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Zum 7. Limeskolloquium der Deutschen Limeskommission im September 2013 in Aalen trafen sich wieder mehr als 100 Archäologinnen und Archäologen zum fachlichen Austausch über die römische Reichsgrenze vom Niederrhein bis an die Donau.

In den Kongressakten fi nden sich Forschungsbeiträge zur Geschichte und Archäologie der rechts- rheinischen Gebiete neben Studien zu verschiedenen Kleinfundgruppen, von denen einige Der in Raetien, hier erstmals vorgelegt werden, und Einblicken in aktuelle Forschungsprojekte wie etwa zu den römischen Großbronzen am Limes. Den Limesabschnitten vom Donau- über den Obergermanisch-Raetischen bis zum Niedergerma- Ober- und Nieder germanien nischen Limes widmen sich Berichte zu Grabungen und Funden einzelner Kastellplätze ebenso wie übergeordnete Analysen, zum Beispiel zur Gestaltung von Limesdurchgängen oder zu Aspekten des Kultes. vom 1. bis 4. Jahrhundert Die Beiträge zeigen eindrucksvoll die aktuellen Forschungen am Limes mit Funden und Befunden

vom 1. bis zum 4. Jahrhundert von der deutsch-niederländischen Grenze bis an die Donau. und Niedergermanien Der Limes in Raetien, Ober- vom 1. bis 4. Jahrhundert 7. KOLLOQUIUM DER DEUTSCHEN LIMESKOMMISSION

BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES 8 BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES

9 783806 230598

DEUTSCHE LIMESKOMMISSION·BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES Deutsche Limeskommission · Bad Homburg v. d. H.

BEITRÄGE ZUM WELTERB E L IMES

2014 · In Kommission: Konrad Theiss Verlag · Darmstadt Deutsche Limeskommission · Bad Homburg v. d. H.

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Peter Henrich (Hrsg.) Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

BEITRÄGE ZUM WELTERB E L IMES

Band 8 7. Kolloquium der Deutschen Limeskommission 24./25. September 2013 in Aalen

2014 · In Kommission: Konrad Theiss Verlag · Darmstadt Herausgeber: Peter Henrich Deutsche Limeskommission · Römerkastell Saalburg 1 · 61350 Bad Homburg v.d.H. www.deutsche-limeskommission.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Redaktion: Karen Schmitt, Stuttgart Gestaltung: HUND B. communication, München, Christian Hölzl, Kareen Klug Druck: Bosch-Druck, Landshut

Umschlagabbildungen Titelseite: Bronzeporträt Gordians III. aus Niederbieber. Die Detailaufnahme der Augenpartie zeigt viele antike Reparaturstellen mit rechteckigen Flickplättchen. LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: C. Sarge. Rückseite: Bonn, Legionslager. Aufsicht der Kanalheizung des Badegebäudes. LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, Foto: C. Maass.

© 2014 Deutsche Limeskommission Die Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung der Deutschen Limeskommission unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany ISBN 978-3-8062-3059-8 VORWORT

