: 130). UmdenErtragsoproduktivwiem¨oglichzulassen,verzichtenMennonitenh¨aufig auf die Methode der Direktsaat und eine angemessene Fruchtfolge (ebd.: 131). Mar- kussen stellt in seiner Arbeit zu den Bodenverh¨altnissen in den Kolonien um Santa Cruz außerdem fest, dass die Wiedert¨aufer auch im Bereich der Bew¨asserung und Dungung¨ nachhaltiger arbeiten k¨onnten, um die Bodenbedingungen so gut und so lange wie m¨oglich zu erhalten (ebd.). Ein umweltgerechter Umgang mit dem Boden wurde¨ dazu beitragen, dass dessen Qualit¨at sowohl physikalisch als auch chemisch langfristig verbessert wurde.¨ Die Mennoniten in Bolivien sind zu einem großen Teil Altkolonier, das bedeutet, dass sie sich, im Vergleich zu anderen mennonitischen Gruppierungen, sehr streng an die Ordnung halten und somit auch unter anderen Mennoniten den Ruf haben, sehr konservativ zu sein (Hedberg 2007: 62). Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass die konservative Lebensweise fur¨ die einzelnen Gemeinden jedoch unterschiedli-

64 4.3 Bolivien che Formen hat, je nachdem, wo die Schwerpunkte innerhalb der Ordnungen gelegt werden. Dies obliegt jeder Gemeinde selbst.

4.3.3 Spanisch in Bolivien Als Bolivien 1539 von den Spaniern erobert wurde, lebten dort die Inka (Lipski 1994: 183). Die Spanier nannten das Land zun¨achst Alto Per´u. Die Eroberer besiedelten jedoch zun¨achst nur das Hochland Boliviens; das Tiefland wurde erst etwas sp¨a- ter von Schatzsuchern geplundert,¨ die von den reichen Mineralienvorkommnissen in Santa Cruz de la Sierra h¨orten. Als die Spanier sich des Bodenreichtums bewusst wurden, begannen sie 1545 afrikanische Sklaven nach Bolivien zu verschiffen und die Indigenen ebenfalls zur Arbeit fur¨ ihre Zwecke zu zwingen (ebd.). La Paz wurde zu einem bedeutenden Knotenpunkt im Handel und Vertrieb von Silber. Wenig sp¨ater wurden Cochabamba, Tarija und weitere Zentren erschlossen, um die Arbeit in den Minen, die durch die Indigenen erfolgte, unter Beobachtung halten zu k¨onnen (ebd.: 184). Im 17. Jh. hatte die Erschließung von Silber ihren H¨ohepunkt, danach sanken die weltweiten Preise des Minerals jedoch dramatisch ab. Diese Entwicklung fuhrte¨ zu einer Abwanderung der Bewohner vieler bis dahin sehr bev¨olkerter Regionen Bo- liviens. Einzig La Paz konnte seinen Posten als Handelsmetropole weiterhin halten (ebd.). Der sich anschließende Kampf Boliviens um seine Unabh¨angigkeit fuhrte¨ zu lang anhaltenden Kriegen und das lateinamerikanische Land verlor beinahe die H¨alfte seiner ursprunglichen¨ Gesamtfl¨ache: Den Meereszugang musste Bolivien an Chile abtreten, daruber¨ hinaus den Amazonas an Peru und Brasilien, außerdem ging die Region Chaco gr¨oßtenteils an Paraguay uber¨ (ebd.: 185). Schließlich konnte sich Bo- livien 1825 unabh¨angig erkl¨aren (Rivarola 2003: 1022). Obwohl das Binnenland nach dem Einbruch des Silberpreises mit Eisen und anderen Mineralien wieder kommer- ziell Erfolge erzielen konnte, fuhrte¨ der Verlust der Kuste¨ zu einer kulturellen und ¨okonomischen Isolation, die nicht uberwunden¨ werden konnte. Da weite Teile des Landes sehr hoch liegen, wird Bolivien h¨aufig als Andenland eingeordnet. Zwar liegen viele St¨adte, wie die wichtige Metropole La Paz, etwa 4000 Meter uber¨ dem Meeresspiegel, dennoch geh¨oren einige Regionen Boliviens geogra- fisch zum Tiefland, wie beispielsweise Santa Cruz. Die sprachlichen Charakteristika Boliviens sind so vielf¨altig wie die Landschaft des lateinamerikanischen Staates. Es muss daher stets berucksichtigt¨ werden, dass es innerhalb Boliviens mannigfaltige dialektale Einflusse¨ gibt (Lipski 1994: 182). Grunds¨atzlich ist es sehr wichtig zu berucksichtigen,¨ dass auch das bolivianische Spanisch stark durch die indigenen Sprachen beeinflusst ist: im Hochland durch das Quechua und Aymara, im Tiefland, insbesondere in der Region um Santa Cruz de la Sierra, ist das Guaran´ı vorherrschend. Das Hochland umfasst geografisch die zentral- und sudwestliche¨ Andenregion mit den Bezirken La Paz, Oruro, Cochabamba, Potos´ı

65 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander und Chuquisaca (Pf¨ander 2013: 743). In diesen Regionen konzentrierten sich die von den spanischen Eroberern gegrundeten¨ St¨adte, das dort gesprochene Spanisch nennt sich castellano colla (ebd.). Ein weiteres Areal umfasst das bolivianische Tiefland mit den Bezirken Pando, Beni und Santa Cruz. Das Spanische des Tieflandes wird auch castellano camba ge- nannt (ebd.: 744). Cambas ist ein Sammelbegriff fur¨ die indigenen V¨olker, die sich nach der Eroberung durch die Spanier in die umliegenden W¨alder und Flussufer zu- ruckzogen.¨ Pf¨ander zufolge gibt es in den D¨orfern des Areals ausgepr¨agten Sprach- kontakt zwischen dem Spanischen und den indigenen Sprachen, in den st¨adtischen Regionen wird hingegen ausschließlich Spanisch gesprochen (ebd.). Das Spanische in Santa Cruz ist eine Subvariet¨at des castellano camba und wird cruce˜na genannt. Das cruce˜na zeichnet sich durch einen nochmals verst¨arkten Einfluss der indige- nen Sprachen, allen voran dem Guaran´ı, aber auch dem , aus (Mendoza 1992a: 25). Im Tiefland finden sich deutliche Ahnlichkeiten¨ mit dem Spanischen in Paraguay, das Hochland wiederum weist Parallelen zum nordperuanischen Dialekt auf (Lipski 1994: 182). Zum Spanischen in Bolivien gibt es bisher wenige Studien. Zur Lexikografie liegen Ver¨offentlichungen vor, aber in Bezug auf die Phonologie und Morphosyntax gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse (Pf¨ander 2013: 745). In Bezug auf die Morpho- syntax des bolivianischen Spanisch gibt es Untersuchungen von Mendoza (1992a, 1992b), der sich im Speziellen auf die Gegend um La Paz konzentriert hat. Dar- uber¨ hinaus existieren Studien von Guti´errez Marrone (1980, 1984), Justiniano de la Rocha (1989) und Pf¨ander (2013). Ein zusammenfassender Uberblick¨ ist bei Lipski (1994) sowie de Granda (1995) zu finden. Die Untersuchungen fanden ausschließ- lich im bolivianischen Hochland statt (Pf¨ander 2013: 753), wohingegen Santa Cruz und der Lebensmittelpunkt der Mennoniten in Tiefland liegt. Da der Einfluss der indigenen V¨olker, im Hochland sehr deutlich das Quechua, im Tiefland mehrheit- lich das Aymara, auf die spanische Sprache in Bolivien groß ist, kann von einzelnen Studien des Hochlandes Boliviens nur begrenzt auf sprachliche Charakteristika des Tieflandes geschlossen werden. Die vorliegende Arbeit kann dazu beitragen, dass Erkenntnisse daruber¨ gewonnen werden, inwieweit es zwischen dem Hoch- und dem Tieflandspanisch Boliviens Parallelen gibt. Einige grammatikalische Besonderheiten des Hochlandspanischen werden daher skizziert.

Genus und Numerus

• Unregelm¨aßiger Genusgebrauch (el calor/la calor )(Pf¨ander 2013: 748 ff.).

• H¨aufig keine Pluralsetzung, wenn der Sachverhalt durch den Kontext deutlich wird (tres casa)(ebd.).

66 4.3 Bolivien

Pr¨apositionen

• Ausweitung des Markers a fur¨ direkte Objekte auf unbelebte Aktanten (ubicar alaavenida)(Pf¨ander 2013: 748 ff.).

Artikel

• Fehlender bestimmter Artikel bei generalisierenden Ausdrucken¨ (¿Jugamos con pelota? )(ebd.).

Diminutivbildung

• Frequente und auff¨allig pragmatische Verwendung des Diminutiv (m´as allacito, lo hacen malcito)(ebd.).

• Diminutivbildung mit -ingo/a (Mendoza 1992a: 30).

Substantivierung

• Auff¨allig viele Substantivierungen (dime su hablada)(Pf¨ander 2013: 748 ff.).

Verneinung

• Doppelung der Negation in Form von no...no (Simona no quer´ıa no)(ebd.).

Pronomina • Voseo (Mendoza 1992a: 30)

• Le´ısmo (ebd.: 169).

Tempus, Modus und Aspekt • Endung der Verben im pret´erito imperfecto del subjuntivo auf -iera,seltenwird die m¨ogliche Alternativ -iese verwendet (Mendoza 1992a: 110).

• Ruckgang¨ des subjuntivo in der gesprochenen Sprache, im Schriftverkehr je- doch noch nicht beobachtbar (ebd.).

• Ruckgang¨ des indefinido zugunsten des pret´erito perfecto, so das der Bedeu- tungsunterschied verwischt wird (Yo he nacido) (Stradtford 1991: 171).

• Konkurrierende Grammatikalisierung von saber+Inf. und estar+Ger. (Mi mam´a sabe llegar a las seis.MeineMutterkommtimmersoumsechs)(Pf¨ander 2013: 648ff.).

67 4MennoniteninSudamerika:¨ untersuchte Ziell¨ander

• Verst¨arkung des Gerundiums in verknupfenden¨ Funktionen (Queriendo traer a mucha gente, me ha llamado. Da er viele Leute mitbringen wollte, rief er mich an) (ebd.).

• Vereinfachte indirekte Rede (Ellos dicen primera vez vienen. Sie sagen, sie kommen zum ersten Mal) (ebd.).

68 5 Plautdietsch als niederdeutsche Variet¨at

Ein bedeutender Anteil derjenigen Mennoniten, die heute in den Amerikas leben, geht auf niederl¨andische, friesische und fl¨amische Begrunder¨ des Glaubens zuruck;¨ uberall¨ dort wurde im 16. Jh. Niederdeutsch gesprochen (Epp 1999: 5). Die meisten Mennoniten stammen aus dem sogenannten Dreierfriesland“, bestehend aus dem ” heutigen zu Deutschland geh¨orenden Ostfriesland, dem mittlerweile zu den Nieder- landen geh¨orenden Westfriesland und einem Flecken Land, der beide Teile verbindet, dem niederl¨andische Groningen (ebd.: 6). Nachdem dort zun¨achst Ostfriesisch ge- sprochen wurde, fand im 15./16. Jh. ein Wechsel zum Niederdeutschen statt (Besch et. al. 1983: 878). Im 16. Jh. wanderten viele Mennoniten vom Dreierfriesland nach Westpreußen aus; sie adaptierten das Niederdeutsche an das Niederpreußische, das damals in Westpreußen gesprochen wurde. Vor allem auf der Ebene der Lexis kam es zu be- deutenden Ubernahmen¨ (Epp 1999: 10). Aus dem Niederdeutschen des Dreierfries- lands und dem Niederpreußischen entstand das Plautdietsche, das viele Mennoniten bis heute untereinander sprechen. Damals sprachen nicht nur Mennoniten Plaut- dietsch, sondern auch andere, direkte Nachbarn der Wiedert¨aufer. Im Gegensatz zu den Wiedert¨aufern erhielten sie sich die niederdeutsche Sprache aber nicht (ebd.). Niederdeutsch ist kein Dialekt des Hochdeutschen, sondern eine eigene Sprache (Epp 1999: 2). Obwohl keine offizielle Landessprache, wird das Niederdeutsche in Teilen Deutschlands noch immer gesprochen: von Dusseldorf¨ uber¨ G¨ottingen, bis nach Berlin und von dort an die polnische Grenze (ebd.). Auch in einigen Gegenden der Niederlande, besonders in den Provinzen, die an Deutschland grenzen, werden niederdeutsche Variet¨aten gesprochen. Das Niederdeutsche selbst war zur Zeit der Grundung¨ der wiedert¨auferischen Gemeinden in zwei Unterkategorien einzuordnen: das Fl¨amische und Niederl¨andische zum einen und des Plattdeutsche zum anderen (ebd.: 3). Der Ausdruck platt bedeutet im Niederdeutschen soviel wie verst¨and- ” lich“. Das Plautdietsche wiederum ist ein Dialekt des Plattdeutschen und insofern speziell,alsdassesdurchdieausgepr¨agten Wanderbewegungen der Sprecher zu ei- ner Kontaktvariet¨at mit vielerlei unterschiedlichen sprachlichen Einflussen¨ geworden ist.

69 5 Plautdietsch als niederdeutsche Variet¨at

5.1 Niederdeutsch: ein historischer Uberblick¨

Niederdeutsch hatte in der Phase von 1200 bis 1300 eine besonders bedeutende Zeit; damals war es nicht nur im heutigen Deutschland (besonders in der Gegend um Lubeck),¨ sondern auch in England, Skandinavien und den heutigen Beneluxstaaten eine wichtige Handelssprache (Epp 1999: 22). Im 14. Jh. verlor es jedoch zunehmend an Bedeutung und Latein wurde zur wichtigsten Handelssprache. Gleichzeitig ver- schwand das Niederdeutsche aus den Schulen und wurde auch nicht l¨anger in den Gottesdiensten genutzt (ebd.: 25). Zudem verlor die Sprache enorm an Prestige und wurde fortan als minderwertig angesehen. Niederdeutsch wurde zur Sprache der Un- kultivierten und Ungebildeten, bereits im 16. Jh. wurde es als eine nicht mehr der Mode entsprechende Sprache angesehen, die der unteren sozialen Schicht zugeordnet wurde (K¨onig 2004: 103). Der Adel und das gehobene Burgertum¨ orientierten sich stattdessen sudlich,¨ da dort nach dem Niedergang der Hanse im Norden kulturel- ler und wirtschaftlicher Aufschwung eine Blutezeit¨ erreichte (ebd.). Dadurch, dass das Niederdeutsche nur noch mehr oder minder hinter verschlossenen Turen¨ gespro- chen wurde und es keinen offiziellen Unterricht mehr in dieser Sprache gab, verlor es mehr und mehr seine Homogenit¨at und ein Dialektalisierungsprozess begann. Dies geschah zum einen in den Regionen, in denen noch immer aktiv Niederdeutsch ge- sprochen wurde, denn die einzelnen Siedlungen entwickelten sich sprachlich immer weiter auseinander. Zum anderen gab es kaum noch geschriebenes Niederdeutsch; die vorher existierende Literatur, sowie in Niederdeutsch aufgefuhrte¨ Dramen und Kom¨odien, kamen g¨anzlich zum Erliegen (Epp 1999: 28). So entstand eine Vielzahl unterschiedlicher Dialekte und es gibt bis heute kein Standard-Niederdeutsch (ebd.). Die dialektalen Variet¨aten sind teilweise derart ausgepr¨agt, dass Sprecher aus un- terschiedlichen Regionen sich kaum miteinander verst¨andigen k¨onnen (ebd.: 36).

5.2 Charakteristika des Niederdeutschen

Prinzipiell kann die Entwicklung des Niederdeutschen in drei Perioden eingeteilt werden:

• Alt-Niederdeutsch (450-1200)

• Mittel-Niederdeutsch (1200-1650)

• Modernes Niederdeutsch (1850 bis heute).

Wegera und Waldenberger verschieben die Perioden allerdings jeweils um ca. 200 Jahre nach hinten (Wegera & Waldenberger 2012: 20), so dass hier kein wissenschaft- licher Konsens zu bestehen scheint. Auf der Ebene der Morphologie zeichnet sich das Niederdeutsche dadurch aus, dass die Substantivendungen kaum noch markiert

70 5.3 Die Entwicklung des Plautdietschen werden, stattdessen werden Artikel, Pronomen und Pr¨apositionen zur Markierung verwendet (K¨onig 2004: 110). Weitere Charakteristika des Niederdeutschen sind:

• Die Pluralbildung erfolgt uberwiegend¨ durch die Morpheme -s oder -e,Ersteres ist jedoch das produktivste. Die Pluralbildung auf -er hingegen ist, anders als im Hochdeutschen, nicht ublich¨ (Besch et. al. 1983: 1200).

• Die Form des Futur I kann sowohl, wie im Hochdeutschen ublich,¨ mit werden und Infinitiv gebildet werden, alternativ aber auch mit wollen oder sollen und dem Infinitiv (ebd.: 1212).

• Im Hochdeutschen ist das Pr¨ateritum die Zeitform der Erz¨ahlung und Beschrei- bung in der Vergangenheit. Daruber¨ hinaus werden fur¨ bestimmte Ereignisse, die zuruckliegen,¨ das Perfekt bzw. Plusquamperfekt bevorzugt (ebd.: 1214). Im Niederdeutschen hingegen bleibt das Pr¨ateritum als h¨aufig verwendete Vergan- genheitsform erhalten (ebd.).

• Das Plusquamperfekt wird, wie im Hochdeutschen, nur sehr selten verwendet, von den ¨alteren Niederdeutschsprechern h¨aufiger als von den jungeren¨ (ebd.: 1219). Diese Erkenntnis stammt allerdings aus den 1980er Jahren, so dass ein Ruckschluss¨ auf die aktuelle Situation nur bedingt m¨oglich ist.

5.3 Die Entwicklung des Plautdietschen

Das Plautdietsche ist, wie bereits angedeutet, eine Variet¨at, die seit dem 16. Jh. durch die Wanderbewegung der Mennoniten besonders vielen Kontakten mit ande- ren Sprachen ausgesetzt war und sich dadurch regelm¨aßig neu formiert und ver¨andert hat (Siemens 2013: 215). Obwohl Plautdietsch als die Sprache der Mennoniten be- kannt ist, gibt es dennoch auch Sprecher, die keiner wiedert¨auferischen Gemeinde angeh¨oren, genauso wie es Anabaptisten gibt (vor allem in Europa, Asien und Afri- ka), die das Plautdietsche nicht (mehr) beherrschen (ebd.). Da das Plautdietsche eine rein mundliche¨ Variet¨at ist, die uber¨ die Jahrhunderte in vielen unterschiedli- chen Lebensumgebungen gesprochen wurde, ist sie nie einheitlich gewesen und weist Satzbaumuster sowie grammatikalische Ph¨anomene vieler Sprachen auf (ebd.: 217). Das Plautdietsche kann als niederpreußischer Dialekt des nieders¨achsischen Zweiges der niederdeutschen Sprache mit Einflussen¨ aus dem Russischen, dem Ukrainischen und dem amerikanischen Englisch charakterisiert werden (Epp 1999: 96). Viele Mennoniten suchten in der ersten H¨alfte des 16. Jh. im Dreierfriesland Zu- flucht vor religi¨osen Verfolgungen, da dort noch weitgehend religi¨ose Neutralit¨at gewahrt wurde (Epp 1999: 50). Da die Fliehenden aus den unterschiedlichsten Ge- genden stammten, ist es naturlich,¨ dass sie auch die unterschiedlichsten Dialekte sprachen. Einige sprachen Friesisch, andere Nieders¨achsisch oder Fl¨amisch; manche

71 5 Plautdietsch als niederdeutsche Variet¨at sogar Hochdeutsch (ebd.: 54). Die Schriftsprache der meisten Mennoniten war zu dieser Zeit uberwiegend¨ Niederl¨andisch und auch Menno Simons verfasste anfangs seine Schriften in dieser Sprache, sp¨ater schrieb er im holsteinischen Niederdeutsch (ebd.). Die M¨oglichkeit der Zuflucht in Friesland w¨ahrte jedoch nicht lange, schon bald wurden Mennoniten auch dort verfolgt und die Erwachsenentaufe verboten (ebd.: 56). Die Mehrzahl der Mennoniten siedelte daraufhin in oder um Danzig herum. Das damalige Westpreußen befand sich unter der Herrschaft des polnischen K¨onigs, der Hinzugezogene unter bestimmten Bedingungen privilegierte. Die Mennoniten erkl¨ar- ten sich bereit, als unbebaubar geltendes Farmland zu kultivieren. Erstaunlicherweise hat das Plautdietsche jedoch keinen nennenswerten Einfluss des Polnischen erfah- ren. Wahrscheinlich hatten die Mennoniten kaum Kontakt zur polnischsprachigen Bev¨olkerung (Krahn 1989: gameo.de). Zu diesem Zeitpunkt waren die Bibel und der Katechismus der Mennoniten noch auf Niederl¨andisch, die Sprache in der Kirche war jedoch seit Ende des 18. Jh. Hochdeutsch. Diese Situation blieb noch bis zu der Umsiedlung nach Russland bestehen (ebd.). In welcher Sprache die Mennoniten zu dieser Zeit ihren Schriftverkehr pflegten, ist ungewiss. Jedoch kann davon ausge- gangen werden, dass die meisten unter ihnen des Lesens und Schreibens nicht oder kaum m¨achtig waren (Epp 1999: 58). Gesprochen wurde jedoch weiterhin das Nie- derdeutsche aus Friesland mit niederl¨andischem und fl¨amischen Einfluss - genannt wurde diese Sprache Dietsch (ebd.). Mit ihrer Umsiedlung nach Westpreußen, wo sie ca. 200 Jahre wohnten, kamen die Mennoniten in eine Nachbarschaft, in der uberwiegend¨ nieders¨achsisches Nieder- deutsch gesprochen wurde (ebd.: 67). Dies war fur¨ die Mennoniten gut verst¨and- lich und fur¨ die Westpreußen das Dietsche ebenfalls. Hinzu kommt, dass zur Zeit der Besiedelung Niederdeutsch die Amtssprache in Westpreußen war, erst ein gutes Jahrhundert sp¨ater wurde sie zugunsten von Hochdeutsch abgel¨ost (ebd.: 70). Sp¨a- ter besiedelten die Mennoniten jedoch auch angrenzende Gebiete Westpreußens, wo nicht nur Niederpreußisch, sondern auch Hochdeutsch und Schw¨abisch gesprochen wurden. Es muss daher angenommen werden, dass diese Dialekte ebenfalls Einfluss auf die Sprache der Mennoniten genommen haben. Vom Wechsel zum Hochdeut- schen als Amtssprache waren die Mennoniten zun¨achst kaum betroffen, sie pflegten weiterhin ihre niederdeutsche Sprache. Erst um 1870 begann die noch in Westpreu- ßen lebenden Mennoniten teilweise Hochdeutsch zu nutzen, mit der Zeit wurde das Hochdeutsche auch in der Kirche fur¨ die Predigt genutzt (ebd.: 71). Bei ihrer darauf- folgenden Umsiedlung nach Russland behielten diejenigen, die dorthin gingen, ihren niederdeutschen Dialekt bei - das Plautdietsche. Zu dieser Zeit konnten die Men- noniten auch bereits weitgehend lesen und schreiben; die Schriftsprache war, und ist bis heute, uberwiegend¨ Hochdeutsch, teilweise jedoch auch noch Niederl¨andisch (ebd.: 73). In Russland lernten zun¨achst nur wenige Mennoniten die Landessprache, da die Regierung jedoch ein Interesse daran hatte, dass die neuen Siedler Dekrete

72 5.3 Die Entwicklung des Plautdietschen verstanden, wurden diese in die Schriftsprache der Mennoniten, Hochdeutsch, uber-¨ setzt. Da die Wiedert¨aufer allerdings bis dahin kaum Kontakt zur Burokratie¨ und Dekreten hatten, kam es h¨aufig zu Verst¨andnisproblemen (ebd.: 77). Nachdem die Regierung das Problem erkannte, wurde das Erlernen der russischen Sprache auch fur¨ Mennoniten ab 1881 zur Pflicht (ebd.). Im Niederdeutschen der Mennoniten wurde ursprunglich¨ zwischen Mundarten der Chortiza- und der Molotschagemeinden unterschieden, die sich marginal in Pho- netik, Lexik und Morphologie unterschieden. Die beiden Mundarten sind nach in Russland liegenden Siedlungsorten benannt, die jedoch seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr existieren (Siemens 2013: 216). Niederdeutsch war in den Grunderzeiten¨ der Mennoniten schnell die gesprochene Sprache dieser Glaubensgemeinschaft, erst in der zweiten H¨alfte des 16. Jh., mit dem Siedlungsbeginn in Westpreußen, kam Hochdeutsch als Schriftsprache hinzu. Fl¨achendeckendsetzteessichjedocherstin den Schulen und der Kirche im 18. Jh. durch (ebd.). Grunds¨atzlich haben die Chortiza- und die Molotschamundart sowohl phonetisch als auch lexikalisch und morphosyntaktisch mehr Gemeinsamkeiten, als dass sie un- terschiedliche Charakteristika aufwiesen (Frank 1992: 70). Angesichts der mittlerwei- le sehr weit verstreuten Sprechergemeinde des Plautdietschen ist es sicherlich schwie- rig, an der Einteilung dieser beiden Mundarten festzuhalten, da das Plautdietsche durch die verschiedenen Lebensumgebungen seiner Sprecher sehr unterschiedlich be- einflusst wurde und wird. Obwohl die Mennoniten von jeher ihre deutsche Muttersprache unter sich auf- recht erhielten, war schon bald deutlich der Einfluss des Russischen auf das Plaut- dietsche wahrnehmbar, nachdem die Anabaptisten aus Westpreußen dem Ruf der Zarin nach Russland gefolgt waren (Kaufmann 2011: 194). Besonders durch den ver- st¨arkten Russischunterricht an den Schulen kam es zu einer deutlichen Vermischung des Plautdietschen mit der russischen Sprache. Daruber¨ hinaus muss berucksich-¨ tigt werden, dass insbesondere der mennonitische Zweig der Altkolonier relativ nahe an der Grenze zur Ukraine siedelte. Hinzu kommt, dass die Mennoniten im Alltag viel Kontakt mit Ukrainern hatten, da viele als Arbeitskr¨afte auf dem Land zusam- men mit den Mennoniten t¨atig waren (Epp 1999: 92), so dass dort ein Einfluss des Ukrainischen anzunehmen ist (ebd.: 89). Es sind haupts¨achlich die konservativeren Mennoniten, die aus Russland nach Ka- nada und Sudamerika¨ ubersiedelten.¨ Die in Bolivien lebenden Wiedert¨aufer geh¨oren uberwiegend¨ zu diesem mennonitischen Zweig. Sie behielten Plautdietsch als Ver- kehrssprache bei und sprechen allenfalls eine hochdeutsche Variet¨at, die allerdings von religi¨osen Texten, jedoch keineswegs vom europ¨aischen Hochdeutsch beeinflusst worden ist (Epp 1999: 94). Die paraguayischen Mennoniten hingegen, die weitgehend von Vorfahren aus der Sowjetunion abstammen, gelten insgesamt als moderner und sprechen eher Hochdeutsch, das aus Europa beeinflusst ist. Es ist seit den Anfangs- zeiten der mennonitischen Siedlungen in Paraguay ublich,¨ deutsche Schulmateriali-

73 5 Plautdietsch als niederdeutsche Variet¨at en zu verwenden (ebd.). Die paraguayischen Mennoniten stehen mit der deutschen Botschaft in Asunci´on in einem regen Kontakt, insbesondere mit der ebenfalls dort ans¨assigen Zentralstelle fur¨ deutsches Schulwesen“, die nicht nur Schulmaterialien ” zur Verfugung¨ stellt, sondern bei Bedarf auch deutsche Lehrer an die wiedert¨aufe- rischen Schulen in Paraguay entsendet (Kaufmann 2011: 195). Dies konnte mir vor Ort an der mennonitischen Schule Concordia ebenfalls best¨atigt werden.

5.4 Charakteristika des Plautdietschen

Obwohl sich der Gebrauch des Hochdeutschen unter den Mennoniten ab 1840 ver- st¨arkte, unterschied er sich jedoch deutlich vom Standard-Hochdeutschen und blieb deutlich am Niederdeutschen angelehnt. Zu den grammatikalischen Charakteristika des Plautdietschen gibt es wenig Da- tenmaterial. Ein Uberblick¨ ist jedoch bei Epp (Epp 1999) und Siemens (Siemens 2012) zu erhalten. Es muss allerdings betont werden, dass die Datenlage fur¨ ein- zelne plautdietsche Variet¨aten, die unterschiedlichen kontaktsprachlichen Einflussen¨ unterliegen, derart dunn¨ ist, dass sie nur vage Ruckschl¨ usse¨ auf das unter den in Paraguay und Bolivien lebenden Mennoniten gebr¨auchliche Plautdietsch zulassen. Die Darstellung des Plautdietschen beschr¨ankt sich hier im Wesentlichen auf die grammatikalischen Kategorien, die fur¨ diese Arbeit relevant sind, und treffen wahr- scheinlich fur¨ die meisten plautdietschen Variet¨aten zu.

Wortarten

• Die flektierenden Wortarten sind: Verb, Substantiv, Adjektiv, Ad-/Pronomen.

• Die nicht-flektierenden Wortarten lauten: Pr¨apositionen (lokal, temporal, kau- sal, modal), Konjunktionen, Partikel, Adverbien, Subjunktionen (daut, waut) (Siemens 2012: 135).

• Die Nomen haben ein festes Genus, flektieren aber mithilfe von Suffigierung nur nach Numerus. Eine Kasusflexion existiert im Plautdietschen nicht mehr (ebd.: 132).

• Die Adjektive flektieren nach Kasus, Numerus und Genus (ebd.). Sie werden daruber¨ hinaus zur Bildung von Positiv, Komparativ und Superlativ genutzt (ebd.: 133).

Artikel

74 5.4 Charakteristika des Plautdietschen

• Es wird zwischen Feminin, Maskulin und Neutrum unterschieden (Siemens 2012: 141).

• Es gibt einen gleich lautenden Artikel im Singular und Plural fur¨ feminine und maskuline Substantive: dee. Der Singular-Determinant im Neutrum lautet daut. Der Numerus wird durch das Substantiv markiert (ebd.). Im Gegensatz zum Standarddeutschen gibt es keine Plurale, die mit dem Singular identisch lauten (Siemens 2012: 144).

• Die unbestimmten Artikel lauten een (msk.), een (ntr.), eene (fem.) (ebd.: 159).

Kasus

• Der Kasus wird meist durch das Adnomen markiert (Dem Maun sien Spell. DesMannesSpiel),(Wem sien Goade? Wessen Garten?) (Siemens 2012: 148).

• Es gibt keinen Kasus des Substantivs, sondern nur der Nominalphrase (ebd.).

• Der Dativ und der Akkusativ sind uberwiegend¨ zusammengefallen (ebd.).

Pronomen

• Die Personalpronomen im Nominativ sind: etj, du, hee/it,/see, wie, jie, see,im Dativ bzw. Akkusativ lauten sie: mie, die, ahn/it, ahr, ons, jung ahn (Siemens 2012: 151).

• Die Personalpronomina im Genitiv sind nicht mehr in Gebrauch.

• Es gibt lediglich ein eigenst¨andiges Reflexivpronomen fur¨ die 3. Pers. Sg.: sich; bei den anderen Personen unterscheiden sich die Reflexivpronomen formal nicht von den Personalpronomen (ebd.).

• Die Relativ- und Demonstrativpronomen sind identisch: dee/daut (ebd.: 154).

• Die Possessivpronomen werden nach Numerus und Genus unterschieden (ebd.: 160).

Verben

• Die Verben enden im Infinitiv regelm¨aßig auf -en,oder-n (backen, gohnen) (Siemens 2012: 168).

• Der Einheitsplural endet auf -e oder -en (ebd.).

75 5 Plautdietsch als niederdeutsche Variet¨at

• Die Verben werden nach Person, Numerus und Tempus flektiert (ebd.).

• Es gibt keinen synthetischen Konjunktiv (ebd.: 168).

• Der Infinitiv kann in unver¨anderter Form als neutrales Substantiv verwendet und Partizipien k¨onnen dekliniert werden (komende Weatj,n¨achste Woche) (ebd.).

• Die Hilfsverben doone und senne (tun, sein) werden dazu verwendet, zusam- mengesetzte Tempora, aber auch das Passiv zu bilden (Etj sie jegohne.Ichbin gegangen), daruber¨ hinaus k¨onnen sie jedoch auch die Funktion von Vollverben einnehmen (ebd.: 180).

• Die Modalverben sind mit dem Standardhochdeutschen vergleichbar (welle, selle, tjenne, motte, deawe, meaje (wolle,solle,k¨onnen, mussen,¨ durfen,¨ m¨o- gen) (ebd.: 181).

Syntax

• Die doppelte Verneinung im Plautdietschen bedeutet keine Bejahung. (Etj bliew, bit etj die nich seeh. Ich bleibe, bis ich dich *nicht sehe) (Epp 1999: 78).

• Die Negation, in der nichts und keiner vorkommt, tritt sogar in dreifacher Verst¨arkung auf. (Tjeena weet nuscht nich.Keinerweiß*nichts*nicht.Also: Keiner weiß etwas.) (ebd.).

Tempus und Aspekt

• Das Futur I kann nicht durch eine Pr¨asensform ausgedruckt¨ werden, sondern ausschließlich durch eine Form von woare in Verbindung mit dem Infinitiv (Siemens 2012: 183).

• Das Futur II kommt im Niederdeutschen generell selten vor, und wenn, dann wird es regelm¨aßig durch das Perfekt ersetzt (Besch et. al. 1983: 1213). Spezi- ell im Plautdietschen k¨onnte dies laut Siemens jedoch anders sein, ihm zufolge wird das Futur II mit einer konjugierte Form von werden (woare)inVerbin- dung mit dem Partizip Perfekt und dem Infinitiv regelm¨aßig gebraucht (Etj woa jejete habe) (Ich werde gegessen haben) (Siemens 2012: 183).

• Perfekt und Plusquamperfekt werden durch die infinite Form von senne oder habe im Pr¨asens bzw. Pr¨ateritum in Verbindung mit dem Partizip Perfekt gebildet (Etj hab jejete, etj haud jejete. Ich habe gegessen, ich hatte gegessen) (ebd.: 184).

76 5.4 Charakteristika des Plautdietschen

• Der Konjunktiv wird mithilfe von wuddsd, wudd, wudde in Verbindung mit dem Infinitiv gebildet (Etj wudd ete.Ichwurde¨ essen). Der Konjunktiv Perfekt wird ebenfalls mit wuddsd, wudd, wudde konstruiert, in Kombination mit dem Partizip Perfekt und dem Infinitiv von habe oder senne (Etj wudd jejete habe. (Ich wurde¨ gegessen haben) (ebd.).

• Das Passiv wird durch eine Form von woare und dem Partizip Perfekt gebildet (Dee Oabeit woat gemoakt. Die Arbeit wird gemacht) (ebd.).

• Die Tun -Periphrase ist relativ weit verbreitet und vergleichbar mit der hoch- deutschen Konstruktion am“ und Infinitiv (Etj doo ete. Ich bin am essen) ” (ebd.).

77

6 Vorbereitungen der Feldforschung in Paraguay und Bolivien

Sprachgemeinschaften, die eine andere Sprache als die offizielle(n) Landessprache(n) sprechen, werden als sprachliche Minderheiten bezeichnet (Riehl 2009: 63). Es gibt Minderheiten, die lediglich in einem einzelnen Staat existieren, solche, die uber¨ meh- rere Staaten verteilt Minderheiten darstellen, und es ist schließlich m¨oglich, dass es sich um eine Minderheit handelt, die in einem anderen Land eine Mehrheit darstellt (ebd.).

6.1 Mennonitische Glaubensgemeinschaft als Sprachminderheit in Sudamerika¨

Die Mennoniten in Sudamerika¨ sind sehr schwierig in diese Kategorien einzuordnen. Ausgehend davon, dass die Sprache, die sie vereint, Plautdietsch ist, so sind sie eine Minderheit, die auf einzelne Staaten verteilt existiert. Geht man jedoch davon aus, dass sie Hochdeutsch ebenso sprechen, einige von ihnen ausschließlich innerhalb der Familie, so sind sie eine Sprachgemeinschaft, die anderswo, in Deutschland, eine Mehrheit darstellt. Diese sprachliche Kategorisierung wurde¨ allerdings ihr Dasein als Mennoniten außen vor lassen. Des Weiteren k¨onnen Sprachminderheiten noch danach unterschieden werden, ob es sich um eine Grenzminderheit handelt, sie also in der Grenze zu dem Land siedeln, in dem sie sprachlich eine Mehrheit sind, oder ob sie eine Sprachinselminderheit sind. Dies bedeutet, dass sie vom sprachlichen Mutterland r¨aumlich getrennt sind (Riehl 2009: 63). Nach dieser Kategorisierung sind die Mennoniten in Paraguay und Bolivien Sprachinselminderheiten. Wie genau das Konzept einer Sprachinsel zu definieren ist, daruber¨ gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Es ist zum einen m¨oglich, eine darunter in sich geschlossene Sprach- oder Siedlungsgemeinschaft zu verstehen, die in einem gr¨oßeren, anderssprachigen Gebiet lebt (Riehl 2009: 64). Es ist zum andern auch m¨oglich, den Schwerpunkt in der kaum vorhandenen Beziehung zum sprachlichen Mutterland zu sehen und dem daraus resultierenden Eigenleben sowohl auf sprachlicher als auch kultureller Ebene (ebd.). Eine dritte M¨oglichkeit ist die soziolinguistische Betrachtung: Hierbei handelt es sich darum, dass eine sprachkulturelle Assimilation der Minderheit verhindert oder

79 6 Vorbereitungen der Feldforschung in Paraguay und Bolivien verz¨ogert worden ist, weil diese sich durch eine Besonderheit von der Mehrheitsge- sellschaft, von der sie umgeben ist, unterscheidet und sich dadurch ausgrenzt oder ausgegrenzt wird (Riehl 2009: 64). In Bezug auf die paraguayischen und boliviani- schen Mennoniten treffen alle drei Sichtweisen zu, denn sie sind sowohl eine Sied- lungsgemeinschaft in einem anderssprachigen Gebiet, als auch eine Gemeinschaft, die auf sprachlicher und kultureller Ebene ein Eigenleben fuhrt¨ und daruber¨ hin- aus grenzen sie sich durch ihre Religion von der Mehrheit ab. Daher k¨onnen die sudamerikanischen¨ Mennoniten unter alle drei Definitionen gefasst werden. Wie Riehl zutreffend festh¨alt, sind religi¨ose Minderheiten wie Mennoniten sprach- wissenschaftlich schon deshalb von herausragendem Interesse, weil sie sich durch ihre vergleichsweise konservative Lebensweise einen Sprachstand bewahrt haben, der sich vom Mutterland mittlerweile deutlich abgrenzt, aber sehr viel uber¨ Sprachursprunge¨ aussagen kann (ebd.: 66). Hinzu kommt, dass die Inselsprache aufgrund der anders- sprachigen Umgebung sowohl lexikalisch als auch morphosyntaktisch Entlehnungen aufweisen kann, die Ruckschl¨ usse¨ auf Sprachentwicklung zulassen. Wichtige Faktoren fur¨ den Erhalt der Inselsprache im Fall der Mennoniten sind die engen sozialen Netzwerke, die gerade religi¨ose Minderheiten untereinander pflegen, als auch der Umstand, dass Deutsch als Sprache Gottes gilt. Des Weiteren tr¨agt die Tatsache, dass keine Schulen der Mehrheitsgesellschaft besuchen werden dazu bei, und schließlich das bewusste unter sich bleiben“, so dass der soziale Radius sehr ” begrenzt ist (ebd.: 67).

6.2 Wahl der Befragungsform

Im Vordergrund des ersten Teils dieser Arbeit steht das sprachliche Verhalten der Mennoniten in bestimmten Dom¨anen. Welche Sprache sprechen sie wann und mit wem? Daruber¨ hinaus steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, wie sich die befragten Mennoniten selbst identifizieren und in welchem Verh¨altnis diese Identifikation mit den von ihnen gesprochenen Sprachen steht. Um relevantes Datenmaterial sammeln und untersuchen zu k¨onnen, stehen grunds¨atzlich drei unterschiedliche Methoden zur Auswahl:

• Der Fragebogen

• Die teilnehmende Beobachtung

• Das Interview (Riehl 2009: 46).

Der Fragebogen kam fur¨ die vorliegende Arbeit zum einen deswegen nicht infra- ge, da damit gerechnet werden musste, dass einige der zu befragenden Mennoniten nicht ausreichend alphabetisiert sein wurden,¨ um sich mit einem Fragebogen aus- einandersetzen zu k¨onnen und zu wollen. Zum anderen war davon auszugehen, dass

80 6.3 Entwicklung des Leitfadeninterviews viele Mennoniten mehr oder weniger spontan auf der Straßen angesprochen werden mussen,¨ um Daten von ihnen sammeln zu k¨onnen. Zu diesem Zweck w¨are das Ver- teilen von Frageb¨ogen wenig hilfreich gewesen, da diese nicht h¨atten zuruckgegeben¨ werden k¨onnen. Die teilnehmenden Beobachtungen spielen sicherlich auch in der vorliegenden Un- tersuchung eine wichtige Rolle, in dem vorangegangenen Kapitel sind auch bereits einige Informationen, die auf Beobachtungen zuruckgehen,¨ dargestellt worden. Um detaillierte Daten zu bekommen, die Aussagen daruber¨ machen, mit welcher Kultur und Sprache sich Mennoniten wie identifizieren, k¨onnen teilnehmende Beobachtun- gen jedoch nicht ausreichend sein. Daher fiel die Wahl schließlich auf das Interview. In Bezug auf Interviews kann eine weitere Unterscheidung zwischen gesteuerten und ungesteuerten vorgenommen werden (Riehl 2009: 46). Das gesteuerte Interview setzt voraus, dass ein Leitfaden entwickelt worden ist, anhand dessen dem Interviewpartner Fragen gestellt werden. Das ungesteuerte Interview ist eher ein sich frei entwickelndes Gespr¨ach, das sich so naturlich¨ wie m¨oglich entfalten sollte (ebd.). Die nicht gesteuerte Gespr¨achsform l¨asst die Aufnahme von sehr authentischem Sprachmaterial zu, hat jedoch auf der anderen Seite den Nachteil, dass die gewonnenen Daten anschließend kaum unterein- ander vergleichbar sind. Daher war es das Ziel die Erhebungsmethoden des gesteu- erten und ungesteuerten Interviews miteinander zu kombinieren. So wurden zwar, abh¨angig vom Zeitrahmen des Interviewpartners, Fragen anhand eines Leitfadens gestellt, die L¨ange und Ausfuhrlichkeit¨ der Antworten oblag jedoch den Befragten. Dies bedeutet, die Fragende ließ den Zeitrahmen und die L¨ange der Antworten of- fen. Somit waren die Interviews zwar einerseits gesteuert, ließen andererseits jedoch Raum fur¨ naturliche¨ Gespr¨achssituationen. Um die Daten angemessen untersuchen zu k¨onnen, wurden sie zun¨achst fur¨ den soziolinguistischen Teil dieser Arbeit grob, sp¨ater noch einmal fur¨ den morphosyntak- tischen Teil fein transkribiert. Da jedoch mit sehr vielen der befragten Mennoniten, vor allem in Paraguay, sowohl gute als auch sehr offene Kontakte entstanden, sind in die Auswertung h¨aufig auch Informationen geflossen, die nicht aus den direkt auf- genommenen Leitfadeninterviews stammten, sondern daruber¨ hinaus im Gespr¨ach vermittelt wurden. Die Verwendung der Informationen erfolgt mit Zustimmung der Interviewteilnehmer.

6.3 Entwicklung des Leitfadeninterviews

Eine erste, grundlegende Forschungsfrage ist: Wann sprechen bolivianische und pa- raguayische Mennoniten welche Sprache mit wem? Die Erfassungsmethode sollte das Leitfadeninterview sein. Nach Zydatiß k¨onnen Fragen, die auf fremdsprachliche Dom¨anen fokussiert sind, drei Kategorien zugeordnet werden:

81 6 Vorbereitungen der Feldforschung in Paraguay und Bolivien

• Biografisch-demografische Angaben: Hier werden Daten bzgl. des Alters, Geschlechts, Familienstandes, Berufs und des sozio¨okonomischen Hintergrun- des erhoben (Zydatiß 2012: 120). Dies ist wichtig, um die Befragten in der Auswertung nach diesen Kriterien zusammenfassen zu k¨onnen.

• Subjektiv-interne, nicht direkt beobachtbare Ph¨anomene: In diesem Teil wer- den Meinungen, Einstellungen, Pr¨aferenzen, Priorit¨aten und Selbsteinsch¨at- zungen der Interviewteilnehmer erhoben, die fur¨ die Forschungsfragen relevant sind (ebd.: 120). In dem fur¨ diese Arbeit konstruierten Fragebogen sind Fragen hinsichtlich der Einsch¨atzung der eigenen Sprachkompetenz in Plautdietsch, Hochdeutsch, Spanisch und anderen Sprachen von Interesse. Wichtig ist auch, in welcher Situation die Befragten welche Sprache bevorzugen. Letztlich f¨allt auch in diese Kategorie, ob sie sich vordergrundig¨ als Mennonit oder Sudame-¨ rikaner empfinden und wie sie die Einstellung der Paraguayer bzw. Bolivianer ihnen gegenuber¨ einsch¨atzen.

• Fragen zum Erfassen konkreter Verhaltensweisen der Beteiligten: Hier wird schließlich nach Informationen bzgl. selbst verantworteten Handlungen und ei- gener Befindlichkeit gefragt (ebd.: 121). In diese Kategorie fallen die Fragen nach den Schreib- und Lesegewohnheiten, sowie nach der Nutzung von Medien. Zydatiß weist darauf hin, dass die in diesem Teil des Fragebogens erhaltenen Daten nicht immer ganz zuverl¨assig sein k¨onnten, da das sozial wunschenswerte¨ und das tats¨achliche Verhalten unter Umst¨anden nicht deckungsgleich ist und die Befragten m¨oglicherweise versuchen, ihr Verhalten zu besch¨onigen (ebd.). Fur¨ die befragten Mennoniten in Paraguay scheint das Risiko der Besch¨oni- gung vernachl¨assigbar zu sein, da sie sowohl ein sehr entspanntes Verh¨altnis zu ihren Lese- und Schreibgewohnheiten, als auch in Bezug auf Mediennut- zung zeigten. Die bolivianischen Mennoniten sind deutlich konservativer und unterliegen gruppeninternen Regeln, so dass konkrete Verhaltensweisen m¨og- licherweise so dargestellt werden, wie es in der Gemeinschaft erwartet wird.

Des Weiteren ist selbstverst¨andlich wichtig, dass die Fragen von den Teilnehmern verstanden werden und auch beantwortet werden k¨onnen. Auf die Einhaltung dieser Voraussetzungen wurde w¨ahrend aller Interviews geachtet und auch nachgefragt, wenn der Eindruck entstand, eine Frage k¨onnte nicht richtig nachvollzogen worden sein.

6.4 Befragung anhand des Leitfadeninterviews

Insgesamt wurden 36 Sprachaufnahmen von Mennoniten in Paraguay und Bolivien gemacht. 22 der Aufnahmen entstanden in Paraguay, die ubrigen¨ 14 in Bolivien. Alle

82 6.4 Befragung anhand des Leitfadeninterviews

Aufnahmen wurden in Form des Leitfadeninterviews (s. Anhang) aufgenommen. Der dafur¨ verwendete Leitfaden berucksichtigt¨ zehn unterschiedliche Aspekte: Er beginnt mit allgemeinen Fragen zur Person; Alter, Familienstand und Herkunft. Dann folgen Angaben zu den Sprachgewohnheiten und dazu, welche Sprachen von den Befragten beherrscht werden. Die Fragen beziehen sich auf die drei Sprachen, die Mennoniten in Sudamerika¨ in der Regel in variierender Kompetenz beherrschen: das Plautdietsche, das Spanische und das Hochdeutsche. In diesem Zusammenhang war es von Interesse zu erfragen, welche Sprachen die Befragten sprechen, wie sie ihre jeweilige Sprachkompetenz in den einzelnen Sprachen einsch¨atzen und wo sie diese erlernt haben. Neben Angaben zum produktiven Sprachgebrauch wurden auch In- formationen uber¨ den rezeptiven Sprachgebrauch abgefragt. Im Zentrum des wissen- schaftlichen Interesses stand hierbei herauszufinden, ob die Interviewten alle Spra- chen, die sie sprechen, auch orthografisch beherrschen, ob es Sprachen gibt, die ihnen leichter fallen als andere und wo sie das Schreiben erlernt haben. Mit der F¨ahigkeit des Schreibens steht auch diejenige des Lesens in engem Zusammenhang. Daher wurde ebenfalls nach den Lesegewohnheiten gefragt. Es ging darum festzustellen, in welchen Sprachen den Interviewten das Lesen schwerer oder leichter f¨alltundobes Sprachen gibt, in denen sie gar nicht lesen. Da Plautdietsch diejenige Sprache ist, die viele Mennoniten, vor allem die kon- servativen, die sich st¨arker an der Ordnung orientieren, zu Hause sprechen, kann erwartet werden, dass dies auch die Sprache ist, die im produktiven Sprachgebrauch bevorzugt wird. Schriftlich wird Plautdietsch hingegen kaum verwendet, wenngleich es inzwischen eine plautdietsche Bibel gibt. Dies l¨asst vermuten, dass Hochdeutsch oder Spanisch vermehrt gelesen werden. Es gibt jedoch auch Mennoniten, die tradi- tionell eher Hochdeutsch statt Plautdietsch sprechen, bei ihnen ist der Schwerpunkt im produktiven Sprachgebrauch st¨arker im Hochdeutschen. Die Pr¨aferenz des Hoch- deutschen im mundlichen¨ Sprachgebrauch l¨asst die Frage zu, ob sich diese Pr¨aferenz auch im rezeptiven Sprachgebrauch widerspiegelt. Da praktisch keine mennonitische Familie Sudamerikas¨ privat Spanisch spricht, ist hier die Frage nach der Sprachkom- petenz sowohl im produktiven als auch rezeptiven Bereich wissenschaftlich ebenfalls sehr relevant. Einige der Wiedert¨aufer haben Spanischunterricht in der Schule er- halten, viele jedoch nicht, sie haben es mehr oder weniger durch Kontakt mit Spa- nischsprachigen gelernt. Diese unterschiedliche Lernumgebung l¨asst die Vermutung zu, dass die Kompetenzen im produktiven und rezeptiven Sprachgebrauch variieren. In einem n¨achsten Punkt ging es um Sprachattituden,¨ also um die Einstellung, die die Befragten gegenuber¨ den Sprachen haben, die sie beherrschen. Des Weiteren ging es darum, wie deutlich sich paraguayische und bolivianische Mennoniten selbst in die (Sprach-)Kultur ihrer Umgebung integriert fuhlen¨ und welche Kontakte sie pflegen. Daruber¨ hinaus wurden Fragen zur pers¨onlichen Einstellung gegenuber¨ ihrer Lebens- umgebung gestellt. Dies bezog mit ein, inwieweit sie sich tats¨achlich als Paraguayer bzw. Bolivianer empfinden, oder ob sie ein anderes Heimatland haben, und welche

83 6 Vorbereitungen der Feldforschung in Paraguay und Bolivien

Position sie den Mennoniten in dem jeweiligen Land, in dem sie leben, ¨okonomisch zuweisen. Letzteres ist deswegen von Bedeutung, weil Mennoniten gerade in Bolivien sehr erfolgreich in der Milch-, Fleisch- und K¨aseproduktion sind; ihre Erzeugnisse machen einen hohen Marktanteil des Verbrauchs landesweit aus. Es ist daher von Interesse, wie sie diese Situation selbst bewerten. Schließlich sah der Fragebogen eine Ubersetzungs¨ ubung¨ vor. Jedem Befragten wur- denzehndeutscheS¨atze nacheinander vorgelesen und sollten von ihm ubersetzt¨ wer- den. Die S¨atze wurden nach unterschiedlichen grammatikalischen Kategorien ausge- w¨ahlt, die sich nach der bisherigen Lage der Forschung daran orientieren, welche Fehler Spanischlerner in unterschiedlichen Lernstadien typischerweise machen. Die- se letzte Aufgabe diente dazu, uber¨ die Sprachgewohnheiten und -kenntnisse hinaus, auch eine morphosyntaktische Analyse des Spanischen der bolivianischen Menno- niten vornehmen zu k¨onnen. Allerdings basiert die Analyse nicht ausschließlich auf den Ubersetzungen,¨ vielmehr wurden die Interviewaufnahmen ebenso ausgewertet.

6.5 Voraussetzungen fur¨ die Teilnahme am Interview

Alle Mennoniten, die an dem Interview teilgenommen haben, wurden in Lateiname- rika geboren und leben, mit Ausnahme von zwei Personen, die als Kind aus Brasilien bzw. Uruguay zugezogen sind, in zweiter oder dritter Generation in Paraguay bzw. Bolivien. Sie sind auch alle in einem dieser beiden L¨ander aufgewachsen. Sowohl fur¨ die befragten paraguayischen als auch fur¨ die bolivianischen Mennoniten gilt, dass einige in den Großst¨adten Asunci´on bzw. Santa Cruz leben, andere wiederum in einer der mennonitischen Kolonien. Die jungste¨ Teilnehmerin war zum Zeitpunkt des Interviews 18 Jahre alt, der Alteste¨ war in seinem 58. Lebensjahr. Ziel war es, dass alle Teilnehmer zwar das Er- wachsenenalter erreicht haben, daruber¨ hinaus war die Zugeh¨origkeit zu verschiede- nen Alterstufen jedoch erwunscht,¨ um einen Einblick darin zu gewinnen, ob sich das Sprachverhalten bzw. die Sprachgewohnheiten in einem Wandel befinden. Besonders interessant an dieser Stelle war es herauszustellen, ob die jungeren¨ Mennoniten fru-¨ her begonnen haben, die Landessprache zu erlernen als ihre ¨alteren Glaubensbruder.¨ Weiterhin relevant ist, ob sie die spanische Sprache mittlerweile h¨aufiger und ohne nennenswerte Probleme verwendeten. Nicht unwichtig erscheint auch einen Einblick darin zu bekommen, ob und wie sich der Sprachunterricht an den mennonitischen SchulenindenletztenJahrenver¨andert hat und ob mittlerweile evtl. mehr Wert auf das Erlernen der spanischen Sprache gelegt wird. Bei der Auswahl der Teilnehmer wurde daruber¨ hinaus Wert darauf gelegt, dass prinzipiell in der jeweiligen Altersstufe sowohl m¨annliche als auch weibliche Inter- viewte berucksichtigt¨ werden k¨onnen. Dies war organisatorisch jedoch nicht immer m¨oglich, so dass in einigen wenigen Ausnahmen die Altersgruppe nur durch Frauen

84 6.5 Voraussetzungen fur¨ die Teilnahme am Interview oder M¨anner vertreten wird. Eine bestimmte berufliche Zugeh¨origkeit der Befragten wurde nicht angestrebt. Alle M¨anner und auch die jungeren¨ Frauen gehen einem Beruf nach oder befinden sich in einer beruflichen Ausbildung. Die ¨alteren Teilnehmerinnen definieren sich in der Regel traditionell als Hausfrauen. Die paraguayischen Mennoniten, die an dem Leitfadeninterview teilnahmen, sind ausnahmslos alphabetisiert. Nicht alphabetisier- te Mennoniten gibt es in Paraguay nur noch unter den ¨alteren Koloniebewohnern sehr konservativer Gemeinden; diese sind in Paraguay die Ausnahme. Die boliviani- schen Mennoniten, die fur¨ diese Studie befragt wurden, sind grunds¨atzlich ebenfalls alphabetisiert; einigen f¨allt das flussige¨ Lesen jedoch schwer. Die soziale Zugeh¨origkeit der befragten Mennoniten variiert ebenfalls, wichtig war lediglich, dass sie sich alle als Teil einer mennonitischen Gemeinde sehen und ihren Glauben pflegen. Dieses Kriterium erfullen¨ alle Befragten. Die Zusammenstellung eines homogenen Korpus war aufgrund des begrenzten Zeitumfangs der Forschungs- reise und auch wegen der streckenweise problematischen Kontaktaufnahme mit den Mennoniten nicht zu verwirklichen. Alle Interviews erfolgten anhand des Interview- bogens. Es war jedoch nicht m¨oglich, allen Teilnehmern alle Fragen des vorbereiteten Bogens zu stellen, da dies die ¨außeren Umst¨ande nicht immer zuließen. Nicht alle Teilnehmer hatten ausreichend Zeit, um die Fragen in ihrer G¨anze zu beantwor- ten, bei anderen mussten einige Fragen von vornherein nicht gestellt werden, da sie zu den pers¨onlichen Lebensumst¨anden des Interviewten nicht passten (es ist z. B. eindeutig, dass es sinnlos ist, eine 18 j¨ahrige, unverheiratete Studentin danach zu fra- gen, in welcher Sprache sie mit ihrem Ehemann kommuniziert). Daruber¨ hinaus darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Teilnehmer uber¨ unterschiedliche Tem- peramente und Charaktere verfugten,¨ die ganz naturlich¨ dazu fuhrten,¨ dass einige ausfuhrlicher¨ auf die Fragen antworteten, w¨ahrend andere sich lieber kurzer¨ fassten. Daraus resultiert, dass die Dauer der Interviews jeweils sehr unterschiedlich ist; sie variiert zwischen acht und 31 Minuten. Die Interviews fanden an unterschiedlichen Orten statt, die im Folgenden n¨aher dargestellt werden.

85

7 Feldforschung in Paraguay

In der paraguayischen Hauptstadt Asunci´on wurden insgesamt 22 Interviews mit in Paraguay lebenden Mennoniten durchgefuhrt.¨ Der Lebensmittelpunkt der Mennoni- ten, die an der Untersuchung teilgenommen haben, variiert innerhalb des sudame-¨ rikanischen Landes. Einige von ihnen leben direkt in der Hauptstadt, andere in den verschiedenen Kolonien. Diejenigen, die in den Kolonien leben, haben jedoch einen regelm¨aßigen Kontakt nach Asunci´on und kommen h¨aufig in die Landeshauptstadt.

7.1 Die Intervieworte

Zehn der durchgefuhrten¨ Interviews fanden in einem Mennonitenheim in Asunci´on statt. Dabei handelt es sich um ein G¨astehaus, das von einem deutschsprachigen mennonitischen Ehepaar seit vielen Jahrzehnten gefuhrt¨ wird. Es geh¨ort der Asocia- ci´on de los menonitas en Paraguay, einem Zusammenschluss aus funf¨ mennonitischen Gemeinden. Drei dieser Gemeinden sind im Chaco angesiedelt, die anderen beiden direkt in Asunci´on.

7.1.1 Das mennonitische G¨astehaus in Asunci´on Das G¨astehaus befindet sich im Zentrum Asunci´ons und hat 42 Zimmer. Es ist m¨oglich, drei Mal t¨aglich dort zu speisen; serviert wird sehr traditionelle deutsch- russische Kuche¨ (da viele Mennonitenkolonien sehr lange in Russland angesiedelt waren, ist ihnen diese Kuche,¨ ebenso wie die deutsche, sehr vertraut). Drei der dort angestellten Damen sind Mennonitinnen und haben einen deutschsprachigen Hin- tergrund. Die anderen MitarbeiterInnen stammen aus Paraguay und sprechen aus- schließlich Spanisch. Die Tatsache, dass es viele Mitarbeiter gibt, die kein Deutsch sprechen, st¨oßt laut der Eigentumerin¨ des G¨astehauses unter den dort logierenden G¨asten immer wieder auf Missfallen. Sie bevorzugen Personal und Ansprechpartner, mit denen sie sich problemlos auf Deutsch unterhalten k¨onnen. Dies ist jedoch nicht zu gew¨ahrleisten, da sich nicht genugend¨ deutschsprachige Kr¨afte auf dem Arbeits- markt finden. Die in Paraguay lebenden Mennoniten gelten als vergleichsweise gut integriert und offen; dass sie viel Wert auf deutschsprachige Kommunikation legen, zeigt allerdings, wie sehr sie sich an ihrem Kulturkreis orientieren und welch hohen Stellenwert fur¨ sie ihre Muttersprache hat. Gelegentlich beziehen auch Mennoniten aus Europa in dem

87 7 Feldforschung in Paraguay

G¨astehaus Quartier; etwa um nach Paraguay ausgewanderte Freunde oder Bekannte zu treffen, oder es handelt sich um eine gemeinsam mit einer Gemeinde organisierte Reise. Eine europ¨aische Nicht-Mennonitin wie ich ist jedoch nur selten Gast dort. Auf die Existenz dieses G¨astehauses war ich von in Deutschland lebenden Mennoniten hingewiesen worden. Ich w¨ahlte diese M¨oglichkeit der Ubernachtung,¨ da es sich um einen Ort handelt, an dem t¨aglich sehr viele Mennoniten verkehren und es daher recht einfach ist, mit ihnen in Kontakt zu treten. Jegliche anf¨angliche Skepsis der dort verweilenden Mennoniten mir gegenuber¨ schien sich schnell zu legen, sobald sie feststellten, dass ich zwar nicht Plautdietsch, aber immerhin Hochdeutsch sprach und noch dazu aus Deutschland kam. Zwar wur- de ich zun¨achst eher interessiert be¨augt als direkt angesprochen, setzte ich mich jedoch an einen mit Mennoniten besetzten Tisch dazu, entstand regelm¨aßig ein leb- haftes Gespr¨ach uber¨ Deutschland, die Art und Weise wie dort gelebt wird und auch oftmals deutsche Technologie. Das Interesse war groß, viele waren schon einmal in Deutschland und freuten sich offenbar, jemanden von dort zu treffen. Andere waren nie dort gewesen, verbanden aber etwas mit dem Land und wurden¨ es gern einmal bereisen. Ihnen allen war jedoch gemeinsam, dass sie sich kaum vorstellen konn- ten, dass jemand so weit anreist, um ihre Sprachgewohnheiten wissenschaftlich zu untersuchen.

7.1.2 Die Iglesia Concordia Die restlichen acht Interviews, die in Paraguay entstanden sind, stammen aus den dort ans¨assigen Gemeinden und aus der direkt an die mennonitische Kirche an- grenzenden deutschsprachigen Schule Colegio Concordia. In Asunci´on haben die Mennoniten direkt im Zentrum der Stadt eine eigene Kirche. Diese wird von drei unterschiedlichen mennonitischen Gemeinden genutzt. Zwei dieser Gemeinden sind deutschsprachig und teilen sich ihre w¨ochentlichen Gottesdienste so auf, dass eine Gemeinde am Vormittag, die andere am Nachmittag in der Kirche ist. Jede Gemein- de hat ca. 380 Mitglieder. Die Gemeindemitglieder kennen sich untereinander gut und es gibt regelm¨aßig gemeinsame Veranstaltungen. Es gibt deshalb diese beiden Gemeinden, da sie den Gottesdienst zu unterschiedlichen Tageszeiten feiern. Da- durch wird erm¨oglicht, dass jeder, unabh¨angig von seinen Arbeitszeiten, an einem Gottesdienst teilnehmen kann. Die dritte Gemeinde wurde erst 2012 ins Leben geru- fen und h¨alt ihren Gottesdienst auf spanischer Sprache ab. Die Gemeindemitglieder sind spanischsprachige Paraguayer, die in der Regel durch Mischehen mit Mennoni- ten den Weg zum mennonitischen Glauben gefunden haben. Der spanischsprachige Gottesdienst findet einmal w¨ochentlich am Abend statt. Die deutschsprachigen Mennoniten in Asunci´on machen den Eindruck, stolz dar- auf zu sein, dass auch Paraguayer ihren Glauben zu teilen bereit sind und der spa- nischsprachige Gottesdienst offenbar gut angenommen wird. Dies zeigt auch, dass

88 7.1 Die Intervieworte die Mennoniten in Paraguays Hauptstadt dazu bereit sind, den spanischsprachigen Paraguayern einen Platz in ihrer Kirche zuzuweisen. In anderen sudamerikanischen¨ mennonitischen Gemeinden w¨are dies nicht denkbar. Allerdings ist die spanischspra- chige Gemeinde bei den oben erw¨ahnten gemeinsamen Veranstaltungen der anderen beiden Gemeinden nicht vertreten. Es ist auch niemand von den deutschsprachigen Mennoniten, mit denen ich gesprochen habe, jemals bei einem der spanischsprachi- gen Gottesdienste anwesend gewesen. Das Interesse daran scheint sich in Grenzen zu halten. Zwar ist es ihnen recht, dass Paraguayer sich fur¨ ihren Glauben interessieren - letztlich bleiben diese jedoch offenbar unter sich. Dieser Umstand der Isolation durfte¨ sich in ihren Spracheinstellungen sowie dem Sprachgebrauch der Mennoniten widerspiegeln. Direkt nach meiner Ankunft in Paraguay wurde ich von Mennoniten dazu eingeladen, an ihrem Gottesdienst teilzunehmen. Die Predigt des Gottesdiens- tes am Vormittag wurde von einem sehr jungen Theologen gehalten, der auch an der Befragung fur¨ diese wissenschaftliche Arbeit teilnahm. Daruber¨ hinaus zeichnete sich der Gottesdienst durch sehr viele musikalische Untermalungen und Einlagen aus, zu deren Zweck regelm¨aßig Musikgruppen eingeladen werden, die teilweise aus anderen sudamerikanischen¨ L¨andern oder sogar aus Kanada kommen. Die R¨aumlichkeiten sind denjenigen eines Gemeindesaals ¨ahnlich und sehr familien- bzw. kinderfreund- lich aufgebaut. Hinter dem Raum, in dem der Gottesdienst stattfindet, befinden sich zwei Zimmer, in denen Spielzeug ausliegt. An einer Außenwand ist jeweils ein Mo- nitor angebracht, uber¨ den die Predigt ubertragen¨ wird. So k¨onnen Eltern, deren Kinder noch zu klein sind, um w¨ahrend des Gottesdienstes leise und still zu sitzen, dort Zeit mit ihnen verbringen und dennoch die Predigt verfolgen. Es ist ublich,¨ G¨aste namentlich der Gemeinde vorzustellen. So wurde auch ich der Gemeinde w¨ahrend des Gottesdienstes durch den Prediger vorgestellt. Alle Ge- meindemitglieder waren mir gegenuber¨ sehr offen, interessiert und aufgeschlossen. Dadurch, dass ich ihre Sprache spreche und aus Deutschland komme, fiel der Zugang zu ihnen recht leicht. Dennoch waren bei weitem nicht alle bereit, ein Interview mit mir zu fuhren.¨ Die Scheu vor den konkreten Fragen, die ich stellen wollte, konnte ich ihnen schnell nehmen, indem ich ihnen den Fragebogen, den ich stets bei mir fuhr-¨ te, zeigte und wir offen uber¨ das, was ich gern fragen wollte, sprachen. Der Scheu meinem Aufnahmeger¨at gegenuber,¨ das ich w¨ahrend der Interviews laufen lassen musste, war jedoch nur sehr schwer zu begegnen. Einige sagten jedoch auch sofort uberzeugt¨ zu; dabei handelte es sich uberwiegend¨ um jungere¨ Gemeindemitglieder zwischen 20 und 35 Jahren. Die Interviews fanden in den Gemeinder¨aumlichkeiten statt.

7.1.3 Das Colegio Concordia Der dritte Ort, an dem die Interviews in Paraguay stattfanden, war die mennoni- tische Schule, die sich direkt neben der Kirche befindet und den Namen Colegio

89 7 Feldforschung in Paraguay

Concordia tr¨agt. Im Colegio Concordia werden SchulerInnen¨ von der Vorschule bis zum Abschluss, der dem Abitur ¨ahnlich ist, unterrichtet. Obwohl es sich um eine mennonitisch gepr¨agte Schule handelt, k¨onnen auch Paraguayer und Indigene dort- hin gehen, sofern sie das verh¨altnism¨aßig hohe Schulgeld aufbringen k¨onnen. Die verpflichtend zu zahlende Summe fuhrt¨ dazu, dass aktuell keine indigenen Kinder auf der Schule sind und nur sehr wenige Paraguayer. Voraussetzung ist außerdem, dass in jeder neu beginnenden Vorschulklasse mindestens 50% der Kinder aus ei- nem deutschsprachigen Elternhaus stammen. Schwierigkeiten, diese Verteilung zu gew¨ahrleisten, treten jedoch praktisch nie auf. In den ersten Unterrichtsjahren wird ausschließlich Deutsch gesprochen und diejenigen Kinder, die dieser Sprache zu Be- ginn nicht m¨achtig sind, mussen¨ sich diese durch den Kontakt mit den anderen Kindern und Lehrkr¨aften aneignen. In den folgenden Jahren nimmt das Deutsche zu Gunsten der spanischen Sprache allerdings im Unterricht immer weniger Raum ein. Ab der siebten Klasse werden alle Kernf¨acher auf Spanisch unterrichtet und Deutsch ist lediglich noch ein Unterrichtsfach. Ebenfalls ab der siebten Klasse ist Englischunterricht fur¨ alle SchulerInnen¨ verpflichtend. Ab der neunten Klasse ist es auf freiwilliger Basis m¨oglich, Unterricht in Guaran´ızuerhalten.DieseM¨oglichkeit besteht seit einigen Jahren und erfreut sich eines wachsenden Interesses. Plautdietsch wird an der Schule nicht unterrichtet, es wird vielmehr als eine private Sprache in- nerhalb der Familie angesehen. Die Lehrkr¨afte im Vorschulbereich sind ausschließlich mennonitischen Glaubens und ihre Muttersprache ist Deutsch. Diejenigen, die in den h¨oheren Klassen unter- richten, sind zum Teil mennonitisch, viele von ihnen sind jedoch auch Paraguayer, die lediglich Spanisch sprechen. Einige stammen auch aus den USA und fuhlen¨ sich mit der englischen Sprache am wohlsten. Der mennonitische Schulleiter, der in Sud-¨ amerika geboren wurde und Vorfahren aus Russland hat, nahm sich viel Zeit fur¨ mich w¨ahrend meines Besuchs und zeigte mir die Schule ausfuhrlich.¨ Er ist einer der offeneren Mennoniten und wich daher keiner meiner Fragen aus. Wie nach meinen bisherigen Beobachtungen nicht unbedingt zu erwarten war, ist der Eindruck des Schulleiters, dass es immer schwieriger wird, den Eltern und den SchulerInnen¨ die Bedeutung und den Nutzen der deutschen Sprache n¨aher bringen zu k¨onnen. Ob- wohl fast alle Kinder der Schule aus einem deutschsprachigen Elternhaus stammen, haben Englisch und Spanisch fur¨ die meisten von ihnen einen h¨oheren Stellenwert. Es kommt mittlerweile nicht selten vor, dass die Politik der Schule, die ersten Jahre der Schulbildung die deutsche Sprache in den Vordergrund zu stellen, infrage gestellt wird. Zwar ist der Erhalt der deutschen Sprache den meisten Familien nach wie vor wichtig, sie wird jedoch zunehmend zu einer Sprache, die nur noch in den eigenen vier W¨anden gepflegt wird. Dem Schulleiter des Colegio Concordia zufolge nimmt das Interesse fur¨ Spanisch als Landessprache in Paraguay dafur¨ stetig zu; ebenso fur¨ Englisch, das vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht als sehr bedeutend erachtet wird. Die Schule hat drei Partnerschulen, mit denen regelm¨aßig ein funfmonatiger¨ Schuler-¨

90 7.1 Die Intervieworte austausch stattfinden soll. Die Partnerschulen befinden sich in den USA, Kanada und Deutschland. W¨ahrend sich die Austauschm¨oglichkeiten mit den USA und Kanada großer Beliebtheit erfreuen und es regelm¨aßig mehr Bewerber auf der paraguayischen Seite gibt als die Schule Pl¨atze vergeben kann, gibt es immer weniger interessierte SchulerInnen,¨ die einige Monate in Deutschland verbringen m¨ochten. Der Schulleiter selbst bedauert diesen Umstand sehr, denn seiner Meinung nach ist gerade der Austausch mit Deutschland aus der Sicht der paraguayischen Menno- niten sehr sinnvoll, zum eines deswegen, weil Deutsch Teil des kulturellen Erbes ist; schließlich ist es die Muttersprache der Mennoniten, aber auch, weil Mennoniten, die eine Weile in Deutschland lebten, das technologische und wirtschaftliche Wissen, das in Deutschland existiert, erlernen und in Paraguay anschließend nutzbringend einsetzen k¨onnen. Wie im ersten Kapitel bereits anklang und vom Schulleiter mehr- fach betont wird, sind Mennoniten den Paraguayern in landwirtschaftlicher Hinsicht deswegen uberlegen,¨ weil sie vorausschauend planen und handeln. Mennoniten sind gut darin geworden, soviel Ertrag wie m¨oglich auf wenigen Hektar Land einzuholen und die so gewonnenen Rohprodukte so effizient wie m¨oglich haltbar zu machen. Diese Handlungsweise, so der Schulleiter, ist den Paraguayern fern; fur¨ sie z¨ahlt der gegenw¨artige Gewinn. Das vorausschauende Denken hat die Mennoniten erfolgreich werden lassen und dies ist seiner Einsch¨atzung nach nicht zuletzt auf F¨ahigkeiten und Sachverstand zuruckzuf¨ uhren,¨ die aus dem westlichen Europa stammen. Vor allem in den unteren Klassen unterrichten an dem Colegio einige deutschsprachige Mennoniten, die auch zumeist in Paraguay studiert haben. Um welche Lehrkr¨afte es sich dabei handelte und um welche Uhrzeit sie an der Schule sein wurden,¨ war ohne Schwierigkeiten uber¨ den bei der Schulsekret¨arin ausliegenden Dienstplan ersichtlich. Alle angesprochenen Lehrkr¨afte entschlossen sich spontan und direkt zur Teilnahme am Leitfadeninterview. Die Schule stellte die R¨aumlichkeit dafur¨ zur Verfugung.¨

Die Struktur des Colegio

Um einordnen zu k¨onnen, ob und wie weit sich das Colegio Concordia von ande- ren Schulen Paraguays unterscheidet, folgt an dieser Stelle eine kurze Darstellung des paraguayischen Schulsystems. In der Literatur zum Schulsystem in Paraguay wird regelm¨aßig auf die Stellung der nicht-spanischsprachigen Bev¨olkerung verwie- sen, vornehmlich auf diejenigen, die innerhalb der Familie Guaran´ı sprechen. Dies ist schließlich die zweite offizielle Sprache in Paraguay, spielt jedoch bei weitem nicht die bedeutende Rolle in der Schule wie das Spanische. Vieles, das auf guaran´ısprachige Kinder zutrifft, kann ebenso problematisch fur¨ deutsch- oder brasilianischsprachige Kinder in Paraguay werden.

91 7 Feldforschung in Paraguay

Das paraguayische Schulsystem

Der Unterricht in paraguayischen Schulen findet beinahe ausschließlich in spanischer Sprache statt. Dies war in den 1850er Jahren, nach der Unabh¨angigkeitserkl¨arung Paraguays, von der wohlhabenden Schicht beschlossen und durchgesetzt worden. Der Unterricht findet in spanischer Sprache statt, obwohl viele Kinder in monolingualen Guaran´ı-Familien aufwachsen (Gynan 2007: 234). Dies trifft vor allem auf diejenigen Kinder zu, die außerhalb von gr¨oßeren St¨adten auf dem Land aufwachsen; dort gibt es deutlich mehr monolinguale Familien als im urbanen Bereich (ebd.). Zu den Kin- dern, die in monolingualen Haushalten aufwachsen, gibt es auch noch jene, die zwar grunds¨atzliche Kenntnisse des Spanischen haben, sei es, weil innerhalb der Familie gelegentlich Spanisch gesprochen wird, oder weil sie es auf der Straße geh¨ort haben. Aber viele dieser Kinder sprechen dennoch ausschließlich Guaran´ısogut,dasssie dem Unterricht in dieser Sprache problemlos folgen k¨onnten; ihr Spanisch hingegen ist nicht ausreichend, als dass eine reibungslose Verst¨andigung in der Schule m¨oglich w¨are (ebd.). Die mangelnden Sprachkenntnisse der SchulerInnen¨ im Spanischen, die g¨anzlich oder uberwiegend¨ Guaran´ı innerhalb der Familie sprechen, fuhren¨ zu vielen Fehlzeiten dieser Kinder in der Schule als auch h¨aufig zum vorzeitigen Schulabbruch (ebd.: 234). Von der paraguayischen Regierung wird der Umstand, dass den guaran´ı- sprachigen Kindern in der Schule nicht ausreichend Rechnung getragen wird, bisher wenig Beachtung geschenkt und es gibt aktuell keine umsetzbaren L¨osungsans¨atze, obwohl sich Paraguay offiziell als bilingualer Staat versteht und Guaran´ıeineder Amtssprachen ist. Zwar gab es bereits Mitte der 1990er Jahre kleinere Projekte, die den Spracherwerb des Spanischen bei Kindern aus monolingualen Guaran´ı-Familien f¨ordern sollten, sie erreichten aber nur etwa 8% der Zielgruppe, so dass auch der statistische Ruckgang¨ der Schulabbrecherquote minimal war (ebd.: 236). Hinzu kommt, dass spanischsprachige Kinder nicht selten in den Schulen bevor- zugt behandelt werden: zum einen deshalb, weil ihre Eltern in der Regel ein h¨o- heres Einkommen haben und damit auch die Schulen besser unterstutzen¨ k¨onnen als guaran´ısprachige Eltern, und zum anderen deshalb, weil sie aufgrund des h¨aufig vorkommenden Analphabetismus unter Guaran´ısprechern geringere Schwierigkeiten haben, sich im Schulgeschehen einzubringen (ebd.: 240). An den weiterfuhrenden¨ Schulen ist Guaran´ı jedoch ein obligatorisches Unter- richtsfach (ebd.: 241). Das Erlernen von Guaran´ı ist von der paraguayischen Re- gierung ausdrucklich¨ erwunscht,¨ es ist jedoch in der Regel keine Unterrichtssprache (Choi 1998: 45). Gem¨aß Choi steht im Guaran´ıunterricht im Vordergrund, dass die SchulerInnen¨ lernen sollen, sich mundlich¨ in Guaran´ı zu verst¨andigen, die Schrift- sprache erlernen sie jedoch nicht und auch Literatur in Guaran´ı steht nicht auf dem Lehrplan (ebd.). Die Situation, dass an den Schulen nur Spanisch gesprochen wird, ist sicherlich nicht nur fur¨ Guaran´ısprecher ein Problem, sondern auch fur¨ andere Minderheiten,

92 7.1 Die Intervieworte die z.B. Portugiesisch oder eben Deutsch sprechen und dennoch einen paraguay- ischen Pass haben. Es gibt nicht, wie beispielsweise in Deutschland ublich,¨ Integra- tionsklassen oder Sprachkurse fur¨ Kinder. SchulerInnen,¨ die kein Spanisch zu Hause sprechen, haben wenig M¨oglichkeiten, die Sprache rechtzeitig vor dem Schuleintritt oder w¨ahrend der Schule zu erlernen. Daher w¨areeswohlauchfur¨ Mennoniten ein Problem, wenn sie auf paraguayische Schulen gingen, da sie praktisch kein Spanisch innerhalb der Familien sprechen. Insofern sind die mennonitischen Schulen, die bilin- gualen Unterricht in Deutsch und Spanisch anbieten, ganz offensichtlich ein großes Privileg. Die SchulerInnen¨ des Colegio Concordia lernen zwar Spanisch, so wie es das paraguayische Schulsystem verlangt, mussen¨ diese Sprachkenntnisse jedoch nicht schon bei der Einschulung haben. Außerdem bietet das Colegio Guaran´ı an, so wie es das paraguayische Schulgesetz vorschreibt. Und offenbar ist auch fur¨ die Mennoniten in Asunci´on der Mehrwert erkennbar, den sie durch das Erlernen einer indigenen Sprache erlangen, die eine der offiziellen Idiome des Landes ist, in dem sie wohnen. Dies wird dadurch ersichtlich, dass vermehrt SchulerInnen¨ das Angebot annehmen, Guaran´ı zu lernen. In Bezug auf die mennonitischen Schulen in Paraguay ist anzumerken, dass seit den 1960er Jahren eine Tendenz dazu existiert, dass sich die Schulen dem Erlernen des Spanischen ¨offnen (Gehrmann 2000: 104). War dies vorher undenkbar und die Schulen der Wiedert¨aufer g¨anzlich auf die deutsche Sprache konzentriert, so wur- de ab 1967 die Lehrerausbildung der Mennoniten dahingehend erweitert, dass ihre Abschlusse¨ staatlich anerkannt wurden und sie somit auch an nicht-mennonitischen Bildungseinrichtungen unterrichten k¨onnten. Um diese Entwicklung gew¨ahrleisten zu k¨onnen, besuchten verst¨arkt paraguayische Anabaptisten Universit¨aten in den USA, der Schweiz und Argentinien, um sich dort um- und weiterzubilden (ebd.: 104). Somit konnte bald nach nationalem Standard unterrichtet werden. Hinzu kommt, dass sich die paraguayischen Mennoniten seit den 1950er Jahren verst¨arkt um die Pflege der deutschen Sprache bemuhen¨ (Thiessen 2000: 13). Spra- chen sie vorher einen vom Hochdeutschen deutlich abweichenden Dialekt, setzten sie sich nun dafur¨ ein, nicht nur finanzielle, sondern auch Sach- und Materialf¨orderung aus Deutschland bekommen zu k¨onnen, um die Weiterentwicklung des Hochdeut- schen, dessen Beherrschung sie generell anstreben, verfolgen zu k¨onnen (ebd.). Fur¨ einige Zeit wurden auch Lehrkr¨afte aus Deutschland entsandt, um eine gute Unter- richtsqualit¨at gew¨ahrleisten zu k¨onnen. Auch wenn die Unterstutzung¨ der Bundesre- publik mittlerweile sehr gering ist, sind die paraguayischen Mennoniten noch immer sehr bemuht,¨ des Hochdeutschen m¨achtig zu sein (ebd.). Nicht zuletzt deswegen, weil sie sich zu einem großen Teil als deutschst¨ammig identifizieren und von deutschen Besuchern nicht allein aufgrund ihres Dialekts als andersartig oder gar minderwertig angesehen werden wollen (ebd.: 141). Durch die verbesserte Ausbildung der Lehrkr¨afte war ein sich stetig verbesserndes Angebot hinsichtlich der Unterrichtsf¨acher m¨oglich; dies wiederum verbesserte die

93 7 Feldforschung in Paraguay schulische Ausbildung der Mennoniten insgesamt und bewirkte rasch, dass sie nicht l¨anger g¨anzlich auf die Landwirtschaft konzentriert waren, sondern viele von ihnen andere Ausbildungswege anstrebten und sich somit das Spektrum der Berufe, die ergriffen werden konnten, erweiterte (Gehrmann 2000: 115). Die zeitgleiche Offnung¨ der Mennoniten in Paraguay den technischen Medien gegenuber¨ trug ebenfalls dazu bei, dass ein verst¨arkter Kontakt mit der spanischen Sprache entstand und sich im Zuge dessen die Kenntnisse des Spanischen erweiterten (ebd.: 110).

94 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

Im Folgenden werden Auswertungsergebnisse der Interviews aus Paraguay darge- stellt. Die Auswertung fand nach unterschiedlichen Kriterien statt. Zun¨achst wurden die pers¨onlichen Merkmale wie Alter und Geschlecht, beruflicher Hintergrund und die Herkunft der Interviewteilnehmer zusammengefasst. In einem weiteren Schritt wurden die rezeptiven und produktiven Sprachkompetenzen der Sprachen, die die befragten Mennoniten in unterschiedlicher Auspr¨agung sprechen, individuell unter- sucht und ausgewertet.

8.1 Auswertung nach Alter und Geschlecht

Zehn der insgesamt 17 Befragten aus Paraguay sind weiblichen Geschlechts, die ubrigen¨ sieben dementsprechend M¨anner. Zwei der weiblichen Teilnehmer sind unter zwanzig, jedoch vollj¨ahrig. Zwischen 20 und 29 Jahren sind neun der Befragten; davon sind funf¨ weiblich. Zwischen 30 und 40 sind lediglich zwei der Befragten, ein Mann und eine Frau. Die ubrigen¨ Personen sind zwischen 50 und 60 Jahre alt; es handelt sich um zwei M¨anner und zwei Frauen. Je junger¨ die teilnehmenden Mennoniten z.Zt. des Interviews waren, desto einfa- cher war es, sie fur¨ das Interview zu gewinnen. Die Jungeren¨ zeigten deutlich weniger Scheu vor dem Aufnahmeger¨at und der Situation an sich, befragt zu werden. Die Alteren¨ waren insgesamt zuruckhaltender.¨ Wenn sie sich jedoch einmal dazu bereit erkl¨art hatten teilzunehmen, zeigten sie sich insgesamt ¨ahnlich gespr¨achsbereit wie diejenigen, die junger¨ waren.

8.2 Auswertung nach beruflichem Hintergrund

Die beiden unter 20j¨ahrigen sind jeweils Studentinnen an einer Hochschule in Asun- ci´on, sind jedoch beide neben ihrer Ausbildung auch in kleineren bezahlten T¨atig- keiten angestellt, die eine in einem mennonitischen Umfeld, die andere arbeitet mit spanischsprachigen Kollegen zusammen. Von den Frauen, die zwischen 20 und 29 Jahre alt sind, ist eine nicht berufst¨atig und als Hausfrau und Mutter zu Hause. Sie ist die einzige in dieser Kategorie, die in einer Kolonie und sehr traditionell menno-

95 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay nitischlebt.DieanderendreiFrauensindberufst¨atig: Eine arbeitet im Sozialdienst einer Organisation, die Eltern fur¨ Weisenkinder vermittelt, die anderen sind Lehr- kr¨afte am Colegio Concordia. Die M¨annerdiesesAlterssindalleberufst¨atig: Einer ist Prediger in einer der Gemeinden in Asunci´on, die anderen drei sind wiederum Lehrer am Colegio. Zwei von ihnen sind Theologen, der dritte unterrichtet Mathematik. Die einzige Frau der Altersgruppe der 30 bis 40j¨ahrigen ist ebenfalls nicht berufs- t¨atig, hat jedoch Marketing in Paraguay studiert. Der einzige Mann dieser Gruppe ist Betriebswirt und arbeitet in einer Firma, in der mehrheitlich Mennoniten be- sch¨aftigt sind. Er spricht mit seinem Vorgesetzten ausschließlich Deutsch. Eine der Frauen der Altersgruppe 50 bis 60 ist gelernte Grundschullehrerin, jedoch seit uber¨ 20 Jahren nicht mehr berufst¨atig. Die andere hat keinen Beruf erlernt, ar- beitet aber als Hausdame in dem mennonitschen G¨astehaus in Asunci´on. Dort spricht sie auch uberwiegend¨ Deutsch bzw. Plautdietsch. Die M¨annerdieserAltersgruppe sind beide berufst¨atig. Der eine bezeichnet sich als selbstst¨andigen Kaufmann, der uberwiegend¨ mit mennonitischen Kunden in Kontakt ist, der andere ist wiederum Pastor einer deutschsprachigen Gemeinde. Abschließend ist zu dem beruflichen Hintergrund der Interviewteilnehmer festzu- stellen, dass praktisch alle uberwiegend¨ in mennonitisch dominanten Arbeitsfeldern t¨atig sind und mehrheitlich Deutsch an ihren Arbeitspl¨atzen sprechen. Eine der unter 20j¨ahrigen ist in dem mennonitischen G¨astehaus t¨atig, die ande- re ist Mitglied in einer der Gemeinden der Iglesia Concordia. Von denjenigen, die zwischen 20 und 29 Jahre alt waren, war eine junge Frau Gast in der mennoniti- schen Pension, zwei weitere sind Mitglieder einer der Kirchengemeinden und der Rest ist als Lehrkraft am Colegio Concordia t¨atig. Sie wurden jeweils an ihrem Ar- beitsplatz interviewt. Die beiden Teilnehmenden zwischen 30 und 40 Jahren sind ebenfalls Mitglied einer der Gemeinden der mennonitischen Kirche in Asunci´on. Die ¨alteren Befragten waren, abgesehen von einer weiblichen Interviewpartnerin, die als Hausdame in dem G¨astehaus t¨atig ist, G¨aste in selbigem.

8.3 Auswertung nach Herkunft

Von den insgesamt 17 Befragten aus Paraguay sind 15 auch in diesem lateinameri- kanischen Land geboren; eine der Befragten kam in Brasilien zur Welt, eine weitere in Montevideo, Uruguay. Von den 15 Personen, die in Paraguay geboren sind, ka- men zw¨olf in einer mennonitischen Kolonie in Paraguay zur Welt, die ubrigen¨ drei nannten Asunci´on als ihren Geburtsort. Die Eltern der beiden unter 20j¨ahrigen sind jeweils in dem selben sudamerikani-¨ schen Land geboren wie sie selbst. Die Großeltern einer der Teilnehmerinnen stam- men aus Russland, die Großeltern der anderen Befragten sind aus Deutschland. Die Eltern der Frauen in der Altersgruppe 20 bis 30 sind alle in einer Kolonie in

96 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen

Paraguay auf die Welt gekommen. Die Großeltern stammen bei dreien aus Russland, diejenigen der anderen beiden aus Kanada. Die Eltern der M¨anner dieser Altersgrup- pe stammen ebenfalls ausnahmslos aus Paraguay. Herkunftsl¨ander der Großeltern sind auch Russland und Kanada. Die Eltern der einzigen Teilnehmerin zwischen 30 und 40 Jahren kommen aus Uruguay, die Großeltern alle aus Polen. Die Eltern der M¨anner dieser Altersgruppe kamen aus Paraguay, die Großeltern aus Kanada. Die Familie einer der Frauen der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren stammt aus Russland und Deutschland. Die andere Frau dieser Altersgruppe hat Eltern aus Kanada. Die M¨anner in dieser Gruppe haben beide Eltern aus Russland. Hier wird deutlich, dass die Generation der heute ca. 80j¨ahrigen aus Russland und teilweise aus Kanada eingewandert ist, da praktisch alle Vorfahren von dort haben. Eine der Frauen der unter 20j¨ahrigen hat lediglich einen Bruder, ist unverheiratet und hat keine Kinder. Die andere hat drei Geschwister, ist ebenfalls kinderlos und ledig. Die Frauen der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren haben zwischen zwei und sieben Geschwister. Zwei von ihnen sind verheiratet, eine ist bereits Mutter. Die anderen beiden sind ledig. Die M¨anner der selben Altersgruppe haben zwischen zwei und vier Geschwister. Zwei von ihnen sind verheiratet, die anderen beiden sind ledig. Alle sind kinderlos. Diejenigen, deren Eltern ihr Leben in einer Kolonie weit außerhalb der Hauptstadt gefuhrt¨ haben und immer noch fuhren,¨ haben tendenziell mehr Geschwister. Die einzige Frau der Altersgruppe der 30- bis 40j¨ahrigen hat drei Geschwister, das m¨annliche Pendant dieser Gruppe hat zwei Geschwister. Ihre Eltern leben in einer Kolonie, seine hingegen seit vielen Jahren in der Hauptstadt. Beide Teilnehmer dieser Altersgruppe sind verheiratet und haben jeweils drei Kinder. Eine der Frauen zwischen 50 und 60 Jahren hat lediglich zwei Geschwister, sie ist verheiratet und hat vier T¨ochter. Die andere hat neun Geschwister, ist ledig und kinderlos. Bei den M¨annern derselben Altersgruppe sind es einmal zwei Geschwister. Einer ist verheiratet und hat selbst zwei Kinder. Der andere hat vier Geschwister, ist ebenfalls verheiratet und hat vier Kinder.

8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen

Alle in Asunci´on befragten Mennoniten haben unterschiedlich ausgepr¨agte Kennt- nisse in den Sprachen Hochdeutsch, Plautdietsch und Spanisch. Sie sch¨atzen selbst ihre Sprachkompetenzen sehr unterschiedlich ein.

8.4.1 Sprachkomptetenzen im Plautdietschen Eine der Frauen unter 20 Jahren (AL) spricht mit ihrer Familie uberwiegend¨ Hoch- deutsch und bezeichnet dies auch als ihre Muttersprache. Nach ihren Angaben wird das Hochdeutsche zu Hause jedoch h¨aufig stark mit dem Portugiesischen vermengt,

97 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay da ihre Familie aus Brasilien stammt. Die andere Frau dieser Altersgruppe (VA) spricht wiederum zu Hause Plautdietsch, so dass dies die Sprache ist, die ihr am leichtesten f¨allt. Eine der Frauen aus der Gruppe der 20- bis 30j¨ahrigen (MO) ist zu Hause in einer Kolonie in Westparaguay uberwiegend¨ mit Plautdietsch aufgewachsen und bezeich- net dies als ihre Muttersprache. Heute spricht sie jedoch uberwiegend¨ Hochdeutsch mit ihrem Mann und ihren Kindern. Zwei weitere Teilnehmerinnen dieser Gruppe sprechen zu Hause Hochdeutsch mit ihren Familien, beide sind direkt in der paragu- ayischen Hauptstadt aufgewachsen. Sie k¨onnen Plautdietsch verstehen, sprechen es jedoch nicht. Sie halten diese Sprache nach eigenen Angaben fur¨ ein traditionelles Gut, das heute praktisch keine Bedeutung mehr fur¨ den Alltag hat. Eine weitere Interviewpartnerin, die ebenfalls in Westparaguay aufgewachsen ist, spricht Plaut- dietsch innerhalb der Familie, Hochdeutsch f¨allt ihr vergleichsweise schwer. Von den M¨annern dieser Altersgruppe sprechen drei mit ihren Familien Hoch- deutsch, alle drei Familien haben ihren Lebensmittelpunkt in Asunci´on. Der vierte spricht zu Hause uberwiegend¨ Plautdietsch, seine Familie h¨alt sich in einer Kolonie in Westparaguay auf. In der Familie der teilnehmenden Frau in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jah- ren (EL) wird haupts¨achlich Hochdeutsch gesprochen, gelegentlich allerdings auch Spanisch. Sie legt jedoch Wert darauf, dass sie mit ihren Kindern ausschließlich Hochdeutsch spricht, es sei denn, es kommen Leute hinzu, die kein Hochdeutsch verstehen. Der teilnehmende Mann der selben Altersgruppe (RY) sprach in seiner Kindheit innerhalb der Familie uberwiegend¨ Plautdietsch, so dass er sich auch sehr famili¨ar mit dieser Sprache fuhlt.¨ Mit seiner Frau spricht er jedoch kein Plautdietsch, mit seinen Kindern ebenso wenig. Sie sprechen untereinander nur noch Hochdeutsch, da dies die Sprache ist, die seiner Frau am gel¨aufigsten ist. Beide Frauen der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren haben fruher¨ mit ihren Eltern Plautdietsch gesprochen. Diejenige von beiden, die verheiratet ist und Kinder hat (ML), spricht auch heute noch mit ihrem Ehemann Plautdietsch, mit ihren Kinder bevorzugt sie jedoch Hochdeutsch und von Anfang an versuchte sie, diese mit dieser Sprache vertraut zu machen, da es ihr fur¨ ihre Kinder nutzlicher¨ erscheint, Hochdeutsch zu beherrschen als Plautdietsch. Einer der M¨anner dieser Altersgruppe sprach mit seinen Eltern uberwiegend¨ Plautdietsch und spricht dies auch heute noch viel mit seiner Ehefrau. Manchmal wechseln beide jedoch auch zum Hochdeutschen. Der andere Mann dieser Altersgruppe sprach mit seinen Eltern nur Hochdeutsch, diese wiederum sprachen aber untereinander Plautdietsch, haben die Sprache jedoch nicht an ihn weitergegeben. Heute spricht er mit seiner eigenen Familie ausschließlich Hochdeutsch. AL versteht Plautdietsch, sie nutzt diese Sprache jedoch wenig und gibt an sich ” an den Klang nie gew¨ohnen zu k¨onnen“. Sie versteht Plautdietsch jedoch gut, wenn ¨altere Mennoniten untereinander diese Sprache sprechen. Sie erlernte Plautdietsch

98 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen uber¨ den Kontakt mit ¨alteren G¨asten in dem mennonitischen G¨astehaus in Asun- ci´on, in der Schule oder in ihrer Familie hatte sie mit dieser Sprache praktisch keinen Kontakt. Da sie wenig in der Variet¨at des Niederdeutschen spricht, sch¨atzt sie ihren aktiven Wortschatz als eingeschr¨ankt ein. Sie h¨ort nur sehr selten Radiosendungen auf Plautdietsch, und zwar nur dann, wenn im mennonitischen Radio etwas Wich- tiges auf dieser Sprache berichtet wird. Dementsprechend hat Plautdietsch fur¨ sie selbst einen geringen Stellenwert. In der Kirche ihrer Gemeinde wird auch nicht auf Plautdietsch gepredigt, sondern nur auf Hochdeutsch oder auf Spanisch. Auch in ihrem Freundeskreis spielt Plautdietsch keine Rolle. VA unterscheidet sich in Bezug auf die Sprachkompetenz des Plautdietsch deut- lich. Plautdietsch spielt fur¨ sie eine bedeutende Rolle, da es in ihrer Familie gespro- chen wird und sie damit aufwuchs. Sowohl das Verstehen als auch das Sprechen der niederdeutschen Variet¨at f¨allt ihr leicht und VA hat daruber¨ hinaus auch einige Freunde, mit denen sie in dieser Sprache kommuniziert. Sie h¨ort gelegentlich Radio auf Plautdietsch, allerdings ist die Auswahl der Radiosendungen ihrer Meinung zu- folge fur¨ die plautdietsche Sprache sehr eingeschr¨ankt. Sie wurde¨ mehr Plautdietsch h¨oren, wenn es ein besseres Angebot g¨abe. Fur¨ eine der Frauen der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren (MO) ist Plaut- dietsch die erste Sprache und nach ihren Angaben auch die wichtigste, mit der es ihr am leichtesten f¨allt, sich zu verst¨andigen. In ihrer Kolonie in Westparaguay wird sehr viel Plautdietsch gesprochen und auch in der Kirche wird meistens in dieser Sprache gepredigt. Auch mit ihren Freunden in der Kolonie verwendet MO diese Sprache regelm¨aßig. Daher hat Plautdietsch einen sehr hohen Stellenwert fur¨ sie. Die Befragte h¨ort allerdings keine Radiosendungen in dieser Sprache und ebenso wenig in anderen Sprachen, MO nutzt das Radio generell nicht. Eine weitere der Frauen dieser Altersgruppe (FI), die in Asunci´on lebt und dort aufwuchs, versteht Plautdietsch ebenfalls sehr gut, da ihre Eltern es untereinander sprechen, mit ihr und ihren Geschwistern sprachen die Eltern allerdings immer Hoch- deutsch. Daher ist der aktive Wortschatz sehr gering und FI spricht Plautdietsch wedergernnochsehrh¨aufig. In der Gemeinde wird nur Hochdeutsch gepredigt. Sie hat Freunde, die des Plautdietschen m¨achtig sind, dennoch sprechen sie untereinan- der immer Hochdeutsch. Die Befragte h¨ort keine Radiosendungen auf Plautdietsch. Diese Sprache stellt in ihren Augen einen Teil der mennonitischen Kultur dar, fur¨ FI pers¨onlich hat sie jedoch keine Bedeutung. Eine weiter Teilnehmerin der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren (ES) wuchs ebenfalls in einer Kolonie in Westparaguay auf, zu Hause sprach sie jedoch nie Plaut- dietsch, sondern Hochdeutsch und Spanisch. ES lernte Plautdietsch von ¨alteren Fa- milienmitgliedern und im Dorf. Daruber¨ hinaus hatte die Befragte als Kind Freunde, mit denen sie beim Spielen auf der Straße Plautdietsch lernen konnte. Hin und wieder ist die Predigt in ihrer Kolonie auf Plautdietsch. FI h¨ort keine Radiosendungen in dieser Sprache. Insgesamt hat Plautdietsch fur¨ sie eine geringe praktische Bedeutung

99 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay und keinen besonders hohen Stellenwert. Auf eine weitere Befragte in dieser Altersgruppe (DO) treffen beinahe g¨anzlich die gleichen Umst¨ande zu: Zu Hause bei ihren Eltern spielte Plautdietsch keine Rolle, sie erlernte die Sprache von ¨alteren Koloniebewohnern und beim Spielen auf der Straße. DO spricht Plautdietsch nur in Ausnahmef¨allen und h¨ort auch keine Radiosendungen in dieser Sprache. Plautdietsch hat einen geringen Stellenwert fur¨ sie, wird jedoch unbedingt als Teil der mennonitischen Kultur empfunden. Eine dritte Teilnehmerin (PE), aus einer Kolonie in Westparaguay stammend, wuchs wiederum mit Plautdietsch als Muttersprache auf und spricht diese Sprache auch heute noch uberwiegend¨ innerhalb der Familie und mit anderen Bewohnern der Kolonie, wenn sie dort zu Besuch ist. Die Predigt in ihrer Gemeinde ist ebenfalls auf Plautdietsch und es ist ihr sehr wichtig, dass diese Sprache erhalten bleibt. Plautdietsch ist diejenige Sprache, die PE ihrer eigenen Einsch¨atzung zufolge am besten beherrscht und sie hat daher aus ihrer Sicht fur¨ die Mennoniten den h¨ochsten Stellenwert. Bei dem ersten Mann der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren (EG) spielt Plautdietsch nur eine untergeordnete Rolle. Er wuchs direkt in der Hauptstadt auf und innerhalb seiner Familie wurde nie Plautdietsch gesprochen. EG kann seiner eigenen Einsch¨atzung zufolge Plautdietsch aufgrund des Kontaktes mit einigen ¨al- teren Mennoniten aus den Kolonie einigermaßen verstehen, jedoch uberhaupt¨ nicht sprechen. Die Predigt in seiner Gemeinde ist ausschließlich auf Hochdeutsch. Der Be- fragte h¨alt Plautdietsch fur¨ keine sonderlich relevante Sprache mehr und die Variet¨at des Niederdeutschen hat dementsprechend einen niedrigen Stellenwert fur¨ ihn. Ein weiterer Befragter dieser Altersgruppe (MA) kam in Westparaguay zur Welt und in der Kolonie spielte Plautdietsch auch eine große Rolle, er verbrachte dort jedoch nur wenige Jahre und zog mit seiner Familie nach Asunci´on. Mit seinen El- tern sprach MA nie Plautdietsch, sondern immer Hochdeutsch. Heute verwendet er Plautdietsch nur noch, wenn er Kontakt mit ¨alteren Mennoniten aus den Ko- lonien hat. Innerhalb seiner Gemeinde wird ausschließlich Hochdeutsch gesprochen und auch im Kontakt mit seinen Freunden spielt Plautdietsch keine Rolle. Da MA Theologe ist, h¨alt er es dennoch fur¨ sehr wichtig, Plautdietsch in mennonitischen Kolonien als Teil des kulturellen Erbes zu erhalten. Diese Sprache hat auch einen hohen Stellenwert fur¨ ihn, weil sie diejenige der ersten mennonitischen Prediger ist. Ein dritter Teilnehmer der Gruppe zwischen 20 und 30 Jahren (DM) sprach inner- halb seiner Familie ebenfalls immer ausschließlich Hochdeutsch. Seine Eltern hatten allerdings immer viel Kontakt in den Kolonien Westparaguays und dort lernte er sehr fruh¨ auch Plautdietsch zu verstehen. Sprechen kann DM diese Sprache jedoch nicht. Seiner Meinung zufolge hat Plautdietsch nur noch in den Kolonien eine Be- deutung, in Asunci´on direkt sei es belanglos geworden. Er hat selbst auch keine Freunde, die in dieser Sprache bevorzugt kommunizieren und in seiner Gemeinde wird ausschließlich auf Hochdeutsch gepredigt. Der Befragte ist zwar grunds¨atzlich

100 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen der Meinung, dass Plautdietsch Teil des kulturellen Erbes der Mennoniten ist, diese Einstellung kommt ihm aber mittlerweile recht konservativ vor. Der letzte Befragte dieser Altersgruppe (CA) wuchs ebenfalls in einer Kolonie in Westparaguay auf. Sowohl innerhalb seiner Familie als auch bei den ubrigen¨ Bewoh- nern der Kolonie sei Plautdietsch immer die dominante Sprache gewesen. Auch heute noch spricht er diese Sprache uberwiegend¨ und die meisten seiner Freunde bevorzu- gen Plautdietsch zur Kommunikation. Hochdeutsch und Spanisch lernte CA erst viel sp¨ater und beides sind Fremdsprachen fur¨ ihn. Plautdietsch ist fur¨ ihn pers¨onlich die wichtigste Sprache. Bei dem m¨annlichen Teilnehmer der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren (RY) sind die Gegebenheiten etwas anders. Die Mutter ist keine Mennonitin und spricht nur Spanisch und Arabisch. Von ihr lernte der Befragte also von Anfang an die spa- nische Sprache. RY ist der einzige, der einen nicht-mennonitischen Elternteil hat. Mit seinem Vater sprach er immer Hochdeutsch. Mit Plautdietsch wuchs er eben- falls auf, da dies die Sprache vieler seiner Familienmitglieder, einschließlich seiner Großeltern, ist. Der Befragte spricht mittlerweile in der Familie noch immer hin und wieder Plautdietsch, jedoch ist es zugunsten von Spanisch und Hochdeutsch weniger geworden. In seiner Gemeinde wird auf Hochdeutsch gepredigt, RY k¨onnte sich je- doch auch damit arrangieren, wenn die Predigt gelegentlich auf Plautdietsch w¨are. Er h¨ort keine Radiosendungen auf Plautdietsch, da sich dies nicht fur¨ ihn anbie- tet. Grunds¨atzlich k¨onne RY sich aber durchaus vorstellen, dies zu tun. Nach seiner Meinung hat die niederdeutsche Variet¨at einen wichtigen Stellenwert, da sie Teil des mennonitischen Kulturerbes ist. Dennoch h¨alt er Hochdeutsch und Spanisch sowohl allgemein als auch speziell fur¨ die Mennoniten fur¨ die bedeutenderen Sprachen. Die Interviewpartnerin in der Altersgruppe der 30 bis 40j¨ahrigen (EL) kann le- diglich Plautdietsch verstehen. Dies lernte sie im Umgang mit ¨alteren Mennoniten, mit denen sie sowohl in Uruguay als auch in Paraguay in den Kolonien in Kontakt kam. Ihren aktiven Wortschatz des Plautdietschen sch¨atzt sie jedoch als gering ein und spricht diese Sprache praktisch nie. Die Predigt ihrer Gemeinde ist ebenfalls auf Hochdeutsch und eine Predigt auf Plautdietsch k¨onnte EL sich auch nur schwer vorstellen. Sie h¨ort keine Radiosendungen auf Plautdietsch und h¨atte daran auch kein Interesse. Theoretisch stuft sie Plautdietsch als bedeutendes Erbe der menno- nitischen Kultur ein, fur¨ EL selbst ist die Sprache dennoch von geringem Belang. Fur¨ die erste Befragte der Altersgruppe der 50-bis 60j¨ahrigen (ML) ist Plaut- dietsch wiederum die erste Sprache. Sie hat es als Kind zu Hause in einer Kolonie im Westen Paraguays ausschließlich gesprochen und auch heute spricht sie nur Plaut- dietsch mit ihrem Ehemann. Ihre Kinder allerdings bevorzugen Hochdeutsch. Plaut- dietsch ist fur¨ die Befragte demzufolge die Sprache, mit der sie sich am wohlsten fuhlt¨ und ML wechselt nur in das Hochdeutsche oder das Spanische, wenn sie sich mit jemandem unterh¨alt, der des Plautdietschen nicht m¨achtig ist. Seit ML vor einigen Jahren nach Asunci´on gezogen ist, ist sie Teil einer Gemeinde, in der die Predigt auf

101 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

Hochdeutsch ist. Vorher in der Kolonie war diese auf Plautdietsch. Sie h¨ort generell kein Radio, daher auch keine Sendungen auf Plautdietsch. Die Ursprache der Men- noniten ist ihr pers¨onlich wichtig, ML sieht jedoch nach eigenen Angaben, dass die jungere¨ Generation sich mehr dem Hochdeutschen und dem Spanischen zuwendet. Die andere Frau der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren (MR) bezeichnet Plautdietsch ebenfalls als Muttersprache, da dies die Sprache ist, die immer im Elternhaus gesprochen wurde. Auch heute noch spricht sie mit ihren Eltern und Ge- schwistern ausschließlich Plautdietsch. Es ist auch diejenige Sprache, mit der sie sich am wohlsten fuhlt¨ und die MR nach M¨oglichkeit uberwiegend¨ als Kommunikations- mittel nutzt. Obwohl sie seit Jahren in der Hauptstadt Paraguays lebt, verbringt die Befragte soviel Zeit wie m¨oglich bei ihrer Familie in der Kolonie. Nur dort nimmt MR am Gottesdienst teil, der in der Regel auf Plautdietsch, nur hin und wieder auf Hochdeutsch, ist. Sie hat nur wenig Gelegenheit Radio zu h¨oren, aber wenn es der Fall ist, nimmt MR mit allen Sprachen vorlieb. Da Plautdietsch die erste Sprache ist, mit der sie aufgewachsen ist, hat es fur¨ sie pers¨onlich eine hohen Stellenwert. Den- noch geht MR davon aus, dass es schon bald vom Hochdeutschen verdr¨angt werden wird. Der erste Mann der Befragung in der Altersgruppe der 50- bis 60j¨ahrigen (ED) sprachniePlautdietschzuHause,obwohlaucherineinerKolonieimWestenPara- guays aufwuchs. Stattdessen wurde zu Hause ausschließlich Hochdeutsch gesprochen und auch die Predigt in seiner Gemeinde in der Kolonie war praktisch immer Hoch- deutsch. Allerdings ist ED als Kaufmann t¨atig und hat beruflich viel mit anderen Mennoniten zu tun, die Plautdietsch bevorzugen. Von ihnen eignete er sich diese Sprache an und spricht sie mit ihnen, wenn die Umst¨ande dies erfordern. In seiner Gemeinde wird ausschließlich auf Hochdeutsch gepredigt. ED h¨ort gern Radio, nicht jedoch in Plautdietsch. Die niederdeutsche Variet¨at hat fur¨ ihn pers¨onlich keiner- lei Bedeutung und auch als kulturelles Erbe scheint ihm Plautdietsch mittlerweile vernachl¨assigbar, wichtiger sei es, Hochdeutsch und Spanisch zu beherrschen. Bei dem anderen Befragten (FE) sieht dies ganz anders aus. Er ist in einer an- deren Kolonie aufgewachsen und Plautdietsch war seine erste Sprache. FE lebte einige Zeit in Ecuador und in der dortigen mennonitischen Gemeinde wurde eben- falls ausschließlich Plautdietsch gesprochen. Auch heute noch ist es die erste Sprache innerhalb seiner Familie und auch diejenige, mit der er sich am sichersten und wohls- ten fuhlt.¨ Der Befragte ist selbst Pastor, h¨alt seine Predig jedoch in der Regel auf Hochdeutsch, da dies von der Gemeinde so gewunscht¨ ist. Hin und wieder predigt FE jedoch auch auf Plautdietsch. Er h¨ort gern Radio und wenn es sich anbietet, auch auf Plautdietsch. FE findet es fur¨ sich pers¨onlich und seine Familie wichtig, Plaut- dietsch zu erhalten, da es Teil seiner Kultur und Teil des geschichtlichen Erbes ist. Aber auch er sieht, dass es zugunsten von Hochdeutsch und Spanisch wahrscheinlich in wenigen Generationen verdr¨angt sein wird. FE bedauert dies jedoch nicht direkt, vielmehr ist es in seinen Augen eine zeitgerechte Entwicklung.

102 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen

Die Auswertung der Befragung unterstutzt¨ die Vermutung, dass die ¨alteren Men- noniten in Paraguay eine st¨arkere Bindung zum Plautdietschen haben als die Junge-¨ ren. Die meisten wuchsen mit dieser Sprache auf und zeigen eine sichere Sprachkom- petenz. Fur¨ die jungere¨ Generation ist Plautdietsch eher zu einer Sprache geworden, die noch von den Eltern oder Großeltern gesprochen wird. Fur¨ sie selbst hat es kei- ne große Relevanz mehr. Aber es ist auch an dieser Stelle zu unterstreichen, dass der Gebrauch und die Einstellung gegenuber¨ dem Plautdietschen vom Heimat- und Lebensort der Mennoniten abh¨angen. Diejenigen, die in den Kolonien auf dem Land leben, pflegen auch in der jungeren¨ Generation noch das Plautdietsche, die Junge-¨ ren hingegen, die in Asunci´on leben, haben bereits einen ausgepr¨agteren Bezug zum Spanischen. Der Großteil der Befragten h¨ort kein Radio; in den Kolonien vermutlich deswe- gen, weil es oft nicht verfugbar¨ ist. In Asunci´on ist sicherlich das Fernsehen beliebter. Manche der Interviewpartner zeigten aber auch generell kein Interesse an Informati- onsmedien - allerdings weniger aus religi¨osen, sondern eher aus pers¨onlichen Grun-¨ den. Andere wiederum wurden¨ gern vermehrt Radio h¨oren, jedoch gibt es keine oder kaum Sendungen auf Plautdietsch und Spanisch verstehen sie nicht ausreichend. In keiner Gemeinde wird auf Spanisch gepredigt. In der Regel ist der Gottesdienst in den gr¨oßeren Kolonien und in Asunci´on in Hochdeutsch. In anderen Kolonien ist er in der Regel in Plautdietsch. Allerdings ist das in erster Linie von dem Prediger ab- h¨angig; er kann w¨ahlen, ob der den Gottesdienst auf Hochdeutsch oder Plautdietsch feiern m¨ochte.

8.4.2 Sprachkompetenzen im Spanischen AL wurde in Brasilien geboren und verbrachte dort ihre ersten Lebensjahre. Sie wuchs zu Hause in einer Mischung zwischen Hochdeutsch und Portugiesisch auf. Spanisch lernte AL erst in der Schule und im Umgang mit anderen Kindern, nach- dem sie mit ihren Eltern nach Paraguay gezogen war. Nach ihrer Aussage f¨allt ihr Spanisch mittlerweile sehr leicht. AL betonte, dass ihr der weiche Klang“ des Spa- ” nischen gegenuber¨ dem Hochdeutschen und Plautdietschen sehr gut gefalle. Die Befragte liest gern Bucher,¨ uberwiegend¨ auf Hochdeutsch, weil die menno- nitische Bucherei¨ in Asunci´on, die sie frequentiert, fast ausschließlich hochdeutsche Bucher¨ fuhrt.¨ Sie bedauert dies, da ihr das Lesen auf Spanisch leichter f¨allt, die Or- thografie sei einfacher. Ebenso f¨allt ihr das Verfassen von privaten Aufzeichnungen auf Spanisch leichter. Dennoch schreibt AL oft in Hochdeutsch, wenn das, was sie schreiben m¨ochte, in einem deutschen Kontext steht. Das bedeutet, dass sie deut- sche Notizen macht, wenn sie vorher in Hochdeutsch uber¨ das Thema, uber¨ das sie schreibt, gesprochen hat. Ansonsten bevorzugt AL es, in Spanisch zu schreiben. VA lernte Spanisch in der Schule, hat jedoch kaum einen Bezug dazu gefunden und es nur selten außerhalb der Schule gesprochen. Sie bedauert ihre schwache Sprach-

103 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay kompetenz bzgl. des Spanischen und hat nun Sprachkurse an der Universit¨at belegt, um sich zu verbessern. Im Alltag spricht VA lediglich Plautdietsch und Hochdeutsch. Sieerachtetesalssehrwichtig,Spanischzulernenundliestmomentanvielindieser Sprache. Allerdings bevorzugt die Befragte Hochdeutsch, wenn sie ein privates Buch liest. In Plautdietsch wurde¨ VA auch gern lesen, hier ist das literarische Angebot jedoch gering. Der prim¨are Grund, warum sie besser Spanisch lernen m¨ochte, ist allerdings, dass sie sich dadurch bessere berufliche Aussichten erhofft. Die fur¨ VA wichtigste Sprache bleibt Plautdietsch. MO erlangte in der Schule Grundkenntnisse des Spanischen, und zwar im Chaco, in einer westparaguayischen Kolonie. Durch einige Reisen in die Landeshauptstadt und den dortigen Kontakt mit der spanischen Sprache hat sie den Eindruck, ih- re Kenntnisse h¨atten sich deutlich erweitert und verfestigt. Dennoch spricht MO Spanisch nur im Notfall und bedauert, dass sie vieles, das sie gern sagen wurde,¨ auf Spanisch nicht ausdrucken¨ kann, da ihr noch immer das notwendige Vokabu- lar dafur¨ fehlt. MO m¨ochte ihre Kenntnisse der Landessprache verbessern, um sich besser verst¨andigen zu k¨onnen. Die Befragte liest keine spanischen Bucher¨ oder Zeit- schriften, allerdings liest sie generell kaum. MO versucht, pers¨onliche Notizen nur in Hochdeutsch zu verfassen, spanische Orthografie vermeidet sie aus Unsicherheit weitgehend. Ihre Kinder verstehen noch kein Spanisch, MO und ihr Mann sprechen ausschließlich Hochdeutsch und Plautdietsch mit ihnen. Es ist der Interviewpartne- rin aber wichtig, dass die Kinder Spanisch in der Schule erlernen. Sie betont, dass sie es zwar bedauere, jedoch sei ihr Spanisch v¨ollig fremd“. ” FI wuchs in direkt Asunci´on auf. Sie lernte Spanisch in der mennonitischen Schule und kann nach eigenen Angaben sehr gut in dieser Sprache kommunizieren. Es ist jedoch niemals die erste Sprache ihrer Wahl; FI spricht nur dann Spanisch, wenn ihr Gegenuber¨ kein Hochdeutsch versteht. Sie arbeitet als Familienpflegerin, ihr Chef ist Mennonit und FI spricht mit ihm ebenfalls ausschließlich Hochdeutsch. Ledig- lich wenn eine der Familien, die sie betreut, kein Hochdeutsch versteht, wechselt FI in das Spanische. Allerdings handelt es sich prozentual um viele Familien, die aus- schließlich Spanisch sprechen, so dass diese Sprache durchaus eine bedeutende Rolle in ihrem Arbeitsalltag spielt. Die Befragte erachtet die romanische Sprache jedoch als sehr wichtig, denn sie lebe schließlich in einem Land, in dem sie eine der offiziel- len Landessprachen ist. FI betont in dem Interview jedoch auch, dass die Akzeptanz der Mennoniten gegenuber¨ ihres deutschen Akzents sehr wichtig sei, denn sie seien schließlich Immigranten mit deutschsprachigen Wurzeln. Die Befragte m¨ochte damit ausdrucken,¨ dass Mennoniten zur Verst¨andigung zwar des Spanischen m¨achtig sein sollten, sie jedoch ihren deutschen Akzent als Teil ihres Herkunftslandes pflegen soll- ten. FI liest kaum in Spanisch, sehr viel jedoch in Deutsch. Private Notizen verfasst sie auch in Deutsch, sollte es jedoch notwendig sein, Spanisch zu schreiben, bereitet ihr die Orthografie keine Muhe.¨ ES verbrachte in ihrer Kindheit viel Zeit in einer paraguayischen Kolonie und

104 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen sprach innerhalb der Kolonie uberwiegend¨ Hochdeutsch. Ihr Vater versuchte aller- dings, auch Spanisch mit ihr zu sprechen, soweit er es selbst vermochte. Nach ihrer Aussage konnte sie sich daher schon sehr fruh¨ gut in Spanisch verst¨andigen und sch¨atzt ihre Kompetenz in dieser Sprache als sehr hoch ein. ES liest viel, sowohl auf Hochdeutsch, als auch Englisch und Spanisch. Wenn sie die Wahl hat, greift ES jedoch am liebsten zu spanischer Literatur, da ihr die Orthografie dieser Sprache besonders leicht f¨allt. DO wuchs in einer Kolonie im Chaco auf. Sie lernte Spanisch in der Schule und verfestigte ihre Kenntnisse w¨ahrend des Studiums, fur¨ das DO nach Asunci´on ge- zogen ist. Sie ist Lehrerin und spricht nach ihren Angaben an ihrem Arbeitsplatz uberwiegend¨ Spanisch. Die Befragte bevorzugt als Kommunikationsmittel jedoch Hochdeutsch und nutzt diese Sprache, wann immer es m¨oglich ist. Hochdeutsch sei ihre Sprache des Herzens“. DO hat mittlerweile durch ihr Studium und ihre Arbeit ” einige spanischsprachige Freunde, mit denen sie in der romanischen Sprache kommu- niziert. Bucher¨ liest DO ausschließlich in Hochdeutsch, Nachrichten in der Zeitung oder im Internet jedoch auch in Spanisch. Private Notizen verfasst sie nur in Hoch- deutsch, die Orthografie f¨allt ihr deutlich leichter als diejenige des Spanischen. PE wuchs ebenfalls in einer westparaguayischen Kolonie auf. Sie ist Mathematik- lehrerin und studierte ebenfalls in Asunci´on. PE lernte Spanisch in der Schule der Kolonie, die sie besuchte. Ihre bevorzugte Sprache ist ebenfalls, wie sie nachdrucklich¨ betonte, Hochdeutsch. Auch diese Interviewteilnehmerin verwendet die spanische Sprache ausschließlich dann, wenn ihr Kommunikationspartner kein Hochdeutsch, oder zumindest Plautdietsch, versteht. PE hat an ihrem Arbeitsplatz in der Schule auch lieber und mehr Kontakt mit deutschsprachigen Kollegen. Ihr Freundeskreis besteht ebenfalls fast ausschließlich aus deutschsprachigen Mennoniten. Dennoch ist PE der Meinung, dass es ganz wichtig ist, dass sich Mennoniten gut in Spanisch verst¨andigen k¨onnen, da es eine der Landessprachen ist. Ihrer Ansicht zufolge mussen¨ Kinder so fruh¨ wie m¨oglich mit dieser Sprache vertraut gemacht werden. Obwohl die Befragte lieber Hochdeutsch als Spanisch spricht, f¨allt ihr die spanische Orthografie leichter als die deutsche und PE verfasst pers¨onliche Notizen aus diesem Grund vorzugsweise tats¨achlich in Spanisch. PE liest kaum Bucher,¨ lediglich Zeitungen, diese wiederum vorzugsweise auf Hochdeutsch. EG begann in der Schule im Alter von funf¨ Jahren, Spanisch zu lernen. Privat hat er uberwiegend¨ Kontakt mit Deutschsprachigen und bevorzugt das Hochdeutsche auch. Eine Diskussion, die im Zusammenhang mit seinem Studienfach, der Theolo- gie, gefuhrt¨ wird, f¨allt ihm in Spanisch jedoch leichter, weil EG in dieser Sprache studierte. Bucher¨ liest er nicht sehr viele, jedoch Zeitschriften und Artikel im Inter- net, beides uberwiegend¨ in Spanisch. Seine pers¨onlichen Notizen hingegen verfasst er lieber in Deutsch, wenn es sich allerdings wiederum um Notizen handelt, die im Zu- sammenhang mit seinem Beruf als Theologen stehen, verfasst EG diese in Spanisch. Ihm f¨allt die Orthografie beider Sprachen nicht sonderlich leicht. Der Befragte betont

105 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay jedoch auch, dass er Gespr¨ache und Diskussionen, die außerhalb eines theologischen Themas stehen, ungern in Spanisch fuhre,¨ da ihm schnell das passende Vokabular fehle, um sich angemessen auszudrucken.¨ Interessant ist, dass dieser Befragte, im Gegensatz zu einer der gleichaltrigen Frauen, der Meinung ist, Mennoniten in Sud-¨ amerika mussten¨ auf jeden Fall daran arbeiten, akzentfrei Spanisch zu sprechen. Dies seiwichtig,umakzeptiertzuwerden. MA lernte Spanisch ebenfalls in der Schule, in seiner Familie und seinem Umfeld wurde es nicht gesprochen. Auch er bevorzugt Hochdeutsch und beschr¨ankt die spanische Kommunikation auf diejenigen, die des Deutschen nicht m¨achtig sind. Jedoch ist auch er der Meinung, dass es ganz wichtig sei, der spanischen Sprache so gut wie m¨oglich m¨achtig zu sein, da Paraguay ein spanischsprachiges Land ist. MA liest kaum Bucher,¨ jedoch regelm¨aßig Zeitungen und Artikel im Internet, beides fast ausschließlich in Spanisch, allerdings deshalb, weil es in Deutsch wenig gibt, das ihn interessiert. Seine pers¨onlichen Notizen verfasst er sowohl in Spanisch als auch in Hochdeutsch, davon abh¨angend, in welcher Sprache MA vorher uber¨ das Thema gesprochen hat. Die Orthografie beider Sprachen bereitet ihm wenig Muhe,¨ einzig hinsichtlich der deutschen Pronomen ist er sich nicht immer sicher, welches das korrekte ist. DM lernte Spanisch auch zun¨achst in der Schule und verfestigte sp¨ater seine Kom- petenz im Studium und im Kontakt mit Spanischsprachigen. Da er mehr Kontakt zu Deutschsprachigen hat, spricht DM Hochdeutsch am meisten. Spanisch falle ihm nach seiner Aussage jedoch ebenso leicht, er bevorzuge keine Sprache bewusst. DM liestviel,sowohlinDeutschalsauchinSpanischundEnglisch;wennerdieWahl hat, bevorzugt er jedoch Spanisch, weil ihm die Orthografie leichter f¨allt. CA wuchs ebenfalls in Westparaguay auf und erwarb dort Grundkenntnisse des Spanischen in der Schule. Haupts¨achlicherwarberSpanischjedochimKontaktmit anderen. Auch dieser Interviewpartner verwendet die spanische Sprache praktisch nur dann, wenn sein Gegenuber¨ kein Hochdeutsch oder Plautdietsch versteht. CA liest kaum Bucher,¨ jedoch regelm¨aßig Zeitungen und Artikel im Internet, beides sowohl in Deutsch als auch in Spanisch. Seine pers¨onlichen Notizen verfasst er sowohl in Hochdeutsch als auch in Spanisch, auch CA macht dies von der Sprache abh¨angig, in der er das betreffende Thema vorher besprochen hat. Die Orthografie in beiden Sprachen macht ihm nach eigenen Angaben keinerlei Probleme. EL wurde in Montevideo geboren und hat die ersten Lebensjahre dort verbracht. Zu Hause versuchte der Vater, die spanische Sprache innerhalb der Familie zumindest gelegentlich zu nutzen. Die Mutter hingegen sprach ausschließlich Hochdeutsch. EL lernte im Spiel mit anderen Kindern auf der Straße und auch von Beginn der ersten Klasse an in der Schule Spanisch. Heute spricht sie in ihrer eigenen Familie sowohl Hochdeutsch als auch Spanisch, fuhlt¨ sich in der spanischen Sprache allerdings sogar noch wohler, da ihr in Hochdeutsch gelegentlich die Vokabeln fehlen, um sich ange- messen ausdrucken¨ zu k¨onnen. EL betonte, sie habe in Spanisch einfach momentan

106 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen mehr Ubung“,¨ da sie durch die Kontakte, die durch ihre Kinder entstanden seien, ” viel Spanisch spreche. Sie bedauert, dass ihre Kinder, je ¨alter sie werden, das Hoch- deutsche zunehmend schlechter annehmen und es bevorzugen, auch innerhalb der Familie nur noch Spanisch zu sprechen. Ihr sei es dennoch wichtig, Hochdeutsch als Teil des kulturellen Erbes auch weiterhin zu pflegen. Trotzdem ist EL der Meinung, dass es auch fur¨ Mennoniten in Sudamerika¨ sehr wichtig ist, Spanisch zu sprechen, um nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Außerdem mache die spa- nische Sprache den Kontakt zu Nicht-Mennoniten erst m¨oglich und dem durfe¨ man sich als Mennonit auf Dauer nicht verschließen. EL liest kaum in Deutsch, weder Bu-¨ cher noch Zeitungen. Aber auch in Spanisch liest sie nur einzelne Artikel im Internet. Pers¨onliche Notizen verfasst sie manchmal in Hochdeutsch, uberwiegend¨ jedoch in Spanisch, da ihr die Orthografie gel¨aufiger ist. RY wurde in der paraguayischen Hauptstadt geboren, seine Mutter ist jedoch eine arabischsprachige Nicht-Mennonitin. Bereits in seiner Kindheit wurde innerhalb der Familie neben Hochdeutsch und Arabisch Spanisch gesprochen. Dies war die ein- zige Sprache, die seine beiden Elternteile zumindest ansatzweise teilten. Sofern die Mutter nicht anwesend ist, wird jedoch fast ausschließlich Hochdeutsch gesprochen. Spanisch lernte der Interviewte daher uberwiegendzuHause,aberauchinderSchule¨ und im Kontakt mit anderen Spanischsprachigen. RY bezeichnet Spanisch als seine Muttersprache, betonte jedoch, dass er auch oft innerhalb eines Satzes sowohl Hoch- deutsch als auch Spanisch spreche, weil ihm bestimmte Termini nur in einer Sprache einfielen. Er liest kaum, h¨ort jedoch gern H¨orbucher¨ in Deutsch, gelegentlich auch in Spanisch. RY verfolgt auch deutsche Fußballspiele uber¨ das Internet. Seine per- s¨onlichen Kontakte sind uberwiegend¨ mit deutschsprachigen Mennoniten, an seinem Arbeitsplatz spricht er allerdings haupts¨achlich Spanisch. Seine pers¨onlichen Noti- zen verfasst RY fast ausschließlich in Spanisch, dies ist im gel¨aufiger, obwohl er die Orthografie als Alptraum“ bezeichnet. ” ML tituliert Plautdietsch als ihre Muttersprache und erwarb Kenntnisse des Hoch- deutschen in der Schule. Spanisch lernte sie im Kontakt mit Spanischsprachigen in Asunci´on, nachdem sie mit ihrer Familie aus der Kolonie in die Landeshauptstadt gezogen war. ML bezeichnet sich selbst als kontaktfreudig, so dass sie schnell Fort- schritte mit der spanischen Sprache gemacht hatte. Allerdings bleibt es fur¨ die Be- fragte eine Sprache, in der sie sich nur mit Muhe¨ verst¨andigen kann; oft fehle ihre das notwendige Vokabular. Dies ist ein Umstand, den ML bedauert und sie hofft, ihre Sprachkompetenz noch etwas verbessern zu k¨onnen. Im Vergleich mit Plautdietsch und Hochdeutsch spricht ML auch nur selten Spanisch, und zwar immer dann, wenn ihr Gegenuber¨ lediglich des Spanischen m¨achtig ist. Bezuglich¨ ihres Akzentes, der auf ihre Muttersprache hindeuten k¨onnte, macht sie sich keinerlei Gedanken. Der Akzent sei ihr, im Gegensatz zu vielen anderen Personen, die sie kenne, nicht wichtig. ML liest viel auf Deutsch, jedoch nur sehr selten spanische Literatur. Zeitungsartikel und Nachrichten verfolgt sie im Internet fast ausschließlich in Deutsch. Ihre pers¨onlichen

107 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

Notizen sind ebenfalls uberwiegend¨ in Hochdeutsch. Die spanische Orthografie lernte ML nie und wendet sie daher auch nur sehr selten und ungern an. MR lernte Spanisch ebenfalls nur, wie sie sagt, auf der Straße“, im Kontakt ” mit Spanischsprachigen. Dies fand wie bei der anderen Befragten ihrer Altersgrup- pe in Asunci´on statt, nachdem sie von der Kolonie dorthin gezogen war. In der Kolonie selbst, in der MR aufwuchs, wurde ausschließlich Plautdietsch gesprochen und Hochdeutsch in der Schule gelernt. Sie spricht gern Spanisch, um die Sprache zu ubenundsichverbessernzuk¨ ¨onnen. Sie liest ebenfalls gern, zwar uberwiegend¨ in Deutsch, gelegentlich jedoch auch in Spanisch. Interessanterweise verfasst MR pers¨onliche Notizen seit einiger Zeit uberwiegend¨ in Spanisch. Sie lernte die Or- thografie nie professionell, schreibt jedoch einfach nach Geh¨or. An dieser Stelle darf nicht unerw¨ahnt bleiben, dass diese Teilnehmerin keinerlei Berufsausbildung hat und nur wenige Jahre die Schule besuchen konnte. Dies steht im Gegensatz zu der an- deren Befragten derselben Altersgruppe, die ein Studium zur Lehramtsbef¨ahigung abgeschlossen hat. Es muss daher angenommen werden, dass die Mennonitin ohne Schulabschluss generell gr¨oßere Schwierigkeiten in Bezug auf rezeptive F¨ahigkeiten hat. ED lernte, wie seine weiblichen Pendants, Spanisch in Asunci´on im Kontakt mit Spanischsprachigen. Zwar wurde es in der Kolonie, in der er zur Schule gegangen ist, angeboten, der Spanischunterricht war jedoch freiwillig und der Interviewteilnehmer nahm nicht an diesem Unterricht teil. Mittlerweile spricht ED jedoch regelm¨aßig Spanisch, da sein Arbeitsplatz dies erfordere. Er ist Kaufmann und hat fast aus- schließlich beruflichen Kontakt mit Paraguayern, die lediglich Spanisch sprechen. DurchdiesenpermanentenGebrauchfuhlt¨ ED sich in der spanischen Sprache mitt- lerweile sehr sicher und sch¨atzt seine Sprachkompetenz als gut ein. Zwar spricht er noch immer nur dann Spanisch, wenn sein Gegenuber¨ kein Plautdietsch oder Hoch- deutsch versteht, kann sich nach seinem eigenen Empfinden aber gut im Spanischen ausdrucken,¨ wenn die Situation dies erfordert. ED h¨alt es, wie auch FI, fur¨ wichtig, den deutschen Akzent bewusst zu pflegen, da dies Teil der mennonitischen Kultur sei. Hier wird deutlich, dass kein Interesse besteht, sich g¨anzlich zu integrieren, son- dern dass es, zumindest einigen, Mennoniten sehr wichtig ist, Herkunftsmerkmale zu pflegen. Seine pers¨onlichen Notizen sind uberwiegend¨ in Hochdeutsch; wenn ED jedoch etwas aufschreibt, das einen beruflichen Hintergrund hat, schreibt er mittler- weile meist in Spanisch. Inzwischen f¨allt ihm das beinahe leichter als die deutsche Orthografie, obwohl er die spanische offiziell nie lernte. Insgesamt liest er wenig, nur mennonitische Zeitschriften in Hochdeutsch und hin und wieder Artikel, die fur¨ seine Arbeit wichtig sind. Letztere sind dann manchmal auch in Spanisch. FE wuchs ebenfalls in einer Kolonie in Westparaguay auf und lernte Spanisch in der weiterfuhrenden¨ Schule. Seit er nach Asunci´on zog, hat FE sehr viel Kontakt mit Spanischsprachigen und hat daher viel Gelegenheit, seine Sprachkompetenz zu ver- bessern, die er als gut einsch¨atzt. Seine Frau spricht kein Spanisch und somit wird

108 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen es innerhalb der Familie nicht gesprochen. Spanisch ist auch fur¨ ihn lediglich ein Kommunikationsmittel, wenn sein Gegenuber¨ kein Plautdietsch oder Hochdeutsch versteht. FE liest wenig und nutzt statt dessen eher das Radio oder auch das Fernse- hen. Seine Notizen verfasst er uberwiegend¨ in Deutsch, allerdings gibt es Ausnahmen, wenn die Situation es erfordert. Zusammenfassend l¨asst sich in Bezug auf die Sprachkompetenz der Mennoniten im Spanischen resumieren,¨ dass diese offenbar in erster Linie altersabh¨angig ist. Die ¨alterenBefragtenab50JahrenlerntennochkeinSpanischinderSchuleundpflegen auch wenig privaten Kontakt mit Spanischsprachigen. Sie erwarben ihre Sprach- kenntnisse uberwiegend¨ durch beruflichen Kontakt. Mennoniten, die keinem Beruf nachgehen oder eine T¨atigkeit haben, die haupts¨achlich im mennonitischen Um- feld statt findet, sprechen kaum Spanisch. Private Notizen werden in der Regel in Hochdeutsch verfasst, da den Betroffenen die Orthografie gel¨aufiger ist. Ausnah- men bestehen offenbar wiederum im beruflichen Bereich, der bei einigen spanische Notizen zumindest gelegentlich erfordert. Die Jungeren¨ unter 40 Jahren haben uberwiegend¨ zumindest Grundkenntnisse des Spanischen erworben, sowohl jene Mennoniten in der Hauptstadt Paraguays als auch diejenigen, die in den Kolonien leben. Die Mennoniten in Asunci´on haben, wie zu erwarten, mehr Kontakt zu Spanischsprechern und sch¨atzen ihre Sprach- kompetenz h¨oher ein als diejenigen, die nach wie vor in einer Kolonie leben. Hinzu kommt, dass ein Ausbildungsweg in den paraguayischen Schulen und Universit¨aten zweifelsohne die Sprachkompetenz des Spanischen erheblich unterstutzt,¨ so dass die- jenigen, die in Asunci´on studierten, ihre Sprachkenntnisse als sehr gut einsch¨atzen. Sie verfassen private Notizen auch vermehrt in Spanisch, obgleich eine entscheidende Mehrheit immer noch Hochdeutsch vorzieht. Es gibt niemanden, der ausschließlich Spanisch innerhalb der Familie spricht. Die meisten sprechen Plautdietsch und/oder Hochdeutsch, manche sprechen gelegentlich zu Hause Spanisch, wenn es ein Fami- lienmitglied gibt, das kein Deutsch versteht. Ihnen allen liegt Hochdeutsch bzw. Plautdietsch am Herzen und es ist ihnen wichtig, diese Sprachen zu pflegen. Spa- nisch scheint hingegen nur ein Kommunikationsmittel zu sein, dessen Beherrschung die spanischsprachige Umgebung erforderlich macht.

8.4.3 Sprachkompetenzen im Hochdeutschen AL wuchs mit den Sprachen Hochdeutsch und Portugiesisch auf; beide werden in- nerhalb der Familie gesprochen. Die Interviewte kann jedoch nicht sagen, welche der beiden mehr gesprochen werden, dies h¨ange prinzipiell vom Thema ab. Sie sch¨atzt ihre Sprachkompetenz im Portugiesischen als sehr hoch ein, bevorzugt jedoch Hoch- deutsch, wenn sie die Wahl hat. Hochdeutsch ist fur¨ sie diejenige Sprache, in der sie sich am besten ausdrucken¨ kann. In der Kolonie, in der sie aufwuchs, wird ge- nerell uberwiegend¨ Hochdeutsch gesprochen. Da diese Interviewpartnerin Spanisch

109 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay bereits in der Schule lernte, hat AL auch in dieser Sprache eine sehr hohe Kompe- tenz. Dennoch ist Hochdeutsch fur¨ die Befragte diejenige Sprache, in der sie denkt und betet. VA spricht innerhalb der Familie Plautdietsch und lernte Hochdeutsch in der Vor- schule als erste Fremdsprache. Plautdietsch ist ihre Muttersprache und sie sch¨atzt ihre Sprachkompetenz in der niederdeutschen Variet¨at am h¨ochsten ein. Dadurch, dass in der Schule jedoch zumindest in den ersten Jahren uberwiegend¨ Hochdeutsch gesprochen wurde, beurteilt VA ihre Sprachkompetenz in dieser Sprache mittlerweile auch als gut. Sie hat keinerlei Probleme, in Hochdeutsch zu lesen oder Sendungen im Radio zu verfolgen. Obwohl VA Plautdietsch als ihre Muttersprache bezeichnet, mit der sie sich am st¨arksten verbunden fuhlt,¨ denkt und tr¨aumt sie h¨aufig in Hoch- deutsch. Vermutlich ist dies aufgrund der schulischen und universit¨aren Pr¨agung der Fall. Hinzu kommt, dass die Befragte sehr intensiven Kontakt mit Mennoniten hat, die Hochdeutsch sprechen. MO bezeichnet Plautdietsch ebenfalls als ihre Muttersprache. Sie lernte Hoch- deutsch auch als erste Fremdsprache in der Schule, dies war in einer Kolonie in Westparaguay. Ihre Hochdeutschkenntnisse haben sich dadurch verfestigt, dass ihr Ehemann sehr gute Sprachkompetenzen in Hochdeutsch hat und es ihm sehr wichtig ist, dass diese Sprache an die gemeinsamen Kinder weitergegeben wird. Er spricht daher uberwiegend¨ Hochdeutsch. Hinzu kommt, dass die Predigt, die die Befragte regelm¨aßig besucht, zwar oft in Plautdietsch, jedoch regelm¨aßig auch in Hochdeutsch gefeiert wird. Dies ist abh¨angig vom Laienprediger. Mittlerweile stellt MO selbst fest, dass sie Plautdietsch und Hochdeutsch oftmals vermischt, da beide Sprachen auf der lexikalischen Ebene nach ihrem Empfinden sehr ¨ahnlich sind. MO denkt und tr¨aumt uberwiegend¨ in Plautdietsch, manchmal jedoch auch in Hochdeutsch. FI sprach innerhalb der Familie immer Hochdeutsch und bezeichnet dies als ihre Muttersprache und auch diejenige Sprache, in der sie die beste Sprachkompetenz besitzt. An ihrem Arbeitsplatz spricht sie ebenfalls Hochdeutsch, h¨aufig jedoch auch Spanisch. FI denkt und tr¨aumt in Hochdeutsch. Dies ist auch die Sprache, die sie an ihre Kinder weitergeben m¨ochte. Es k¨ame fur¨ FI nicht infrage, jemanden zu heiraten, der kein Hochdeutsch versteht. Ihre Kenntnisse der deutschen Sprache haben sich auch dadurch verfestigt, dass sie in der deutschsprachigen Schweiz studierte. Die Befragte wurde¨ gern dorthin zuruckgehen.¨ ES sprach Hochdeutsch bereits in der Kindheit mit ihrer Mutter. Mit dem Va- ter sprach sie jedoch Spanisch. Sie h¨ort die Predigt am liebsten in Spanisch, ist jedoch trotzdem der Meinung, dass fur¨ Mennoniten allgemein, und somit auch fur¨ sie, Hochdeutsch die wichtigste Sprache ist. Dies ist die Sprache ihrer Kultur und Herkunft. DO sprach innerhalb ihrer Familie uberwiegend¨ Hochdeutsch, dies ¨anderte sich auch nie; die meisten ihrer Freunde und Bekannten sprechen ebenfalls Hochdeutsch. Die Predigt ihrer Gemeinde ist aktuell in Hochdeutsch, sollte der Meinung der Be-

110 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen fragten zufolge jedoch ¨ofter in Spanisch sei, um niemanden auszuschließen, der le- diglich Spanisch spricht. PE sprach innerhalb der Familie uberwiegend¨ Plautdietsch. Sie lernte Hochdeutsch als erste Fremdsprache in der Schule, hatte jedoch auch sehr fruh¨ mit einigen Ko- loniebewohnern Kontakt, die Hochdeutsch sprachen; dadurch war die Sprache nie fremd. Heute bezeichnet PE Hochdeutsch als fur¨ sie wichtigste Sprache, da sie am Arbeitsplatz uberwiegend¨ Hochdeutsch spricht. Außerdem erscheint ihr das Hoch- deutsche, im Vergleich zum Plautdietschen, m´as culto“, dies ist offenbar auch ein ” Grund, warum sie Hochdeutsch bevorzugt. Nichtsdestotrotz ist es ihr wichtig, sp¨a- ter einmal auch Plautdietsch mit ihren Kindern zu sprechen, um ihnen diesen Teil des kulturellen Erbes weitergeben zu k¨onnen. Die Befragte denkt und tr¨aumt nach eigenen Angaben sowohl in Plautdietsch als auch in Hochdeutsch. EG wuchs innerhalb einer Familie auf, in der ausschließlich Hochdeutsch gespro- chen wird. Auch in seiner Gemeinde ist die Predigt grunds¨atzlich in Hochdeutsch und seine privaten Kontakte pflegt er uberwiegend¨ mit Personen, die ebenfalls Hoch- deutsch sprechen. Einzig wenn es um Themen bzgl. Theologie geht, bevorzugt EG das Spanische, weil er Theologie an der Universit¨at in Asunci´on in Spanisch studier- te. Durch die spanischen Studieninhalte sind ihm theologische Diskussionen in der romanischen Sprache lieber, da sie ihm dann leichter fallen (s.o.). Fur¨ alle privaten Themen sch¨atzt er seine Sprachkompetenzen im Hochdeutschen am besten ein und spricht diese Sprache, sofern es m¨oglich ist. Seine rezeptiven Kompetenzen verhalten sich jedoch gegens¨atzlich: EG liest viel und gern in Spanisch, in Hochdeutsch jedoch nur vereinzelte Artikel online. Seiner Einsch¨atzung zufolge ist dies der Fall, weil er sich an das Lesen in Spanisch w¨ahrend des Studiums gew¨ohnt hat und ihm in der romanischen Sprache mittlerweile die Orthografie leichter f¨allt. Seine pers¨onlichen Notizen wiederum sind in der Regel in Hochdeutsch, da EG meist vorher mit jeman- dem in dieser Sprache daruber¨ gesprochen hat. Verfasst der Befragte jedoch Notizen fur¨ seinen beruflichen Bereich, also in der Theologie, so sind diese in Spanisch. Dies ist erneut deswegen so, weil EG in Spanisch studierte. Insgesamt betrachtet er jedoch ausschließlich Hochdeutsch als seine Muttersprache und es ist ihm sehr wichtig, diese Sprache an die n¨achste Generation weiterzugeben. Interessant ist, dass EG w¨ahrend seiner Reisen im deutschsprachigen Europa festzustellen glaubte, dass in Europa der Wortschatz gr¨oßer ist. Er hat das Gefuhl,¨ dass die Deutschsprachigen in Paraguay sich sprachlich nicht weiterentwickeln uns sich ihr Wortschatz nicht erweitert, im Gegensatz zu den Deutschsprachigen in Deutschland, Osterreich¨ und der Schweiz. MA sprach innerhalb seiner Familie ebenfalls grunds¨atzlich Hochdeutsch und pflegt diese Sprache auch mit seiner Ehefrau. Auch er spricht nur dann Spanisch, wenn sein Gegenuber¨ nicht des Hochdeutschen m¨achtig ist. In der Schule lernte MA auch zun¨achst nur Hochdeutsch, sp¨ater kam Spanisch hinzu. W¨ahrend seines Studi- ums verbrachte er ein Jahr in Deutschland. Dort wurden seine Kenntnisse merkbar gefestigt und er konnte seiner Einsch¨atzung zufolge auch seinen Wortschatz erwei-

111 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay tern. MA betonte allerdings, dass es furihnauchkeinProblemsei,Spanischzu¨ sprechen. Das Wichtige an der Kommunikation sei schließlich, dass eine Botschaft ubermittelt¨ werden k¨onne, nicht die Sprache, in der dies geschehe. Der Befragte liest nicht viel, wenn, dann nur regionale Zeitungen, um sich zu informieren. Mangels Alternativen liest MA diese in Spanisch. Die Orthografie bereitet ihm sowohl im Spanischen als auch im Hochdeutschen ein wenig Probleme. Er denkt und tr¨aumt uberwiegend¨ in Hochdeutsch, manchmal jedoch auch in Spanisch. DM sprach w¨ahrend seiner Kindheit ebenfalls Hochdeutsch zu Hause. Auch er bezeichnet Hochdeutsch als seine Muttersprache und es ist ihm sehr wichtig, diese zu pflegen. Das Lesen f¨allt ihm im Spanischen leichter als im Hochdeutschen. DM tr¨aumt und denkt jedoch in Hochdeutsch. An seinem Arbeitsplatz in der Schule spricht er h¨aufig Spanisch, seiner Einsch¨atzung zufolge jedoch noch h¨aufiger Hoch- deutsch. CA sprach innerhalb der Familie grunds¨atzlich immer Plautdietsch, Hochdeutsch war seine erste Fremdsprache, mit der er schon fruh¨ akustischen Kontakt durch einige Koloniebewohner hatte, konkret lernte CA Hochdeutsch jedoch erst in der Schule. Obwohl zu Hause immer Plautdietsch gesprochen wurde und dies seine erste Sprache war, denkt und tr¨aumt er uberwiegend¨ in Hochdeutsch. Am h¨aufigsten spricht CA momentan jedoch Spanisch, da sein Arbeitsplatz dies erforderlich mache und der Befragte daruber¨ hinaus mittlerweile viele Kontakte mit Spanischsprachigen habe. CA merkt jedoch hin und wieder, dass er mehr oder weniger unbewusst ins Hochdeutsche wechselt, wenn er Spanisch spricht, ihm in der romanischen Sprache jedoch Vokabeln fehlen. In seinen Augen ist es sehr wichtig, das Hochdeutsche als Teil des kulturellen Erbes an die n¨achste Generation weiterzugeben. EL sprach als Kind innerhalb der Familie sowohl Spanisch als auch Hochdeutsch. Ihr Spanisch ist jedoch nach eigener Einsch¨atzung mittlerweile besser als das Hoch- deutsche, da ihr die Vokabeln aufgrund des h¨aufigeren Sprachgebrauchs gel¨aufiger seien. Hochdeutsch sei ihr zwar noch immer sehr wichtig und sie gebe diese Sprache auch an ihre Kinder weiter, jedoch komme ihr das Hochdeutsche inzwischen sehr ” traditionell“ vor. Damit meint EL, dass es sich dabei um mennonitisches Kulturer- be innerhalb einer spanischsprachigen Gesellschaft handele, das Nicht-Mennoniten ausschließe. Dies werde ihr immer mehr bewusst. Ob ihre Kinder mit der n¨achsten Generation noch Hochdeutsch sprechen, mussten¨ sie selbst entscheiden, der Befrag- ten ist dies nicht mehr sehr wichtig. EL liest kaum in Hochdeutsch, h¨ochstens gele- gentlich die Bibel. Sie denkt und tr¨aumt uberwiegend¨ in Spanisch, manchmal jedoch auch in Hochdeutsch. RY sprach als Kind mit seiner Mutter, einer Nicht-Mennonitin, Spanisch und mit seinem Vater Hochdeutsch. Innerhalb der Familie wurde bevorzugt Hochdeutsch ge- sprochen, sofern die Mutter, die diese Sprache nicht versteht, nicht anwesend war. Seine Hochdeutschkenntnisse konnte RY sp¨ater in der Schule und aktuell an seinem Arbeitsplatz verfestigen. Hochdeutsch sei ihm sehr pr¨asent“, es falle ihm jedoch re- ”

112 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen gelm¨aßig auf, dass er zwischen Hochdeutsch, Spanisch und auch Englisch innerhalb eines Gespr¨aches oder Satzes wechsele. Welche Sprache ihm am leichtesten falle, h¨ange letztlich vom Thema ab, oder davon, ob es den Ausdruck, den er sucht, in einer anderen Sprache nicht gibt. RY betonte w¨ahrend des Interviews, dass Spa- nisch seine Muttersprache sei, da dies schließlich die Sprache sei, die seine Mutter spreche. Emotional habe er zum Spanischen die st¨arkste Bindung. Er h¨ort regel- m¨aßig Internetradio in Hochdeutsch und bezieht H¨orbucher¨ in dieser Sprache. An seinem Arbeitsplatz spricht RY sowohl Hochdeutsch als auch Spanisch; privat hat er mehr Kontakt zu deutschsprachigen Mennoniten. Seine pers¨onlichen Notizen ver- fasst er weitgehend in Spanisch, wenn es die Umst¨ande verlangen, jedoch auch in Hochdeutsch. Der Interviewte bekundete, dass er in beiden Sprachen sowohl mit der Grammatik als auch mit der Orthografie hin und wieder Schwierigkeiten habe. RY denkt und tr¨aumt sowohl in Spanisch als auch in Hochdeutsch. ML sprach als Kind innerhalb der Familie ausschließlich Plautdietsch und lernte Hochdeutsch sp¨ater in der Schule. Sie fuhlt¨ sich emotional am st¨arksten mit dem Plautdietschen verbunden und es ist ihre bevorzugte Sprache. ML betonte aber, auch keine Probleme damit zu haben, ins Hochdeutsche zu wechseln, wenn jemand kein Plautdietsch spreche. Ahnlich¨ verhalte es sich mit dem Spanischen. ML liest viel und gern in Hochdeutsch, denn in Plautdietsch gibt es keine Literatur. Allerdings schreibt sie erstaunlicherweise lieber in Spanisch, da sie die deutsche Orthografie als schwierig empfindet. Die Befragte tr¨aumt und denkt uberwiegend¨ in Plautdietsch, manchmal jedoch auch in Hochdeutsch. Letzteres ist der Fall, wenn sie diese Sprache vorher intensiv sprach. Die Kontakte mit anderen deutschsprachigen Mennoniten sind ihr besonders wichtig; ML pflegt jedoch auch Kontakte mit Spanischsprachigen. MR sprach als Kind innerhalb der Familie ebenfalls Plautdietsch. In der Schu- le wurde jedoch von Beginn an ausschließlich Hochdeutsch gesprochen, so dass ihr diese Sprache keinerlei Muhe¨ bereitet. Auch wenn MR an ihrem Arbeitsplatz im mennonitischen G¨astehaus mehr Plautdietsch spreche, sei Hochdeutsch fur¨ sie die wichtigste Sprache, weil sie, im Gegensatz zu Plautdietsch, auch außerhalb menno- nitischer Gemeinden gesprochen werde. MR schreibt jedoch kaum in Hochdeutsch, weil ihr die Orthografie schwer f¨allt. Die Befragte hat sowohl viele Kontakte mit deutschsprachigen Mennoniten als auch mit Spanischsprachigen. ED sprach als Kind innerhalb der Familie Hochdeutsch und pflegt diese Sprache nun auch mit seiner Ehefrau und den Kindern. Sowohl Plautdietsch als auch Spanisch lernte er sp¨ater. Hochdeutsch ist somit die wichtigste Sprache fur¨ ihn und auch die einzige, in der er sich sicher verst¨andigen kann. Es ist daher kaum verwunderlich, dass ED auch in Hochdeutsch denkt und tr¨aumt. Seine privaten Kontakte pflegt er fast ausschließlich mit deutschsprachigen Mennoniten. ED empfindet die deutsche Orthografie jedoch als relativ komplex und schreibt daher auch gelegentlich lieber in Spanisch. Die spanische Orthografie f¨allt ihm nach seinen Angaben leichter als die hochdeutsche, obwohl er Spanisch lediglich als Fremdsprache in der weiterfuhrenden¨

113 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

Schule und im Kontakt mit Spanischsprachigen lernte. FE sprach als Kind innerhalb der Familie Plautdietsch und dies ist auch noch im- mer die wichtigste Sprache fur¨ ihn. Fur¨ seine Frau ist es die einzige Sprache, die sie spricht. Hochdeutsch wurde allerdings von Beginn an in der Schule gesprochen. In sei- ner Gemeinde wird in Hochdeutsch gepredigt und er festigt seine Sprachkompetenz, indem er nach seinem Bekunden viel Kontakt mit jungeren¨ Gemeindemitgliedern pflegt, die ausschließlich Hochdeutsch sprechen. FE h¨ort regelm¨aßig Hochdeutsch im Radio, allerdings auch spanischsprachige Programme, da auch er zu denjenigen geh¨ort, die Zugang zum Internetradio haben. Das einzige Medium, das er liest, ist die Tageszeitung. Diese ist naturlich¨ in Spanisch. FE denkt und tr¨aumt uberwiegend¨ in Plautdietsch. Einige sprachen es von Anfang an zu Hause, andere sind mit Plautdietsch aufge- wachsen, lernten aber schon sehr fruh¨ Hochdeutsch in der Schule. Außer den beiden Interviewpartnern der Altersgruppe der 30- bis 40j¨ahrigen sprechen alle Befragten lieber Hochdeutsch als Spanisch. Interessant ist, dass sehr viele die deutsche Ortho- grafie als schwierig empfinden und einige sogar lieber in Spanisch schreiben als in Deutsch, obwohl sie die Orthografie des Spanischen, im Gegensatz zu der deutschen, nie gelernt haben. Sie schreiben demnach gern ihrem Geh¨or folgend. M¨oglich ist, dass der Unterricht in deutscher Rechtschreibung in den Schulen, insbesondere in den Kolonien, unzureichend ist. Nicht außer Acht gelassen werden darf jedoch auch, dass die Befragten, zumindest dann, wenn sie sich außerhalb der Kolonien bewe- gen, in einer spanischsprachigen Umgebung leben, in der sie der spanischen Sprache viel und h¨aufig begegnen. Auf diesem Wege nehmen sie bewusst oder unbewusst Kenntnis der spanischen Schriftsprache. Bereits Brandt stellte 1992 w¨ahrend seines Aufenthalts in mennonitischen Kolonien Mexikos fest, dass diejenigen Wiedert¨aufer, die des Spanischen m¨achtig sind, versuchen, die Orthografieregeln des Spanischen auf das Hochdeutsche zu ubertragen¨ (Brandt 1992: 26). Dies k¨onnte teilweise auch in Paraguay zutreffen, obwohl das sicherlich nicht bewusst geschieht. Die meisten denken und tr¨aumen in der Sprache, in der sie aktuell am meisten kommunizieren. Dies deutet daraufhin, dass die Sprache, in der gedacht und getr¨aumt wird, variabel ist und nicht zwingend mit der zuerst erlernten Sprache ubereinstimmt.¨

8.4.4 Sprachkompetenzen in anderen Sprachen Gerade in Asunci´on sind die Mennoniten sehr heterogen. Einige sind nur gelegentlich in der Hauptstadt Paraguays, leben ansonsten jedoch in einer Kolonie, abgeschirmt von Paraguayern oder anderen Ethnien. Andere sind in der Großstadt aufgewachsen, haben vielleicht schon einige Zeit im Ausland gelebt oder sind zumindest bereits außerhalb Paraguays gereist. Hinzu kommt, dass einige in Asunci´on Englisch sowie Guaran´ı als Fremdsprache in der Schule lernten, diejenigen, die in den Kolonien leben, jedoch weitgehend keinen Kontakt mit diese Sprachen haben. Die Kompetenz

114 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen in anderen Sprachen als dem Plautdietschen, Hochdeutschen und Spanischen der befragten Mennoniten in Paraguay soll der Vollst¨andigkeit halber kurz dargelegt werden. Die erste Befragte der Frauen unter 20 Jahren spricht neben Hochdeutsch und Spanisch auch Portugiesisch, denn ihre Familie siedelte, bevor sie nach Paraguay kam, in Brasilien. Portugiesisch ist ihr sogar sehr gel¨aufig, da es neben Hochdeutsch innerhalb der Familie h¨aufig auch gesprochen wird. Mit ihrem brasilianischen Hinter- grund stellt die junge Frau jedoch eine Ausnahme dar. Ihren Angaben zufolge spricht AL auch Englisch und lernte dies in der Schule. Sie sch¨atzt ihre Kompetenzen in die- ser Sprache jedoch als vergleichsweise gering ein, eine fließende Kommunikation ist nach ihrem Empfinden in Englisch nicht m¨oglich. AL wunscht¨ sich fur¨ die Zukunft, in dieser Sprache noch dazulernen zu k¨onnen. Mit den Paraguayern hat sie kaum KontaktundsprichtkeinGuaran´ı. Die zweite Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe unter 20 Jahren gibt an, neben Plautdietsch, Hochdeutsch und etwas Spanisch auch Englisch und Guaran´ızu sprechen. VA lernte Englisch ebenfalls in der Schule, aber wie die andere gleichaltrige Befragte sch¨atzt auch sie ihre Sprachkompetenz im Englischen als sehr gering ein. Sie fuhlt¨ sich nicht dazu in der Lage, in dieser Sprache einen Wunsch oder eine Bitte fließend zu formulieren. VA ist der Meinung, sie musse¨ ihre Englischkenntnisse in naher Zukunft verbessern, jedoch m¨ochte sie zun¨achst ihre Sprachkompetenzen im Spanischen verbessern, da sie in einem spanischsprachigen Land lebe und diese Sprache an der Universit¨at brauche. In Guaran´ı versteht VA einige W¨orter und Satzfragmente, sch¨atzt ihre Sprachkompetenz jedoch als sehr gering ein. Die erste Befragte in der Gruppe der 20- bis 30j¨ahrigen wuchs in einer Kolonie Westparaguays auf. Sie lernte in der Schule weder Englisch noch Guaran´ı. Mit Eng- lischsprachigen hatte MO bisher auch so gut wie keinen Kontakt. In Englisch kann sie sich daher nicht verst¨andigen und hat keine Kompetenz in dieser Sprache. Als besonders interessanter Umstand sei an dieser Stelle erw¨ahnt, dass sie einen kana- dischen Pass besitzt, da ihre Familie fruher¨ einmal in Kanada siedelte. MO selbst war jedoch nie in Kanada. Guaran´ı war zwar ebenso nicht Unterrichtsgegenstand in der Schule, jedoch arbeiten einige Indigene als Angestellte in den Betrieben der Kolonien. Von ihnen hat sie einige W¨orter Guaran´ı gelernt und kann sich zumindest etwas in dieser Sprache verst¨andigen. Die zweite in dieser Altersgruppe ist in Asunci´on aufgewachsen, spricht innerhalb der Familie Hochdeutsch, versteht Plautdietsch und erlangte eine gute Sprachkom- petenz im Spanischen. Englisch lernte FI ebenfalls in der Schule und da sie gern reist, brauchte sie diese Sprache bereits regelm¨aßig, um sich zu verst¨andigen. Sie hat nach ihrer Aussage keinerlei Probleme, sich in Englisch auszudrucken¨ und fuhlt¨ sich in diesem Idiom sicher, allerdings fehle ihr doch das Vokabular, um tief greifen- de Diskussionen fuhrenzuk¨ ¨onnen. Daruber¨ hinaus hat FI indigene Nachbarn, die Guaran´ı sprechen, auch sonst hat sie regelm¨aßig Kontakt mit dieser Sprache und

115 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay kann sie ein wenig verstehen und sich ein wenig in ihr verst¨andigen. Es ist ihr jedoch nicht m¨oglich, sich fließend in der indigenen Sprache zu unterhalten, da ihr dafur¨ weitergehende Kenntnisse fehlen. ES wuchs in einer Kolonie auf, ihre Familie legte von Beginn an Wert darauf, dass den Kindern neben Deutsch auch Spanisch vermittelt wird. Sie lernte Englisch in der Schule, brauchte diese Sprache bisher jedoch kaum und sch¨atzt ihre Sprachkom- petenz als gering ein. Auch Guaran´ı lernte ES ein wenig in der Schule, erinnert sich nach eigener Aussage jedoch kaum an den Unterrichtsinhalt und hat auch keinen Kontakt mit Indigenen, die Guaran´ı sprechen. Die vierte Interviewteilnehmerin dieser Altersgruppe wuchs ebenfalls in einer Ko- lonie in Westparaguay auf. Innerhalb der Familie wurde Hochdeutsch gesprochen, Spanisch lernte sie in der Schule. Englisch lernte DO dort ebenfalls und erachtet es als wichtig, sich in dieser Sprache verst¨andigen zu k¨onnen, da es weltweit ein bedeu- tungsvolles Idiom sei. DO bedauert jedoch, Schwierigkeiten mit dem Englischen zu haben, weil sie sich verst¨andigen kann, ihr fur¨ detaillierte Auskunfte¨ oder Diskus- sionen jedoch das Vokabular fehlt. Guaran´ı spricht die Befragte nicht und hat auch keinen Kontakt zu dieser Sprechergruppe. Die funfte¨ Befragte der Interviewteilnehmer zwischen 20 und 30 Jahren wuchs ebenfalls in Westparaguay auf und sprach Plautdietsch innerhalb der Familie. Spa- nisch und Hochdeutsch lernte PE in der Schule. Sp¨ater lernte sie auch Englisch, sch¨atzt ihre Sprachkompetenz jedoch gering ein und hatte bisher wenig Kontakt mit dieser Sprache. Obwohl auch PE einen kanadischen Pass besitzt, ist sie noch nie in Kanada gewesen. Der erste m¨annliche Befragte in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren wuchs in Asunci´on auf und spricht innerhalb der Familie Hochdeutsch. Spanisch lernte er in der Schule, ebenso wie Englisch. EG reist viel und verbrachte bereits einige Zeit in Europa. Daher verwendete er seine Englischkenntnisse regelm¨aßig und sch¨atzt seine Sprachkompetenz als hoch ein. Gelegentlich liest er gern ein englisch- sprachiges Buch oder englische Zeitungsartikel. Dies bereitet ihm nach seiner Aussa- ge keinerlei Muhe.¨ Englisch sei eine sehr wichtige Sprache, da sie international von herausragender Bedeutung sei. Guaran´ı lernte EG ebenfalls in der Schule und hat auch vereinzelt indigene Freunde, die Guaran´ı sprechen. Der Befragte kommuniziert mit den indigenen Freunden jedoch in Spanisch, da er Guaran´ızwar ein bisschen“ ” verstehen k¨onne, jedoch gar nicht spreche. EG h¨alt es jedoch fur¨ wichtig, zumin- dest grunds¨atzliche Kenntnisse des Guaran´ı zu haben, da dies die zweite offizielle Landessprache ist. Der zweite Interviewteilnehmer in dieser Altersgruppe wuchs in einer mennoni- tischen Kolonie auf und spricht innerhalb der Familie Hochdeutsch, in der Kolonie wurde jedoch auch Plautdietsch gesprochen. Spanisch lernte MA in der Schule. Eng- lisch lernte auch er im Colegio Concordia und sch¨atzt seine Sprachkompetenzen als hoch ein. Er reiste bereits vielfach und konnte seine Kenntnisse auf diesem Wege festi-

116 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen gen. MA versteht daruber¨ hinaus auch einige Worte Guaran´ı, ben¨otigt diese Sprache jedoch sehr selten und sch¨atzt seine Sprachkenntnisse in der indigenen Sprache als recht gering ein. Der dritte Befragte in der Altersgruppe der jungen M¨anner spricht innerhalb der Familie ebenfalls Hochdeutsch und lernte Englisch in der Schule. Obwohl DM noch nicht viel Kontakt mit Englischsprachigen hatte, sch¨atzt er seine Sprachkompetenz sowohl rezeptiv als auch produktiv als sehr hoch ein. DM liest gern englische Bucher¨ oder Zeitungsartikel, dies bereitet ihm keinerlei Muhe.¨ Auch er lernte ein wenig Guaran´ıinderSchule,kannsichjedochkaumindieserSpracheverst¨andigen. Der letzte Befragte dieser Altersgruppe wuchs ebenfalls in einer Kolonie Westpa- raguays auf und sprach innerhalb der Familie Plautdietsch. Englisch lernte CA in der Schule und hat keine Probleme, sich im Alltag in dieser Sprache zu verst¨andigen. Weiterfuhrende¨ Diskussionen bereiten ihm jedoch aufgrund des fehlenden Vokabu- lars Schwierigkeiten. Die einzige Frau der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren verbrachte ihre Kindheit uberwiegend¨ in Uruguay und sprach innerhalb der Familie sowohl Spanisch als auch Hochdeutsch. EL lernte Englisch in der Schule und die Verst¨andigung in dieser Sprache bereitet ihr keine Muhe.¨ Sie schaut auch gelegentlich englische Filme an. Die Befragte lernte als Kind beim Spielen auf der Straße mit Indigenen ein bisschen Guaran´ı, sch¨atzt ihre Sprachkenntnisse jedoch als sehr gering ein. Der m¨annliche Interviewteilnehmer dieser Altersgruppe wuchs in Asunci´on auf und sprach innerhalb der Familie sowohl Hochdeutsch als auch Spanisch. RY ver- steht ein bisschen Plautdietsch und ebenso etwas Portugiesisch. Englisch lernte er in der Schule und hat regelm¨aßig Kontakt mit Englischsprachigen. Das Englische f¨allt ihm daher sehr leicht und RY sch¨atzt seine Sprachkompetenz als hoch ein. Wenn er Hochdeutsch spricht, verwendet er h¨aufiger ein englisches Wort, wenn ihm das deut- sche Wort nicht einf¨allt. Dies geschieht ebenso umgekehrt. Auch RY schaut h¨aufig englische Filme. Der Befragte lernte auch etwas Guaran´ıinderSchule,kannsich jedoch nur eingeschr¨ankt in dieser Sprache verst¨andigen und sch¨atzt seine Sprach- kompetenz als gering ein. ML wuchs in einer Kolonie in Paraguay auf und sprach innerhalb der Familie Plautdietsch. Daruber¨ hinaus lernte sie Hochdeutsch, Spanisch und ebenso etwas Englisch in Kontakt mit Englischsprachigen. ML und ihre Familie empfangen be- rufsbedingt regelm¨aßig englischsprachigen Besuch und die Befragte bedauert, nur das Notwendigste mit den G¨asten in Englisch kommunizieren zu k¨onnen. Sie hofft, ihre Englischkenntnisse noch verfestigen zu k¨onnen. ML hat gelegentlich Kontakt mit Indigenen, spricht jedoch keinerlei Guaran´ı, sondern kommuniziert mit ihnen in Spanisch. MR wuchs ebenfalls in einer mennonitischen Kolonie auf und spricht innerhalb der Familie uberwiegend¨ Plautdietsch. Daruber¨ hinaus beherrscht auch sie Spanisch und Hochdeutsch, lernte jedoch keinerlei Englisch und auch Guaran´ı ist ihr nicht gel¨aufig.

117 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

Auch ED wuchs in einer Kolonie auf und spricht innerhalb der Familie Hochdeutsch. Er lernte kein Englisch in der Schule, besuchte als junger Mann jedoch private Kurse in Asunci´on, so dass ED sich grunds¨atzlichinEnglischverst¨andigen kann. Es f¨allt ihm jedoch nicht leicht und er sch¨atzt seine Sprachkompetenz als gering ein. Er spricht kein Guaran´ı. FE wuchs ebenfalls in einer Kolonie auf und spricht innerhalb der Familie uber-¨ wiegend Plautdietsch. Er spricht kein Englisch, FE sch¨atzt seine Sprachkenntnisse in Guaran´ı jedoch als recht hoch ein. Der Befragte hat regelm¨aßig Kontakt mit In- digenen und spricht auch in Guaran´ı mit ihnen; er lernte die indigene Sprache durch den Kontakt mit ihnen. Zusammenfassend l¨asst sich feststellen, dass vor allem Englisch in den Augen der befragten Mennoniten eine bedeutende Fremdsprache ist und es den meisten von ihnen sehr wichtig ist, sich in Englisch so gut wie m¨oglich verst¨andigen zu k¨onnen. Einige der Mennoniten, besonders die jungeren,¨ reisen regelm¨aßig und lernten somit den Nutzen der englischen Sprache kennen. Aber auch die Alterenunterihnenbe-¨ muhten¨ sich bereits, sich zumindest Grundkenntnisse anzueignen. Guaran´ı ist, neben Spanisch, die zweite offizielle Landessprache. Einige der Interviewteilnehmer lernten freiwillig in der mennonitischen Schule etwas Guaran´ı, andere lernten es im Kontakt mit Indigenen. Fast alle sind also in der Lage, ein wenig Guaran´ı zumindest zu ver- stehen. In der Regel sind die Kenntnisse jedoch sehr gering und viele bevorzugen es, im Kontakt mit Indigenen Spanisch zu sprechen.

8.4.5 Die Mehrheitsgruppe und die eigene Sprachgemeinschaft

DieMennonitensindbefragtworden,obsiesichvorstellenk¨onnten, dass in drei Ge- nerationen verst¨arkt Spanisch untereinander gesprochen werden k¨onnte und ob sie es fur¨ m¨oglich halten, dass die Gottesdienste eines Tages generell in Spanisch gehal- ten werden. AL hat dazu keine konkrete Einsch¨atzung. Ihrer Beobachtung zufolge sprechen bereits sehr viele Mennoniten, vor allem in der Hauptstadt, Spanisch und es gibt in einigen Gemeinden spanische Elemente im Gottesdienst. Dass das Spani- sche einmal das Deutsche direkt verdr¨angt, kann sie sich nach einigem Nachdenken jedoch nur schwer vorstellen. VA kann sich ebenfalls vorstellen, dass es in drei Generationen mehr Gottesdienste in Spanisch geben wird. Trotzdem ist sie sich sicher, dass Plautdietsch und Hoch- deutsch die wichtigsten Sprachen der Mennoniten in Paraguay bleiben und auch immer untereinander gesprochen werden. Die erste Interviewteilnehmerin in der Al- tersstufe zwischen 20 und 30 Jahren ist der sicheren Ansicht, dass Mennoniten, auch diejenigen, die in abgeschiedeneren Kolonien leben, in den n¨achsten Generationen immer besser Spanisch sprechen werden. Dass die romanische Sprache jedoch auch privat gesprochen werde und dass sogar der Gottesdienst in Spanisch sein k¨onnte, glaubt MO nicht.