Das 7. Limeskolloquium der Deutschen Limeskommission fand am 24. und 25. September 2013 in der Stadthalle Aalen auf Einladung der Stadt Aalen und des Ministeriums für Finanzen und Wirt- schaft Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Limes-Informationszentrum Baden-Württem- berg statt. Die Veranstaltung war mit mehr als 100 Fachkolleginnen und Fachkollegen erneut sehr gut besucht. Sie ist damit zu dem – regelmäßig alle zwei Jahre stattfindenden – Treffen und fach- lichen Austausch aller am Limes Forschenden vom Niederrhein bis an die Grenzabschnitte entlang der Donau geworden. Eine wichtige Neuerung während dieses Kolloquiums war die gezielte Ein- bindung junger Kolleginnen und Kollegen, die ihre universitären Abschluss arbeiten in Form von Postern und Vorträgen präsentieren konnten. Dies ergänzt die Aktivitäten der Deutschen Limes- kommission zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Idee, während des Kongresses aktuelle Forschungsergebnisse und Fragestellungen ohne ein vorgegebenes Oberthema zu präsentieren, wurde auch beim 7. Kolloquium erfolgreich umge- setzt. Dadurch finden Sie in diesem Band auch Beiträge fernab der klassischen Limes themen, die jedoch für die zentralen Fragestellungen der Limesforschung von großer Bedeutung sind. Hierzu zählen die Beiträge zu den Funden und Befunden aus Augsburg-Oberhausen, den Grabungen im vorflavischen Kastell von Groß-Gerau–Wallerstädten oder den Einflussbereichen des gallischen Sonderreiches und Roms anhand der Verteilung der Münzprägungen. Die kritischen Betrachtun- gen zu den sogenannten Paraderüstungen sowie die Ergebnisse aus dem Projekt zu römischen Großbronzen am Limes gehören ebenfalls hierher. Erstmals im Detail vorgelegt werden ausgewählte Funde der Grabungen an dem bekannten Li- mestor von Dalkingen. Vom Donaulimes wird über die Grabungen der Jahre 2004–2007 in Strau- bing berichtet. Die Forschungen entlang des Obergermanisch-Raetischen Limes sind durch die Beiträge zu den Gemmen aus Ruffenhofen, den Kleinfunden aus Dambach und den Ergebnissen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg repräsentiert. Eine übergeordnete Analyse gilt dem Aussehen und der Gestaltung der Limesdurchgänge. Aspekte des Kultes behandelt der Beitrag zu den Darstellungen dreihörniger Stiere aus Mainhardt. Vier Beiträge befassen sich mit Abschnitten des Niedergermanischen Limes, der einen integralen Bestandteil der deutschen Limesforschung darstellt. Neben den neuen Grabungsergebnissen im Legionslager von Bonn werden die Forschungen in dem vor wenigen Jahren entdeckten Auxiliar- kastell Till-Steincheshof vorgestellt. Ergänzend werden sich die Übungslager im Umfeld von Xan- ten präsentiert. Den Abschluss bildet der Bericht zu einem konstantinisch-valentinianischen Fund- platz mit vermutlich militärischem Charakter bei Alpen-Drüpt. Die Beiträge zeigen eindrucksvoll die aktuellen Forschungen am Limes mit Analysen von Kleinfun- den und Befunden vom 1. bis zum 4. Jahrhundert von der deutsch-niederländischen Grenze bis an die Donau in Form von Detailstudien und überregionalen Überlegungen. Im Namen der Deutschen Limeskommission danke ich Frau Mundkowski-Vogt, der Stadt Aalen, vertreten durch Frau Bürgermeisterin Heim-Wenzler, Frau Haisch sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadthalle Aalen und Herrn Dr. Bender für die logistische und finanzielle Unter- stützung bei den Planungen und der Durchführung des Kongresses. Dem gesamten Team des Li- mesmuseums Aalen, und hier besonders Frau Wudy und Herrn Sauerborn, danke ich für die Be- reitstellung der Räume im Limesmuseum während des Abendempfangs am ersten Kongresstag. Danken möchte ich auch meinem Mitarbeiter Herrn Sulk M.A. für die Mitarbeit vor und während des Kongresses sowie bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge. Dank der sehr konstrukti- ven und sehr kollegialen Zusammenarbeit der Autorinnen und Autoren war es auch dieses Mal möglich, den Kolloquiumsband binnen Jahresfrist fertigzustellen. Letztendlich ist es mir eine angenehme Pflicht, K. Schmitt für die Redaktions- sowie Ch. Hölzl, K. Klug und I. Süß (HUND B. communication) für die Grafik- und Layoutarbeiten und die sehr pro- fessionelle Zusammenarbeit zu danken.