118 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen

Die zweite Befragte dieser Altersgruppe betonte, dass sie fest davon ausgehe, dass Spanisch in drei Generationen definitiv verst¨arkt in den Kirchen verwendet werde. FI k¨onnte sich sehr gut vorstellen, dass der Gottesdienst dann zumindest in Asun- ci´on generell in Spanisch stattfinden wird. Allerdings glaubt die Befragte nicht, dass Spanisch jemals die private Sprache der Mennoniten werden k¨onnte, sondern immer eine Fremdsprache, die eigentlich nur zum Zwecke der Kommunikation außerhalb der mennonitischen Gemeinde gelernt wird. Die dritte Befragte geht ebenfalls davon aus, dass Spanisch eine immer bedeu- tendere Rolle im Leben der paraguayischen Mennoniten spielen wird und sich dies m¨oglicherweise auch w¨ahrend der Gottesdienste zeigen k¨onnte. Dennoch ist auch ES davon uberzeugt,¨ dass Deutsch niemals von Spanisch ganz verdr¨angt werden k¨onnte, dies ist schließlich die Muttersprache der Mennoniten. Die n¨achste Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren geht eher davon aus, dass die Tradition es niemals zulassen wird, dass die Gottes- dienste komplett in Spanisch gefeiert werden. DO geht ebenfalls davon aus, dass die Tradition, die sie fest verankert sieht, es verhindern wird, dass Mennoniten grund- s¨atzlich Spanisch untereinander sprechen. Die letzte Befragte dieser Altersgruppe schließlich betonte, dass sie selbst gar kein Problem damit h¨atte,wenndiePredigteninSpanischgefeiertwurden¨ und PE kann sich auch vorstellen, dass dies eines Tages der Fall sein wird. Allerdings glaubt auch sie, dass Deutsch immer die Muttersprache der Mennoniten bleiben und in privaten R¨aumlichkeiten gesprochen wird. Der erste m¨annliche Befragte in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren ist selbst Prediger einer Gemeinde und befurwortet¨ es grunds¨atzlich, wenn die Mitglie- der verst¨arkt Spanisch lernen. EG singt bereits jetzt schon gern gelegentlich spani- sche Lieder im Gottesdienst und k¨onnte sich gut vorstellen, dass dies in den n¨achsten Generationen verst¨arkt der Fall sein wird. Aber auch dieser Mennonit betonte, dass letztlich immer die deutsche Sprache im Vordergrund stehen werde, da dies die Mut- tersprache der Mennoniten ist. EG hofft, dass Mennoniten bald alle der spanischen Sprache m¨achtig sein werden, jedoch untereinander immer Deutsch sprechen werden. Der n¨achste Befragte dieser Altersgruppe kann sich vorstellen, dass die Predigt in Asunci´on direkt in Spanisch sein k¨onnte; fur¨ die Kolonien, zumindest diejenigen, die er kennt, kann er sich gar nicht vorstellen, dass sie einmal in einer anderen Sprache als Deutsch gefeiert werden. Auch dieser Mennonit ist der Meinung, dass es zwar sehr wichtig ist, dass alle Wiedert¨aufer so gut wie m¨oglich die romanische Sprache erlernen, jedoch bleibt immer Deutsch die Muttersprache. Den n¨achsten Interviewteilnehmer in dieser Altersgruppe wurde¨ es gar nicht st¨o- ren, wenn in der Kirche verst¨arkt Spanisch gesprochen und gepredigt wurde.¨ Aller- dings glaubt DM nicht, dass dies eines Tages der Fall sein k¨onnte. Deutsch, so sagte er, sei Ausdruck der Kultur der Mennoniten, und das werde sich nie ¨andern. Der letzte Befragt schließlich in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren

119 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay geht ebenfalls davon aus, dass auch in drei Generationen in den Kirchen Deutsch gepredigt werde. Dennoch kann CA sich vorstellen, dass die paraguayische und die mennonitische Kultur sich mit der Zeit immer weiter verbinden werden und dass die Wiedert¨aufer immer besser Spanisch beherrschen werden. Allerdings wird dies in seinen Augen die deutsche Kultur nie ganz verdr¨angen. Die befragte Frau in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren ist der Mei- nung, dass es davon abh¨angen wird, ob sich die Mennoniten in drei Generationen verst¨arkt der spanischsprachigen Bev¨olkerung ¨offnen wollen, oder nicht. Sollte dies der Fall sein, muss Spanisch auch in den Kirchen eine Option sein, sonst schließt es immer all diejenigen aus, die kein Deutsch beherrschen. Sollten die Mennoniten in drei Generationen jedoch noch immer unter sich bleiben wollen, so wird auch die Predigt weiterhin in Deutsch gefeiert werden. EL hofft, dass sich die mennonitische und die paraguayische Kultur immer weiter vermischen werden, ist aber nicht sehr optimistisch, dass dies auch tats¨achlich der Fall sein wird. Der m¨annliche Interviewteilnehmer in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren kann sich sehr gut vorstellen, dass in drei Generationen verst¨arkt Spanisch unter den Mennoniten gesprochen wird. Auch in der Kirche, zumindest in Asunci´on, wird dann in Spanisch gepredigt, so seine Einsch¨atzung. Dennoch k¨onnte das Spanische dasDeutscheniemalskomplettalsprivateSpracheabl¨osen, vielmehr werde es zu einer Diglossie kommen. Die erste Befragte in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren ist davon uber-¨ zeugt, dass es fur¨ alle Mennoniten essenziell ist, Spanisch zu lernen und sich in dieser Sprache verst¨andigen zu k¨onnen - dies wird nach ihrer Einsch¨atzung in drei Genera- tionen auch fur¨ alle paraguayischen Mennoniten wie selbstverst¨andlich der Fall sein. Dennoch kann ML sich nicht vorstellen, dass in den Kolonien einmal in Spanisch gepredigt oder Spanisch sogar zur privaten Sprache untereinander werden k¨onnte. In Asunci´on h¨alt sie dies jedoch sehr wohl fur¨ m¨oglich, da in der Hauptstadt die Vermischung der Kulturen schon viel st¨arker zu erkennen sei. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe geht davon aus, dass Deutsch immer die Sprache der Kirche und die Muttersprache der Mennoniten bleiben wird. Dies wird sich auch in drei Generationen nicht ¨andern. Ihr pers¨onlich w¨areesjedochv¨ol- lig recht, wenn auch in der Kirche vermehrt Spanisch gesprochen wurde,¨ da dies schließlich die Mehrheitssprache des Landes sei. MR ist sich aber sicher, dass die Wiedert¨aufer verst¨arkt Spanisch lernen und sich in drei Generationen problemlos in dieser Sprache verst¨andigen werden. Der erste m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren geht ebenfalls davon aus, dass Mennoniten zwar verst¨arkt Spanisch lernen werden, diese Sprache jedoch in der Kirche und im privaten Bereich auch in der Zukunft keine signifikante Rolle spielen wird. Der zweite Interviewpartner dieser Altersgruppe kann sich zwar vorstellen, dass vereinzelt spanische Lieder im Gottesdienst gesungen werden und er geht auch fest

120 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen davon aus, dass das Interesse der heranwachsenden Generation, Spanisch zu lernen, zunehmen wird. Aber auch FE kann sich kaum vorstellen, dass Mennoniten unter sich ausschließlich Spanisch sprechen. Alle Befragten sind sich daruber¨ einig, dass die Wiedert¨aufer in Paraguay, sowohl in der Hauptstadt als auch in den Kolonien, in den heranwachsenden Generationen vermehrt Spanisch lernen und immer weniger Probleme haben werden, sich in dieser Sprache zu verst¨andigen. Kaum einer von ihnen kann sich jedoch vorstellen, dass die Mennoniten in drei Generationen auch untereinander Spanisch sprechen k¨onnten oder dass die romanische Sprache eine bedeutende Rolle in der Kirche spielen wird. Hier zeigt sich, wie fest verankert die deutschsprachige Kultur der Mennoniten ist, sie ist ein derart pr¨asenter Teil des mennonitischen Lebens in Paraguay, dass sich niemand vorstellen kann, dass sich diese Umst¨ande einmal ¨andern.

8.4.6 Einsch¨atzung zur eigenen Außenwirkung AL interessiert sich uberhaupt¨ nicht fur¨ politische Geschehnisse, weder in Paraguay noch in anderen L¨andern. Sie hat uberwiegend¨ Kontakt mit Mennoniten und tauscht sich mit ihnen auch uber¨ Plattformen wie Facebook aus. Allerdings hat AL auch pa- raguayische Freunde, wenn auch deutlich weniger. Sie hat einen brasilianischen Pass. Daraufhin befragt, wie Mennoniten von Paraguayern gesehen werden, erz¨ahlte die Interviewte, dass sie sehr oft auf ihre hellen Haaren und ihre blauen Augen angespro- chen werde. Paraguayer seien oft davon fasziniert. Außerdem habe sie den Eindruck, dass Paraguayer die Mennoniten fur¨ sehr ehrgeizig und diszipliniert hielten. Dies sei auch kaum verwunderlich, da paraguayische Mennoniten viel zur Okonomie¨ des Landes beitrugen.¨ AL kann sich nicht vorstellen, einen Nicht-Mennoniten bzw. ei- nen Paraguayer zu heiraten, diese seien schwierig zu verstehen“, da die Sitten und ” Gebr¨auche sich doch sehr voneinander unterschieden. Fur¨ sie ist es auch wichtig, dieselbe Religion mit dem Partner zu teilen. Auf die Nachfrage, wo ihre Heimat sei und ob sie sich als Mennonitin oder Brasilianerin fuhle,¨ z¨ogerte sie. Diese Frage sei schwer zu beantworten, sie fuhle¨ sich in Sudamerika¨ schon fremd. Schließlich sagte AL, sie sei Brasilianerin, jedoch mit anderen Sitten und Gebr¨auchen. DiezweiteBefragtederunter20j¨ahrigen hatte bis zu ihrem Schulabschluss weit- gehend Kontakt mit Mennoniten. Nachdem VA aber nun ein Studium aufgenom- men hat, trifft sie auch h¨aufig auf Paraguayer. Sie empfindet diese Kontakte jedoch h¨aufig als schwierig, da die Kulturen so unterschiedlich sind und es daher oft zu Missverst¨andnissen kommt. VA studiert Journalismus und sieht es schon deswegen als ihre Pflicht an, sich fur¨ Politik zu interessieren. Die Befragte verfolgt Nachrichten und Meldungen sowohl aus Sudamerika¨ als auch aus Europa, speziell Deutschland. VA hat einen deutschen und einen paraguayischen Pass, ist bisher noch nicht in Deutschland gewesen, m¨ochte aber so bald wie m¨oglich eine Reise nach Deutschland unternehmen. Ihrem Eindruck zufolge halten die Paraguayer die Mennoniten fur¨ sehr

121 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay wohlhabend, jedoch charakterlich schwierig“. Hier sieht sie wieder gegenseitige Ver- ” st¨andigungsprobleme. In ihren Augen sind die Mennoniten in Paraguay sehr wichtig fur¨ die Wirtschaft und tragen durch die hohen Produktertr¨age viel zum Wohlstand der paraguayischen Gesellschaft bei. VA k¨onnte sich nicht vorstellen einen Nicht- Mennoniten zu heiraten, das Teilen der gleichen Kultur und Religion ist auch ihr sehr wichtig. Anderenfalls k¨onne man sich auf Dauer nicht gegenseitig verstehen. Allerdings sehe ihre engere Familie das nicht so streng und die Befragte geht davon aus, dass ein Nicht-Mennonit innerhalb der Familie akzeptiert wurde.¨ Ihr Vaterland ist Paraguay, ihr Gemeinschaftsgefuhl¨ fur¨ die mennonitische Gemeinde ist jedoch mindestens ebenso stark. Die erste Befragte in der Gruppe der 20- bis 30j¨ahrigen stammt aus einer ost- paraguayischen Kolonie. Sie interessiert sich etwas fur¨ paraguayische Politik und versucht uber¨ Nachrichten informiert zu sein, die sie selbst betreffen k¨onnten. Dar- uber¨ hinaus verfolgt MO jedoch kein Polit-Geschehen. Da ihre Familie fruher¨ in Kanada siedelte, hat sie, neben dem paraguayischen, auch einen kanadischen Pass. MO war jedoch noch nie in Kanada und spricht auch kein Englisch. Obwohl die Befragte ihr bisheriges Leben in Paraguay verbracht hat, hat sie offenbar kaum ei- nen Bezug zu diesem Land, denn sie fuhlt¨ sich nicht als Paraguayerin, sondern in erster Linie als Mennonitin, dies sei unabh¨angig von ihrem Wohnort. MO sch¨atzt den Kontakt zwischen Paraguayern und Mennoniten generell als schwierig ein, da Paraguayer in ihren Augen Probleme haben, den Sonderstatus, den Mennoniten in vielerlei Hinsicht genießen, zu akzeptieren. Dennoch seien Mennoniten in Paraguay unentbehrlich fur¨ die Wirtschaft. Die Befragte selbst ist mit einem Mennoniten ver- heiratet und kann sich im Prinzip auch nicht vorstellen, dass dies anders sein k¨onnte. Es w¨are ihr auch lieber, wenn ihre Kinder ebenfalls mennonitische Ehepartner w¨ah- len, da sie es sich nach eigener Aussage schwer vorstellen kann, dass eine Ehe mit unterschiedlichen Kulturen halten kann. Jedoch betont MO auch Ehepaare zu ken- nen, die aus Mennoniten und Nicht-Mennoniten bestehen, und dass diese glucklich¨ zu sein scheinen. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs in Asunci´on auf; sie hat lediglich einen paraguayischen Pass, ihre Familie ist in der dritten Generation in Paraguay. FI verfolgt das paraguayische Polit-Geschehen t¨aglich und mit großem Interesse. Sie reiste bereits viel in Europa und interessiert sich seitdem ebenso fur¨ europ¨aisches Geschehen, insbesondere Politik in Deutschland. Die Interviewteilnehmerin hat eine Schwester, die mit ihrem deutschen Ehemann in der Bundesrepublik lebt. Nicht zuletzt deswegen fuhlt¨ sich die Befragte mit Deutschland relativ eng verbunden. Auch FI best¨atigt, dass Mennoniten eine bedeutende Rolle fur¨ die paraguayische Wirtschaft spielen und nicht alle Paraguayer dies sehr gern sehen. Sie ist noch nicht verheiratet, kann sich jedoch nicht vorstellen, einen Ehemann zu haben, mit dem sie sich nicht in Deutsch verst¨andigen kann, zumal es ihr auch sehr wichtig ist, dass sie die deutsche Sprache an ihre Kinder weitergeben kann. Offiziell, so sagt FI, sei

122 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen sie auf jeden Fall Paraguayerin, sie sei sich jedoch immer daruber¨ bewusst, dass sie deutsche Wurzeln habe. Die dritte Befragte dieser Altersgruppe stammt wiederum aus Westparaguay. ES hat sowohl einen paraguayischen als auch einen deutschen Pass. Die Interviewteil- nehmerin war bereits einige Male in Deutschland und hat auch Freunde dort, mit denen sie uber¨ elektronische Netzwerke Kontakt h¨alt. Deutschland selbst ist ihr aller- dings im Allgemeinen weniger positiv aufgefallen, da ihr die meisten Leute als kalt“ ” und reserviert erschienen. ES verfolgt das politische Geschehen sowohl in Sudame-¨ rika als auch daruber¨ hinaus, insbesondere Deutschland. Sie selbst hat im Kontakt mit Paraguayern bisher noch keinerlei negative Erfahrungen gemacht und auch noch nie den Eindruck gewonnen, diese wurden¨ die Mennoniten in irgendeiner Form miss- billigen. Sie k¨onnte sich auch problemlos vorstellen, einen Paraguayer zu heiraten; es ist fur¨ sie nicht wichtig, dass ihr zukunftiger¨ Ehemann ein Mennonit ist und er muss auch nicht zwingend der deutschen Sprache m¨achtig sein. Die n¨achste Interviewteilnehmerin in dieser Altersgruppe der jungen Frauen unter 30 Jahren stammt ebenfalls aus Westparaguay. Auch DO hat sowohl einen paragu- ayischen als auch einen deutschen Pass. Sie war bereits drei Mal in Deutschland und es ist ihr besonders positiv in Erinnerung geblieben, dass alles sehr aufger¨aumt“ ” ist und es sehr viel Kultur gebe. In Deutschland dauerhaft zu bleiben, lehnt DO fur¨ sich jedoch ab, da es zu stark von ihrer gewohnten Umgebung abweiche. Da sie uberwiegend¨ Kontakt mit Mennoniten hat, kann die Befragte sich auch nur schwer vorstellen, jemanden zu heiraten, der nicht aus diesem Umfeld stammt. Die letzte Befragte dieser Altersgruppe stammt ebenfalls aus Westparaguay. PE hat neben dem paraguayischen Pass auch einen kanadischen, allerdings war sie bisher noch nicht in Kanada. Sie bezeichnet Deutschland als Teil ihrer Identit¨at, jedoch war sie bisher noch nicht dort. PE interessiert sich in keiner Weise fur¨ Politik; weder in Paraguay noch fur¨ das politische Geschehen in Deutschland. Die Befragte sieht sich nicht als Paraguayerin und verbindet generell kaum etwas mit Nationalit¨aten; fur¨ sie ist wichtig, dass sie Mennonitin ist. Wenn die mennonitische Kolonie, aus der PE stammt, sich entschließen wurde,¨ gemeinsam einen anderen Standort zu w¨ahlen, stellte das kein Problem fur¨ sie da. Allein wurde¨ die Interviewteilnehmerin jedoch nicht wegziehen. Dementsprechend fuhlt¨ PE sich der mennonitischen Kultur sehr nahe und kann sich kaum vorstellen, einen Ehepartner zu haben, der nicht mennonitisch ist. Der erste Befragte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren stammt aus West- paraguay und hat lediglich einen deutschen Pass. EG verfolgt jedoch nur die para- guayische Politik, in Deutschland sei das seiner Einsch¨atzung zufolge nicht not- ” wendig“, da es kaum wirklich einschneidende Ver¨anderungen gebe. Er wurde¨ die deutsche Politik st¨arker verfolgen, wenn dort mehr passieren wurde“.¨ EG war zwei ” Mal in Deutschland und verbindet sehr positive Erinnerungen damit, vor allem die kulturellen M¨oglichkeiten beeindruckten ihn. Seiner Einsch¨atzung zufolge wissen die

123 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

Paraguayer den Ehrgeiz und die Disziplin der Mennoniten zu sch¨atzen; sie bringen den Wiedert¨aufern prinzipiell auch viel Respekt“ entgegen. ” MA fuhlt¨ sich der mennonitischen Gemeinde sehr eng verbunden und identifiziert sich bedingungslos mit seinen Glaubensbrudern¨ und Schwestern, allerdings betonte MA auch ohne zu z¨ogern, dass Paraguay sein Vaterland ist und er gern in diesem Land lebt, allein schon wegen des Klimas. Er ist mit einer Mennonitin verheiratet und h¨atte sich auch nicht vorstellen k¨onnen, eine Partnerin aus einem anderen Kul- turkreis zu w¨ahlen, obwohl MA keine negativen Erfahrungen mit Paraguayern im Allgemeinen gemacht hat. Der n¨achste Befragte dieser Altersgruppe hat sowohl einen paraguayischen als auch einen deutschen Pass. DM interessiert sich in keiner Weise fur¨ Politik, weder in Paraguay noch in anderen L¨andern.ErwarnochnieinDeutschland,weilihm die notwendigen finanziellen Mittel bisher gefehlt haben. DM wurde¨ jedoch gern einmal nach Deutschland fahren, obwohl er bereits sehr oft geh¨ort hat, dass die Leute dort sehr reserviert sein sollen. Sein Vaterland ist Paraguay und er kann sich nicht vorstellen, in einem anderen Land zu leben, ebenfalls vordergrundig¨ wegen des Klimas. Der Befragte hat bisher keine Partnerin, fuhlt¨ sich dem mennonitischen Glauben jedoch so stark verbunden, dass er es sich nur schwer vorstellen kann, mit jemanden aus einem anderen Kulturkreis zusammen zu leben. Der letzte Befragte dieser Altersgruppe hat lediglich einen paraguayischen Pass, er verbindet aufgrund des kulturellen Erbes der Mennoniten jedoch viel mit Deutsch- land und war bereits dort. Deutschland gefiel ihm gut, vor allem, dass alles gut ” organisiert ist“. Dort zu leben, kann CA sich jedoch nicht vorstellen, das weiche zu stark von seiner gewohnten Umgebung ab. Er interessiert sich etwas fur¨ paragu- ayische Politik, soweit die Nachrichten ihn pers¨onlich betreffen k¨onnten, deutsche Politik verfolgt er praktisch gar nicht. Im Kontakt mit Paraguayern machte er die Erfahrung, dass es nicht allen gef¨allt, dass Mennoniten eine andere Sprache als Spa- nisch sprechen und noch dazu andere Gebr¨auche pflegen. Seitdem ist er im Umgang mit seiner Identit¨at etwas vorsichtiger geworden. Eine Nicht-Mennonitin zu heiraten, k¨onnte CA sich nicht vorstellen, da Deutsch die Sprache ist, die ihm am leichtesten f¨allt und es ihm daruber¨ hinaus auch sehr wichtig ist, die deutsche Sprache an seine Kinder weitergeben zu k¨onnen. Die einzige Frau in der Altersgruppe der 30- bis 40j¨ahrigen hat lediglich den deut- schen Pass. Sie interessiert sich wenig fur¨ deutsche Politik, jedoch informiert EL sich regelm¨aßig uber¨ Geschehnisse in Paraguay. Im Gegensatz zu einigen anderen para- guayischen Mennoniten fuhlt¨ sie sich relativ eng mit Paraguay verbunden, hat viele Kontakte mit Paraguayern. Ihr Vaterland ist jedoch Uruguay, wie EL betont, denn dort sei sie geboren und habe ihre ersten Lebensjahre verbracht. Die Befragte war bereits zwei Mal in Deutschland und empfand es ebenfalls als sehr aufger¨aumt“, die ” Leute seien jedoch oft sehr kuhl“.¨ Sie k¨onnte sich vorstellen, eine Weile in Deutsch- ” land zu leben, auf Dauer sieht EL sich und ihre Familie jedoch in Sudamerika.¨ Das

124 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen

Gemeinschaftsgefuhl¨ fur¨ die mennonitische Gemeinde ist auch bei ihr vorhanden, im Vordergrund steht fursiejedochihreIdentit¨ ¨at als Paraguayerin. Sie selbst ist mit einem Mennoniten verheiratet, es ist ihr jedoch nicht wichtig, dass ihre Kinder sich ebenfalls fur¨ einen mennonitischen Partner entscheiden. EL gibt zwar zu bedenken, dass eine Ehe zwischen Mennoniten insofern einfacher ist, als dass keine kulturellen Probleme zu erwarten seien, aber letztlich mussten¨ ihre Kinder dies selbst entschei- den. Ebenso mussten¨ ihre Kinder selbst wissen, ob sie die deutsche Sprache an die n¨achste Generation weitergeben wollten. Sie k¨onne auch verstehen, wenn sie nur noch Spanisch spr¨achen. Der Mann der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren hat einen kanadischen und einen paraguayischen Pass. RY interessiert sich sowohl fur¨ das Geschehen in Paraguay als auch in Kanada und Deutschland. In Deutschland beschr¨ankt sich sein Interesse jedoch auf den Fußball. Allerdings war er schon mehrfach in Deutschland und er fuhlt¨ sich diesem Land sehr verbunden. Der Befragte kann sich auch sehr gut vorstellen, nach Deutschland zu ziehen und dort zu bleiben. Sein Vaterland bleibe jedoch Paraguay und er betont, dass dies nicht im Konflikt mit seiner mennonitischen Identit¨at stehe, denn Mennonit k¨onne man uberall¨ auf der Welt sein. RY ist mit einer Mennonitin verheiratet und der Interviewteilnehmer wurde¨ es auch gern sehen, wenn seine Kinder ebenfalls mennonitischen Partner w¨ahlten. Letztlich mussten¨ sie dies jedoch selbst entscheiden, denn wichtig ist, dass sie glucklich¨ sind“. ” Die erste Befragte in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren hat sowohl einen deutschen als auch einen paraguayischen Pass. Wenn ML w¨ahlen musste,¨ wurde¨ sie sich jedoch fur¨ den paraguayischen entscheiden, da sie in Paraguay lebt und der deutsche Pass praktisch keine Bedeutung fur¨ sie hat. Sie interessiert sich ein wenig fur¨ das Polit-Geschehen in Paraguay, sofern es ML selbst betrifft. Nachrichten aus Deutschland oder anderen L¨andern verfolgt sie jedoch kaum. ML war zwei Mal in Deutschland und empfand es als sehr eng“, da es viel dichter besiedelt ist als ” Paraguay, die gute Organisation vor Ort gef¨allt ihr jedoch sehr gut. Die Befragte kann sich nicht vorstellen, in Deutschland zu leben, ihre bereits erwachsenen Kinder sind jedoch alle in die Bundesrepublik gezogen und fuhlen¨ sich dort sehr wohl. Es war ihr wichtig, dass ihre Kinder einen mennonitischen Ehepartner w¨ahlen, um keine kulturellen Grenzen uberwinden¨ zu mussen.¨ Sie haben sich auch tats¨achlich alle fur¨ mennonitische Partner entschieden, allerdings stammen diese aus Deutschland und so sind die Kinder der Befragten dorthin gezogen. Fur¨ die Interviewpartnerin stellt dies jedoch kein Problem dar. Offiziell sei Paraguay ihr Vaterland, so sagte ML, jedoch sei sie sich ihrer deutschen Wurzeln immer sehr bewusst. Sie fuhle¨ sich sogar oft als ´Eindringling´ und ´Fremde´ in Paraguay und fragt sich nicht selten, wie bzw. womit sie sich eigentlich selbst identifizieren m¨ochte. Vordergrundig¨ m¨ochte ML sich daher als Mennonitin fuhlen,¨ denn in der Gemeinde fuhlt¨ sie sich nicht fremd, sondern sehr gut integriert. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe hat lediglich den paraguayischen Pass.

125 8 Auswertung der Interviews aus Paraguay

MR hat kaum Zugang zu Medien, wenn dies jedoch der Fall ist, interessiert sie sich sowohl fur¨ paraguayische als auch fur¨ deutsche Politik. MR war einmal in Deutsch- land und hatte nur positive Eindrucke.¨ Wenn es finanziell m¨oglich w¨are, wurde¨ sie auch sehr gern in Deutschland leben. Sie stellt sich das Leben in Deutschland insge- samt leichter vor als in Paraguay, weil es ein organisierter Staat“ sei. Das einzige, ” was ihr fehlen wurde,¨ sei das gute paraguayische Klima und vielleicht auch die pa- raguayische Hilfsbereitschaft, die es in ihren Augen in Deutschland weniger gibt. In der Bundesrepublik sei doch jeder mehr auf sich allein gestellt, wenn er Hilfe brauche. In Paraguay hingegen ist die gegenseitige Hilfsbereitschaft durchaus sehr ausgepr¨agt. Das Bild der Paraguayer von den Mennoniten sei zwiegespalten, so sagte MR, und beruhe leider oft auf Vorurteilen. Diejenigen, die Mennoniten pers¨onlich kennen, pflegen gute Kontakte mit ihnen und wissen ihre Charaktereigenschaften wie Zuverl¨assigkeit und Disziplin zu sch¨atzen. Viele Paraguayer, die kaum oder kei- nen Kontakt mit Mennoniten haben, neiden ihnen jedoch gelegentlich ihren Status und ihren Besitz, so dass sie sie als Konkurrenz empfinden. Ihr selbst missf¨allt an den Paraguayern, dass sie Schwierigkeiten haben, fur¨ die Zukunft vorzusorgen und stattdessen immer nur an die Gegenwart zu denken. MR hat weder einen Partner noch Kinder. Der erste m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren hat lediglich den deutschen Pass. ED war bereits einmal in Deutschland und fur¨ einen kurzen Besuch gefiel es ihm sehr gut. Auch dieser Interviewteilnehmer betonte die gute Organisation, Sauberkeit und Ordnung in der Bundesrepublik. In Deutschland leben m¨ochte er jedoch nicht, denn Paraguay sei sein Vaterland und das Land, dass er seit seiner Kindheit kennt. ED interessiert sich sehr intensiv fur¨ paraguayische Politik und liest t¨aglich Nachrichten. Er verfolgt durchaus auch Meldungen aus Deutschland, jedoch nicht mit der gleichen Intensit¨at wie jene Meldungen aus Sudamerika,¨ denn diese betr¨afen ihn einfach st¨arker. Auch dieser Befragte ist sich sicher, dass die Mehrheit der Paraguayer einen guten Eindruck von den Mennoniten h¨atten, sie hielten sie fur¨ sehr fleißig“. Daruber¨ hinaus seien sie sich auch daruber¨ bewusst, ” dass die Wiedert¨aufer, die in Paraguay leben und arbeiten, unentbehrlich fur¨ die Wirtschaft seien und die Paraguayer deshalb auf sie angewiesen seien. ED fuhle¨ sich europ¨aisch, betonte er, mit deutschen Wurzeln. Zwar sei Paraguay sein Vaterland, Deutschland jedoch die Heimat. Der zweite Befragte dieser Altersgruppe hat wiederum lediglich den paraguay- ischen Pass. Er war bisher noch nie in Deutschland und glaubt auch nicht mehr daran, einmal die M¨oglichkeit zu bekommen, dorthin zu fahren. FE empfindet es manchmal auch als etwas merkwurdig,¨ Deutsch als Muttersprache in einem spa- nischsprachigen Land zu haben und noch nie Deutschland gesehen zu haben. Er liest jedoch alles uber¨ Deutschland, das er bekommen kann, und geht davon aus, dass es sich um ein technisch sehr weit fortgeschrittenes Land handeln muss. FE interessiert sich intensiv fur¨ paraguayische Nachrichten und informiert sich t¨aglich,

126 8.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellungen allerdings verfolgt er nach M¨oglichkeit auch Meldungen aus Deutschland und an- deren L¨andern Europas. Der Befragte fuhlt¨ sich sowohl als Mennonit als auch als Paraguayer, betonte jedoch, wie wichtig es sei, dass Mennoniten in den kommenden Generationen besser Spanisch lernen. FE selbst k¨onne es nicht fließend und seine Frau spreche gar kein Spanisch, das durfe¨ es in Zukunft nicht mehr geben“, denn ” auch wenn Mennoniten deutsche Wurzeln haben, so mussten¨ sie sich dennoch der Tatsache stellen, dass sie in einem spanischsprachigen Land leben. Seine erwachsenen Kinder haben sich fur¨ mennonitische Partner entschieden und sprechen ausschließ- lich Deutsch untereinander. Dies mache es ihm leichter, so der Befragte, weil er sonst Probleme bek¨ame, sich mit seinen Enkeln zu verst¨andigen. Dennoch sehe er mit Zufriedenheit, dass seine Kinder gut Spanisch sprechen, wenn es sein muss. Abh¨angig davon, wo ihre Familien gesiedelt haben und ebenfalls abh¨angig davon, wie wichtig es ihnen war, die Staatsburgerschaft¨ des jeweiligen Landes, in dem sie leben, zu erlangen, haben paraguayische Mennoniten unterschiedliche P¨asse. Wie gezeigt werden konnte, haben jedoch viele von ihnen noch die deutsche Staatsbur-¨ gerschaft. Es scheint jedoch, dass den meisten die paraguayische Staatsburgerschaft¨ wichtiger ist, da dies in Paraguay verst¨andlicherweise von gr¨oßerem Nutzen ist. Be- reits der Landerwerb ist einfacher, wenn ein paraguayischer Pass vorliegt. Aber ab- gesehen von formellen Voraussetzungen fuhlen¨ sich die Alterennochsehrstarkmit¨ Deutschland verbunden, unabh¨angig davon, ob sie schon einmal in der Bundesrepu- blikgewesensindodernicht.Jejunger¨ die paraguayischen Mennoniten sind, desto st¨arker bildet sich eine paraguayische Identit¨at heraus. Alle sind sich daruber¨ einig, dass die Paraguayer eine v¨ollig andere Kultur und Le- bensweise haben als die Mennoniten und alle Befragten haben den Eindruck, dass die Paraguayer die Wiedert¨aufer fur¨ fleißig und diszipliniert halten. Interessant ist, dass aufgrund der kulturellen Differenzen alle Befragten davon ausgehen, dass es letztlich die bessere Wahl sei, einen mennonitischen Partner zu w¨ahlen, um sprachlichen und kulturellen Problemen aus dem Weg zu gehen. Auch die jungeren¨ Mennoniten, die bereits eine geringere Bindung an Deutschland zeigen, bevorzugen dennoch einen Partner, der sowohl den Glauben als auch die Sprache mit ihnen teilt. Hier ist deut- lich zu erkennen, dass sich auch jungere¨ Befragte in erster Linie der mennonitischen Gemeinde zugeh¨orig empfinden, zu der Paraguayer keinen Zugang haben, und es zeigt sich auch, dass zwischen der mennonitischen und der paraguayischen Kultur noch immer eine unsichtbare, aber sehr deutliche Grenze besteht. Zudem k¨onnen die Beobachtungen Hedbergs und Bottos zu Bolivien und Argentinien grunds¨atzlich best¨atigt werden: Obwohl viele der Befragten auf der Grundlage ihrer Papiere selbst Paraguayer sind, bezeichnen sie sich niemals so. Sie sind Mennoniten, mit deutscher Abstammung, Paraguayer sind die anderen“, mit spanischer Abstammung. ”

127

9 Feldforschung in Bolivien

In der folgenden Darstellung werden die Orte, an denen die Interviews in Bolivien durchgefuhrt¨ wurden, sowie die Auswertung der Befragungen dargestellt.

9.1 Die Intervieworte

Auch in Bolivien fanden die Interviews an unterschiedlichen Orten statt, abh¨angig von den Lebensmittelpunkten der Mennoniten.

9.1.1 Die calle 6 de agosto In Bolivien gibt es nicht wie in Paraguay ein G¨astehaus oder eine ¨ahnliche Anlauf- stelle, wo die Mennoniten regelm¨aßig zusammen kommen. Es gibt lediglich die Calle 6 de agosto, auf der an allen Werktagen ein großer Markt stattfindet, auf dem die Dinge des t¨aglichen Bedarfs erworben werden k¨onnen. Der Markt erstreckt sich uber¨ mehrere Straßen und es sind uberwiegend¨ Indigene, die ihre Waren dort anbieten. Beinahe jede mennonitische Familie der bolivianischen Kolonien geht dort in mehr oder minder regelm¨aßigen Abst¨anden einkaufen. Sie erwerben dort Dinge, die nicht selbst angebaut werden k¨onnen und in den Kolonien nicht vorr¨atig sind. Rund um die Calle 6 de agosto haben sich, ¨ahnlich wie in Paraguay, deutschsprachige Reiseburos,¨ Buchhandlungen, Arzte¨ und ein Hotel angesiedelt. In dem Hotel, das auch einen kleinen Gastronomiebereich hat, st¨arken sich viele Mennoniten, nachdem sie ihre Eink¨aufe get¨atigt haben, oder ubernachten¨ dort, wenn sie l¨angere Zeit in der Stadt ben¨otigen, bis sie wieder in ihre Kolonie zuruckkehren.¨ Beim Betreten des Hotels wird schnell der Eindruck gewonnen, dass Mennoniten hier gern unter sich sind und sich auch gegenseitig kennen. Da die in Bolivien lebenden Altkolonier uberwiegend¨ traditionell gekleidet sind, weichen Fremde schon optisch deutlich von ihnen ab. Interessant ist, dass die Besitzer des Hotels aus Taiwan stammen und kein Wort Hochdeutsch oder Plautdietsch sprechen. Aus einem intensiven Gespr¨ach mit ihnen wurde deutlich, dass sie auch der Lebensweise der Mennoniten sehr skeptisch gegen- uber¨ stehen und sich mit ihrem Bestreben, abgeschieden und unter sich leben zu wollen, nicht identifizieren k¨onnen. Vor allem die prinzipielle Ablehnung technischer Ger¨ate ist den Taiwanesen deutlich suspekt. Ansonsten scheinen die Mennoniten jedoch angenehme Kunden zu sein; nur bzgl. des Essens im Gastronomiebereich ge- raten sie mit der Gesch¨aftsfuhrung¨ immer wieder aneinander, denn dieses ist nicht

129 9 Feldforschung in Bolivien deutsch/russisch gepr¨agt, wie Mennoniten es gern haben, sondern bolivianisch. Da es aber an kundigem Personal mangelt, das die Essenswunsche¨ der Kundschaft erful-¨ len k¨onnte, ist es fur¨ die Eigentumer¨ des Hotels schwierig, den Wunschen¨ der G¨aste nachzukommen.

9.1.2 Das Mennonite Central Committee Daruber¨ hinaus gibt es im Randgebiet der Stadt das Mennonite Central Commit- tee (MCC). Das MCC ist eine ursprunglich¨ in Kanada gegrundete¨ Organisation, die versucht, das mennonitische Leben vor Ort zu unterstutzen¨ und gemeinnutzige¨ Projekte ins Leben zu rufen. Das MCC gibt es seit 1960 in Bolivien.

Aufgabenbereich des Mennonite Central Committee Aktuell sind die Hauptaufgaben des MCC:

• Beratung in landwirtschaftlichen Angelegenheiten. Dies ist auch sehr konkret dahingehend, dass die Mitarbeiter des MCC sich die Felder ansehen und mit den Landwirten zusammen uberlegen,¨ wie die weitere Brach- und Saatreihen- folge sinnvoll w¨are.

• F¨orderung der Gesundheit: Das MCC tr¨agt mit Sorge dafur,¨ dass die medizi- nische Versorgung in den Kolonien so gut wie m¨oglich ist. Es vermittelt auch Arzte¨ direkt in Santa Cruz und hilft ggf. bei Verst¨andnisproblemen.

• Erziehung und Bildung: Das MCC vertreibt Schulbucher¨ und setzt sich fur¨ eine ausreichende Bildung der mennonitischen Kinder ein.

Das MCC fuhrt¨ ein Dreiraumburo¨ und die dortigen Mitarbeiter sind allesamt Kanadier, die jedoch ausnahmslos Plautdietsch sprechen und dies als Kommunika- tionsmittel mit den Mennoniten vor Ort nutzen. Beim Betreten der R¨aumlichkeiten bekommt man leicht das Gefuhl,¨ sich in einer norddeutschen Gemeinde zu befin- den: Mitten in Bolivien wird auf kleinstem Raum ausschließlich auf Plautdietsch kommuniziert. In erster Linie werden im MCC Bucher¨ vertrieben. Hier kaufen die Mennoniten der Kolonien die Schulbucher¨ fur¨ ihre Kinder; es handelt sich dabei uberwiegend¨ um Bibeln, Katechismen und Lesefibeln. Noch immer m¨ochten die meisten konservativen Kolonien in Bolivien ihren Kindern nicht mehr lehren als notwendig, da sie die Sorge haben, dass diese die mennonitische Gemeinde verlassen und sich außerhalb Arbeit suchen, wenn sie ausreichend Bildung dafur¨ erhalten haben. Das MCC bedauert dies mit der nachvollziehbaren Begrundung,¨ dass Bildung unumg¨anglich ist, um nicht das Gefuhl¨ von Unterdruckung¨ und Einschr¨ankung zu erfahren. Die kanadischen

130 9.1 Die Intervieworte

Mennoniten gelten als vergleichsweise weltoffen und sind in Kanada deutlich st¨arker integriert als ihre Glaubensbruder¨ in Bolivien. In Kanada ist es nicht mehr allgemein ublich,¨ dass Mennoniten in Kolonien unter sich leben; auch f¨allt direkt auf, dass die Kanadier im bolivianischen Buro¨ untereinander ausschließlich Englisch sprechen und nicht, wie die Mennoniten in Bolivien, Hochdeutsch oder Plautdietsch. Abgesehen von den Schulbuchern¨ sind jedoch auch Kinderbucher,¨ Bucher¨ zur men- nonitischen Geschichte und Lebensratgeber bzgl. der Behandlung von Krankheiten, zumKochennachdeutschenundrussischenRezeptensowiederVersorgungvon Großfamilien dort erh¨altlich. Vom MCC ist zu erfahren, dass Hochdeutsch die Spra- che ist, in der am h¨aufigsten Literatur gefragt ist. Dies ist auch wenig verwunderlich, da an den mennonitischen Schulen in den Kolonien fast ausschließlich Hochdeutsch als Schriftsprache gelehrt wird; folglich ist es auch die Sprache, in denen Mennoni- ten das Lesen und Schreiben am leichtesten f¨allt. Daruber¨ hinaus wird jedoch auch nicht selten nach plautdietscher Literatur gefragt. Es gibt mittlerweile einen Verlag in Kanada, der sich auf den Druck niederdeutscher Text fur¨ Mennoniten spezialisiert hat. Allerdings bestehen fast durchg¨angig Lieferschwierigkeiten, so dass es insgesamt noch immer nicht ganz einfach ist, die Bedurfnisse¨ nach niederdeutscher Literatur zu befriedigen. Weitaus weniger, aber dennoch hin und wieder, wird nach spanischen Buchern¨ gefragt. Die meisten Altkolonier lernen Spanisch nicht in der Schule und viele von ihnen, besonders die Frauen, haben wenig Kontakt zur spanischsprachigen Bev¨olke- rung. Aber auch im MCC ist es deutlich vernehmbar, dass gerade jungere¨ Mennoni- ten spanische Bucher¨ haben m¨ochten, um im Selbststudium ihre Spanischkenntnisse zu verbessern, um auch außerhalb der Kolonie problemlos kommunizieren zu k¨onnen. Beim Durchsehen der dort ausliegenden Bucher¨ in deutscher Sprache ist auff¨allig, dass sie viele orthografische Fehler enthalten und auch die hochdeutsche Sprache le- xikalisch deutlich altertumlicher¨ wirkt, als dies in einem Buchhandel in Deutschland der Fall sein k¨onnte. Auf Nachfrage ist im MCC zu erfahren, dass dies theoretisch bekannt sei, es jedoch nicht immer einfach sei, eine gute Ubersetzung¨ zu bekommen, denn die meisten Bucher¨ werden aus dem Englischen von Mennoniten ubersetzt,¨ die h¨aufig selbst so schreiben, wie sie es h¨oren. Daruber¨ hinaus gibt es auch eine Biblio- thek in den R¨aumlichkeiten des MCC. Hier k¨onnen Mennoniten Bucher¨ entleihen. Bei den zu entleihenden Buchern¨ handelt es sich um Belletristik, Geschichtliches und Kinderbucher¨ sowie allgemeine Ratgeber. Auff¨allig ist, dass sich keine Literatur findet, die kritisch Themen wie Religion, Politik oder Geschichte gegenuberst¨ unde.¨ Es gibt praktisch nur Bucher,¨ die den Glauben wie auch die Herkunftsgeschichte der Mennoniten als auch Familienthemen allgemein positiv darstellen. Die ausleihbare Literatur ist ebenfalls uberwiegend¨ in Hochdeutsch verfasst, teilweise aber auch in Plautdietsch und ein ganz kleiner Teil findet sich in spanischer Sprache. Neben der Bereitstellung von Literatur und der Beratung in s¨amtlichen Problem- situationen stellt das MCC auch eine Art Postsammelstelle dar. Da es in Bolivien

131 9 Feldforschung in Bolivien schwierig ist, Post zu empfangen und gerade die H¨auser in den Kolonien in der Regel gar keine postalische Adresse haben, wird die Post im MCC nach Kolonien geordnet gesammelt. Mindestens einmal im Monat kommt aus jeder Kolonie eine Person, die dafur¨ zust¨andig erkl¨art worden ist, und holt die Post fur¨ die gesamte Kolonie ab, um sie vor Ort zu verteilen. Viele Mennoniten Boliviens erhoffen sich vom MCC auch Hilfe bzgl. ihrer L¨an- dereien und auch hin und wieder eine m¨ogliche Vermittlung zwischen den Wieder- t¨aufern und der Regierung. Nach der Einladung zur landwirtschaftlichen Bestellung bolivianischer L¨andereien durch die Regierung in den 1950er Jahren haben sich im Gebiet um Santa Cruz 40.000 Mennoniten angesiedelt, um das Gebiet nach der bolivianischen Revolution urbar zu machen. Die Privilegien, die den Mennoniten zugestanden worden sind, wie auch in anderen L¨andern zuvor ublich,¨ sind ihnen je- doch nicht per Gesetz zugebilligt worden, sondern lediglich per Dekret. Ein Dekret ist leichter umzu¨andern als ein Gesetz und auch nicht auf Dauer vorgesehen, son- dern nur fur¨ einen begrenzten Zeitrahmen. Die bolivianischen Mennoniten haben die Regierung stets gemieden und sind nie an sie herangetreten, um die Lebensbedin- gungen zu kl¨aren. In anderen L¨andern, in die die Wiedert¨aufer umsiedelten, hat dies hingegen durchaus stattgefunden. Laut dem MCC ist die Regierung ihrerseits mitt- lerweile an die Mennoniten herangetreten, um M¨oglichkeiten des weiteren Bestehens der Privilegien zu besprechen, aber die Mehrheit der konservativen Wiedert¨aufer zeigt offenbar bisher wenig Gespr¨achsbereitschaft. Das MCC versucht hier zu vermitteln, sieht sich letztlich jedoch als unabh¨angig und unpolitisch. Vielmehr wird versucht, die Siedler selbst zu Gespr¨achen zu ermu- tigen. Diese Angaben des MCC widersprechen allerdings denjenigen von Schartner. Ihm zufolge sind schon in den 1950er Jahren die ersten Mennoniten, die sich in Boli- vien niedergelassen haben, an die Regierung in La Paz herangetreten um Privilegien auszuhandeln. Als Grundlage dienten ihnen die von der paraguayischen Regierung bewilligten Privilegien (Schartner 2009: 189). Schließlich seien den Siedlern in Boli- vien 1962 per Gesetz (Schartner zufolge als Dekret) folgende Privilegien zugesichert worden:

• Mennoniten mussen¨ keinen Schwur vor Gericht ablegen, stattdessen k¨onnen sie lediglich mit ja“ oder nein“ antworten. ” ” • Sowohl in Kriegszeiten als auch in Zeiten des Friedens sind Mennoniten in Bolivien vom Milit¨ardienst befreit.

• Mennoniten k¨onnen teilweise eigene Versicherungen nach ihren Richtlinien ver- walten, vornehmlich im Bereich der Sturm- und Brandgefahr.

• Sie durfenindeneinzelnenKolonienjeweilseinWaisenamtf¨ uhren,¨ das die Angelegenheit bzgl. Erbschaftsfragen, Witwen und Waisen regelt.

132 9.1 Die Intervieworte

• Den Mennoniten wird zugebilligt, sowohl ihre eigenen Schulen als auch ihre eigenen Kirchen zu grunden¨ und zu verwalten. Sie durfen¨ ihren Glauben, aber auch ihre eigene Sprache pflegen und f¨ordern. Die angestellten Lehrer sollen jedoch auch Spanisch sprechen.

• Unter bestimmten Bedingung werden Mennoniten von den bolivianischen Ein- fuhrsteuern fur¨ Maschinen, M¨obel und andere Waren befreit (Schartner 2009: 189).

Dieses Gesetz wurde jedoch 1975 von dem damaligen amtierenden Pr¨asidenten als ungultig¨ erkl¨art. Dies fuhrte¨ dazu, dass die in Bolivien lebenden Mennoniten uber¨ keinerlei Privilegien mehr verfugten¨ (Schartner 2009: 190). Die Vorsteher der Kolonien nahmen daraufhin erneut Kontakt mit der Regierung in La Paz auf und konnten durch Vermittlung mit einigen Senatsmitgliedern tats¨achlich erwirken, dass das Gesetz von 1962 wieder in Kraft trat. Einzig die Steuerbefreiungen wurden ihnen nicht l¨anger gew¨ahrt, mit dem Argument, dieses Privileg sei nur fur¨ die Anfangsphase der mennonitischen Siedlungen gedacht gewesen (ebd.: 190). Das Gesetz wurde 1982 erneut von dem damaligen Pr¨asidenten best¨atigt. Das Hauptaugenmerk des MCC liegt im Ausbau und Erhalt von Schulen und Krankenh¨ausern innerhalb der Kolonien. Noch immer ist die Versorgung mit diesen Einrichtungen in den meisten Siedlungen sehr durftig¨ und entspricht nicht dem Stand der Kolonien in anderen sudamerikanischen¨ L¨andern. Neben den Buchern,¨ die beim MCC erworben werden k¨onnen, und den Projekten, die von dieser Organisation unterstutzt¨ werden, gibt es auch einige Zeitschriften, die auf deutscher Sprache in Bolivien gedruckt und an die Mennoniten verteilt werden:

• Der Menno Bote.Fur¨ deutsche Mennoniten in Bolivien.

• Das Mennoblatt. Allgemeine Informationen zur Wirtschaft, Gesundheit und Gemeindeleben.

• Das Blatt.Fur¨ Kinder und Jugendliche.

Publikationen: Mennonitische Zeitschriften und deren Orthografie Der Menno Bote schreibt uber¨ allgemeine Lebensbedingungen und Neuigkeiten in den einzelnen Kolonien Boliviens, daruber¨ hinaus gibt es Berichte, die von Menno- niten geschrieben sind, die etwas Besonderes erlebt haben und dies an die Glau- bensbruder¨ weitergeben m¨ochten. Des Weiteren findet sich in der Zeitschrift ein kleiner Absatz zur Landeskunde Boliviens. Der Menno Bote ist auf Hochdeutsch geschrieben und insgesamt sprachlich wenig abweichend von den Zeitschriften, die in deutschsprachigen Raum Europas erh¨altlich sind. An einigen Stellen lassen sich

133 9 Feldforschung in Bolivien bei genauerer Betrachtung jedoch Auff¨alligkeiten ersehen. Der Menno Bote berich- tet uber¨ Besonderheiten in den bolivianischen Kolonien und es wird beim Lesen der Artikel direkt deutlich, dass es sich um Laienschreiber handelt. Der Stil ist famili¨ar und es entsteht direkt der Eindruck, die Leser wurden¨ sich untereinander kennen ( Wir freuen uns, dass Bernhard Wall dieses Foto fur¨ [...] Menno Boten gebracht ” hat.“, Menno Bote November 2013, S.1). Der Leser wird geduzt, so dass auch keine Distanz zu dem Autoren entsteht ( Viele von Euch werden geh¨ort haben [...]“, Menno ” Bote November 2013, S. 1). Die Sprache wirkt zuweilen etwas altertumlich¨ und weicht von derjenigen ab, die aktuell im deutschsprachigen Raum in den Printmedien zu finden ist ( Sie k¨onnen ” mit nur wenigen Pflanzen w¨ahrend funfzehn¨ Jahren frische Beeren fur¨ Ihre ganze Familie haben.“, Menno Bote November 2013, S. 6). Des Weiteren fallen Redewen- dung auf wie [...] es ist mit den Kamelen verwandt, obwohl es nicht H¨ocker hat.“ ” (Menno Bote November 2013, S. 9), “Ein Lehrer sagt, dass er den Ladenbediener gefragt hat.“ (Menno Bote April 2014, S.14). Auff¨allig ist daruber¨ hinaus auch, dass jegliche spanische Begriffe, inklusive Eigennamen, grunds¨atzlich ins Deutsche uber-¨ setzt werden, z.B. Perla del Oriente (Menno Bote November 2013, S.13). Zuweilen gibt es in der Zeitschrift auch N¨ahesprache ( Wir versprechen nicht, alle Nachrich- ” ten, die wir bekommen, in die Zeitung hineinzutun“. Menno Bote November 2012, S.5). Ein weiteres Beispiel dafur¨ ist Man kann mehr Informationen haben im In- ” ternet bei [...]“ (Menno Bote, November 2012, S.20). An einigen Stellen kommt es auch zu semantisch redundanten Komposita ( Am 6. Oktober gab es einen großen ” Sturmwind (Sturm)”. Menno Bote, November 2012, S.10). Das Menno Blatt wird in Bolivien gedruckt. Im paraguayischen Pendant, von dem mir ebenfalls einige Aus- gaben vorliegen, lassen sich keine vergleichbaren Auff¨alligkeiten finden. Die Sprache unterscheidet sich nicht von derjenigen, die auch im deutschsprachigen Raum Eu- ropas gedruckt wird. Wichtig ist außerdem, dass fur¨ das Menno Blatt noch viele Artikel auf Plattdeutsch geschrieben werden, die anschließend von einer weiteren Person auf Hochdeutsch ubersetzt¨ werden. Der plautdietsche Ausgangsartikel wird so geschrieben, wie die Sprache akustisch wahrgenommen wird. Anders ist es nicht m¨oglich, da das Plautdietsche offiziell nicht als Schriftsprache in der Schule gelehrt wird. In Paraguay gibt es zudem eine Zeitung fur¨ deutschsprachige Einwanderer, die zwar auch, aber nicht nur, von Mennoniten gelesen wird. Sie behandelt allgemei- ne Themen um Paraguay, Nachrichten aus Deutschland, sowie Osterreich¨ und der Schweiz. Schließlich gibt es noch die Menno Post. Sie wird in Kanada gedruckt und ist sowohl fur¨ kanadische Mennoniten als auch fur¨ diejenigen aus Lateinamerika ge- dacht. Inhaltlich geht es um die wichtigsten Nachrichten des mennonitischen Lebens in den einzelnen L¨andern, sowie Briefe und Erz¨ahlungen von Wiedert¨aufern, die etwas erlebt haben, das sie ihren Glaubensbrudern¨ mitteilen m¨ochten. Sprachlich

134 9.1 Die Intervieworte ist das Blatt nahezu identisch mit dem Menno Blatt und weicht unwesentlich vom Standarddeutschen ab. Wie bereits erw¨ahnt, finden sich in der fur¨ Erwachsene, aber auch in der fur¨ Kinder gedachten Literatur, die in Bolivien auf deutscher Sprache erh¨altlich ist, zahlreiche Ubersetzungsfehler.¨ Ein kurzer Einblick soll an dieser Stelle anhand des M¨archens Schneewittchen und die sieben Zwerge“ erfolgen. Zun¨achst einmal ist auff¨allig, dass ” es den Buchstaben <ß> in der Erz¨ahlung nicht gibt. M¨oglicherweise stand er der Druckerei nicht zur Verfugung.¨ Dies hat zur Folge, dass sich in dem M¨archen W¨or- ter finden wie sasz oder weisz. Offenbar hat sich die Druckerei als Alternative fur¨ das <ß> fur¨ die Buchstabenkombination entschieden, eine mittlerweile relativ antiquierte und f¨ormliche orthografische Wiedergabe dieses Lautes, die im 19. Jh. jedoch noch usuell war (Duden 1900). Teilweise wird dort, wo ein <ß> erforderlich w¨are, auch nur ein einfaches s verwendet, z.B. in den W¨ortern Fusboden oder schlies- lich. Diese Schreibweisen sind auch in einem Duden von 1900 nicht nachweisbar und daher m¨oglicherweise orthografische Fehler. Manchmal ist die Schreibweise des glei- chen Wortes auch uneinheitlich: wuste und an anderer Stelle wuszte.Auchdiese Schreibweise ist in keinem Duden nachweisbar. Abweichende Schreibweisen sind je- doch nicht durchg¨angig, denn andere Stellen bzw. die Schreibweise anderer W¨orter wiederum ist korrekt, z.B. beschlossen. Hinzu kommt eine nach dem Standarddeutschen unpassende Wahl der Pr¨apositio- nen: Bald darauf bekam sie ein Toechterlein, an dem waren alle ihre wunsche erfullt.¨ Oder es wird ein falscher Kasus gesetzt: Die sieben Zwerge arbeiten in die Berge. Und weiter: Schneewittchen lief Mutter soll allein durch den Wald. Dies k¨onnte ein Uber-¨ setzungsfehler fur¨ mutterseelenallein“ sein. Auff¨allig ist auch, dass vereinzelt W¨orter ” fehlen: Dann fuehrten sie Schneewittchen noch weiter in den , bis auf einer sonnigen Lichtung. Es kommt auch zu Verwechselungen von Dativ und Akkusativ: Sie hat noch viel Spass mit die Zwerge gehabt. Hin und wieder sind auch W¨orter abgedruckt, die in der dargestellten Buchstabenreihenfolge keinen Sinn ergeben und dieser ist auch nur sehr schwer aus dem Kontext zu erschließen: mumt, aufschftt.Daruber¨ hinaus ist auch die Groß- und Kleinschreibung sehr unregelm¨aßig und wirkt beinahe willkurlich.¨ Nomen werden h¨aufig mit Minuskel geschrieben: wuensche, jahre, jaeger, zwerge, wut, erde, koenigssohn, kleider, wand, das paar. Adjektive hingegen werden nicht selten mitten im Satz mit Majuskel geschrieben: Zufrieden, Beobachtete, To- edliches. Zudem wird auch nicht jeder Satz mit einem Großbuchstaben begonnen, h¨aufig ist der Anfang einer Phrase auch ein Kleinbuchstabe. Des Weiteren ist die Verwendung der Tempora innerhalb des M¨archens nicht ein- heitlich. Fur¨ ein und dieselbe zeitliche Ebene wird regelm¨aßig zwischen Pr¨asens und Pr¨ateritum gewechselt. Nebens¨atze werden zudem auch nicht immer durch Komma- setzung kenntlich gemacht: Es hatte einen Bissen im Mund da fiel es leblos zur erde nieder. Alle diese oben genannten orthografischen und grammatikalischen Abweichungen

135 9 Feldforschung in Bolivien vom Standarddeutschen sind in einem DIN A6 kleinen, 23 Seiten dunnen¨ Geschichts- buchlein¨ fur¨ Grundschulkinder aufzufinden. Der Druck stellt keine Ausnahme dar, die Orthografie in den ubrigen¨ Kinderbuchern¨ ist ¨ahnlich. Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass in dem Buchstabier- und Lesebuch der Grundschule uberwiegend¨ das Schreiben von kompletten S¨atzen, die aus Gedichten und sehr kurzen Abhandlung stammen, eingeubt¨ wird. Es handelt sich dabei aus- schließlich um christliche Gebete. Alle Gedichte sind außerdem in Sutterlinschrift¨ verfasst. Am Anfang des Buches wird jedoch auch knapp in das lateinische Alpha- bet eingefuhrt.¨ In der Fibel finden sich ebenfalls orthografische Abweichungen, z.B. Er [...] giebt ” Gnade“. Diese Rechtschreibung war am Ende des 19. Jh. bzw. Anfang des 20. Jh. gebr¨auchlich (giebt, Duden 1900). Neben der Tatsache, dass viele Kinder in den Kolonien bis zur Einschulung aus- schließlichPlautdietschgesprochenhabenundinderSchulenunmitHochdeutsch konfrontiert werden, lernen sie es offenbar auch aus fehlerhaft gedruckten bzw. mit Archaismen durchsetzten Buchern.¨ Die Lehrkr¨afte der Altkolonier kommen entwe- der aus den eigenen Reihen oder aus Paraguay. Fast niemand unter ihnen hat einen Universit¨atsabschluss (Schartner 2009: 56). Oftmals ist auch lediglich ein Lehrer fur¨ eine ganze Schule zust¨andig, in der mehrere Jahrg¨ange gemeinsam in einem Raum unterrichtet werden (Ebd.: 73).

9.1.3 Die Kolonie Morgenland Es gibt in Bolivien 25 mennonitische Kolonien, die alle unterschiedlich groß sind und unter unterschiedlichen Bedingungen leben. Sie alle leben laut dem MCC nach den selben Grunds¨atzen der Bibel und der Ordnung, jedoch interpretieren sie sie nicht al- le gleich, so dass sie verschiedenen Lebensentwurfen¨ folgen. Die Kolonie Morgenland, die sich ca. 80 km entfernt von Santa Cruz befindet, soll hier nur als ein Beispiel, das das Leben in der mennonitischen Gemeinde in den L¨andereien Boliviens umreisst, kurz dargestellt werden. In Morgenland leben ca. 2000 Mennoniten, sie sind auf 15 campos verteilt. Al- le campos sind gr¨oßere L¨andereien und die Bewohner Morgenlands leben von der Landwirtschaft. Die H¨auser sind nach deutschem Vorbild aus Stein. Morgenland gilt als eine der weniger konservativen Kolonien und so gibt es zwar kein Internet, einige der Mennoniten haben jedoch riesige Satellitenschusseln¨ im Garten, mit denen das Fernsehen m¨oglich ist. Dies ist jedoch nicht fur¨ alle Familien selbstverst¨andlich, eini- ge der Bewohner Morgenlands schutteln¨ auch mehr oder minder entsetzt den Kopf uber¨ soviel ´scheinbar unnutzen¨ Fortschritt´. Viele der Bewohner dieser Kolonie ha- ben lange in Kanada gelebt und es entsteht ein bisschen der Eindruck, dass gerade sie mehr Wert auf technischen Fortschritt legen. Vor Ort gibt es mehrere Gemeindeh¨auser, in denen nicht nur der Gottesdienst

136 9.1 Die Intervieworte stattfindet, sondern auch regelm¨aßige Proben fur¨ musikalische Einlagen oder kleine- re Theaterstucke.¨ Daruber¨ hinaus gibt es kleinere L¨aden, die w¨ochentliche Großein- k¨aufe in Santa Cruz t¨atigen und so den Einwohnern die Dinge des t¨aglichen Lebens verkaufen k¨onnen. Es gibt seit Neuestem sogar ein Fast Food-Restaurant, das Essen nach amerikanischem Stil verkauft. Das Restaurant wird von vielen als interessan- te Neuerung begrußt,¨ es war jedoch w¨ahrend meines Aufenthalts niemand darin zu sehen, der dort gegessen h¨atte. In Morgenland gibt es außerdem ein Krankenhaus mit zehn Belegbetten. Die dort t¨atigen drei Krankenschwestern stammen alle aus Deutschland. Der Arzt, der dort normalerweise arbeitet, ist Bolivianer und spricht kein Deutsch. Er ist jedoch auf unabsehbare Zeit selbst erkrankt und so ist momentan in Morgenland kein Arzt verfugbar,¨ ein Umstand, der vor allem dem MCC Sorgen bereitet. Abgesehen von W¨ochnerinnen bleibt in dem Krankenhaus aufgrund des nicht anwesenden Arztes niemand uber¨ Nacht. Die Krankenschwestern versorgen kleinere Wunden, Grippe- symptome und Schwangere. Vor Ort wird das best¨atigt, was auch schon dem Arzt der Mennoniten in Santa Cruz aufgefallen war: Die in Bolivien, und somit auch in dem Krankenhaus, frei verk¨auflichen Medikamente werden sehr großzugig¨ und auch schon bei kleineren Beschwerden eingenommen. Eine Aufkl¨arung daruber,¨ dass ein Antibiotikum nur dann wirksam ist, wenn es bis zum Ende der Packung genommen wird, fehlt bislang. Die Einrichtung des Krankenhauses besteht aus kanadischen Spenden. Wenn ein Patient ernsthaft erkrankt ist und ihm vor Ort nicht geholfen werden kann, muss er den einstundigen¨ Weg nach Santa Cruz gefahren werden. Dafur¨ stehen drei aus der Kolonie stammende Bewohner zur Verfugung,¨ von denen immer einer Bereitschaft hat. Krankenwagen gibt es nicht. Neben dem Arzt, der normalerweise dort t¨atig ist, gibt es noch einen Zahnarzt, der ebenfalls Bolivianer und der deutschen bzw. niederdeutschen Sprache nicht m¨achtig ist. Gem¨aß der Krankenschwestern werden aber beide Arzte¨ gut von den Mennoniten Morgenlands akzeptiert. In der Kolonie f¨allt auf, dass fast alle deutsche Autos fahren. Um den permanenten Import zu verhindern, hat die bolivianische Regierung ein Gesetz erlassen, demzufolge keine Autos mehr eingefuhrt¨ werden durfen,¨ die ¨alter als drei Jahre sind. Dieses Gesetz scheint jedoch dehnbar zu sein, denn offenbar steht nicht geschrieben, dass es auch fur¨ landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge gilt. So arbeiten die Mennoniten vor Ort weiterhin mit alten deutschen Fahrzeugen, in deren Reparatur sie viel Zeit investieren. In Morgenland gibt es zwei Grundschulen, an denen jedoch kein Abschluss er- langt werden kann. Um eine weiterfuhrende¨ Schule zu besuchen, mussen¨ die Kinder und Jugendlichen ein gutes Stuck¨ außerhalb der Kolonie gefahren werden. An den beiden existierenden Grundschulen wird seit einigen Jahren Spanisch unterrichtet, jedoch von Lehrkr¨aften, fur¨ die Spanisch ebenfalls eine Fremdsprache ist. Dieser Fremdsprachenunterricht wird jedoch positiv angenommen: Darauf angesprochen, wie sie es f¨anden, dass die Kinder nun die Landessprache lernten, sind weitgehend

137 9 Feldforschung in Bolivien

Zustimmungen dahingehend zu vernehmen, dass dies ja mittlerweile notwendig sei. Daran kann bereits gesehen werden, dass es sich um eine vergleichsweise weltoffene Gemeinde handelt. Daruber¨ hinaus soll in wenigen Wochen (Stand: April 2014) ein aus Deutschland stammender Lehrer nach Morgenland kommen, der von einem Missionarwerk ver- mittelt worden ist. Er soll im Rahmen eines Abendunterrichts die Erwachsenen der Kolonie in Spanisch unterrichten. Die Alteren¨ lernten Spanisch noch nicht in der Schule und die meisten verfugen,¨ wenn uberhaupt,¨ nur uber¨ Grundkenntnisse. Inter- essant ist, dass eigens jemand aus Deutschland kommt, um sie in der Landessprache zu unterrichten. Viele der Erwachsenen der Kolonie scheinen jedoch schon beinahe euphorisch zu sein und es besteht, zumindest im Vorhinein, ein reges Interesse an der Teilnahme.

Das Schulsystem in Bolivien Noch immer sind ca. 22% der Bolivianer Analphabeten. Dies kann allerdings als Erfolg verbucht werden, denn vor 40 Jahren lag die Zahl der Analphabeten noch bei 70% (Pampuch & Echalar 1993: 155). Seit 1955 besteht eine gesetzliche Schul- pflicht, die zun¨achst funf¨ mittlerweile aber acht Jahre umfasst (Paul 2013: 1). Diese Regelung ist (bislang) nicht ganz einheitlich, so gibt es in l¨andlichen Regionen oft- mals abweichende Regularien (Pampuch & Echalar 1993: 155). Anschließend kann auf freiwilliger (und meist kostenpflichtiger) Basis eine sechsj¨ahrige Secundaria ange- schlossen werden (ebd.). Diese M¨oglichkeit wird von ca. 30% der SchulerInnen¨ in den st¨adtischen Gebieten genutzt. Es wird ausschließlich auf Spanisch unterrichtet, ein Umstand, der den meist auf dem Land lebenden Kindern mit den Muttersprachen Quetschua und Aymara h¨aufig Schwierigkeiten bereitet. Dieser Missstand konnte bisher nicht behoben werden, obwohl beide Sprachen offiziell als Amtssprachen an- erkannt sind. Auff¨allig in Bolivien ist außerdem, dass der Zugang zu Buchern¨ selbst in st¨adtischen Gebieten nicht immer einfach ist und es kaum Bibliotheken gibt. Das Colegio Villa Nueva ist kostenpflichtig. Generell ist der Schulbesuch in Bo- livien aber kostenlos, Schuluniformen und Bucher¨ mussen¨ dennoch von den Eltern erworben werden. Viele Familien, gerade mit mehreren Kindern, k¨onnen diese Kos- ten nicht aufbringen. Ein noch gr¨oßeres Problem sind jedoch die h¨aufig sehr langen Schulwege, die es vielen Familien in l¨andlichen Gegenden unm¨oglich machen, die Kinder auf eine Schule zu schicken (Paul 2013: 2). Die Einschulungsrate liegt in Bo- livien allgemein bei ca. 95% (ebd.). LehrerInnen sind oft schlecht ausgebildet und haben nicht an einer regul¨aren Universit¨at studiert. Die Dauer des Schulbesuchs h¨angt mit dem Einkommen der Eltern zusammen: Vor allem die indigene Bev¨ol- kerung geht selten l¨anger als zwei Jahre auf eine Schule, da die Kinder dann schon Geld verdienen mussen¨ (ebd.). Diese Kinder haben schon aufgrund ihrer Mutterspra- che, die nicht Spanisch ist, Schwierigkeiten, w¨ahrend der wenigen Jahre, die sie eine

138 9.1 Die Intervieworte

Schule besuchen, dem Unterricht zu folgen. Eine Lehrerin aus Santa Cruz erz¨ahlte mir, dass die Schulen l¨angst dazu aufgefordert worden seien, in Gebieten, in denen indigene Sprachen dominieren, in diesen Sprachen zu unterrichten. Jedoch fehlen meisten Lehrkr¨afte, die dazu in der Lage w¨aren. Obwohl die Zahl der Analphabe- tenindenletzten20Jahrengesunkenist,liegtsienochimmerbeica.20%und ist damit eine der h¨ochsten Analphabetisierungsraten Lateinamerikas (ebd.: 3). Auf der Plattform bolivien-liest.de wird sogar von einer Analphabetenrate um die 60% ausgegangen. Viele Bolivianer k¨onnten zwar theoretisch Buchstaben lesen, wussten¨ jedoch inhaltlich nicht, was sie gelesen haben. Viele Reformen, besonders in den letz- ten 20 Jahren, zielten darauf ab, die Analphabetisierungsrate zu senken, m¨oglichst allen Kindern fur¨ mindestens vier Jahre Schulbildung zukommen zu lassen und auch die Lehrerausbildung an den Universit¨aten zu verbessern (Str¨obele-Gregor 1996: 67). Im Anschluss an die Revolution von 1952 wurde 1955 erstmals eine Bildungs- reform verabschiedet, die auch den sozial Benachteiligten, allen voran den Indige- nen, Zugang zu Bildung gew¨ahrensollte.Indenweitenl¨andlichen Gebieten konnten Bildungseinrichtungen jedoch nur unzureichend er¨offnet werden. Dadurch den aus- schließlich in spanischer Sprache stattfindenden Unterricht wurden indigene V¨olker, die zu Hause nicht Spanisch sprachen, benachteiligt und die Schulabbrecherquote unter ihnen war sehr hoch (Hentschel 2013: 32). In den 1980er Jahren bildete sich die Educaci´on Intercultural Bilingue¨ (EIB), eine politische Initiative mit dem Ziel die Vielf¨altigkeit der Sprachen und Kulturen Boliviens zu st¨arken und anzuerkennen. 1994 wurde von der bolivianischen Regierung ein bedeutendes Gesetz zur Schulbil- dung im Land erlassen:

La educaci´on boliviana es nacional, porque responde funcionalmente a las exi- gencias vitales del pa´ıs en sus diversas regiones geogr´afico-culturales, buscan- do la integraci´on y la solidaridad de sus pobladores para la formaci´on de la conciencia nacional a trav´es de un destino hist´orico com´un. Educaci´on era in- tercultural y bilingue¨ porque asume la heterogeneidad sociocultural del pa´ıs en un ambiente de respeto entre todos los bolivianos, hombres y mujeres (Ley Nr. 1565).

Es ist Ergebnis des Proyecto de Educaci´on Intercultural Bilingue¨ (PEIB), das ei- ne neue Sprach- und Bildungspolitik anstreben sollte, in deren Zentrum Interkul- turalit¨at stehen sollte. Somit wurde die Diversit¨at des Landes nicht mehr nur als Schwierigkeit, sondern als nutzbare Ressource begriffen (Hentschel 2013: 33). Damit sollte dem Pluralismus in Bolivien begegnet werden und allen V¨olkern in- nerhalb des Landes, deren Muttersprache nicht Spanisch ist, zusichern, dass im Zuge des Unterrichts auch die Erstsprache der Kinder berucksichtigt¨ wird. Das Gesetz wurde vordergrundig¨ in Kraft gesetzt, um den Bedurfnissen¨ der indigenen Kinder gerecht zu werden. Dennoch gilt es ebenso fur¨ alle anderen interkulturellen Famili-

139 9 Feldforschung in Bolivien en. Die Fassung von 1994 wurde als nicht ausreichend kritisiert, vor allem deswegen, weil sie noch immer die indigene Kultur und deren Sprachen als nachrangig dekla- riert. Daher wurde 2009 eine erg¨anzende Fassung verabschiedet. Darin wird betont, dass alle Einwohner Boliviens mit ihren Sprachen und Lebensweisen zur bolivia- nischen Gemeinschaft entscheidend beitragen (Guti´errez 2010: 47). Dies bedeutet, dass die indigenen Sprachen nicht l¨anger dem Spanischen gegenuber¨ als minder- wertig angesehen, sondern mit der spanischen Sprache gleichgestellt wurden. Die Gesetzesreform von 2009 stellt daher einen wichtigen Schritt zur Distanzierung vom spanischen Kolonialismus dar. Nach dem Wahlsieg von Morales setzte sich schnell die Ansicht durch, dass eine anerkannte Zweisprachigkeit (bilingue¨ ) nicht ausrei- chend sein k¨onnte. Vielmehr musse¨ die ausgepr¨agte Mehrsprachigkeit des Landes zum Tragen kommen. So wurde festgelegt, dass das Bildungssystem fortan intracul- tural, intercultural y plurilingue¨ (EIIP) zu sein habe (Hentschel 2013: 35). Nun fuhrt¨ Bolivien auch die Bezeichnung Estado Plurinacional de Bolivia. Damit wird die Di- versit¨at des Landes, einschließlich der indigenen V¨olker und auch der Afrobolivianer, anerkannt. Dies wird deutlich in Artikel 1 des Nueva Ley de Educaci´on von 2009:

Es intracultural, intercultural y plurilingue¨ porque articula un Sistema Educa- tivo Plurinacional desde el potenciamiento de los saberes, conocimientos y la lengua propia de las naciones y pueblos ind´ıgena originario campesinos, las comunidades interculturales y afro bolivianas, promoviendo la interrelaci´on y convivencia en igualdad de oportunidades para todos, a trav´es de la valoraci´on yrespetorec´ıproco entre culturas.

Die Muttersprache der Kinder soll nun als erste Sprache unterrichtet werden und Spanisch als zweite Sprache, zumindest in den l¨andlichen Gegenden, in denen viele Indigene leben. In den st¨adtischen monolingualen Gegenden ist nach wie vor Spa- nisch ausschließlich Unterrichtssprache. Fur¨ Gebiete, die drei- oder mehrsprachig sind, sind laut des Gesetzes Sonderregelungen vorgesehen:

En las comunidades o regiones trilingues¨ o multilingues,¨ para la elecci´on de la lengua originaria, se aplican los criterios deterritorialidad y transterritoriali- dad.

Lessmann zufolge haben die Reformen, die seit der Amtseinfuhrung¨ Evo Morales‘ stattgefunden haben, bereits Fruchte¨ getragen und die Analphabetenrate ist dem- nach auf ca. 4% gesunken (Lessmann 2010: 208). Die Kampagne unter dem Namen Yo s´ıpuedosieht das Unterrichten Erwachsener in spanischer als auch indigener Schriftsprachen vor. Auch unter den bolivianischen Mennoniten gibt es vermehrte Nachfrage von Erwachsenen, die gern Bildung nachholen m¨ochten, die sie w¨ahrend ihrer Kindheit nicht erhalten haben. Es ist offensichtlich, dass v¨ollig unterschiedli-

140 9.1 Die Intervieworte che Angaben zur Analphabetisierungsrate allgemein in Bolivien vorliegen und eine realit¨atsnahe Aussage aufgrund der kaum durchsetzbaren Schulpflicht und der nicht bestehenden Meldepflicht schwer zu treffen ist. Jede mennonitische Kolonie Boliviens hat mindestens eine eigene Schule, die gr¨oße- renKolonienauchmehrere.Gegenw¨artig sind es ca. 270 Schulen, in denen lediglich 280 Lehrkr¨afte t¨atig sind. Die Schulerzahl¨ bel¨auft sich ca. auf 11.200 (Schartner 2009: 256). Jedes Dorf ist dafur¨ zust¨andig, eine eigene Schule zu erbauen, die zu- meist zentral liegt. Sie wird in der Regel von den Dorf¨altesten erbaut. Das Gehalt fur¨ die Lehrer bringt die Dorfgemeinschaft gemeinsam auf (ebd.: 257). Sie w¨ahlt ei- nen Schulschulzen, der wiederum fur¨ die Auswahl der Lehrkraft zust¨andig ist. Dieser Schulschulze sammelt auch das Geld der Gemeinschaft ein, um den Lehrer bezahlen zu k¨onnen (ebd.). Eine besondere Ausbildung muss die Lehrkraft fur¨ das Unter- richten von Fibel, Katechismus, Testament, Bibel und etwas Rechnen nicht haben (ebd.). Wenn der Lehrer ausf¨allt, wird die T¨atigkeit von einer beliebigen Person des Dorfes ubernommen.¨ Seit neuester Zeit gibt es in Santa Cruz durch das MCC Unter- richt in Didaktik und Methodik fur¨ die in den Kolonien unterrichtenden Lehrkr¨afte. Die Unterweisung erfolgt allerdings auf freiwilliger Basis. Unterrichtssprache ist entweder Plautdietsch oder Hochdeutsch, die traditionellen Kolonien bevorzugen das Plautdietsche, die weniger traditionellen Mennoniten hin- gegen das Hochdeutsche. Es handelt sich jedoch um einen hochdeutschen Dialekt, der sich an der alten Lutherbibel orientiert und daher deutlich von dem heutigen Hochdeutsch der Bundesrepublik abweicht (Schartner 2009: 296). Daneben lernen sie in der Regel keine Fremdsprache. Die Schulen innerhalb der Kolonien sind uber-¨ wiegend nicht von der bolivianischen Regierung offiziell anerkannt und richten sich demzufolge auch nicht nach den vorgegebenen Curricula des Bildungsministeriums. Den Curricula zufolge wurde¨ das Erlernen des Spanischen, neben einer m¨oglichen Minderheitensprache, vorausgesetzt (Avalos et. al. 2011: 50 ff.). Daruber¨ hinaus ist auch festgelegt, welche Lekturen¨ in welchem Lernjahr zu unterrichten sind und es ist ebenfalls vorgesehen, dass die bolivianische Sprachkultur, Landeskunde und auch internationale Medien zu thematisieren sind (ebd.: 50 ff.). Die Curricula Boliviens lesen sich ¨ahnlich wie diejenigen in Deutschland auch, nur, dass sie hierzulande fl¨a- chendeckender durchgesetzt werden. In vielen mennonitischen Kolonien werden, nach Angaben des MCC, nur der Ka- techismus, die Bibel und die Grundrechenarten gelehrt. Oft wird das Alphabet und damit die F¨ahigkeit des Lesens und Schreibens nicht sukzessiv erlernt, sondern es werden lediglich die S¨atze aus dem Katechismus wiederholt gemeinsam gelesen. Da- bei ist anzumerken, dass der Katechismus in einer hochdeutschen Ausgabe verwendet wird und diejenigen Kinder, die zu Hause lediglich Plautdietsch sprechen, oftmals nicht wissen, was sie da eigentlich laut vorlesen. Lehrer in den mennonitischen Kolonien haben in der Regel nicht studiert und haben selbst eine vergleichbare schulische Laufbahn absolviert wie die Kinder, die

141 9 Feldforschung in Bolivien sie unterrichten. H¨aufig ubernimmt¨ aus der Abschlussklasse jemand die Aufgabe, jungere¨ Kinder zu unterrichten, meist unter den Voraussetzungen, dass er dies gern m¨ochte und dass er bereits ¨altere Bruder¨ hat, die die Pflichten auf dem famili¨aren Hof ubernehmen.¨ Dies macht deutlich, dass von einer Standardisierung des Unterrichts nicht die Rede sein kann. Es ist damit offensichtlich, dass die Bildung der mennonitischen Kinder in eini- gen Kolonien sehr gering ist und diese es demzufolge auch sehr schwer h¨atten, ein Leben außerhalb ihres Heimatortes zu fuhren,¨ da ihnen sowohl Kenntnisse der Lan- dessprache fehlen, als auch abstraktes, historisches oder gar interkulturelles Wissen. Nichtsdestotrotz wird in vielen Gespr¨achen mit Mennoniten deutlich, dass diese sehr gut im Kopf rechnen k¨onnen und sich auch wirtschaftlich gut auskennen. Die meis- tenvonihnen-zumindestdieM¨anner - sind uber¨ weltweite Olpreise¨ informiert. Mennoniten in Bolivien verfugen¨ demzufolge zwar auf der einen Seite lediglich uber¨ ein Mindestmaß an Allgemeinbildung, sind in den gesch¨aftlichen Dingen, die fur¨ ihre Existenz wichtig sind, jedoch regelm¨aßig erstaunlich firm. Neben den zahlreichen Schulen in den Kolonien, die nicht von der Regierung an- erkannt sind und die auch nicht den Curricula Folge leisten, gibt es jedoch auch drei Schulen, die dies tun. Dies ist zum einen die deutsche Schule in Villa Nueva und zwei weitere Schulen in der weniger traditionellen Kolonie New Mexiko. An diesen drei mennonitischen Schulen ist ein staatlich anerkannter Abschluss m¨oglich. Von den beiden Schulen der Kolonie New Mexiko ist mir w¨ahrend meiner Zeit in Santa Cruz berichtet worden. Offenbar ist Hochdeutsch dort die erste Sprache, in der zu Beginn auch gelehrt wird. Sp¨ater wird mehr und mehr auf Spanisch unterrichtet. Daneben werden wohl auch grundlegende Kenntnisse des Englischen erworben. Alle Lehrer sind Mennoniten; sie kommen jedoch teilweise aus Kanada oder Europa und haben an ordentlichen Universit¨aten studiert.

Die Struktur des Colegios Villa Nueva in Pail´on

Die weiterfuhrende¨ mennonitische Schule in Villa Nueva, das Colegio Villa Nueva, konnte ich jedoch selbst besuchen. Villa Nueva liegt ca. 50 km von Santa Cruz entfernt in einer sehr l¨andlichen Gegend; rundherum befindet sich Ackerland. In dieser Schule werden SchulerInnen¨ von der Vorschule bis zum Abitur unterrichtet. Das Colegio ist so gelegen, dass es von vielen Kolonien aus (noch) einigermaßen gut zu erreichen ist. Das Colegio wurde vor 12 Jahren von drei Personen gemeinsam gegrundet;¨ einer von ihnen ist der noch heute amtierende Schulleiter. Der Schulleiter unterscheidet sich in seiner Lebensweise relativ deutlich von vielen anderen in Bolivien lebenden Mennoniten; er verbrachte lange Jahre in Kanada, bereiste viele L¨ander Europas und spricht vier Sprachen fließend. Das Colegio hat aktuell (Stand: April 2014) 250 Schuler,¨ die von 15 Lehrkr¨aften unterrichtet werden. Es ist eine rein mennonitische

142 9.1 Die Intervieworte

Schule, es gibt dort keine Kinder anderer Glaubensrichtungen. Es versteht sich fast von selbst, dass die SchulerInnen¨ des Colegios aus weniger traditionellen Familien stammen und dieser Umstand es erst erm¨oglicht, dass die Kinder auf eine staatlich anerkannte Schule gehen und abgesehen von ganz grunds¨atzlichen Dingen auch eine Allgemeinbildung erhalten. Die erste Sprache am Colegio Villa Nueva ist Plautdietsch. Fast alle SchulerInnen¨ der Schule sprechen diese Sprache auch zu Hause. Es gibt wenige Kinder oder Ju- gendliche, die mit dieser Sprache nicht vertraut sind; zumeist stammen sie ab von mennonitischen Einwanderern anderer L¨ander. Zum Zeitpunkt meines Besuches war ein 13j¨ahriges M¨adchen aus Deutschland auf dem Colegio, das mit seiner Familie fur¨ eine Weile in Bolivien lebt und nun diese Schule besucht. Das M¨adchen ist mit Plautdietsch vorher nie in Beruhrung¨ gekommen, hat jedoch nach eigenen Angaben nach wenigen Wochen einen guten Zugang dazu gefunden und spricht die Sprache mittlerweile fließend. Da die Kinder aus unterschiedlichen Kolonien kommen, sprechen sie auch un- terschiedliche Dialekte des Plautdietschen. Einige Kolonien oder ganz speziell auch einzelne Familien haben sehr enge Verbindungen nach Russland, so dass das Plaut- dietsche viele Einf¨arbungen des Russischen aufweist. Dies ist besonders in der Lexis und der Phonetik erkennbar. Andere Familien haben lange in Kanada gewohnt. Das Plautdietsche, das sie nun in Bolivien sprechen, ist wiederum stark von der eng- lischen Sprache beeinflusst. Wieder andere sind in Mexiko geboren und weisen in ihrem Dialekt des Plautdietschen schon viele Lehnw¨orter und Wendungen des Spa- nischen auf. Diese Vielf¨altigkeit hat die Schule vor das Problem gestellt, dass es praktisch unm¨oglich ist, einen Standard des Plautdietschen festzulegen, der an der Schule ausschließlich gelehrt werden k¨onnte. Dies wurde¨ schließlich bedeuten, dass die Sprache des einen Kindes korrekt, die eines anderen jedoch nicht korrekt w¨a- re. Der Problematik der verschiedenen Dialekte unter den SchulerInnen ist nun so begegnet worden, dass ein Rat, bestehend aus Eltern, Lehrern und weiteren Menno- niten, gebildet wurde, der eine Entscheidung daruber¨ getroffen hat, welche Mundart des Plautdietschen am Colegio gelehrt werden sollte. Die Wahl fiel auf die Mundart, die im Umkreis der Schule am st¨arksten vertreten ist. Es ist offensichtlich, dass die Einigung auf eine Mundart letztlich nur eine Notl¨osung sein kann, da sie nur den- jenigen Kindern g¨anzlich gerecht wird, die aus Familien stammen, die bereits eben diese Mundart zu Hause sprechen. Alle anderen Kinder m¨ogen zwar ihren eigenen DialektimUnterrichtverwendenk¨onnen, sind jedoch permanent dem misslichen Umstand ausgesetzt, dass das in der Schule gelehrte Schriftbild von ihrer gespro- chenen Sprache abweicht. War es in der Vergangenheit sehr schwer, an geeignetes Unterrichtsmaterial auf Plautdietsch heranzukommen, sei es, weil Bestellungen nach Kanada langwierig sind oder die gewunschten¨ Materialien lediglich in einer anderen Mundart verfugbar¨ waren, kann mittlerweile einiges direkt fur¨ den Schulgebrauch in Bolivien gedruckt werden. Es gibt in Bolivien selbst eine Druckerei, die sich darauf

143 9 Feldforschung in Bolivien spezialisiert hat die Schule mit Materialien zu versorgen. Generell vermag es zu erstaunen, dass am Colegio Villa Nueva Plautdietsch un- terrichtet wird, Hochdeutsch hingegen nicht. Bei der Grundung¨ der Schule ist dies diskutiert worden, denn auf Hochdeutsch zu unterrichten w¨are ebenso m¨oglich gewe- sen. Anders als in Deutschland ublich,¨ haben die Eltern der Kinder, die auf der Schule sind, jedoch in allen Belangen der Schule ein entscheidendes Mitspracherecht. Die da- hinter stehende Philosophie ist schlicht ¨okonomischer Natur: Die Eltern finanzieren die Schule durch das Schulgeld, das sie regelm¨aßig bezahlen. Im Gegenzug sind sie diejenigen, die in einer demokratischen Abstimmung entscheiden, welche Lehrkr¨afte an der Schule unterrichten durfen¨ und schließlich auch, welche F¨acher Gegenstand des Unterrichts sind. Die Eltern haben sich seinerzeit gegen den Unterricht auf Hochdeutsch und fur¨ das Erlernen bzw. Pflegen des Plautdietschen entschieden. Die Hintergrunde¨ dafur¨ sind zum einen, dass ihnen das Plautdietsche naturlich¨ n¨aher ist, dadurch, dass es diejenige Sprache ist, die sie seit Generationen traditionell zu Hause sprechen. Zum anderen hatten viele Eltern, zumindest zum Zeitpunkt der Grundung¨ der Schule vornunmehrzw¨olf Jahren, keine bis wenige Vorstellungen von dem Land im fernen Europa, in dem Hochdeutsch gesprochen wird. Es muss sogar erw¨ahnt werden, dass einige die Tatsache, dass in Deutschland grunds¨atzlich Hochdeutsch und nur in sehr wenigen, kleinen Regionen Niederdeutsch gesprochen wird, nicht kennen. Zumindest nicht allen SchulerInnen¨ der Schule ist bekannt, welche Sprache aktuell in Deutsch- land gesprochenen wird. Der Schulleiter selbst sieht den Umstand, dass die Wahl der Eltern auf das Plautdietsche und nicht das Hochdeutsche gefallen ist, zwiegespalten. Zum einen bedauert er, dass die Kinder die Sprache, die in Deutschland uberwie-¨ gend gesprochen wird, nicht erlernen. Denn er verbindet mit der deutschen Sprache ein kulturell und vor allem technologisch weit entwickeltes und wichtiges Land, das die mennonitischen Kinder bzw. Jugendlichen nach M¨oglichkeit auch einmal berei- sen sollten, um zu wissen, wo ihre Vorfahren gelebt haben, aber auch, um wichtige Erkenntnisse von dort mitzubringen. Auf der anderen Seite ist der Schulleiter auch der Meinung, dass die Pflege des Plautdietschen Teil des kulturellen Erbes der Men- noniten ist und daher so gut und so lange wie m¨oglich erhalten bleiben sollte - auch außerhalb der privaten Familiensituation. Als erste Fremdsprache wird am Colegio Villa Nueva Spanisch gelernt, die Sprache nimmt zu Beginn nur wenige Unterrichtsstunden pro Woche ein, wird im Verlaufe der Schuljahre jedoch immer dominierender. Der Schulabschluss findet schließlich komplett in spanischer Sprache statt. Dies ist auch notwendig, denn dass die Ab- schlussprufungen¨ in Spanisch abgelegt werden k¨onnen, ist eine entscheidende Vor- aussetzung,dieeineSchuleinBolivienerfullen¨ muss, um staatlich anerkannt werden zu k¨onnen. Die obligatorische zweite Fremdsprache ist Englisch. Sie wird jedoch nur noch in den letzten Jahren vor dem Schulabschluss unterrichtet und umfasst lediglich

144 9.1 Die Intervieworte wenige Unterrichtsstunden. FurEnglischalszweiteFremdsprachehabendieEltern¨ sich entschieden, weil es von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Insgesamt bedeutet dies, dass die (kleineren) SchulerInnenzuBeginnausschließ-¨ lich auf Plautdietsch unterrichtet werden, sp¨ater kommt Spanisch hinzu, dessen An- teil mit den fortlaufenden Jahren immer weiter zunimmt, wohingegen Plautdietsch nur noch im Unterrichtsfach selbst gesprochen wird. Schließlich werden noch grund- s¨atzliche Kenntnisse des Englischen vermittelt. Die Lehrkr¨afte, die an dem Colegio unterrichten, werden von einem aus Eltern be- stehenden Rat ausgew¨ahlt und auch direkt von ihnen bezahlt. Der Schulleiter trifft jedoch eine Vorauswahl der Bewerber, um die notwendige Qualifikation der P¨adago- gen gew¨ahrleisten zu k¨onnen. Das Kollegium besteht uberwiegend¨ aus Bolivianern, die in Bolivien studiert haben. Lediglich drei Lehrkr¨afte sprechen Plautdietsch als Muttersprache und decken somit den Vorschulbereich ab. Die LehrerInnen, die die h¨oheren Klassen auf Spanisch unterrichten, hatten vor ihrer Anstellung an dieser Schule in der Regel keinen Kontakt mit Plautdietsch, die meisten ebenso wenig mit Mennoniten. Die Mehrzahl ist jedoch recht schnell nach Antritt der Stelle bemuht,¨ etwas Plautdietsch zu lernen, um mit den Eltern besser kommunizieren zu k¨onnen. Das Lehrpersonal der Schule unterscheidet sich also deutlich von demjenigen des Colegio Concordia in Asunci´on, wo uberwiegend¨ deutschsprachige Mennoniten un- terrichten. Mennonitische LehrerInnen w¨aren dem Schulleiter des Colegio Villa Nue- va auch sehr recht gewesen, es war jedoch nicht m¨oglich, ausreichend mennonitisches und deutschsprachiges Lehrpersonal zu finden, das den Anforderungen genugt.¨ Dem Schulleiter des Colegios Villa Nueva zufolge ist es auch in Bolivien nicht im- mer einfach, alle mennonitischen Kinder zu alphabetisieren, da dies nicht alle Eltern fur¨ notwendig halten, gerade wenn sie T¨ochter haben, fur¨ deren hauswirtschaftli- chen T¨atigkeiten in den Augen der Eltern nicht viel Bildung notwendig ist. Da die Reformen der bolivianischen Regierung enorme finanzielle Investitionen erfordern, hat auch die Bundesrepublik Deutschland ihre Unterstutzung¨ zugesagt; vor allem im Hinblick auf eine verbesserte Lehrerausbildung, die den vielen indigenen Spra- chen Boliviens gerecht werden kann (ebd.). Von einer verbesserten Lehrerausbildung wurde¨ auch das Villa Nueva profitieren, das mangels Alternativen uberwiegend¨ bo- livianisches Personal besch¨aftigt. Da es zwar theoretisch eine Schulpflicht in Bolivien gibt, diese aber kaum von der bolivianischen Regierung kontrolliert wird, hat das Colegio Villa Nueva Schwierig- keiten, seine Schulerzahlen¨ vorherzusehen. Wenn die Kinder pl¨otzlich im elterlichen Betrieb gebraucht werden oder die Eltern entscheiden, ein Schulbesuch sei nicht l¨an- ger notwendig, so kommen die Kinder einfach nicht mehr in die Schule. Dem Schul- leiter stehen in einem solchen Fall wenige M¨oglichkeiten zur Verfugung.¨ Er kann die Eltern zu einem Gespr¨ach einladen und versuchen, sie von der Notwendigkeit des Schulbesuchs ihres Kindes zu uberzeugen.¨ Sofern sie jedoch anderer Meinung sind, muss er dies akzeptieren. Er meldet sie zumindest nicht der Beh¨orde. In engem Zu-

145 9 Feldforschung in Bolivien sammenhang damit muss die Problematik erw¨ahnt werden, dass mit dem Ausbleiben der Kinder auch das Schulgeld von den Eltern nicht weiter bezahlt wird. Dies be- deutet zwangsl¨aufig, dass die Schule nie genau weiß, wieviel Geld sie zur Verfugung¨ hat, um die Lehrer und die anfallenden Unterrichtsmaterialien zu bezahlen. Interessant ist, dass das Colegio an sportlichen Wettk¨ampfen mit anderen staatli- chen Schulen im Umkreis teilnimmt. Daruber¨ hinaus gibt es sogar Kooperationen mit Schulen im Ausland, so dass regelm¨aßig ein Austausch organisiert werden kann. Zum Bedauern des Schulleiters gibt es jedoch keinen Austausch mit Schulen in Deutsch- land, auch hier ist das Interesse der Eltern zu gering. Besonders gefragt sind hingegen Nordamerika und Kanada. Viele Kinder des Colegio kommen aus ehemaligen Altkolonierfamilien, die sehr traditionell waren. Nach deren Abspaltung von den Altkoloniern schicken sie ihre Kinder nun auf eine moderne, und vor allem staatlich anerkannte Schule. Dadurch entsteht jedoch das Problem, dass die Kinder und Jugendlichen bezuglich¨ ihrer Al- tersklassen sehr heterogen sind. L¨angst nicht jedes Kind beginnt seine Beschulung mitderVorschule,sowieesidealerweisew¨are. Die Eltern k¨onnen auch sehr viel sp¨a- ter entscheiden, dass ein Schulbesuch sinnvoll ist oder die Kinder sind schon ¨alter, wenn ihre Eltern aus der Altkolonie austreten. Bevor eine Beschulung am Colegio Villa Nueva m¨oglich ist, muss ein Eignungstest absolviert werden, nach dessen Er- gebnis die SchulerInnen¨ in ein bestimmtes Klassenniveau eingestuft werden. Dies bedeutet, dass die Kinder einer Klasse h¨aufig enorme Altersunterschiede aufweisen. Fur¨ den Fall, dass ein Schuler¨ fur¨ die Klasse, die seinem Leistungsniveau entspre- chen wurde,¨ deutlich zu alt ist, gibt es die M¨oglichkeit das Colegio als Abendschule zu besuchen. Villa Nueva ist bislang die einzige Institution in Bolivien, die eine abendliche Bildung fur¨ Mennoniten vorsieht. In Villa Nueva wird neben Spanisch jedoch auch Englisch und Mathematik an der Abendschule unterrichtet. Am Ende kann die Hochschulreife erlangt werden, die zum Hochschulstudium bef¨ahigt. Dieses in Bolivien einzigartige Angebot fur¨ Mennoniten wurde bislang gut angenommen worden und viele haben bereits auf diese Weise einen Abschluss erlangt.

146 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Die Befragungen zu Bolivien werden ebenfalls nach allgemeinen Charakteristika wie Herkunft, beruflichem Hintergrund, Alter und Geschlecht zusammengefasst. In ei- nem weiteren Schritt werden die rezeptiven und produktiven Sprachkompetenzen derjenigen Sprachen, die die Mennoniten in variierender Auspr¨agung beherrschen, evaluiert.

10.1 Auswertung nach Alter und Geschlecht

In Bolivien wurden insgesamt 18 Aufnahmen von Mennoniten gemacht, die in Santa Cruz selbst oder in einer der umliegenden Kolonien leben. Dabei handelt es sich um zehn Frauen und acht M¨anner. Die Altersgruppen, denen die einzelnen Befragten zuzuordnen sind, sind insgesamt heterogener als dies in Paraguay der Fall war: Eine Interviewteilnehmerin war unter 20 Jahren, funf¨ Teilnehmerinnen waren zwischen 20 und 30 Jahre alt, zwei m¨annliche Befragte waren zwischen 30 und 40 Jahre alt, zwei Frauen und zwei M¨anner geh¨orten der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren an. Ein m¨annlicher Teilnehmer war zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 50 und 60 Jahre alt, daruber¨ hinaus befanden sich jeweilseineFrauundeinManninderAltersgruppezwischen60und70Jahrenund schließlich waren ein Mann und eine Frau jeweils uber¨ 70 Jahre alt. Da der Kontakt zudeninBolivienlebendenMennonitenschwierigist,weilsiedemsehrkonservativen Flugel¨ der Altkolonier angeh¨oren, musste auch hier auf die Konzentration auf eine bestimmter Geschlechts- oder Altersgruppe verzichtet werden. Kinder wurden auch in Bolivien nicht berucksichtigt,¨ da der Fragebogen, der dem Leitfadeninterview zugrunde liegt, Fragen vorsieht, die uberwiegend¨ nicht auf Kinder zutreffen. Anders als in Paraguay waren in Bolivien nicht nur die ¨alteren Befragten vor dem Aufnahmeger¨at zuruckhaltend.¨ Auch die Jungeren¨ unter ihnen konnten sich regelm¨aßig nur schwer mit dem Gedanken arrangieren, dass ihre Stimme auf einem technischen Ger¨at aufgenommen wird. So waren viele Mennoniten bereit, mit mir zu sprechen, aufnehmen lassen wollten sie sich jedoch nicht.

147 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

10.2 Auswertung nach beruflichem Hintergrund

Lediglich zwei der weiblichen Befragten gehen einem Beruf bzw. einer bezahlten T¨atigkeit nach. Dies ist zum einen eine Interviewteilnehmerin aus der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren; sie arbeitet an der calle 6 de agosto in dem sich dort befindlichen mennonitischen Reiseburo.DiezweiteBefragte,dieeinerberuflichen¨ T¨atigkeit nachgeht, ist zwischen 60 und 70 Jahre alt. Sie leitet gemeinsam mit ih- rem Ehemann ein mennonitisches Hotel in Pail´on. Eine dritte Befragte geht einer geringfugigen¨ T¨atigkeit nach, bei der sie jungere¨ Mennonitinnen gegen einen kleinen Obolus uber¨ das aufkl¨art, was sie in einer Ehe erwartet. Sie bezeichnet sich jedoch nichtdirektalsberufst¨atig. Außerdem fuhrt¨ eine Bewohnerin aus der Kolonie Mor- genland einen kleinen Laden, sie verkauft dort jedoch nur zum Einkaufspreis und bezeichnet sich ebenfalls nicht als berufst¨atig. Alle anderen weiblichen Befragten sehen sich als Hausfrauen, helfen in der Regel jedoch viel im landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Ehem¨anner mit.

Die m¨annlichen Teilnehmer der Befragung sind praktisch alle berufst¨atig. Der Jungste¨ hat noch keinen eigenen Betrieb, hilft aber auf der Farm seines Vaters mit. Von den M¨annern zwischen 30 und 40 Jahren ist einer als Betriebswirt in einem Au- tohaus t¨atig, der andere ist Lehrer am Colegio Villa Nueva. Von den Befragten der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren ist einer auf dem eigenen Hof als Landwirt t¨atig, der andere geht seinem erlernten Beruf momentan nicht nach, sondern versteht sich als Berater und Vermittler zwischen unterschiedlichen mennonitischen Koloni- en. Der einzige Mann zwischen 50 und 60 Jahren wollte keinen genauen Angaben zu seinem Beruf machen, er geht jedoch einer gesch¨aftlichen T¨atigkeit in Santa Cruz nach und fuhrt¨ einen landwirtschaftlichen Betrieb mit seiner Frau. Der m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren leitet gemeinsam mit seiner ebenfalls interviewten Ehefrau das mennonitische Hotel in Pail´on und der Inter- viewteilnehmer, der uber¨ 70 Jahre alt war, ist noch immer als Landwirt auf seinem eigenen Hof in Morgenland t¨atig.

Die meisten Interviews wurden auf der calle 6 de agosto aufgenommen, jedoch an unterschiedlichen Stellen. Einige Mennoniten konnten in dem sich an dieser Straße befindlichen Hotel befragt werden, andere in einem der dort ebenfalls gelegenen Caf´es oder in dem mennonitischen Reiseburo.¨ In zwei F¨allen fand das Interview auch direkt auf dem Markt an dieser Straße statt. Die Interviewteilnehmer der Kolonie Morgenland wurden entweder direkt auf ihren Farmen oder in dem Gemeindehaus nach einer abendlichen Musikveranstaltung befragt. Der an dem Colegio Villa Nueva t¨atige Lehrer konnte in seinem Buro¨ interviewt werden.

148 10.3 Auswertung nach Herkunft

10.3 Auswertung nach Herkunft

15 der befragten Mennoniten wurden in Sudamerika¨ geboren, entweder in Bolivien oder in Paraguay. Neun von ihnen geben als Geburtsort eine Kolonie an, die anderen wurden direkt in Asunci´on oder Santa Cruz geboren. Zwei weitere kamen in Mexiko zur Welt und die Lehrkraft der mennonitischen Schule wurde in Kanada geboren. Die Befragte aus der Altersgruppe unter 20 Jahren (RO) wurde in Bolivien gebo- ren, die Großeltern stammen aus Mexiko und Kanada. Die erste Teilnehmerin zwischen 20 und 30 Jahren wurde in Santa Cruz geboren, ihre Eltern und Großeltern jeweils in Mexiko (KA). Die zweite Befragte dieser Alters- gruppe (NA) kam ebenfalls in Santa Cruz zur Welt, ihre Eltern jedoch in Paraguay und ihre Großeltern in Kanada. Die dritte Befragte in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren (MA) kam in einer bolivianischen Kolonie zur Welt, zur Herkunft ihrer Vorfahren konnte sie keine Angaben machen. Eine weitere Teilnehmerin wurde in Santa Cruz geboren (KT), ihre Eltern kommen aus und Mexiko. Die letzte Befragte dieser Altersgruppe kam ebenfalls in Santa Cruz zur Welt, ihre Eltern und Großeltern stammen aus Mexiko. Der einzige Mann dieser Altersgruppe (UB) kam in einer mennonitischen Kolonie in Bolivien zur Welt, seine Eltern und Großeltern stammen aus Mexiko. Der erste m¨annliche Befragte zwischen 30 und 40 (RL) Jahren wurde in Asunci´on geboren, seine Eltern stammen auch aus Paraguay, zu seinen Großeltern kann er keine Angaben machen. Der zweite Teilnehmer dieser Altersgruppe wurde in Kanada geboren, seine Eltern siedelten vorher in Mexiko, seine Großeltern wiederum waren aus Kanada nach Mexiko gekommen. Die erste weibliche Befragte zwischen 40 und 50 (WI) Jahren wurde in Paraguay geboren, ihre Eltern und Großeltern stammen aus Kanada. Die zweite Interviewteil- nehmerin dieser Altersgruppe (SU) wurde in der Kolonie Morgenland geboren, die damals allerdings noch nicht so hieß. Ihre Eltern kamen aus Paraguay dorthin und ihre Großeltern siedelten in Kanada. Einer der m¨annlichen Befragten zwischen 40 und 50 Jahren (RU) wurde in Para- guay geboren, seine Eltern ebenfalls. Seine Großeltern stammen aus Russland. Der zweite Befragte dieser Altersgruppe (AS) kam in einer bolivianischen Kolonie zur Welt, seine Eltern stammen aus Paraguay und seine Großeltern aus Kanada. Der einzige Teilnehmer, der zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 50 und 60 Jahre alt war (AM), wurde ebenfalls in einer bolivianischen Kolonie geboren, seine Eltern stammen aus Kanada, seine Großeltern aus Russland. Die erste Befragte der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren kam in Mexiko zur Welt (MR), ihre Eltern siedelten vorher in Kanada, ihre Großeltern stammen aus Russland. Die zweite Teilnehmerin dieser Altersgruppe wurde in Paraguay geboren (MM), zu ihren Vorfahren konnte sie keine Angaben machen. Der m¨annliche Teilnehmer dieser Altersgruppe wurde in Mexiko geboren, seine

149 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Eltern kommen aus Kanada, seine Großeltern aus Russland. Die Interviewte, die zum Zeitpunkt des Interviews bereits uber¨ 70 Jahre alt war (AK), kam in Paraguay zur Welt, ihre Eltern kommen aus Kanada, ihre Großel- tern aus Russland. Der m¨annliche Interviewpartner (PD) dieser Altersgruppe wurde ebenfalls in Paraguay geboren, seine Eltern und auch Großeltern kommen aus Russ- land. Es wird deutlich, dass alle an dem Leitfadeninterview teilnehmenden Mennoniten, die ¨alter als 30 Jahre alt sind, in erster Generation in Bolivien leben. Ihre Vorfahren stammen in der Regel aus Kanada, Mexiko und Russland. Lediglich diejenigen, die unter 30 sind, haben Eltern, die schon in Bolivien zur Welt kamen. Daran wird sichtbar, dass Bolivien ein Land ist, in dem Mennoniten insgesamt noch nicht lange siedeln. RO war zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht verheiratet und kinderlos. Sie hat drei Geschwister. Die Teilnehmerinnen zwischen 20 und 30 Jahren leben in ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen: MA ist ebenfalls verheiratet und hat zwei Kinder sowie 12 Geschwister, auch die dritte ist verheiratet und hat eine Tochter (KT), die vierte ist noch nicht verheiratet (NA), sie hat zwei Geschwister, und die funfte¨ ist bereits verheiratet, aber noch kinderlos (KA), sie hat neun Geschwister. UB ist noch nicht verheiratet und ist kinderlos. RL ist noch nicht verheiratet, be- tonte aber, dies in Kurze¨ ¨andern zu wollen. Seine Verlobte lebt in einer Kolonie bei ihren Eltern. Der Befragte hat einen Bruder. AR hat ebenfalls einen Bruder, er ist verheiratet und hat drei Kinder. WI Jahren ist verheiratet, aber kinderlos. Sie hat funf¨ Geschwister. SU ist ebenfalls verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Sie hat zwei Geschwister. RU ist auch verheiratet und kinderlos, er hat vier Geschwister. AS ist verheiratet, aber kinderlos. Er hat zwei Geschwister. AM ist verheiratet und hat nach seinen Angaben algunos ni˜nos. MM ist verheiratet und hat zwei Kinder. MR ist verheiratet, aber kinderlos, sie hat neun Geschwister. AB ist ebenfalls ver- heiratet und kinderlos, er hat zehn Geschwister. AK ist verheiratet und Mutter von funf¨ Kindern, sie hat außerdem zw¨olf Geschwister. PE ist ebenfalls verheiratet und hat funf¨ Kinder, sowie sieben Geschwister. Die Anzahl der Kinder scheint nicht direkt generationsabh¨angig zu sein, da es sowohl ¨altere als auch jungere¨ Befragte gibt, die sehr viele oder wenige Geschwister haben. Allerdings gibt es keine Einzelkinder. Auff¨allig ist, dass jene, die kinderlos waren, immer sofort betonten, dies nicht freiwillig zu sein, sondern dies als Aufgabe von Gott erhalten zu haben. Mennoniten entscheiden sich offenbar nicht freiwillig gegen Kinder. Die Anzahl der Kinder h¨angt, zumindest auf den ersten Blick, auch nicht davon ab, ob die Befragten in einer Großstadt oder auf einer mennonitischen Farm aufwuchsen, da einige Interviewte aus Santa Cruz und anderen aus einer Ko- lonie stammen und trotzdem eine ¨ahnliche Geschwisterzahl haben.

150 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

Alle in Bolivien und Umgebung befragten Mennoniten beherrschen, zumindest re- zeptiv, sowohl Hochdeutsch als auch Plautdietsch, daruber¨ hinaus auch zumindest etwas Spanisch. Ein Großteil der Interviewteilnehmer hat auch Kenntnisse der eng- lischen Sprache. Allerdings sch¨atzen die Befragten ihre Sprachkompetenzen sehr un- terschiedlich ein.

10.4.1 Sprachkompetenzen im Plautdietschen RO lebt in einer Kolonie, sie spricht mit ihrer Familie ausschließlich Plautdietsch und bezeichnet dies als einzige Sprache, die sie fließend beherrscht. KA kam in Santa Cruz zur Welt. Innerhalb der Familie wird Plautdietsch gespro- chen, dies ist nach ihren Angaben auch die Sprache, mit der sie sich am wohlsten fuhlt¨ und die sie als ihre Muttersprache bezeichnet. Ihr Mann spricht jedoch kein Plautdietsch, dies fuhre¨ h¨aufig zu Differenzen mit ihrer Familie. KA ist jedoch der Meinung, dass mansichebenMuhe¨ miteinander geben musse“.¨ Hier wird deutlich, ” dass es auch Mennoniten gibt, die weniger Wert auf ein isoliertes Leben innerhalb des eigenen Kulturkreises legen und bereit sind, sich kulturellen Grenzbereichen zu stellen. NA spricht innerhalb ihrer Familie ebenfalls Plautdietsch. Allerdings betonte sie, dass ihre Eltern gelegentlich spanische W¨orter und Floskeln einfließen lassen, sofern sie ihnen in Plautdietsch nicht einfielen. Dies zeigt, dass es auch Mennoniten in der Generation ab 50 Jahren gibt, die so gute Sprachkompetenzen im Spanischen ha- ben, dass sie damit Wortlucken¨ des Plautdietschen ausgleichen k¨onnen. Dies k¨onnte sogar ein Hinweis darauf sein, dass der Gebrauch des Plautdietschen unter einigen Mennoniten, zumindest in der Großstadt Santa Cruz, ruckl¨ ¨aufig ist. AN spricht innerhalb ihrer Familie etwas Plautdietsch, uberwiegend¨ jedoch Hoch- deutsch. Auch sie hat einen bolivianischen Ehemann, mit dem sie Spanisch spricht, obwohl das anfangs schwierig war, denn zu Beginn der Beziehung sprach sie kaum Spanisch. Mit ihren Kindern spricht AN Deutsch, damit sie mit ihren Großeltern kommunizieren k¨onnen, die kein Spanisch sprechen. MA spricht innerhalb der Familie Plautdietsch, wuchs jedoch gleichzeitig auch mit Hochdeutsch auf, da dies in ihrer unmittelbaren Umgebung ebenfalls gesprochen wurde. Sie ist mit einem Taiwanesen verheiratet, sie sprechen Spanisch miteinander, was fur¨ beide nicht immer einfach ist. NA spricht Plautdietsch mit ihren Kindern, ebenfalls mit der Absicht, dass diese sich mit den Großeltern verst¨andigen k¨onnen; ihre Mutter spricht gar kein Spanisch, so dass sie sich mit dem Schwiegersohn auch nicht unterhalten kann. KT wurde in Santa Cruz geboren und spricht auch Plautdietsch innerhalb der Familie. Sie betonte jedoch sogleich, wie sehr sie dies bedauere, da Plautdietsch ei-

151 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien ne Sprache sei, die ausschließlich von Mennoniten genutzt werde, daruber¨ hinaus aber praktisch keine Anwendung habe. Leider spreche sie jedoch gar keine andere Sprache, in der sie sich problemlos verst¨andigen k¨onnte. KT ist mit einem Mexika- ner verheiratet, der ausschließlich Spanisch spricht. Sie hofft, ihre Sprachkenntnisse im Spanischen durch die Ehe verbessern zu k¨onnen. Mit ihrer Tochter spricht sie Plautdietsch. UB spricht innerhalb der Familie Plautdietsch, er kann gar keine andere Sprache sprechen, versteht jedoch Hochdeutsch und etwas Spanisch. RL spricht innerhalb der Familie ausschließlich Hochdeutsch. In der Schule wur- de er in keiner weiteren Sprache unterrichtet. Plautdietsch lernte er im Kontakt mit anderen Mennoniten zumindest etwas zu verstehen, Spanisch lernte er ebenfalls zun¨achst nur durch Kontakt mit spanischsprachigen Kindern beim Spielen auf der Straße. Dies zeigt, dass der Interviewteilnehmer außerhalb eines Gebietes aufwuchs, in dem Mennoniten ausschließlich unter sich leben. AR wurde in Kanada geboren und spricht innerhalb der Familie nur Plautdietsch, auch mit seiner Frau und seinen Kindern kommuniziert er in der niederdeutschen Variet¨at. Er sch¨atzt seine Sprachkompetenzen in Englisch, Spanisch und Franz¨osisch allerdings auch als sehr hoch ein und hat keinerlei Probleme, in diesen Sprachen zu kommunizieren. AR spricht gelegentlich auch Hochdeutsch, diese Sprache ist ihm nach eigener Aussage jedoch nicht sehr gel¨aufig und er sch¨atzt seine Sprachkompe- tenz als gering ein. WI spricht innerhalb der Familie und auch mit ihrem Ehemann ausschließlich Plautdietsch. Nach einigen Jahren, die sie in Kanada lebte, sei ihr Englisch leichter als Plautdietsch gefallen, mittlerweile sch¨atzt sie ihre Sprachkompetenzen in bei- den Sprachen als gleich stark ein. Hochdeutsch, aber besonders Spanisch fallen ihr besonders schwer, obwohl WI, mit Ausnahme weniger Jahre, in spanischsprachigen L¨andern lebte. SU wuchs in Morgenland auf und spricht innerhalb der Familie Plautdietsch. Auch fur¨ sie ist dies die einzige Sprache, in der sie problemlos kommunizieren kann. Hoch- deutsch lernte sie in der Schule, nutzte es danach aber nur selten. In Spanisch hat SU lediglich einige grundlegende Kenntnisse. RU spricht auch innerhalb der Familie ausschließlich Plautdietsch. Auch er lebte einige Jahren in Kanada und zieht das Englische dem Plautdietschen vor, obwohl seine Frau nach der Ruckkehr¨ aus Kanada mittlerweile die einzige ist, mit der er hin und wieder einige Worte Englisch spricht. Hier ist die Frage zu stellen, ob das Prestige des Englischen unter den Mennoniten tats¨achlich so hoch ist, dass sie es trotz des Lebensmittelpunkts in einem spanischsprachigen Land so gut wie m¨oglich beibehalten m¨ochten. Dies best¨atigten Kaufmanns Beobachtungen aus Texas und Mexiko (s.o.). AS wuchs in Morgenland auf und spricht ebenfalls beinahe ausschließlich Plaut- dietsch. Hochdeutsch lernte er in der Schule, nutzt es aber kaum. Spanisch lernte er

152 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung etwas im gesch¨aftlichen Kontakt mit Bolivianern. AM spricht ebenfalls Plautdietsch innerhalb der Familie, auch heute noch mit seiner Frau und seinen Kindern. Hochdeutsch wurde in der Schule unterrichtet und er nutzt diese Sprache beruflich sehr h¨aufig. Spanisch lernte er auch im Kontakt mit Spanischsprachigen. MR wurde in Mexiko geboren. Sie spricht innerhalb der Familie Plautdietsch, ebenso mit ihrem Mann. Dies sei auch die einzige Sprache, mit der sie sich sehr wohl fuhle.¨ Hochdeutsch lernte sie in der Schule, jedoch kein Spanisch. MM spricht ebenfalls Plautdietsch innerhalb der Familie und dies ist auch die Sprache, die sie fast ausschließlich spricht. Sie lebte einige Jahre in Kanada und k¨onnte sich vorstellen, dorthin zuruckzukehren,¨ das Englische sei ihr auch leichter gefallen als das Spanische. AB spricht ebenfalls Plautdietsch innerhalb der Familie, ebenso mit seiner Frau. Obwohl auch er einige Jahre in Kanada verbrachte und sich gut in Englisch ver- st¨andigen kann, sei Plautdietsch seine erste Sprache, mit der er sich am wohlsten fuhle.¨ AK kommt aus Paraguay und lebt seit 25 Jahren in Bolivien. Davor lebte sie einige Jahre mit ihrem Mann ebenfalls in Kanada. Innerhalb der Familie wurde Plautdietsch gesprochen, seitdem sie und ihr Mann jedoch in Kanada waren, spre- chen sie h¨aufig auch Englisch miteinander. Obwohl der Aufenthalt dort schon sehr lange zuruckliegt,¨ f¨allt ihnen das Englische beinahe genauso leicht wie das Plautdiet- sche. Auch dies best¨atigt, dass Englisch fur¨ Mennoniten eine sehr prestigetr¨achtige Sprache sein muss. PD ist der Ehemann der aus dieser Altersgruppe Befragten. Er spreche eigent- lich nur noch Plautdietsch, weil es Teil des Kulturerbes sei (no quiero olvidar). Die jungste¨ Teilnehmerin der Befragung, die unter 20 Jahre alt ist, spricht Plautdietsch innerhalb der Familie und allen anderen Mennoniten der Kolonie. RO lebt in Mor- genland und kommt nur ¨außerste selten in die Stadt nach Santa Cruz. Plautdietsch ist fur¨ sie die einzige Sprache, die sie problemlos versteht und in der sie sich fließend verst¨andigen kann. Sie ging nur wenige Jahre auf eine Schule innerhalb einer an- grenzenden Kolonie und lernte dort nach eigener Aussage keine weitere Sprache so intensiv, dass sie sich problemlos verst¨andigen k¨onnte. Sie hat keinen Zugang zum Radio oder anderen Medien und sie liest sehr wenig. Die Predigt in ihrer Kolonie ist ausschließlich in Plautdietsch. Die erste Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren wuchs ebenfalls mit Plautdietsch auf. KA ist jedoch mit einem Bolivianer verheiratet und spricht daher nach eigenen Angaben mittlerweile genauso h¨aufig Spanisch wie Plautdietsch. Ihre pers¨onlichen Kontakte sind ebenfalls ausgeglichen, sie hat ebenso viele Kontakte mit Spanischsprachigen wie mit Plautdietschsprechern. KA hat kei- nerlei Zugang zu Medien und h¨ort daher keine Radiosendungen in Plautdietsch oder einer anderen Sprache. Sie liest gern, aber nicht in Plautdietsch, da es keine Litera- tur in dieser Sprache gibt. Wenn Bucher¨ in Plautdietsch zug¨anglich w¨aren, wurde¨ sie diese jedoch wahrscheinlich lesen. Die Predigt ihrer Gemeinde ist ausschließlich in

153 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Plautdietsch. Die Befragte findet es wichtig, die niederdeutsche Variet¨at zu erhalten und an ihre Kinder weiterzugeben, jedoch nicht, weil es Teil des kulturellen Erbes darstellt, sondern lediglich deshalb, weil die Kommunikation mit ihrer Familie sonst unm¨oglich w¨are. Wenn sich dies in den n¨achsten Generationen ¨andern sollte und nur noch Spanisch gesprochen werden wurde,¨ w¨are das fur¨ die Interviewteilnehmerin kein Problem. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs ebenfalls in einer Kolonie auf, in derpraktischausschließlichPlautdietschgesprochenwurde.InihremBerufineinem mennonitischen Reiseburo¨ spricht NA auch jetzt noch uberwiegend¨ Plautdietsch, jedoch nicht ausschließlich; nach ihrer Aussage gibt es auch viele berufliche Angele- genheiten in Spanisch zu kl¨aren. Die Predigt in ihrer Heimatkolonie ist ausschließlich in Plautdietsch, innerhalb der Gemeinde in Santa Cruz wird der Gottesdienst zwar ebenfalls in Plautdietsch gefeiert, allerdings gibt es eine spanische Ubersetzung.¨ Der erst vor kurzer Zeit ins Leben gerufene mennonitische Gottesdienst im Zentrum von Santa Cruz ist nach Aussage der Befragten bisher noch sehr wenig besucht. NA h¨alt es fur¨ sehr wichtig, das Plautdietsche zu erhalten und an die n¨achste Genera- tion weiterzugeben; allerdings auch nur aus dem Grund, weil diese Sprache Teil des mennonitischen Kulturerbes darstellt. Daruber¨ hinaus vertritt NA die Ansicht, dass Spanisch von viel gr¨oßerer Bedeutung ist, da Bolivien schließlich ein spanischspra- chiges Land ist. Sie stellte sogar fest, dass Plautdietsch in ihren Augen una lengua pobre ist, da sie nur begrenztes Vokabular hat und man sich nicht so vielseitig aus- drucken¨ kann, in Spanisch ist dies ihrer Meinung zufolge einfacher. Mangels Angebot liest NA nicht in Plautdietsch und w¨are auch nicht daran interessiert. AN wuchs ebenfalls mit Plautdietsch auf und spricht dies mit ihrer Familie, es ist die einzige Sprache, in der sie ihre Sprachkompetenz als sehr hoch einsch¨atzt. Sie hat allerdings ebenfalls einen spanischsprachigen Ehemann. AN kann interessanterweise nicht in Plautdietsch lesen, obwohl sie auf dem Colegio Villa Nueva war, wo dies gelehrt wird. Nach ihrer Aussage sei der Unterricht im Schreiben jedoch viel zu kurz gekommen. Daruber¨ hinaus kann die Befragte auch in Hochdeutsch kaum schreiben, lernte dies jedoch auch nie. Schreiben kann sie nur in Spanisch. Die Predigt in ihrer Gemeinde ist grunds¨atzlich in Plautdietsch, dies ist ihr jedoch nicht wichtig und es w¨are fur¨ AN in Ordnung, wenn der Gottesdienst in Zukunft in Spanisch gefei- ert werden wurde.¨ Sie hat keinen Zugang zu Medien jedweder Art und h¨ort daher auch keine Radiosendungen in Plautdietsch oder einer anderen Sprache. Die Befrag- te spricht mit ihren Kindern Plautdietsch, ebenfalls aus dem Grund, weil sie das kulturelle Erbe der Mennoniten an sie weitergeben m¨ochte. AN betont, dass es ihr nicht immer leicht falle, mit den Kindern konsequent Plautdietsch zu sprechen. Die vierte Interviewteilnehmerin dieser Altersgruppe wurde in Santa Cruz geboren und wuchs auch dort auf. Die funfte¨ und letzte Befragte dieser Altersgruppe wurde ebenfalls in Santa Cruz geboren und spricht innerhalb der Familie Plautdietsch. KT ist mit einem Mexikaner

154 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung verheiratet, mit dem sie versucht, in Spanisch zu kommunizieren. Mit ihrer Tochter spricht sie ausschließlich Plautdietsch, da dies furdieBefragteauchdieeinzigeSpra-¨ che ist, in der sie problemlos kommunizieren kann, KT denkt demzufolge auch in Plautdietsch. Die Predigt ihrer Gemeinde ist uberwiegend¨ in Plautdietsch, manch- maljedochauchinSpanisch.Dash¨angt von der Person ab, die den Gottesdienst h¨alt. Die Interviewte hat kaum Zugang zu Medien und es fehlt ihr auch das Interesse dafur.¨ Lesen f¨allt ihr generell schwer und KT macht es nicht gern, wenn sie die Wahl hat, liest sie jedoch in Spanisch. Das f¨allt ihr noch etwas leichter als in Plautdietsch oder Hochdeutsch zu lesen. Der einzige m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren wuchs ebenfalls in einer Kolonie auf, jedoch in einer Altkoloniersiedlung, in der jeglicher Kontakt zu Nicht-Mennoniten und Zugang zu Medien untersagt ist. UB spricht aus- schließlich Plautdietsch, kann durch seine seltenen Besuche in Santa Cruz jedoch sowohl Hochdeutsch als auch Spanisch etwas verstehen. Er hat, abgesehen von kur- zen Begegnungen, die bei Besuchen in Santa Cruz entstehen, ausschließlich Kontakte zu Plautdietschsprechern in der Kolonie. UB liest keinerlei Bucher¨ oder Zeitschriften und das Lesen f¨allt ihm generell sehr schwer. Die Predigt der Gemeinde ist grund- s¨atzlich in Plautdietsch. RL spricht innerhalb der Familie Hochdeutsch. Plautdietsch lernte er in Kontakt mit anderen Mennoniten. RL kann die niederdeutsche Variet¨at jedoch kaum sprechen, lediglich verstehen. Das Plautdietsche hat nach seiner Aus- sage auch keinerlei pers¨onliche Bedeutung fur¨ ihn. Es ist ihm nicht wichtig, diese Sprache zu erhalten und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Dies ist ihm aufgrund seiner eigenen geringen Kenntnisse auch praktisch nicht m¨oglich. RL geh¨orte nie einer Gemeinde an, in der in Plautdietsch gepredigt wurde, und kann sich dies auch nicht vorstellen. Der zweite Interviewteilnehmer dieser Altersgruppe zeichnet hingegen ein anderes Bild. AS wurde in Kanada geboren und spricht innerhalb der Familie Plautdietsch. Obwohl er mit seiner Frau und seinen Kindern bereits in mehreren L¨andern einige Zeit lebte, sprechen sie immer konsequent Plautdietsch untereinander. Dennoch be- tonteAS,dassdieniederdeutscheVariet¨at nicht die bedeutendste Sprache fur¨ ihn sei, dies sei Englisch und m¨oglicherweise auch Spanisch und Franz¨osisch, schließlich gebe es kein Land, in dem Plautdietsch die Mehrheitssprache ist. Da Plautdietsch je- doch einen wichtiger Teil des mennonitischen Erbes darstelle, musse¨ es erhalten und weitergegeben werden. Wenn es sich anbietet, liest er gern in Plautdietsch, jedoch auch in allen anderen Sprachen, die er beherrscht. Die Predigt in seiner Gemeinde ist ebenfalls uberwiegend¨ in Plautdietsch. AS hat viel Kontakt zu Spanischsprachigen, beinahe genauso viel wie zu Plautdietschsprechern; die Kontakte mit Spanischspre- chern reduzieren sich jedoch weitgehend auf berufliche Angelegenheiten. Die erste weibliche Befragte der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren wuchs in Paraguay auf und spricht sowohl Plautdietsch als auch Hochdeutsch. In Para- guay lernte WI nie die plautdietsche Orthografie, in der Schule stand Hochdeutsch

155 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien im Vordergrund. Sie ¨außert sich w¨ahrend des Interviews erfreut daruber,¨ dass sie die plautdietsche Orthografie in Bolivien erlernen konnte. Trotzdem ist ihr Englisch, nachdem sie einige Jahre in Kanada lebte, mittlerweile beinahe genauso bedeutend und auch gel¨aufig wie Plautdietsch. Es ist ihr wichtig, dass das Plautdietsche erhalten bleibt und weitergegeben wird. WI stellt fest, dass immer mehr jugendliche Mennoni- ten gern Spanisch sprechen, sie begegnet ihnen aber grunds¨atzlich mit einer Antwort in Plautdietsch und findet dies auch wichtig. Sie hat nur w¨ahrend ihrer Besuche in Santa Cruz hin und wieder Zugang zu Medien, grunds¨atzlich fehlt ihr aber auch das Interesse daran. Sie liest nicht gern und nicht viel, jedoch gelegentlich mennoniti- sche Zeitschriften. Die Predigt ihrer Gemeinde ist in Plautdietsch, aber manchmal werden spanische Lieder gesungen, wenn sich das einige jungere¨ Gemeindemitglieder wunschen.¨ Die Befragte ist bzgl. der spanischen Lieder zwiegespalten: Es sei wich- tig, die spanische Sprache zu beherrschen, da Bolivien ein spanischsprachiges Land ist, jedoch seien Mennoniten ursprunglich¨ Einwanderer aus dem deutschsprachigen Europa. Ihrer Ansicht zufolge gibt es schließlich auch sehr viele Lieder in Deutsch, die gemeinsam gesungen werden k¨onnen. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs in der Kolonie Morgenland auf, dort wird Plautdietsch gesprochen. Plautdietsch ist fur¨ sie die einzige Sprache, in der sie sich problemlos verst¨andigen kann. Die Interviewte ging lediglich sechs Jahre auf eine Schule der Kolonie und lernte neben Plautdietsch nur die Orthografie des Hochdeutschen. SU liest auch gern etwas in der niederdeutschen Variet¨at, jedoch gibt es sehr wenig Literatur. Wenn sie bei ihren seltenen Besuchen in Santa Cruz jedoch Bucher¨ findet, liest sie sie gern. Sie hat praktisch keinen Zugang zu Medien, nursehrseltenhatsiedieM¨oglichkeit, Radio zu h¨oren. SU hat Interesse daran und wurde¨ es gern mehr nutzen, sie bedauert, dass dies in der Kolonie aufgrund der technischen Voraussetzungen kaum m¨oglich ist. Sie ist der Meinung, dass es grund- s¨atzlich sinnvoller ist, Hochdeutsch zu erhalten und weiterzugeben als Plautdietsch, da es kein Land gibt, in dem Plautdietsch die Mehrheitssprache ist, Hochdeutsch in Europa jedoch keine unwichtige Rolle spielt. Ihre Kinder, die nicht mehr in der Kolonie leben, sprechen untereinander und mit ihren Partnern kein Plautdietsch, sondern in erster Linie Spanisch und Hochdeutsch. Die Befragte sieht diese Entwick- lung positiv. Die Predigt ihrer Gemeinde ist ebenfalls ausschließlich in Plautdietsch, jedoch werden auch dort gelegentlich spanische Lieder gesungen; im Gegensatz zu WI erfreut dies die Befragte sehr. Der erste m¨annliche Befragte zwischen 40 und 50 Jahren kam in Paraguay zur Welt und spricht innerhalb der Familie Plautdietsch, mit seiner Frau jedoch auch oft Englisch. Der Erhalt und die Weitergabe des Plautdietschen sind RU sehr wichtig, dennoch, so betont er, mussten¨ Mennoniten auch Spanisch lernen, da Bolivien ein spanischsprachiges Land ist. Die Predigt seiner Gemeinde ist in Plautdietsch. Er hat weder die Gelegenheit, noch das Interesse fur¨ Medien. RU liest auch nicht gern, nur vereinzelt Zeitungsartikel, wenn er bei seinen Besuchen in Santa Cruz eine Zeitung

156 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung erstehen kann. Er bedauert, dass es keine Tageszeitungen in Deutsch gibt. Der zweite Befragte dieser Altersgruppe kam in der Kolonie Morgenland zur Welt und spricht sowohl innerhalb seiner Familie als auch mit allen anderen Mennoni- ten, zu denen er Kontakt hat, in Plautdietsch. AS brachte sogar einigen Bolivianern Plautdietsch bei, um sich nicht in Spanisch mit ihnen verst¨andigen zu mussen,¨ wenn sie gesch¨aftliche Kontakte pflegen. Zur Freude des Interviewten zeigen die Bolivianer oftmals auch tats¨achlich Interesse daran, diese Sprache ein wenig zu erlernen. AS sagte dies jedoch mit einem Augenzwinkern und betont direkt, dass es naturlich¨ in erster Linie die Mennoniten seien, die Spanisch sprechen lernen mussten,¨ da Spanisch in Bolivien die Mehrheitssprache sei. Ebenso mussen¨ Mennoniten auch Hochdeutsch gut beherrschen, da es keine Literatur in Plautdietsch gibt und Lesen seiner Mei- nung nach sehr wichtig ist. AS selbst liest gern und so oft wie m¨oglich, allerdings ausschließlich in Hochdeutsch. Die Predigt in seiner Gemeinde ist uberwiegend¨ in Plautdietsch, vereinzelt auch in Hochdeutsch, dann gibt es jedoch jemanden, der ins Plautdietsche ubersetzt.¨ Der einzige Befragte zwischen 50 und 60 Jahren wurde in einer Kolonie in Paragu- ay geboren. Innerhalb der Familie und auch heute mit seiner Frau und seinen Kinder spricht er ausschließlich Plautdietsch. Diese Sprache ist fur¨ AM die einzige, in der er sich problemlos verst¨andigen kann, auch wenn er sich nach seiner Aussage sein ganzes Leben lang bemuht¨ habe, so gut wie m¨oglich Hochdeutsch als auch Spanisch zu erlernen. Er hat durch seinen Beruf mittlerweile viel Kontakt mit spanischspra- chigen Bolivianern, aber die Kommunikation f¨allt ihm noch immer schwer. Es ist ihm nicht wichtig, dass Plautdietsch erhalten und weitergegeben wird, da Bolivien schließlich spanischsprachig ist. AM sieht bei seinen Kindern bereits die Tendenz, dass sie mit ihren eigenen Kindern oft Spanisch sprechen. Der Befragte hat weder InteresseanMediennochanirgendeinerFormvonLiteratur. Die erste Interviewteilnehmerin zwischen 60 und 70 Jahren kam in Mexiko zur Welt. Innerhalb der Familie und mit ihrem Ehemann spricht sie ausschließlich Plaut- dietsch. Durch ihren Beruf, MR fuhrt¨ ein mennonitisches Hotel in Pail´on, hat sie auch uberwiegend¨ Kontakt mit plautdietschsprachigen Mennoniten. Sie h¨alt es fur¨ sehr wichtig, Plautdietsch als kulturelles Erbe weiterzugeben, jedoch ist es in ihren Augen fur¨ die Mennoniten in Bolivien genauso wichtig, Spanisch zu erlernen. Auch diese Befragte zeigt keinerlei Interesse fur¨ technische Medien, MR liest regelm¨aßig, jedoch nur mennonitische Zeitschriften. Die Predigt ihrer Gemeinde ist mittlerwei- le manchmal in Spanisch. Dies begrußt¨ sie und hofft, dadurch selbst ihre eigenen Kenntnisse des Spanischen ausbauen zu k¨onnen. DiezweiteBefragtedieserAltersgruppewurdeinParaguaygeborenundlebtseit 15 Jahren in Bolivien. Die in Bolivien lebenden Mennoniten empfindet MM jedoch als sehr verschlossen und m¨ochte langfristig nach Paraguay zuruckkehren.¨ Innerhalb der Familie und mit ihrem Ehemann spricht sie ausschließlich Plautdietsch. Ihre Enkel sprechen jedoch kein Plautdietsch mehr, sondern lediglich Hochdeutsch und

157 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Spanisch. Die Befragte befurwortet¨ diese Entwicklung sehr, da auch sie der Meinung ist, dass Plautdietsch nur sehr wenig Relevanz hat, davon abgesehen, dass es men- nonitisches Kulturerbe ist. Fur¨ die Zukunft findet MM es daher nicht wichtig, dass diese Sprache erhalten bleibt und weitergegeben wird. Die Predigt ihrer Gemeinde ist ausschließlich in Plautdietsch. MM interessiert sich nicht fur¨ technische Medien, liest jedoch gern, auch in Plautdietsch, wenn es sich anbietet. Der m¨annliche Befragte zwischen 60 und 70 Jahren wurde ebenfalls in Mexiko geboren. Innerhalb der Familie und auch mit seiner Frau spricht MI ausschließlich Plautdietsch. In dem Hotel, das sie gemeinsam fuhren,¨ n¨achtigen uberwiegend¨ G¨aste, die Plautdietsch sprechen, gelegentlich jedoch auch solche, die nur der spanischen oder englischen Sprache m¨achtig sind. Dann fuhrt¨ er die Kommunikation mit ihnen, da seine Frau dies nicht vermag; allerdings f¨allt auch ihm das Spanische schwer. Alle Sprachen sind seiner Meinung nach eine Bereicherung und es wert, erhalten zu bleiben, so auch das Plautdietsche. Allerdings sieht MI die Bedeutung dieser Sprache schwinden, da sie außerhalb der mennonitischen Siedlungen keine Bedeutung mehr hat. Die Predigt ist gelegentlich in Spanisch, dies befurwortet¨ er auch grunds¨atzlich. Auch dieser Befragte interessiert sich nicht fur¨ technische Medien und auch er liest kaum, nur gelegentlich die mennonitischen Zeitschriften. AK kam in Paraguay zur Welt und spricht innerhalb der Familie uberwiegend¨ Plautdietsch, mit ihrem Mann ebenfalls, h¨aufig jedoch auch Englisch. Es gibt fur¨ AK keine Sprache, die ihr am wichtigsten w¨are, auch wenn Plautdietsch diejenige ist, die sie in ihrem Leben immer am meisten gesprochen hat. AK liest in allen Spra- chen, die sie zumindest etwas beherrscht, jedoch am liebsten in Hochdeutsch und Plautdietsch, da sie dies besonders fluidamente spricht. Die Predigt ihrer Gemeinde ist in Plautdietsch, AK sieht jedoch die Tendenz, dass die jungeren¨ Gemeindemitglie- der verst¨arkt spanische Elemente in den Gottesdienst einfließen lassen. Die Befragte befurwortet¨ dies und betont, dass das Erlenen des Spanischen viel mehr werden musse.¨ PD kam ebenfalls in Paraguay zur Welt und auch in seiner Familie wird Plaut- dietsch gesprochen. Er spricht die niederdeutsche Variet¨at ebenso mit seiner Frau und seinen Kindern. PD selbst m¨ochte Plautdietsch nicht vergessen, ist jedoch der Meinung, dass es fur¨ nachfolgende Generationen keine große Bedeutung mehr haben sollte, stattdessen sollte viel mehr Spanisch gelernt werden. Er liest ausschließlich in Plautdietsch und Hochdeutsch, alles andere f¨allt ihm sehr schwer. Er interessiert sich fur¨ technische Medien und nutzt sie regelm¨aßig, so h¨ort PD auch h¨aufig Radio- sendungen in Hochdeutsch oder Plautdietsch. Dieser Interviewteilnehmer wechselt w¨ahrend des Gespr¨aches sehr h¨aufig zwischen Spanisch, Englisch und Plautdietsch - manchmal sogar ohne dies bewusst wahrzunehmen. Zusammenfassend l¨asst sich feststellen, dass beinahe alle befragten Mennoniten, mit Ausnahme eines Interviewteilnehmers, der seine Kindheit in Paraguay verlebte, mit Plautdietsch als Muttersprache aufwuchsen und es fur¨ fast alle auch die Spra-

158 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung che ist, in der sie ihre Sprachkompetenz am h¨ochsten einsch¨atzen. Zwar haben alle auch sehr fruh¨ zumindest etwas Hochdeutsch gelernt und die meisten sprechen mehr oder weniger h¨aufig Spanisch, dennoch ist es vielen wichtig, das Plautdietsche als kulturelles Erbe weiterzugeben. Es ist festzustellen, dass auch die jungeren¨ Befrag- ten, selbst dann, wenn sie einen spanischsprachigen Partner haben, die Bedeutung des Plautdietschen noch immer wertsch¨atzen. Viele ¨altere Befragte hingegen wur-¨ den es befurworten,¨ wenn Plautdietsch zugunsten des Spanischen weniger werden wurde.¨ Hier scheint es unter der jungeren¨ Generation jedoch teilweise eine Tendenz zum Erhalt des Plautdietschen geben. Die Predigten in den meisten Gemeinden sind offenbarauchnochimmerinPlautdietsch,jedochscheinenverst¨arkt spanische Ele- mente in die Gottesdienste mit aufgenommen zu werden. Dies geschieht ebenfalls auf Wunsch der jungeren¨ Gemeindemitglieder, die damit nicht nur den Erhalt des Plautdietschen unterstutzen,¨ sondern gleichzeitig das Erlernen des Spanischen unter den Mennoniten voranbringen. Es ist daher langfristig eine Diglossie zu erwarten.

10.4.2 Sprachkompetenzen im Spanischen RO ging wenige Jahre auf eine Schule der Kolonie Morgenland. Dort lernte sie kein Spanisch und bedauert dies. Sie ist selten in Santa Cruz und hat somit auch kaum Kontakt mit der spanischen Sprache. Allerdings arbeiten auf den Farmen innerhalb der Kolonie spanischsprachige Bolivianer. Die Befragte sucht gelegentlich Kontakt zu ihnen, um von ihnen ein bisschen Spanisch lernen zu k¨onnen und auf diese Weise hat sie Grundkenntnisse in der romanischen Sprache erlangt. Sie betont, dass ihr das Spanische viel besser gef¨allt als das Plautdietsche, da ihr der Klang des Spani- schen als angenehm auff¨allt. Die junge Frau findet es sehr wichtig, dass Mennoniten verst¨arkt Spanisch sprechen, da Spanisch in Bolivien die Mehrheitssprache ist. Ihrer Meinung zufolge ist es von Bedeutung, das Plautdietsche zu erhalten und sie m¨ochte es sp¨ater auch an ihre Kinder weitergeben, jedoch spielt die spanische Sprache eine so große Rolle in Bolivien, dass sich die Interviewte eingeschr¨ankt fuhlt,weilsiesie¨ nicht fließend beherrscht. KA lernte Spanisch an einer privaten Schule in Santa Cruz. Dies war wichtig fur¨ sie, da sie mit einem Bolivianer verheiratet ist, der kein Deutsch spricht und sie lernen musste, sich in seiner Sprache mit ihm zu verst¨andigen. Mittlerweile hat sie viele Kontakte mit Spanischsprachigen und verfestigt so immer mehr ihre Spanisch- kenntnisse. KA liest sehr gern in Spanisch und es f¨allt ihr inzwischen nicht mehr so schwer. Sie findet es zwar wichtig, Plautdietsch als die Sprache der Mennoniten aufrecht zu erhalten und weiter zu geben, dennoch ist KA auch der Meinung, dass die Wiedert¨aufer in spanischsprachigen L¨andern verst¨arkt die Landessprache lernen sollten, da es zwar nicht ihre Sprache, aber immerhin ein bisschen ihr Land ist“. ” NA lernte Spanisch in der Schule und sp¨ater verfestigte sie ihre Kenntnisse durch Unterricht an einer privaten Schule in Santa Cruz. Ihre Eltern sprechen ebenfalls

159 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien ein bisschen Spanisch und manchmal wechseln sie w¨ahrend einer Unterhaltung zwi- schen dem Plautdietschen und dem Spanischen. An ihrem Arbeitsplatz im Reiseburo¨ braucht NA regelm¨aßig Spanisch und seit sie in Santa Cruz lebt, hat sie auch eini- ge Kontakte mit Spanischsprachigen. NA denkt sogar mittlerweile uberwiegend¨ in Spanisch und findet, dass man sich in der romanischen Sprache viel besser ausdru-¨ cken kann als in Plautdietsch, da das Vokabular viel reicher“ ist. NA liest gern in ” Spanisch. Die n¨achste Befragte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren lernte Spanisch am Colegio Villa Nueva und spricht es mittlerweile sehr h¨aufig, da auch sie mit einem Bolivianer verheiratet ist. AN spricht nur noch mit ihren Eltern und Geschwistern Plautdietsch. Sie lernte nie flussig¨ in Deutsch zu lesen, in Spanisch f¨allt ihr das Le- sen viel leichter, da ihrer Meinung zufolge genauso geschrieben wird, wie sie es h¨ort. Dementsprechend liest AN beinahe ausschließlich in Spanisch. Auch sie h¨alt die ro- manische Sprache fur¨ die wichtigste, die Mennoniten in Bolivien beherrschen sollten. DennochistesihrausGrunden¨ des kulturellen Erbes auch wichtig, Plautdietsch zu erhalten. AN beobachtet, dass Bolivianer, die in Kontakt mit Mennoniten stehen, verst¨arkt versuchen, etwas Deutsch zu lernen. Die Befragte empfindet dies als nette Geste, ist jedoch der Meinung, dass es in erster Linie die Mennoniten sein sollten, die die Mehrheitssprache lernen. Die vierte Befragte dieser Altersgruppe lernte ebenfalls Spanisch am Colegio Villa Nueva und da sie mit einem Mexikaner verheiratet ist, hat MA durch den Kontakt mit ihm ihre Spanischkenntnisse verfestigen k¨onnen. Sie spricht momentan wenig Plautdietsch, dafur¨ weitgehend Spanisch, und hat viel Kontakt mit Spanischspra- chigen. Auch MA findet es sehr wichtig, dass Mennoniten in Bolivien verst¨arkt Spa- nisch lernen, um besser integriert zu sein. Lesen f¨allt ihr generell schwer, wenn sie liest, dann aber am liebsten in Spanisch. Die spanische Orthografie f¨allt MA leichter als die deutsche. Die funfte¨ Befragte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren spielte als Kind gelegentlich mit Spanischsprachigen. KT erlernte auf diese Weise jedoch nur sehr wenige W¨orter und in der Schule, auf die sie ging, wurde kein Spanischunterricht angeboten. Mittlerweile ist sie mit einem Mexikaner verheiratet und konnte etwas Spanisch von ihm erlernen, allerdings ist die Kommunikation mit ihm aufgrund der Sprachbarriere noch immer schwierig. KT spricht uberwiegend¨ Plautdietsch, da sie weiterhin viel Zeit mit ihrer Familie verbringt und hat, abgesehen von ihrem Mann, so gut wie keinen Kontakt zu Spanischsprachigen. Jedoch liest auch sie lieber in Spanisch als in Deutsch, die Orthografie sei leichter. Pers¨onliche Notizen macht sie lieber in Spanisch als in ihrer Muttersprache, obwohl sie ausnahmslos in Plautdietsch denkt. Daruber,¨ ob Mennoniten in Bolivien verst¨arkt Spanisch lernen sollten, machte KT sich bisher keine Gedanken. UB erlernte in der Schule kein Spanisch, konnte jedoch durch seine Besuche in Santa Cruz einige Kenntnisse erlangen. Er bedauert, keine besseren Sprachkenntnisse

160 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung zu haben, da dies das Leben in Bolivien ¨ofter erschwere. Allerdings, so sagte er auch, lebe er schließlich unter Mennoniten, die Plautdietsch sprechen, und das habe bisher genugt¨ und werde es wohl auch weiterhin. Der erste Interviewteilnehmer zwischen 30 und 40 Jahren lernte kein Spanisch in der Schule. RL wuchs jedoch in Asunci´on auf und hatte als Kind viel Kontakt mit bolivianischen Gleichaltrigen, von denen er Einiges lernen konnte. Sp¨ater vertiefte er seine Spanischkenntnisse an der Universit¨at in Paraguay. Mittlerweile hat RL durch seinen Beruf bei einem Autohersteller viel Kontakt mit der spanischen Sprache und sch¨atzt seine Sprachkompetenz als hoch ein. Auch dieser Befragte ist der Meinung, dass die spanische Orthografie leichter ist als die deutsche und daher liest RL, wenn er die Wahl hat, lieber in Spanisch als in Deutsch. Insgesamt liest er jedoch nicht viel. Der Befragte ist der Meinung, dass Mennoniten, egal, wo sie leben, ihre eigene Sprache und Kultur haben, die sie immer pflegen und die auch immer im Vorder- grund stehen sollten. Dennoch ist es in seinen Augen auch wichtig, dass Mennoniten Spanisch lernen, um sich in dem Land, in dem sie leben, verst¨andigen zu k¨onnen. RL fugte¨ hinzu, dass auf Dauer ein Fortschritt fur¨ die Mennoniten in jeglicher Hinsicht nicht m¨oglich sein k¨onne, wenn sie die Landessprache nicht beherrschten. Der zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs in Kanada auf und lernte Spanisch dort auf der weiterfuhrenden¨ Schule. Als Schulleiter in Pail´on hat AR viel Kontakt mit der spanischen Sprache, denn viele der angestellten Lehrer sprechen ausschließ- lich Spanisch. Er sch¨atzt seine Sprachkompetenz entsprechen hoch ein. Wenn AR die Wahl hat, spricht er jedoch am liebsten Plautdietsch, dies sei seine Sprache ” des Herzens“. Zum Lesen von Buchern¨ nimmt AR sich selten Zeit, er liest jedoch Artikel im Internet in allen Sprachen, die er beherrscht, auch gern in Spanisch. Auch dieser Befragte ist der Meinung, dass das Erlernen des Spanischen fur¨ die Menno- niten wichtig ist, noch wichtiger seien jedoch der Erhalt und die Weitergabe des Plautdietschen als Teil des kulturellen Erbes. Die erste weibliche Interviewteilnehmerin in der Altersstufe zwischen 40 und 50 Jahren lernte in einer Kolonie in Paraguay, in der sie aufwuchs, kein Spanisch. WI hatte jedoch auch Kontakt mit spanischsprachigen Kindern, von denen sie die Spra- che ein bisschen lernen konnte. Nun, da WI in Bolivien lebt, ist sie ¨ofter in Santa Cruz und hat dort ebenfalls Kontakt mit spanischsprachigen Bolivianern: siempre aprendo un poco m´as. Es ist in ihren Augen schon wichtig, dass die Mennoniten in Bolivien die spanische Sprache erlernen, um besser integriert sein zu k¨onnen, aber WI betont, dass das Wichtigste immer der Erhalt und die Weitergabe der eigenen Sprache und Kultur sein musse.¨ Lesen f¨allt ihr generell nicht leicht, aber in Spanisch liest WI, wenn es die Umst¨ande nicht unbedingt erfordern, uberhaupt¨ nicht. Die zweite Befragte der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren ging in der Kolo- nie Morgenland zur Schule und lernte dort keinerlei Spanisch. Daruber¨ hinaus hatte SU auch nie viel Kontakt mit Bolivianern und der spanischen Sprache. Dennoch ist sie sehr interessiert daran, etwas Spanisch zu lernen. Zu diesem Zweck bittet SU

161 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien immer mal wieder Freunde und Bekannte, die in die Stadt fahren, ihr Bucher¨ mit- zubringen, aus denen sie etwas Spanisch lernen kann. Auf diese Weise eignet sie sich soweit Grundkenntnisse an, dass sie sich verst¨andigen kann. Sie findet es sehr wich- tig, dass in Bolivien lebende Mennoniten Spanisch erlernen, denn es ist die Sprache des Landes, in dem sie leben. SU bedauert, dass zu der Zeit, zu der sie zur Schule ging, kein Spanisch angeboten wurde. Mittlerweile hat sich dies jedoch ge¨andert und ihre Kinder, die auf derselben Schule waren, wie die Befragte zuvor, lernten bereits Spanisch dort. Einmal im Monat gibt es in der N¨ahe eine hora feliz, dies ist eine Art Gottesdienst fur¨ spanischsprachige Kinder, in dem sie die Grunds¨atze des menno- nitischen Glaubens kennenlernen k¨onnen. Dieses Angebot findet dementsprechend in Spanisch statt. Die Interviewte nimmt sehr gern daran teil, weil sie dort ihre Spanischkenntnisse erweitern kann. Der erste m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren hatte etwas Spanischunterricht in der Schule in Paraguay. Deutlich intensiver war seiner Meinung zufolge jedoch der Kontakt mit spanischsprachigen Kindern, von denen RU viel lernen konnte. Mittlerweile lebt er in Bolivien, vermeidet aber, soweit m¨oglich, den Kontakt mit Bolivianern und hat fast ausschließlich Kontakt mit Mennoniten. Dies geschieht nicht zuletzt wegen Sprachunsicherheiten im Spanischen, die ihm oft unangenehm sind. Es falle ihm sehr schwer, Spanisch zu sprechen und seine Kenntnisse zu erweitern. RU macht beinahe den Eindruck, als habe er resigniert. Er versucht gelegentlich, Zeitungsartikel in Spanisch zu lesen, da ihn die Politik in Sudamerika¨ interessiert, aber auch das Lesen f¨allt ihm sehr schwer. Der zweite Interviewteilnehmer dieser Altersgruppe lebt in Morgenland. AS lernte kein Spanisch in der Schule, hat aber schon seit vielen Jahren regelm¨aßig beruflichen Kontakt mit Bolivianern, von denen er insoweit Spanischkenntnisse erlernen konnte, als dass er sich einigermaßen verst¨andigen kann. AS besuchte daruber¨ hinaus auch zwei Jahre lang eine Privatschule in Santa Cruz, wo er Spanisch lernte. Auch er nimmt gern an der hora feliz teil, um seine Kenntnisse in der spanischen Sprache noch verbessern zu k¨onnen. Spanisch zu lernen ist in seinen Augen unerl¨asslich, schon allein, weil der gesch¨aftliche Kontakt mit Bolivianern fur¨ Mennoniten immer essenziell sein wird, auch wenn Mennoniten immer ihre eigene Sprache und ihre eigene Kultur haben werden. AS liest gern in Deutsch, kaum jedoch in Spanisch, da ihm dies zu muhsam¨ ist. Der einzige Befragte, der zwischen 50 und 60 Jahre alt ist, lernte ebenfalls kein Spanisch in der Schule, sondern nur im Kontakt mit Bolivianern, die auf der Farm seiner Familie angestellt sind, und sp¨ater im gesch¨aftlichen Kontakt mit ihnen als Kaufmann. AM hat mittlerweile mehr Kontakt zu Spanischsprachigen als zu Per- sonen, die Plautdietsch sprechen - jedoch sind alle Kontakte gesch¨aftlich. Er liest nicht viel, wenn, dann jedoch in Deutsch. In Spanisch liest er nur dann, wenn es unerl¨asslich ist. Auch AM h¨alt es fur¨ wichtig, dass Mennoniten Spanisch lernen, da es die Mehrheitssprache ist. Dennoch durften¨ der Erhalt und die Weitergabe des

162 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

Plautdietschen nicht vernachl¨assigt werden. Die erste Befragte in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren kam in Mexi- ko zur Welt und hatte dort von Beginn an Kontakt mit Mexikanern, die auf dem Besitz ihrer Eltern arbeiteten. Von ihnen hat sie viel lernen k¨onnen. In der Schule, auf der MR war, wurde kein Spanischunterricht angeboten. In ihren Augen mussten¨ die Mennoniten in Sudamerika¨ viel mehr Spanisch sprechen, Plautdietsch zu erhal- ten sei zwar auch wichtig, es sollte jedoch zu einer sehr privaten Sprache werden, die nur zu Hause gesprochen wird. Fur¨ Heranwachsende sollte die Zweisprachigkeit selbstverst¨andlich sein. MR liest nur mennonitische Zeitschriften, in Spanisch liest und schreibt sie nach M¨oglichkeit gar nicht. Die zweite Interviewteilnehmerin dieser Altersstufe kam in Paraguay zur Welt und hatte ebenfalls nicht die Gelegenheit, Spanisch in der Schule zu lernen. Auch MM lernte es nur durch den Kontakt mit Spanischsprechern, bemuhte¨ sich jedoch immer, ihre Kenntnisse mit Hilfe von Buchern¨ zu erweitern. Sie beschreibt sich als kontaktfreudig, so dass es ihr nicht schwer f¨allt, ihre Kenntnisse stetig zu erweitern. Auch in ihren Augen ist das Erlernen von Spanisch unerl¨asslich und musste¨ fur¨ die jungere¨ Generation selbstverst¨andlich sein. Der m¨annliche Interviewte in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren kam in Mexiko zur Welt und lernte auch kein Spanisch in der Schule. AB hatte in seiner Kindheit jedoch uberwiegend¨ mit mexikanischen Gleichaltrigen Kontakt, so dass er von ihnen fruh¨ Spanisch lernte. Heute spricht er jedoch nur noch dann Spanisch, wenn er nach Santa Cruz f¨ahrt, oder wenn es administrative Dinge zu erledigen gibt. Er liest nur mennonitische Zeitschriften, in Spanisch liest er gar nicht. Es ist in seinen Augen sehr wichtig, Spanisch zu beherrschen, um sich im Notfall verst¨andigen zu k¨onnen und auch um Vertr¨agelesenzuk¨onnen. Daruber¨ hinaus hat Spanisch jedoch kaum eine Bedeutung fur¨ ihn. AK lernte kein Spanisch in der Schule. Sie besuchte jedoch fur¨ einige Jahre eine Privatschule, um Spanisch zu erlernen und kaufte sich daruber¨ hinaus Bucher,¨ um ihre Kenntnisse vertiefen zu k¨onnen. AK empfindet es als sehr wichtig, Spanisch zu k¨onnen, denn es ist die Mehrheitssprache des Landes. In ihren Augen werde auch immer noch zu wenig Spanisch an den mennonitischen Schulen unterrichtet. Sie liest sehr gern, auch in Spanisch. Wenn sie in die Stadt kommt, kauft sie sich regelm¨aßig Zeitschriften und Bucher¨ in der romanischen Sprache. Der m¨annliche Befragte dieser Altersgruppe kam ebenfalls in Paraguay zur Welt und lernte dort Spanisch in der Schule. Außerdem hatte PD als Kind viel Kontakt mit Gleichaltrigen, die Spanisch sprachen. Seine Sprachkompetenz sch¨atzt er daher auch als sehr hoch ein. Das Plautdietsche zu erhalten ist in seinen Augen nicht l¨anger notwendig, viel wichtiger sei es, dass alle Mennoniten sich besser in Spanisch ver- st¨andigen k¨onnen. PD h¨ort gern Radiosendungen in Spanisch und liest gelegentlich auch in dieser Sprache. Allerdings betont er auch, dass es wichtig sei, die Bindung an Deutschland nicht zu verlieren, da dieses Land technologisch sehr wichtig sei.

163 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Insgesamt ist es allen Befragten wichtig, Spanisch zu lernen, und es sind sich auch alle einig, dass die Spanischkenntnisse der heranwachsenden Generation verbessert werden mussten.¨ Dies geschieht offenbar aber schon dadurch, dass immer mehr men- nonitische Schulen, auch in den Kolonien, Spanisch als Unterrichtsfach einfuhren.¨ Sicherlich ist dies nicht zuletzt auch dem Druck der Regierung zuzuschreiben, die verst¨arkt Wert auf sprachliche Integration legt. Aber die befragten Wiedert¨aufer se- hen offenbar auch ausnahmslos den Mehrwert im Erlernen einer weiteren Sprache und erkennen, dass dies nicht bedeuten muss, dass das Plautdietsche nicht mehr gesprochen wird. Ob diese Entwicklung langfristig tats¨achlich einen Ruckgang¨ der niederdeutschen Variet¨at zur Folge haben wird, wird sich zeigen mussen.¨ Interessant ist, dass die Alteren,¨ die Spanisch noch nicht in der Schule lernen konnten, durch private Unterrichtsstunden und erworbene Bucher¨ versuchen, Ver- s¨aumtes nachzuholen. Auch dadurch wird das wachsende Interesse der Mennoniten in Bolivien an der spanischen Sprache deutlich.

10.4.3 Sprachkompetenzen im Hochdeutschen Im Hinblick auf die Sprachkompetenzen der befragten Mennoniten im Hochdeut- schen ergaben sich keine Verst¨andigungsprobleme. Obwohl die Interviews in Spa- nisch gefuhrt¨ wurden, um die Sprachkompetenz der Mennoniten in dieser Sprache auf der morphosyntaktischen Ebene beurteilen zu k¨onnen, wurde im Kontakt mit den Mennoniten außerhalb der Aufnahmen selbstverst¨andlich sehr viel Deutsch ge- sprochen, da dies im Grunde diejenige Sprache ist, die fur¨ alle am naturlichsten¨ ist. Auf der calle 6 de agosto traf ich nur vereinzelt Mennoniten, die gelegentlich um eine Wiederholung des von mir Gesagten baten, weil sie es nicht direkt verstehen konnten. Dies waren jedoch ausschließlich sehr konservative Wiedert¨aufer, die au- ßerhalb ihrer Kolonie nur wenige Kontakte haben. Die produktive Sprachkompetenz des Hochdeutschen war jedoch bei vielen deutlich geringer. Einige Mennoniten, die ich in Bolivien traf, bemuhten¨ sich zwar, in Hochdeutsch mit mir zu kommunizieren, es war jedoch sehr deutlich, dass dies vielen sehr schwer fiel. Regelm¨aßige Wechsel vom Hochdeutschen ins Plautdietsche w¨ahrend eines Ge- spr¨achs waren bei fast allen zu beobachten. Dies geschah oft unbewusst, wurde von fast allen jedoch direkt bemerkt. Bei anderen geschah es jedoch auch unbewusst und sie sprachen in Plautdietsch weiter. Hier zeigte sich, wie wichtig es in der Vorbe- reitung auf dieses Projekt gewesen war, sich einige Kenntnisse des Plautdietschen anzueignen. Das Sprachverhalten der Wiedert¨aufer weicht stark von dem derjenigen Mennoniten ab, die ich in Paraguay getroffen hatte. Von ihnen hatte fast niemand Schwierigkeiten mit der hochdeutschen Sprache. In Paraguay brauchten auch eini- ge Wiedert¨aufer einen Moment, um sich an mein Hochdeutsch zu gew¨ohnen, alle besaßen jedoch ausreichende Sprachkompetenzen, um kommunizieren zu k¨onnen. RO spricht innerhalb der Familie Plautdietsch und lernte Hochdeutsch in der Schu-

164 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung le. Sie besuchte eine Schule der Kolonie Morgenland. Hochdeutsch wurde dort zwar unterrichtet und sie kann es auch sehr gut verstehen, jedoch hat RO große Schwierig- keiten, diese Sprache auch zu sprechen. Dies ist sicherlich mangels M¨oglichkeiten der Fall, denn seit sie die Schule beendete, braucht sie praktisch kein Hochdeutsch mehr. RO kann problemlos in Hochdeutsch lesen, da dies ebenfalls Unterrichtsgegenstand war, jedoch liest sie nicht viel. In ihren Augen ist es allerdings wichtig, dass Men- noniten Hochdeutsch lernen, da es L¨ander gibt, in denen es die Mehrheitssprache und daher sehr nutzlich¨ ist. Die Befragte kann sich momentan nicht vorstellen, nach Deutschland zu fahren. Wenn sich jedoch eine Gruppe f¨ande, der sie sich anschließen k¨onnte, h¨atte sie Interesse, das Land, dessen Sprache sie spricht, kennen zu lernen. Die erste Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren lernte Hochdeutsch ebenfalls in der Schule. KA besuchte eine weiterfuhrende¨ Schule in Santa Cruz. Auch sie spricht nur sehr selten Hochdeutsch, uberwiegend¨ Plaut- dietsch oder Spanisch. Dennoch macht ihr das Hochdeutsche keine ernsthaften Pro- bleme, sie sch¨atzt ihre Sprachkompetenz als hoch ein. Die Befragte liest gern Bucher¨ in Hochdeutsch und verfestigt ihre Sprachkenntnisse auf diese Weise. Die Interview- te war noch nie in Deutschland, findet es jedoch kurios, das Land, aus dem ihre Vorfahren stammen, nicht zu kennen. Sobald sich ihr die M¨oglichkeit bietet, m¨ochte KA Deutschland gern bereisen. Die zweite Befragte in dieser Altersgruppe lernte ebenfalls Hochdeutsch in der Schule und liest gelegentlich auch Bucher¨ in dieser Sprache. Privat hat NA zu nie- mandem Kontakt, mit dem sie Hochdeutsch spricht, aber w¨ahrend ihrer Arbeit in einem Reiseburo¨ ist Hochdeutsch manchmal wichtig, um sich mit Reiseveranstaltern, die teilweise ihren Sitz in Deutschland haben, abzusprechen. In diesen F¨allen nutzt NA sehr gern das Hochdeutsche und ist froh, diese Sprache zu beherrschen. Aller- dings war die Befragte noch nie in Deutschland, da sie von dem Land jedoch schon sehr viel geh¨ort hat und vor allem auch, weil ihre Vorfahren von dort stammen, m¨ochtesieessobaldwiem¨oglich bereisen. Ursprunglich¨ absolvierte die Befragte ein Lehramtsstudium und hofft darauf, eines Tages in Deutschland unterrichten zu k¨onnen, zumindest eine Zeit lang. Hochdeutsch ist in den Augen der Interviewteil- nehmerin eine sehr wichtiges Sprache, da die Bundesrepublik ihrer Ansicht zufolge das ¨okonomisch bedeutendste Land Europas ist. Die dritte Befragte dieser Altersgruppe ging auf das Colegio Villa Nueva und lernte dort kein Hochdeutsch, lediglich Plautdietsch, Spanisch und etwas Englisch. AN hatte jedoch bereits als Kind Kontakt mit der hochdeutschen Sprache und kann sie daher mit etwas Muhe¨ verstehen. Das Sprechen des Hochdeutschen f¨allt ihr jedoch sehr schwer und AN wechselt immer wieder ins Plautdietsche. Lesen f¨allt ihr generell schwer, so auch in Hochdeutsch. Sie war noch nie in Deutschland und es fehlt ihr auch das Interesse daran, dorthin zu fahren. Dennoch stellt AN sich das Land als einen Ort vor, an dem man sich sehr leicht wohlfuhlen¨ kann, weil alles sauber und ordentlich ist.

165 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Die vierte Interviewte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren lernte eben- falls kein Hochdeutsch in der Schule, da auch sie das Colegio Villa Nueva besuchte. Wie bereits die vorherige Befragte lernte auch diese Interviewteilnehmerin Hoch- deutsch durch Kontakt mit einigen Leuten, die diese Sprache sprechen, und durch das Schriftbild, das MA erlernte. Sie versteht problemlos Hochdeutsch, wenn sie selbst spricht, wechselt jedoch auch MA regelm¨aßig ins Plautdietsche, sobald ihr ein Wort in Hochdeutsch fehlt. Sie merkt dies aber direkt und versucht, sich zu korrigie- ren. Auch sie liest generell nicht viel, weil es ihr schwer f¨allt. Die Befragte war noch nie in Deutschland und sieht aktuell auch keine M¨oglichkeit, dorthin zu kommen. MA stellt es sich jedoch sehr positiv vor, insgesamt viel besser als Bolivien“. ” Die funfte¨ Befragte dieser Altersgruppe ging in einer Kolonie zur Schule und lern- te dort ein wenig Hochdeutsch. Das hochdeutsche Schriftbild, wie allerdings auch das Plautdietsche, f¨allt KT schwer, so dass sie in beiden Sprachen kaum liest oder schreibt. Sie kann jedoch problemlos Hochdeutsch verstehen und wechselt nur ein einziges Mal ins Plautdietsche - kurz nachdem ihre Mutter dazu kommt und die bei- den einen Satz in Plautdietsch wechseln. KT war noch nie in Deutschland, stellt es sich aber so ¨ahnlich vor wie Kanada, das einzige Land neben Bolivien, das sie kennt. Sie hatte den Eindruck, dass in Kanada alles besser organisiert ist und projiziert diesen Eindruck auf Deutschland. Der einzige m¨annliche Befragte dieser Altersgruppe lernte etwas Hochdeutsch in der Schule, die in der Kolonie ist, in der er aufwuchs und noch heute lebt. UB kann mit einigen Problemen Hochdeutsch verstehen, seine produktiven Kompetenzen sind jedoch sehr gering und er spricht praktisch nur Plautdietsch. Er liest generell sehr wenig, da es auch ihm schwer f¨allt. UB war noch nie in Deutschland und hat sich bislang auch noch keine Gedanken daruber¨ gemacht, ob er dieses Land eines Tages bereisen m¨ochte. Der erste m¨annliche Befragte zwischen 30 und 40 Jahren wuchs in Paraguay auf und sprach innerhalb der Familie immer Hochdeutsch. Dies ist auch heute noch diejenige Sprache, in der seine Kompetenzen am h¨ochsten sind. Seine Sprach- und vor allem Lesef¨ahigkeiten verbesserte er in der mennonitischen Schule in Asunci´on, so dass es ihm auch sehr leicht f¨allt, in Hochdeutsch zu lesen. RL liest gelegentlich deutsche Artikel im Internet. Seine pers¨onlichen Notizen verfasst er dennoch vor- zugsweise in Spanisch, da ihm die Orthografie mittlerweile noch etwas leichter f¨allt als diejenige des Hochdeutschen. RL studierte einige Semester in Deutschland und es gefiel ihm sehr gut. Sobald wie m¨oglich m¨ochte er nach Deutschland zuruckkehren¨ undwennsichihmdieM¨oglichkeit bietet, auch dort bleiben. Er betonte w¨ahrend des Interviews, wie sehr ihm bei seinem Aufenthalt in Deutschland aufgefallen sei, dass die deutsche Sprache, die dort gesprochen werde, lexikalisch gesehen viel reicher sei als das Hochdeutsche, das er kenne. Daran sei doch sehr deutlich erkennbar, dass sich die deutsche Sprache unter den Mennoniten kaum weiter entwickle, im Gegensatz zum Hochdeutschen in Europa.

166 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

Der zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs in einer kanadischen Kolonie auf und spricht innerhalb der Familie Plautdietsch. Hochdeutsch lernte AS erst auf der weiterfuhrenden¨ Schule und hatte funf¨ Jahre Deutschunterricht. Es gibt wenige Per- sonen, mit denen er in Hochdeutsch kommuniziert, meistens spricht er Plautdietsch oder Spanisch. AS liest gelegentlich hochdeutsche Artikel im Internet und es berei- tet ihm keine Muhe.¨ W¨ahrend des Gespr¨achs mit ihm wechselt er zu Beginn im- mer wieder ins Plautdietsche, nach wenigen Minuten bleibt er jedoch muhelos¨ beim Hochdeutschen. W¨ahrend seines Studiums war AS einmal gemeinsam mit anderen Studierenden fur¨ mehrere Wochen in Deutschland. Es gefiel ihm gut und erinnerte ihn stark an Kanada. Allerdings fiel ihm negativ auf, dass die meisten Menschen in St¨adten leben und es, seinem Eindruck zufolge, kaum belebte D¨orfer gibt. Der Be- fragte k¨onnte nicht in Deutschland leben, weil ihm die Menschen dort zu reserviert vorkommen und ihm das sudamerikanische¨ Temperament fehlen wurde.¨ Die erste weibliche Interviewte zwischen 40 und 50 Jahren wuchs in Paraguay auf, sprach jedoch Plautdietsch innerhalb der Familie. WI lernte Hochdeutsch in der Schule einer mennonitischen Kolonie. Sie spricht sehr wenig Hochdeutsch und hat kaum Kontakt zu Personen, mit denen sie in dieser Sprache kommunizieren k¨onnte. Die Befragte spricht haupts¨achlich Plautdietsch und, wenn es die Situation erfordert, etwas Spanisch. WI liest generell nicht viel, auch nicht in Hochdeutsch. Die Inter- viewteilnehmerin interessiert sich jedoch fur¨ Bucher¨ mit deutschen Kirchenliedern. Sie war noch nie in Deutschland, wurde¨ aber sehr gern einmal dorthin fahren. Die Befragte stellt sich Deutschland, wie fast alle in Sudamerika¨ lebenden Mennoniten, sauber und organisiert vor. Sie tr¨aumt davon, ein Kirchenkonzert in Deutschland besuchen zu k¨onnen. Die zweite Interviewteilnehmerin dieser Altersstufe wuchs in Morgenland auf und besuchte lediglich sechs Jahre die Schule der Kolonie. SU hatte zwei Jahre Unterricht in Hochdeutsch an der Schule und erlernte auch die hochdeutsche Orthografie. Ihre Familie empf¨angt sehr regelm¨aßig Besuch aus Deutschland, so dass SU durch den Kontakt mit diesen Personen ihre Hochdeutschkenntnisse erweitert und verfestigt. Sie liest gern und wann immer sie ein Buch in Hochdeutsch bekommen kann, ist sie sehr daran interessiert. Die Befragte war noch nie in Deutschland, durch Erz¨ahlungen des regelm¨aßigen Besuchs hat sie jedoch positive Eindrucke¨ gewonnen. Allerdings stellt SU es sich auch wie eine einzige große Stadt vor, in der ein Haus neben dem n¨achsten steht. Zudem findet sie es sehr raro eine Sprache zu sprechen, aber noch nie in dem Land gewesen zu sein, in dem es die Mehrheitssprache ist. Der erste m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren wuchs ebenfalls in Paraguay auf. Auch RU lernte Hochdeutsch in der mennonitischen Schule einer Kolonie. Er erlernte dort auch die Orthografie, allerdings liest er nicht gern und auch nicht viel. Auch RU hat kaum Gelegenheit, Hochdeutsch zu sprechen, er spricht uberwiegend¨ Plautdietsch. Der Befragte war noch nie in Deutschland und stellt es sich im Prinzip interessant vor, das Land zu bereisen. Eine Reise nach Deutschland

167 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien tats¨achlich selbst zu organisieren, k¨onnte er sich jedoch kaum vorstellen. Der zweite Interviewteilnehmer dieser Altersgruppe wuchs in Morgenland auf und spricht beinahe ausschließlich Plautdietsch. AS lernte einige Jahre Hochdeutsch in derSchuleunddiehochdeutscheOrthografiebereitetihmkeineSchwierigkeiten. AS liest regelm¨aßig Zeitschriften, ausschließlich in Hochdeutsch. Seine pers¨onlichen Notizen sind auch grunds¨atzlich in Hochdeutsch. Er war noch nie in Deutschland, wurde¨ jedoch sehr gern hinfahren. Der Befragte stellt sich Deutschland im Vergleich mit Bolivien hoch entwickelt vor, besonders in Bezug auf den landwirtschaftlichen Bereich, in dem er t¨atig ist. Dies wurde¨ AS gern einmal selbst sehen, er kann sich jedoch nicht vorstellen, dort zu wohnen, denn in Deutschland faltalalibertad,dieer in Bolivien genießt. Der einzige Teilnehmer zwischen 50 und 60 Jahren wuchs in Paraguay auf. AM lernte in der Schule von Beginn an Hochdeutsch, dies war die einzige Sprache, in der in der Schule gelesen werden durfte. Daher ist es heute so, dass ihm das Lesen in Hochdeutsch am leichtesten f¨allt, das Sprechen hingegen in Plautdietsch. Auch AM hat wenig Kontakte mit Sprechern des Hochdeutschen. Privat spricht er fast ausschließlich Plautdietsch, beruflich hingegen sehr h¨aufig Spanisch. Auch dieser Befragte war bisher noch nie in Deutschland, er wurde¨ das Land sehr gern bereisen, dies sei jedoch aus organisatorischen und finanziellen Grunden¨ nicht so einfach. AM besitzt Bildb¨ande von Deutschland und schaut sich diese gern an, um sich ausmalen zu k¨onnen, wie es dort aussieht. Nur vor der Reserviertheit der Deutschen, von der AM bereits viel geh¨ort hat, schreckt er ein wenig zuruck.¨ Die erste Befragte der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren wuchs in Mexiko auf und sprach innerhalb der Familie Plautdietsch. MR besuchte in der Kolonie, in der sie aufwuchs, eine mennonitische Schule. Dort war Hochdeutsch von Beginn an Gegenstand des Unterrichts. Dadurch beherrscht MR ohne Probleme die hoch- deutsche Orthografie. Wenn sie manchmal ein Buch aus Deutschland bekommt, hat auch sie den Eindruck, dass die Sprache lexikalisch viel reicher ist im Vergleich zu dem Hochdeutschen, das sie selbst spricht. Notizen macht sie sich ausschließlich in Hochdeutsch und nur in Ausnahmef¨allen in Spanisch. Die Befragte war noch nie in Deutschland, traf jedoch schon h¨aufig Personen, die bereits vor Ort gewesen sind. MR stellt sich Europa generell sehr sauber und gut organisiert vor. Mittlerweile fuhlt¨ sie sich zu alt, um einmal dorthin reisen zu k¨onnen. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs in Paraguay auf und lernte dort in der Schule Hochdeutsch. MM liest fast ausschließlich in Hochdeutsch, weil ihr dies am leichtesten f¨allt. Jedoch spricht sie mit der Familie und mit Bekannten uberwiegend¨ Plautdietsch, nur sehr selten Hochdeutsch oder Spanisch. MM war zwei Mal in Deutschland und lebte beim ersten Mal l¨anger dort, da ihr Mann eine Zeit lang in Munchen¨ studierte. Sie m¨ochte jedoch nicht noch einmal nach Deutschland, da die Menschen dort nach ihrer Erfahrung sehr unfreundlich und wenig hilfsbereit sind. So ist es in Deutschland ihrer Erfahrung nach schwierig, eine brauchbare Antwort

168 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung zu bekommen, wenn man jemanden nach dem Weg fragt. Der m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren wuchs in Mexiko auf und lernte kein Hochdeutsch in der Schule. Statt dessen beherrscht AB diese Sprache etwas durch den Kontakt mit anderen Mennoniten, die Hochdeutsch k¨onnen, und vor allem deswegen, weil ihm die hochdeutsche Orthografie regelm¨aßig begegnet. Ein flussiges¨ Gespr¨ach mit diesem Interviewteilnehmer in Hochdeutsch zu fuhren,¨ gestaltet sich schwierig, viel einfacher ist es in Plautdietsch. Der Interviewte liest sehr wenig, wenn dann jedoch in Hochdeutsch. Er war nie in Deutschland und fuhlt¨ sich mittlerweile auch zu alt, um dies noch nachzuholen. AB bedauert, dass der Nationalsozialismus das ist, was er als erstes mit Deutschland verbindet, obwohl das Land die Wiege der Mennoniten ist und es sicherlich mehr zu bieten hat als diesen dunklen Teil der Geschichte. Die Befragte der Altersgruppe uber¨ 70 Jahre wuchs in Paraguay auf und spricht in- nerhalb der Familie uberwiegend¨ Plautdietsch. AK lernte Hochdeutsch in der Schule und es ist diejenige Sprache, in der ihr das Lesen am leichtesten f¨allt. Sie liest aber generell viel, in allen Sprachen, die sie beherrscht. AK war einmal in Deutschland, allerdings gefiel es ihr nicht, da es dort nach ihrem Eindruck lleno de gente ist und die Menschen kaum einen freien Platz finden k¨onnen. Dennoch sei Deutschland fur¨ Mennoniten ein wichtiges Land, da es sozusagen ihre Wiege und ein sehr wichtiger Teil des kulturellen Erbes sei. Der m¨annliche Befragte in dieser Altersgruppe wuchs ebenfalls in Paraguay auf und lernte Hochdeutsch dort in der mennonitischen Schule. PD spricht uberwiegend¨ Plautdietsch, liest jedoch viel in Hochdeutsch, da die hochdeutsche Orthografie auch fur¨ ihn diejenige ist, die ihm am leichtesten f¨allt. Er h¨ort daruber¨ hinaus regelm¨aßig deutsche Radiosendungen uber¨ das Internet. Auch dieser Befragte war einmal in Deutschland und erachtet es als sehr wichtig, dass die Mennoniten in Sudamerika¨ den Kontakt dorthin nicht ganz verlieren, da es fur¨ den technologischen Fortschritt sehr wichtig ist. Dort zu leben kann PD sich jedoch nicht vorstellen, denn die Menschen dort lebten zusammen como hormigas. Abgesehen von dem ersten m¨annlichen Befragten in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren spricht niemand innerhalb der Familie Hochdeutsch, sondern aus- schließlich Plautdietsch. Dennoch lernten fast alle Befragten Hochdeutsch in der Schule, zumindest die Orthografie. Lediglich die jungeren¨ Interviewteilnehmer, die das Colegio Villa Nueva besuchten, sind hier im Nachteil, denn sie lernten keinerlei Hochdeutsch in der Schule, da es dort nicht unterrichtet wird. Sie kennen zwar in der Regel andere Mennoniten, von denen sie etwas Hochdeutsch lernen konnten, haben aber große Schwierigkeiten, sich in dieser Sprache zu verst¨andigen oder gar zu le- sen. Dies steht zum einen zwar dem Grundgedanken der bolivianischen Mennoniten gegenuber,¨ dass Hochdeutsch eine schutzenswerte¨ Sprache ist, da die Beziehungen nach Deutschland noch immer von Bedeutung sind und es in dem Mutterland der Mennoniten die Mehrheitssprache ist. Auf der anderen Seite unterstutzt¨ die Maxime

169 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien des Colegio Villa Nueva aber den Erhalt des Plautdietschen und die SchulerInnen¨ werden daruber¨ hinaus auch in Spanisch unterrichtet. Generell scheint Hochdeutsch fur¨ die Wiedert¨aufer in Bolivien eine geringere Rolle zu spielen als in Paraguay, denn kaum jemand spricht es regelm¨aßig. Die erlernten Hochdeutschkenntnisse beschr¨anken sich auf das Erlernen der Orthografie, mit dem Ziel, Bucher¨ und Texte lesen zu k¨onnen, die es in Plautdietsch noch immer kaum gibt. Daruber¨ hinaus waren auch die meisten Befragten noch nie in Deutschland, ins- gesamt deutlich weniger als die in Paraguay interviewten Mennoniten. Die Mehr- heit, zumindest die jungeren¨ unter ihnen, w¨are jedoch durchaus interessiert daran, Deutschland zu bereisen und zwar beinahe alle mit dem gleichen Argument: weil es das Ursprungsland der mennonitischen Vorfahren ist. Hinzu kommt, dass sie bei- nahe ausnahmslos die gleichen Vorstellungen von Deutschland haben: sauber, gut organisiert, aber uberf¨ ullt¨ mit Menschen.