Saalburg, im Juli 2014 Dr. Peter Henrich INHALTSVERZEICHNIS

GESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DER RECHTSRHEINISCHEN GEBIETE

01 ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 9

02 THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene. Ein Überblick über die Forschungen seit 1999 21

03 PROF. DR. C. SEBASTIAN SOMMER „... a barbaris occupatae ...“ Bezahlte Freunde? Zur Rolle der Germanen in Süddeutschland in den Auseinandersetzungen zwischen Gallischem Sonderreich und Rom 35

STUDIEN ZU KLEINFUNDEN

04 MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis 55

05 CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 65

06 JENNIFER SCHAMPER Zur Ikonographie verzierter Ausrüstungsgegenstände 79

07 MATTHIAS PAUSCH Von der Lupa bis zum Cornicen. Römische Gemmen aus Ruffenhofen 85

DONAULIMES

08 VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld – Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung 91 RAETISCHER LIMES

09 VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 99

OBERGERMANISCHER LIMES

10 STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 113

11 LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 125

12 THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 149

NIEDERGERMANISCHER LIMES

13 JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn 165

14 MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 173

15 STEVE BÖDECKER Airborne Laserscanning am Niedergermanischen Limes 187

16 CLIVE BRIDGER · MIT EINEM TOPONOMASTISCHEN BEITRAG VON HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 193 8 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 01 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 9

ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern

Die Erforschung der römischen Okkupation im bayerischen Alpenvorland ist eng mit der Erfor- schung von Augsburg-Oberhausen verbunden, und selbst nach über 100 Jahren lassen sich an dieser Fundstelle mithilfe detaillierter Befund- bzw. Fundanalysen neue Ergebnisse erzielen.

EINLEITUNG Oberhausen, seit 1911 ein Stadtteil von Augsburg, befindet sich im Nordwesten der Stadt am Zu- sammenfluss von Wertach und Lech.1 Hier, di - rekt im Uferbereich der beiden Flüsse alpinen Ur- sprungs, wurde bereits seit dem 19. Jahrhundert Kies gewonnen (Abb. 1). Die dabei zahlreich zuta- ge tretenden römischen Metallfunde – insbeson- dere Militaria und Münzen – führten zur Entde- ckung der Fundstelle von Augsburg-Oberhausen, deren augusteische Datierung spätestens 1911 klar war.2 Im August 1913 fand unter der Gesamt- leitung von Paul Reinecke für zehn Tage eine Grabung statt, deren Weiterführung 1914 wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht mehr möglich war. Wohl aufgrund dieser eher tumul- Abb. 1: Augsburg (Augusta Vindelicum) und Umgebung auf dem tuarischen Erforschung der Fundstelle ist es bis „Urkatasterblatt“ von 1865. Im Süden befindet sich die mittelalterli- heute nicht mehr möglich, die Befunde der Gra- che (und mittelkaiserzeitliche) Stadt, markiert ist im Nordwesten die bung von 1914 exakt ins Gelände einzumessen, Fundstelle Augsburg-Oberhausen. Ohne Maßstab.

1 Ich danke den Organisatoren (insbes. Peter Henrich) des Reihenfolge) Stefanie Deschler, Sebastian Gairhos, Manfred 7. Kolloquiums der Deutschen Limeskommission in Aalen Hahn, Markus Scholz und Alexandra Winkler gedankt. vom September 2013 für die Möglichkeit, meinen Beitrag in 2 Zu einer Übersicht der Forschungsgeschichte siehe Desch- den Kolloquiumsakten publizieren zu können. Für Unterstüt- ler-Erb 2013, 128–129; Bakker 2002, 480; von Schnurbein zung bei der Abfassung des Manuskripts sei (in alphabetischer 1985, 15–19; Hübener 1973, 17–25. 10 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Augsburg-Oberhausen, ist Wolfgang Hübener im Jahre 1973 zu verdanken.7 Verschiedene Proble- me mit diesem Katalog der Metallfunde8 führten aber dazu, dass ab 2009 mithilfe einer Projektför- derung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Abb. 2a: (DFG) eine Neubearbeitung dieser Materialgrup- Augsburg-Oberhausen, pe gestartet werden konnte.9 Im Rahmen dieser Grabung 1913: Blick auf Neubearbeitung ist eine komplette Erfassung so- die Kiesgrube mit wie Dokumentation der Metallfunde aus Augs- der Grabungsfläche im burg-Oberhausen in einem ausführlich doku- Vordergrund. mentierten Katalog vorgesehen. Auf der Basis dieser Dokumentation soll dann eine neue Ein- ordnung der Fundstelle in den Rahmen der au- gusteischen Okkupation des bayerischen Alpen- vorlands erfolgen. Die Erfassung der Metallfunde ist mittlerweile ab- geschlossen und es laufen die Arbeiten für die Pu- Abb. 2b: blikation des Katalogbands. Der Katalog umfasst Augsburg-Oberhausen, insgesamt 6162 Objekte (Tab. 1), die zusammen Grabung 1913: Blick auf über 150 kg Gewicht aufbringen.10 Damit dürfte es die doppelte Pfahlreihe sich noch immer um einen der umfangreichsten mit organischer Füllung Metallfundkomplexe der augusteischen Epoche dazwischen. überhaupt handeln.