10.4.4 Sprachkompetenzen in anderen Sprachen An dieser Stelle kommt bei den in Bolivien befragten Mennoniten lediglich Englisch in Betracht. Keiner der Interviewteilnehmer verfugt¨ uber¨ Kenntnisse in einer anderen Sprache neben Plautdietsch, Hochdeutsch, Spanisch und Englisch. Die Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe unter 20 Jahren hat keinerlei Eng- lischkenntnisse, dies wurde in der Schule, die RO besuchte, nicht angeboten. Die erste Befragte unter den weiblichen Teilnehmern in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren gab an, einige Grundkenntnisse des Englischen auf dem Colegio Villa Nueva erlangt zu haben. KA hat jedoch kaum Kontakt mit der Sprache und daher wenig Gelegenheit, ihre Sprachkompetenz zu festigen. Bei der zweiten Befragten dieser Altersgruppe verh¨alt es sich ¨ahnlich. NA lernte einige Grundkenntnisse der englischen Sprache in der Schule; durch ihre Arbeit im ReiseburohatsiejedochauchberuflichmitEnglischzutunundm¨ ¨ochte daher in naher Zukunft Kurse belegen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. NA k¨onnte sich einen Aufenthalt im englischsprachigen Ausland gut vorstellen. Auch die dritte Befragte in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren lernte Grundkenntnisse des Englischen im Colegio Villa Nueva. AN hat jedoch keine guten Erinnerungen an den Englischunterricht und traut es sich auch nicht zu, sich in dieser Sprache zu verst¨andigen. Auch lesen kann sie das Englische kaum. Ebenso ist es bei der Vierten dieser Altersgruppe. MA besuchte ebenfalls das Colegio Villa Nueva und erwarb dort Grundkenntnisse. Sie gibt, wie ihre Vorrednerin, an, dass sie kaum Englisch sprechen und diese Sprache praktisch gar nicht lesen k¨onne. Die Befragte bedauert dies, da Englisch eine sehr wichtige Sprache ist, MA hofft, ihre Kenntnisse sp¨ater noch verbessern zu k¨onnen. Die funfte¨ und letzte Befragte dieser Altersgruppe lernte kein Englisch in der

170 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

Kolonie, in der sie zur Schule ging. KT lebte jedoch eine Weile mit ihrem Mann in Kanada und lernte dort nach ihrer Einsch¨atzung sehr gut Englisch zu sprechen. Das Erlernen der Sprache fiel ihr im englischsprachigen Umfeld leicht. Der einzige m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren hat keinerlei Englischkenntnisse. Der erste Interviewte zwischen 30 und 40 Jahren wuchs in Asunci´on auf und lernte Englisch in der Schule. RL reist viel und braucht die englische Sprache daher auch regelm¨aßig. Daruber¨ hinaus ist das Englische auch in seinem beruflichen Umfeld als Betriebswirt von großer Bedeutung. Der Befragte liest regelm¨aßig Nachrichten in Englisch. Seine Sprachkompetenz sch¨atzt er grunds¨atzlich sowohl im produktiven als auch im rezeptiven Bereich als sehr hoch ein. Der zweite Befragte dieser Altersgruppe wuchs in Kanada auf und hatte von Be- ginn an sehr viel Kontakt mit der englischen Sprache. Daruber¨ hinaus studierte AR auch an einer kanadischen Universit¨at. Der Interviewte liest sehr gern englische Nachrichten und gelegentlich auch ein Buch in dieser Sprache. Die englische Sprache f¨allt ihm entsprechend leicht und seine Sprachkompetenz ist sehr hoch. Die erste Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren wuchs in einer Kolonie in Paraguay auf und lernte kein Englisch in der Schule. Jedoch lebte WI mit ihrem Mann einige Zeit in Kanada und besuchte Englischkurse, da- neben hatte sie viel Kontakt mit Englischsprachigen. Ihre Sprachkompetenz sch¨atzt sie als sehr hoch ein und die Kommunikation f¨allt ihr deutlich leichter als im Spani- schen, obwohl WI insgesamt viel l¨anger in Paraguay und Bolivien gelebt hat als in Kanada. Die Befragte lebt nun schon eine Weile nicht mehr im englischsprachigen Raum, spricht jedoch noch regelm¨aßig mit ihrem Mann Englisch. SU hat keinerlei Englischkenntnisse. Der erste m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren wuchs ebenfalls in Paraguay auf und lernte kein Englisch in der Schule. Doch auch RU lebte einige Jahre in Kanada und erlangte dort gute Kenntnisse der Sprache, da er dort beinahe ausschließlich Kontakt mit Englischsprechern hatte. Auch einige Jahre nach seiner Ruckkehr¨ aus Kanada spricht er noch immer gern und oft Englisch mit seiner Frau. Weder AS noch AM haben Englischkenntnisse. Die erste Interviewteilnehmerin zwischen 60 und 70 Jahren (MR) hat ebenfalls keine Englischkenntnisse. MM hat Grundkenntnisse der englischen Sprache, da auch sie eine Weile in Ka- nada verbrachte. Sie besuchte nie Englischkurse, konnte sich jedoch einiges dadurch aneignen, dass sie viel Kontakt mit Englischsprechern w¨ahrend ihrer Aufenthalte in Kanada hatte. MM fuhlt¨ sich in der englischen Sprache zumindest soweit sicher, dass sie sich eine einfache Kommunikation zutraut. Der einzige m¨annliche Befragte dieser Altersgruppe hat ebenfalls keine Kenntnisse der englischen Sprache. Sowohl der Mann als auch die Frau, die an den Interviews in der Altersgruppe

171 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien uber¨ 70 Jahren teilnahmen, lernten kein Englisch in der Schule, geh¨oren jedoch auch zu denjenigen, die einige Jahre in Kanada verbrachten. Beide hatten dort sehr viel Kontakt mit Sprechern des Englischen und die weibliche Befragte besuchte daruber¨ hinaus auch Sprachkurse an der Abendschule. Beide Interviewteilnehmer gaben an, dass ihnen das Englische sehr leicht f¨allt und sie diese Sprache auch heute noch sehr gern sprechen. Obwohl sie schon einige Jahre wieder in Sudamerika¨ leben, sprechen sie noch immer gern Englisch untereinander. Erstaunlich ist, dass kaum einer der befragten Mennoniten in der Schule Englisch- kenntnisse erlangte. Die jungeren¨ Befragten hatten zwar entsprechenden Sprach- unterricht in der Schule, charakterisieren diesen jedoch als so schlecht, dass sie sich weder ein einfaches Gespr¨ach in Englisch zutrauen, noch des Lesens in dieser Sprache m¨achtig sind. Die meisten von ihnen bedauern die mangelhaften Englischkenntnisse und hoffen, ihre Sprachkompetenz noch irgendwann verbessern zu k¨onnen, da Eng- lisch weltweit eine sehr wichtige Sprache ist und offenbar auch in den Augen der bolivianischen Mennoniten viel Prestige besitzt. Die ¨alteren Interviewteilnehmer lebten teilweise einige Zeit in Kanada, wo Men- noniten allgemein sehr gut integriert sind und in der Regel die Mehrheitssprache sprechen. Diejenigen, die dort waren, erlangten allein durch Kontakt mit Englisch- sprechern gute Sprachkenntnisse und sprechen diese Sprache auch mehrere Jahre nach ihrer Ruckkehr¨ nach Sudamerika¨ sehr gern und oft. Auch hier wird deutlich, wie prestigetr¨achtig die englische Sprache im Gegensatz zur spanischen Sprache ist. Schließlich sind Mennoniten unter den Befragten, die besser Englisch als Spanisch sprechen,obwohlsieinL¨andern aufwuchsen, in denen Spanisch die Mehrheitssprache ist. An dieser Stelle k¨onnen Kaufmanns Beobachtungen von Mennoniten in Texas und Mexiko, denen zufolge die englische Sprache im Gegensatz zur Spanischen als erachtenswert empfunden wird, best¨atigt werden.

10.4.5 Die Mehrheitsgruppe und die eigene Sprachgesellschaft

In diesem Teil des Interviews wurde gefragt, in wiefern sich die Befragten fur¨ bo- livianische Politik interessieren und ob sie sich als BolivianerIn identifizieren k¨on- nen. Des Weiteren stand im Zentrum der Befragung, ob sie Kontakte zu Nicht- Mennoniten haben und ob sie sich vorstellen k¨onnen, dass ihre Kinder mit einem/r nicht-mennonitische/n Partner/in zusammen sind. Der n¨achste Fragenblock des Leitfadeninterviews zielte darauf hin zu erfahren, inwiefern sich die befragten Mennoniten fur¨ die paraguayische Politik interessieren, ob sie sich selbst als ParaguayerIn wahrnehmen und wie sie ihrer Meinung zufolge von den Paraguayern gesehen werden. Daruber¨ hinaus wurde gefragt, wie intensiv der Kontakt mit Nicht-Mennoniten ist und ob sie sich vorstellen k¨onnten, dass ihre Kinder einen Nicht-Mennoniten heiraten. Dieser Fragenblock war Gegenstand des Leitfadeninterviews um zu erfahren, wie Mennoniten ihre Integration in Paraguay

172 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung selbst wahrnehmen und ob es noch immer sehr bedeutend fur¨ sie ist, unter sich zu bleiben oder ob sie die Bereitschaft zeigen, Teil der paraguayischen Bev¨olkerung zu werden. Daruber¨ hinaus war es ebenso bedeutsam zu erfahren, wie die Mennoniten das Bild einsch¨atzen, das die Paraguayer von ihnen haben: als ausgeschlossener Teil der Gesellschaft oder doch als integrierte paraguayische Staatsburger.¨ Zur Selbstwahrnehmung und -identifikation der Mennoniten in Sudamerika¨ gibt die von Hedberg durchgefuhrte¨ Untersuchung einen ersten Einblick. Fur¨ diese Arbeit ist zum einen von wissenschaftlichem Interesse, ob Hedbergs Beobachtungen auch auf die fur¨ diese Arbeit befragten Wiedert¨aufer zutreffen und ob ihre Ergebnisse von den hier erhobenen Daten in Bolivien best¨atigt werden k¨onnen. Nach Hedberg haben die meisten Mennoniten, die in zweiter oder dritter Generation dort leben, einen bolivia- nischen Pass (diejenigen, die aus Mexiko nach Paraguay eingewandert sind, haben h¨aufig noch Papiere aus den lateinamerikanischen L¨andern) (Hedberg 2007: 238). Dennoch identifizieren sich die meisten in erster Linie uber¨ ihre Religionsgemein- schaft (somos menonitas), dies hat Hedberg w¨ahrend ihres Aufenthaltes in Durango feststellen k¨onnen. Als Bolivianer werden diejenigen bezeichnet, die außerhalb der Gemeinde leben (ellos son Bolivianos) (ebd.: 239). Die Staatsburgerschaft¨ hat somit keinerlei Bedeutung fur¨ sie - allein die Zugeh¨origkeit zur Glaubensgemeinschaft ist ihnen wichtig und sie grenzen sich bewusst von den Lateinbolivianern ab. Dass Mennoniten sich klar und deutlich von Bolivianern unterscheiden, obwohl sie ebenfalls in Bolivien geboren worden sind und teilweise einen bolivianischen Pass besitzen, betonen sie tats¨achlich immer wieder. Bolivien mag nach eigener Aussage zwar das Vaterland sein und auch die Heimat, in der sie leben m¨ochten. Dennoch gibt es auch meiner Beobachtung zufolge aus mennonitischer Sicht noch die ´anderen´, die eigentlich ´richtigen´ Bolivianer, jene, die spanische Vorfahren haben. Daneben gibt es noch die indigenen V¨olker. Ahnliche¨ Beobachtungen hat der Anthropologe Battos w¨ahrend seiner Feldfor- schungen in Argentinien und Bolivien gemacht. Ihr wahres Heimatland sei der Him- mel an Jesu Seite, die Aufenthaltsorte auf der Erde seien dagegen lediglich zeitlich begrenzte Stationen (Bottos 2008: 49). Die Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe unter 20 Jahren hat mit einigen Bolivianern Kontakt, die auf den Farmen ihrer Verwandten arbeiten. RO spricht gelegentlich einige Worte mit ihnen, hat jedoch keinerlei private Kontakte mit Spa- nischsprechern. Sie k¨onnte sich nicht vorstellen, jemanden zu heiraten, der mit ihr nicht den Glauben und die Kultur teilt. Die Befragte interessiert sich in keiner Wei- se fur¨ politische Geschehnisse in Bolivien oder anderen L¨andern. Sie bezeichnet sich offiziell als Bolivianerin, jedoch fuhlt¨ sie sich als Teil einer mennonitischen Gemein- schaft, die eigene Sitten und Gebr¨auche pflegt. KA ist bereits mit einem Bolivianer verheiratet, mit dem sie weder Sprache noch kulturellen Hintergrund teilt. Sie sagte offen, dass dies sehr h¨aufig Missverst¨andnisse und Probleme mit sich bringe, aber man musse¨ sich eben gegenseitig bemuhen.¨ Durch

173 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien ihren Ehemann hat die Befragte viel Kontakt mit Bolivianern und spricht mit ihnen Spanisch. KA bezeichnet Bolivien als ihr Vaterland und identifiziert sich auch mit diesem Land. Sie betonte jedoch, dass sie nicht vergessen werde, dass sie ursprunglich¨ Einwanderin ist. Die Befragte interessiert sich in keiner Weise fur¨ das politische Geschehen in Bolivien oder einem anderen Land. Die Sichtweise, die Bolivianer von den Mennoniten haben, ist nach ihrer Ansicht zwiegespalten, einige missg¨onnten den Wiedert¨aufern die Privilegien, andere sch¨atzten schlicht den ¨okonomischen Nutzen, den sie bringen. Die zweite Befragte dieser Altersgruppe hat einen bolivianischen Pass, identifiziert sich jedoch kaum mit der Kultur, das Land selbst gef¨allt ihr jedoch sehr gut und NA kann es als ihr Vaterland akzeptieren. Sie interessiert sich ein bisschen fur¨ politisches Geschehen allgemein und liest Nachrichten aus aller Welt im Internet, hat aber kein spezielles politisches Interesse fur¨ Bolivien. Auch diese Befragte geht davon aus, dass die Bolivianer den Fleiß der Mennoniten sch¨atzen. NA schließt es nicht aus, jemanden zu heiraten, der aus einem anderen Kulturkreis stammt. Die n¨achste Interviewte dieser Altersgruppe ist ebenfalls mit einem Bolivianer verheiratet, der weder mit ihrer Religion, noch mit ihrer Muttersprache vertraut ist. Auch AN hat aufgrund ihrer Ehe viel Kontakt mit Bolivianern. Sie interessiert sich nicht fur¨ Politik, weder in Bolivien noch in anderen L¨andern. MA kommuniziert mit großen Schwierigkeiten in Spanisch. Auch diese Interview- teilnehmerin hat offiziell die bolivianische Staatsburgerschaft,¨ fuhlt¨ sich jedoch nicht als Bolivianerin. Sie interessiert sich nicht fur¨ Politik und verfolgt keinerlei Nach- richten. Die letzte Befragte dieser Altersgruppe ist mit einem Mexikaner verheiratet und lebte eine Weile mit ihm in Kanada. Bolivien gef¨allt KT sehr gut, vor allem wegen des Klimas, daher kann sie es sehr gut als ihr Vaterland akzeptieren. Jedoch betonte auch sie, dass sie die Sitten und die Sprache deutscher Einwanderer hat. Auch diese Befragte zeigt generell kein Interesse fur¨ politische Geschehnisse. UB hat nur Kontakte mit Mennoniten und kann sich nicht vorstellen, eine Nicht- Mennonitin zu heiraten. Bolivien ist sein Heimatland, er identifiziert sich jedoch ausschließlich als Mennonit. Fur¨ Politik interessiert er sich nur dann, wenn es ihn pers¨onlich betrifft, z.B. wenn es um Gesetzes¨anderung bzgl. des Landeigentums geht. Der erste Befragte der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren lebt seit einigen Jahren in Bolivien, wuchs aber in Paraguay auf und bezeichnet dies auch als sein Heimatland, das Land, in dem er sein Leben verbringt. Dennoch betonte auch RL aus einer Einwandererfamilie zu stammen mit deutschen Gebr¨auchen und der deut- schen Sprache. Daher ist Deutschland auch sein Vaterland, das Land, aus dem seine Wurzeln ursprunglich¨ kommen. Dieser Befragte unterscheidet sehr deutlich zwischen Heimatland und Vaterland. Er interessiert sich sowohl fur¨ sudamerikanische¨ als auch fur¨ europ¨aische Politik und liest regelm¨aßig Nachrichten im Internet. RL k¨onnte sich vorstellen, eine Nicht-Mennonitin zu heiraten, hofft aber darauf, eine Mennonitin zu

174 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

finden. Seiner Ansicht zufolge sind sich die Bolivianer bewusst daruber,¨ dass die Mennoniten eine wichtige Rolle in der bolivianischen Okonomie¨ spielen und respek- tieren dies auch. AR wuchs in Kanada auf und hat sowohl den kanadischen als auch den boliviani- schen Pass. Er identifiziert sich in erster Linie als Mennonit, bezeichnet Kanada aber als sein Vaterland. Er interessiert sich generell fur¨ Nachrichten aus aller Welt und verfolgt sie regelm¨aßig im Internet. Der Interviewte ist mit einer Mennonitin verhei- ratet und hofft dies sp¨ater auch fur¨ seine Kinder, letztlich sei ihnen dies aber selbst uberlassen.¨ Auch AR betont, dass der ¨okonomische Erfolg der Mennoniten vielen Bolivianern nicht recht ist und es daher h¨aufig zu Konflikten kommt. Er fugt¨ jedoch hinzu, dass es gleichzeitig auch viele Bolivianer gibt, die froh uber¨ die guten Ertr¨age der Mennoniten sind, da dies die Entwicklung des Landes letztlich unterstutzt.¨ Die erste Interviewte in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren wuchs in Pa- raguay auf und besitzt sowohl den paraguayischen als auch den bolivianischen Pass. WI identifiziert sich jedoch in erster Linie als Mennonitin mit deutschen Wurzeln. Bolivien ist zwar das Land, in dem sie lebt, die sudamerikanische¨ Kultur allgemein und auch die spanische Sprache sind ihr jedoch v¨ollig fremd und WI findet auch keinen Zugang dazu; es f¨allt der Befragten sehr schwer, nicht-mennonitische Sitten und eine andersartige Lebensweise zu akzeptieren. Sie geht davon aus, dass die Bo- livianer die Mennoniten im Prinzip positiv betrachten, da sie fleißig und zuverl¨assig sind. Außerdem trugen¨ die Mennoniten schließlich erheblich zum wachsenden Wohl- ergehen des Entwicklungslandes Bolivien bei. WI k¨onnte es sich nicht vorstellen, mit einem Nicht-Mennoniten zusammen zu sein; das Teilen der Kultur und der Sprache ist ihr sehr wichtig. Die Interviewte interessiert sich in keiner Weise fur¨ Politik, weder fur¨ diejenige in Sudamerika,¨ noch fur¨ die in Europa. SU wuchs in Morgendland auf und hat den bolivianischen Pass. Sie identifiziert sich jedoch ebenfalls als Mennonitin; Bolivien ist zwar auch fur¨ sie das Land, in dem sie lebt, aber vordergrundig¨ ist sie Mitglied einer mennonitischen Kolonie, die sie kaum verl¨asst. Daher hat SU mit Bolivien in ihren Augen nur sehr wenige Beruh-¨ rungspunkte, sie lebt in einem Dorf, in dem Plautdietsch gesprochen und die deut- sche Kultur gepflegt wird. Dies ist das einzige, womit die Befragte sich identifizieren kann. Fur¨ Politik interessiert SU sich wenig, da sie auch kaum Zugang zu Informa- tionsmedien hat. Sie verfolgt jedoch nach M¨oglichkeit die Entwicklung des Rechts der Landesvergabe, da es in der Vergangenheit zu Unstimmigkeiten mit der Regie- rung gekommen ist und die Befragte befurchtet,¨ dass Landerwerb fur¨ Mennoniten in Bolivien auch in Zukunft nicht einfacher werden wird. SU ist nicht grunds¨atzlich dagegen, dass sich ihre Kinder fur¨ nicht-mennonitische Partner entscheiden, sie hofft aber, dass dies nicht der Fall sein wird, da auch sie es als wichtig erachtet, dass Part- ner Sprache und Kultur teilen k¨onnen. Fur¨ SU selbst kam in jungen Jahren nur ein mennonitischer Ehemann infrage. Der erste m¨annliche Befragte in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren

175 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien besitzt ebenfalls sowohl den paraguayischen als auch den bolivianischen Pass. Aber auch RU identifiziert sich mit keinem sudamerikanischen¨ Land, sondern sieht sich in erster Linie als Mennonit mit europ¨aischen Wurzeln. Prinzipiell interessiert er sich fur¨ Politik, sowohl fur¨ diejenige in Paraguay und Bolivien als auch fur¨ die Politik in Europa. RU bedauert, dass er nur selten Zugang zu Informationsmedien hat, so dass es nicht immer einfach ist, Nachrichten verfolgen zu k¨onnen. Wenn es jedoch m¨oglich ist, eine Zeitung zu erwerben oder wenn er das Internet nutzen kann, so macht RU dies gern. Auch dieser Befragte geht grunds¨atzlich davon aus, dass Bolivianer Mennoniten m¨ogen, da sie ¨okonomisch sehr wertvoll fur¨ das sehr arme sudamerikanische¨ Land sind. Eine nicht-mennonitische Partnerin zu w¨ahlen, h¨atte RU sich unter keinen Umst¨anden vorstellen k¨onnen, dies musse¨ letztlich jedoch jeder fur¨ sich selbst entscheiden. AS wuchs in der Kolonie Morgenland auf und hat den bolivianischen Pass. Er f¨ahrt aus beruflichen Grunden¨ regelm¨aßig nach Santa Cruz und hat dort viel Kontakt mit Spanischsprachigen. Außerdem ergibt sich auf diese Weise die M¨oglichkeit fur¨ ihn, etwas von Bolivien zu sehen, das sich außerhalb der Kolonie, in der er lebt, befindet. Dennoch, oder m¨oglicherweise gerade deshalb, identifiziert auch AS sich einzig als Mennonit, der Teil einer mennonitischen Gemeinschaft ist. Er interessiert sich generell fur¨ Politik, vor allem dann, wenn es um Landerwerb und Viehzucht geht, da dies fur¨ seine Existenz entscheidend ist. Wann immer der Befragte die M¨oglichkeit hat, erwirbt er Zeitungen und informiert sich. Die europ¨aische Politik verfolgt AS weniger, weil es ihn nicht pers¨onlich betrifft. Im beruflichen Kontakt mit Bolivianern hat er uberwiegend¨ positive Erfahrungen gemacht und geht nicht davon aus, dass Mennoniten von Bolivianern generell nicht gesch¨atzt werden, denn sie machen gute Gesch¨afte miteinander. In jungen Jahren w¨are die Wahl einer Nicht-Mennoniten weder fur¨ AS selbst infrage gekommen, noch w¨arediesvonseinerFamilieakzeptiert worden. Heute sei dies anders, betonte er, heute musse¨ das jeder selbst wissen. Der einzige Befragte in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren wuchs in Boli- vien auf, er hat sowohl den bolivianischen als auch den kanadischen Pass. AM selbst identifiziert sich ebenfalls als Mennonit und kaum als Staatsburger¨ Boliviens, jedoch geht er davon aus, dass sich dies in den folgenden Generationen, die in Bolivien auf- wachsen werden, ¨andern wird. Der Interviewte hat beruflich sehr viel Kontakt mit Bolivianern und noch nie den Eindruck gewonnen, Mennoniten wurden¨ von ihnen nicht gesch¨atzt. Es sei nur die Regierung, so betonte AM, die mennonitische Einwan- derer nicht immer gern in ihrem Land sieht. Er interessiert sich generell fur¨ Politik, sowohl fur¨ diejenige in Sudamerika¨ als auch fur¨ die europ¨aische und informiert sich regelm¨aßig. Fur¨ AM selbst w¨are in fruherer¨ Zeit keine nicht-mennonitische Partnerin infrage gekommen; dass seine Frau Deutsch spricht, war ihm sehr wichtig. Sein Sohn ist jedoch mit einer Bolivianerin verheiratet und sie sind glucklich¨ miteinander, fur¨ den Befragten ein eindeutiges Zeichen dafur,¨ dass die Integration der Mennoniten in Bolivien voranschreitet.

176 10.4 Sprachkompetenzen und Spracheinstellung

Die erste Befragte in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren wuchs in Mexiko auf. MR hat den mexikanischen und den kanadischen Pass. Sie liest gern Zeitung, interessiert sich aber wenig fur¨ Politik. Allerdings verfolgt auch MR Meldungen bzgl. Gesetzes¨anderungen, die den Landerwerb betreffen. Fur¨ europ¨aische Politik interessiert sie sich gar nicht. Sudamerika,¨ besonders Mexiko, gef¨allt ihr sehr gut und MR erachtet es als sehr wichtig, sich mit der Kultur und der Sprache des Landes, in dem man lebt, auseinander zu setzten. Dennoch betonte die Interviewte, sei sie in erster Linie Mennonitin mit europ¨aischen Wurzeln. MR h¨atte sich in jungeren¨ Jahren nicht vorstellen k¨onnen, einen Mann zu heiraten, der kein Plautdietsch spricht und auch den mennonitischen Glauben nicht pflegt. Heute sei dies jedoch anders und jeder musse¨ diese Entscheidung selbst treffen. MM wuchs in Paraguay auf und hatte bisher den paraguayischen Pass. Im April 2014 beantragte sie jedoch die bolivianische Staatsburgerschaft,¨ weil ihre Kinder al- le nach Bolivien gezogen sind und sie bei ihnen leben m¨ochte. Dies ist einfacher, wenn sie auch einen bolivianischen Pass hat. Trotzdem gef¨allt MM Bolivien nicht, da die dort lebenden Mennoniten sehr konservativ und verschlossen sind. Kanada und Paraguay gefallen ihr besser, dort sind die Wiedert¨aufer offener. Die Befragte identifiziert sich nach ihrer Aussage generell mit keinem bestimmten Land, sondern hat ihre Heimat dort, wo sie sich in der Glaubensgemeinschaft wohl fuhlt.¨ MM inter- essiert sich fur¨ die Politik des Landes, in dem sie lebt, und h¨alt es fur¨ wichtig, uber¨ Geschehnisse informiert zu sein. Die Interviewte selbst ist mit einem Mennoniten verheiratet und h¨atte sich zur Zeit der Eheschließung auch nicht vorstellen k¨onnen, dasdiesandersseink¨onnte. Auch ihre Kinder haben sich fur¨ mennonitische Partner entschieden, dies sei jedoch allein ihre Entscheidung gewesen. Der m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren wuchs in Mexiko auf und hat den mexikanischen Pass. Auch AB lebt gern in Sudamerika,¨ identifiziert sich jedoch mit seinen europ¨aischen Wurzeln. Er interessiert sich generell fur¨ Politik, besonders fur¨ die bolivianische, weil AB aktuell in Bolivien lebt. Das einzige Medium, zu dem er Zugang hat, ist jedoch die Zeitung, und da seine Sehst¨arke nachl¨asst, informiert der Befragte sich immer weniger. AB geht davon aus, dass die meisten Bolivianer die Mennoniten nicht besonders gern m¨ogen und ihnen das Land, das sie bewirtschaften, neiden. Der Interviewte befurchtet,¨ dass sich diese Situation in der Zukunft noch verst¨arken wird. Daher h¨alt AB es fur¨ besonders wichtig, dass Mennoniten uber¨ die Gesetzeslage so gut wie m¨oglich informiert sind und dass sie versuchen, einen guten Kontakt mit der bolivianischen Regierung aufzubauen. Er h¨atte sich ebenfalls in jungen Jahren nicht vorstellen k¨onnen, eine Frau zu heiraten, die des Plautdietschen nicht m¨achtig ist und somit in seinen Augen nur schwer Zugang zu seinem Glauben und seiner Kultur finden k¨onnte. Aber auch AB ist der Meinung, dass dies heute jeder selbst wissen musse.¨ Die Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe uber¨ 70 Jahre hat den paraguay- ischen und den kanadischen Pass. AK sagte offen, dass sie sich mit gar nichts beson-

177 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien ders identifiziert. Das Land, in dem sie sich am wohlsten gefuhlt¨ habe, ist Kanada gewesen. Dort sind die Menschen offen und die Gemeinschaft der Mennoniten gut integriert. In Bolivien ist nur das Klima gut, die politische Situation ist schwierig und die Wiedert¨aufergemeinschaft verschlossen. Allerdings m¨ochte AK sich selbst auch nicht vordergrundig¨ als Mennonitin sehen, das ist ihr zu vereinfacht. Sie in- teressiert sich generell fur¨ das politische Geschehen in aller Welt, h¨ort regelm¨aßig Radio uber¨ Satellit und liest Zeitungen, wann immer sie welche bekommen kann. Mit Bolivianern hat AK nur gute Kontakte gehabt und kann nicht sagen, dass diese den Mennoniten das Land neiden. Vielmehr scheinen sie den ¨okonomischen Anteil, den die Mennoniten in Bolivien haben, zu sch¨atzen. Ihr selbst war es wichtig, einen Mennoniten als Ehepartner zu haben, sie findet jedoch, dass jeder sein eigenes Gluck¨ suchen muss. Der m¨annliche Teilnehmer dieser Altersgruppe wuchs ebenfalls in Paraguay auf und hatte fruher¨ als einziger der Befragten einen deutschen Pass. PD lebte jedoch eine Weile in Kanada und bemuhte¨ sich erfolgreich um die kanadische Staatsbur-¨ gerschaft. Kanada betrachtet er auch als seine Heimat und identifiziert sich als ka- nadischer Mennonit. Dennoch sei er auch immer noch Einwanderer mit deutschen Wurzeln, dies sei ebenso Teil seiner Identit¨at. PD interessiert sich ebenfalls fur¨ Po- litik generell, verfolgt Radiosendungen und liest, sofern m¨oglich, Zeitungen. Sein Interesse ist jedoch st¨arker auf Bolivien und Kanada konzentriert, da er zu diesen L¨andern den engsten Bezug hat. Eine Nicht-Mennonitin zu heiraten, w¨are fur¨ PD keine Option gewesen und er glaubt auch bis heute nicht, dass dies gut gehen k¨onnte, da der kulturelle Unterschied doch einfach zu groß ist. Anders als bei den in Paraguay befragten Mennoniten gibt es also nur eine Person, die einen deutschen Pass besaß, den sie jedoch gegen den kanadischen eintauschte. Die meisten Befragten besitzen P¨asse aus Bolivien, Paraguay oder Mexiko, davon abh¨angend, wo sie aufwuchsen. Auff¨allig ist jedoch, dass sich beinahe niemand mit den sud-¨ oder mittelamerikanischen L¨andern direkt identifiziert, sich also nicht selbst als Burger¨ dieser L¨ander wahrnimmt. Den meisten ist es wichtig, in erster Linie Men- nonit in einer Gemeinschaft zu sein - zumindest den ¨alteren Interviewteilnehmern. Dabei legen sie sowohl auf die Pflege und den Erhalt ihrer europ¨aischen Mutterspra- che wert als auch auf ihre Religion. Die jungeren¨ Befragten, die teilweise spanischsprachige Partner haben, fuhlen¨ sich bereits st¨arker in Bolivien integriert. Alle legen jedoch Wert auf ihre europ¨aischen Wurzeln und darauf, dass sie eine andere Kultur pflegen als die Bolivianer. Die Befragten bezeichnen sich trotz vorhandener Staatsburgerschaft¨ nie selbst als Boli- vianer. Ahnlich¨ wie in Paraguay gehen auch die bolivianischen Mennoniten davon aus, dass die Bolivianer es generell zu sch¨atzen wussten,¨ welchen ¨okonomischen Anteil die Wiedert¨aufer an der Weiterentwicklung Boliviens tragen. Sie sehen sich selbst als fleißig und diszipliniert und gehen davon aus, dass Bolivianer dies ebenso sehen.

178 10.5 Ausblick aus mennonitischer Sicht

Daruber¨ hinaus haben einige Interviewteilnehmer jedoch den Eindruck, Bolivianer neideten ihnen Privilegien und Landbesitz, w¨ahrend andere diese Erfahrung nicht gemacht haben. Die Mehrheit der befragten Mennoniten ist politisch nicht oder nur wenig in- teressiert, vor allem die Jungeren.¨ Die Alteren¨ interessieren sich zumindest fur¨ die Vorkommnisse, die sie selbst betreffen. Einige Wenige verfolgen regelm¨aßig weltweite Nachrichten. Die Jungeren¨ sind teilweise schon mit spanischsprachigen Partnern verheiratet, fur¨ die Alteren¨ w¨are dies nicht infrage gekommen. Hier k¨onnte sich eine Tendenz da- hingehend andeuten, dass es in Bolivien auch zumindest einige jungere¨ Mennoniten gibt, die weniger isoliert leben als die vorangehenden Generationen.

10.5 Ausblick aus mennonitischer Sicht

Auch in Bolivien sind die Interviewpartner schließlich noch gefragt worden, wie sie die Zukunft ihrer Glaubensgemeinschaft innerhalb des sudamerikanischen¨ Landes, in dem sie leben, einsch¨atzen. Von besonderem Interesse war es zu erfahren, ob sie selbst davon ausgingen, dass in drei Generationen noch immer Plautdietsch die vorherrschende Sprache sein wurde¨ oder ob sie vermuteten, dass Spanisch fur¨ ihre Glaubensgemeinschaft eine verst¨arkte Rolle spielen wird. Im Zentrum der Befragung stand auch, ob sie sich vorstellen k¨onnen, dass die Predigt in ihrer Gemeinde in drei Generationen in Spanisch sein k¨onnte. Ziel dieser Frage ist, feststellen zu k¨onnen, wie die befragten Mennoniten die Zukunft ihrer Gemeinde und ihre Integration in den folgenden Generationen einsch¨atzen. RO hatte zu der Frage, ob in drei Generationen Spanisch eine gr¨oßere Rolle fur¨ die Mennoniten in Bolivien spielen wurde,¨ keine direkte Einsch¨atzung. Sie z¨ogerte bei der Beantwortung; einerseits kann sie sich nicht vorstellen, dass in der Kolonie, in der RO lebt, einmal Spanisch gesprochen wird, andererseits ist es in ihren Augen aber dennoch wichtig, dass sich die Mennoniten allgemein verst¨arkt bemuhen,¨ Spanisch zu lernen, da dies die Mehrheitssprache des Landes ist, in dem sie wohnen. Eine Interviewte in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren konnte sich keine Ver¨anderung vorstellen. KA ist sich sicher, dass auch in drei Generationen noch alle Mennoniten in ihrer Gemeinde in Bolivien Plautdietsch sprechen werden und auch die Predigt wird nach ihrer Einsch¨atzung dann noch in Plautdietsch gehalten werden. NA sch¨atzt die Situation v¨ollig anders ein. Ihrer Meinung zufolge wird sich in drei Generationen sehr viel ver¨andert haben. Sie geht davon aus, dass der Gottesdienst zu diesem Zeitpunkt schon h¨aufig in Spanisch gefeiert werden wird. Außerdem wurden¨ Mennoniten sicherlich verst¨arkt Spanisch lernen. Dennoch ist NA sich gleichzeitig auch sicher, dass Plautdietsch die Muttersprache bleiben wird, die innerhalb der

179 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

Familien vordergrundig¨ gesprochen und an die n¨achste Generation weitergegeben wird. In ihren Augen kommt es jedoch deutlich zu einer Zweisprachigkeit. Die dritte Interviewte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren geht wiederum davon aus, dass die Gottesdienste immer in Plautdietsch sein werden und AN ist sich auch sicher, dass die niederdeutsche Variet¨at immer die Sprache der Mennoniten in Bolivien sein wird. Sie kann es sich momentan kaum vorstellen, dass ihre Glaubens- gemeinschaft verst¨arkt Spanisch lernen wird. Allerdings w¨are es AN auch durchaus recht, falls dies geschehen sollte, schließlich sei Spanisch ja die Mehrheitssprache. MA wiederum ist der Meinung, dass in drei Generationen Spanisch ganz sicher eine verst¨arkte Rolle fur¨ die bolivianischen Mennoniten spielen wird. Sicherlich wur-¨ den Mennoniten verst¨arkt Spanisch lernen und auch die Predigten wurden¨ in der Mehrheitssprache sein. Allerdings ist auch MA sicher, dass Plautdietsch als private Sprache erhalten bleiben und immer an die n¨achsten Generationen weiter gegeben wird. KT schließlich ist ebenfalls der Ansicht, dass die Mennoniten, zumindest in der Großstadt Santa Cruz, immer ¨ofter bemuht¨ sein werden, Spanischkenntnisse zu er- langen. Sie ist sicher, dass diese Entwicklung sich in drei Generationen noch deut- licher abzeichnen wird. Plautdietsch wird jedoch auch in ihren Augen als private Sprache erhalten bleiben. Der einzige m¨annliche Befragte der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren kann sich hingegen gar nicht vorstellen, dass in der Kolonie, in der er lebt, einmal der Gottesdienst in Spanisch sein k¨onnte und er geht auch nicht davon aus, dass die Wiedert¨aufer seiner Gemeinde in Zukunft verst¨arkt Spanisch lernen werden. Der erste Befragte der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren geht davon aus, dass auch in Zukunft die Gottesdienste in der plautdietschen Muttersprache der Men- noniten gehalten werden. Es entzieht sich seinem Vorstellungsverm¨ogen, dass sich daran je etwas ¨andern k¨onnte. Jedoch erwartet RL, dass immer mehr Mennoniten Spanisch lernen werden, um sich in dem Land, in dem sie leben, besser verst¨andi- gen zu k¨onnen. Spanisch wird jedoch seiner Einsch¨atzung zufolge immer nur aus dem Gefuhl¨ heraus gelernt werden, dass dies zu Verst¨andigungszwecken unbedingt notwendig ist. AR hat v¨ollig andere Gedanken zu diesem Thema: Er stellt sich fur¨ die Zukunft vor, dass sich eine Separation unter den Mennoniten vollziehen wird. Auf der einen Seite werden die Mennoniten stehen, die weiterhin ihren Gottesdienst in Plautdietsch feiern wollen und denen ihre Muttersprache immer an erster Stelle stehen wird. Auf der anderen Seite werden diejenigen Wiedert¨aufer sein, die sich der Mehrheitsspra- che und -gesellschaft immer weiter ¨offnen und verst¨arkt Spanisch sprechen werden. Zu welcher Gruppe der Befragte selbst dann geh¨oren m¨ochte, daruber¨ denkt AR lieber nicht nach. Die erste Befragte in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren stellt schon jetzt fest, dass es vermehrt Jugendliche gibt, die sich spanische Lieder im Gottesdienst wunschen.¨ Daher kann WI sich gut vorstellen, dass die spanische Spra-

180 10.5 Ausblick aus mennonitischer Sicht che fur¨ die Gottesdienste mit der Zeit verst¨arkt genutzt werden wird. Die Befragte selbst sieht dies nicht so gern, da es nach ihrer Meinung auch genug deutsche Lieder gibt, die in der Kirche gesungen werden k¨onnen. WI findet zwar, dass es nutzlich¨ ist, wenn Mennoniten vermehrt Spanisch lernen, jedoch sollte dies nicht die Sprache innerhalb der Gemeinde werden. Letztlich, so sagte sie, mussten¨ dies die kommenden Generationen aber immer wieder fur¨ sich entscheiden. SU lebt in der Kolonie Morgenland und kann sich nicht vorstellen, dass die Pre- digt in der Kirche eines Tages generell in Spanisch sein k¨onnte. Zwar gibt eine kleine Bibelstunde fur¨ spanischsprachige Kinder einmal in der Woche, aber der sonnt¨agli- che Gottesdienst fur¨ die Gemeindemitglieder wird ihrer Meinung zufolge immer in Plautdietsch stattfinden. Auch die private Sprache unter den in ihrer Kolonie le- benden Mennoniten wird nach ihrer Einsch¨atzung immer Plautdietsch bleiben, auch wennimmermehrWiedert¨aufer verst¨arkt Spanisch lernen, um sich in Bolivien besser zurecht zu finden. Der erste Interviewpartner in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren stellt ebenfalls vermehrt fest, dass die jungeren¨ Mennoniten spanische Elemente in den Gottesdienst mit einfließen lassen m¨ochten. Auch RU furchtet¨ etwas um den dauer- haften Erhalt des Plautdietschen. Letztlich denkt er jedoch nicht, dass das Spanische das Plautdietsche abl¨osen k¨onnen wird. Auch dass Wiedert¨aufer vermehrt Spanisch untereinander sprechen, kann der Befragte sich kaum vorstellen. In seinen Augen wird Plautdietsch immer die Sprache der Mennoniten bleiben. AS wuchs auch in der Kolonie Morgenland auf. Dort spielt Spanisch bislang so gut wie keine Rolle und der Befragte kann sich auch nicht vorstellen, dass dies sich in der Zukunft ¨andern k¨onnte. Zwar sei es wichtig fur¨ Mennoniten, die spanische Sprache so gut wie m¨oglich zu beherrschen, zum privaten Idiom untereinander k¨onne sie jedoch nie werden. Der einzige Befragte in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren war sich sehr unsicher in der Beantwortung der Frage, ob er sich vorstellen k¨onnte, dass das Spanische in wenigen Generationen im Gottesdienst vermehrt genutzt werden wur-¨ de und ob es auch als private Sprache der Mennoniten in Frage kommt. Einerseits sei das Plautdietsche seit Beginn an die Muttersprache der Mennoniten und AM k¨onne sich grunds¨atzlich nicht vorstellen, dass sich dies einmal zugunsten einer an- deren Sprache ¨andern k¨onnte. Andererseits sind seine eigenen Kinder zum Teil mit spanischsprachigen Nicht-Mennoniten verheiratet, so dass er direkt sieht, dass die spanische Sprache im Alltag der Wiedert¨aufer an Einfluss gewinnt. Die erste Interviewteilnehmerin in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren h¨alt es hingegen fur¨ m¨oglich, dass die Jugendlichen in drei Generationen das Plaut- dietsche beinahe gar nicht mehr sprechen werden. MR sieht die Entwicklung, dass Mennoniten verst¨arkt Spanisch lernen, und dies k¨onnte ihrer Vorstellung zufolge durchaus eines Tages nach sich ziehen, dass Spanisch die private Sprache der Men- noniten wird.

181 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien

MM betrachtet es als wahrscheinlich, dass in drei Generationen vermehrt Spa- nisch unter den Mennoniten gesprochen werden wird. Dies w¨are ihrer Einsch¨atzung zufolge auch nicht bedauernswert, sondern im Gegenteil eine normale Entwicklung angesichts der Tatsache, dass Bolivien ein spanischsprachiges Land ist. Letztlich sei es jedoch vor allem entscheidend, dass die Wiedert¨aufer uberhaupt¨ vermehrt das Spanische verstehen und diese Sprache soviel wie m¨oglich nutzen, um sich mit den Bolivianern verst¨andigen zu k¨onnen.

Der m¨annliche Interviewteilnehmer in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jah- ren hat keine Einsch¨atzung dazu, ob Spanisch unter den Mennoniten in Bolivien verst¨arkt genutzt werden wird. AB k¨onne nur sagen, dass die Wiedert¨aufer allge- mein momentan noch viel zu wenig Spanisch spr¨achen und diese Sprache intensiver erlernen mussten,¨ um Probleme mit der Regierung und den Bolivianern kl¨aren zu k¨onnen.

Beide Interviewteilnehmer in der Altersgruppe uber¨ 70 Jahren gehen davon aus, dass in drei Generationen unter den Mennoniten noch immer Plautdietsch gespro- chen werden wird und dass dies auch immer die einzige Sprache in den Gottes- diensten bleiben wird. Zeitgleich werden jedoch die jungeren¨ Mennoniten verst¨arkt Spanisch lernen, dies wird nach ihren Einsch¨atzungen aber nie die private Sprache werden k¨onnen.

Die Einsch¨atzungen der befragten Mennoniten dazu, ob das Spanische in den Got- tesdiensten in drei Generationen mehr genutzt werden wird und ob dies eventuell auch einmal zur privaten Sprache, die die Wiedert¨aufer untereinander sprechen, wer- den k¨onnte, sind sehr unterschiedlich. Einige der Interviewteilnehmer k¨onnen sich durchaus vorstellen, dass in drei Generationen Spanisch in der Kirche gepredigt wird und dass die Mennoniten auch vermehrt Spanisch miteinander sprechen, andere ge- hen fest davon aus, dass Plautdietsch, das immer die Muttersprache der Mennoniten war, dies in Zukunft auch bleiben wird. Die Einsch¨atzung zu dieser Frage scheint nicht altersabh¨angig zu sein, da keine Tendenz festgestellt werden kann, die diese Annahme unterstutzt.¨ Vielmehr k¨onnte die Meinung zu dieser Frage von der Ge- meinde abh¨angen, zu der einzelne der Befragte geh¨ort; einige haben schon vermehrt Kontakt zu Mennoniten, die Spanisch sprechen und dies m¨oglicherweise auch schon teilweise in das Gemeindeleben einfließen lassen. Andere leben noch sehr isoliert in einer plautdietschsprechenden Gemeinde, so dass sie sich eine Ver¨anderung die- ser Situation nicht vorstellen k¨onnen. Einig sind sich jedoch auch an dieser Stelle wieder alle Befragten, dass es generell sehr wichtig ist, dass Mennoniten die Mehr- heitssprache des Landes lernen, unabh¨angig davon, ob es einmal die private Sprache der Mennoniten werden k¨onnte oder nicht.

182 10.6 Zwischenfazit

10.6 Zwischenfazit

Die befragten Mennoniten in Paraguay und Bolivien weisen auf der einen Seite einige Gemeinsamkeiten auf, andererseits jedoch auch deutliche Unterschiede. Die paraguayischen Mennoniten sprechen uberwiegend¨ Hochdeutsch, nur einige der ¨alteren Befragten, die in den Kolonien leben, bevorzugen das Plautdietsche. Aber auch diejenigen, die wenig Hochdeutsch sprechen, verfugen¨ uber¨ sehr gute rezeptive Kenntnisse dieser Sprache. Die produktiven Kenntnisse sind ebenfalls bei allen im Prinzip vorhanden, jedoch in sehr unterschiedlicher Auspr¨agung. Den ¨alteren Sprechern ist die Weitergabe und der Erhalt des Plautdietschen als Teil des kulturellen Erbes wichtig, fur¨ die jungeren¨ Befragten ist das Plautdietsche jedoch kaum noch von Relevanz; ihnen ist die Weitergabe des Hochdeutschen als insgesamt bedeutendere Sprache im Vergleich zum Plautdietschen wichtiger. In Asunci´on lebende Wiedert¨aufer sprechen beinahe ausnahmslos Spanisch und sind in der Lage, sich in dieser Sprache zu verst¨andigen. Die Jungeren¨ lernten das romanische Idiom bereits in der Schule, die Alteren¨ erwarben ihre Kenntnisse zumeist in privaten Kursen. In den Kolonien ist der Spanischunterricht ebenfalls seit einiger Zeit fl¨achendeckend vorhanden und die jungeren¨ Interviewten verfugen¨ uber¨ gute Sprachkenntnisse. Allerdings haben sie, im Gegensatz zu den in der Stadt wohnenden Wiedert¨aufern, kaum Kontakt zu Spanischsprechern und somit weniger Gelegenheit, ihre Sprachkompetenz zu festigen. Die ¨alteren, auf dem Land lebenden Mennoniten haben jedoch h¨aufig keine Spanischkenntnisse. In Paraguays Hauptstadt lernten die jungeren¨ Mennoniten bereits Englisch und sind in der Lage, sich in dieser Sprache zu verst¨andigen. Einige der ¨alteren Menno- niten lernten aus beruflichen Grunden¨ ebenfalls Englisch in privaten Kursen. Nur wenige der Befragten, lediglich einige der Alteren,¨ die in Kolonien auf dem Land leben, verfugen¨ uber¨ Guaran´ıkenntnisse, die eine Kommunikation in dieser Sprache erm¨oglichen. Die in Asunci´on lebenden Mennoniten gehen altersunabh¨angig davon aus, dass die spanische Sprache in den kommenden Generationen verst¨arkt eine bedeutende Rolle fur¨ Mennoniten in Paraguay einnehmen wird. Die in den Kolonien lebenden Anabaptisten hingegen halten es fur¨ wahrscheinlich, dass Hochdeutsch die wichtigste Sprache fur¨ die Mennoniten bleiben wird und Spanisch immer ein Idiom sein wird, das verwendet wird, wenn die Situation es erfordert. In Bolivien ist Plautdietsch die private Sprache der Mennoniten, die altersunab- h¨angig in den Familien gesprochen wird. Die Mehrheit der Befragten ist sich einig, dass das Plautdietsche erhalten und an die nachfolgenden Generationen weiterge- gebenwerdenmusse.¨ Dass die niederdeutsche Variet¨at außerhalb der Kolonien von geringer Bedeutung ist, ist fur¨ die Wiedert¨aufer in Bolivien nicht von Belang. Diejenigen Mennoniten, die h¨aufig in Santa Cruz sind oder sogar dort leben, verfu-¨ gen uber¨ gute rezeptive und produktive Hochdeutschkenntnisse, auch wenn es nicht

183 10 Die Auswertung der Interviews aus Bolivien selten zu Code-Switching ins Plautdietsche kommt. Auch die in den Kolonien lebenden Mennoniten haben eine gute rezeptive Sprach- kompetenz des Hochdeutschen, die produktiven Kenntnisse sind in unterschiedlicher Auspr¨agung vorhanden. Die jungeren¨ Befragten, die die M¨oglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen, in der Spanisch unterrichtet wird, haben eine hohe Sprachkom- petenz des romanischen Idioms. Die ¨alteren Mennoniten hatten weitgehend noch keinen Spanischunterricht, sondern konnten durch Sprachkontakt einige Kenntnisse erlangen. Das Interesse der Mennoniten am Spanischunterricht w¨achst jedoch zunehmend und ein entsprechendes Angebot verschiedener Einrichtungen vergr¨oßert sich: Nicht nur die jungeren,¨ auch die ¨alteren Wiedert¨aufer zeigen Tendenzen vermehrt Spanisch zu erlernen - sei es, um in der spanischsprachigen Mehrheitsgruppe besser zurecht zu kommen, oder auch aufgrund des seitens der bolivianischen Regierung steigenden Drucks in diese Richtung. In Santa Cruz sprechen einige der jungeren¨ Anabaptisten Englisch, sofern sie dies in der Schule erlernen konnten. In den Kolonien leben Mennoniten, die eine Zeit in Kanada verbrachten und aufgrund dieser Tatsache Englischkenntnisse haben. In Bolivien sind die jungeren¨ Interviewten der festen Uberzeugung,¨ dass Spanisch in den kommenden Generationen fur¨ die Mennoniten an Bedeutung gewinnen wird und dass immer mehr ihrer Glaubensbruder¨ diese Sprache erlernen werden. Die Alte-¨ ren hingegen sind mehrheitlich der Ansicht, dass das Plautdietsche die bedeutendste Sprache der Wiedert¨aufer bleiben wird. Allen Befragten, sowohl in Paraguay als auch in Bolivien, ist es sehr wichtig, ihre Sprache und Kultur zu pflegen und diese auch weiterzugeben. Daruber¨ hinaus ist es fur¨ sie ebenso bedeutend, religi¨ose Riten des mennonitischen Glaubens langfristig zu erhalten.

184 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

Nachdem die in Paraguay und Bolivien aufgenommenen Interviews inhaltlich nach soziolinguistischen Aspekten ausgewertet wurden, ist in einem zweiten Schritt zu fragen, ob der Sprachgebrauch der befragten Mennoniten auch hinsichtlich gram- matikalischer Gesichtspunkte Besonderheiten aufweist. Eine Analyse des aufgenom- menen Sprachmaterials soll Aufschluss uber¨ diese Frage geben. Die Wahl der Aus- wertungsmethode bedingt sich durch die Gegebenheiten vor Ort und die Art des Datenmaterials.

11.1 Gewinnung der Fehlerdaten

Zum einen wurden die S¨atze, die in jedem Interview auf Deutsch von mir vorge- lesen wurden und von den Wiedert¨aufern spontan ubersetzt¨ wurden, auf gramma- tikalisch Charakteristika ausgewertet. Dies diente dem Zweck festzustellen, ob das Spanische der Interviewten Merkmale einer spezifischen Variet¨at des Spanischen auf- weist (z.B. bolivianisches Spanisch), was aufgrund ihrer isolierten Lebensweise als unwahrscheinlich, aber nicht g¨anzlich ausgeschlossen einzustufen ist. Zum anderen sollte herausgestellt werden, welche typischen Lernerfehler die Mennoniten machen, wenn sie Spanisch sprechen. Die Sprachbiografie vieler Befragten legt die - durch die Daten belegte - Vermutung nahe, dass die Sprachmodulationen sich durch ty- pischerweise im Fremdsprachenerwerb auftretende Fehler auszeichnen. Die unter- schiedlichen Mutter- und Kontaktsprachen lassen jedoch annehmen, dass zumindest die kontaktinduzierten Inkorrektheiten unterschiedlich ausfallen. Neben den direkten Ubersetzungss¨ ¨atzen wurde auch das Sprachmaterial der Inter- views untersucht. Obwohl die Befragten selbstverst¨andlich wussten, dass ihr Sprach- gebrauch analysiert werden wurde,¨ kann eine Naturlichkeit¨ der Sprache dennoch angenommen werden. Zum einen fehlte den Interviewten grunds¨atzlich sowohl das Verst¨andnis als auch das Interesse fur¨ den Zweck und das Ergebnis der Untersu- chungen, so dass sie sich in ihrem Sprachgebrauch nicht eingeschr¨ankt zeigten. Zum anderen unterschied sich das Spanische w¨ahrend der Interviews meinen Beobachtun- gen zufolge nicht von demjenigen, das sie im Alltag sprechen.

185 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

11.2 Fehlerdefinition und Klassifizierung

Im Vorfeld der Auswertung muss jedoch die Frage gestellt werden, was als Fehler gel- ten kann und welcher Maßstab zur Orientierung geeignet ist. Es ist nicht eindeutig, was im Sprachgebrauch als Fehler bezeichnet werden kann oder sogar muss. Die Feh- lerlinguistik ist eine Disziplin, die sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte und bislang liegt keine allgemeingultige¨ Definition eines Fehlers vor (Kielh¨ofer 1975: 21). Es gibt unterschiedliche M¨oglichkeiten, einen Fehler zu identifizieren, abh¨angig von der Art der Datenerhebung und dem Zweck der Auswertung. Grunds¨atzlich muss es fur¨ eine Außerung,¨ damit sie als falsch gelten kann, eine Alternative geben, die als richtig eingestuft werden k¨onnte (Ramge 1980: 3). Wie Ramge treffend feststellt, muss uber¨ die richtige Alternative ein konventionelles Ein- verst¨andnis getroffen worden sein (ebd.: 4). Daruber¨ hinaus ist es wichtig, dass die als falsch geltende Außerung¨ in einer dialogischen Situation aufgetreten ist; zwar macht das in Bezug auf die Richtigkeit prinzipiell keinen Unterschied, denn Spra- che muss nicht auf einer kommunikativen Situation begrundet¨ sein (Cherubim 1980: 126), aber die Fehlerhaftigkeit kommt erst im Dialog, wenn der Rezipient die Infor- mation aufnimmt, zum Tragen. Denn Fehlerhaftigkeit kann erst dann von Relevanz sein, wenn sie als solche wahrgenommen werden kann. Schließlich muss jedoch auch immer der Umstand mit in Betracht gezogen werden, dass Sprache immer auch die kulturelle Entwicklung und die Sozialstruktur einer Gesellschaft widerspiegelt (Cherubim 1980: 126). Das bedeutet, dass Faktoren wie Religion, sozialer Status und Lebensweise der Sprecher bei der Untersuchung von sprachwissenschaftlichem Material grunds¨atzlich nicht außer Acht gelassen werden k¨onnen. In engem Zusammenhang damit stehen daher Subsysteme einer Sprache, die z.B. die Standardsprache oder die Sprache der Oberschicht ausmachen (Kielh¨ofer 1975: 24). Die Subsysteme sind zwar untereinander isomorph, k¨onnensichaberauf lexikalischer und grammatikalischer Ebene unterscheiden. In den vorliegenden Interviews hatten und haben die befragten Wiedert¨aufer na- turlich¨ leicht unterschiedliche Kontakte, die das Subsystem ihrer Sprache beeinflus- sen k¨onnen. So ist dies sicherlich bei den Jungeren¨ eher der Fall als bei den Alteren,¨ da Erstere nach eigenen Aussagen deutlich mehr Kontakt mit spanischen Mutter- sprachlern haben als die ¨alteren Glaubensbruder.¨ Da jedoch alle Mennoniten soweit wie m¨oglich unter sich bleiben und das romanische Idiom haupts¨achlich im Unter- richt erlernen, ist nicht davon auszugehen, dass einige von ihnen eine spezifische Subvariante des Spanischen adaptiert haben. Es ist also davon auszugehen, dass die Definition von Fehler vor der Folie der spanischen Standardsprache erfolgen kann. In der Fehlerlinguistik wird außerdem gelegentlich bem¨angelt, dass vorhandene Grammatik- und Lexismodelle, die als Maßstab fur¨ die Auswertung dienen, seman- tische Strukturen v¨ollig unberucksichtigt¨ lassen (Kielh¨ofer 1975: 61). So kann eine Außerung¨ grammatikalisch v¨ollig korrekt, gleichzeitig jedoch semantisch fehlerhaft

186 11.2 Fehlerdefinition und Klassifizierung sein. Zu denken ist an S¨atze wie ”Farblose grune¨ Ideen schlafen wutend”(ebd.:¨ 60). Semantische Verst¨oße kamen in den Interviews durchaus vor, bildeten jedoch eine Minderheit und waren durch Nachfrage beim Befragten rasch zu kl¨aren. Daher ist ein Fehlermodell, das die Semantik ausgiebig berucksichtigt,¨ fur¨ die vorliegende Arbeit nicht von Relevanz. Ebenfalls nicht immer eindeutig ist die Einordnung eines Fehlers in das System der Grammatik oder Lexis, denn eine Abgrenzung ist h¨aufig schwierig und die dafur¨ existierenden Ordnungssysteme oft unklar. Grunds¨atzlich werden Regeln, die einen großen Anwendungsbereich haben, als Grammatikregeln definiert (Kielh¨ofer 1975: 65). Die Anzahl der Regeln ist finit. In lexikalischer Hinsicht hingegen gibt es keine prinzipiellen Regeln, sondern Kollokationen, die ihrerseits infinit sind (ebd.). Ob der Anwendungsbereich einer Regel groß ist oder nicht, kann von der Perspektive ab- h¨angen; daher sind die Uberg¨ ¨ange zwischen Grammatik und Lexis h¨aufig fließend. Ein solcher Fall kann ein Verb sein, das zwingend mit einer bestimmten Pr¨aposition stehen muss, z.B. interesarse por. Bei der inkorrekten Verwendung einer anderen Pr¨aposition kann die Frage gestellt werden, ob die Regelabweichung grammatischer oder lexikalischer Art ist. Letztlich ist es ein grammatischer Fehler, der eng an die Lexis gebunden ist (ebd.: 67). Auch bei der Auswertung der Daten fur¨ die vorliegen- de Arbeit kommt es besonders hinsichtlich der Lehnw¨orter und Ubersetzungen¨ zu Uberschneidungen¨ zwischen Grammatik und Lexis. Fur¨ die meisten der gew¨ahlten Auswertungskategorien gibt es meiner Ansicht zufolge jedoch Regeln mit großem An- wendungsbereich, so dass die Inkorrektheiten unter der Kategorie Grammatikfehler zusammengefasst werden. Dadurch, dass es Regeln gibt, gibt es zwangsl¨aufig auch immer eine Abweichung von diesen, die als Fehler identifiziert werden kann. Sprachliche Regeln sind regelm¨a- ßig nicht starr, sondern k¨onnen ver¨andert und neu konventionalisiert werden (Che- rubim 1980: 127). Dies w¨are dann jedoch keine Regelabweichung, die von einem einzelnen Sprecher vollzogen worden w¨are, sondern als Sprachwandel zu verstehen, der, um als solcher zu gelten, bereits von einer gr¨oßeren Gruppe erkannt und interpre- tiert werden kann. Zwar wird Sprachwandel bewusst oder unbewusst von einzelnen Sprechern initiiert, vollzogen worden ist er jedoch erst dann, wenn er innerhalb einer Sprachgemeinschaft akzeptiert worden ist (Heine & Kuteva 2010: 88). Um Sprach- wandel kann es daher bei der Auswertung der mit den Mennoniten gefuhrten¨ Inter- views nicht gehen. Letztlich k¨onnen Regelabweichungen auch absichtlich vollzogen werden, um einen spezifischen kommunikativen Effekt herbei zu fuhren¨ (Cherubim 1980: 128). Allerdings mussen¨ diese vom Rezipienten auch als solche interpretiert werden k¨onnen. Eine derartige bewusste Regelabweichung konnte w¨ahrend der Be- fragungen jedoch nicht erkannt werden. Diese Arbeit legt als Standard die Normen der Real Academia zugrunde, so dass Abweichungen von ihren Vorgaben regelm¨aßig zu der Annahme eines Fehlers fuhren.¨ Daruber¨ hinaus werden jedoch sprachliche Besonderheiten der spanischsprachigen

187 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

L¨ander, in denen die interviewten Mennoniten leben, so weit wie m¨oglich beruck-¨ sichtigt. Dazu sei jedoch angemerkt, dass gerade in Bezug auf das Tiefland Boliviens kaum sprachwissenschaftlich relevantes Material bzw. Literatur vorhanden sind. In Bezug auf das Hochland Boliviens gibt es einige Ver¨offentlichungen (u.a. Muysken 1996), da dort jedoch sehr erheblich andere indigene Sprachen einen entscheidenden Einfluss auf das dort gesprochene Spanisch nehmen als dies im Tiefland der Fall sein kann, sind die Erkenntnisse fur¨ diese Arbeit kaum verwertbar. Trotz der Zu- grundelegung der Real Academia als maßgebende Norm, ist bei Weitem nicht immer eindeutig, was als Fehler zu bewerten ist oder sein kann.

11.2.1 Die Fehlerbestimmung im Fremdsprachenunterricht Dass Fehler im Fremdsprachenunterricht eine bedeutende Rolle zukommen, ist un- umstritten. Sie werden zum einen genutzt, um den Lernstand der SchulerInnen¨ de- finierenzuk¨onnen; zum anderen aber auch, um wichtige Zwischenschritte, die den Erwerb einer Sprache markieren, erkennen zu k¨onnen (Presch 1980: 227). Gerade Letzteres wird im Fremdsprachenerwerb zunehmend als Notwendigkeit akzeptiert, da das Erkennen einer bestimmten Fehlerkategorie wie z.B. der Simplifizierung einen gezielten Ansatz zur Fehlertherapie erm¨oglicht. In der Auswertung der Interviews kann es nicht um die Suche nach einer Fehlertherapie gehen, jedoch sind die Ans¨at- ze der Fehlerbestimmung aus dem Fremdsprachenunterricht auch hier geeignet, um Aussagen uber¨ den Lernstand der Befragten treffen zu k¨onnen. Die Fehlerbestimmung im Fremdsprachenunterricht orientiert sich an einem be- stimmten Grammatikmodell, so dass alle davon abweichenden Vorkommnisse als Fehler identifiziert werden (Presch 1980: 228). Ein Grammatikmodell kann, wie in dieser Arbeit, die Vorgabe der Real Academia sein. Presch merkt dazu an, dass bei der ausschließlichen Nutzung eines Grammatikmodells immer eine kunstliche¨ ” Homogenisierung von Sprache“ die zwingende Folge ist (ebd.: 229). Sicherlich steht einer solchen Homogenisierung immer der Sprecher als Individuum im Wege, der eigene sprachliche Pfade einschl¨agt, neue Wendungen gebraucht und so zur erstrebenswerten Erweiterung der Sprache fuhrt,¨ die den Sprachwandel erst m¨oglich macht. Dennoch ist der Kritik an der Kunstlichkeit¨ entgegen zu halten, dass die Heranziehung eines Modells letztlich unentbehrlich ist, um zuverl¨assige Aussagen uber¨ den Sprachgebrauch eines bestimmten Sprechers oder einer Sprechergruppe machen zu k¨onnen. Anderenfalls w¨aren nur vage Andeutungen m¨oglich. Letztlich kann auch insofern nichts dagegen sprechen, sich an einem bestimmten Modell zu orientieren, als dass Cherubim bereits 1980 zutreffend feststellte, dass alle modernen Sprachen aus Systemen und Regeln bestehen, die den kommunikativen Gebrauch der Idiome erst m¨oglich machen (Cherubim 1980: 126). Es kann daruber¨ hinaus schwierig sein zu entscheiden, ob es sich bei der Regelab- weichung um einen Performanz- oder einen Kompetenzfehler handelt. Ein Kompe-

188 11.2 Fehlerdefinition und Klassifizierung tenzfehler ist ein solcher, der dem Sprecher einer Fremdsprache nicht bewusst ist; er kennt die ben¨otigte Regel nicht oder sie ist ihm zumindest nicht bewusst (Kielh¨ofer 1975: 6). Ein Performanzfehler wiederum tritt dann auf, wenn der Sprecher zwar die entsprechende korrekte Regel kennt, sie aber in der kommunikativen Situation nicht anwendet (ebd.). Da die Kompetenz eines Sprechers praktisch nur durch Be- obachtung seiner Performanz einzusch¨atzen ist, ist es gelegentlich nicht eindeutig, welche der beiden Fehlertypen vorliegen. In den aufgenommenen Interviews findet eine eigene Korrektur der Befragten jedoch zum einen kaum statt und zum anderen sind in der Regel bestimmte Muster in den Kompetenzfehlern zu erkennen, die im Gespr¨ach wiederkehrend sind. Es muss jedoch betont werden, dass es sich um kein standardisiertes Fehlersystem handelt, dass bei der Auswertung angewendet wurde, sondern um eine qualitative Analyse der aufgenommenen Interviews.

11.2.2 Die Verst¨andlichkeit Im modernen Fremdsprachenerwerb wird viel Wert auf die inhaltliche Verst¨andlich- keit gelegt. Dieser Aspekt soll auch hier nicht g¨anzlich außer Acht gelassen werden. In diesem Zusammenhang steht nicht die formale Korrektheit des Gesprochenen im Vordergrund, die sich an einem bestimmten Modell orientiert, sondern im Zentrum steht die Verst¨andlichkeit der Aussage, die gegenuber¨ dem Gespr¨achspartner besteht (Presch 1980: 230). Hierbei werden vor allem diejenigen Fehler berucksichtigt,¨ die die fließende Kommunikation zu gef¨ahrden drohen und das Gesagte fur¨ den Empf¨anger unverst¨andlich machen. In Betracht zu ziehen ist in Bezug auf die Verst¨andlich- keit nicht ein bestimmtes Modell, sondern wechselnde Grammatik- und Normmo- delle, die abh¨angig von der jeweiligen Gespr¨achssituation gelten sollen (ebd.: 231). Es wird davon ausgegangen, dass unterschiedliche Anforderungen an die Kommu- nikation bestehen, die von wechselnden Bedingungen und dem Toleranzbereich des Kommunikationspartners abh¨angen (Ramge 1980: 5). Fraglich muss in diesem Zu- sammenhang allerdings sein, was das Modell zur Fehlertypisierung sein kann. In der Regel mag dies ein Muttersprachler sein, allerdings scheint dies bei einem L2-Lerner, der im Begriff ist, seine Sprachkompetenz noch aufzubauen, kaum realistisch. Die Kommunikation wird durch den Verstoß gegen das Sprachsystem in der Regel nicht zusammenbrechen, auch wenn sie gest¨ort wird. Ein Verstoß gegen die Sprach- norm, also das, was grammatikalisch zwar korrekt, aber in der aktuellen kommuni- kativen Situation v¨ollig deplatziert ist, kann hingegen eher zu einem Abbruch des Gespr¨achs fuhren¨ (Kielh¨ofer 1975: 29). Ein Verstoß gegen die Norm kann auch einem Muttersprachler unterlaufen und ist nicht zwangsl¨aufig ein Hinweis auf eine niedrige Sprachkompetenz (ebd.: 45). Eine auftretende Kommunikationsst¨orung, die die Ver- st¨andlichkeit negativ beeinflusst, ad hoc zu bestimmen und feststellen zu k¨onnen, ist im Einzelfall jedoch oft schwierig, denn dazu musste¨ der kommunikative Effekt des Sprechers auf den Empf¨anger systematisch analysiert werden k¨onnen (ebd.).

189 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

Dazu fehlen allerdings geeignete Untersuchungskriterien. Diese herauszustellen ist aufgrund der wechselnden Sprechersituationen und der verschiedenen Empf¨anger- horizonte keine einfache Aufgabe und in der Praxis kaum anwendbar. Die Untersu- chungskriterien k¨onnen sich lediglich auf die Reaktionen des Rezipienten konzentrie- ren und anhand derer feststellen, ob ein Fehler in der Verst¨andigung aufgetreten ist. Spontane Reaktionen auf eine kommunikative Situation h¨angen jedoch von einzelnen Faktoren wie pers¨onlicher Erfahrung, Gemutszustand¨ und nicht zuletzt davon ab, ob es sich um die Muttersprache des Empf¨angers handelt, so dass eine zuverl¨assige Fehleranalyse auf diesem Wege kaum auszumachen ist. Permanente Korrekturen der Fehler wurden¨ in den meisten F¨allen die Interaktion auch mehr gef¨ahrden als dass sie sie f¨ordern k¨onnten (Ramge 1980: 21). Es besteht die Gefahr, dass der Sprecher unsicher wird und die Kommunikation erlahmt. Daruber¨ hinaus kann gem¨aß Jordens davon ausgegangen werden, dass Lerner grunds¨atzlich in erster Linie kognitiv darauf konzentriert sind, ihre Außerung¨ the- matisch ad¨aquat zu formulieren, morphologische und syntaktische Regeln spielen im Vergleich dazu eine untergeordnete Rolle; ihrer Einsch¨atzung zufolge werden nur die Normen abgerufen, die generell sehr h¨aufig vorkommen und daher pr¨asent sind (Jordens 1986: 93). Verst¨andlichkeit steht sicherlich bei den meisten Mennoniten in Kommunikations- situationen im Vordergrund. Es kommt ihnen in der Regel nicht in erster Linie darauf an, korrekt zu sprechen, sondern verstanden zu werden (Obgleich viele Mennoniten sich auch wunschen,¨ korrekt zu sprechen, um ernst genommen und nicht diskrimi- niert zu werden. Aber auch, weil sie den eigenen Anspruch haben, so fehlerfrei wie m¨oglich zu sprechen.). Daher ist der Aspekt des Verstandenwerdens nicht grund- s¨atzlich unwichtig. Mit dem Kriterium der Verst¨andlichkeit k¨onnen aber aufgrund der oben beschriebenen Schwierigkeiten in der Analyse keine validen Untersuchungs- ergebnisse erzielt werden, so dass sie in dieser Arbeit auch nicht den Schwerpunkt bilden k¨onnen.

11.3 Interferenz, Transfer, Entlehnung

Die kontaktinduzierten Ph¨anomene der Interferenz, des Transfers und der Entleh- nung werden bei der Auswertung der Interviewdaten besonders auff¨allig und kommen sehr h¨aufig vor. Sie voneinander abzugrenzen und m¨ogliche Ursachen darzustellen, ist in diesem Zusammenhang daher von besonderer Relevanz. In der Kontaktsprachenlinguistik wird zwischen den Ph¨anomenen Interferenz/Transfer und Entlehnung unterschieden (Winford 2010: 170). Laut Winford ist unter einer Entlehnung der Prozess zu verstehen, in dem die Strukturen der L2 von einer gr¨oße- ren Gruppe L1-Sprecher adaptiert werden. Interferenz/Transfer hingegen beschreibt den umgekehrten Prozess, in dem L1 Einfluss auf den Spracherwerb von L2 nimmt

190 11.3 Interferenz, Transfer, Entlehnung

(ebd.). Diese Unterscheidung ist jedoch nicht eindeutig und entspricht keinesfalls einem linguistischen Konsens. So ist auch zu lesen, dass Entlehnung eine generel- le Ubertragung¨ von Regeln und Einheiten von einer Sprache auf eine andere und damit das Merkmal fur¨ Sprachkontakt schlechthin ist (ebd.). Transfer/Interferenz bezieht sich hingegen speziell auf die Ubertragung¨ sprachlicher Merkmale der L1 auf die L2 und ist daher auf die Beschreibung des Zweitsprachenerwerbs beschr¨ankt (ebd.: 170). Mathiot vertritt die These, dass Interferenz letztlich nichts anderes sei als eine Form des Code-Switchings, da das Element der einen Sprache in eine andere Sprache ubertragen¨ wird (Mathiot 1996: 124). Fur¨ die vorliegende Arbeit ist eine Differenzierung der Definitionen entbehrlich, da es sich bei den vorliegenden Daten ausschließlich um Ubertragungen¨ aus der L1 in die L2 handelt. W¨ahrend der Interviews mit den befragten Wiedert¨aufern wurden auch einige sehr auff¨allige lexikalische Entlehnungen offenkundig, die trotz des grammatikali- schen Schwerpunkts der Auswertung Berucksichtigung¨ finden sollen. Grunds¨atzlich werden Adjektive, Nomen und Verben im Sprachkontakt deutlich h¨aufiger entlehnt als die funktionalen Wortgruppen wie Artikel, Pronomen und Konjunktionen (Muys- ken 1996: 119). Muysken begrundet¨ diesen Umstand damit, dass der kulturelle Bezug einer Wortgruppe ausgepr¨agt sein muss, um entlehnt zu werden. Er muss also in- haltlich etwas uber¨ die Sprechergemeinschaft einer Sprache aussagen und dies ist bei funktionalen Wortgruppen nicht der Fall (ebd.).

11.3.1 Der Transfer

Ein innersprachlicher Transferprozess liegt dann vor, wenn der Lerner grunds¨atz- lich gultige¨ Regeln und Einheiten der Fremdsprache innerhalb des selben Systems unpassend ubertr¨ ¨agt, z.B. wenn die regelm¨aßige Bildung des Partizips auf ein un- regelm¨aßiges Verb, beispielsweise hacer (hecho) ubertragenwird(*¨ hacido). Es wird hier auch von einer intralingualen Interferenz oder einer Ubergeneralisierung¨ ge- sprochen (Kielh¨ofer 1975: 87). Ubergeneralisierungen¨ treten vor allem im Bereich der Wortbildung und im Bereich phonetischer Ahnlichkeiten¨ lexikalischer Einheiten auf (Kielh¨ofer 1975: 88). Obwohl in diesen F¨allen immer ein eindeutiger Regelver- stoß vorliegt, kann aus Lehrersicht doch positiv bemerkt werden, dass der Lerner die grunds¨atzliche Regel verstanden hat und anwenden kann. Eine interlinguale Interferenz hingegen liegt vor, wenn der Lerner eine Regel oder Einheit seiner Mutter- auf die Fremdsprache ubertr¨ ¨agt (Kielh¨ofer 1975: 90). Alter- nativ ist auch die Interferenz von L2 auf L3 denkbar. Grunds¨atzlich wird zwischen negativem und positivem Transfer unterschieden, abh¨angig davon, ob das Ergebnis als korrekt identifiziert werden kann oder nicht (Gass 1996: 559). Fuhrt¨ die Ubertra-¨ gung zur Fehlerhaftigkeit, handelt es sich um einen negativen Transfer. Der Transfer dient der Uberbr¨ uckung¨ eines Defizits in der Fremdsprache. Zur interlingualen In- terferenz kommt es sehr h¨aufig dann, wenn lexikalische Aquivalenzen¨ zwischen L1

191 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten und L2 bestehen (Kielh¨ofer 1975: 91). Der Lerner geht in der Regel so vor, dass er die Transferrate aus L1 nicht direkt auf L2 ubertr¨ ¨agt, sondern sie zuvor ad¨aquat auf das L2-System umstrukturiert und damit verknupft;¨ es entsteht eine gramma- tikalische Mischung beider Systeme (ebd.: 92). Beispiele dafur¨ sind laut Kielh¨ofer Lehnubersetzungen¨ und sog. falsche Freunde. Falsche Freunde werden vom Lerner ubertragen,¨ wenn sie eine Ahnlichkeit¨ in der Form, Bedeutung oder Funktion haben (Wilkins 1996: 110). Ein Beispiel hierfur¨ ist ital. caldo und engl. cold, die Adjektive haben sowohl phonetisch als auch semantisch Ahnlichkeiten.¨ Corder gibt zu bedenken, dass der Einfluss der Muttersprache in phonologischer Hinsicht eine entscheidende Rolle beim Fremdsprachenerwerb spielt (Corder 1994: 23). Das Erlernen der Aussprache eines anderen Idioms erfordert eine Restrukturie- rung des phonologischen Systems, das dem Lerner aus der Muttersprache bekannt ist. Auch auf der Ebene der Lexis, wenn es zu Entlehnungen kommt, spielt die Mut- tersprache nach Corders Ansicht eine entscheidende Rolle, denn der Ruckgriff¨ auf L1-Begriffe, wenn sie in L2 noch nicht verfugbar¨ sind, dient der Aufrechterhaltung einer kommunikativen Situation und ist daher ein ubliches,¨ sozial stabiles Verhalten (ebd.: 26). Hinsichtlich der Syntax ist die Muttersprache des Lerners in seinen Augen von keiner besonderen Gewichtung (ebd.). Er begrundet¨ seine Annahme damit, dass die Sprache eines Lerners zun¨achst einem Pidgin ¨ahnelt und daher nicht durch die Mut- tersprache beeinflusst zu sein scheint. Corder beschreibt den Lernprozess als ein zu Beginn sehr simples Continuum, das mit der Zeit jedoch best¨andig an Komplexit¨at zunimmt (like a bud gradually developing into a flower) (ebd.: 22). Im Zuge der sich verst¨arkenden Komplexit¨at kommt es immer wieder zu einer Neustrukturierung des beim Lerner vorhandenen Regelsystems: Neue Regeln kommen dazu oder wer- den angepasst (ebd.). Corder argumentiert, dass das Erlernen einer Fremdsprache jedoch unabh¨angig von der Muttersprache ist, der Fortschritt muss sich auch schon deswegen davon unterscheiden, weil der Lerner bereits einiges uber¨ Funktion und Nutzung von Sprache generell weiß (ebd.: 24). Eine pidgin-¨ahnliche Simplifizierung von grammatikalischen Merkmalen ist somit ein v¨ollig gew¨ohnlicher Zwischenschritt im Fremdsprachenerwerb (ebd.). Die Konsequenz aus dieser Theorie scheint zu sein, dass der Ausgangspunkt des Fremdsprachenerwerbs die Universelle Grammatik ist, die jedem Menschen immanent sein musste.¨ Bei den bolivianischen Mennoniten kommt h¨aufig ein Code-Switching vom Hoch- deutschen ins Plautdietsche vor. Aus dem Blickwinkel der Kontaktlinguistik kann die Frage gestellt werden, ob der Codewechsel zwischen zwei Sprachen nicht sogar auch eine sehr weit gehende Form der Interferenz ist (Weinreich 1977: 92). Ein Krite- rium, demzufolge dies genau festgelegt werden k¨onnte, existiert offenbar aber bislang nicht. Weinreich selbst zeigt die M¨oglichkeiten auf, dass die Außerung¨ entweder der Sprache, um deren Grammatik es sich handelt, zuzuordnen ist oder nach der sub- jektiven Wahrnehmung des Sprechers, bei dem die Unterscheidung zwischen zwei

192 11.3 Interferenz, Transfer, Entlehnung

Idiomengelegentlichnichtmehrvorhandenist(ebd.:94). Ursache von intralingualer Interferenz kann sein, dass der Lerner ab dem Zeitpunkt einer gewissen Teilkompetenz seine inhaltlichen Außerungen¨ kognitiv zu kontrollie- renbeginntundsichdadurchdengenerellenRegelgebrauchw¨ahrend des Sprech- prozesses ins Bewusstsein ruft. Dadurch wird h¨aufig eine Uberbewertung¨ der ange- wandten Regel hervorgerufen (Kielh¨ofer 1975: 101). Hilfreich ist lediglich eine mit der Zeit einsetzende Automatisierung der Regelabweichungen, die schließlich zur Vollkompetenz in der L2 fuhrt¨ (ebd.). Corders These, dass die Muttersprache zu Beginn eines Lernprozesses durchaus hinsichtlich der Lexis und der Phonologie eine betr¨achtliche Rolle spielt, dies jedoch subtil von der Grammatik unterschieden werden muss (Corder 1994: 27), l¨asst jedoch die Annahme unberucksichtigt,¨ dass sich auch Lexis und Phonologie stetig weiter entwickeln. Ard & Homburg stellten in lexikalischer Hinsicht fest, dass der Transfer zwischen zwei Sprachen, in diesem Fall Englisch und Spanisch bzw. Arabisch, dann besonders stark ist, wenn das Vokabular sehr ¨ahnlich ist (Ard & Homburg 1994: 47). Sie tes- teten 194 spanische Muttersprachler, deren Vokabular zu ca. 60% demjenigen des Englischen in Form und Bedeutung entsprechen (ebd.: 49). Als zweite Gruppe wur- den 100 arabische Muttersprachler getestet, deren Vokabular lediglich zu 1% mit dem Englischen in Form und Bedeutung identisch ist (ebd.). Beide Gruppen nah- menaneinemEnglish Language Proficiency Test teil, bei dem zum einen Synonyme korrekt zugeordnet werden mussten und zum anderen Luckentexte¨ mit passenden Vokabeln ausgefullt¨ werden sollten (ebd. 1994: 48). Die Testteilnehmer wurden in unterschiedlichen Lernstrategien getestet; nicht nur, dass die spanischen Mutter- sprachler im selben Lernstadium durchgehend besser abschnitten als die arabisch- sprachigen Teilnehmer, es konnte daruber¨ hinaus auch festgestellt werden, dass sie schnellere Fortschritte in der Sprachkompetenz machten (ebd.: 52). Ard & Homburg schließen aus den Testergebnissen, dass es in lexikalischer Hin- sicht durchaus einen bedeutenden Einfluss der Muttersprache gibt; je ¨ahnlicher sich die beiden Idiome sind, desto leichter scheint der Spracherwerb zu sein (ebd.: 59). Jordens hingegen konnte in seinen Untersuchungen durchaus einen Einfluss der Mut- tersprache in morphologischer Hinsicht feststellen. An der Datenerhebung nahmen Niederl¨anderInnen teil, die Deutsch lernten. Es handelt sich also um zwei Sprachen, die linguistisch betrachtet als ¨ahnlich bezeichnet werden mussen.¨ Schwierigkeiten und feststellbare Fehler traten dann auf, wenn das Deutsche deutlich vom Regel- system des Niederl¨andischen abweicht (Jordens 1986: 99). Die morphologischen In- flektionen des Deutschen, die den Nominativ und den Akkusativ unterscheiden, sind dem Niederl¨andischen unbekannt, die Lerner zeigten deutliche Schwierigkeiten, die- sen Unterschied zu automatisieren und konnten sich erst im fortgeschrittenen Lern- stadium von dem einfacheren System ihrer Muttersprache distanzieren (ebd.). Hier sind also durchaus auch in morphologischer Hinsicht Tendenzen erkennbar, dass das

193 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

Regelsystem der L1 eine entscheidende Rolle im Fremdsprachenerwerb spielt. Sajavaara stellt die These auf, dass der Lerner besonders dann zum Sprachtransfer neigt, wenn er die L2 in einer Umgebung lernt, in der diese Sprache sehr wenig ver- wendet wird. Stattdessen sei er es aus seiner t¨aglichen Routine gew¨ohnt, sich auf L1 verlassenzuk¨onnen (Sajavaara 1986: 72). Wie ausgepr¨agt der Transfer beim einzel- nen Lerner ist, h¨angt von dessen bereits erreichter Sprachkompetenz ab. Diese These trifft insofern auf die Wiedert¨aufer zu, als dass sie zwar in L¨andern leben, in denen Spanisch die Mehrheitssprache ist, sie jedoch uberwiegend¨ unter sich bleiben und die meisten von ihnen daher wenig Kontakt mit dem romanischen Idiom haben. Des Weiteren fuhrt¨ der finnische Linguist an, dass Fremdsprachenerwerb grunds¨atzlich abh¨angig von der kognitiven Verarbeitung und Interpretation von Informationen ist (ebd.: 74). Dies wiederum h¨angt stark vom Vorwissen des Lerners ab, also nicht zu- letzt von seinem Kenntnisstand und seinem Wissen uber¨ die Muttersprache. Insofern ist der Einfluss der L1 auch in diesem Zusammenhang nicht zu untersch¨atzen. Kean gibt hinsichtlich des Sprachtransfers zu bedenken, dass er nicht nur einen m¨oglichen Zwischenschritt im Spracherwerb darstellt, sondern auch durchaus ein Zeichen dafur¨ sein kann, dass der Lerner die Existenz eines Ph¨anomens aus L2 nicht realisiert hat und auch deswegen auf seine Kenntnisse aus L1 zuruckgreift¨ (Kean 1986: 87). Dann handelt es sich um Wissen, das er erlangt haben sollte, ihm dies aber nicht bewusst geworden ist.

11.3.2 Die Simplifizierung

Die Simplifizierung grammatikalischer Ph¨anomene ist ein h¨aufig vorkommendes Merk- mal des Fremdsprachenerwerbs und wird sowohl in den sprachwissenschaftlichen Dis- ziplinen der Fehlerlinguistik, der Pidgin- und Kreolsprachen als auch in den Theorien zum ‘Sprachentod‘ diskutiert (Wilkins 1996: 113). Corder vergleicht die Simplifizie- rung im Fremdsprachenerwerb mit dem ersten Stadium beim Erlernen der Mutter- sprache; auch dort lerne das Kind zun¨achst ein reduziertes Sprachensystem, das sich im sp¨ateren Verlauf hinsichtlich Grammatik und Lexis weiter ausbaue (Corder 1981: 150). Simplifizierung fuhrt¨ in erster Linie dazu, dass eine Sprache regelm¨aßiger wird und kaum oder keine grammatikalischen Ausnahmen aufweist. Des Weiteren entfallen s¨amtliche Markierungen und die Relation zwischen Form und Bedeutung der W¨orter werden so transparent wie m¨oglich (ebd.). Simplifizierung ist in vier Auspr¨agungen zu beobachten, die gem¨aß Corder folgendermaßen benannt werden:

• Zusammengesetzte, komplexe W¨orter werden paraphrasiert.

• Funktionale Wortgruppen wie z.B. Pronomen werden durch vereinfachte Al- ternativen ersetzt.

194 11.4 Kontrastive und ¨ahnliche Grammatik

• Flexionen werden reduziert oder gar nicht mehr verwendet.

• Allomorphe werden vermieden (Corder 1981: 150).

In den gefuhrten¨ Interviews k¨onnen Paraphrasierungen und eine Reduzierung der Flexionen besonders h¨aufig festgestellt werden, so dass die Kategorie der Simplifi- zierung fur¨ die Analyse von großer Relevanz ist.

11.4 Kontrastive und ¨ahnliche Grammatik

Da w¨ahrend der Gespr¨ache mit den Mennoniten die Lehnubersetzungen¨ und -w¨orter besonders auff¨allig waren, ist die Frage zu stellen, ob eine L2-Kompetenz fur¨ den Lerner leichter zu erreichen ist, wenn es zwischen L1 und L2 sehr viele Ahnlichkeiten¨ gibt oder es sich als Vorteil zeigt, wenn Regeln und Einheiten kontrastiv sind. Kontrastiv bedeutet, dass die grammatikalischen Regeln beider Sprachen nicht ¨aquivalent sind und daher nicht w¨ortlich ubersetzt¨ werden k¨onnen (Kielh¨ofer 1975: 115). Bei der Auswertung der Sprachaufnahmen wird direkt offenkundig, dass die Befragten Ph¨anomene, die von der deutschen Grammatik abweichen bzw. dort nicht existieren, wie beispielsweise das Gerundium, h¨aufig fehlerhaft anwenden. Untersuchungen im Franz¨osischunterricht in den 1970er Jahren konnten zeigen, dass Kontraste zwischen L1 und L2 nicht grunds¨atzlich zu Lernproblemen fuhren¨ mussen¨ (Kielh¨ofer 1975: 122). Ein interessantes Ergebnis der Untersuchung ist, dass die franz¨osische Wortstellung den deutschsprachigen Lernern kaum Muhe¨ bereitete, umgekehrt hatten die franz¨osischen Deutschlerner jedoch erhebliche Schwierigkeiten, die Wortstellung des Deutschen zu automatisieren (ebd.: 123). Die Schlussfolgerung aus dieser Beobachtung ist daher, dass die Lernprobleme sich nicht allein aus kon- trastiven Regeln ergeben, sondern noch andere Ursachen haben mussen:¨ Zum einen h¨angt der Fortschritt des Spracherwerbs davon ab, wieviele Wahlm¨oglichkeiten es gibt. Je mehr dies sind, desto schwerer f¨allt dem Lerner die Differenzierung. Zum anderen ist entscheidend, dass es einfacher zu werden scheint, je gr¨oßer der Anwen- dungsbereich der Regel in L2 ist; dann kommt es seltener zum negativen Transfer (ebd.). Die Wortstellung im Franz¨osischen ist strikteren Regeln unterworfen als dieje- nige des Deutschen. Das Erlernen der deutschen Normen f¨allt den franz¨osischen Deutschlernern daher schwer, ihr Fehlerquotient in dem Bereich der Wortstellung ist hoch. Im Deutschen liegt eine diskontinuierliche Abfolge der Verbgruppen vor, die Grund zur Annahme gibt, dass das Erlernen der deutschen Wortstellung dadurch erschwert wird (ebd.: 124). Kielh¨ofer betont daher, dass der Anwendungsbereich, die Ausnahmen, Beschr¨ankungen und Widerspruche¨ einer grammatikalischen Regel zur St¨oranf¨alligkeit beim Lerner fuhren;¨ weniger jedoch der bestehende Kontrast zur L1 (Kielh¨ofer 1975: 125).

195 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

Er sieht anhand seiner Daten eher dann eine Gefahr der Interferenz, wenn zwischen den Regeln oder Einheiten von L1 und L2 partielle Ahnlichkeiten¨ bestehen - diese wurden¨ h¨aufig nur sehr schwer differenziert und fuhrten¨ daher regelm¨aßig zur Aus- dehnung zu einer kompletten Aquivalenz¨ (ebd.: 126). Vermutet wird, dass der Lerner generell dazu neigt, nach Prinzipien zu suchen, die einen m¨oglichst weiten Anwen- dungsbereich aufweisen und ihm problemlos anwendbar erscheinen (ebd.). Ist diese Vorgehensweise bei bestimmten grammatikalischen Ph¨anomenen nicht m¨oglich, wird versucht, Ahnlichkeitsbeziehungen¨ zur L1 aufzubauen und daraus eine praktikable Lernstrategie fur¨ die L2 abzuleiten. Liegen hier tats¨achlich partielle Ahnlichkeiten¨ vor, neigt der Lerner zu einem fehleranf¨alligen Ausbau der Ahnlichkeit¨ (ebd.: 127). Um diese Problematik im Unterricht zu vermeiden, mussten¨ kontrastive Struktu- ren von L1 und L2 st¨arker ins Bewusstsein des Lerners dringen und vor allem der Lernprozess so gesteuert werden, dass keine falschen Aquivalenzbeziehungen¨ aufge- baut werden (ebd.: 138). M¨oglicherweise ist dies im Sprachunterricht der Mennoniten nicht im ausreichenden Maße der Fall. Ringbom vertritt die These, dass Ahnlichkeiten¨ in L1 und L2 gerade zu Beginn des Lernprozesses einen erheblichen Vorteil fur¨ den Lerner darstellen und oft dazu fuhren,¨ dass er schnell Fortschritte zeigt (Ringbom 1986: 151). Dies zeigt er anhand einer Untersuchung von Englischlernern, deren Muttersprache Schwedisch ist; eine Sprache, die deutliche Ahnlichkeiten¨ mit dem Englischen aufweist. Die Kontrollgrup- pe spricht Finnisch als L1, das kaum signifikante Parallelen zur englischen Sprache zeigt (ebd.). Das Schulsystem und die Lernbedingungen beider Gruppen sind iden- tisch und es zeigt sich schnell, dass die Lerner, deren Muttersprache Schwedisch ist, rezeptiv schneller voran kommen und weniger Fehler begehen (ebd.). Ausschlag- gebend ist in Ringboms Augen die in der L1 vorhandene automatisierte Sprach- produktion. Dieser Automatismus des Schwedischen kann offenbar leicht auf eine andere germanische Sprache ubertragen¨ werden. Den Finnischsprechern hingegen nutzt¨ ihr automatisiertes L1-Wissen beim Erwerb des Englischen wenig (ebd.: 153). Dies zeigte sich nicht nur in lexikalischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Morphologie: W¨ahrend die Verwendung von Pr¨apositionen und Artikeln im Schwe- dischen und Englischen vergleichbar vollzogen wird, existieren diese Kategorien im Finnischen nur in Form von Suffixen (ebd.). Die Finnischsprecher zeigten erhebli- che Schwierigkeiten, das neue System zu automatisieren. Auch die Art der Fehler in beiden Gruppen unterschied sich: W¨ahrend die Schwedischsprecher gelegentlich die falsche Pr¨aposition w¨ahlten, ließen die Finnen sie, gem¨aß ihrer Automatisierung nach L1, sehr h¨aufig g¨anzlich aus (Ringbom 1986: 155). Ringbom betont, dass der Vorteil der Schwedischsprecher offenbar darin liegt, dass sie das Englische sehr schnell ver- stehen k¨onnen und die produktiven F¨ahigkeiten daher schneller voranschreiten als bei der finnischen Kontrollgruppe (ebd.: 154). Ein sehr interessanter Punkt ist, dass einige der Finnischsprecher bereits Schwe- disch gelernt hatten, sich jedoch nicht in der Lage zeigten, das in diesem Zusammen-

196 11.4 Kontrastive und ¨ahnliche Grammatik hang erworbene Regelsystem in morphologischer und phonetischer Hinsicht auf eine weitere germanische Sprache zu ubertragen;¨ dies war nur ansatzweise im Hinblick auf die Lexis m¨oglich (Ringbom 1986: 156). Offenbar ist die Automatisierung in der Morphologie und Lexis aus dem L1-Erwerb so pr¨agend, dass dies in allen erwor- benen Fremdsprachen grunds¨atzlich an vorderster Stelle steht und es den Lernern h¨aufig schwer f¨allt, erworbene Kenntnisse anderer Fremdsprachen weiter zu uber-¨ tragen (ebd.). Lexikalisch scheint dies jedoch zu funktionieren, denn die Finnisch- sprecher nutzten keinerlei Entlehnungen aus dem Finnischen, sehr wohl jedoch aus dem Schwedischen, da hier die Ahnlichkeiten¨ offensichtlich deutlich wurden (ebd.: 157). Der Transfer hingegen ist wiederum nur auf L1 basiert, nicht auf einer vorher erworbenen Fremdsprache. Ringbom schließt daraus, dass fur¨ den Sprachtransfer, im Gegensatz zur Entlehnung, eine deutliche Automatisierung der Sprache erforderlich ist, die nur aus dem L1-Erwerb kommen kann (ebd.: 158). Dabei betont der Linguist, dass er Entlehnungen und Transfer nicht als getrennte Ph¨anomene an sich betrach- tet, sondern als Continuum; der Transfer entwickelt sich aus dem Anfangsstadium der Entlehnung (ebd.). Zu berucksichtigende¨ Punkte bei der Datenerhebung zum Einfluss der Mutterspra- che sind laut Ringbom aber nicht nur das Lernstadium der Gruppen, sondern auch die Art und Weise des Lernens. Im Klassenkontext ist der nachweisbare Einfluss der L1 sehr wahrscheinlich h¨oher als in einer naturlichen¨ Umgebung mit regelm¨aßigem Kontakt zu Muttersprachlern; daruber¨ hinaus spielt m¨oglicherweise auch das Alter der Lerner eine entscheidende Rolle (ebd.: 160). Tr´evise weist auf den Umstand hin, dass der Sprachtransfer in morphologischer Sicht grunds¨atzlich immer nur eine m¨ogliche Ursache eines Fehlers ist, selten jedoch eine sehr genau als solche identifizierbare (Tr´evise 1986: 186). Die in der Sprachpro- duktion auftretenden Fehler k¨onnten beinahe immer auch anderen Ursprungs sein. Interessant ist Tr´evises Datenerhebung von franz¨osischsprachigen Spanischlernern, die m¨oglichen Transfer in morphologischer Hinsicht aufwiesen, jedoch niemals im Hinblick auf die Wortstellung (ebd.: 197). Die Satzstellung des Franz¨osischen wurde nach ihrer Erkenntnis von den Lernern als etwas sehr Sprachimmanentes fur¨ das Franz¨osische bewusst wahrgenommen, das sie auf kein andere Sprache ubertrugen¨ (ebd.). Nach Tr´evises ist hier eine Grenze des Transfers erreicht, die im Fremd- sprachenerwerb nicht uberschritten¨ wird. Ihre These best¨atigte sich jedoch nicht nachweisbar bei Spanischsprechern, die Franz¨osisch lernten und englischen Mutter- sprachlern, die Spanischunterricht genossen (ebd.: 201). Der Grund dafur¨ bleibt of- fen, er k¨onnte in der Art und Weise des Lernens liegen oder, wahrscheinlicher, vom Lernstadium abh¨angen. Eine bedeutende Untersuchung dazu, welchen Unterschied ¨ahnliche und kontrasti- ve Grammatik im Fremdsprachenerwerb hat, wurde auch von V´azquez durchgefuhrt.¨ Er verglich deutsche, franz¨osische, arabische und japanische Spanischlerner. Es han- delt sich um eine Auswahl von 108 SchulerInnen¨ einer Sprachschule in Madrid; die

197 11 Systematisierung sprachlicher Besonderheiten

Datenerhebung erfolgt auf der Grundlage schriftlicher Sprache, die TeilnehmerIn- nen hatten ein fortgeschrittenes Lernniveau (V´azquez 1991: 42 f.). Alle Befragten lebten seit mehreren Monaten in Spanien und hatten zum Untersuchungszeitpunkt auch außerhalb der Sprachschule regelm¨aßigen Kontakt mit dem romanischen Idi- om (ebd.). V´azquez klassifizierte und kategorisierte die Fehler, die sie machten, und versuchte anschließend, sie zu erkl¨aren. Insgesamt machten die japanischen Lerner die meisten Fehler, gefolgt von den deutschen Lernern und schließlich den arabischen. Die wenigsten Fehler machten die Franzosen. Die deutschen Lerner zeigten auff¨allige Schwierigkeiten in der Ver- wendung von Modi, die es in ihrer Muttersprache nicht gibt, in Hinblick auf das spanische Gerundium, aber auch in der Unterscheidung der Tempora indefinido und imperfecto (ebd.: 157). Bei der Verwendung von Tempora, die einem dem Deutschen sehr ¨ahnlichen Regelsystem folgen, wie dem Plusquamperfekt, machte die deutsche Lernergruppe kaum Fehler - im Gegensatz zu den arabischen und japanischen Mut- tersprachlern, denen ein grunds¨atzlich anderes Regelsystem gel¨aufig ist (ebd.: 145). Sehr ¨ahnliche Beobachtungen machte V´azquez auch im Hinblick auf die Verwendung von spanischen Pr¨apositionen und Artikeln. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass kontrastive Grammatik im Fremdsprachenerwerb eine Fehlerquelle darstellt. Insgesamt l¨asst sich feststellen, dass der Fremdsprachenerwerb einfacher ist, je ¨ahnlicher die zu erlernende Sprache der Muttersprache ist. Kommt es zu Abwei- chungen eines Regelsystems, das dem Lerner vertraut ist, ben¨otigt er eine Weile, um neu zu strukturieren und zu automatisieren. Zwischenschritte in Form eines Trans- fers sind die Regel und bedeuten lediglich, dass der Lerner noch keine Vollkompetenz auf dem entsprechenden Gebiet erlangt hat. Transfer/ Interferenzen finden voran- gehenden Untersuchungen zufolge uberwiegend¨ im lexikalischen und phonologischen Bereich statt und zwar uberwiegend¨ aus der L1, weniger aus anderen, vorher erlern- ten, Fremdsprachen. Wichtig scheint es zu sein, beim Fremdsprachenerwerb, sofern er uberwiegend¨ in Unterrichtsform und nicht in direktem Umfeld der Zielsprache stattfindet, Kontraste herauszuarbeiten und dem Lerner bewusst zu machen. Dass die Mennoniten, die fur¨ diese Arbeit befragt wurden, h¨aufig Interferenzen/ Sprachtransfer zeigen, kann darauf hindeuten, dass sie wenig Kontakt mit dem spa- nischsprachigen Umfeld haben und verst¨arkt im Unterricht und aus Buchern¨ das romanische Idiom erlernen. Fur¨ diese Annahme spricht zudem, dass die jungeren¨ unter ihnen, die mehr Kontakt zu Nicht-Mennoniten haben, weniger Transfer auf- weisen als ihre ¨alteren Glaubensbruder,¨ die weitgehend Kontakte in der Gemeinde pflegen.

198 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

Nach der inhaltlichen Auswertung der in Paraguay und Bolivien aufgenommenen In- terviews folgt an dieser Stelle eine sprachliche Analyse des Spanischen der befragten Mennoniten. Es wurden sowohl Besonderheiten, die w¨ahrend der laufenden Inter- views auftraten ausgewertet, als auch die S¨atze, die in jedem Interview auf Deutsch von mir vorgelesen und von den Wiedert¨aufern spontan ubersetzt¨ wurden (Kap. 13). In Bezug auf die Naturlichkeit¨ der Sprache wird angemerkt, dass die Befragten wussten, dass das Spanisch, das sie sprechen, untersucht wird – auch wenn den meis- ten von ihnen die Vorstellung und teilweise ein tiefergehendes Interesse dafur¨ fehlte, wie diese Auswertung aussehen bzw. was der Zweck einer solchen Untersuchung sein k¨onnte. In der Situation spontan ubersetzen¨ zu mussen,wieesinKap.13ge-¨ zeigt wird, legen die Befragten vermutlich im Vergleich zum freien Reden, wie es im folgenden dargestellt wird, einen gesteigerten Wert auf die Richtigkeit ihrer Trans- lationen. Dies l¨asst einen Vergleich dahingehend zu, ob bzw. inwiefern die Befragten die spanischen Grammatik kennen, wenn sie intensiv nachdenken oder frei sprechen. Die Auswertung der in dieser Arbeit relevanten Charakteristika im Bezug auf die freie Redesituation erfolgte durch die Einteilung sprachlicher Ph¨anomene in elf Ka- tegorien, diese Einteilung orientiert sich an den Besonderheiten, die bei der Analyse des Datenmaterials offenkundig wurden. In einigen Ubersetzungss¨ ¨atzensindmehre- re Besonderheiten festzustellen, der Ubersicht¨ halber wurden alle Beispiele aber nur einmal verwendet und lediglich einer Kategorie zugeordnet.

1. Determinanten

2. Flexionen

3. Differenzierung von ser, estar, hay und tener

4. Modus

5. Tempora

6. Kongruenzen

7. Pr¨apositionen

199 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

8. Konjunktionen

9. Pronomen

10. Code-Switching

11. Weitere Beobachtungen zu m¨oglichen Interferenzen

12.1 Determinanten

Zun¨achst k¨onnen Unregelm¨aßigkeiten bei der Verwendung der Determinanten beob- achtet werden.

12.1.1 Paraguay Die Verwendung eines falschen oder redundanten bzw. nicht zwingend zu setzenden Artikels sowie das Auslassen eines notwendigen Artikels konnte bei den in Paraguay befragten Mennoniten nur vereinzelt festgestellt werden.

1. ML: El radio.

2. MO: Una pa´ıs.

3. FI: La material.

ML, MO und FI verwenden Determinanten, die nicht dem Standardspanischen entsprechen. Bei el radio handelt es sich um eine Ausnahme. Obwohl das Nomen radio auf einem -o endet und Substantive auf -o der spanischen Regel fur¨ die Deter- minantenableitung zufolge normalerweise den m¨annlichen Artikel el tragen (RAE 2009a: 2.3d), ist der weibliche Artikel la radio im Standardspanischen korrekt (ebd.: 2.3e). In Zentralamerika, der Karibik und den Antillen wird der maskuline Artikel fur¨ das Substantiv radio verwendet (ebd.) und auch im paraguayischen Spanisch sind vom Standardspanischen abweichende Determinanten nicht untypisch (s.o.), daher k¨onnte die Determinantenwahl MLs auf einen Einfluss des paraguayischen Spanisch hindeuten. Allerdings handelt es sich um eine naheliegende Analogiebildung, die in vielen spanischen Variet¨aten dokumentiert ist, so dass ein Einfluss des regionalen Sprachgebrauchs nicht zwingend vorliegt. Material in Satz drei ist ein auf -l endendes Nomen, dem somit nicht direkt ange- sehenwerdenkann,obesdenm¨annlichen oder weiblichen Artikel tragen muss. Es gibt im Spanischen sowohl auf -l endende Substantive, die einen m¨annlichen Artikel tragen, als auch solche, die den weiblichen Determinanten fuhren.¨ Hier kann nur eine genaue Kenntnis des betreffenden Nomens helfen, um den korrekten Artikel w¨ah- lenzuk¨onnen. Material tr¨agt im Spanischen den m¨annlichen Artikel (RAE 2009a:

200 12.1 Determinanten

2.5q). Im Falle von FI sollte allerdings nicht unerw¨ahnt bleiben, dass es sich bei ihr um eine der jungeren¨ Befragten handelt, die in ihrem Alltag regelm¨aßig Spanisch spricht und seit dem Vorschulalter Kontakt mit dem romanischen Idiom hat - auch wenn Hochdeutsch diejenige Sprache ist, in der sie nach eigener Aussage denkt und die sie bevorzugt spricht, vor allem im privaten Bereich.

Bei pa´ıs handelt es sich um ein Nomen, das auf -s endet, so dass bei diesem Substantiv wiederum keine spanische Determinantenregel greift - vielmehr muss auch dieses Nomen gekannt werden, um den korrekten Artikel verwenden zu k¨onnen. Wie bei Substantiven, die auf -l enden, so existieren im Spanischen sowohl m¨annliche als auch weibliche Nomen, die auf -s enden. MO verwendet im Gegensatz zu FI und ML im Verlaufe des Interviews wiederholt den falschen Artikel la pa´ıs (RAE 2009a: 2.3j).

Im paraguayischen Spanisch kommt es zwar h¨aufig zu Abweichungen der im Stan- dardspanischen ublichen¨ Artikel (s.o.), allerdings konnten keine expliziten Belege fur¨ die Nomen material und pa´ıs ermittelt werden. Daruber¨ hinaus kommt es im Zuge des Sprachkontakts gelegentlich vor, dass Unsicherheiten in Bezug auf die Ver- wendung der Artikel entstehen; dies ist z.B. bei den deutschen Auswanderern nach Russland und in die Ukraine der Fall (s.o.).

Hinzu kommt, dass bereits Scharf unter den Mennoniten in Uruguay einen ge- legentlichen Fehlgebrauch der Determinanten feststellte (s.o.). Da die von Scharf befragten Mennoniten ebenfalls hoch- oder niederdeutsche Muttersprachler waren, k¨onnte es sich um eine typische Besonderheit von Lernern einer Fremdsprache han- deln. Grunds¨atzlich ist das sicher m¨oglich, im vorliegenden Fall handelt es sich aber bei FI um eine Sprecherin, die vergleichsweise gut in die spanischsprachige Gesell- schaft integriert lebt und bereits als Kind Spanisch lernte. Eine m¨ogliche Hypothese ist hier der Einfluss des paraguayischen Spanisch. ML ist eine ¨altere Sprecherin, die wenig Spanisch verwendet, bei ihr kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich nach wie vor in einem Lernerstatus befindet und eine Art interlanguage spricht, die sich durch unsicheren Artikelgebrauch zeigt. Auch fur¨ MO ist Plautdietsch die erste Sprache und sie spricht Spanisch nach eigener Aussage nur im Notfall. Im Plautdiet- schen wird bei den Determinanten im Singular zwischen maskulin und feminin nicht unterschieden, fur¨ beides gilt der Artikel dee (s.o.). Allerdings ist launt ( Land“) im ” Plautdietschen Neutrum und tr¨agt daher den Determinanten daut (Siemens 2012: 147). Ein Transfer aus der Muttersprache ist also nicht naheliegend. So ist es auch bei MO m¨oglich, dass sie eine interlanguage spricht. Nichtsdestotrotz kann sowohl bei MO als auch bei ML der Einfluss des paraguayischen Spanisch nicht ausgeschlossen werden.

201 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

12.1.2 Bolivien In Bolivien konnten in Bezug auf die Verwendung der bestimmten und unbestimmten Determinanten folgende Beobachtungen gemacht werden:

1. AS: Bolivia es una pa´ıs.

2. RO:Megusta[...]alem´an.

3. AN: Me ha ido a [. . . ] escuela.

4. AN: Cuando fue al iglesia.

5. PD:Esimportante[...]castellano.

6. MR: Elvino[...]´´ ultimo a˜no.

7. AM: Es una rolla.

8. AM: Yo tengo un foto en mi mente.

9. WI: Es una pa´ıs.

10. RU: De la gobierno.

11. AS: En la casa.

Bei AS und WI, die Plautdietsch als erste Sprache sprechen, kann der gleiche Artikelfehler festgestellt werden, der in Paraguay bei MO auch aufgefallen war: Alle verwenden den weiblichen Determinanten fur¨ das m¨annliche Substantiv pa´ıs. Bei keinem weiteren auf -s endenden Substantiv konnte ein ¨ahnliches Sprachverhal- ten festgestellt werden. Im Hochland Boliviens ist abweichender Determinantenge- brauch ebenfalls charakteristisch, das Tiefland hat m¨oglicherweise Ahnlichkeiten¨ mit dem Spanischen Paraguays; diese Umst¨ande legen die Schlussfolgerung nahe, dass die befragten Mennoniten hinsichtlich des Artikelgebrauchs Einflusse¨ des regionalen Spanisch zeigen. Da aber kein Beleg explizit fur¨ das Nomen pa´ıs mit einem weibli- chen Determinanten ermittelt werden konnte, k¨onnte diese Abweichung auch auf den deutsch-spanischen Sprachkontakt hinweisen. Die Substantive fuhrenindenbeiden¨ Sprachen nicht dasselbe Geschlecht, so dass es zu Verwechslungen kommen kann. AN h¨atte korrekterweise sagen mussen:¨ Yofuialaescuela(RAE 2009a: 14.3g). Im Spanischen ist der Determinant unentbehrlich. Das Substantiv iglesia erh¨alt bei AN einen maskulinen Artikel. Das plautdietsche Aquivalent¨ Tjoatj ( Schule“) tr¨agt, wie ” im Hochdeutschen, einen femininen Artikel (Siemens 2012: 143). Allerdings wird im Plautdietschen lediglich das Substantiv nach feminin und maskulin unterschieden, die Artikel sind identisch (s.o.). Es ist daher m¨oglich, dass diejenigen Sprecher, die die

202 12.1 Determinanten niederdeutsche Variet¨at als Muttersprache haben, aufgrund der gleichlautenden Ar- tikel im Plautdietschen auch Schwierigkeiten haben, el und la im Spanischen korrekt zuzuordnen. AN kam in Santa Cruz zur Welt und besuchte das Colegio Concordia in Pail´on. Dort genoss sie Spanischunterricht; dass sie eine interlanguage spricht, ist somit zwar nicht ausgeschlossen, wurde¨ aber deutlich machen, dass bei AN trotz des Unterrichts und auch trotz der Lebensumst¨ande in einem spanischsprachigen Land Unsicherheiten in Bezug auf den Artikelgebrauch bestehen. RU verwendet fur¨ das Substantiv gobierno den weiblichen Artikel la, obwohl es sich um ein regelm¨aßiges Nomen handelt, das aufgrund der Endung auf -o den m¨annlichen Determinanten el tragen musste.¨ Dass im bolivianischen Spanisch fur¨ das Nomen gobierno ein abweichender Determinant verwendet wird, ist nicht be- kannt. RU spricht Plautdietsch als erste Sprache und die Ubersetzung¨ ist Rejierinj, das, wie im Hochdeutschen, feminin ist (Siemens 2012: 142). Der Transfer aus der Muttersprache bei RU ist somit m¨oglich. AM verwendete den Artikel un fur¨ das Substantiv foto. Da dieses Nomen auf -o endet, k¨onnte davon ausgegangen werden, dass es sich um eine regelm¨aßige Verwen- dung des m¨annlichen Artikels handeln musste,¨ jedoch ist foto eine Abkurzung¨ fur¨ fotograf´ıa, ein Substantiv, das auf -a endet und daher auch den weiblichen Artikel una fuhren¨ muss. Außerdem nutzte AM die Redewendung es una rolla, die in dieser Form nicht existiert. Stattdessen gibt es aber die Redewendung es un rollo (rae.es); rollo tr¨agt einen m¨annlichen Determinanten. Hier hat AM die Endung sowohl fur¨ den Artikel als auch fur¨ das Nomen selbst offenbar verwechselt. Dies stellt jedoch insgesamt bei den Befragungen eine Ausnahme dar. MR verwendet die Satzkonstruktion ´el vino [. . . ] ultimo´ a˜no; auch hier ist der be- stimmte Artikel el im Spanischen korrekterweise unentbehrlich (RAE 2009a: 14.8q). Ein Einfluss der deutschen Sprache kann hier nicht ausgeschlossen werden; zumindest im Hochdeutschen ist die Entsprechung: Er kam letztes Jahr. Es wird kein Artikel verwendet (Duden 2013: 163). Von einer ¨ahnlichen Konstruktion im Plautdietschen ist aufgrund der sehr ¨ahnlichen Verwendung von Adjektiven in den beiden Sprachen auszugehen. Schließlich nutzte AS noch die Konstruktion en la casa (ßu Hause”). Auch hier ist der bestimmte Determinant im Standardspanischen nicht ublich¨ (RAE 2009b: 29.8a). Ein Einfluss des Deutschen, oder in seinem Fall auch des Englischen, denn AS wuchs in Kanada auf, ist nicht erkennbar. Mit Ausnahme von AS, der nach eigener Aussage sehr regelm¨aßig Kontakt mit dem Spanischen hat, werden die Auff¨alligkeiten eines hinzugefugten,¨ falschen oder fehlenden Artikels uberwiegend¨ bei denjenigen Befragten beobachtet, die sehr wenig Spanisch sprechen und diese Sprache auch erst relativ sp¨at erlernt haben. Letzteres trifft allerdings auch auf AS zu, der in der weiterfuhrenden¨ Schule Kenntnisse des romanischen Idioms erlangt hat und als Schulleiter des Colegio Villa Nueva t¨aglich Kontakt mit spanischsprachigen Kollegen hat. Bei wenigen Substantiven kann ein

203 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

Einfluss der deutschen bzw. plautdietschen Muttersprache der Mennoniten vermutet werden (z.B. RU: gobierno/Rejierinj ). Insgesamt sind Abweichungen im Determinantenbereich bei den Interviewteilneh- mern in Bolivien etwas h¨aufiger festzustellen als dies bei ihren Glaubensbrudern¨ in Paraguay der Fall ist. Dies kann daran liegen, dass sie h¨aufiger Plautdietsch als Hochdeutsch als erste Sprache haben und damit m¨oglicherweise mehr Schwierigkei- ten aufweisen, zwischen maskulin und feminin in der Artikelwahl zu differenzieren. Grunds¨atzlich haben die Wiedert¨aufer aus Paraguay mehr Kontakt zu Spanischspra- chigen als jene, die in Bolivien leben. Sie haben daher auch h¨aufiger die Gelegenheit, ihre Kenntnisse zu erweitern und zu festigen. Viele von ihnen begannen daruber¨ hin- aus bereits im Vorschulalter, Spanisch zu erlernen. In Bolivien ist dies unter den fur¨ diese Arbeit befragten Sprechern die Ausnahme. Daher ist das Ergebnis erwartbar. Die Beobachtung Scharfs, dass es eine Tendenz zu einem Fehlgebrauch der spani- schen Artikel unter den Mennoniten kommt (s.o.), kann mit dieser Arbeit daher best¨atigt werden.

12.2 Flexionen

Scharf konnte in seiner Untersuchung zeigen, dass Schwierigkeiten hinsichtlich der spanischen Verbflexionen unter den Mennoniten h¨aufig vorkommen (s.o.). Auch in den hier vorliegenden Daten sind Belege fur¨ das Ph¨anomen dokumentiert.

Paraguay Im Folgenden werden Besonderheiten aufgezeigt, die bei den Verbflexio- nen der in Paraguay aufgenommenen Interviews zu beobachten sind:

1. VA: Yo aprende alem´an con cinco anos.

2. VA: La gente hablan Plautdietsch.

3. ML: Muchas gente hablan dialecto.

4. ML: Nosotros no escuchan radio.

5. ML: Nosotros descubren al otro idioma.

6. MO: Desde que tengo ni˜nos no viaje.

7. EG: Me gusto la cultura alemana.

8. EG: Me gusto la lengua.

9. EG: Yo me acostumbre r´apidamente.

10. FI: La mayor´ıa son menonitas.

204 12.2 Flexionen

11. RY: Ella nac´ı en Montevideo.

12. FE: Tengo amigos que habla espa˜nol.

13. CA: La familia van entender.

Es ist zun¨achst auff¨allig, dass tats¨achlich fast alle Befragten Flexionsfehler bege- hen, unabh¨angig davon, wann sie begonnen haben, Spanisch zu erlernen und wie intensiv ihr Kontakt mit Spanischsprachigen nach eigener Aussage ist. Es ist in bei- den fur¨ diese Arbeit relevanten L¨andern eine besonders h¨aufig vorkommende mor- phosyntaktische Auff¨alligkeit. Besonders oft zeigten sich Flexionsfehler, wenn der Sprecher in der 1. Pers. Sg. (yo) sprach (VA, EG, FE). Sowohl im Plautdietschen als auch im Hochdeutschen werden Verben nach Person, Numerus und Genus konjugiert (s.o.). Schwierigkeiten zeigen sich bei vielen Sprechern auch mit dem Nomen gente (VA, ML), dem im Standardspanischen ein Verb in der 3. Pers. Sg. folgt (DRAE 2012: rae.es). Mennoniten verwenden fast durchg¨angig die 3. Pers. Pl. Hier dr¨angt sich die Vermutung auf, dass es sich um den Einfluss der deutschen Sprache handelt, da es heißt: Die Leute sprechen Spanisch. Leute wird im Deutschen von einem Verb in der 3. Pers. Pl. gefolgt. VA und ML sprechen zwar uberwiegend¨ Plautdietsch, aufgrund der sehr ¨ahnlichen Verwendung der Verben wie im Hochdeutschen ist davon auszugehen, dass es in der niederdeutschen Variet¨at eine vergleichbare Konstruktion gibt,diedie3.Pers.Pl.erfordert. Anders verh¨alt es sich bei dem Substantiv mayor´ıa in Satz zehn; la mayor´ıa folgt im Spanischen ein Verb in der 3. Pers. Sg. (DRAE 2012: rae.es), im Deutschen allerdings auch, so dass hier der Einfluss der Muttersprache nicht naheliegend ist. Ebenso ist es mit la familia (Satz 13), ein Nomen, dem sowohl im Deutschen als auch im Spanischen ein Verb in der 3. Pers. Sg. folgt. Es wird somit die Tendenz deutlich, dass die 3. Pers. Pl. gew¨ahlt wird, wenn das Substantiv fur¨ eine Menge steht. ML verwendet im vierten und funften¨ Satz das Pronomen der 1. Pers. Pl., die Verbflexion jedoch entspricht der 3. Pers. Pl. RY h¨atte die 3. Pers. Sg. im indefinido benutzen mussen.¨ Die von ihm gew¨ahlte Verbendung ist diejenige der 1. Pers. Sg. RY spricht viel und regelm¨aßig Spanisch, so dass die Verwechslung bei ihm uberraschend¨ ist. Aufschlussreich sind auch die Konstruktionen von EG in den S¨atzen sieben und acht: W¨ahrend des Gespr¨achs verwendet EG mehrfach me gusto, es musste¨ jedoch me gusta heißen, weil das Verb sich nicht auf die sprechende Person, sondern auf das nachfolgende Subjekt bezieht (DRAE 2012: rae.es). Die Konstruktion ist im Deutschen ¨ahnlich: Mir gef¨allt die deutsche Kultur, so dass auf den ersten Blick ein Einfluss der Muttersprache nicht zu vermuten ist. M¨oglich ist aber auch die Wendung ich mag die deutsche Kultur; hier bezieht sich das Verb auf den Sprecher. Wenn EG

205 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen diese Konstruktion im Kopf hatte, ist ein Einfluss der Muttersprache naheliegend. Besonders interessant ist diese fehlerhafte Flexion deshalb, weil es sich bei dem Verb gustar zum einen um ein Verb handelt, das generell sehr h¨aufig verwendet wird und es daher zu erwarten w¨are, dass es hinreichend bekannt ist, und zum anderen hatte gerade EG bereits sehr fruh¨ Unterricht in der spanischen Sprache und hat daruber¨ hinaus nach eigener Aussage sehr viel Kontakt mit dem romanischen Idiom. Er sch¨atzt seine Sprachkompetenz entsprechend hoch ein. Flexionsfehler kommen, wie gezeigt werden konnte, bei den in Paraguay lebenden Mennoniten vor und deuten auf allgemeine Schwierigkeiten in der Verbkonstruktion hin. Die von Scharf aufgezeigte Tendenz hinsichtlich der Verbflexionen kann folglich in dieser Arbeit untermauert werden. Daruber¨ hinaus hatte Scharf festgestellt, dass es uberwiegend¨ Frauen sind, die Abweichungen bei den Verbflexionen aufweisen. In dem fur¨ diese Arbeit ausgewerteten Sprachmaterial aus Paraguay sind die Ab- weichungen jedoch bei den m¨annlichen und weiblichen Befragten ausgeglichen. Da es sich aber, anders als in dem Sampel aus Uruguay, um Mennoniten handelt, die vielfach in der Hauptstadt Paraguays verkehren, wo zumindest die jungeren¨ Frauen mehr Kontakt mit Spanischsprachigen haben als diejenigen, die isoliert in einer uru- guayischen Kolonie leben und wenig mit den spanischdominierten Ballungsgebieten in Beruhrung¨ kommen, m¨ogen daher Unterschiede bestehen.

Bolivien Bei den in Bolivien befragten Wiedert¨aufern sind die Schwierigkeiten der Flexionsbildung noch deutlicher zu erkennen:

1. MR: Yo trabaja con ni˜nos.

2. MR: Yo habla alem´an.

3. MR: Mi marido y yo hablan.

4. MR: Nosotros escucha mucho.

5. MR: Cuando los hijos no entiende.

6. MR: Yo no poder escribir.

7. MR: Yo piensa que es diferente.

8. AB: Yo habla alem´an.

9. AB: Los menonitas no sabe.

10. AB: Yo tener colegio en alem´an.

11. AB: Muchos menonitas tiene problemas.

206 12.2 Flexionen

12. AS: Yo habla espa˜nol.

13. AS: Yo trabaja con ganader´ıa.

14. AS: Yo puede ganar.

15. AS: Los menonitas no puede entender.

16. AR: Yo habla alem´an bajo.

17. PD: [Yo] escribe los dos lenguas.

18. SU: Nosotros ten´ıan un campo.

19. SU: Yo vive aqu´ı.

20. SU: Yo habla alem´an.

21. SU: Son tres colegios que tiene el idioma.

22. SU: [Yo] no conoce Alemania.

23. SU: Los ni˜nos no sabe.

24. SU: Ellos pienso es dif´ıcil.

25.SU:Yonotieneinteresseparaaprender.

26. SU: [Yo] naci´oaqu´ı.

27. MA: Yo hablar no tanto.

28. AB: [Yo] empez´o trabajar.

29. AB: Si Usted tienes un trabajador.

30. AB: La mayor´ıa son alem´an.

31. AB: Yo no conoce Alemania.

32. WI: Aprender m´as cuando yo trabajo.

33. WI: Yo conoce algunos menonitas.

34. WI: Me gusta sus canciones.

35. RU: Yo tiene cuatro hermanos.

36. RU: Nosotros aprende en la escuela.

207 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

37. RU: Los menonitas que tiene contacto.

38.RU:Yonoescuchemuchonoticia.

39. RU: Yo no tiene televisor.

40. RL: [Yo] solo leer peri´odicos.

41. RL: Nosotros trabajar lo que podemos hacer.

42. AR: En cada pa´ıs pase esto.

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass die in Bolivien lebenden Mennoniten ausgepr¨agte Schwierigkeiten hinsichtlich der spanischen Verbflexionen haben. Auf- fallend h¨aufig verwendeten viele die Verbendung der 3. Pers. Sg., wenn sie jedoch die 1. Pers. Sg. meinen (in den Beispielen 2, 7, 8, 12, 13, 14, 16, 17, 19, 20, 22, 25, 26, 28, 31, 35, 38, 39). Es handelt sich ausschließlich um jene Sprecher, die die spa- nische Sprache nach M¨oglichkeit meiden und keinen Unterricht genossen, sondern Spanisch anhand von Buchern¨ und durch Sprachkontakt erlernten. Scharf stellt bei seinen in Uruguay befragten Informanten bereits eine uberproportionale¨ H¨aufigkeit der Verbendung in der 3. Pers. Sg. fest (s.o.). Die Datenlage fur¨ diese Untersuchung untermauert diese Feststellung. Nicht selten wird das verwendete Verb auch gar nicht flektiert, sondern einfach im Infinitiv genutzt (in den S¨atzen 6, 10, 27, 32, 40, 41). Bemerkenswert sind hier wiederum die offensichtlichen Schwierigkeiten von RL in den Beispielen 40 und 41; er ist ein vergleichsweise junger Mennonit und hat regelm¨aßig Kontakt mit dem ro- manischen Idiom. Daruber¨ hinaus kommt es vor, dass die 1. Pers. Pl. die Verbflexion der 3. Pers. Sg. oder der 3. Pers. Pl. tr¨agt (in den Beispielen 4, 18, 36). AR und RU verwenden außerdem vereinzelt Flexionen, die allenfalls im subjuntivo korrekt w¨aren (Satz 38 escuche, Satz 42 pase); es kann aber aufgrund des Satzinhalts nicht davon ausgegangen werden, dass sie diesen tats¨achlich verwenden wollten. Ab- gesehen davon vermeiden sie den subjuntivo sonst ganz. Naturlich¨ gibt es auch im Deutschen Verbflexionen, sie weisen jedoch keine offensichtlichen Ahnlichkeiten¨ mit denjenigen des Spanischen auf. Die im Spanischen und Deutschen kontrastiven Ver- bendungen machen den Befragten offenbar Schwierigkeiten. Dass h¨aufig die 3. Pers. Sg. verwendet wird, auch wenn diese nicht gemeint ist, deutet auf eine Simplifizie- rung des Spanischen hin: Die Flexionen sind bei den Sprechern nicht automatisiert und werden daher auf wenige reduziert. Fehlende bzw. reduzierte Verbflexionen sind ein typisches Merkmal von Simplifizierung (s.o.). Dass die meisten Interviewten aber uberhaupt¨ flektieren, deutet darauf hin, dass ein grunds¨atzliches Bewusstsein fur¨ die- se morphosyntaktische Kategorie besteht. Wahrscheinlich ist dies der Fall, weil es dieses Ph¨anomen in der Muttersprache der Mennoniten auch gibt.

208 12.2 Flexionen

MA, WI und RL konjugieren die spanischen Verben hingegen gar nicht und ge- h¨oren zu den Sprechern, die stattdessen den Infinitiv verwenden (MA: Yo hablar, WI: aprender m´as cuando yo trabajo,RL:yo solo leer peri´odicos). Hier liegt eine noch deutlichere Simplifizierung nahe; es k¨onnte vermutet werden, dass die Spre- cher die Verbflexionen noch nicht automatisiert bzw. verinnerlicht haben. WI ist eine Mennonitin, die wenig Spanisch spricht und sich ihre Kenntnisse durch Sprach- kontakt aneignete - bei ihr ist eine so weitgehende Simplifizierung, dass sie h¨aufig uberhaupt¨ nicht konjugiert, nicht uberraschend.¨ RL hingegen erlernte Spanisch zwar auch durch Sprachkontakt, spricht aber nach eigener Aussage mittlerweile auch be- ruflich viel Spanisch. Bei ihm ist die Simplifizierungstendenz daher bemerkenswert. MA ist noch eine sehr junge Sprecherin, die das Colegio Villa Nueva besuchte. Da sie Spanischunterricht genoss, w¨are auch bei ihr die fehlende Verbflexion nicht zu erwarten und deutet zum einen auf geringen Sprachkontakt hin, zum anderen aber auch darauf, dass der Spanischunterricht an der Schule in Pail´on m¨oglicherweise nicht sehr intensiv ist. MA k¨onnte somit ein Beispiel dafur¨ sein, dass sich die Spa- nischkenntnisse der heranwachsenden Generation der Mennoniten Boliviens, selbst wenn sie in Santa Cruz leben, nicht fl¨achendeckend verbessern. An den oben stehenden Beispielen kann vielfach, z. B. bei SU, PD, RU und RL, auch bereits belegt werden, dass die Tendenz zur Nutzung im Spanischen redundan- ter Personalpronomen besteht. Ohne die Nutzung der Personalpronomen k¨onnten die Außerungen¨ der Wiedert¨aufer aber h¨aufig zu Verst¨andnisproblemen fuhren,¨ da die verwendeten Verbflexionen nicht zu der gemeinten Person passen (SU: yo vive aqu´ı, yo habla alem´an,RL:Nosotros trabajar, yo solo leer,RU:Yo no tiene televisor, PD: Yo escribe los dos lenguas). Die jungeren¨ Befragten in Bolivien haben kaum Schwierigkeiten mit der korrekten Flexion der Verben, wohingegen die Alteren¨ erhebliche Probleme in diesem Bereich zeigen. Dies kann erneut ein Hinweis darauf sein, dass die jungeren¨ Mennoniten sich verst¨arkt integrieren und ihre Kenntnisse des Spanischen intensivieren, aber dies gilt nicht ohne Ausnahme, wie bei MA beobachtet werden konnte. Die jungeren¨ Befrag- ten leben mehrheitlich in Santa Cruz oder sehr nahe der Metropole, die Alteren¨ hingegen verbringen mehr Zeit in den Kolonien. Auch dies ist sicher ein Grund fur¨ den Unterschied hinsichtlich der kompetenten Nutzung von Flexionen. In den Beispielen werden die spanischen Vokabeln ser bzw. tener mit dem hier not- wendigen hay verwechselt. Besonders bei den Verwechslungen, in denen ser genutzt wird, ist, wie bereits in Paraguay gesehen, der deutsche Einfluss wahrscheinlich: Dort sind drei Schulen (Duden 2013: 130). RU nutzt das Verb aprender und verwechselt m¨oglicherweise innerhalb des Satzes den lernenden Schuler¨ mit der unterrichtenden Institution. Es ist offensichtlich geworden, dass sowohl in Paraguay als auch in Bolivien unter den ¨alterenMennoniten,dienochkeinSpanischinderfruhen¨ Kindheit erlernten, die Verbflexionen im Spanischen h¨aufig nicht korrekt sind und ihnen Probleme bereiten.

209 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

In Bolivien ist dies jedoch im Vergleich zu Paraguay deutlich verst¨arkt, m¨oglicher- weise schlicht deswegen, weil die Wiedert¨aufer in Paraguay intensiver integriert sind und generell mehr Kontakt mit Spanischsprechern haben. Die jungeren¨ Interview- teilnehmer verwendeten in beiden betreffenden L¨andern in der Regel, jedoch nicht grunds¨atzlich, die korrekten Flexionen.

12.3 Differenzierung von ser, estar, hay und tener

Die Unterscheidung von ser und estar f¨allt deutschsprachigen Spanischlernern oft schwer, da es in der Grammatik ihrer Muttersprache keine Entsprechung gibt. Auch hay und tener auseinander zu halten, kann problematisch sein. Die befragten Men- noniten zeigten hier keine sehr großen Schwierigkeiten, einige Beispiele sind aber dennoch im Datenmaterial dokumentiert.

Paraguay In Paraguay stellen sich die Beispiels¨atze dieser Kategorie wie folgt dar:

1. VA: Mis padres est´an de Paraguay.

2. VA: Soy ac´a.

3. ML: La gente es trabajando.

4. MO: En la colonia son ya m´as que tres iglesias.

Sowohl das deutsche sein, als auch die spanischen Entsprechungen ser/estar k¨on- nen sowohl Voll-, als auch Hilfs- oder Kopulaverben sein (Cartagena & Gauger 1989: 442). Inh¨arente Eigenschaften werden im Spanischen dem Verb ser zugeordnet, bei Angaben einer T¨atigkeit bzw. anderen vorubergehenden¨ Zust¨anden sowie des Auf- enthaltsorts einer Person oder Sache ist hingegen estar zu verwenden (ebd.). VA ist eine Sprecherin, die sich erst seit kurzem intensiv mit der spanischen Spra- che auseinandersetzt und die Unterscheidung von ser/estar offenbar noch nicht au- tomatisiert hat. Im ersten von ihr stammenden Satz handelt es sich um die Herkunft ihrer Eltern, die inh¨arent ist, daher w¨are ser korrekt gewesen. Im zweiten Satz wollte VA ausdrucken,¨ wo sie sich befindet, also einen vorubergehenden¨ Zustand angeben, hier w¨are estar richtig gewesen. Der dritte von ML wiedergegebene Beispielsatz unterscheidet sich von den beiden vorangehenden insofern, als dass ML eine Verbal- periphrase bilden wollte, die einen Zustand beschreibt (estar+gerundio) (Cartagena & Gauger 1989: 455). Die Mennoniten bildete das Gerundium hier jedoch mit ser anstelle des korrekten estar.MListeine¨altere Sprecherin, die keinen Spanischun- terricht genoss, sondern durch Sprachkontakt lernte. Im vierten Beispielsatz wollte MO ausdrucken,¨ dass es bereits mehr als drei Kirchen in ihrer Kolonie gebe. Das Vorhandensein von Personen und Sachen wird im Spanischen mit dem Verb haber

210 12.3 Differenzierung von ser, estar, hay und tener wiedergegeben (Vera Morales 2008: 385). Korrekt w¨are daher gewesen: En la colonia hay ya m´as que tres iglesias. MO kommt allerdings nicht h¨aufig von der Kolonie, in der sie lebt, nach Asunci´on und spricht daher auch selten Spanisch; sie lernte es allerdings bereits in der Schule. Bei den in Paraguay befragten Mennoniten finden sich wenige Beispiele, die auf Schwierigkeiten bei ser und estar, haber und tener hindeuten. Die Mehrheit der Sprecher hat die spanische Grammatik in Bezug auf die Benutzung dieser Verben offenbar automatisiert.

Bolivien Im Folgenden werden die Beispiels¨atze der bolivianischen Interviewten fur¨ diese Kategorie aufgefuhrt:¨

1. AR: Espa˜nol est´aimportante.

2. SU: Son tres colegios que tiene ense˜nan el idioma.

3. SU: Ten´ıa problemas.

4. AK: Tiene mucha comunidad.

5. WI: Nada es ac´a.

6. WI: Mi esposo es m´as interesse.

Im ersten Satz traf AR eine allgemeine Aussage daruber,¨ dass Spanisch, zumindest in Bolivien, generell wichtig sei. Es handelt sich um einen inh¨arenten Zustand, der das Verb ser erfordert h¨atte. SU druckte¨ im zweiten Beispielsatz das Vorhandensein einer Sache aus und h¨atte sich korrekterweise fur¨ hay bzw. hab´ıa entscheiden mussen.¨ Auch im dritten Satz, mit dem sie ausdrucken¨ wollte, dass es Probleme gab, w¨are hay im Standardspanischen richtig gewesen, sie verwendete in diesem Beispielsatz stattdessen tener, sie konjugierte es aber zumindest korrekt. SU brachte sich Spa- nisch mithilfe von Buchern¨ selbst bei; dass sie hay zwei Mal mit unterschiedlichen Alternativen wiedergibt, kann daraufhin deuten, dass sie ihr nicht gel¨aufig ist und sie daher auf andere, ihr bekannte W¨orter ausweicht. Bei AK verh¨alt es sich im vierten Satz sehr ¨ahnlich. Sie wollte sagen: Es gibt einen großen Zusammenhalt.Auchhier w¨are die Wahl des Verbs hay korrekt gewesen. AK spricht allerdings h¨aufig Spanisch und hat regelm¨aßig Sprachkontakt, eine Verwechslung der W¨orter ist bei ihr daher uberraschender.¨ WI wiederum ist eine Sprecherin, die selten und ungern Spanisch spricht. In Satz sechs verwechselte sie offenbar ser und tener, denn sie wollte aus- drucken:¨ Mein Mann interessiert sich mehr dafur¨ . Abgesehen von der Verwechslung der Verben ist hier auch ein Transfer des Nomens aus dem Deutschen zu erkennen, denn WI nutzt Interesse anstelle des im Spanischen korrekten inter´es.

211 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

Auch in Bolivien sind vergleichsweise wenige Verwechslungen und Schw¨achen bei der Verwendung der Verben ser, estar, haber und tener zu erkennen. Einige wenige Sprecher zeigen vereinzelt Auff¨alligkeiten, aber insgesamt scheinen auch die bolivia- nischen Interviewten die spanische Grammatik in dieser Hinsicht automatisiert zu haben.

12.4 Modus

In Bezug auf einen inkorrekten Modus ist lediglich ein Beispiel aus Paraguay doku- mentiert. Dies sollte aber nicht bedeuten, dass die Befragten keine Schwierigkeiten hinsichtlich der spanischen Modi haben; vielmehr verwenden sie nach M¨oglichkeit Konstruktionen, die den Indikativ erfordern, und vermeiden sowohl den subjuntivo als auch das Konditional. Einige flektieren auch gar nicht und simplifizieren, indem sie den Infinitiv verwenden.

MO:Simishijosser´ıan feliz.

Es handelt es sich um einen Konditionalsatz II, der sich auf ein potenzielles Ereignis in der Zukunft bezieht. MO sprach daruber,dassesf¨ ur¨ ihre Kinder sp¨ater m¨oglich w¨are, einen nicht-mennonitischen Ehepartner zu w¨ahlen. Sie bejahte dies mit der Einschr¨ankung: Wenn meine Kinder glucklich¨ w¨aren. Im Deutschen steht in dieser Konstruktion der Indikativ, im Spanischen hingegen ist der subjuntivo imperfecto zu w¨ahlen (Cartagena & Gauger 1989: 377): Si mis hijos fueran felices.MOver- wendet das Konditional; sie lernte bereits in der Schule Spanisch, außerdem f¨ahrt sie ¨ofter nach Asunci´on, wo sie m¨oglicherweise gelegentlich Sprachkontakt mit Mut- tersprachlern hat. Allerdings verbringt sie die meiste Zeit in der Kolonie, in der sie lebt, und spricht dort ausschließlich eine deutsche Variet¨at, außerdem verwendet sie nach eigener Aussage nicht sehr gern Spanisch. Hinzu kommt, dass sie w¨ahrend des freien Interviews außer der hier genannten Ausnahme praktisch keine anderen Modi als den Indikativ verwendete. Daher ist die Schlussfolgerung naheliegend, dass sie in Bezug auf die Verwendung des subjuntivo unsicher ist.

12.5 Tempora

DesWeiterenzeigensichindemSprachmaterialBelegedafur,¨ dass die Befragten nicht immer das im Standardspanischen zu erwartende Tempus verwenden. Wie be- reits bei einigen anderen morphosyntaktischen Ph¨anomenen gesehen werden konnte, ergeben sich fur¨ die Interviewten in Paraguay und Bolivien unterschiedliche Ergeb- nisse.

212 12.5 Tempora

Paraguay Auff¨allige Temporaverwendungen, die in Paraguay dokumentiert werden konnten, stellen sich wie folgt dar:

1. EG: Siempre voy a revisarlos.

2. MA: Vine al colegio.

3. DM: Estaba en Fresno el a˜no pasado.

4. CA: En 2009 estaba seis semanas en Alemania.

EG gibt im ersten Beispielsatz an, dass er regelm¨aßig grammatikalische Regeln des Spanischen nachliest, wenn er etwas vergessen zu haben scheint oder sich unsicher ist. Er verwendet dazu das analytische Futur, das an dieser Stelle nicht passend erscheint, da er von einer Situation spricht, die in regelm¨aßigen Abst¨anden eintritt. Entsprechend dem Satzzusammenhang w¨are daher die Verwendung des Pr¨asens die naheliegendere Option gewesen. M¨oglicherweise wollte EG betonen, dass er auch in Zukunft bei Unsicherheiten immer in einer einschl¨agigen Grammatik nachlesen werde, oder er hat die deutsche Wendung ich gehe es immer nachschauen gerade im Kopf. MA hingegen verwendet das indefinido fur¨ eine Handlung, die in der Vergangen- heit fur¨ ein l¨anger anhaltenden Zeitraum regelm¨aßig stattgefunden hat (sie sprach davon, dass sie mehrere Jahre lang eine Schule besucht hatte). Um derartige Um- st¨ande auszudrucken,¨ wird im Standardspanischen ublicherweise¨ das imperfecto ver- wendet (RAE 2009a: 23.10a). Das indefinido hingegen bezeichnet einmalige Hand- lungen, die in der Vergangenheit liegen (ebd.: 23.9a) und erscheint daher in dem von MA gew¨ahlten Zusammenhang nicht passend. MA erlernte Spanisch bereits in der Schule und studierte auch an einer spanischsprachigen Universit¨at in Asunci´on. Allerdings spricht er im privaten Umfeld Deutsch und in seiner Muttersprache gibt es lediglich das Pr¨ateritum, das Perfekt und das Plusquamperfekt (dies ist sowohl fur¨ das Hochdeutsche als auch fur¨ das Plautdietsche zutreffend), um in der Ver- gangenheit liegende Vorg¨ange beschreiben zu k¨onnen; eine Unterscheidung wie im Spanischen zwischen imperfecto und indefinido existiert nicht. Es handelt sich daher um kontrastive Grammatikregeln, die MA m¨oglicherweise nicht automatisiert hat. Im Standardspanischen beschreibt das indefinido Handlungen in der Vergangenheit, die abgeschlossen sind und keinen Bezug zur Gegenwart haben. Allerdings ist es ein Charakteristikum des paraguayischen Spanisch, dass das indefinido durchaus fur¨ in der Vergangenheit liegende Ereignisse verwendet werden kann, die einen Bezug auf die Gegenwart haben, so dass das indefinido die Funktion ubernehmen¨ kann, die das perfecto im Standardspanischen hat (s.o.). M¨oglich ist, dass MA bewusst eine Verbindung von seinem Schulbesuch in die Gegenwart bildete, da er von seinem Spracherwerb und der damit verbundenen Sprachkompetenz sprach. Auch wenn er

213 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen privat uberwiegend¨ Deutsch spricht und ihm seine Muttersprache n¨aher ist, erf¨ahrt er seit seiner Kindheit Kontakt mit spanischen Muttersprachlern aus Paraguay, so dass hier der Einfluss des paraguayischen Spanisch denkbar erscheint. Hinzu kommt, dass das von MA verwendete Verb venir nicht in den Kontext zu passen scheint; naheliegender w¨are das Verb ir gewesen. Ahnlich¨ verh¨alt es sich bei der von DM gew¨ahlten Satzkonstruktion; er m¨och- te ausdrucken,¨ dass er sich einmalig sechs Wochen in Fresno aufhielt. Da es sich auch hier um eine einmalige Begebenheit handelt, w¨are im Standardspanischen die Verwendung des indefinido korrekt. Auch CA zeigt die Verwechslung zwischen indefinido und imperfecto,dennbeider Feststellung,dassereinmalfur¨ sechs Wochen in Deutschland war, w¨are dem Stan- dardspanischen zufolge ebenfalls das indefinido naheliegend. Sowohl DM als auch CA sind junge Mennoniten, die Spanisch in der Schule erlernten und am Colegio Villa Nueva unterrichten. M¨oglich ist, dass bei beiden Sprechern die deutsche Sprache, in der es anstelle des indefinido und imperfecto nur das Pr¨ateritum bzw. Perfekt gibt, derart pr¨asent ist, dass sie den aspektuellen Unterschied der Tempora im Spanischen nicht automatisiert haben, obwohl DM und CA viel Kontakt mit dem spanischen Idiom haben. Da es sich hier um zwei junge Sprecher handelt, ist dies uberraschend.¨ Bei allen drei Sprechern, die das imperfecto anstelle des indefinido verwenden, handelt es sich um jungere¨ Befragte, die nach eigenen Aussagen bereits sehr fruh¨ Kontakt mit der spanischen Sprache hatten und diese seitdem sehr regelm¨aßig ver- wenden. Die ¨alteren Befragten weisen diese Besonderheit w¨ahrend der gefuhrten¨ Gespr¨ache nicht auf, vermeiden jedoch bemerkenswerterweise generell soweit wie m¨oglich die Verwendung anderer Tempora als des Pr¨asens. ML und MR, beides ¨al- tere, weibliche Informanten, beispielsweise verwendeten w¨ahrend der Gespr¨ache fast ausschließlich das Pr¨asens; auch dann, wenn sie von Gegebenheiten der Vergangen- heit sprachen. Die Bildung und Verwendung der spanischen Tempora scheinen den befragten Mennoniten daher generell Schwierigkeiten zu bereiten - selbst dann, wenn sie die Landessprache bereits in der Schule erlernten und regelm¨aßigen Sprachkon- takt mit dem Spanischen haben.

Bolivien Bei den befragten Mennoniten in Bolivien k¨onnen in Bezug auf den Tem- pusgebrauch im Vergleich zu Paraguay noch h¨aufiger Auff¨alligkeiten festgestellt wer- den.

1. AB: Padres son rusos.

2. AB: Cuando los menonitas vienen.

3. AB: No s´equ´e pasa a algo.

4. AS: Nosotros cuando viene.

214 12.5 Tempora

5. AS: La enfermera siempre traduciendo.

6. AN: Ten´ıa unos libros.

7. AN: Me ha ido a escuela.

8. AN: Pensaba que era importante.

9. AN: Me ha ido una vez.

10. AN: Si fueron a los Estados Unidos tienen que aprender el ingl´es.

11. KA: He nacido aqu´ı.

12.KT:YonuncaidoalaUniversidad.

13. SU: Cada lunes fuimos a la iglesia.

14. NA: Mi papa nacido aqu´ı.

15. NA: Han nacido en .

16. AB: Yo tener colegio en alem´an.

Zun¨achst ist bemerkenswert, dass besonders AN (in den Beispiels¨atzen7,8,9), KA, KT und NA das spanische perfecto nutzen, obwohl nach den Regeln des Stan- dardspanischen in den von den Sprechern verwendeten Satzkonstruktionen das inde- finido h¨atte gew¨ahlt werden mussen,¨ denn es handelt sich um in der Vergangenheit liegende Ereignisse, die keinen Bezug zur Gegenwart haben. Das spanische perfecto ist dem Standardspanischen zufolge dann korrekt, wenn es sich um eine Begebenheit handelt, die zwar in der Vergangenheit liegt, jedoch fur¨ den Sprecher noch Auswir- kungen auf die Gegenwart hat (RAE 2009a: 23.7a). Dies ist in den hier vorliegenden F¨allen nicht ersichtlich, da sowohl der Prozess des Geborenwerdens als auch der des zur Schule Gehens (wenn der Sprecher erwachsen ist und dies nicht mehr zutrifft) im Sinne der spanischen Grammatik als abgeschlossen gilt und daher die Verwendung des indefinidos notwendig macht. Anders als in Paraguay ist hier der Einfluss der deutschen Muttersprache m¨oglich, da im Deutschen die Verwendung des Perfekts in den von den mennonitischen Spre- chern in Bolivien wiedergegebenen S¨atzen durchaus ublich¨ w¨are (Duden 2013: 136). Im Deutschen ist das Perfekt das in der mundlichen¨ Sprache am h¨aufigsten verwen- dete Tempus, um Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen, auszudrucken.¨ Fur¨ das Niederdeutsche gibt es Beobachtungen, dass noch immer das Pr¨ateritum dem Per- fekt vorgezogen wird (s.o.), speziell fur¨ das Plautdietsche kann dies aber nicht mit Sicherheit gesagt werden. Allerdings sind im bolivianischen Hochland Beobachtun- gen gemacht worden, dass es einen Ruckgang¨ des indefinido zugunsten des perfecto

215 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen gibt (s.o.), der zur Folge hat, dass das perfecto dort h¨aufig fur¨ in der Vergangenheit liegende Ereignisse verwendet wird, die keinen Einfluss auf die Gegenwart haben. Da NA und KA zwar auch am liebsten Deutsch sprechen, aber beruflich regelm¨aßig Kontakt mit der spanischen Sprache haben, ist bei ihnen der Einfluss des regionalen Spanisch denkbar. Die von NA und KA wiedergegebenen S¨atze k¨onnten Belege dafur¨ sein, dass das perfecto auch im Tiefland Boliviens das indefinido zuruckdr¨ ¨angt. AB vermeidet die Verwendung eines anderen Tempus als das presente grunds¨atz- lich. Er ist ein ¨alterer Mennonit, der in Mexiko geboren wurde und Spanisch im unregelm¨aßigen Kontakt mit anderen Kindern auf der Straße erlernte. Im ersten von ihm verwendeten Satz spricht er von seinen bereits verstorbenen Eltern, so dass hier das indefinido im Standardspanischen ublich¨ gewesen w¨are. Auch die Ankunft der Mennoniten allgemein in Bolivien liegt in der Vergangenheit, so dass in Satz zwei ebenso die Nutzung des indefinido korrekt gewesen w¨are. Aufgrund der m¨ogli- cherweise bestehenden Tendenz im bolivianischen Tiefland, das perfecto anstelle des indefinido zu verwenden, w¨are auch diese Vergangenheitsform denkbar, aber das pre- sente gibt den beabsichtigten Inhalt des Satzes nicht verst¨andlich wieder. Im dritten Satz spricht AB von einem noch bevorstehenden Ereignis und h¨atte sich daher fur¨ eine Futurform entscheiden k¨onnen; jedoch unterl¨asst er auch dies und bleibt beim presente, da dies die einzige Tempusform fur¨ ihn zu sein scheint, in der er sich sicher fuhlt.¨ Im Deutschen ist es nicht unublich,¨ das Pr¨asens fur¨ futurische Ereignisse zu w¨ahlen, im Spanischen hingegen ist dies zwar auch m¨oglich, aber weniger verbreitet, ein futurisch konjugiertes Verb wird bevorzugt (Cartagena & Gauger 1989: 376). In Satz 16 sprach AB von seiner Schulzeit und berichtete, dass der Unterricht auf Deutsch stattfand. Hier ist das Tempus g¨anzlich unklar und ergibt sich nur aus dem Kontext, da er gar keine Verbflexion verwendete. Obwohl AB sein ganzes Leben in einem spanischsprachigen Land verbrachte, scheinen ihm die Tempora erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten. AS verwendete in einem ¨ahnlichen Zusammenhang (er sprach von der Zeit, als die Mennoniten nach Bolivien kamen) in Satz vier das presente,obwohlauchinseiner Satzkonstruktion das indefinido notwendig gewesen w¨are. Er vermeidet ebenfalls so weit wie m¨oglich w¨ahrend des Gespr¨achs andere Zeitformen als das presente.ASlebt in einer mennonitischen Kolonie, in der er bereits geboren wurde; er spricht nur zu gesch¨aftlichen Zwecken notgedrungen Spanisch. In Satz 5 ist eine Gerundiumform zu erkennen, allerdings ohne die dazugeh¨orige konjugierte Form von estar. Zudem handelt es sich auch hier um eine regelm¨aßig wiederkehrende Handlung der Krankenschwester, die bei Ubersetzungen¨ hilft. Da- her w¨are es naheliegend gewesen, eine Pr¨asensform zu verwenden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass AS bewusst eine Gerundiumform verwendete. Grunds¨atzlich bedeutet das iterativ verwendete estar+Gerundium, dass das Satzsubjekt unendlich viele Wiederholungen einer bestimmten Handlung vornimmt (Vera Morales 2009: 311). Es ist m¨oglich, dass AS betonen wollte, dass die Krankenschwester immer wie-

216 12.5 Tempora der als Ubersetzerin¨ t¨atig wird. AS hat regelm¨aßig Kontakt mit spanischsprachigen Gesch¨aftspartnern, vielleicht hat er derartige Gerundiumwendungen auf diesem Weg kennengelernt. Dennoch ist Satz funf¨ aufgrund des fehlenden Verbs nicht korrekt ge- bildet. Zu bedenken ist an dieser Stelle ebenfalls, dass es in der Muttersprache von AS eine h¨aufig verwendete tun-Periphrase gibt, die, wie im Spanischen estar+gerundio, eine Verlaufsform ausdruckt¨ (siempre [es] traduciendo). Diese Konstruktion ist ihm daher m¨oglicherweise auch vertraut und er verwendet sie vielleicht daher gern. AN verwendet in den S¨atzen sechs und zehn jeweils eine Vergangenheitsform, obwohl beide Handlungen nicht in der Vergangenheit liegen. Im ersten Satz m¨ochte sie ausdrucken,¨ dass sie uber¨ einige Bucher¨ verfugt.¨ Dies ist zum Zeitpunkt des Gespr¨achs noch immer aktuell und bedurfte¨ keiner Vergangenheitsform. Im Satz zehn handelt es sich um einen Konditionalsatz I : Wenn sie gehen, mussen¨ sie lernen. Hier k¨onnte das presente oder alternativ eine Form des futuro stehen (RAE 2009b: 47.1). AN entschied sich jedoch fur¨ die in der Vergangenheit liegende Verbform fueron. Im siebten und neunten Satz verwendete auch sie das perfecto, obwohl das Er- eignis keinen Gegenwartsbezug aufweist und daher das indefinido schlussig¨ gewesen w¨are. Im Sprachgebrauch von AN k¨onnten folglich ebenfalls Hinweise darauf zu finden sein, dass im bolivianischen Spanisch das indefinido zugunsten des perfecto zuruckgedr¨ ¨angt wird. In Satz acht handelt es sich um die indirekte Rede: Ich dachte, es sei wichtig. AN w¨ahlte sowohl im Haupt- als auch im Nebensatz das imperfecto.Dieserscheint bemerkenswert, das plusquamperfecto w¨are im Hauptsatz naheliegend (Vera Morales 2008: 699). Es soll nicht ganz unerw¨ahnt bleiben, dass im bolivianischen Spanisch des Hochlandes die Tendenz zur Vereinfachung der indirekten Rede existiert, insofern, als dass die im Standardspanischen notwendige Konjunktion que nicht verwendet wird (s.o.). Diese Tendenz zeigt AN nicht; es ist m¨oglich, dass sie im Tiefland nicht ublich¨ ist, es kann aber auch sein, dass AN die deutsche Konstruktion ich dachte, dass im Kopf hatte. Ansonsten wird die indirekte Rede in den vorliegenden Daten weitgehend vermieden. SU wollte in der von ihr verwendeten Satzkonstruktion eine Handlung ausdrucken,¨ die sie mit ihrer Familie noch immer regelm¨aßig vollzieht. Die Wahl des indefinido statt des imperfecto scheint daher auch hier geradezu verwirrend, da der H¨orer den Eindruck bekommt, sie ginge nicht mehr jeden Montag in die Kirche. Es ist auch deshalb interessant, dass SU sich an dieser Stelle fur¨ das indefinido entschied, weil sie w¨ahrend des Gespr¨achs weitgehend auf die Verwendung anderer Tempora als des presente verzichtete. SU erlernte Spanisch uberwiegend¨ aus Buchern¨ und ohne weitere Unterstutzung.¨ Außerdem spricht sie diese Sprache nur sehr selten. InBezugaufdieinBolivienlebendenMennonitenkannfestgestelltwerden,dass einige von ihnen, auch unabh¨angig ihres Alters und Geschlechts, Schwierigkeiten mit der im Spanischen korrekten Verwendung der Tempora zeigen. Besonders auff¨allig

217 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen ist die h¨aufige Nutzung des Perfect, das im Deutschen in der mundlichen¨ Sprache sehr regelm¨aßig genutzt wird, im Standardspanischen jedoch nur dann Verwendung findet, wenn die in der Vergangenheit liegende Handlung fur¨ den Sprecher noch er- sichtlich Auswirkungen auf den Sprechzeitpunkt hat. Dies ist in den hier gezeigten Beispielen nicht der Fall, so dass vermutet werden kann, dass entweder die deut- sche Muttersprache in Bezug auf die Tempora einen bedeutenden Einfluss auf die in Bolivien liebenden Wiedert¨aufer hat, oder aber das Perfekt im regionalen Spa- nisch mit dem indefinido konkurriert, so dass dies als ein Indiz fur¨ den Einfluss des spanischsprachigen Umfelds zu deuten w¨are. Auff¨allig ist außerdem, dass einige Sprecher, vor allem die Alterenunterihnenund¨ jene, die nach eigener Aussage nicht sehr viel Spanisch sprechen, generell versuchen, lediglich das presente zu verwenden und alle anderen Tempora weitgehend ausklam- mern. Das zeigt, dass bei vielen grunds¨atzliche Schwierigkeiten bei der Bildung der spanischen Tempora vorliegen. Sowohl bei den in Paraguay lebenden Mennoniten als auch bei ihren Glaubens- bruderninBolivienzeigensichalsoAuff¨ ¨alligkeiten in der Nutzung der Tempora und der Einfluss der deutschen Muttersprache wird deutlich. In Bolivien wird ein inkorrekter Tempusgebrauch bei den Interviewteilnehmern jedoch insgesamt h¨au- figer beobachtet als in Paraguay. Dies kann erneut darauf hindeuten, dass die in Paraguay lebenden Mennoniten st¨arker in die Gesellschaft integriert sind und gefes- tigtere Kenntnisse der spanischen Sprache haben als die Wiedert¨aufer in Bolivien; es kann daruber¨ hinaus m¨oglicherweise aber auch zeigen, dass das bolivianische Spa- nisch st¨arkere Abweichungen im Hinblick auf die Tempora des Standardspanischen vorweist, als das paraguayische Spanisch.

12.6 Kongruenzen

Auch hinsichtlich der Numerus- und Genuskongruenz k¨onnen Abweichungen vom Standardspanischen beobachtet werden.

Paraguay In den aus Paraguay stammenden Aufnahmen finden sich folgende Be- sonderheiten hinsichtlich der Numerus- und Genuskongruenz:

1. VA: Los otros universidades. 2. ML: Muchas gente hablan dialecto. 3. ML: No estamos tan informado.

Falsche Numerus- bzw. Genuskongruenz konnte bei den in Paraguay befragten Mennoniten nur vereinzelt festgestellt werden. VA begann erst kurzlich,¨ sich in- tensiver mit der spanischen Sprache auseinander zu setzen und ML erlernte das

218 12.6 Kongruenzen romanische Idiom durch Kontakt, sie hatte kaum Unterricht in Spanisch. Im ersten Satz von VA ist die Genuskongruenz auff¨allig: Das Adjektiv ist maskulin, das No- men hingegen feminin. Adjektive werden im Plautdietschen, wie im Hochdeutschen, nach Kasus, Numerus und Genus flektiert (s.o.). Die Adjektive sind im Spanischen aber st¨arker markiert als im Deutschen; dies gilt vor allem im Plural, wo alle drei Genera im Deutschen jeweils identische Endungen tragen und es auch nur einen Pluralartikel gibt: die kleinen Hunde, die kleinen Katzen, die kleinen Kaninchen. Im Spanischen hingegen gibt es nicht nur die Pluralartikel los/las, sondern auch die Adjektive tragen ihrem Genus entsprechende Pluralendungen: los perros peque˜nos, las gatas peque˜nas (Cartagena & Gauger 1989: 351). Im Deutschen wird das Adjektiv dem Substantiv nur dann angeglichen, wenn es attributiv ist; im Spanischen hinge- gen auch dann, wenn es pr¨adikativ verwendet wird (ebd.: 351): Er ist bolivianisch, sie ist bolivianisch. Im dritten Satz weisen das im Singular stehende Adjektiv und das sich im Plural befindende Verb unterschiedliche Numeri auf. Die beiden Spre- cherinnen haben offenbar hinsichtlich der im Spanischen ublichen¨ Markierung von Substantiven und Adjektiven noch keine Vollkompetenz erlangt, ihre Schw¨achen in diesem Bereich stammen m¨oglicherweise aus der kontrastiven deutschen Grammatik. Außerdem werden Adjektive in pr¨adikativer Stellung im Deutschen nicht flektiert. Hinzu kommt, dass otros/as im Spanischen ohne Artikel steht, unabh¨angig da- von, ob es sich um Singular oder Plural handelt (Vera Morales 2008: 90). Dies ist im Deutschen wiederum anders, hier ist es m¨oglich die anderen Hunde zu sagen und zwar dann, wenn eine bestimmte, eingegrenzte Gruppe von Hunden gemeint ist. Auch hier liegen kontrastive grammatikalische Regeln vor, die VA noch nicht automatisiert zu haben scheint. ML verwendet im zweiten Beispielsatz die Konstruktion muchas gente, hier liegt ein Problem mit der Numeruskongruenz vor. Bei dem Nomen gente (s. Satz 2) handelt es sich wiederum um eines, das im Deutschen ein nachfolgendes Verb im Plural erfordert (Duden 2013: 153): Die Leute sprechen Plautdietsch. Im Spanischen folgt nach gente hingegen das Verb im Singular: La gente habla Plautdietsch.Es handelt sich erneut um kontrastive Grammatikregeln im Spanischen und Deutschen, die ML Schwierigkeiten zu bereiten scheinen. Insgesamt scheint die korrekte Verwendung des spanischen Numerus und Genus bei den in Paraguay lebenden Mennoniten kein Problem darzustellen, da nur wenige Belege fur¨ Abweichungen vom Standard dokumentiert sind.

Bolivien In den aus Bolivien stammenden Sprachaufnahmen finden sich hinsicht- lich der Numerus- und Genuskongruenz folgende Besonderheiten:

1. SU: Una veces fue con auto.

2. AB: La gentes.

219 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

3. AB: Una mujer boliviano.

4. AB: Viven de otro forma.

5. WI: Nuestra j´ovenes.

6. RU: No escuche mucho noticia.

7. NA (weiblich): Yo soy boliviano.

Bei den in Bolivien lebenden Mennoniten kommen fehlerhafte Genus- und Nume- ruskongruenzen etwas h¨aufiger vor als bei ihren in Paraguay lebenden Glaubensbru-¨ dern. Abgesehen von NA handelt es sich auch hier nur um diejenigen Interviewteil- nehmer, die in der fruhen¨ Kindheit keinen oder kaum Kontakt mit der spanischen Sprache hatten und weitgehend Plautdietsch sprechen. Erneut deuten sich Schwierigkeiten mit dem Nomen gente an (s. Satz 2), das hier, anders als zuvor gesehen, mit einem Artikel im Singular steht, jedoch eine Pluralen- dung -s tr¨agt. AB und NA sprechen jeweils uber¨ eine Frau, verwenden allerdings das m¨annliche Adjektiv, um die Nationalit¨at auszudrucken.¨ Es ist m¨oglich, dass die beiden Informanten an die deutsche Wendung dachten, die die spanische Adjektiv- markierung uberlagerte.¨ Bei NA ist dies uberraschend,¨ da sie in einem Reiseburo¨ in Santa Cruz t¨atig ist und zwar uberwiegend¨ Reisen fur¨ deutschsprachige Mennoniten organisiert, jedoch nach eigenen Angaben t¨aglich auch beruflich mit der spanischen Sprache zu tun hat. AB hingegen lernte Spanisch sehr sp¨at durch Sprachkontakt und spricht diese Sprache auch aktuell nur im Notfall; bei ihm ist es naheliegend, dass er die kontrastiven Grammatikregeln nicht automatisiert hat. SU und WI nutzen einen Determinanten bzw. ein Pronomen im Singular, jedoch in Kombination mit einem Folgesubstantiv im Plural. Im Spanischen gibt es den un- bestimmten Artikel im Plural: unos/as - ein deutsches Pendant existiert nicht dazu (Cartagener & Gauger 1989: 337). SU spricht uberwiegend¨ Niederdeutsch und brach- te sich spanische Grundkenntnisse mithilfe von Buchern¨ selbst bei. Wahrscheinlich uberlagerte¨ hier die deutsche Regel wiederum die kontrastive spanische. Auch WI spricht nur ungern Spanisch und sch¨atzt ihre Sprachkompetenz nicht sehr hoch ein. Das von ihr verwendete Possessivpronomen nuestra erfordert im Zuge der Numu- ruskongruenz die Pluralendung, da das folgende Substantiv j´ovenes ebenfalls eine Pluralform ist. Anders als bei SU handelt es sich aber um eine Grammatikregel, die im Deutschen nicht abweichend ist: Auch hier gibt es die Unterscheidung unser Jugendlicher - unsere Jugendlichen. Allerdings spricht WI gern und regelm¨aßig Eng- lisch, und das englische Possessivpronomen our kennt keine Singular- bzw. Plural- markierungen; m¨oglicherweise wird hier die spanische von der englischen Grammatik uberlagert.¨ Wie noch zu zeigen sein wird, ist WI eine der wenigen Sprecher, die zum

220 12.7 Pr¨apositionen englisch-spanischen Code-Switching neigen, so dass dies die Vermutung erh¨artet, dass die beiden Grammatiken sich gegenseitig beeinflussen k¨onnten. Die beiden ubrigen¨ Beispiele vier und sechs zeigen erneut eine fehlende Uber-¨ einstimmung von Adjektiv und Substantiv im Genus. Beide Sprecher verwendeten korrekte feminine Substantive (forma, noticia), die jeweils im Deutschen ebenfalls weiblich sind (die Form, die Nachricht), Plautdietsch: dee Form, dee Nieichtjeit (Siemens 2012: 142). Jedoch entschieden sich RU und AB fur¨ maskuline Adjektive (otro, mucho), es liegen daher Schwierigkeiten mit quantitativen Adjektiven vor. Grunds¨atzlich zeigen die in Bolivien lebenden Mennoniten auch in dieser morpho- syntaktischen Kategorie h¨aufiger Auff¨alligkeiten als ihre Glaubensbruder¨ aus Para- guay, jedoch nicht in signifikanter Regelm¨aßigkeit. Nicht unerw¨ahnt sei an dieser Stelle, dass ein unregelm¨aßiger Genus- und Nume- rusgebrauch zumindest fur¨ das andine Spanisch in Bolivien nicht g¨anzlich untypisch ist (s.o.). Studien, die dieses Ph¨anomen auch fur¨ das Tiefland best¨atigen k¨onnten, stehen allerdings aus. In beiden betreffenden L¨andern sind es insgesamt wiederum die ¨alteren Befragten, die h¨aufiger Schwierigkeiten mit dem korrekten Gebrauch von Genus und Numerus aufweisen.

12.7 Pr¨apositionen

In der folgenden Kategorie werden Besonderheiten hinsichtlich der Pr¨apositionen aufgezeigt.

Paraguay Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen morphosyntaktischen Ph¨a- nomenen stellt der korrekte Gebrauch von Pr¨apositionen fur¨ die befragten Menno- niten sowohl in Paraguay als auch in Bolivien eine deutlich gr¨oßere Herausforderung dar.

1. VA: Aprende (espa˜nol) de a los cinco a˜nos.

2. VA: Empiezo con comprar libros.

3. ML: Con esa edad no es posible.

4. MO:Meintereso[...]lapol´ıtica.

5. MO: Los menonitas son apartes con la mayor´ıa.

Die S¨atze eins und drei geben einen Umstand mit einer bestimmten Altersangabe wieder (Ich lernte mit funf¨ Jahren Spanisch; in diesem Alter ist das nicht m¨oglich),

221 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen fur¨ die dem Standardspanischen zufolge eine inkorrekte Pr¨aposition verwendet wur- de (Mit funf¨ Jahren, acincoa˜nos; in diesem Alter, a esa edad.) (Duden 2013: 180). In Satz eins wurde neben der korrekten Pr¨aposition a zus¨atzlich das hier unpassen- de de verwendet, in Satz drei hingegen wird con anstelle des ublichen¨ a gebraucht. Ein Einfluss der hochdeutschen Muttersprache ist nicht zu erkennen. M¨oglich w¨are, dass die Befragten nur eine geringe Anzahl der im Spanischen ublichen¨ Pr¨aposi- tionen verwenden und die Sprache somit simplifizieren. Vorstellbar ist auch, dass die im Deutschen und Spanischen an dieser Stelle kontrastiven Grammatiken eine Schwierigkeit fur¨ die Interviewten darstellen. Allerdings handelt es sich auch um zwei Sprecherinnen, die keinen oder kaum regul¨aren Spanischunterricht als Kind genossen haben und daruber¨ hinaus auch nur dann Spanisch sprechen, wenn die Situation es zwingend erfordert, eine Unsicherheit bei der Nutzung von Pr¨apositionen erscheint daher nicht uberraschend.¨ Die im zweiten Satz verwendete Konstruktion k¨onnte hingegen auf einen Einfluss der deutschen Muttersprache hindeuten (Ich beginne damit, Bucher¨ zu kaufen/mit dem Kauf von Buchern¨ ) (Duden 2013: 183). Die Verwendung des Spanischen con kann einem deutschen Muttersprachler naheliegend erscheinen, im Spanischen heißt es jedoch empezar a hacer algo. Die von MO verwendete Konstruktion in Satz vier ist im Standardspanischen ebenfallsinkorrekt,daesheißenmusste¨ interesarse por algo (DRAE 2012: rae.es). Die Interviewte l¨asst die notwendige Pr¨aposition por aus. Ein Einfluss der deutschen Sprache ist insofern m¨oglich, als dass sie an die Konstruktion Politik interessiert mich nicht gedacht haben k¨onnte, in der keine Pr¨aposition verwendet wird. Denkbar ist jedoch auch, dass ihr die Pr¨aposition por in Verbindung mit dem Verb interesarse nicht bekannt ist. Sowohl die jungeren¨ als auch die ¨alteren Befragten zeigen Auff¨alligkeiten bei der Verwendung spanischer Pr¨apositionen, dennoch sind es uberwiegend¨ diejenigen, die sp¨at angefangen haben, Spanisch zu lernen und diese Sprache auch nur sprechen, wenn es die Situation dringend erfordert.

Bolivien In Bolivien k¨onnen ebenfalls einige Besonderheiten hinsichtlich der Ver- wendung von Pr¨apositionen festgestellt werden.

1. AS: Es m´as f´acil para aprender.

2. RO: In Bolivia.

3. PD: Aprendo con el contacto.

4. PD: Sabe [. . . ] gente.

5. PD: Una veces fue con auto.

222 12.7 Pr¨apositionen

6. PD: Tiene interesse para aprender.

7. AM: Ayudar [. . . ] la gentes.

8. WI: Conoce [. . . ] algunos menonitas.

9. KA: Depende con cuales trabajan m´as.

10. AR: Depende [. . . ] que har´ıa.

11. AR: Fui a Alemania [. . . ] tres semanas.

12. AR: Sin ver [. . . ] gente.

13.KT:Nosoytantoparaleer.