geschweige denn, diese auch korrekt zu inter- Tabelle 1: Augsburg-Oberhausen. pretieren.3 Eine wichtige Ergänzung für die Dis - Überblick zur Gliederung de Metallfunde kussion können hier vor kurzem wieder ent- (n = 6162). Stand Ende 2013. deckte Fotos aus dem Jahr 1913 liefern,4 die aus Kategorie Unterkategorie Anzahl mehreren verschiedenen Blickwinkeln heraus die Grabungsstelle wiedergeben (Abb. 2a, b). Ge- Hausrat Gefäße, Mobiliar, Essgerät, 843 Schreibgerät, Waage/ meinsam mit den vorhandenen Planskizzen Gewicht lässt sich jetzt immerhin sagen, dass 3–4 m unter Toilett-/medizinisches Sonden, Skalpelle, Spiegel 56 der heutigen Oberfläche auf einer Fläche von ca. Gerät 3 m auf 27 m eine Doppelreihe aus Eichenpfählen Schmuck/Tracht Fibeln, Ringschmuck 140 mit einer organischen Schicht dazwischen frei- gelegt wurde und sich daneben mehrere fund- Handwerk Holz-/Metall-/Lederver- 468 arbeitung reiche Kiesschüttungen befanden. Als wahr- scheinlichste Interpretation dürfte es sich um Landwirtschaft Ackerbau, Sammel- 64 wirtschaft, Fischerei eine mehrteilige Uferbefestigung (Schifflände?) mit daneben befindlichem Flussbett (Wertach?) Transport Wagenteile, Zuggeschirr 37 gehandelt haben.5 Militärausrüstung Angriffswaffen, Verteidi- 1288 Das reiche Fundmaterial wurde 1914 bis 1917 in gungswaffen, Gürtel und Riemenschurz, Pferdege- München konserviert und fotografiert; die Ob- schirr, weitere Ausrüstung jekte befinden sich seit 1917 in Augsburg und Baugerät Ringe, Nägel, Splinte 1841 zum größten Teil im Besitz des römischen Muse- ums Augsburg. Bereits kurz nach Grabungsende Schrottteile Bänder, Bleche, Brocken 1403 wurde Augsburg-Oberhausen der Forschung be- Funktion nicht bekannt 22 6 kannt gemacht; die Edition des Fundmaterials Total 6162 setzte aber erst nach 1945 ein. 1960 wurde von Günther Ulbert die Keramik vorgelegt und 1962 Die oben skizzierte Fundgeschichte verdeutlicht, erfolgte im Rahmen des Projekts Fundmünzen dass es sich bei dem Fundkomplex von Augs- der römischen Zeit in Deutschlands (FMRD) die burg-Oberhausen nicht um ein völlig geschlosse- Publikation der Münzen. Die Edition der Metall- nes Ensemble handeln kann, und so finden sich funde, der umfangreichsten Materialgruppe aus im Material auch immer wieder vorrömische und ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 11

nachrömische Objekte.11 Es bleibt auf der anderen ein Hammerfragment15 könnte unter Umständen Seite aber festzuhalten, dass weit über 90 % der Fun- der Steinverarbeitung gedient haben. de in augusteische Zeit gehören. Gewisse Hinweise (Keramik und Münzen) erlauben es, Augsburg- Tabelle 2: Augsburg-Oberhausen. Überblick zur Oberhausen innerhalb der augusteischen Epoche Gliederung des Handwerksgeräts (n = 468). etwas präziser einzuordnen: Danach ist der Fund- Kategorie Handwerk n platz mit einiger Sicherheit mittel- bis spätauguste- isch zu datieren und damit ungefähr mit Haltern Holzhandwerk 188 gleichzusetzen. Darüber hinaus lassen gewisse Indi- Leder-/Stoffbearbeitung 100 12 zien darauf schließen, dass Augsburg-Oberhausen Metallhandwerk/Halbfabrikate 152 eventuell noch bis an den Beginn der tiberischen Steinhandwerk 1 Zeit (15/16 n. Chr.) besetzt gewesen ist. Mehrzweckgerät 27 Die genaue Interpretation der Befunde und Funde von Augsburg-Oberhausen gibt noch immer Anlass Total 468 zu Diskussionen. Die militärische Komponente des Fundplatzes ist offensichtlich, wenn man die Menge Tabelle 3: Augsburg-Oberhausen. Überblick zur an Militaria und auch das Münzspektrum anschaut. Gliederung des Baugeräts (n = 1841). Darüber hinaus besteht aber ein großer Spielraum Kategorie Baugerät n an Interpretationsmöglichkeiten. Diese reichen von Legionslager, Doppellegionslager über Schiffsun- Kettenteile 172 glück bis hin zu einer einheimischen Opferstätte.13 Ringe 339 Anhand der Fundkategorien Handwerk, Baugerät Scheiben 4 und Militärausrüstung (Tab. 1) möchte ich einen Bei- Tüllen 13 trag zu dieser Diskussion liefern und eine Interpre- Haken/Klammer 236 tation für Augsburg-Oberhausen vorschlagen. Zwingen 23

HANDWERKS- UND BAUGERÄT Splinte/Ösenstifte 193 Mit 468 Objekten bildet das Handwerksgerät eine Beschläge/Bügel 111 der umfangreicheren Kategorien innerhalb der Nägel 742 Metallfunde (Tab. 2). Die zugehörigen Objekte ver- Niete 5 teilen sich mehrheitlich auf Gerät zur Bearbeitung Pfahlschuh 3 von Holz, Leder oder Stoff und Metall.14 Einige we- Total 1841 nige Geräte sind nicht genauer zuweisbar und nur

3 Zur Befunddiskussion ausführlich von Schnurbein 1985, 10 D abei handelt es sich um 5163 Funde aus Eisen, 755 aus 16–18 bes. Abb. 1–3; Hübener 1973, 19–22 Taf. 2–3; 37. Buntmetall, 203 aus Blei, sieben aus Silber, einen aus Gold 4 Diese Serie von sieben Grabungsfotos dürfte gemäß einer und vier aus Stein oder Glas. 19 Objekte sind aus Eisen/Bunt- Notiz auf einem der Bilder von Paul Reinecke angefertigt metall und vier aus Buntmetall/Blei. Zuletzt sind noch vier worden sein. Siehe auch Deschler-Erb 2013, 129 Anm. 6. Fingerringe aus Buntmetall oder Eisen mit Einlagen aus Glas 5 Alternativ könnte man sich auch einen Abwasserkanal oder Stein zu nennen. vorstellen (?). 11 Zum Beispiel eine Certosafibel (Hübener 1973, Taf. 30,3) 6 Zum Beispiel Wagner 1928, 14; 13 Abb. 1–2. oder ein neuzeitlicher Steigbügel (Hübener 1973, Taf. 17,19). 7 Ulbert 1960; Kraft 1962; Hübener 1973. 12 Z u nennen ist das erstmalige Vorkommen von Militärobjekten 8 Unter anderem sind fehlende/falsche Einträge, zum Teil mit Nielloverzierung (Deschler-Erb 2013, 130 Anm. 17) oder doppelte Katalogisierung, eine nur schwer verständliche das typisch spätaugusteische Spektrum bei den Schuhnägeln Tafelgestaltung und vor allem eine fehlende Auswertung zu (Poux 2008, 376–381 bes. Abb. 56, Nr. 11). nennen. 13 Ei nen Überblick zur Diskussion geben Bakker 2002, 480; von 9 Antragssteller waren Lothar Bakker (Römisches Museum Schnurbein 1985, 28–37. Augsburg und Stadtarchäologie) sowie Günther Ulbert 14 Einen Überblick zu den einzelnen Handwerksbereichen gibt (Kommission zur vergleichenden Archäologie römischer z. B. die Publikation Amrein u. a. 2012. Vgl. dort 104–113 Alpen- und Donauländer der Bayerischen Akademie der (Holzverarbeitung); 121–137 (Textilverarbeitung, Leder und Wissenschaften, München), Ausführender Mitarbeiter ist Pelze); 56–77 (Metallverarbeitung). Eckhard Deschler-Erb (Universität Zürich). 15 I nv.-Nr. O/1904 aus Eisen. 12 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 3: Augsburg-Oberhausen. Eine Auswahl von Handwerksgerät für die Holz- und Leder- sowie Stoffverarbeitung. M. 1:4. ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 13