14. SU: Sabe de gente. (Ich kenne einige Leute).

Bemerkenswert, wenn auch fur¨ Spanischlerner generell nicht untypisch, ist zun¨achst einmal, dass einige der Interviewten die im Spanischen normalerweise ubliche¨ Pr¨apo- sition a vor einer im Akk. stehenden Person (RAE 2009b: 34.9d) auslassen oder eine andere, unpassende w¨ahlen. Die Akkusativpr¨aposition ist nicht ausnahmslos obliga- torisch, sie entf¨allt, wenn es sich um verallgemeinernde Aussagen handelt (buscar una criada) (Cartagena & Gauger 1989: 350). Es sind hier sogar lexikalische Unterschie- de zu beachten: querer un ni˜no - ein Kind wollen, querer a un ni˜no - ein bestimmtes Kind lieben (ebd.). Sowohl AM, als auch WI, PD, SU und AR (s. S¨atze vier, sieben, acht, zw¨olf und 13) ignorieren diese Besonderheit des Spanischen, eine Interpretation dieses Sprachverhaltens kann vielf¨altig sein. In den S¨atzen vier, sieben, zw¨olf und 13 handelt es sich allgemein um gente, so dass die Notwendigkeit der Akkusativ- pr¨aposition m¨oglicherweise nicht gegeben ist. In Satz acht ist dies sicher nicht der Fall,daessichumeineeingegrenzteGruppehandelt,aufdiesichWIbezieht.Es handelt sich um Sprecher, die erst sehr sp¨at mit dem Erlernen des Spanischen begon- nen haben und teilweise keinen regul¨aren Unterricht in diesem romanischen Idiom genießen konnten, so dass zu vermuten ist, dass ihnen die Existenz der Akkusativ- pr¨aposition im Spanischen nicht hinreichend bewusst geworden ist und auch fremd erscheinen mag, da es keine Entsprechung in der deutschen Grammatik gibt (ebd.) und diese somit wiederum kontrastiv zu den spanischen Regeln ist. Bemerkenswert an dieser Stelle ist auch, dass es, zumindest im Spanischen des bolivianischen Hoch- lands, Beobachtungen gibt, dass die Akkusativpr¨aposition uberproportional¨ h¨aufig verwendet und sogar auf unbelebte Aktanten ubertragen¨ wird (s.o.). Diese Beson- derheit des bolivianischen Sprachgebrauchs scheinen sich die befragten Mennoniten nicht angeeignet zu haben. Eine interessante Forschungsfrage w¨are aber in diesem Zusammenhang, ob dies nur auf die Mennoniten zutrifft, oder ob die Ausweitung der Akkusativpr¨aposition im bolivianischen Tiefland generell nicht feststellbar ist.

223 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

Im Plautdietschen werden Pr¨apositionen vergleichbar zum Hochdeutschen kausal, temporal, modal und lokal verwendet (s.o.). Die von RO verwendete Konstruktion in Satz zwei, in der sie in anstelle von en nutzt, ist insofern bemerkenswert, als dass ihre Muttersprache Plautdietsch ist und die entsprechenden Pr¨aposition dort enn lautet und daher dem Spanischen sehr ¨ahnlich ist (Siemens 2012: 185). Sie beherrscht Hochdeutsch, spricht es jedoch nicht sehr h¨aufig, so dass die Wahl der Pr¨aposition uberraschend¨ ist. PD w¨ahlte in Satz funf¨ fue con auto,imDeutschen heißt es mit dem Auto fahren (Duden 2013: 183), wohingegen im Spanischen die Pr¨aposition en erforderlich ist (ir en auto) (RAE 2009b: 29.8b). Wie bereits vorher in Paraguay zeigen sich auch bei den in Bolivien befragten Mennoniten Unsicherheiten bei der Verwendung des Verbs depender,dasmitder Pr¨aposition de stehen muss (Satz neun). Es erh¨artet sich die Vermutung, dass die Anzahl der Pr¨apositionen im Wortschatz einiger Informanten nicht nur verh¨altnis- m¨aßig gering ist, sondern auch, dass con eine der bevorzugten Pr¨apositionen ist, wenn eine andere (passende) nicht verfugbar¨ ist. Diese Beobachtung sollte auf der Basis eines gr¨oßeren Korpus uberpr¨ uft¨ werden. Im zehnten von AR wiedergegebenen Satz liegt kein que´ısmo vor, da die notwen- dige Pr¨aposition de fehlt (depende ... que). Bei AS und PD (S¨atze eins und sechs) offenbaren sich daruber¨ hinaus Schwierigkei- ten die zum Verb aprender dazugeh¨orige Pr¨aposition zu finden. PD zeigt außerdem in Satz sechs, wie auch in Paraguay belegt, eine Normabweichung beim Verbs inte- resarse, das nicht in Verbindung mit por, sondern mit para steht. Die Bedeutungs- unterscheidung zwischen por und para im Spanischen ist fur¨ Nicht-Muttersprachler nicht immer einfach. AR l¨asst in Satz elf zudem die Pr¨aposition para (tres semanas) aus, die notwendig gewesen w¨are, um den Zeitraum, in dem er in Deutschland war, wiederzugeben (fur¨ drei Wochen). Das Beispiel Nummer 13 ist insofern besonders, als dass die von KT verwendete Konstruktion den Schluss nahelegt, dass sie aus dem Deutschen trans- feriert ist: Ichbinnichtsofurs¨ Lesen.KTsprichtuberwiegend¨ Plautdietsch und Englisch, da sie einige Zeit in Kanada verbracht. Es ist zu vermuten, dass die Wen- dung nicht nur im Hochdeutschen, sondern ebenso im Plautdietschen gebr¨auchlich ist. Spanisch vermeidet KT nach M¨oglichkeit, so dass auch bei ihr Sprachtransfer nahe liegt. DieProblematik,diekorrektePr¨aposition zu finden, ist unter den bolivianischen Informanten st¨arker ausgepr¨agt als in Paraguay, dennoch betrifft sie auch hier vor allem diejenigen, die erst sehr sp¨atbegonnenhaben,Spanischzusprechenunddiese Sprache nach eigenen Angaben auch wenig im Alltag verwenden. Eine Ausnahme bildet nur AR, der nach seiner Einsch¨atzung h¨aufig in Spanisch kommuniziert. An der Nutzung der Pr¨apositionen, sowohl in Paraguay als auch in Bolivien, kann erkannt werden, dass einige, vor allem ¨altere Sprecher mit wenig spanischem Sprach- kontakt, nur eine begrenzte Anzahl an Pr¨apositionen verwenden, con scheint eine

224 12.8 Konjunktionen der beliebteren zu sein. Hier ist somit eine Tendenz zur Simplifizierung denkbar. Die im Deutschen unbekannte Akkusativpr¨aposition haben einige Sprecher nicht auto- matisiert, insgesamt scheint sie fur¨ die Mehrzahl der Befragten, trotz kontrastiver deutscher Grammatik, aber keine Schwierigkeit darzustellen. Es konnten daruber¨ hinaus auch einige Beispiele fur¨ den Einfluss der deutschen Muttersprache gezeigt werden.

12.8 Konjunktionen

Nur wenige Abweichungen in Bezug auf den Gebrauch von Konjunktionen konnten dokumentiert werden. Es finden sich lediglich Beispiele aus Paraguay:

1. RY: Tengo muchos amigos [. . . ] viven en Alemania.

2. RY: Tienen pareja [. . . ] entendemos bien.

3. CA: Son m´as aut´enticos como nosotros.

4. CA: Soy m´as menonita como paraguaya.

5. MM: La gente son m´as amable como en Paraguay.

Auff¨allig ist, dass RY die Konjunktion que, die im Spanischen verwendet wird, um einen Relativsatz einzuleiten, h¨aufiger auszulassen scheint. Auch im Deutschen und im Plautdietschen ist eine Konjunktion zwingend notwendig, um einen Relativsatz einleiten zu k¨onnen, daher ist ein Einfluss der deutschen Sprache nicht naheliegend. Fehlende Konjunktionen bei RY zu finden ist insofern uberraschend,¨ als dass er nach eigenen Angaben t¨aglich, und zwar auch beruflich, Spanisch spricht. CA und MM zeigten Unsicherheiten in der Verwendung des Komparativs, der im Standardspanischen mit der Konjunktion que steht (RAE 2009b: 45.8a). CA studierte bereits in Asunci´on, so dass eine derartige Verwechslung der Konjunktionen auch bei ihm uberraschend¨ ist. Allerdings ist Plautdietsch seine erste Sprache und es ist m¨oglich, dass, im Gegensatz zum Hochdeutschen, dort im Komparativ die Konjunktion wie gebr¨auchlich ist. Ansonsten scheinen die paraguayischen Befragten kaum Schwierigkeiten mit dem Gebrauch von Konjunktionen zu haben.

12.9 Pronomen

Sowohl bei den Befragten in Paraguay als auch bei denjenigen in Bolivien werden h¨aufig die im Spanischen in der Regel redundanten Subjektpronomen in nahezu jedem Satz verwendet.

225 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

Paraguay In Paraguay konnten folgende Besonderheiten hinsichtlich der Prono- menverwendung dokumentiert werden:

1. MO: Yo tengo.

2. MO: Yo estudie.

3. EG: Yo mezclo.

4. EG: Yo me acostumbre.

5. ED: Yo hablo alem´an.

6. ED: Yo hablo espa˜nol.

7. KT: He escuchado pero nunca fui a Alemania.

Da die Subjektpronomen, anders als im Spanischen (Cartagena & Gauger 1989: 356), im Deutschen nicht redundant (Duden 2013: 163), sondern zwingend notwen- dig sind, ist der Einfluss der hoch- oder auch niederdeutschen Muttersprache der Wiedert¨aufer zu vermuten. Bei MO ist besonders auff¨allig, dass sie das Personal- pronomen yo immer am Satzbeginn verwendet; wenn sie hingegen von sich spricht und das entsprechende Verb sich in der Satzmitte befindet, konjugiert sie, wie im Spanischen ublich,¨ das Verb, jedoch ohne ein Subjektpronomen voranzustellen (Mi marido prefiere vivir en la colonia pero prefiero vivir aqu´ı). Die M¨oglichkeit, dass MO das Pronomen yo am Satzanfang verwendet um zu betonen, dass es um sie selbst geht, ist nicht naheliegend, da sie es in jedem Satz macht. Der Einfluss der deutschen Sprache ist m¨oglich, jedoch unwahrscheinlich, da sie nur das Personal- pronomen der 1. Pers. Sg. am Satzbeginn verwendet. Auch aus dem paraguayischen Spanisch sind keine vergleichbaren Sonderformen bekannt, so dass es sich um einen individuelle Eigenart in MOs Sprachgebrauch handeln k¨onnte. EG und ED hingegen verwendeten Subjektpronomen auch innerhalb eines Satzes (En la iglesia yo hablo alem´an, cada d´ıa yo mezclo las lenguas). Aufgrund der Regel- m¨aßigkeit ist anzunehmen, dass ein Transfer der entsprechenden grammatikalischen Regel aus dem Deutschen ins Spanische vorliegt. Interessant ist ebenfalls, dass nicht nur Mennoniten, die sp¨at begonnen haben, die spanische Sprache zu erlernen bzw. sie nicht sehr h¨aufig verwenden, dazu neigen, redundante Pronomen zu verwenden. Auch EG neigt dazu, die 1. Pers. Sg. durch Verwendung des Subjektpronomens zu unterstreichen. Bei EG ist dies uberraschend,¨ da er ein junger Mennonit ist, der Spanisch bereits in der Schule lernte und an der Universit¨at in Asunci´on einen spanischsprachigen Studiengang absolvierte; er sch¨atzt seine Sprachkompetenz in der Landessprache auch als sehr hoch ein. Dennoch scheint bei ihm im Hinblick auf die Verwendung des

226 12.9 Pronomen

Personalpronomens in der 1. Pers. Sg. die deutsche Muttersprache das Spanische zu uberlagern.¨ Im siebten Satz wird ein g¨anzlich anderes Ph¨anomen aufgezeigt. Die Sprecherin wollte ausdrucken¨ ich habe es geh¨ort,sieubersetzte¨ das Pronomen es aber nicht, sondern ließ es aus. Auff¨allig im Falle der in Paraguay interviewten Wiedert¨aufer ist, dass ausschließ- lich die redundanten Subjektpronomen der 1. Pers. Sg. verwendet werden. Alle an- deren Pronomen scheinen zwar auch grunds¨atzlich bekannt zu sein, wurden von den Sprechern aber, soweit dies aus dem Sprachmaterial hervorgeht, nur dann verwen- det, wenn die handelnde Person ohne Erw¨ahnung des Pronomens fur¨ den Rezipienten nicht eindeutig zu identifizieren gewesen w¨are. Die Fragen des Interviews bezogen sich in erster Linie auf die befragte Person selbst, so dass die 1. Pers. Sg. auch deutlich am h¨aufigsten vorkam bzw. verwendet werden musste. Ob die interviewten Mennoniten nicht auch andere, ebenfalls im Spanischen redundante Personalprono- men, uberproportional¨ oft nutzen, kann anhand der vorliegenden Aufnahmen nicht abschließend gekl¨art werden. Aufgrund der Tatsache, dass aber offensichtlich nur we- nige der Befragten zur Nutzung redundanter Personalpronomen uberhaupt¨ neigen, scheint dies unwahrscheinlich. Insgesamt wird aber deutlich, dass die Verwendung der redundanten Subjekt- pronomen bei den in Paraguay lebenden Mennoniten keine sehr große Rolle spielt. Obwohl die Nennung der Pronomen in der deutschen Muttersprache unentbehrlich ist, k¨onnen die meisten Befragten zwischen dem Spanischen und dem Deutschen sehr gut in Bezug auf Subjektpronomen trennen.

Bolivien Auch in den in Bolivien aufgezeichneten Interviews finden sich Besonder- heiten in Bezug auf die Verwendung von Pronomen:

1. MR: Nosotros eschucha.

2. MR: Yo cree.

3. MR: Yo escribe.

4.MR:Yonopoder.

5. MR: Nosotros no estudiar.

6. MR: Yo escucha.

7. AB: Yo habla alem´an.

8. AB: Yo muere.

9.MA:Yonos´e.

227 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

10. MA: Yo dir´ıa alem´an.

11. MA: Yo entiendo.

12. MA: Yo no conoce.

13. MA: Yo no tengo.

14.KA:Yonosoytantoparaleer.

15. RU: Nosotros aprende en la escuela.

16. RU: Yo escuche en Internet.

17.KT:Yonoido.

18. KT: Yo nunca ido.

19. NA: Yo soy Boliviano.

20. AM: Me habla alem´an bajo.

Der Verwendung der redundanten Subjektpronomen kommt, wie hier ersichtlich ist, w¨ahrend der Interviews in Bolivien deutlich h¨aufiger vor als dies in Paraguay der Fall ist. Dass es sich dabei vor allem um das Pronomen der 1. Pers. Sg. handelt, ist erneut wahrscheinlich darauf zuruckzuf¨ uhren,¨ dass es um die Sprachgewohnheiten der Befragten ging, so dass in der Regel pers¨onliche, auf sich selbst bezogene Fragen zu beantworten waren, die die 1. Pers. Sg. erforderten. Dennoch kann festgestellt werden und dies ist wiederum bemerkenswert, dass vor allem AB, MA, KA und KT nur dann die Subjektpronomen nutzten, wenn sie von sich selbst sprachen. Wenn es hingegen um eine andere Person oder Personengruppe ging, wurde das entsprechen- de Subjektpronomen nicht verwende (No habla espa˜nol. (meine Mutter)). Hinzuge- fugt¨ werden muss an dieser Stelle jedoch auch, dass die sehr fehlerhafte Verbflexion von insbesondere MA, MR, AB und RU ohne die Verwendung eines Pronomens die Kommunikation sehr erschweren wurde,¨ da h¨aufig kaum im Gespr¨ach direkt deutlich wurde,¨ welche die handelnde Person ist; insbesondere dann, wenn das verwendete Verb gar keine Flexion aufweist. Im 20. Satz liegt eventuell eine Verwechslung zwi- schen me und conmigo vor ( Er spricht Plautdietsch mit mir“). M¨oglich ist aber ” auch, dass lediglich die Pr¨aposition en fehlt: Me habla en alem´an bajo. Prinzipiell kommt die Nutzung der redundanten Subjektpronomen sowohl bei den in Paraguay als auch bei den in Bolivien lebenden Mennoniten vor, wie oben ge- zeigt werden konnte, jedoch mit einer deutlichen h¨oheren H¨aufigkeit in Bolivien - diese Ergebnisse sind aber erneut vor dem Hintergrund des begrenzten Korpus zu

228 12.10 Code-Switching betrachten. Grunds¨atzlich zeigt sich die gleiche Tendenz wie bei Scharf, dass Men- noniten mit der Muttersprache Deutsch zu einer uberproportional¨ h¨aufigen Nutzung von redundanten Pronomen neigen (s.o.). Es sind in der Untersuchung sowohl die jungeren¨ als auch die ¨alteren Befragten in Bolivien, die eine vermehrte Nutzung der Subjektpronomen zeigen, h¨aufiger werden diese allerdings von den ¨alteren Interviewten genutzt - interessanterweise von jenen, die Schwierigkeiten mit der korrekten Verbflexion im Spanischen haben. Ein Zusam- menhang zwischen der fehlerhaften Verbflexion und der Verwendung der Subjektpro- nomen kann vermutet werden. Es ist anzunehmen, dass der Einfluss der deutschen Muttersprache sich auch in Bezug auf die Subjektpronomen deutlicher zeigt als bei den jungeren¨ Sprechern, da die Alteren¨ unter den Interviewten sehr sp¨at begonnen haben, die spanische Sprache zu erlernen und diese nur in Situationen verwenden, die dies zwingend erfordern.

12.10 Code-Switching

Lediglich in Bolivien lassen sich Beispiele fur¨ Code-Switching belegen, in Paraguay kam dieses Ph¨anomen nicht vor.

1. AK: Voy a see a mi familia.

2. WI: Otherwise yo me gusta.

3. WI: Bolivia es una country.

Sowohl AK als auch WI verbrachten die meiste Zeit ihres Lebens in Bolivien, sprechen aber beide nur ungern und mit Schwierigkeiten Spanisch. Sie lebten eben- falls beide eine Weile in Kanada und erlernten dort Englisch. In Kanada sind die Wiedert¨aufer st¨arker integriert als in Zentral- und Sudamerika,¨ sie sprechen dort auch nicht mehr zwangsl¨aufig Deutsch untereinander, sondern die Landessprache (s.o.). Die Mennonitinnen WI und AK sprechen gern und h¨aufig Englisch, obwohl sie seit l¨angerem zuruck¨ in Bolivien sind. Es ist offensichtlich, dass das Spanische bei ihnen gelegentlich vom Englischen uberlagert¨ ist; dies kann ein Hinweis auf das hohe Prestige des Englischen gegenuber¨ dem Spanischen sein. Das Englische scheint ihr Sprachverhalten auch nachhaltig beeinflusst zu haben, obwohl sie schon l¨an- gerwiederzuruck¨ in Bolivien sind. WI und AK zeigen das Code-Switching in der Kombination Englisch/Spanisch, nicht jedoch mit ihrer Muttersprache Deutsch bzw. Niederdeutsch. Sie verwechseln also nur die Fremdsprachen untereinander. Es liegt somit eine Interferenz von L2 auf L3 vor. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Code-Switching vorkommt, wenn den Sprechern das Vokabular der beiden Fremd- sprachen ¨ahnlich vorkommt (s.o.). M¨oglich w¨are, dass WI und AK das englische und spanische Vokabular vergleichbarer erscheint als das deutsche mit dem spanischen.

229 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen

W¨ahrend der pers¨onlichen Gespr¨ache mit den Mennoniten war h¨aufig Code-Switching vom Hochdeutschen ins Plautdietsche zu beobachten, dies k¨onnte aber ausdrucken,¨ dass die Sprecher keine genaue Trennung der beiden Idiome vornehmen (s.o.). Be- merkenswert ist, dass es gerade die Frauen sind, die Code-Switching ins Englische zeigen; m¨oglicherweise deswegen, weil sie in ihren mennonitischen Rollen in Boli- vien weniger Kontakt mit Spanischsprechern haben als ihre M¨anner, so dass die m¨annlichen Mennoniten seit der Ruckkehr¨ aus Kanada eher die M¨oglichkeit hat- ten, ihre Spanischkenntnisse zu erweitern und zu festigen. Es ist daruber¨ hinaus auch festzustellen, dass nicht alle befragten Mennoniten, die in Kanada lebten, das Ph¨anomen des Code-Switchings aufzeigen. AR und KT verbrachten ebenfalls einige Zeit im englischsprachigen Umfeld, zeigen dies im Spanischgebrauch jedoch nicht. Code-Switching kann ein Hinweis darauf sein, dass der Lerner sich in einem Zwi- schenstadium befindet, das noch auf eine vergleichsweise geringe Sprachkompetenz der Fremdsprache hindeutet (s.o.). Insofern ist m¨oglich, dass AR und KT grunds¨atz- lich gefestigtere Kenntnisse des Spanischen aufweisen als WI und AK, so dass bei ihnen kein Transfer zwischen L2 und L3 vorkommt.

12.11 Weitere Besonderheiten zu m¨oglichen Interferenzen

Uber¨ die genannten Kategorien hinaus konnten weitere Interferenzen der befragten Wiedert¨aufer festgestellt werden.

Paraguay Es wurden zwei Beispiele fur¨ eine falsche Verwendung des Indefinitpro- nomens algo dokumentiert.

1. ED: Hablo algo en ingl´es.

2. PE: Algo del ingl´es.

ED und PE verwendeten den Quantator algo in Konstruktionen, in denen er inhalt- lich nicht passt. Beide Sprecher wollten jeweils ausdrucken,¨ dass sie etwas bzw. ein bisschen Englisch sprechen. Auch hier erscheint es wahrscheinlich, dass die Vokabel- verwechslung dem Einfluss der Muttersprache zuzuschreiben ist, in der es m¨oglich w¨are zu sagen: Ich spreche etwas Englisch. Beide Anabaptisten sprechen uberwiegend¨ Plautdietsch; ED besucht im Erwachsenenalter private Spanischkurse, er sch¨atzt sei- ne Sprachkompetenz nicht sehr hoch ein (s.o.), so dass gelegentliche Verwechslungen nicht uberraschend¨ sind. PE hingegen lernte Spanisch bereits in der Schule und unterrichtet am Colegio Concordia, bei ihr ist eine Verwechslung des spanischen Vo- kabulars bemerkenswert und kann darauf hindeuten, dass das Plautdietsche bei ihr trotz des regelm¨aßigen Kontakts das Spanische uberlagert.¨

230 12.11 Weitere Besonderheiten zu m¨oglichen Interferenzen

Bolivien Bei den in Bolivien befragten Wiedert¨aufern konnten zwei Beispiele fur¨ eine Simplifizierung dokumentiert werden, indem nicht flektiert wurde:

1. AS: Es necesario uno tener espa˜nol.

2. AB: Es necesario tener espa˜nol.

Es necesario que ist eine spanische Wendung, die den nachfolgenden subjuntivo erfordert (RAE 2009b: 28.3n). Es musste¨ im ersten Satz daher - abgesehen von dem in der Bedeutung unpassenden Verb - folgerichtig heißen: Es necesario que se tenga [aprende] espa˜nol (Es ist notwendig, Spanisch zu lernen). Alternativ ist aber auch es necesario in Verbindung mit dem Indikativ m¨oglich. Da AS aber einer der Sprecher ist, die generell Schwierigkeiten mit Verbflexionen haben (s.o.), ist ihm der Gebrauch des subjuntivos wahrscheinlich relativ fremd und er vermeidet ihn. In der von ihm gew¨ahlten Konstruktion ohne die Konjunktion que w¨are der subjuntivo auch nicht notwendig, allerdings flektierte AS gar nicht, sondern simplifizierte, indem er den Infinitiv benutzte. Im zweiten Beispiel wollte AB ausdrucken¨ es ist notwendig, Spa- nisch zu lernen. Auch AB simplifizierte, indem er den Infinitiv verwendete, zudem ist das gew¨ahlte Verb tener unpassend. Auch wenn die Konstruktion es necesario ohne den subjuntivo auskommt, sei an dieser Stelle angemerkt, dass es bei den Befragten in Bolivien auff¨allig ist, dass Subjunktivkonstruktionen weitgehend vermieden wer- den. Dies ist sogar bei den jungeren¨ Interviewteilnehmern der Fall. Zum einen ist die Ruckl¨ ¨aufigkeit des subjuntivo im Spanischen bereits vielf¨altig zu beobachten und ist sicherlich auf die Sprach¨okonomie zuruckzuf¨ uhren¨ (s.o.). Zum anderen deutet die Vermeidung des subjuntivo m¨oglicherweise auch auf eine Simplifizierung seitens des Sprechers hin, dessen Spanischkenntnisse noch keine Vollkompetenz erreicht haben (s.o.). Da jedoch auch die jungeren¨ Befragten den subjuntivo vermeiden, obwohl sie regen Kontakt mit Spanischsprechern pflegen, ist es m¨oglich, dass sie die vereinfach- ten Wendungen im Zuge des Sprachkontakts aus dem spanischsprachigen Umfeld ubernommen¨ haben. Bedeutend ist dieser Umstand vor allem im Hinblick darauf, dass die meisten Befragten jungeren¨ Alters Spanisch in der Schule lernten und dort Subjunktivkonstruktionen kennen gelernt haben werden. Dennoch wenden sie diese nicht an, vielmehr scheint ihr Sprachgebrauch von dem Sprachumfeld, in dem sie leben, uberlagert.¨ Das letzte Beispiel dieser Kategorie, ebenfalls aus Bolivien stammend, ist eher in lexikalischer Hinsicht bedeutend. Es ist aber eine derart offenkundige Lehnuberset-¨ zung, dass sie dem Leser nicht vorenthalten werden kann:

1.SU:Oas´ı.

SU spricht hier daruber,¨ wann sie die Kolonie wieder einmal fur¨ einen Ausflug ver- lassen wird: En una semana, o as´ı [In einer Woche oder so]. Oas´ı ist daher sehr

231 12 Sprachliche Besonderheiten des Spanischen wahrscheinlich eine direkte Ubersetzung¨ des Deutschen oder so. SU spricht fast nur Plautdietsch, manchmal Hochdeutsch und sehr selten Spanisch. Es ist zu vermuten, dass es den Ausspruch oder so auch im Plautdietschen gibt, anderenfalls k¨onnte er aus dem Hochdeutschen stammen, das sie auch beherrscht.

12.12 Zwischenfazit

Der Einfluss der deutschen Muttersprache bei den interviewten Mennoniten konn- te vor allem hinsichtlich der Flexionen gezeigt werden. Vielen Befragten bereiten die Verbendungen offenbar Schwierigkeiten. Vor allem die ¨alteren unter ihnen, die in Bolivien siedeln, zeigen Auff¨alligkeiten; teilweise simplifizieren sie die Konjuga- tionen sogar so weit, als dass sie nur eine begrenzte Anzahl m¨oglicher Flexionen verwenden oder auch gar nicht flektieren, sondern lediglich den Infinitiv gebrauchen. Auch hinsichtlich der im Spanischen st¨arker als im Deutschen markierten Kongru- enzenzeigensichProblememitdenkontrastivenGrammatikenbeiderSprachen.Es sind wiederum vor allem die ¨alteren Sprecher aus Bolivien, die hier Auff¨alligkeiten aufweisen. In Bezug auf die im Spanischen notwendige Akkusativpr¨aposition zeigen sich erneut bei den ¨alteren Mennoniten Boliviens Schwierigkeiten, diese zu automa- tisieren. Sicherlich ist auch hier die kontrastive Grammatik der Muttersprache dafur¨ verantwortlich. Die Gruppe der ¨alteren Sprecher Boliviens ist generell diejenige, de- ren Sprachgebrauch am meisten Abweichungen vom Standardspanischen aufweist. SowohlinParaguayalsauchinBolivienwerdengelegentlichPersonalpronomen verwendet, die im Spanischen redundant sind, im Deutschen hingegen nicht. Aller- dings ist die Verwendung der Pronomen oft insofern hilfreich, als dass Verben nicht oder nicht korrekt flektiert werden und es ohne Pronomen zu Verst¨andnisproblemen k¨ame. Generelle Probleme mit Tempus und Modus scheinen fast alle Sprecher zu haben. Sie verwenden kaum Konditional, den subjuntivo oder die indirekte Rede. Es sind auch wieder die ¨alteren Befragten, die sich beinahe ausschließlich auf das presente beschr¨anken und auch Handlungen, die in der Vergangenheit oder Zukunft liegen, mit diesem Tempus beschreiben. Grammatikalischer und lexikalischer Transfer aus dem Deutschen kommen sowohl bei jungeren¨ als auch bei ¨alteren Sprechern vor. Dies l¨asst die Annahme zu, dass die deutsche Sprache noch immer eine wichtige Rolle fur¨ die heranwachsende Genera- tion der Mennoniten spielt und spiegelt die in den Leitfadeninterviews gemachten Angaben wider. Die Unterscheidung der Verben ser/estar, die aufgrund einer fehlenden Entspre- chung im Deutschen vielen deutschsprachigen Lernern schwer f¨allt, bereitet nur we- nigen Befragten Probleme. Kongruenz, Flexion und Pronomengebrauch deuten daraufhin, dass diejenigen

232 12.12 Zwischenfazit sprachlichen Besonderheiten einer Fremdsprache schwieriger zu automatisieren sind, die zur Muttersprache kontrastiv sind. Ahnlichkeiten¨ in den Grammatikregeln fuhren¨ offenbar eher zur Vollkompetenz. Die Auswertung des Sprachmaterials l¨asst daruber¨ hinaus Ruckschl¨ usse¨ auf ei- nen m¨oglichen Einfluss des regionalen Spanisch auf die mennonitischen Sprecher zu. Tendenzen dazu zeigen sich bei der Verwendung der Determinanten, die sowohl in Paraguay als auch in Bolivien teilweise vom Standardspanischen abweichen oder sogar ausgelassen werden. In beiden L¨andern sind Abweichungen des Determinan- tengebrauchs bereits beobachtet worden und die Befragten k¨onnten dies aus ihrem Umfeld ubernommen¨ haben. Besonders naheliegend ist der Einfluss des regionalen Spanisch aber hinsichtlich des Tempus- und Aspektgebrauchs. In Sudamerika¨ wird das Gerundium h¨aufiger verwendet als auf der iberischen Halbinsel und diese Be- sonderheit kann bei den befragen Mennoniten in Paraguay auch ansatzweise belegt werden. Sehr aufschlussreich ist aber, dass bei den in Bolivien interviewten Anabaptisten deutlich das perfecto das indefinido zu verdr¨angen scheint. Dies ist fur¨ das boliviani- sche Hochland bereits dokumentiert und die vorliegende Arbeit legt die Erkenntnis nahe, dass das auch auf das Tiefland zutrifft - daruber¨ hinaus gibt es weitere Ten- denzen, die darauf hinweisen k¨onnten, dass Sprachkontakt zwischen den Mennoniten und den Spanischsprachigen stattfindet, obwohl die meisten Wiedert¨aufer sehr iso- liert leben.

233

13 Auswertung der direkten Translationen

Aufbauend auf die Auswertungen der Tonbandaufnahmen der freien Gespr¨ache wer- den im folgenden Kapitel die Ubersetzungen¨ dargestellt, die von den befragten Men- noniten am Ende eines jeden Interviews erbeten wurden. Im Grundsatz orientie- rensichdiezurUbersetzung¨ ausgew¨ahlten S¨atze an den Studien von Kaufmann (Kaufmann 1997) und Scharf (Scharf 2001). Nach einer Vorstudie vor Ort wurden die S¨atze aber nochmal in Hinblick auf Auff¨alligkeiten etwas angepasst: So wurde schon in dieser deutlich, dass gerade Flexionen ein Problem fur¨ die Sprecher zu sein scheinen. Es wurden von der Interviewenden folgende S¨atze vorgelesen und von den Interviewpartnern spontan auf Spanisch ubersetzt:¨

1. Er kam jeden Samstag. 2. Er kam letzten Samstag.

Die beiden ersten S¨atze wurden ausgew¨ahlt, um feststellen zu k¨onnen, ob die Befragten zwischen dem indefinido und dem imperfecto unterscheiden oder fur¨ beide S¨atze dieselbe Vergangenheitszeit verwenden. Da die Vergangenheits- tempora der deutschen (sowohl Hoch- als auch Niederdeutsch, s.o.) Sprache nur das Pr¨ateritum, Perfekt und Plusquamperfekt kennen, ist es fraglich, ob den Mennoniten die abweichenden grammatikalischen Regeln des Spanischen bekannt sind bzw. ob sie von ihnen automatisiert wurden. Die spanische Gram- matik kennt den aspektuellen Unterschied zwischen einem Zustand und einem Vorgang, eine vergleichbare Aspektdifferenzierung ist in der deutschen Gram- matik nicht angelegt (Cartagena & Gauger 1989: 431).

3. Ich bin 20 Jahre alt.

Mit diesem Satz sollte ermittelt werden, ob die interviewten Wiedert¨aufer die im Spanischen korrekte Ausdrucksform tengo 20 a˜nos verwenden, oder ob sie eine Form von ser/estar w¨ahlen, da es im Deutschen heißt ich bin 20 Jahre ” alt“.

235 13 Auswertung der direkten Translationen

4. Sie soll ihrer Mutter helfen.

Dieser Satz wurde ausgew¨ahlt, um zeigen zu k¨onnen, ob die Befragten sicher im Umgang mit Modalverben sind. In den freien Gespr¨achen entstand der Ein- druck, dass diese von vielen Sprechern gemieden werden.

5. Ich mag meine Nachbarn.

Am Beispiel dieses Satzes sollte gezeigt werden, ob den Interviewten die im Spanischen notwendige Akkusativpr¨aposition a,fur¨ die es im Hoch- und Nie- derdeutschen keine Entsprechung gibt, auch in der direkten Ubersetzung¨ gel¨au- fig ist, in den freien Interviews waren hier kaum Auff¨alligkeitenzubeobachten.

6. Bist du sicher, dass er nichts getan hat?

Dieser Satz sollte zum einen ebenfalls daruber¨ Aufschluss geben, ob die Inter- viewten zwischen ser/estar unterscheiden und außerdem daruber,¨ ob indefini- do/pret´erito perfecto auseinandergehalten werden, zu deren Unterscheidung es keine Entsprechung im Deutschen gibt.

7. Wenn ich Zeit gehabt h¨atte, h¨atte ich das Buch gelesen.

Hier sollte der Konditionalsatz III gebildet werden, der den spanischen subjun- tivo erfordert. Dieser Modus wurde in den freien Gespr¨achen auffallend von allen Befragten gemieden und es war daher fraglich, ob er von den Wiedert¨au- fern beherrscht wird.

8. Ich bin bereit, es zu tun.

In diesem Satz kommt es erneut auf eine Unterscheidung von ser/estar an, die in der deutschen Grammatik keine Entsprechung findet. Daruber¨ hinaus war es aber von Interesse, ob die Interviewten in der Lage waren, das Pronomen des Satzes an den Infinitiv anzuh¨angen.

9. Peter wird zum Fischen gehen.

236 13.1 Auswertung zu Er kam letzten Samstag“ ”

An diesem Satz wurde untersucht, ob die Befragten das synthetische oder das analytische Futur bevorzugen. Das kann einen Hinweis auf den m¨oglichen Ein- fluss des regionalen Spanisch auf die Sprecher geben.

13.1 Auswertung zu Er kam letzten Samstag“ ” Die Ubersetzung¨ des Satzes ‘Er kam letzten Samstag’ stellt sich fur¨ die in Paraguay lebenden Mennoniten wie folgt dar:

1. EV: El´ vino el s´abado pasado.

2. VA: El´ ven´ıels´abado pasado.

3. ML: El´ vino el s´abado pasado.

4. MO: El´ vino elultimo ´ s´abado.

5. EG: El´ vino el s´abado pasado.

6. FI: El´ vino elultimo ´ s´abado.

7. RY: El´ vino elultimo ´ s´abado.

8. EL: El´ vino elultimo ´ s´abado.

9. DO: El´ vino el s´abado pasado.

10. MA: Elultimo ´ s´abado tambi´en vino.

11.DM:Vinoels´abado pasado.

12. ED: El´ vino el s´abado pasado.

13. PE: El´ vino el s´abado pasado.

14. CA: El´ vino el s´abado pasado.

15. MR: El´ vino elultimo ´ s´abado.

16. FE: El´ vino elultimo ´ s´abado.

Alle Befragten entschieden sich fur¨ das indefinido, welches im Standardspanischen die korrekte Zeitform ist, um eine einmalige Handlung in der Vergangenheit auszu- drucken¨ (RAE 2009a: 23.9a). Die meisten der Interviewten zeigten in der direkten Ubersetzung¨ dieses Satzes keinerlei Probleme, das Verb venir korrekt zu konjugieren.

237 13 Auswertung der direkten Translationen

Nur VA zeigte Schwierigkeiten, da sie nicht erkannte, dass da Verb venir unregelm¨a- ßig ist; sie bildete eine typische lernersprachige Analogie. Allerdings lernt sie erst seit kurzem Spanisch. Dass die meisten venir jedoch korrekt konjugierten, ist insofern bemerkenswert, als dass in den freien Interviews fast alle befragten Wiedert¨aufer Flexionsfehler aufwiesen (s.o.). Dies l¨asst zumindest fur¨ diesen Satz vermuten, dass die befragten Mennoniten in der direkten Situation, in der sie ubersetzen¨ sollten, konzentrierter sind als im freien Gespr¨ach w¨ahrend der Interviews, in denen der Schwerpunkt m¨oglicherweise eher in dem Inhalt der Aussage lag als in der Richtig- keit der verwendeten Sprache. Fast alle Sprecher, mit Ausnahme von DM, nutzten vor dem konjugierten Verb das dazugeh¨orige Personalpronomen - alle in der korrekten 3. Pers. Sg. Es handelt sich hier zwar um ein grammatikalisch nicht zwingendes Personalpronomen, ohne dieses jedoch nicht eindeutig w¨are, ob die handelnde Person m¨annlich oder weiblich ist. Daher dient das Subjektpronomen in dem Kontext der Verst¨andlichkeit und ist nicht redundant. Alle Interviewten ubersetzten¨ den Wochentag korrekt: Samstag. Lediglich die Ubersetzung¨ von letzten wurde unterschiedlich realisiert: Einige ver- wendeten elultimo ´ s´abado, andere hingegen bevorzugten el s´abado pasado.Beide Varianten sind im Spanischen korrekt (DRAE 2012: rae.es). MA fugte¨ ihrer Ubersetzung¨ noch tambi´en hinzu, dies kommt in dem ihr vorgele- senen deutschen Satz nicht vor. In Bolivien wurde der Satz von den Befragten wie folgt ubersetzt:¨

1. WI: Elvinootros´´ abado.

2. RU: El´ vinoultima ´ s´abado.

3. KA: El´ vino elultimo ´ s´abado.

4. NA: El´ vino elultimo ´ domingo.

5. RL: El´ vino elultimo ´ domingo.

6. AR: El´ viene elultimo ´ s´abado.

7. MR: El´ ultimo ´ s´abado.

8. AB: El´ vino elultimo ´ s´abado.

9. AS: Est´aveniendoel´ultimo s´abado.

10. RO: Vino elultimo ´ s´abado.

11. AK: Se vino elultimo ´ s´abado.

12. PE: Vino elultimo ´ s´abado.

238 13.1 Auswertung zu Er kam letzten Samstag“ ”

13. AN: El´ viene elultimo ´ domingo.

14. MA: Viene el s´abado pasado.

15. AM: El´ ven´ıel´ultimo s´abado.

16. MM: El´ vino el s´abado pasado.

17. KT: Vengo laultima ´ semana.

Im Gegensatz zu den in Paraguay befragten Mennoniten entschieden sich die In- terviewpartner in Bolivien zwar mehrheitlich, aber nicht ausnahmslos, fur¨ das zu erwartende indefinido (RAE 2009a: 23.9a). Es zeigt sich hier also kein Ruckgang¨ des indefinido zugunsten des perfecto, obwohl sich diese Tendenz in den freien Interviews angedeutet hatte (s.o.). MR wurde der deutsche Satz mehrmals vorgelesen, sie ubersetzte¨ ihn wiederholt ohne Verb. AR, AN und MA verwendeten das presente, obwohl letzten Samstag,also ein Zeitpunkt, der in der Vergangenheit liegt, korrekt ubersetzt¨ wurde. KT entschied sich ebenfalls fur¨ das presente, noch dazu in der 1. Pers. Sg., zudem ubersetzte¨ sie letzte Woche anstelle von letzten Samstag. AM offenbarte eine lernersprachige Ana- logiebildung, indem sie die unregelm¨aßige Verbbildung von venir nicht erkannte. AS verwendete zur Ubersetzung¨ eine Verbalperiphrase und damit eine Form, die im Spanischen gew¨ahlt wird, um eine Handlung auszudrucken,¨ die im Augenblick des Sprechens geschieht (RAE 2009b: 27.1b). Es zeigte sich jedoch bereits in den freien Interviews, dass er offenbar uberproportional¨ h¨aufig eine Verbalperiphrase verwendet, m¨oglicherweise stammt dies aus dem Plautdietschen, wo tun+Infinitiv vergleichbar zur spanischen Verbalperiphrase genutzt wird. Bemerkenswert ist, dass AB in den freien Gespr¨achen ebenfalls ausschließlich das presente verwendete, hier in der direkten Ubersetzung¨ jedoch korrekterweise das indefinido nutzte. AN hatte in dem freien Gespr¨ach die Tendenz gezeigt, Vergangenheitsformen zu verwenden, wenn es sich um das presente handelt. Hier ist es umgekehrt: Der zu ubersetzen-¨ de Satz erfordert das indefinido,ANjedochw¨ahlte das presente.M¨oglicherweise hat er generell Schwierigkeiten, die spanischen Tempora passend zum Kontext zu verwenden. Die Mehrheit der Befragten verwendete in dem Satz auch das Subjektpronomen. RO,PEundMAverwendetenkeinPronomenundließendamitoffen,obessich um eine m¨annliche oder weibliche Person handelt, die die Handlung durchfuhrt.¨ M¨oglicherweise kam es ihnen redundant vor. AK hingegen entschied sich fur¨ das unpers¨onliche se. NA, RL und AN verwechselten den Wochentag und ubersetzten¨ nicht s´abado,sonderndomingo. Die meisten Befragten nutzten die Konstruktion ultimo´ s´abado, lediglich drei der Interviewten ubersetzten¨ el s´abado pasado;esist m¨oglich, dass hier eine regionale Pr¨aferenz vorliegt. WI hingegen entschied sich fur¨

239 13 Auswertung der direkten Translationen otro s´abado, ihre Spanischkenntnisse sind nach eigener Aussage recht eingeschr¨ankt, so dass zu vermuten ist, dass ihr keine andere Vokabel fur¨ letzten gel¨aufig war. An dieser Stelle zeigt sich wiederum keinerlei Hinweis auf eine Aufweichung des Unterschiedes zwischen dem indefinido und dem pret´erito perfecto im Spanischen, die als Charakteristikum des bolivianischen Spanisch des Hochlands von Mendoza festgestellt worden war (s.o.). In der direkten Ubersetzung¨ verwendete niemand das perfecto. Insgesamt ist mehr Diversit¨at in der Translation des Satzes zu erkennen als dies bei den Befragten in Paraguay der Fall war. Die Wahl des korrekten Tempus fiel den in Bolivien lebenden Mennoniten offensichtlich schwerer als ihren Glaubensbrudern¨ aus dem Nachbarland. Ebenso problematisch zeigte sich die Ubersetzung¨ des Tempus bzw. der passenden Verbflexion, um das Tempus bilden zu k¨onnen. Schwierigkeiten zeigtensichauchbeiderUbertragung¨ des Wochentags Samstag ins Spanische. Diese Auff¨alligkeiten zeigten sich bei den in Paraguay lebenden Wiedert¨aufern nicht.

13.2 Auswertung zu Er kam jeden Samstag“ ” Die Ubersetzung¨ des vorgelesenen Satzes Er kam jeden Samstag“ gestaltete sich fur¨ ” die in Paraguay Befragten wie folgt:

1. EV: Elvinocadas´´ abado.

2. VA: El´ ven´ı cada s´abado.

3. ML: Elvinocadas´´ abado.

4. MO: El´ vino todos los s´abados.

5. EG: El´ ven´ıa todos los s´abados.

6. FI: Elvinocadas´´ abado.

7. RY: El´ ven´ıa cada s´abado.

8. EL: Elvinocadas´´ abado.

9. DO: Elvinocadas´´ abado.

10. MA: Vino todos los s´abados.

11. DM: Elvinocadas´´ abado.

12. ED: El´ vino todos los s´abados.

13. PE: Elvinocadad´´ ıa.

240 13.2 Auswertung zu Er kam jeden Samstag“ ”

14. CA: Elvinocadas´´ abado.

15. MR: Elvinocadas´´ abado.

16. FE: Elvinocadas´´ abado.

Der hier vorliegenden Satz nimmt, im Gegensatz zu dem vorangehenden, Bezug auf eine T¨atigkeit, die zwar ebenfalls in der Vergangenheit liegt, jedoch regelm¨a- ßig durchgefuhrt¨ wurde. Im Standardspanischen ist daher das imperfecto zu w¨ahlen (RAE 2009a: 23.11a). Lediglich EG und RY entschieden sich fur¨ das imperfecto, alle anderen ubersetzten¨ den Satz mithilfe des indefinido.EsgibtkaumAuff¨alligkeiten hinsichtlich der Verbflexionen: Alle Befragten, mit Ausnahme von VA, ubersetzten¨ korrekt in der 3. Pers. Sg.; VA w¨ahlte ven´ı, eine schon bekannte lernertypische Ana- logieform, aber sie ist eine Sprecherin, die erst seit kurzem Spanisch lernt. Beinahe alle Interviewten nutzten das Subjektpronomen, lediglich MA tat dies nicht und ließ damit abermals offen, ob die handelnde Person m¨annlich oder weiblich ist. Die Mehrheit der Befragten ubersetzte¨ jeden Samstag mit der spanischen Wen- dung cada s´abado. MO, EG und ED hingegen entschieden sich fur¨ todos los s´abados. Beide Ubersetzungen¨ sind inhaltlich im Wesentlichen deckungsgleich (DRAE 2012: rae.es). Nur PE ubersetzte¨ cada d´ıa und gab dem Satz damit eine andere inhaltliche Deutung. Lediglich zwei Sprecher unterschieden also nach dem Standardspanischen erwar- tungsgem¨aß zwischen indefinido und imperfecto - beide haben regelm¨aßigen Kontakt mit der spanischen Sprache.

Der gleiche Satz wurde von den in Bolivien lebenden Mennoniten folgendermaßen ubersetzt:¨

1. WI: Elvinocadas´´ abado.

2. RU: El´ vine cada s´abado.

3. KA: El´ vino todos los s´abados.

4. NA: El´ vino cada domingo.

5. RL: Elvinocadas´´ abado.

6. AR: El´ viene cada s´abado.

7. MR: El´ viene cada s´abado.

8. AB: El´ ven´ıa cada s´abado.

241 13 Auswertung der direkten Translationen

9. RO: Vino todos los s´abados.

10. AK: Elvinocadas´´ abado.

11. PE: Vino cada s´abado.

12. AN: El´ viene todos los domingos.

13. MA: Vengo cada domingo.

14. AM: El´ ven´ı cada domingo.

15. MM: Elvinocadas´´ abado.

16. KT: Vengo cada fin de semana.

Auf den ersten Blick ist bei diesem Satz erneut eine gr¨oßere Heterogenit¨at bei den in Bolivien befragten Wiedert¨aufern in Bezug auf die Ubersetzung¨ des Satzes zu erkennen. Acht der Befragten entschieden sich fur¨ das indefinido, lediglich AB w¨ahlte das imperfecto. AR, MR, AN, MA und KT ubersetzten¨ im presente - alle hatten bereits im vorangehenden Satz vergleichbare Ubersetzungsprobleme¨ hinsichtlich der Tempora offenbart. Lediglich MR hatte vorher kein Verb verwendet; hier w¨ahlte sie ein semantisch passendes Verb, jedoch im presente. KT und MA nutzten zus¨atzlich die 1. Pers. Sg., obwohl die 3. Pers. Sg. in der Translation korrekt gewesen w¨are. Auffallend ist der von WI stammende Satz, da sie generelle Schwierigkeiten mit der Bildung der spanischen Tempora zeigte (s.o.), aber hier einmalig die korrekte Form des indefinido w¨ahlte, allerdings dort, wo das imperfecto die Norm w¨are. AM entschiedsichfur¨ die lernertypische Analogieform ven´ı. Mit Ausnahme von vier Personen verwendeten alle Interviewten das Subjektpro- nomen. KT, PE, RO und MA verwendeten das Pronomen bereits im vorangehenden Satz nicht und ließen damit erneut offen, ob die handelnde Person m¨annlich oder weiblich ist. RU verwendete zun¨achst korrekt die 3. Pers. Sg., im zweiten Satz jedoch abweichend die 1. Pers. Sg. MR ubersetzte¨ den ersten Satz sowohl ohne Pronomen als auch ohne Verb, im zweiten jedoch konnte sie das presente verwenden. AB nahm uberraschenderweise¨ als einziger der Befragten die nach dem Standardspanischen zu erwartende Unterscheidung zwischen indefinido und imperfecto vor - und das, obwohl es sich um einen ¨alteren Sprecher mit wenig Sprachpraxis handelt. AK ubersetzte¨ im ersten Satz mit se, im zweiten Satz verwendete sie das korrekte Pronomen. Die Ubersetzung¨ des gefragten jeden Samstag ist wiederum sehr uneinheitlich. In besonderem Maße auff¨allig ist die Vermeidung des hier der Norm entsprechenden im- perfecto, lediglich AB ubersetzte¨ dies korrekt. Offenbar haben fast alle der befragten Mennoniten Schwierigkeiten, den aspektuellen Unterschied zwischen indefinido und imperfecto zu automatisieren. Dies geht sicherlich auf den Einfluss des Deutschen

242 13.3 Auswertung zu Ich bin 20 Jahre alt“ ” zuruck,¨ dessen Grammatik eine solche Differenzierung nicht kennt. Eine Mehrheit von zehn Personen entschied sich fur¨ cada s´abado,KAundROubersetzten¨ todos los s´abados. Beide Varianten sind mit dem deutschen vorgelesenen Satz problemlos zu vereinbaren (DRAE 2012: rae.es). Drei Personen w¨ahlten erneut den Wochentag domingo anstelle von s´abado. AN und NA wiesen diese Verwechslung schon in dem vorangehenden Satz auf. Entweder lag hier ein grunds¨atzlicher Irrtum vor oder sie waren sich unsicher in der korrekten Benennung der Wochentage. Letzteres erscheint vor allem in Bezug auf NA sehr unwahrscheinlich, da sie fruh¨ begann, die spanische Sprache zu erlernen und daruber¨ hinaus nach eigener Aussage viel beruflichen Kon- takt mit dem Spanischen hat. AM und MA hingegen zeigten die Verwechslung der Wochentage im ersten zu ubersetzenden¨ Satz nicht. KT entschied sich wiederum fur¨ eine deutlich abweichende Ubersetzung:¨ cada fin de semana. Aufgrund ihrer gerin- gen Spanischkenntnisse kann vermutet werden, dass sie prinzipielle Schwierigkeiten hat, den ihr vorliegenden Satz zu ubersetzen¨ und sie neigt offenbar dazu, abweichen- de, weniger in den Kontext passende Vokabeln zu w¨ahlen, wenn ihr die korrekten W¨orter fehlen. Auch bei diesem zweiten zu ubersetzenden¨ Satz zeigt sich erneut, dass es den in Paraguay interviewten Mennoniten leichter f¨allt, eine Aussage aus dem Deutschen ins Spanische zu transferieren als ihren Glaubensbrudern¨ in Bolivien. Sie offenbaren weniger Schwierigkeiten mit der Wahl eines Tempus in der Vergangenheit und auch passende Vokabeln fur¨ eine angemessene Ubersetzung¨ sind den meisten gel¨aufig. Es zeigt sich aber auch, dass es fur¨ viele Befragte mit Schwierigkeiten behaftet ist, zwischen indefinido und imperfecto zu differenzieren - unabh¨angig davon, ob Hochdeutsch oder Plautdietsch L1 ist.

13.3 Auswertung zu Ich bin 20 Jahre alt“ ” Der n¨achste zu ubersetzende¨ Satz war Ich bin 20 Jahre alt“ und wurde in Paraguay ” wie folgt umgesetzt:

1. EV: Tengo 20 a˜nos.

2. VA: Tengo 20 a˜nos.

3. ML: Soy 20 a˜nos.

4. MO: Tengo 20 a˜nos.

5. EG: Tengo 20 a˜nos.

6. FI: Tengo 20 a˜nos.

7. RY: Yo tengo 20 a˜nos.

243 13 Auswertung der direkten Translationen

8. EL: Tengo 20 a˜nos.

9. DO: Tengo 20 a˜nos.

10. MA: Tengo 20 a˜nos.

11. DM: Yo tengo 20 a˜nos.

12. ED: Tengo 20 a˜nos.

13. PE: Tengo 20 a˜nos.

14. CA: Tengo 20 a˜nos.

15. MR: Yo tengo 20 a˜nos.

16. FE: Soy 20 a˜nos.

Von den in Paraguay lebenden Mennoniten ubersetzten¨ diesen Satz lediglich ML und FE mit einer konjugierten Form von ser, hierbei handelt es sich sehr wahr- scheinlich um eine Lehnubersetzung¨ aus dem Deutschen. Im Standardspanischen ist die Verwendung des Verbs tener zwingend erforderlich (DRAE 2012: rae.es). Fast alle Befragten hatten demzufolge keinerlei Probleme, das korrekte Verb zu w¨ahlen. Bei ML und FE handelt es sich zudem um ¨altere Befragte, die nie Unterricht in der spanischen Sprache genossen, sondern sie lediglich durch Kontakt mit anderen Sprechern erlernten. Auff¨allig ist, dass nur DM und MR das in diesem Satz redundante Subjektprono- men verwendeten, alle anderen, auch diejenigen, die es in den vorangehenden S¨atzen nutzten, ließen das Subjektpronomen in dieser Ubersetzung¨ aus. Dies ist insofern besonders erstaunlich, als dass in den Interviews festgestellt werden konnte, dass die Befragten bei der Verwendung der 1. Pers. Sg., dazu neigten, das Subjektpronomen zu verwenden (s.o.). Diese Neigung stellt sich in dem vorliegenden Satz nun v¨ollig anders dar, m¨oglicherweise deshalb, weil er in der Ubersetzungssituation¨ isoliert er- scheint und sich die Befragten somit eher darauf besinnen, dass Subjektpronomen im Spanischen regelm¨aßig ausgelassen werden. In den freien Interviews war es vermehrt zur Nennung redundanter Pronomen gekommen, in den direkten Ubersetzungen¨ kam dies vergleichsweise selten vor. Es ist m¨oglich, dass der Einfluss der Muttersprache im Gespr¨ach h¨oher ist, als wenn die Befragten bewusst und konzentriert einen einzelnen Satz transferieren sollen. Allerdings ist vengo deutlichals1.Pers.Sg.markiert;dies k¨onnte auch das Weglassen des Pronomens verursacht oder zumindest unterstutzt¨ haben. Im Hinblick auf die korrekten Verbflexionen und das notwendige Vokabular fur¨ diesen Satz gibt es keinerlei Auff¨alligkeiten. Dies ist im Vergleich zu den freien

244 13.3 Auswertung zu Ich bin 20 Jahre alt“ ”

Interviews wiederum positiv zu bewerten, dort war die Anzahl der inkorrekten Fle- xionen bei fast allen Sprechern hoch; hier hingegen konjugierten die Interviewten ausnahmslos richtig. Mit Ausnahme von DM und MR hatte keiner der Interviewten Schwierigkeiten, diesen Satz zu ubersetzen.¨ In Bolivien wurde der Satz von den Befragten folgendermaßen ubersetzt:¨

1. WI: Yo est´a20a˜nos.

2. RU: Yo soy 20 a˜nos.

3. KA: Tengo 20 a˜nos.

4. NA: Tengo 20 a˜nos.

5. RL: Tengo 20 a˜nos.

6. AR: Yo tengo 20 a˜nos.

7. MR: Yo soy 20 a˜nos.

8. AB: Tengo 20 a˜nos.

9. AS: Tengo 20 a˜nos.

10. RO: Tengo 20 a˜nos.

11. AK: Tengo 20 a˜nos.

12. AN: Tengo 20 a˜nos.

13. MA: Tengo 20 a˜nos.

14. AM: Yo tengo 20 a˜nos.

15. MM: Tengo 20 a˜nos.

16. KT: Tengo 20 a˜nos.

Insgesamt zeigten die in Bolivien befragten Wiedert¨aufer bei der Ubersetzung¨ die- ses Satzes auch sehr wenige Auff¨alligkeiten. MR verwendete als einzige Interviewte eine konjugierte Form von ser: Auch bei ihr handelt es sich um eine der ¨alteren Befragten, die nie in Spanisch unterrichtet wurden. Bei ihr ist wie bei ML und FE aus Paraguay von einer aus dem Deutschen stammenden Lehnubersetzung¨ auszu- gehen. WI entschied sich fur¨ die 3. Pers. Sg. des Verbs estar, sie ist eine derjenigen Mennonitinnen, die kaum und ungern Spanisch sprechen, so dass die Verwendung

245 13 Auswertung der direkten Translationen der falschen Vokabel und die Kombination aus yo+est´a bei ihr wenig uberraschend¨ ist. Funf¨ der Interviewten verwendeten das redundante Subjektpronomen, somit also mehr als bei den in Paraguay Befragten, aber dennoch die Minderheit. Abgesehen von AR handelt es sich um dieselben Sprecher, die bereits in den freien Interviews zur uberproportional¨ h¨aufigen Verwendung von redundanten Pronomen neigten (s.o.). Insgesamt kam es seltener zur Verwendung redundanter Pronomen als in den freien Interviews. In Bezug auf die korrekte Verbflexion und das fur¨ diesen Satz notwendige Voka- bular zeigten sich auch in Bolivien keine weiteren Auff¨alligkeiten. Auch hier konn- te, im Vergleich zu den freien Gespr¨achen, eine normgerechtere Sprachverwendung beobachtet werden. Dieser Satzes unterstreicht die bereits beobachtete Tendenz, dass kaum einer der Interviewten Schwierigkeiten mit der Unterscheidung von te- ner/ser/estar hat. Den meisten ist bekannt, dass fur¨ die Ubersetzung¨ dieses Satzes das Verb tener notwendig ist. Nur die seltene Verwendung des Subjektpronomens im Vergleich zu den fortlaufenden Interviews ist auff¨allig und bietet Potenzial fur¨ weitere Untersuchungen.

13.4 Auswertung zu Sie soll ihrer Mutter helfen“ ” Die Ubersetzungen¨ des Satzes Sie soll ihrer Mutter helfen“ durch die paraguayischen ” Mennoniten lauten wie folgt:

1. EV: Ayudarle a tu mam´a.

2. VA: Ella debe ayudar a su madre.

3. ML: Ella debe ayudar a su mam´a.

4. MO: Ella tiene que ayudar a su mam´a.

5. EG: Ella debe ayudar a su mam´a.

6. FI: Ella tiene que ayudar a su mam´a.

7. RY: Usted debe ayudar a su mam´a.

8. EL: Ella tiene que ayudar a tu mam´a.

9. DO: Elle tiene que ayudar a su mam´a.

10. MA: Ella debe ayudar a su madre.

11. DM: Ella debe ayudar a su mam´a.

246 13.4 Auswertung zu Sie soll ihrer Mutter helfen“ ”

12. ED: Ten´eis que ayudarle a tu mam´a.

13. CA: Ella debe ayudar a su madre.

14. MR: Vos ten´eis que ayudar a tu mam´a.

15. FE: Ella debe ayudar a su madre.

Zun¨achst ist bemerkenswert, dass fast alle der Befragten in den freien Interviews Auff¨alligkeiten hinsichtlich der Verbflexionen zeigten (s.o.), dies jedoch hier in der di- rekten Translation kein weitreichendes Problem zu sein schien. Auch dieser Umstand bietet Potenzial fur¨ weitere Untersuchungen, die freies Interview und Befragungssi- tuation gegenuberstellen.¨ In diesem Satz wurde eine Ubersetzung¨ mit den Verben deber oder haber que er- wartet (DRAE 2012: rae.es), die beide ad¨aquate Modalverben fur¨ die Translation des deutschen soll darstellen. Keiner der Befragten in Paraguay nutzte eine Kon- struktion mit haber que, acht der Interviewteilnehmer entschieden sich jedoch fur¨ die Verwendung des Verbs deber. Alle Befragten, die sich fur¨ ein passendes Verb ent- schieden, konstruierten auch den Rest des Satzes ohne weitere Auff¨alligkeiten. Alle Interviewten nutzten außerdem das korrekte weibliche Subjektpronomen, w¨ahlten dasTempusimpresente und zeigten keine Schwierigketen bei der Wahl des Voka- bulars. Im Hinblick auf die Akkusativpr¨aposition a best¨atigte sich der Eindruck, der bereits in den freien Interviews gewonnen wurde - die deutliche Mehrheit der Sprecher ist sich der spanischen Regel bewusst (s.o.). RYentschiedsichfur¨ das f¨ormliche Pronomen Usted. Dies ist aber vermutlich auf ein Missverst¨andnis bzgl. der grammatikalischen Person zuruckzuf¨ uhren,¨ das beim Vorlesen des deutschen Satzes entstanden sein muss. M¨oglicherweise ging er davon aus, dass die Interviewende mit der handelnden Person des Satzes gemeint war und w¨ahlte daher die f¨ormliche Anrede. Es ist aber auch m¨oglich, dass er sie soll mit sie sollen verwechselte. Sechs der Sprecher entschieden sich fur¨ eine Konstruktion mit dem Verb tener que, das allerdings die Bedeutung mussen“¨ hat und daher inhaltlich nicht gut passt ” (DRAE 2012: rae.es). Gerade bei FI, EL und DO ist dies uberraschend,¨ da es sich und Mennoniten mit regelm¨aßigem Sprachkontakt handelt, die bereits fruh¨ mit dem Erwerb des Spanischen begannen. Bei den anderen handelt es sich um Befragte, die nach eigenen Angaben wenig Sprachkontakt haben bzw. sp¨at die spanische Sprache erlernten. MR ubersetzte¨ mithilfe des Subjektpronomens vos, das auf den im paraguayischen Spanisch ublichen¨ voseo hindeuten k¨onnte. In Paraguay gibt es mehrere Subsysteme des voseo: Manchmal wird das Pronomen in Verbindung mit dem Verb in der 2. Pers. Sg. verwendet (Vos tienes tiempo),dasPersonalpronomenkannjedochauch in Verbindung mit dem konjugierten Verb in der 2. Pers. Pl. auftreten (Vos ten´eis

247 13 Auswertung der direkten Translationen tiempo). Es ist aber immer die angesprochene Person im Singular gemeint (Choi 1998: 58). MR und ED verwendeten das Verb in der 2. Pers. Pl., ED l¨asst das Subjektpronomen dabei im Gegensatz zu MR aus. Hier ist also der Einfluss des regionalen Spanisch bei beiden Sprechern m¨oglich. Vermutlich liegt daruber¨ hinaus eine Fehlinterpretation des deutschen sie aus dem vorgelesenen Satz vor. EV ver¨anderte ebenfalls die Bedeutung des Satzes, indem sie ihn in den Infinitiv transferierte; es handelt sich um eine junge Mennonitin, die in ihrer Ausbildung uber-¨ wiegend Spanisch spricht, so dass der inkorrekt ubersetzte¨ Satz uberraschend¨ ist. Im positiven Sinne bemerkenswert hingegen ist der nach dem Standardspanischen rich- tig transferierte Satz von VA, die w¨ahrend des freien Interviews oft Unsicherheiten zeigte und auch erst seit Kurzem Spanisch erlernt. Die vorliegende Konstruktion, die sogar die Verwendung eines Modalverbs erfordert, bereitet ihr aber offenbar keine Schwierigkeiten. Vier der Befragten entschieden sich fur¨ das Possessivpronomen tu, abweichend davon, dass in dem vorgelesenen Satz nach ihrer Mutter gefragt wurde und daher su richtig ist. EV und EL sind Mennonitinnen mit regelm¨aßigem Sprachkontakt, bei ED und MR trifft dies nicht zu. Es ist denkbar, dass diese beiden Sprecher sich auf die Interviewende bezogen und davon ausgingen, es handele sich um ihre Mutter. Das von ED und MR verwendete Pronomen k¨onnte auch wiederum auf eine Fehlinterpretation der handelnden Person zuruckgehen,¨ da tu das zum voseo geh¨orende Pronomen ist. Elf der Befragten entschieden sich fur¨ das Nomen mam´a,dasihnenm¨oglicherweise - evtl. auch aus dem Deutschen - vertrauter erschien. Die ubrigen¨ vier ubersetzten¨ mit madre, das dem vorgelesenen Satz direkt entspricht. Die befragten bolivianischen Wiedert¨aufer gaben den Satz wie folgt wieder:

1. WI: Puede (who?) ayudar a su mam´a.

2. RU: Ella va a ayudar a su mam´a.

3. KA: Debo ayudar a mi mam´a.

4. NA: Ella tiene que ayudar a su madre.

5. RL: Ella tiene que ayudar a su madre.

6. AR: Usted debe ayudar a su madre.

7. MR: Ella ayuda la mam´a.

8. AB: Tiene que ayudar a su mam´a.

9. AS: Tienes que ayudar a mi mam´a.

248 13.4 Auswertung zu Sie soll ihrer Mutter helfen“ ”

10. RO: Tienes que ayudar a tu madre.

11. AK: Que ayuda su madre.

12. PE: Tiene que ayudar a tu madre.

13. AN: Tiene que ayudar a su mam´a.

14. MA: Deber´ıa ayudar a su mam´a.

15. AM: Que ayudes tu mam´a.

16. MM: Ella tiene que ayudar a su mam´a.

17. KT: Tiene que ayudar a su madre.

Es wird direkt offensichtlich, dass bei diesem Satz zwischen den in Paraguay und Bolivien befragten Wiedert¨aufern erhebliche Unterschiede vorliegen. Niemand der befragten Mennoniten aus Bolivien ubersetzte¨ den Satz der Bedeutung des deut- schen Satzes gem¨aß korrekt. Stattdessen liegen viele Ubersetzungsvorschl¨ ¨age vor, die bei acht Sprechern - also mehrheitlich - mit einer Form von tener que gebildet wurden. Das Modalverb deber, auf das es in diesem Satz ankam, wurde nur von einer Minderheit von drei Personen verwendet: KA, AR und MA. Auff¨allig ist, dass viele Sprecher beider L¨ander zu einer Ubersetzung¨ dieses Satzes mit einer Form von tener que neigten, das inhaltlich nicht ganz korrekt ist. Entweder war den Interviewten die passende Vokabel fur¨ sollen nicht gel¨aufig, oder sie verwechselten sie. Allerdings sind sich sollen und mussen¨ semantisch sehr nahe, daher ist es m¨oglich, dass die Sprecher, die tener que verwendeten, dies fur¨ hinreichend ¨aquivalent hielten. KA transferierte den vorgegebenen Satz in die 1. Pers. Sg., sowohl hinsichtlich der Flexion des Verbes als auch in Bezug auf das Possessivpronomen; offenbar bezog sie den Satz auf sich selbst. AR verwendete, wie bereits einige Sprecher in Paraguay, das f¨ormliche Subjektpronomen Usted; wahrscheinlich bezog er die h¨ofliche Anrede auf die Interviewende. MA nutzte das Verb in der Konditionalform und druckte¨ damit aus sie sollte ihrer Mutter helfen“. Es handelt sich um einen dem Standardspani- ” schen entsprechend korrekt gebildeten Satz, jedoch weicht er von dem deutschen zu transferierenden Satz ab. Die Konstruktionen mit tener que sind untereinander sehr verschieden: Teilwei- se erfolgten die Ubersetzungen¨ mit korrektem Subjektpronomen (NA, RL, MM), manche ließen diese jedoch auch aus (AB, AS, PE, AN, KT). Daruber¨ hinaus verwendeten AS und RO die Verbflexion der 2. Pers. Sg., noch da- zu mit den Possessivpronomen tu und mi. AS verstand es m¨oglicherweise so, dass die in dem Satz handelnde Person der Mutter von jemand anderem helfen solle, w¨ahrend RO den Satz so interpretierte, dass sie ihrer eigenen Mutter helfen solle. RU bildete

249 13 Auswertung der direkten Translationen eine analytische Futurform und ließ das Modalverb dabei komplett aus. Allerdings sind die Bedeutungen des Futurs und des Modalverbs sollen semantisch ¨ahnlich, das kann zumindest bedeuten, dass RU den Satz inhaltlich nachvollziehen konnte. Ahn-¨ lich verhielt es sich bei MR, die eine Pr¨asensform ohne Modalverb w¨ahlte und die Akkusativpr¨aposition a aussparte. WI ubersetzte¨ den Satz mit einer konjugierten Verbform von poder, sie wechselte jedoch schnell ins Englische, da ihr diese Sprache am leichtesten f¨allt und gab zu verstehen, dass sie Schwierigkeiten hatte, eine spa- nische Ubersetzung¨ zu finden. Es handelt sich um Sprecher, die sp¨at begannen, die spanische Sprache zu erlernen. AM w¨ahlte eine Imperativform und somit im Grunde eine L¨osung, die dem vorgelesenen Satz inhaltlich sehr nahe kommt. AM ubersetzte¨ allerdings mit dem Verb in der 2. Pers. Sg. und ließ als eine von drei in Bolivien Interviewten die Akkusativpr¨aposition a aus. AK entschied sich fur¨ eine ¨ahnliche Ubersetzung,¨ allerdings im inkorrekten Modus (ayude). Die Schwierigkeiten der Be- fragten, diesen Satz ins Spanische zu ubersetzen,¨ sind so verschieden, dass sie keine Kategorisierung erlauben. Lediglich sechs der Sprecher verwendeten das Subjektpronomen (RU, NA, RL, MR, MM), dies sind diejenigen Befragten, die in den freien Interviews zu einer Nen- nung redundanter Pronomen neigten (s.o.). Die anderen nannten keine Pronomen undmachtensomitinihrerUbersetzung¨ nicht deutlich, ob die handelnde Person m¨annlich oder weiblich ist. Zehn der in Bolivien Interviewten entschieden sich, Mutter mit mam´a zu uber-¨ setzen, die anderen w¨ahlten das etwas f¨ormlichere Nomen madre.DieWortwahl erscheint interessant und es ist die Frage zu stellen, ob sich m¨oglicherweise soviele Sprecher fur¨ mam´a entschieden, weil es dieses Wort auch in ihrer Muttersprache gibt und es ihnen daher gel¨aufiger ist. Es scheint nur sehr Wenigen von Ihnen eine Satzkonstruktion mit einem Modalverb m¨oglich. Die Vermutung liegt nahe, das vielen von ihnen das Verb deber unbekannt ist, dies ließen die freien Interviews bereits erkennen. Einige zeigten auch Auff¨allig- keiten bei der Wahl der ad¨aquaten Verbflexion; auch dies war schon w¨ahrend der Gespr¨ache zu beobachten. Die teilweise sehr großen Unterschiede in der Ubersetzung¨ zeigen, dass viele der in Bolivien befragten Mennoniten vielfach Probleme mit einer normgerechten Ver- wendung des Spanischen haben. Dennoch war die spanische Akkusativpr¨aposition, wie in den fortlaufenden Interviews, auch hier wieder fur¨ die Mehrheit der Sprecher kein Problem und sie dachten daran, sie zu verwenden. Sowohl die niederdeutsche als auch die hochdeutsche Grammatik kennen Mo- dalverben, dennoch zeigen sich sowohl in Paraguay als auch in Bolivien deutliche Schwierigkeiten bei den Ubersetzungss¨ ¨atzen, die eine Konstruktion mit einem Mo- dalverb erfordern. In Bolivien werden erneut erheblich mehr Auff¨alligkeiten deutlich als in Paraguay, so dass wiederum festgestellt werden kann, dass die in Paraguay befragten Mennoniten gefestigtere Spanischkenntnisse haben als ihre interviewten

250 13.5 Auswertung zu Ich mag meine Nachbarn“ ”

Glaubensbruder¨ in Bolivien.

13.5 Auswertung zu Ich mag meine Nachbarn“ ” Als n¨achstes war der Satz Ich mag meine Nachbarn“ zu ubersetzen.¨ Folgende Trans- ” lationen der in Paraguay befragten Wiedert¨aufer sind dokumentiert:

1. EV: Me gustan mis vecinos.

2. VA: Me encantan mis vecinos.

3.ML:Yoquieroamisvecinos.

4. MO: Me gustan mis vecinos.

5. EG: A m´ı me gustan mis vecinos.

6. FI: Considero a mis vecino muy simp´atico.

7. RY: Me cae bien mi vecina.

8. EL: Les quiero a mis vecinos.

9. DM: A m´ı me gustan mis vecinos.

10. MA: Quiero a mis vecinos.

11.DO:Yoquieroamisvecinos.

12. ED: Me quiero a mis vecinos.

13. PE: Quiero a mi vecina.

14. CA: Me gusta mi vecino.

15.MR:Yoquieroamivecina.

16. FE: Quiero a mis vecinos.

Acht der Befragten w¨ahlten das Verb querer, wobei es alle korrekt konjugierten. ML, DO und MR verwendeten es in Verbindung mit dem ad¨aquaten Subjektprono- men yo, das an dieser Stelle allerdings redundant ist. ED verwendete offenbar das Objektpronomen me anstelle des Nominativpronomen yo. Es handelt sich um einen ¨alteren Sprecher, der erst sp¨at begann, Spanisch zu erlernen. Ein m¨oglicher Grund fur¨ die Verwendung des inkorrekten Pronomens k¨onnten sein, dass er me gusta und

251 13 Auswertung der direkten Translationen quiero verwechselte, es w¨are aber auch ein Einfluss anderer reflexiver Verben denk- bar. EL hingegen verwendete das Akkusativpronomen im Plural (les) und betonte somit grammatikalisch das Satzobjekt. Alle Sprecher, die sich fur¨ eine Konstrukti- on mit querer entschieden, verwendeten die hier notwendige Akkusativpr¨aposition korrekt und zeigten damit erneut, dass diese spanische Besonderheit, obwohl sie mit der deutschen Grammatik kontrastiv ist, keine nennenswerte Schwierigkeit fur¨ die befragten Mennoniten darstellt. EV, MO, EG, DM und CA entschieden sich fur¨ das Verb gustar. Da in diesem Fall vecinos in dem Satz das Subjekt ist, ist die Akkusativpr¨aposition des Spanischen nicht zu benutzen. Dies wurde von allen funf¨ Sprechern korrekt umgesetzt. RY entschied sich mit caer bien fur¨ eine etwas umgangssprachliche (DRAE 2012: rae.es), inhaltlich jedoch korrekte Ubersetzung.¨ FI hingegen w¨ahlte eine inhaltlich leicht abweichende, sehr f¨ormliche Ubersetzung¨ des Satzes und wies dabei Probleme mit der Numeruskongruenz auf. Sie zeigte in der Interviewsituation Schwierigkeiten, diesen Satz zu ubersetzten,¨ wollte ihn wiederholt h¨oren und uberlegte¨ lange. Ein Fehler in der Numeruskongruenz k¨onnte somit auch auf aufgetretene Unsicherheiten zuruckzuf¨ uhren¨ sein. Meine Nachbarn steht grammatikalisch im Plural, das Geschlecht wird nicht fest- gelegt. Daher w¨are eine Ubersetzung¨ mit dem spanischen mis vecinos naheliegend, da dies eine Ubersetzung¨ w¨are, die ebenfalls das Geschlecht der Nachbarn offen lie- ße. Zehn der Sprecher setzten dies um, wobei alle das passende Possessivpronomen w¨ahlten. CA entschied sich fur¨ die m¨annliche Singularform, m¨oglicherweise hat er einen m¨annlichen Nachbarn, an den er dachte, und w¨ahlte daher diese Form. RY, PE und MR hingegen ubersetzten¨ mit der weiblichen Person im Singular; auch hier ist es m¨oglich, dass sie eine weibliche Nachbarin haben und deswegen diese Form w¨ahlten. Bei den in Paraguay lebenden Mennoniten konnte anhand der Ubersetzung¨ die- ses Satzes gezeigt werden, dass die im Spanischen notwendige Akkusativpr¨aposition auch hier keine Schwierigkeiten fur¨ die Befragten darstellt. Numeruskongruenzen be- reiten nur vereinzelt Probleme und die meisten entschieden sich fur¨ die zu erwartende Ubersetzung¨ mis vecinos. In Bolivien stellten sich die Translationen fur¨ den Satz wie folgt dar:

1.WI:Mequieromivecina.

2. RU: Yo gusta mi vecinos.

3. KA: Quiero a mis vecinos.

4. NA: Yo quiero a mis vecinos.

5. RL: A m´ı me gustan mis vecinos.

252 13.5 Auswertung zu Ich mag meine Nachbarn“ ”

6. AR: Me gustan mis vecinos.

7. MR: A mi me gusta mis vecinos.

8. AB: Yo quiero a mi vecino.

9. AS: A mi me gusta a mi vecino.

10. RO: Me gustan mis vecinos.

11. AK: Me gusta mis vecinos.

12. PE: Quiero mi vecino.

13. AN: Yo quiero a mi vecino.

14.MA:Yoquieroamisvecinos.

15. AM: Yo quiere mi vecino.

16.MM:Yoquieroamisvecinos.

17. KT: Me caen bien mis vecinos.

Sieben der Interviewten verwendeten eine Konstruktion mit dem Verb gustar, fast alle korrekt. Lediglich AS verwendete die hier nicht korrekte Akkusativpr¨aposition. Er wohnt in der Kolonie Morgenland und spricht nach eigener Aussage wenig Spa- nisch, meistens wenn er mit Bolivianern die Rinderpreise verhandelt. AS ist daruber¨ hinaus einer der befragten Mennoniten, die auch bei diesem Satz Auff¨alligkeiten in Hinblick auf die Nicht-Ubersetzung¨ des Plurals aufwiesen. In Verbindung mit gustar zeigten neben AS auch RU, MR und AK Fehler in Bezug auf die Kongruenz zwi- schen dem Verb und dem Subjekt. RU offenbarte bereits in den freien Gespr¨achen Abweichungen im Bereich der Kongruenzen im Spanischen. Fast alle Sprecher, die das Verb gustar verwendeten, zeigten eine korrekte Wahl des Objektpronomens. Lediglich RU zeigte Schwierigkeiten in Bezug auf die Kongruenz zwischen dem Possessivpronomen und dem Subjekt. Seine Spanischkenntnisse sind jedoch gering und er spricht nur ungern Spanisch, so dass Verwechslungen weniger uberraschend¨ sind. Neun der Sprecher, und damit die Mehrheit, entschieden sich fur¨ das Verb que- rer. Drei von ihnen (WI, PE, AM) ließen die hier notwendige Akkusativpr¨aposition aus. Allerdings handelt es sich bei diesen Dreien um ¨altere Sprecher, die keinen Spa- nischunterricht genossen, sondern ihre Kenntnisse durch Sprachkontakt erlangten. AM entschied sich zus¨atzlichnochfur¨ die Verbflexion der 3. Pers. Sg., obwohl er einer der wenigen Befragten ist, die w¨ahrend der freien Gespr¨ache hinsichtlich der Flexionen keine Auff¨alligkeiten zeigten. Bei ihm ist die fehlerhafte Verbendung daher

253 13 Auswertung der direkten Translationen wahrscheinlich der Situation, direkt ubersetzen¨ zu mussen,¨ geschuldet. Diejenigen, die diese Fehler machen, erkennen m¨oglicherweise nicht, oder nicht schnell genug, wann ein Akkusativ vorliegt, sondern setzen a immer vor das rechts stehende Nomen und kongruieren gustar mit dem vorne stehenden Nomen. Die Mehrheit der Befragten verwendete das in diesem Satz redundante Subjekt- pronomen yo, lediglich WI verwechselte es mit dem Objektpronomen me.Zwarzeigt WI erhebliche Schw¨achen in ihrem Sprachgebrauch allgemein, in Bezug auf die Ver- wendung der Pronomen bestanden w¨ahrend der freien Gespr¨ache jedoch keinerlei Auff¨alligkeiten (s.o.), so dass vermutet werden kann, dass die Verwechslung hier der Ubersetzungssituation¨ zuzuschreiben ist. M¨oglich ist aber auch, dass sie durch eine Konstruktion mit gustar beeinflusst wurde. Keiner der Interviewten, die sich fur¨ das Verb querer entschieden, zeigte Schwierig- keiten in der Numeruskongruenz. KT w¨ahlte eine ¨ahnliche Konstruktion wie schon RY in Paraguay und ubersetzte¨ den Satz mithilfe des Verbs caer bien.BeiderUber-¨ setzung von Nachbarn entschied sich eine Mehrheit von elf Befragten fur¨ die zu er- wartende Pluralform vecinos; abgesehen von RU verwendeten auch alle das ad¨aquate Possessivpronomen. Drei der Sprecher (AB, PE, AM) ubersetzten¨ das Objekt des Satz in der m¨annlichen Singularform vecino,w¨ahlten aber das passende Possessivpro- nomen. Auch hier ist es abermals m¨oglich, dass die Befragten an einen m¨annlichen Nachbarn dachten. Lediglich WI, die uber¨ sehr geringe Spanischkenntnisse verfugt,¨ entschiedsichfur¨ die weibliche Singularform vecina. Wie in Paraguay gibt es auch in Bolivien kaum Auff¨alligkeiten hinsichtlich der Akkusativpr¨apositionen. Die Verbflexionen sind, wie bereits in den freien Gespr¨a- chen festgestellt, zum Teil nicht korrekt und bereiten einigen Befragten offenbar Probleme. In 9.4 war das Gegenteil festgestellt worden, dort handelte es sich um die 3. Pers. Sg. und die Flexionen sind weitgehend korrekt. Hier zeigen sich bei den Konstruktionen mit gustar in der 3. Pers. Pl. Schw¨achen. Ebenso wie in Paraguay ubersetzte¨ die Mehrheit der Interviewten die deutschen Vorgabe neutral mit vecinos. Vereinzelt offenbarten sich Schwierigkeiten hinsichtlich der Numeruskongruenz, wie es auch bereits in Paraguay vorkam. Zudem kam es h¨aufig zur Nennung redundanter Pronomen, auch dies konnte im Zuge der freien Interviews bereits beobachtet werden (s.o.).

13.6 Auswertung zu Bist du sicher, dass er nichts getan ” hat?“

Als n¨achstes war der Satz Bist du sicher, dass er nichts getan hat“ zu ubersetzen.¨ ” Die Ergebnisse aus Paraguay gestalten sich wie folgt:

1. EV: ¿Est´asegurodeque´el se no siente?

254 13.6 Auswertung zu Bist du sicher, dass er nichts getan hat?“ ”

2. VA: ¿Usted est´an seguro que ´el ha hizo nada?

3. ML: ¿Est´aseguroque´el no hizo nada?

4.MO:¿Voscreequeno´el hizo nada?

5. EG: ¿Usted est´aseguroque´el no hizo nada?

6. FI: ¿Est´a seguro que ´el no hizo nada?

7. RY: ¿Usted est´aseguroque´el no hizo nada?

8. EL: ¿Est´a segura de que no hizo nada?

9. DO: ¿Est´an seguro que ´el no lo hizo?

10. MA: ¿Est´a seguro de que no hizo nada?

11. DM: ¿Est´aseguradeque´el no hizo nada?

12. ED: ¿Est´a seguro que no hizo nada?

13. PE: ¿Est´a seguro de que no ha hecho nada?

14. CA: ¿Est´aseguroque´el no hizo nada?

15. MR: ¿Est´a seguro que no hizo nada?

16. FE: ¿Est´a seguro que no hizo nada?

Dieser Beispielsatz gibt erneut Aufschluss daruber,¨ fur¨ welches Vergangenheits- tempus sich die befragten Wiedert¨aufer entscheiden, ob auch hier die Unterschei- dung ser/ estar weiterhin unproblematisch fur¨ die Interviewten ist und schließlich, ob sie den que´ısmo, also eine Auslassung der in diesen F¨allen im Standardspanischen notwendigen Pr¨aposition de in Que-S¨atzen realisieren (Lizama 2013: 1). Dieses Ph¨a- nomen ist in Lateinamerika h¨aufig zu beobachten (ebd.). In dem vorliegenden Satz hießeeskorrektEst´as seguro DE que; wird der Satz ohne die Pr¨aposition de ge- bildet, handelt es sich um que´ısmo (ebd.: 7). Allerdings kann auch ein Einfluss des Deutschen nicht ausgeschlossen werden, indem der Nebensatz dort nicht mit einer Pr¨aposition beginnt: Bist du sicher, dass [...]. Es ist in besonderem Maße auff¨allig, dass niemand in der 2. Pers. Sg. ubersetzte,¨ obwohl dies in dem deutschen Satz so vorgegeben war. Es ist m¨oglich, dass die Mennoniten den Satz auf die Interviewende bezogen und daher ein semantisch nicht intendiertes Pronomen w¨ahlten. Der den Befragten vorgelesene Satz erfordert in der Ubersetzung¨ das Verb estar (RAE 2009a: 25.3f). Dies setzten fast alle befragten Mennoniten korrekt um; einzig MO entschied sich fur¨ das Verb creer und gab dem

255 13 Auswertung der direkten Translationen

Satz somit eine andere Bedeutung. Es ist m¨oglich, dass ihr die passende Vokabel nicht einfiel oder dass sie sie verwechselte. Bei ihr kommt die Auff¨alligkeit hinzu, dass sie die spanische Verneinung auf inkorrekte Weise vor das Personalpronomen stellte. Vielleicht dachte sie an die deutsche Entsprechung nicht er (also jemand anders) - dies wurde¨ dem Satz jedoch auch eine andere Bedeutung geben. Daruber¨ hinaus ist der voseo in Verbindung mit der 3. Pers. Sg. (vos cree) sehr ungew¨ohnlich. Ebenso abweichend in der Bedeutung ist die Ubersetzung¨ von EV, die sich fur¨ das Verb sentir entschied. DO ubersetzte¨ mit no lo hizo, so dass der Satz auch bei ihr eine leichte inhaltliche Anderung¨ erfuhr. Insgesamt wird aber wiederum deutlich, dass die in Paraguay lebenden Anabap- tisten, die fur¨ die vorliegende Arbeit befragt wurden, keinerlei nennenswerte Schwie- rigkeiten mit der Differenzierung von ser/estar aufweisen, obwohl es sich hier um vom Deutschen abweichende Grammatikregeln handelt. Abgesehen von DO w¨ahlten alle Interviewten die passende Verbflexion. Selbst bei den ¨alteren Sprechern, die in Bezug auf die Flexionen in den freien Gespr¨a- chen Auff¨alligkeiten zeigten, sind beim vorliegenden Satz keine Abweichungen zum Standardspanischen erkennbar. In Bezug auf die grammatikalische Person ubersetzten¨ VA und EG mithilfe der h¨oflichen Anrede Usted, obwohl der deutsche Satz die famili¨are Anrede du“ vorgab. ” M¨oglicherweise galt die Anrede VAs und EGs der Interviewenden. Zehn der Befragten und damit die Mehrheit weist den que´ısmo auf. Es waren nicht nur die ¨alteren Sprecher wie FE oder ML, die keinen Spanischunterricht genossen und bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass ihnen die korrekte Setzung der Pr¨apositionen im Spanischen Schwierigkeiten bereitete. Zumindest war bei ML bereits w¨ahrend der freien Gespr¨ache feststellbar, dass dies der Fall ist (s.o.). Es sind auch jungere¨ Mennoniten wie EG, FI und RY, die den que´ısmo vorliegend aufwiesen. Bei ihnen ist nicht auszuschließen, dass das paraguayische Spanisch in der Region, in der sie leben, dieses Ph¨anomen aufweist und sie den que´ısmo resultierend aus regelm¨aßigem Sprachkontakt ubernommen¨ haben. RY zeigte bereits w¨ahrend der freien Gespr¨ache Auff¨alligkeiten in Que-S¨atzen (s.o.), allerdings ließ er dort nicht eine notwendige, vorangehende Pr¨aposition aus, sondern die Konjunktion que an sich,sodassessichnichtumeinenque´ısmo handelt (Tengo amigos [. . . ] tienen pareja). Zehn der Sprecher verwendeten das Pronomen ´el, das in diesem Fall streng ge- nommen nicht redundant ist, da es festlegt, dass der Aktant, wie in der deutschen Vorgabe, m¨annlich ist. Es sind uberwiegend¨ die jungeren¨ Sprecher, die das Pronomen verwendeten. Im Ubrigen¨ kann hier festgestellt werden, dass die befragten Menno- niten keine Schwierigkeiten in Bezug auf die im Spanischen notwendige doppelte Verneinung aufweisen. Allerdings ist fur¨ das paraguayischen Spanisch auch bekannt, dass die doppelte Verneinung dort sogar uberproportional¨ h¨aufig vorkommt, so dass sich das Sprachverhalten der Wiedert¨aufer diesbezuglich¨ zumindest nicht kontrastiv

256 13.6 Auswertung zu Bist du sicher, dass er nichts getan hat?“ ” verh¨alt. Schließlich wird an diesem Satz noch deutlich, dass fast alle Interviewten nach dem Standardspanischen in korrekter Weise das indefinido w¨ahlten. Alle konjugierten es auch fehlerfrei, obwohl es sich bei hacer um ein unregelm¨aßiges Verb handelt. Lediglich PE entschied sich fur¨ das perfecto,m¨oglicherweise aus dem Deutschen beeinflusst. EV w¨ahlte das presente und VA nutzte das Hilfsverb haber, konjugierte in der 3. Pers. Sg. und kombinierte es mit der ebenfalls 3. Pers. Sg. des indefinido.Sie bildete damit ein Tempus, das im Spanischen nicht existiert. Sie vermischte somit die Bildung der Tempora; da sie jedoch eine Sprecherin ist, die erst seit kurzer Zeit Spanisch erlernt, ist dies wenig uberraschend.¨ Insgesamt zeigen die Befragten also erneut Sicherheit in der Differenzierung von ser/ estar, konjugieren uberwiegend¨ korrekt und die Mehrheit entschied sich fur¨ das zu erwartende indefinido. Es zeigt sich deutlich der in Sudamerika¨ verbreitete que´ısmo, wobei bei einigen Sprechern auch die M¨oglichkeit besteht, dass die Auslas- sung der Pr¨aposition lediglich Ausdruck sprachlicher Unsicherheit und des deutschen Einflusses ist. Von den in Bolivien Befragten wurde der Satz Bist du sicher, dass er nichts getan ” hat?“ folgendermaßen ubersetzt:¨

1. WI: ¿Est´a seguromente ella hizo nada?

2. RU: ¿Est´aseguroellanohacernada?

3. KA: ¿Est´an seguros que no hiciero nada?

4. NA: ¿Est´aseguroque´el no hizo nada?

5. RL: ¿Est´an seguro de que ´el no hizo nada?

6. AR: ¿Es Usted seguro que ha hecho nada?

7. MR: ¿Est´a seguro no hace nada?

8. AB: ¿Yo estoy seguro que no me hace nada?

9. AS: ¿Est´an seguro que no me hicieron nada?

10. RO: ¿Est´an seguro que hicieron nada?

11. AK: ¿Est´aseguroquenohechonada?

12. PE: ¿Est´a seguro que no ha hecho?

13. AN: ¿Est´an seguro que no lo hiciero?

14. MA: ¿Est´an seguro que no hizo nada?

257 13 Auswertung der direkten Translationen

15. AM: ¿Est´a seguro que no te hizo nada?

16. MM: ¿Est´a seguro que hizo nada?

17. KT: ¿Est´a seguro que quieres hacerlo?

Bei diesem Satz wird sofort deutlich, dass gravierende Unterschiede in der Uber-¨ setzung vorliegen. Auch hier verwendete niemand die 2. Pers. Sg. fur¨ das konjugierte Verb. Bolivi- en ist wie Paraguay ein Voseo -Gebiet. Allerdings ist die Datenlage hinsichtlich des dort ublichen¨ Subsystems derart dunn,¨ dass keine genauen Angaben uber¨ die Vo- seo-Variante gemacht werden kann, die in Santa Cruz vorherrschend ist. Es ist aber auff¨allig, dass alle Befragten mit Usted ubersetzten.¨ Es w¨are zwar denkbar, dass sie die Ubersetzung¨ des Satzes auf die Interviewende bezogen, allerdings wurde unter- einander in den freien Gespr¨achen das Pronomen der vertrauten Anrede verwendet. Hinsichtlich der Unterscheidung von ser/estar zeigen die Interviewten wie in Para- guay keine nennenswerten Auff¨alligkeiten; lediglich AR verwendete ser anstelle des korrekten estar. Dies ist insofern uberraschend,¨ weil er als Schulleiter t¨aglich Kon- takt mit ausschließlich Spanisch sprechenden Kollegen hat und sich sehr intensiv mit der Sprache besch¨aftigt. Allerdings wuchs er in Kanada auf und lernte Spanisch als Fremdsprache in der Schule. Bei den Sprechern RL, AS, RO, AN und MA liegt im Hauptsatz eine fehlerhaf- te Numeruskongruenz vor. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass diese Sprecher w¨ahrend der freien Gespr¨ache keine Abweichungen in Bezug auf die Numeruskon- gruenz zeigten (s.o.), so dass zu vermuten ist, dass die Schwierigkeiten der Situation, direkt ubersetzen¨ zu mussen,¨ geschuldet ist. Daruber¨ hinaus kann auch der Einfluss des Deutschen angenommen werden, denn dort wird das Adjektiv nicht angeglichen, wenn die Kombination Nomen im Plural+sein+Adjektiv vorliegt (z. B. Die H¨auser sind sicher). Das an dieser Stelle nicht redundante Personalpronomen ´el wurde von vier Spre- chern verwendet, wobei WI und RU sich fur¨ die weibliche Form ella entschieden und somit von der Bedeutung des Ausgangssatzes abwichen. Abgesehen von RL ist bei allen befragten Mennoniten der que´ısmo zu beobachten. Da viele von ihnen aber kaum Kontakt mit Muttersprachlern pflegen und Spanisch uberwiegend¨ aus Buchern¨ erlernten, ist bei den meisten von ihnen zu vermuten, dass es sich um eine unsichere Verwendung der Pr¨apositionen handelt. Die Mehrheit der Befragten zeigte auch w¨ahrend der freien Gespr¨ache Schwierigkeiten in dieser Hinsicht (s.o.). Sicherlich gibt es aber auch hier einen Einfluss der deutschen Spra- che, denn dort ist keine Pr¨aposition in diesem Satz erforderlich. WI, RU und MR verwendeten außerdem die notwendige Konjunktion que uberhaupt¨ nicht. Alle drei sind Sprecher mit wenig Ubung¨ im Spanischen und m¨oglicherweise simplifizierten sie den Satz auf diese Weise. WI entschied sich daruber¨ hinaus statt des Adjektivs

258 13.6 Auswertung zu Bist du sicher, dass er nichts getan hat?“ ” fur¨ das Adverb seguromente, das zudem morphologisch falsch gebildet ist. Einige der Interviewten zeigten Auff¨alligkeiten hinsichtlich der spanischen doppelten Ver- neinung: Lediglich zehn der 17 Befragten setzten sie korrekt um. Es ist m¨oglich, dass die Wiedert¨aufer hier stark durch das Deutsche beeinflusst wurden, bei dem die Notwendigkeit der doppelten Verneinung nicht besteht und in der Regel sogar eine Bejahung der Satzaussage bedeutet. Nur sechs der befragten Anabaptisten w¨ahlten die korrekte Form von hacer im indefinido - und damit eine deutliche Minderheit. RU verwendete schlicht den Infi- nitiv hacer; er spricht wenig und ungern Spanisch, so dass bei ihm von einer Sim- plifizierung ausgegangen werden kann. Die von KA gew¨ahlte Verbform hiciero ist im Spanischen nicht existent (DRAE 2012: rae.es), weist aber zumindest den rich- tigen Verbstamm auf. KA ist eine der wenigen mennonitischen Sprecherinnen aus Bolivien, die w¨ahrend der freien Gespr¨ache keine Auff¨alligkeiteninBezugaufVerb- flexionen zeigten, so dass die Form hiciero m¨oglicherweise aufgrund der Situation, direkt ubersetzen¨ zu mussen,¨ zustande kam. AN entschied sich interessanterweise fur¨ dasselbe Konstrukt. Auch sie zeigte in den freien Interviews keine auff¨alligen Verb- flexionen. AR und PE w¨ahlten das perfecto;dafur¨ sind mehrere Grunde¨ m¨oglich: Zum einen k¨onnte es hier wiederum sein, dass der Einfluss des regionalen Spanisch dafur¨ verantwortlich ist, dass das indefinido dem perfecto weichen muss; zum ande- ren kann es auch der Einfluss der deutschen Muttersprache sein, bei der gerade in der mundlichen¨ Kommunikation das Perfekt ublichist,oderaberdieHandlungdes¨ Satzes hatte in ARs und PEs Augen einen Bezug zur Gegenwart und sie entschieden sich bewusst fur¨ das perfecto. AS und RO verwendeten jeweils das indefinido in der 3. Pers. Pl. Es ist m¨oglich, dass es zu einer Verwechslung der grammatikalischen Person kam. AM setzte das Pronomen te hinzu, das nicht aus der deutschen Vorgabe hervorging. AB, MR und KT ubersetzten¨ mithilfe des spanischen presente, AR und AB konjugierten das Verb in der 3. Pers. Sg., AB nutzte außerdem noch das indirekte Pronomen, um auszudru-¨ cken, dass ihm durch die handelnde Person selbst etwas zugefugt¨ worden sein k¨onnte. Dies ging aus dem ihm vorgelesenen Satz jedoch nicht hervor. KT, die bei den direk- ten Translationen h¨aufig Schwierigkeiten zeigte, verstand den Satz m¨oglicherweise nicht korrekt, denn sie transferierte ihn inhaltlich abweichend zum deutschen Satz, indem sie que quieres hacerlo w¨ahlte. Im Gegensatz zu den paraguayischen Interviewten zeigten die befragten Men- noniten in Bolivien gr¨oßere Schwierigkeiten, den Satz zu ubersetzen.¨ Viele hatten Probleme, das korrekte Tempus zu w¨ahlen, bei einigen kam es zu Auff¨alligkeiten hinsichtlich der Numeruskongruenz und auch die doppelte Verneinung wurde nicht durchg¨angig verwendet. Daruber¨ hinaus ist der que´ısmo bei fast allen Sprechern er- kennbar - bei den meisten von ihnen aber wahrscheinlich aufgrund von allgemeinen Schwierigkeiten im Hinblick auf die Verwendung von Pr¨apositionen und m¨oglicher- weise aufgrund des deutschen Einflusses. Die Ubersetzungen¨ dieses Satzes machen

259 13 Auswertung der direkten Translationen erneut deutlich, dass die befragten paraguayischen Mennoniten gefestigtere Kennt- nisse des Spanischen haben als ihre bolivianischen Glaubensbruder.¨

13.7 Auswertung zu Wenn ich Zeit gehabt h¨atte, h¨atte ich ” das Buch gelesen“

Im Folgenden werden die Ubersetzungen¨ der in Paraguay befragten Mennoniten des Konditionalsatzes III dokumentiert:

1.VA:Siyoten´ıa tiempo, leo el libro.

2.ML:Sihubieratenidoeltiempo,hubierale´ıdo el libro.

3. FI: Si tuviese tiempo, hubiese le´ıdo este libro.

4. MA: Si tuviera tiempo, hubiese le´ıdo el libro.

5. EV: Hubiera le´ıdo ese libro, si hubiera tenido tiempo.

6.MO:Yoibaleereselibro,siten´ıa tiempo.

7. EG: Hubiera le´ıdo el libro, si ten´ıa tiempo.

8. RY: Yo hubiese le´ıdo ese libro, si hubiese tenido tiempo.

9. EL: Hubiese le´ıdo el libro, si hubiese tenido tiempo.

10. DO: Yo hubiese le´ıdo el libro, si hubiese tenido tiempo.

11. DM: Hubiese le´ıdoeselibro,situvieratiempo.

12. ED: Hubiera le´ıdo el libro, si tuviera tiempo.

13. PE: Hubiese le´ıdo el libro, si hubiese tenido tiempo.

14. CA: Hubiese le´ıdo el libro, si hubiese tenido el tiempo.

15. MR: Yo iba leer el libro, si ten´ıa tiempo.

16. FE: Hab´ıa le´ıdoellibro,sitendr´ıa tiempo.

Fur¨ eine im Standardspanischen korrekte Ubersetzung¨ muss im Hauptsatz das Konditional im perfecto oder der subjuntivo im plusquamperfecto stehen (RAE 2009b: 47.8a). Im Nebensatz hingegen sollte der subjuntivo im plusquamperfecto stehen (ebd.). Der zu ubersetzende¨ Satz k¨onnte im Spanischen daher lauten: Habr´ıa/ hu- biera/ hubiese le´ıdo el libro, si hubiese/hubiera tenido tiempo. Im Deutschen wird

260 13.7 Auswertung zu WennichZeitgehabth¨atte, h¨atte ich das Buch gelesen“ ” der Irrealis der Vergangenheit mit dem Konjunktiv II und dem Plusquamperfekt gebildet (Wenn ich Zeit gehabt h¨atte, h¨atte ich das Buch gelesen). IndenfreienGespr¨achen mit den Mennoniten wurde deutlich, dass sie den subjun- tivo beinahe g¨anzlich meiden (s.o.), daher ist die Ubersetzung¨ dieses Satzes insofern aufschlussreich, als dass sie zeigt, ob die Befragten den hier erforderlichen subjuntivo verwenden, oder ob sie nach Alternativen suchen. Daruber¨ hinaus ist es von Interesse zu untersuchen, ob sie die Form hubiera oder hubiese vorziehen. Beide Verbformen haben prinzipiell dieselbe Bedeutung, sind aber nicht in allen denkbaren Konstruk- tionen gleichwertig, und sind daruber¨ hinaus diatopisch durchaus unterschiedlich verteilt (RAE 2009a: 24.2q). Sieben der in Paraguay interviewten Mennoniten ubersetzten¨ den Satz in ei- ner nach dem Standardspanischen grammatikalisch korrekten Form. Wenn man die Komplexit¨at der Konstruktion bedenkt, ist dies eine vergleichsweise hohe Anzahl. Le- diglich zwei der Interviewten, die eine grammatikalisch korrekte Ubersetzung¨ w¨ahl- ten, entschieden sich sowohl im Haupt- als auch im Nebensatz fur¨ den subjuntivo hubiera. Die restlichen funf¨ verwendeten hingegen hubiese. Keiner der Mennoniten vermischte die beiden M¨oglichkeiten. Zwei der Befragten nutzten den bestimmten Determinanten el vor dem Nomen tiempo,dieanderenfunf¨ ließen den spanischen Artikel aus. Abgesehen von ML sind es ausschließlich die jungeren¨ Sprecher unter ihnen, die diesen Satz dem Standard- spanischen gem¨aß ubersetzen¨ konnten. Die Bildung des Konditionalsatzes III ist damit offensichtlich fur¨ diejenigen, die bereits sehr fruh¨ Kontakt mit der spanischen Sprache hatten, kein Problem. Die Mehrheit der Befragten begann mit dem Hauptsatz. Grunds¨atzlich ist es auch korrekt, mit dem Nebensatz zu beginnen, aber die Wahl der Mehrheit ist insofern bemerkenswert, als dass die deutsche Vorgabe den Nebensatz an den Satzanfang setzte. FI, MA, ED und DM bildeten einen korrekten subjuntivo, allerdings im im- perfecto.Diesw¨are fur¨ den Konditionalsatz II richtig, im Hauptsatz musste¨ dann aber das Konditional stehen. FE transferierte, indem er fur¨ den Nebensatz das Konditional und fur¨ den Haupt- satz das plusquamperfecto w¨ahlte. Damit ist seine Translation fehlerhaft. EG verwendete im Hauptsatz zwar den korrekten subjuntivo im Plusquamperfekt, im Nebensatz w¨ahlteeraberdasimperfecto im Indikativ. Dies ist in keinem der drei Konditionals¨atze korrekt. EG ist ein junger Sprecher mit regelm¨aßigem Spanisch- kontakt; die Schwierigkeiten in der Bildung der Konditionals¨atze sind bei ihm daher uberraschend.¨ Die ubrigen¨ Sprecher verwendeten ebenfalls in der Vergangenheit liegende Tempo- ra, die nicht der zu ubersetzenden¨ Vorgabe entsprachen. Dies trifft z.B auf MR zu, die Spanisch zwar sehr fruh¨ durch Kontakt lernte und regelm¨aßig mit dieser Sprache in Beruhrung¨ kommt, jedoch nie Unterricht in dem romanischen Idiom genoss. Sie wollte m¨oglicherweise eine in der Vergangenheit liegende Absicht mit der Konstruk-

261 13 Auswertung der direkten Translationen tion iba+a+infinitivo ausdrucken,¨ ließ die Pr¨aposition jedoch aus. VA begann erst vor kurzer Zeit, als sie ihr Studium aufnahm, sich intensiv mit der spanischen Spra- che zu besch¨aftigen. Uberraschend¨ ist die Ubersetzung¨ von MO, die als Kind in einer mennonitischen Kolonie in Spanisch unterrichtet wurde. Wahrscheinlich ist sie nicht h¨aufig in der Situation, Konditionals¨atze zu brauchen, denn sie hat wenig Kontakt mit Spanischsprechern. Allerdings ist auch fraglich, wie qualitativ der Unterricht war, den sie genoss. Insgesamt sind sieben der 16 in Paraguay befragten Mennoniten in der Lage, einen Konditionalsatz III gem¨aß dem Standardspanischen aus dem Deutschen ins Spani- sche zu transferieren. Dies ist nicht einmal die H¨alfte der Interviewten. Die Schwierig- keiten, die die Sprecher bei den Translationen zeigten, scheinen nicht, oder allenfalls bedingt, altersabh¨angig zu sein, da zwar, abgesehen von einer ¨alteren Person, ledig- lich die jungeren¨ Befragten in der Lage waren, den Satz ad¨aquat zu ubersetzten.¨ Jedoch scheint auch einigen der jungeren¨ Befragten die Bildung des Konditional- satzes III im Spanischen unbekannt zu sein. Es zeigt sich eine Tendenz, dass es denjenigen Sprechern, die fruh¨ begonnen haben, Spanisch zu lernen, leichter f¨allt, komplexere Strukturen wie das Konditional zu bilden als ihren Glaubensbrudern,¨ die sp¨at oder gar keinen Spanischunterricht genossen. Diejenigen, die den Satz ad¨aquat transferieren konnten, bevorzugten mehrheitlich hubiese anstelle hubiera. Es kann sich hier durchaus um eine regionale Pr¨aferenz handeln. Der zu ubersetztende¨ Konditionalsatz III wurde in Bolivien folgendermaßen do- kumentiert:

1. WI: Cuando yo ten´ıa tiempo, yo leer el libro.

2.RU:Yovaleyendoellibro,cuandoyotienetiempo.

3. MR: Yo puede leer ese libro, cuando tengo tiempo.

4.AB:Yoleoellibro,cuandoyoten´ıa tiempo.

5. AS: Yo leo el libro, cuando ten´ıa tiempo.

6. AN: Yo le´ıellibro,cuandoten´ıa tiempo.

7. MA: Yo le´ıellibro,cuandoten´ıa tiempo.

8. AS: Yo le´ıa el libro, cuando ten´ıa tiempo.

9. KA: Hubiera le´ıdo el libro, si hubiera tenido tiempo.

10. NA: Yo hubiera le´ıdoellibro,sihubieratenidotiempo.

11. RL: Habr´ıa le´ıdoellibro,sihubieraten´ıa tiempo.

262 13.7 Auswertung zu WennichZeitgehabth¨atte, h¨atte ich das Buch gelesen“ ”

12. AR: Yo habr´ıa le´ıdo ese libro, si hubiera tenido tiempo.

13. AK: Haya le´ıdo el libro, si haya tenido tiempo.

14. PE: Yo le´ıellibro,situvieratiempo.

15. MM: Yo iba le´ıdo el libro, si yo ten´ıa tiempo.

16. KT: Konnte den Satz inhaltlich nicht verstehen.

Die in Bolivien aufgenommenen Ubersetzungen¨ zu diesem Satz unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denjenigen aus Paraguay. Lediglich drei der Befragten konnten den vorgelesene Satz gem¨aß den grammati- kalischen Vorgaben des Standardspanischen korrekt ubersetzen;¨ es handelt sich um KA, AR und NA. KA und NA sind junge Frauen, die bereits sehr fruh¨ Unterricht auf Spanisch hatten und nach eigenen Angaben viel Kontakt mit dem romanischen Idiom pflegen, AR leitet das Colegio Villa Nueva. Sie verwendeten die Hilfsverbform hubiera. PE verwendete im Nebensatz den subjuntivo im imperfecto und entschied sich dabei ebenfalls fur¨ die Flexionsendung -iera. Die in Paraguay dominierende Form hubiese kam in Bolivien gar nicht vor. Mendoza fand heraus, dass -iera im boliva- nischen Hochland gegenuber¨ dem ebenfalls m¨oglichen -iese grunds¨atzlich pr¨aferiert wird (s.o.); in den fur¨ diese Arbeit gefuhren¨ Interviews kann die Tendenz erkannt werden, dass diese Beobachtung Mendozas m¨oglicherweise auch auf das Tiefland, in dem die Mennoniten siedeln, zutrifft. Zehn der Interviewten, und damit die Mehrheit, verwendeten das in diesem Satz redundante Subjektpronomen yo. Acht Sprecher nutzten anstelle der korrekten Kon- junktion si die temporale Konjunktion cuando. Vermutlich ist dies aus der Mutter- sprache transferiert, da das deutsche wenn sowohl temporal als auch konditional gebraucht werden kann. Die in Bolivien befragen Mennoniten zeigten daher bei der Ubersetzung¨ des Konditionalsatzes m¨oglicherweise einen st¨arkeren Einfluss aus der Muttersprache als ihre interviewten Glaubensbruder¨ in Paraguay. Anders als in Pa- raguay beginnt lediglich WI die Translation mit dem Nebensatz, alle anderen setzten den Hauptsatz nach vorn. Des Weiteren sind viele Ubersetzungen¨ der Sprecher nicht korrekt und außerdem sehr verschieden.WI simplifizierte den Hauptsatz, indem sie das Verb gar nicht kon- jugierte und den Infinitiv verwendete. MR verwendete die 3. Pers. Sg. anstelle der erforderlichen 1. Pers. Sg. RU verwendete eine im Spanischen durative Verbalperi- phrase: va leyendo. Damit deutet er das allm¨ahliche Voranschreiten einer Handlung an und es ist bemerkenswert, dass Verbalperiphrasen bekannt sind, bei dem hier vorliegenden Satz weicht sie semantisch jedoch deutlich von der Vorgabe ab. MR entschied sich fur¨ das presente im Hauptsatz, allerdings konjugierte sie in der 3. Pers. Sg. und verwendete das Verb poder. AB, AS entschieden sich ebenfalls fur¨ das

263 13 Auswertung der direkten Translationen presente im Hauptsatz. PE, AN, und MA w¨ahlten das indefinido im Hauptsatz; dies ist ebenfalls nicht korrekt, aber das Verb wurde in der richtigen Person konju- giert. AK verwendete den subjuntivo de perfecto: Haya le´ıdo. Iba le´ıdo (MM) ist eine Kombination des imperfecto indicativo in Verbindung mit dem Partizip Perfekt. Im Nebensatz verwendeten WI, AB, AS, AN, MA und MM das imperfecto;RU und MR nutzten im Nebensatz das presente - RU konjugierte allerdings, wie schon im Hauptsatz, f¨alschlicherweise in der 3. Pers. Sg. RL verwendete das Hilfsverb im Nebensatz korrekterweise im subjuntivo, ließ aber eine Form des imperfecto an- stelle des Partizips folgen. AK verwendete im Nebensatz wiederum das subjuntivo des pret´erito perfecto. Bei PE schließlich findet sich im Nebensatz das imperfecto de subjuntivo. Es ist deutlich geworden, dass die Mehrheit der Sprecher erhebliche Schwierigkeiten hat, den korrekten Konditionalsatz III zu bilden. Lediglich drei der SprecherkonntendiesinderUbersetzungssituation¨ fehlerfrei, so dass sich auch hier der Eindruck erh¨artet, dass viele der Befragten den subjuntivo meiden. Bei denjeni- gen, die den subjuntivo plusquamperfecto verwendeten, l¨asst sich eine Tendenz zur Endung -iera im Gegensatz zu -iese erkennen. Es ist m¨oglich, dass dies im boli- vianischen Tiefland gebr¨auchlicher ist und k¨onnte auf einen Einfluss des regionalen Spanisch auf die Sprache der Mennoniten hindeuten. Vielfach zeigte sich eine Verwechslung der Konjunktionen si und cuando;dies k¨onnte auf die deutsche Muttersprache zuruckgehen,¨ in der wenn sowohl die tempo- rale als auch die konditionale Funktion erfullen¨ kann. Bei den meisten Interviewten sind die fur¨ den Konditionalsatz III angebotenen Ubersetzungen¨ derart verschieden und fehlerhaft, dass sie kaum zu kategorisieren sind und nur wenige Parallelen erkennen lassen; es kann aber die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Konditionals¨atze von den befragten Mennoniten kaum verwen- det werden. Diese Schwierigkeiten sind aber auch insofern nicht uberraschend,¨ als dass viele Sprecher bereits in den freien Gespr¨achenAbweichungeninderBildung der spanischen Tempora aufwiesen (s.o.), den subjuntivo vermieden und komplexere Satzstrukturen wie den Konditionalsatz III umgingen.

13.8 Auswertung zu Ich bin bereit, es zu tun“ ” Der Satz Ich bin bereit, es zu tun“ wurde von den paraguayischen Befragten wie ” folgt umgesetzt:

1. EV: Estoy dispuesta hacerlo.

2. VA: Estoy listo para hacer.

3. ML: Estoy dispuesta a hacerlo.

4. MO: Estoy lista para hacerlo.

264 13.8 Auswertung zu Ich bin bereit, es zu tun“ ”

5. EG: Estoy dispuesto a hacerlo.

6. FI: Estoy dispuesta a hacerlo.

7.RY:Yosoydispuestaahacerlo.

8. EL: Estoy dispuesta hacerlo.

9. DO: Estoy listo hacerlo.

10. MA: Estoy listo para hacerlo.

11. DM: Estoy listo para hacerlo esto.

12. ED: Estoy dispuesto hacerlo.

13. PE: Estoy listo para hacerlo.

14. CA: Estoy listo hacerlo.

15. MR: Yo estoy dispuesta hacer esto.

16. FE: Soy dispuesto hacerlo.

In diesem zu ubersetzenden¨ Satz sind die Partizipien listo/a und dispuesto/a m¨og- lich. Listo/a steht mit der Pr¨aposition para, dispuesto/a hingegen in Kombination mit der Pr¨aposition a.Daruber¨ hinaus mussen¨ sowohl die eine als auch die andere Variante mit dem Verb estar stehen; ser ist nicht m¨oglich, da zu etwas bereit sein einen vorubergehenden¨ Charakter hat (DRAE 2012: rae.es). Nicht vergessen werden darf auch das Pronomen, um das im deutschen Ausgangssatz nicht n¨aher spezifi- zierte es wiederzugeben. Sechs der befragten Mennoniten in Paraguay ubersetzten¨ diesen Satz den oben genannten Erwartungen entsprechend. Es handelt sich hier um die Sprecher ML, MO, EG, FI, MA und PE; allerdings verwendete MA das Partizip listo in der m¨annlichen Form -o,dieunpassendist,wennsievonsichselbstspricht, da es sich um eine weibliche Sprecherin handelt. MA ist eine der ¨alteren Spreche- rinnen, hat jedoch nach eigener Aussage regelm¨aßigen Kontakt mit der spanischen Sprache. Weitere Befragte weisen Schwierigkeiten mit dem ad¨aquaten Genus auf: VA (weib- lich), RY (m¨annlich), DO (weiblich). M¨oglicherweise treten diese Schwierigkeiten deshalb auf, weil das Adjektiv im Deutschen weniger stark markiert ist als im Spa- nischen. Daher ist es m¨oglich, dass hier der Einfluss der deutschen Sprache bei den befragten Wiedert¨aufern zu erkennen ist. Sieben der in Paraguay interviewten Mennoniten ließen die Pr¨aposition ganz aus (EV,EL,DO,ED,CA,MR,FE).

265 13 Auswertung der direkten Translationen

14 der Befragten, und damit fast alle, verwendeten das korrekte Pronomen - dies wurde von ihnen auch an der passenden Stelle verwendet, denn ublich¨ ist im Stan- dardspanischen, das Pronomen an den Infinitiv zu h¨angen. Obwohl es sich hier um eine im deutschen unbekannte Konstruktion handelt, haben 13 und damit fast alle der Befragten die Regel korrekt umgesetzt. MR entschied sich als einzige fur¨ die ebenfalls m¨ogliche Variante hacer esto.DerGrunddafur,¨ dass die meisten das kor- rekte Pronomen verwendeten, k¨onnte sein, dass es sich um eine h¨aufig vorkommende Konstruktion handelt, die sich bei den vor Ort lebenden Anabaptisten bereits gefes- tigt hat. Abgesehen von zwei Sprechern verwendeten alle Befragten das hier notwendige Verb estar. Lediglich RY und FE entschieden sich fur¨ eine konjugierte Form von ser; vor allem bei RY scheint dies uberraschend,¨ da er schon sehr fruh¨ in seiner Kindheit t¨aglichen Kontakt mit dem Spanischen hatte und diese Sprache auch heute vielfach nutzt. Schlussendlich kann noch festgehalten werden, dass lediglich zwei der Wiedert¨aufer aus Paraguay das in diesem Satz redundante Subjektpronomen yo verwendeten. Dies stimmt mit den oben genannten Ergebnissen der freien Interviews uberein,¨ die bereits offenbarten, dass die befragten Mennoniten in Paraguay im Vergleich zu ihren bolivianischen Glaubensbrudern¨ seltener redundante Pronomen verwenden. Grunds¨atzlich war es allen Befragten m¨oglich, diesen im Deutschen vorgelesenen Satz ins Spanische zu transferieren. Beinahe alle entschieden sich fur¨ das ad¨aquate Verb estar und das Pronomen bereitete den meisten keine weitreichenden Schwierig- keiten. Des Weiteren wurde das Subjektpronomen von der Mehrheit richtigerweise als redundant betrachtet. Probleme traten bei der Verwendung der angemessenen Pr¨aposition auf und auch bzgl. der Genuskongruenz bestanden Unsicherheiten. In Bolivien wurde der vorgelesene Satz von den befragten Wiedert¨aufern wie folgt ubersetzt:¨

1. WI: Yo puede hacer eso. 2. RU: Yo soy listo para hacer. 3. KA: Estoy dispuesta hacerlo. 4. NA: Estoy lista para hacerlo. 5. RL: Estoy dispuesto hacerlo. 6. AR: Yo estoy listo para hacerlo. 7. MR: Yo tambi´en listo para hacer. 8. AB: Yo estoy listo para hacer.

266 13.8 Auswertung zu Ich bin bereit, es zu tun“ ”

9. AS: Estoy listo para hacerlo.

10. RO: Estoy listo para hacerlo.

11. AK: Estoy lista para hacerlo.

12. PE: Estoy listo para hacerlo.

13. AN: Estoy listo para hacerlo.

14. MA: Estoy listo para hacerlo.

15. AM: Yo estoy listo para hacerlo.

16. MM: Estoy listo para hacerlo.

17. KT: Estoy listo para hacerlo.

Uberraschenderweise¨ ubersetzten¨ elf (NA, AR, AS, RO, AK, PE, AN, MA, AM, MM, KT), und damit die eindeutige Mehrheit der Befragten, den Satz weitgehend korrekt nach den oben genannten Erwartungen. Funf¨ dieser Befragten (RO, AN, MA, MM, KT), die den Satz an sich grammatikalisch transferieren konnten, sind jedoch weiblich und nutzten dennoch das m¨annliche Partizip. Hier wird, wie in Paraguay, deutlich, dass Schw¨achen bei der Genuskongruenz vorliegen. Allerdings zeigten die in Bolivien befragten Mennoniten, die sich hier bei der direkten Ubersetzung¨ fur¨ das inkorrekte Genus entschieden, w¨ahrend der freien Interviews in diesem Bereich keine Auff¨alligkeiten, so dass dies auch mit der Situation, ad hoc ubersetzen¨ zu mussen,¨ zusammenh¨angen kann. Sechs der befragten Mennoniten verwendeten das in diesem Satz prinzipiell redundante Subjektpronomen. Dies stimmt mit den fortlaufenden Gespr¨achen uberein,¨ in denen die Tendenz dazu bereits deutlich geworden war (s.o.). Die in Bolivien lebenden Anabaptisten neigen in einem noch intensiveren Maße dazu, redundante Subjektpronomen zu nutzen, als dies ihre Glaubensbruder¨ in Paraguay zu tun pflegen. Die Verwendung des Objektpronomens war im vorliegenden Satz auch fur¨ diese Befragten kein weitreichendes Problem, denn lediglich RU, MR und AB ließen es aus; alle drei sprechen ungern Spanisch. Die Ubrigen¨ verwendeten es dem Standard- spanischen gem¨aß korrekt und h¨angten es weitgehend dem Infinitiv an, lediglich WI entschiedsichfur¨ eine andere, ebenfalls m¨ogliche, Alternative, indem sie hacer eso verwendete. Damit kann angenommen werden, dass die Konstruktion, das Prono- men dem Infinitiv anzuh¨angen, auch den in Bolivien lebenden Mennoniten gel¨aufig ist, obwohl es dafur¨ im Deutschen keine 1:1-Entsprechung gibt. Auch der Umstand, dass fur¨ die Ubersetzung¨ dieses Satzes das Verb estar gew¨ahlt werden muss, stellte keine Schwierigkeit dar: Nur einer der Befragten (RU) entschied sich fur¨ eine konjugierte Verbform von ser. Es handelt sich um einen Sprecher, der

267 13 Auswertung der direkten Translationen erst sehr sp¨at in Kontakt mit der spanischen Sprache gekommen ist und diese auch nur sehr ungern spricht. Zwei weitere Sprecherinnen ließen das konjugierte Verb g¨anzlich aus (MR) bzw. w¨ahlten puede (WI). Hier sind deutliche Unsicherheiten, auch im Hinblick auf die korrekte Verbkonjugation (puede statt puedo), zu erken- nen. Jedoch handelt es sich auch bei diesen beiden Mennonitinnen um Personen, die keinen Unterricht in der spanischen Sprache genossen haben und bis heute Kontak- ten mit Spanischsprachigen aus dem Weg gehen. 14 der Sprecher verwendeten das Partizip listo/a, lediglich zwei von ihnen w¨ahlten dispuesto/a (RL, KA), es k¨onnte daher sein, dass das erstgenannte Adjektiv im bolivianischen Tiefland gel¨aufiger ist. Insgesamt zeigten auch die in Bolivien Befragten wenige Schwierigkeiten dabei, diesen Satz in die spanische Sprache zu ubersetzen.¨ Das Subjektpronomen wurde, wie bereits in Paraguay, von einer eindeutigen Mehrheit der Sprecher ausgelassen. Fast alle entschieden sich fur¨ die korrekte Pr¨aposition. Wie bereits bei den Paraguayern gesehen, ist die Wahl des ad¨aquaten Verbs estar fur¨ die meisten der Interviewten ebenfalls kein Problem und auch die Verwendung des Pronomens ist bei beinahe allenzubeobachten. Lediglich die Genuskongruenz ist bei Einigen mit Schwierigkeiten behaftet.

13.9 Auswertung zu Peter wird zum Fischen gehen“ ” Der letzte zu ubersetzende¨ Satz lautete Peter wird zum Fischen gehen“. ” 1. EV: Pedro se va a ir a pescar.

2. VA: Pedro va ir a pescar.

3. ML: Pedro va irse a pescar.

4. MO: Pedro va ir a la pesca.

5. EG: Pedro quiere irse a pescar.

6. FI: Pedro se va ir a pescar.

7. RY: Pedro se va ir a pescar.

8. EL: Peter se quiere ir a pescar.

9. DO: Pedro quiere irse de pesca.

10. MA: Pedro quiere ir a pescar.

11. DM: Pedro ir a pescado.

12.ED:Pedrosevaalapesca.

268 13.9 Auswertung zu Peter wird zum Fischen gehen“ ”

13. PE: Pedro se va a ir de pesca.

14. CA: Pedro se va a pescar.

15. MR: Pedro quiere ir a pescar.

16. FE: Pedro va a pescar.

Bei der Ubersetzung¨ dieses letzten Satzes war es eingangs in erster Linie von Interesse,obdieBefragtendasanalytische(Pedro va a pescar) oder das syntheti- sche (Pedro pescar´a) Futur anwenden bzw. mehrheitlich bevorzugen. Nicht erwartet wurde hingegen, dass fast alle der Interviewten prinzipielle Schwierigkeiten mit der Bildung des spanischen Futur I aufweisen wurden.¨ Lediglich EV und PE waren in der Lage, dem Standardspanischen gem¨aß korrekt zu ubersetzen.¨ EV entschied sich fur¨ das Verb pescar, und blieb damit inhaltlich etwas n¨aher an der deutschen Vorgabe als PE, der das substantivierte ir de pesca bevorzugte. Beide Sprecher bildeten als ein- zige grammatikalisch richtig das analytische Futur. Somit hieße der zu ubersetzende¨ Satz z.B. Pedro(Peter)vaairapescar(RAE 2009a: 23.14s). Niemand w¨ahlte die Alternative des synthetischen Futurs. Neben EV und PE zeigen die meisten anderen Sprecher ebenfalls die Tendenz, das analytische Futur bilden zu wollen. Auch wenn dies nicht ganz gelingt, l¨asst sich daraus ableiten, dass diese Form des Futurs eindeutig von den paraguayischen Befragten bevorzugt wird. Dies stimmt mit den Beobachtungen uberein,¨ dass in Paraguay generell das syn- thetische Futur selten vorkommt (s.o.). Es k¨onnte daher ein Einfluss des regionalen Spanisch auf die Mennoniten vorliegen. Daruber¨ hinaus ist das analytische Futur in der gesprochenen Sprache prinzipiell h¨aufiger als das synthetische (s.o.); da die Wie- dert¨aufer in den befragten L¨andern Spanisch, wenn uberhaupt,¨ fast nur mundlich¨ verwenden, k¨onnte auch dies fur¨ die Bevorzugung eine Erkl¨arung sein. Im Deutschen wird das Futur I ebenfalls mit einer Form von werden in Verbindung mit dem Infini- tiv gebildet. Es ist m¨oglich, dass auch daher das analytische Futur den Anabaptisten n¨aher ist als der synthetische Konkurrent, der mithilfe von Flexion gebildet wird, und viele Sprecher Schwierigkeiten mit den spanischen Konjugationen haben (s.o.). Drei weitere der Befragten (ED, FE und CA) ubersetzten¨ den Satz zwar korrekt - allerdings verwendeten sie nicht wie erfragt eine Futurform, sondern w¨ahlten das presente. Zwar ist es im Spanischen, wie auch im Deutschen, m¨oglich, eine in der Zu- kunft liegende Handlung mit dem presente auszudrucken,¨ allerdings ist dies in dem romanischen Idiom weniger gebr¨auchlich. Im Deutschen kommt dies h¨aufiger vor als im Spanischen (Cartagena & Gauger 1989: 440). Es ist daher m¨oglich, dass die drei Sprecher die im presente ausgedruckte¨ Absichtserkl¨arung aus dem Deutschen transferierten. Bei ED und FE handelt es sich um ¨altere Sprecher, CA allerdings ist Lehrer am Colegio Concordia und hatte bereits sehr fruh¨ Kontakt mit dem Spani- schen. Es kommt jedoch hinzu, dass der vorliegende Satz im analytischen Futur ein

269 13 Auswertung der direkten Translationen wenig sperrig ist (ir a ir a pescar); dieser Umstand k¨onnte dazu beigetragen haben, dass einige Sprecher auf das vergleichsweise weniger komplexe und semantisch nicht g¨anzlich un¨ahnliche presente auswichen. Funf¨ weitere Sprecher (EG, EL, DO, MA, MR) entschieden sich ebenfalls fur¨ die Verwendung des spanischen presente, jedoch in Verbindung mit einer konjugierten Form von querer. Diese Ubersetzungen¨ druckenzwareineAbsichtaus,undsinddaher¨ semantisch nicht falsch, da sie auch einen futurischen Charakter haben, dennoch ist das grammatikalische Tempus das presente und nicht das Futur, wie in der deutschen Vorgabe. Alle anderen Translationen wiesen keine Futurform auf bzw. keine grammatika- lisch korrekt ausgedruckte¨ Absicht (RAE 2009a: 14 ff.). Vor allem mit der Pr¨apo- sition a, die bei der Bildung des analytischen Futur nach dem konjugierten Verb kommen muss, haben die Sprecher Schwierigkeiten, denn sie fehlt in allen abwei- chenden Ubersetzungen¨ (VA, ML, MO, FI, RY). Dies ist sogar uberwiegend¨ bei einigen jungeren¨ Anabaptisten zu beobachten, die bereits sehr fruh¨ in Kontakt mit der spanischen Sprache kamen (RY, VA, MO, FI), aber auch bei der ¨alteren ML, die das romanische Idiom vor allem durch Kontakt erlernte. Bei RY, MO und VA konntenauchschonw¨ahrend der freien Gespr¨ache Schwierigkeiten mit der korrek- ten Verwendung von Pr¨apositionen festgestellt werden (s.o.). DM, ein sehr junger Sprecher, simplifizierte, indem er das Verb ir gar nicht konjugierte. Bemerkenswert, wenn auch aus grammatikalischer Sicht vernachl¨assigbar, ist, dass bei den in Paraguay befragten Wiedert¨aufern alle, abgesehen von EL, den vorgele- senen Namen Peter in die spanische Form Pedro ubersetzten.¨ Es ist daher offenbar ein Gefuhl¨ fur¨ unterschiedliche Namensgepflogenheiten zwischen dem Spanischen und dem Deutschen vorhanden. Obwohl es sich bei diesem Satz um eine vergleichsweise einfache Konstruktion handelt, die die Bildung des Futur I erfordert, zeigen die an sich gut integrierten Mennoniten in Paraguay erstaunliche Schwierigkeiten mit der Translation: Lediglich zwei der Interviewten ubersetzten¨ den Satz erwartungsgem¨aß; einige andere w¨ahlten alternativ das presente und ver¨anderten somit die Bedeutung des Satzes. Bei einigen f¨allt das Fehlen der notwendigen Pr¨aposition a auf. Es besteht aber eine eindeuti- ge Tendenz zum analytischen Futur, niemand entschied sich fur¨ die synthetische Alternative. Die in Bolivien fur¨ diesen Satz aufgenommenen Translationen sind wie folgt do- kumentiert:

1. WI: Peter ir para pescar.

2. RU: Pedro va pescar.

3. KA: Pedro va a ir a pescar.

270 13.9 Auswertung zu Peter wird zum Fischen gehen“ ”

4. NA: Pedro va ir a pescar.

5. RL: Pedro se va ir de pesca.

6. AR: Pedro va a ir a pescar.

7. MR: Pedro va a pescar.

8. AB: Pedro ya se fue a pescar.

9. AS: Pedro se va a pescar.

10. RO: Pedro fui a pescar.

11. AK: Pedro va ir a pescar.

12. PE: El´ va ir a pescar.

13. AN: Pedro quiere ir a pescar.

14. MA: Pedro va a pescar.

15. AM: Pedro se ido a pescar.

16. MM: Pedro quiere ir a pescar.

17. KT: Pedro quiere ir a pescar.

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass auch in Bolivien niemand der Befragten das synthetische Futur verwendete, vielmehr wurde das analytische Futur gebildet oder versucht zu bilden. Eine Erkl¨arung ist auch hier wieder der Einfluss der deut- schen Muttersprache. Daruber¨ hinaus ist auch m¨oglich, dass das synthetische Futur in Bolivien, wie auch in Paraguay, seltener vorkommt. Außerdem sind es auch in Bolivien lediglich zwei Sprecher, die den Satz den Er- wartungen gem¨aß ubertrugen:¨ Es handelt sich KA und AR. KA hatte bereits fruh¨ Unterricht in Spanisch, AR hingegen lernte es in Kanada als zweite Fremdsprache. NA, RL, PE und AK ließen die fur¨ das analytische Futur notwendige Pr¨aposition a aus, so dass die Tempusbildung nicht korrekt ist. Daruber¨ hinaus sind die von den Interviewten angebotenen Ubersetzungen¨ deutlich verschiedenartiger als dies bei den Befragten in Paraguay der Fall ist. MR, AS und MA ubersetzten¨ den Satz grammatikalisch korrekt, allerdings im presente und damit zumindest nicht direkt im erfragten Tempus. Es ist m¨oglich, dass sie die in der Zukunft liegende Handlung mithilfe des presente auszudrucken¨ beabsichtigten, dabei k¨onnte es sich, wie bei einigen Sprechern aus Paraguay, um einen Einfluss des Deutschen handeln (s.o.). AN, MM und KT ubersetzten¨ auch im

271 13 Auswertung der direkten Translationen presente - allerdings, ebenfalls ¨ahnlich wie bei einigen Interviewten in Paraguay, mit einer konjugierten Form von querer. Ihnen war also die Absicht, die eine in der Zu- kunft liegende Handlung impliziert, m¨oglicherweise bewusst und ihre Ubersetzung¨ gibt diese Absicht im Grunde wieder, wenn auch nicht in einer grammatikalisier- ten Futurform. Es handelt sich bei diesen Sprecherinnen um drei Frauen, die das Spanische ausschließlich im privaten Kontext verwenden. AB, RO und AM w¨ahlten sogar Tempora, die in der Vergangenheit liegen, wobei nur die Ubersetzung¨ von AB grammatikalisch der Norm entspricht; er verwendete das indefinido. Außerdem fugte¨ AB das Adverb ya hinzu, das in der deutschen Vorgabe nicht enthalten war. Der Mennonit gibt dem Satz daher eine andere Bedeutung und es ist m¨oglich, dass er bei der Ubersetzung¨ an eine Begebenheit, die er pers¨onlich erlebte, dachte und deswegen so transferierte. RO entschied sich ebenfalls fur¨ das indefinido, konjugierte das Verb aber in der 1. Pers. Sg.; RO ist eine nach außen hin sehr unsicher erscheinende Mennonitin, die kaum Spanisch spricht; allerdings waren bei ihr w¨ahrend der freien Gespr¨ache im Hinblick auf die Temporabildung kaum Auff¨alligkeiten zu beobachten. AM verwendete das Partizip Perfekt von ir, allerdings ohne Hilfsverb, so dass das spanische perfecto nicht vollst¨andig ist. AM spricht Spanisch im beruflichen Kontakt, hatte aber nie Unterricht. RU und WI gaben ebenfalls grammatikalisch unvollst¨andige Ubersetzungen¨ wie- der. WI, die sehr wenig Spanisch spricht, konjugierte das Verb gar nicht und sim- plifizierte, indem sie den Infinitiv von ir verwendete. Außerdem w¨ahlte sie mit para eine fur¨ diesen Satz unpassende Pr¨aposition. RU hingegen konjugierte das Verb in der 3. Pers. Sg. und verwendete den Infinitiv pescar, allerdings fehlt die notwendige Pr¨aposition. Lediglich vier der bolivianischen Sprecher (RL, AB, AS, AM) entschieden sich fur¨ das reflexive irse, alle anderen w¨ahlten eine Form von ir. Abgesehen von WI transferierten auch die Befragten in Bolivien den Vornamen Peter in das spanische Pedro, so dass vermutet werden kann, dass auch ihnen spa- nische Namen gel¨aufig sind und dass sie offenbar bewusst oder unbewusst andere Namen mit dem Spanischen verbinden als mit dem Deutschen. Insgesamt zeigen die befragten Mennoniten sowohl in Paraguay als auch in Bolivi- en deutliche Auff¨alligkeiten bei der Bildung eines Satzes im Futur I. Dies ist vor allem im Hinblick darauf uberraschend,¨ dass die vermeintlich kompliziertere Konstruktion eines Konditionalsatzes oder des subjuntivos sogar bessere Ergebnisse erzielte als dieser letzte Satz, der im Vergleich weniger komplex ist. In beiden L¨andern sind diejenigen Sprecher, die in der Lage waren, den vorge- gebenen Satz ins Spanische zu ubersetzen,¨ in der deutlichen Minderheit. Auch in Bolivien, wie bereits in Paraguay, gibt es einige Befragte, die die in dem Satz impli- zierte Absicht mithilfe von querer ubersetzten.¨ Viele der Anabaptisten verwendeten das grammatikalische Futur gar nicht, sondern blieben beim presente. Mit der spa- nischen Tempusbildung scheinen einige Sprecher Probleme zu haben. Keiner der

272 13.10 Zwischenfazit

Befragten w¨ahlte das synthetische Futur.

13.10 Zwischenfazit

Zusammenfassend zu den Translationen kann festgestellt werden, dass bei den ers- tenbeidenS¨atzen ( Er kam letzten Samstag“. Er kam jeden Samstag.“) sowohl bei ” ” den in Paraguay als auch bei den in Bolivien Befragten nur von sehr Wenigen ei- ne Unterscheidung zwischen indefinido/imperfecto vorgenommen wurde. Diejenigen, die uberhaupt¨ ein Vergangenheitstempus w¨ahlten, entschieden sich zumeist fur¨ das indefinido in beiden S¨atzen. Die Beobachtung, dass das perfecto das indefinido in Bolivien verdr¨angen k¨onnte, konnte hier - im Gegensatz zu den freien Gespr¨achen - nicht best¨atigt werden. In Bolivien kam hinzu, dass viele Interviewte Schwierigkeiten mit der korrekten Tempuswahl zeigten und das in beiden S¨atzen unpassende Pr¨asens verwendeten; außerdem wurden Schw¨achen in der Vokabelwahl deutlich. Sowohl das Plautdietsche als auch das Hochdeutsche kennen keine vergleichbare Unterscheidung zwischen den Vergangenheitstempora wie das indefinido und imperfecto.Diesk¨onnte bei vielen Sprechern ein Grund fur¨ die fehlende Unterscheidung sein. Der dritte Satz Ich bin 20 Jahre alt“ wurde in Paraguay uberwiegend¨ korrekt ” ubersetzt;¨ fast alle Befragten w¨ahlten das passende Verb tener und entschieden sich kaum fur¨ redundante Pronomen. Auch den in Bolivien befragten Mennoniten bereitete dieser Satz wenig Probleme. Im Vergleich zu den freien Interviews wurden seltener redundante Pronomen verwendet und auch hinsichtlich der Flexionen gab es kaum Auff¨alligkeiten. Im vierten Satz Sie soll ihrer Mutter helfen“ zeigte sich in Paraguay, dass das ” Modalverb deber den meisten Sprechern bekannt ist, von einigen jedoch mit tener que verwechselt wurde. Es gab vereinzelt Auff¨alligkeiten in Bezug auf die Akkusativ- pr¨aposition und es kam bei einigen zu Kongruenzproblemen. In Bolivien machte die Konstruktion, die ein Modalverb erforderte, gr¨oßere Schwierigkeiten: Es kam noch h¨aufiger als in Paraguay zu einer Verwechslung mit tener que, viele umgingen die komplexe Struktur und bildeten stattdessen einen Satz im Pr¨asens. Im funften¨ Satz Ich mag meine Nachbarn“ w¨ahlte in Paraguay eine knappe Mehr- ” heit das Verb querer fur¨ m¨ogen,derRestgustar. Es war aber allen m¨oglich, eine passende Vokabel zu finden. Wiederum kam es bei diesem Satz vereinzelt zur Nen- nung redundanter Pronomen und es wurde erneut deutlich, dass die Verwendung der spanischen Akkusativpr¨aposition bei den meisten automatisiert zu sein scheint. Allerdings zeigten sich abermals Auff¨alligkeiten bei der Numeruskongruenz, jedoch nur bei einer Minderheit. In Bolivien wurden die Verben gustar und querer eben- falls fast ausgeglichen gew¨ahlt, die Akkusativpr¨aposition wurde auch hier von den meisten korrekt verwendet. Aber es kam vielfach zur Nennung redundanter Sub- jektpronomen, so dass hier wieder vermutet werden kann, dass der Einfluss der

273 13 Auswertung der direkten Translationen deutschen Muttersprache bei den Interviewten in Bolivien ausgepr¨agter ist; sowohl im Plautdietschen als auch im Hochdeutschen sind Subjektpronomen grunds¨atzlich nicht redundant, so dass auch hier ein muttersprachlicher Einfluss auf das Spanische bei einigen Sprechern anzunehmen ist. Im sechsten Satz Bist du sicher, dass er nichts getan hat“ zeigte sich in Paraguay, ” dass die Unterscheidung von ser/estar wiederum fur¨ die Mehrheit kein Problem war; auch die im Spanischen erforderliche doppelte Verneindung war fast allen gel¨aufig. Auffallend war aber der que´ısmo, den einige aufwiesen, der aber auch eine Simplifi- zierung insofern darstellen k¨onnte, als dass die Sprecher unsicher in der Verwendung korrekter Pr¨apositionen gewesen sein k¨onnten und ein Einfluss des Hochdeutschen bzw. Plautdietschen vorliegen k¨onnte. Daruber¨ hinaus gab es in Paraguay bei die- sem Satz nur vereinzelt Auff¨alligkeiten hinsichtlich der Tempusbildung; in Bolivien hingegen waren hier gr¨oßere Schwierigkeiten erkennbar, dies ist ein Indiz dafur,¨ dass die bolivianischen Mennoniten das Spanische weniger automatisiert haben als ih- re paraguayischen Glaubensbruder.¨ Auch die doppelte Verneinung bereitete einigen bolivianischen Mennoniten Probleme und schien nicht allen bekannt zu sein. Die Merkmale des que´ısmo waren in Bolivien noch h¨aufiger zu beobachten als in Para- guay, k¨onnten aber erneut ein Hinweis auf unsicheren Pr¨apositionengebrauch sein. Der Konditionalsatz III ”Wenn ich Zeit gehabt h¨atte, h¨atte ich das Buch gelesen“ wurde in Paraguay von sieben Sprechern korrekt umgesetzt, hinsichtlich des subjun- tivo verwendete die Mehrheit die fur¨ Paraguay typische Verbendung -iese. Daraus, dass nur sieben Interviewte einen korrekten Konditionalsatz bildeten, ging hervor, dass die meisten nicht in der Lage waren, eine komplexe Satzstruktur mithilfe eines subjuntivos zu bilden. Dies best¨atigte den Eindruck der freien Interviews, in denen derartige Satzstrukturen vermieden wurden. Hinsichtlich der Vokabelwahl kam es zu Verwechslungen von haber und tener. Auch in Bolivien waren lediglich zwei der be- fragten Wiedert¨aufer in der Lage, den Konditionalsatz III zu bilden. Bei den wenigen Sprechern, die uberhapt¨ eine Form des subjuntivos w¨ahlten, wurde wie in Paraguay die Verbendung -iera bevorzugt. In Bolivien hatten somit fast alle Schwierigkeiten, komplexe Satzstrukturen wie den Konditionalsatz III zu bilden, so dass sich auch hier der Eindruck der freien Gespr¨ache, in denen Bedingungss¨atze und subjuntivo gemieden wurden, best¨atigte. Bei dem Satz Ich bin bereit, es zu tun“ kam es zum einen h¨aufig zu fehlender ” Genuskongruenz, vor allem aber die Wahl der korrekten Pr¨aposition war vielen of- fensichtlich nicht m¨oglich. Das Pronomen an den Infinitiv zu h¨angen, wie es im Spanischen ublich¨ ist, war aber fast allen gel¨aufig und wurde richtig umgesetzt. Fur¨ Bolivien zeichnete sich in Bezug auf diesen Satz einmalig das Bild, dass mehr Inter- viewte als in Paraguay sich in der Lage zeigten, ihn korrekt zu transferieren. Es kam lediglich vereinzelt zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Genuskongruenz und daruber¨ hinaus zur Nennung redundanter Pronomen. Die bolivianischen Sprecher h¨angten ebenfalls fast alle das Pronomen korrekt an den Infinitiv. Bemerkenswerterweise war

274 13.10 Zwischenfazit die Wahl der passenden Pr¨aposition in Bolivien kein Problem - nur zwei befragte Anabaptisten ließen sie ganz aus. Der letzte zu ubersetzende¨ Satz Peter wird zum Fischen gehen“ bereitete uber-¨ ” raschenderweise beinahe allen Interviewten erhebliche Probleme, obwohl es sich um eine vergleichsweise simple Satzstruktur handelt. In beiden L¨andern gab es jeweils nur zwei korrekte Ubersetzungen.¨ Sowohl in Paraguay als auch in Bolivien wurde von fast allen anderen Sprechern auf das Pr¨asens ausgewichen, teilweise in Ver- bindung mit dem Verb querer.DasPr¨asens kann auch im Spanischen eine in der Zukunft liegende Handlung ausdrucken,¨ dies ist aber seltener als im Plautdietschen und Hochdeutschen der Fall. Entweder handelt es sich in beiden L¨andern um ei- nen Transfer aus der Muttersprache oder aber auch um eine regionale Besonderheit. Diejenigen, die eine Futurform verwendeten, und auch diejenigen, die es versuchten, das Tempus aber nicht korrekt wiedergaben, w¨ahlten das analytische Futur; das synthetische Futur hingegen kam gar nicht vor. Insgesamt zeichnen sich bei den bolivianischen Mennoniten auch bei den direkten Translationen mehr Auff¨alligkeiten ab als bei ihren paraguayischen Glaubensbru-¨ dern: vor allem hinsichtlich der Tempusbildung und der Nennung redundanter Pro- nomen. Sie zeigten aber mehr Sicherheit in der Verwendung von Pr¨apositionen als die paraguayischen Befragten. Fast alle erh¨arteten im Zuge der Ubersetzungen¨ den Eindruck, Schwierigkeiten mit der Bildung komplexer Satzstrukturen zu haben, die beispielsweise einen Bedingungssatz oder einen subjuntivo erforderten. Aber auch das vergleichsweise einfache Futur I konnte von kaum einem Sprecher korrekt uber-¨ setzt werden. Es zeigt sich daher deutlich, dass viele der Befragten lernertypische Fehler machen. Die Akkusativpr¨aposition hingegen zeigte sich in der Ubersetzung¨ wie in den freien Gespr¨achen bei allen Wiedert¨aufern als unproblematisch. Auch das Anh¨angen des Pronomens an den Infinitiv beherrschten die Interviewten. Es erscheint wichtig festzuhalten, dass die bekannten Besonderheiten des paragu- ayischen und bolivianischen Spanisch hinsichtlich Tempus, Verbformen, Artikel und Pr¨apositionen bei den Befragten in den direkten Ubersetzungen¨ nicht festzustellen waren. Dies k¨onnte eine Folge ihrer Isolation sein. Der Einfluss des Hochdeutschen bzw. Plautdietschen zeigte sich hingegen bei der Nennung redundanter Pronomen und teilweise in der Tempusbildung. Das Ergebnis passt insgesamt in das Bild, das die Wiedert¨aufer in der inhaltlichen Auswertung der Interviews gezeichnet haben: Plautdietsch oder Hochdeutsch sind ihre erste Sprache und nur darin trauen sie sich eine hohe Kompetenz zu. Dies wird durch die offenkundig gewordenen Transfers aus den deutschen Variet¨aten in das Spanische der Mennoniten deutlich. Die Befragten gaben in den Interviews mehrheitlich an, Spanisch bleibe fur¨ sie eine Fremdsprache und daruber¨ hinaus fur¨ die meisten auch ein Idiom, das sie nur ungern sprechen. Es kann angenommen werden, dass sich dieser Umstand darin widerspiegelt, dass sie noch viele typische Lernerfehler machen, obwohl alle bereits in einem spanischspra- chigen Land geboren wurden.

275 13 Auswertung der direkten Translationen

Die inhaltliche Auswertung dieser Arbeit offenbart, dass Spanisch fur¨ alle Inter- viewten eine Fremdsprache ist. In der sprachlichen Auswertung der Interviews zei- gen sich Charakteristika einer interlanguage m¨oglicherweise dadurch, dass einige Sprecher nicht existente Tempora bildeten oder simplifizierten, indem sie gar nicht konjugierten. Beides kam in Bolivien h¨aufiger vor als in Paraguay, aber auch in Pa- raguay zeigten sich gerade bei den ¨alteren interviewten Mennoniten Tendenzen da- hingehend. Auch die Vermeidung komplexer Strukturen wie Konditionals¨atze kann ein Indiz fur¨ eine interlanguage sein. Die Auff¨alligkeiten waren aber oftmals derart verschieden, dass sie fur¨ den Einzelfall betrachtet werden mussen¨ und nur bedingt verallgemeinernde Ruckschl¨ usse¨ zulassen. Schließlich ist noch anzumerken, dass sich in dem Sprachmaterial keine Hinweise auf den Einfluss der indigenen Sprachen finden lassen. Gerade fur¨ das paraguayische Spanisch werden aus den indigenen Sprachen stammende Satzpartikel wie beispiels- weise pa oder che h¨aufig beobachtet (s.o.), die befragten Mennoniten scheinen sich hier von den Lateinparaguayern sprachlich abzugrenzen. In den gefuhrten¨ Inter- views gab keiner der Wiedert¨aufer an, eine indigene Sprache zu sprechen; h¨ochstens einzelne W¨orter waren einigen bekannt. Es ist auch m¨oglich, dass Satzpartikel indi- gener Sprachen bei den Wiedert¨aufern deswegen nicht zu finden sind, weil sie noch immer uberwiegend¨ mit aus Europa stammenden Buchern¨ Spanisch lernen und dar- uber¨ hinaus viele von ihnen kaum Kontakt mit spanischen Muttersprachlern, die aus Paraguay stammen, haben. Der m¨oglicherweise typische sprachliche Einfluss der indigenen V¨olker auf das Spanische, der bei sehr vielen Einwohnern festzustellen ist, aber bei den interviewten Mennoniten fehlt, ist vermutlich erneut ein Hinweis auf ihre isolierte Lebensweise - und das, obwohl sich die in Paraguay lebenden Ana- baptisten als vergleichsweise modern verstehen und bereits ansatzweise in das Land integriert sind. Es versteht sich, dass alle erzielten Ergebnisse dieser Auswertung sich nur auf das Korpus der gefuhrten¨ Interviews beziehen k¨onnen; sie sind daher zwar ei- nem vergleichsweise kleinen Teil der in Paraguay und Bolivien lebenden Mennoniten zuzuweisen, dennoch sind die oben dargestellten Erkenntnisse richtungsweisend.

276 14 Ausblick

Die in Paraguay lebenden Mennoniten sind insgesamt in die Gemeinschaft der La- teinparaguayer mehr oder minder integriert. Sie sind seit mehreren Jahrzehnten be- muht,¨ das Spanische zu erlernen, in der Landeshauptstadt sicherlich intensiver als in den Kolonien. Viele von ihnen pflegen Kontakte mit Lateinparaguayern, auch wenn die meisten freundschaftlichen Verbindungen doch mit deutschsprachigen Glaubens- brudern¨ bestehen. Einige der Befragten haben, nachdem die verbesserte schulische Ausbildung dies seit den 1960er Jahren m¨oglich macht, an paraguayischen, und damit spanischsprachigen Institutionen Ausbildungswege eingeschlagen. Nichtsdes- totrotz weist das Spanische der in Paraguay befragten Mennoniten praktisch keine Charakteristika des regionalen Spanisch auf. Fur¨ die paraguayischen Mennoniten spielen sowohl die niederdeutsche als auch die hochdeutsche Sprache regelm¨aßig noch immer eine ubergeordnete¨ Rolle, sie bezeich- nen diese als Muttersprache und verwenden sie uberwiegend¨ im privaten Bereich. Sie identifizieren sich deutlich mit ihrer Glaubensgemeinschaft und sehen Mischehen mit Lateinparaguayern aufgrund kultureller und sprachlicher Unterschiede skeptisch. Die in Paraguay lebenden Wiedert¨aufer legen viel Wert auf ihre europ¨aischen Wur- zeln und bemuhen¨ sich um eine hochdeutsche Sprache, die derjenigen in Deutschland m¨oglichst nahe kommt und wenig dialektale Charakteristika aufweist. Der Kontakt mit ihrem Mutterland Deutschland ist ihnen wichtig, ebenso dass die Deutschen ein positives Bild von ihnen haben. Die spanische Sprache der Interviewten in Paraguay l¨asst auf einen Einfluss des Hochdeutschen bzw. Plautdietschen schließen - dies zeigt sich besonders bei der Ver- wendung der Pr¨apositionen, Pronomen und der Tempora. Je junger¨ die Befragten sind und je fruher¨ sie Unterricht in der spanischen Sprache genossen, desto leich- ter f¨allt ihnen der Gebrauch derselben. Dennoch zeigen auch die Jungeren¨ unter ihnen sprachliche Einflusse¨ ihrer deutschen Muttersprache. Daher ist, zumindest fur¨ das vorliegende Korpus, zu schlussfolgern, dass die Spracheinstellung das konkrete Sprachverhalten widerspiegelt. In Zukunft werden die in Paraguay lebenden Mennoniten sicherlich verst¨arkt Spa- nisch erlernen, denn sie sind sehr interessiert an in Paraguay anerkannten Abschlus-¨ sen und fundierten Ausbildungswegen. Nichtsdestotrotz zeigt sich keinerlei Tendenz, dass die deutsche Sprache im privaten Bereich der Anabaptisten in naher Zukunft an Bedeutung verlieren wird, zumal die Interviewten in der Mehrheit auch selbst angeben, die deutsche Sprache als Ausdruck ihrer europ¨aischen Wurzeln erhalten zu

277 14 Ausblick wollen. Das Spanische hingegen weist noch viele lernertypische Besonderheiten auf. In Bolivien leben Mennoniten erst in zweiter Generation und es scheint, dass sie es aktuell noch bewusst bevorzugen, unter sich zu bleiben. Sie nutzen weniger Medien als ihre paraguayischen Glaubensbruder¨ und haben nur sehr wenig, und wenn, dann gesch¨aftlichen Kontakt zu Lateinbolivianern. Um anerkannte Schulabschlusse¨ erlangen zu k¨onnen, ist es auch in Bolivien Pflicht, Unterricht in spanischer Sprache genossen zu haben. Mennoniten haben bisher kaum Schulen, die Spanisch anbieten k¨onnen oder wollen. Aufgrund des wachsenden Drucks der bolivianischen Regierung und des MCC, aber auch aus dem Bedurfnis¨ heraus, bessere M¨oglichkeiten in ihrem Einwanderungsland zu haben, ist in dieser Hinsicht viel Bewegung zu erkennen. Die Tendenz, dass es in den n¨achsten Jahren verst¨arkt Unterricht in Spanisch an den Schulen geben wird, deutet sich an und den menno- nitischen Eltern ist dies fur¨ ihre Kinder sehr wichtig. Daruber¨ hinaus gibt es seit Neustem auch Einrichtungen, die Spanischunterricht fur¨ erwachsene Wiedert¨aufer anbieten. Das Interesse daran scheint zu bestehen. Dass die bolivianischen Mennoniten bisher kaum in spanischer Sprache unter- richtet wurden, zeigt sich in dem vorliegenden Sprachmaterial deutlich. Sie zeigen vermehrt Schwierigkeiten mit spanischen Verbflexionen, außerdem weisen sie große Unsicherheiten bei der Wahl von Pr¨apositionen und Tempora auf. Bei einigen, vor allem den in Santa Cruz direkt lebenden Mennoniten sind Spanischkenntnisse vor- handen, aber sie weisen mehr Abweichungen vom Standardspanischen auf als dies bei den paraguayischen Glaubensbrudern¨ der Fall ist. Die meisten Interviewten sprechen nur sehr ungern Spanisch und dies auch nur dann, wenn die Situation es zwingend erfordert. Es ist hier erkennbar, dass die Integration in das Einwanderungsland noch nicht so weit vorangeschritten ist. Anders als in Paraguay sprechen die bolivianischen Anabaptisten kaum Hoch- deutsch, sondern mehrheitlich Plautdietsch untereinander. Sowohl fur¨ die Jungeren¨ als auch fur¨ die Alteren¨ unter ihnen ist dies meist die Muttersprache; Hochdeutsch lernen sie lediglich in der Schule. Allerdings bemuhen¨ sie sich weniger darum, das Hochdeutsche aus Deutschland kennenzulernen, sondern orientieren sich in der Regel noch an dem Hochdeutschen zu Menno Simons und Luthers Zeiten. Es w¨are von großem wissenschaftlichen Interesse, die in Bolivien voranschreitende Schulbildung im Hinblick auf das Spanische der Mennoniten weiter zu verfolgen. Es erscheint wissenswert, ob sich das Spanische, das sie sprechen, in einer Interview- und/oder Ubersetzungssituation¨ durch den angekundigten,¨ vermehrten Spanischun- terricht ver¨andern wird. Da es sich uberwiegend¨ um Lehrkr¨afte aus Deutschland handeln wird und die Mennoniten kaum Kontakt zu Lateinbolivianern haben, ist eine Ann¨aherung an das regionale, bolivianische Spanisch nicht zu erwarten. Ausge- schlossen werden kann dies jedoch selbstverst¨andlich nicht, in Anbetracht der M¨og- lichkeit, dass Wiedert¨aufer, die in Kurze¨ anerkannte Schulabschlusse¨ haben k¨onnten, vielleicht an spanischsprachigen Universit¨aten studieren und sich somit in die boli-

278 vianische Gesellschaft auch in sprachlicher Hinsicht integrieren werden. Allerdings zeigt das Beispiel der paraguayischen Mennoniten bislang keine deutliche Tendenz in diese Richtung. Daruber¨ hinaus darf nicht vergessen werden, dass die bolivianischen Mennoniten, im Gegensatz zu ihren Glaubensbrudern¨ aus Paraguay, mehrheitlich Plautdietsch und nicht Hochdeutsch untereinander sprechen. Eine deutliche Differenzierung zwi- schen dem Einfluss des Plautdietschen und des Hochdeutschen auf das Spanische der Wiedert¨aufer stunde¨ fur¨ die Zukunft noch aus, k¨onnteaberzuweiterenEr- kenntnissen in Bezug auf die Morphosyntax fuhren.¨ Allerdings w¨are dies aus Sicht der romanistischen Sprachwissenschaft erst dann zufriedenstellend m¨oglich, wenn die plautdietschen Variet¨aten, die von den Mennoniten in Paraguay und Bolivien gesprochen werden, besser erforscht sind. Es kommt hinzu, dass kaum sprachwis- senschaftliche Erkenntnisse zum bolivianischen Spanisch im Tiefland vorliegen; auch hier musste¨ eine bessere Ausgangslage bestehen, um weiter untersuchen zu k¨onnen, ob die Wiedert¨aufer sprachliche Einflusse¨ des regionalen Spanisch aufweisen. Aufschlussreich erscheint auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die ver- mehrten Mischehen im Raum Santa Cruz dazu fuhren¨ werden, dass einige Halbmen- noniten mit Spanisch als Muttersprache aufwachsen. Besonders im Blickwinkel sind hier diejenigen Familien zu behalten, in denen Spanisch weder fur¨ den Vater noch fur¨ die Mutter die erste Sprache war, sondern fur¨ beide nur ein gangbarer Kompromiss ist. Nicht zuletzt gilt es auch zu beobachten, ob sich bolivianische Mennoniten, wie einst ihre Glaubensbruder¨ in Paraguay, fruher¨ oder sp¨ater den spanischsprachigen Medien weiter ¨offnen werden. Denn auch dies kann zu gefestigten Spanischkenntnis- sen beitragen. In Bezug auf die in Paraguay lebenden Wiedert¨aufer macht es aktuell den An- schein, als schreite die Integration in die lateinparaguayische Gesellschaft kaum mehr voran. Sie scheinen einen Weg gefunden zu haben, zwar offiziell Teil der paraguay- ischen Gesellschaft zu sein und auch deren Rechte genießen zu k¨onnen, bleiben im Großen und Ganzen jedoch unter sich und suchen privat uberwiegend¨ den Kontakt zu Glaubensbrudern.¨ Da es in Paraguay jedoch eine gr¨oßere Tendenz an den Schulen gibt, auch lateinparaguayische Lehrkr¨afte zu besch¨aftigen, ist es hier wichtig, weiter zu beobachten, ob sich das Spanische den regionalen Charakteristika weiter ann¨ahert - bislang ist dies kaum zu erkennen. Im Hinblick auf Sprachgewohnheiten w¨are es auch aufschlussreich weiter zu beob- achten, ob das Plautdietsche in einiger Zeit g¨anzlich verschwunden sein wird, denn nur noch die Alteren¨ scheinen es zu pflegen und die Jungeren¨ legen mehr Wert auf den Erhalt und die Weitergabe des Hochdeutschen. Inwieweit das Hochdeutsche der Anabaptisten in Paraguay dem Standarddeutschen der Bundesrepublik tats¨achlich ¨ahnelt, ist sicherlich eine weitere Frage, der es von Seiten der Germanistik nach- zugehen lohnt. Das Interesse der Jungerenaneinemregelm¨ ¨aßigen Austausch mit

279 14 Ausblick

Deutschland scheint zu sinken. Fraglich ist, welche Auswirkungen dies auf die deut- sche Sprache der Mennoniten haben wird. Mit dieser Arbeit war die Hoffnung verbunden, einige wissenschaftliche Lucken¨ hinsichtlich der Spracheinstellungen- und gewohnheiten sowie grammatikalische Cha- rakteristika des Spanischen der in Paraguay und Bolivien lebenden Mennoniten auf- zeigen zu k¨onnen. Auf zahlreiche Forschungsfragen konnten aufschlussreiche erste Antworten gefunden werden.

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289

Anhang

• Auflistung der Informanten • Cuestionario

291 Auflistung der Informanten

Paraguay:

AL (w), 18 Jahre alt, in Brasilien geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, studiert Buchhaltung in Asunción.

VA (w), 19 Jahre alt, in einer paraguayischen Kolonie geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, studiert Journalismus in Asunción, geht keiner bezahlten Tätigkeit nach.

ML (w), 57 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, studierte Grundschullehramt, ist seit vielen Jahren nicht mehr im Beruf.

MO (w), 22 Jahre alt, in einer paraguayischen Kolonie geboren, verheiratet, zwei Kinder, machte eine kaufmännische Ausbildung, ist nicht berufstätig.

EG (m), 27 Jahre alt, in Paraguay geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, studierte Theologie, ist an der Iglesia Concordia beschäftigt.

FI (w), 24 Jahre alt, in Asunción geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, studierte Theologie, ist bei einer sozialen Organisation tätig.

RY (m), 34 Jahre alt, in Asunción geboren, verheiratet, drei Kinder, studierte Betriebswirtschaft, ist in einer Firma beschäftigt.

EL (w), 31 Jahre alt, in Montevideo geboren, verheiratet, drei Kinder, studierte Marketing, ist aber seit Jahre nicht mehr berufstätig.

ES (w), 24 Jahre alt, in einer paraguayischen Kolonie geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, studierte Theologie, arbeitet am Colegio Villa Nueva.

DO (w), 24 Jahre alt, in Paraguay geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, ist am Colegio Villa Nueva als Lehrerin tätig.

MA (m), 28 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, keine Kinder, ist Theologielehrer am Colegio Villa Nueva.

DM (m), 24 Jahre alt, in Paraguay geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, ist Theologielehrer am Colegio Villa Nueva.

ED (m), 55 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, zwei Kinder, ist als Kaufmann tätig.

PE (w), 23 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder, in Paraguay geboren, ist als Mathematiklehrerin am Colegio Villa Nueva tätig.

CA (m), 22 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, keine Kinder, ist Grundschullehrer am Colegio Villa Nueva.

MR (w), 51 Jahre alt, in Paraguay geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, erlernte keinen Beruf, ist als Aushilfe im Gästehaus tätig. FE (m), 57 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, vier Kinder, ist Theologielehrer in einer Kolonie.

Bolivien:

WI (w), 48 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, keine Kinder, lebt seit vier Jahren in Bolivien, ist als Missionarin tätig.

RU (m), 49 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, keine Kinder, lebt seit vier Jahren in Bolivien, ist als Missionar tätig.

KA (w), 25 Jahre alt, in Santa Cruz geboren, verheiratet, keine Kinder, ist als Angestellte im mennonitischen Buchladen tätig.

NA (w), in Santa Cruz geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, geht keiner festen Tätigkeit nach.

RL (m), 39 Jahre alt, in Paraguay geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, lebt seit zehn Jahren in Bolivien, ist als Betriebswirt bei einem Autohersteller tätig.

AR (m), 38 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, in Kanada geboren, ist seit 15 Jahren Lehrer in Bolivien.

MR (w), 67 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder, in Mexiko geboren, lebt seit 10 Jahren in Bolivien und führt dort eine kleine Pension mit ihrem Mann.

AB (m), 67 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder, in Mexiko geboren, lebt seit 10 Jahren in Bolivien und führt dort eine kleine Pension mit seiner Frau.

AS (m), 45 Jahre alt, in der bolivianischen Kolonie Morgenland geboren, verheiratet, keine Kinder, ist selbstständiger Rinderzüchter.

RO (w), 16 Jahre alt, in Bolivien geboren, nicht verheiratet, keine Kinder, geht keiner Berufstätigkeit nach.

AK (w), 72 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, fünf Kinder, lebt mit Unterbrechung seit 25 Jahren in Bolivien, erlernte keinen Beruf.

PD (m), 72 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, fünf Kinder, lebt mit Unterbrechung seit 25 Jahren in Bolivien, ist Ingenieur im Ruhestand.

SU (w), 47 Jahre alt, in der bolivianischen Kolonie Morgenland geboren, verheiratet, zwei Kinder, führt einen kleinen Laden in der Kolonie.

UB (m), 23 Jahre alt, nicht verheiratet, keine Kinder.

AN (w), 23 Jahre alt, in Santa Cruz geboren, verheiratet, drei Kinder, geht keiner festen Berufstätigkeit nach.

MA (w), 21 Jahre alt, in Santa Cruz geboren, verheiratet, zwei Kinder, führt in Santa Cruz gemeinsam mit ihrem Mann und anderen Unternehmern ein kleines Hotel. KT (w), 25 Jahre alt, in Santa Cruz geboren, verheiratet, ein Kind, geht keiner festen Berufstätigkeit nach.

AM (m), 60 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, drei Kinder, lebt seit 45 Jahren in Bolivien, führt einen landwirtschaftlichen Betrieb.

MM (w), 65 Jahre alt, in Paraguay geboren, verheiratet, zwei Kinder, lebt seit 15 Jahren in Bolivien, ist nie berufstätig gewesen.

Cuestionario

1. Datos personales

1)Abreviatura de la persona: 2) Edad: 3) Lugar de nacimiento: 4)¿Desde cuándo vive en Pailón? 5) País de origen de la pareja: 6) País de origen de los padres: padre: madre: 7) País de origen de los abuelos: por parte de padre: por parte de madre: 8)¿ Cuántos hermanos tiene? 9) ¿Cuántos hijos tiene? 10) Profesión: 10b) ¿Su jefe es Boliviano? 11) Profesión de los padres: Padre: Madre: 12) ¿Sería difícil para usted mudarse de Pailón? () Sí () No () Niguna respuesta

2. Idiomas

1) ¿Qué lenguas habla?

2)¿ Qué lenguas habla su pareja?

3) ¿Qué lenguas hablan sus padres? Padre: Madre:

2a. Plautdietsch

1) ¿Cómo aprendió plautdietsch?

2) ¿Cómo entiende plautdietsch? () muy bien () bien () bastante

3) ¿Cuándo utiliza plautdietsch?

4)¿ Hay temas que no se puede discutir en plautdietsch?

5) ¿Escucha emisones en plautdietsch?

6)¿ Habla plautdietsch () muy bien () bien () bastante () mal?

7)¿ Qué importancia tiene plautdietsch para usted?

2b. Español

1)¿ Cómo aprendió español?

2) ¿Cómo entiende español? () muy bien () bien () bastante 3) ¿Cuándo utiliza español?

4) ¿Hay temas que no se puede discutir en español?

5) ¿Escucha emisiones en español?

6) ¿Habla español () muy bien () bien () bastante () bastante () mal?

7) ¿Qué importancia tiene el español para usted?

8)¿ Lee periódicos en español?

2c. Hüagdietsch

1) ¿Cómo aprendió hüagdietsch?

2) ¿Cómo entiende hüagdietsch? () muy bien () bien ()bastante

3) ¿Cuándo utiliza hüagdietsch?

4) ¿Hay temas que no se puede discutir en hüagdietsch?

5)¿ Escucha emisiones en hüagdietsch?

5a)¿ Lee periódicos en hüagdietsch?

6)¿ Habla hüagdietsch () muy bien () bien ()bastante ()mal?

7) ¿Qué importancia tiene hüagdietsch para usted?

2d. Idiomas en general

1) Por favor, indique el orden de la competencia con la cual habla las lenguas mencionadas anteriormente.

2)¿ En qué lengua usted sueña?

3) ¿En qué lengua usted reza?

4)¿ Qué lengua habla con la más frecuencia?

5) ¿Qué lengua habla preferiblemente?

6) ¿Qué lengua querría entender o hablar mejor?

7) ¿Qué lengua es más importante para los menonitas?

2e.

1) ¿En qué lengua habla con su pareja?

2) ¿En qué lenguas habla con sus padres?

3) ¿En qué lenguas habla con sus abuelos? 4)¿ En qué lenguas habla con sus hermanos?

5)¿ En qué lenguas habla con sus hijos?

5b) ¿En qué lenguas habla con sus nietos?

6) ¿En qué lenguas habla con sus amigos menonitas?

7)¿ Que lengua utiliza durante el trabajo?

8) ¿Cómo reaccionaría su famila si usted hablara solamente español?

3. Iglesia

1) ¿A qué iglesia pertenece?

2) ¿Desde cuándo?

3) ¿Asiste al servicio cada domingo?

4)¿ En qué lengua se predica en su iglesia?

4. Actitudes a los grupos de mayoría y a la comunidad de los menonitas:

1) Me intereso por la política boliviana: () Sí ()No () No respuesta

2) Tengo muchos contactos con Bolivianos () Sí () No ()No respuesta

3) Mis contactos con los Bolivianos son: () Predominante de negocios () Predominante amistosos () De negocios y amistosos () No respuesta

4) Los Bolivianos no les gustan a los menonitas () Es correcto () Es falso () No respuesta

5) El español es una lengua muy útil para los menonitas () Es correcto () Es falso () No respuesta

6) Prefiero el hüagdietsch al plautdietsch () Es correcto () Es falso () No respuesta

7) Si mi hijo/a se casaría con un/a Boliviano/a, estaría de acuerdo. () Sí () No () No respuesta

8) Me gustaría conocer a más Bolivianos () Sí ()No () No respuesta

9) Los bolivianos son cristos buenos. () Sí () No () No respuesta 10) Plautdietsch es una lengua muy útil para los menonitas aquí. () Sí ()No () No respuesta

11) Me gustaría hablar mejor el español. () Sí () No () No respuesta

12) Me gustaría leer la Biblia en plautdietsch. () Sí () No () No respuesta

13) Estaría de acuerdo con que se predicara en español en la iglesia. () Sí () No () No respuesta

14) Cuando la gente habla plautdietsch y una persona que solamente habla español toma parte toda la gente del grupo deben hablar español. () Sí () No () No respuesta

15) Prefiero pasar tiempo con menonitas y no con Bolivianos. () Sí () No () No respuesta

16) Generalmente me gustaría hablar más el español que el plautdietsch. () Sí () No () No respuesta

17) Paso vergüenza cuando menonitas hablan plautdietsch en un restaurante boliviano. () Sí () No () No respuesta

18) Quiero que se enseñe el español más en la escuela. () Sí () No () No respuesta

19) Los menonitas deberían hablar el español sin acento. () Sí () No () No respuesta

20) Hüagdietsch es una lengua muy útil para los menonitas aquí. () Sí () No () No respuesta

21) Todas las mujeres menonitas deberían hablar el español. () Sí () No () No respuesta

22) Sería muy estraño si un menonita por aquí no supiese hablar plautdietsch. () Sí () No () No respuesta

23) Muchas veces mezclo español y plautdietsch cuando hablo. () Sí () No () No respuesta

24) Plautdietsch es una lengua completa como español o inglés. () Sí () No () No respuesta

5. Leer

1)¿ Lee cada día? () Sí () No () No respuesta 2)¿ Qué lee?

3) ¿En qué lengua lee? () Español () Hüagdietsch () Otra lengua () No respuesta

4) ¿En qué lengua lee preferiblemente? () Español () Hüagdietsch () Otra lengua () No respuesta

5) ¿Se molesta leer? () Sí () No () No respuesta

6) ¿Le gustaría leer más? () Sí () No () No respuesta

6. Escribir

1)¿ Escribe cada día? () Sí () No () No respuesta

2)¿ Qué escribe?

3) ¿En qué lengua escribe? () Español () Hüagdietsch () Otra lengua () No respuesta

4) ¿En qué lengua escribe preferiblemente? () Español () Hüagdietsch ()Otra lengua () No respuesta

5) ¿Se molesta escribir? () Sí () No () No respuesta

6) ¿Le gustaría escribir más? () Sí () No () No respuesta

7. Escuela

1) ¿Qué escuela frecuenta/frecuentó?

2) ¿Cuántos años?

3)¿ Qué lengua/s se habla/hablaron en la clase? () Español () Hüagdietsch () Plautdietsch () No respuesta

4)¿Qué escuela frecuentaron sus padres?

5) ¿Qué escuela frecuentan/frecuentaron sus hijos?

6)¿ Le gustaría frecuentar la escuela más tiempo? () Sí () No () No respuesta 8. Característica

1) Me gusta ser un/a menonita () Sí () No () No respuesta

2) Bolivia es mi patria. () Sí () No () No respuesta

3) Los menonitas son un grupo importante para la economía. () Sí () No () No respuesta

4) Soy Boliviano/a. () Sí () No () No respuesta

5)¿ Sus amigos mejores son menonitas o Bolivianos/as? () Menonitas () Bolivianos/as () Ambos () Ningún () No respuesta

9. Naciones

1) ¿Adónde viaja normalmente y cuánto tiempo se queda?

2) ¿Si debiese describir los Estados Unidos, qué adjetivos utilizaría?

3) ¿Si debiese describir Bolivia, qué adjetivos utilizaría?

4) ¿Qué significa Alemania para Usted?

5) ¿Cómo se siente? () Menonita () Boliviano/a () Ambos () Ningún () No respuesta

6)¿ Prefería vivir en Alemania? () Sí (Por qué?) () No () No respuesta

10. Por favor, traduzca en español. 1) Sie soll ihrer Mutter helfen. 2) Ich mag meine Nachbarn. 3) Sie sind sicher, dass er nichts getan hat? 4) Ich hätte das Buch gelesen, wenn ich Zeit gehabt hätte. 5) Peter wird zum Fischen gehen. 6) Ich bin bereit, es zu tun. 7). Er kam jeden Samstag. 8) Er kam letzten Samstag. 9) Ich bin 20 Jahre alt. Eidesstattliche Erklärung

Familienname:

Vorname:

Geburtsdatum:

Ich erkläre hiermit an Eides statt,

- dass ich die vorliegende Dissertation selbstständig angefertigt, außer den im Quellen und -Literaturverzeichnis sowie in den Anmerkungen genannten Hilfsmitteln keine weiteren benutzt und alle Stellen der Dissertation, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, unter Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht habe,

- dass die Dissertation in der gegenwärtigen oder in einer anderen Fassung noch nicht einer anderen Fakultät oder Hochschule vorgelegen hat,

- dass mir die Promotionsordnung der Fakultät für Philologie bekannt ist.

Datum und Unterschrift Kurzbiografie

Kristin Ostendorf, 1983 im Emsland geboren, hat Erziehungswissenschaften, Anglistik und Hispanistik in Bielefeld, Bochum und Burgos/Spanien studiert. Im Rahmen ihrer Masterarbeit setzte sie sich mit dem Palenquero, einer spanisch-basierten Kreolsprache, die in Kolumbien gesprochen wird, auseinander und analysierte Sprachdaten. Für die vorliegende Dissertation führte die Autorin mehrere Wochen Feldforschung in Paraguay und Bolivien durch. Sie ist außerdem als Lehrkraft tätig.