Das Baugerät umfasst 1841 Objekte und bildet da- römischen Okkupation in die Gegend nördlich mit die umfangreichste Kategorie unter den Me- der Alpen.22 tallfunden aus Augsburg-Oberhausen (Tab. 3).16 Die definitive Funktionsdeutung für das Zieh- messer mit abgewinkeltem Ende O/1114 befin- HOLZVERARBEITUNG det sich noch in der Diskussion. Am ehesten Unter den 188 Objekten für die Holzverarbei- wird man aber von einer Nutzung für die Holz- tung finden sich unter anderem Äxte, Bohrer, bearbeitung ausgehen können. Ziehmesser die- Dechsel, Feilen, Hobel, Meißel, Keile, Nagelzie- ser Art sind latènezeitliche Werkzeuge einhei- her und Stemmbeitel und damit ein sehr um- mischer Tradition, die gerade noch bis in die fangreiches Spektrum, das zum Roden des Ge- frühe Kaiserzeit hinein genutzt wurden. 23 ländes, aber auch zum Bau neuer Holzbauten geeignet war (Auswahl auf Abb. 3). 17 LEDER- UND STOFFVERARBEITUNG Bei den Äxten/Beilen sind zwei Formen zu nen- Stoff- und vor allem Lederverarbeitung hatte nen.18 Das Tüllenbeil O/19 weist eine nach unten im militärischen Bereich eine herausragende dreieckig geöffnete Tülle auf, die nach oben hin Bedeutung, gab es hier doch vom Zelt über die geschlossen gearbeitet ist. Tüllenbeile sind in Ausrüstung bis hin zum Pferdegeschirr einen Mitteleuropa weit verbreitete Formen mehr- immensen Bedarf für Lederwaren. 24 Mit insge- heitlich latènezeitlicher Datierung. Darüber hin- samt 100 Objekten liegt denn auch aus Augs - aus reicht ihre Datierung aber bis weit in die rö- burg-Oberhausen eine entsprechende Anzahl mische Kaiserzeit hinein.19 Die Schaftlochaxt von Gerät für dieses Metier vor. Der Gerätebe - O/12 weist obere und untere Schaftlochlappen stand umfasst vor allem Ahlen, Doppelspitzen, sowie eine leicht geschwungene Schneide auf. Ledermesser, Nähnadeln und Scheren (Aus- Äxte dieser Art sind in den Nordwestprovinzen wahl auf Abb. 3). des Römischen Reiches weit verbreitet und in Die wirkliche Funktion der sogenannten dieser speziellen Ausformung eher auf die frühe „Ledermesser“ mit lanzettförmiger Schneide, römische Kaiserzeit beschränkt; spätkeltische tordiertem Griff und horizontal abgebogenem Exemplare sind nicht bekannt.20 Ende (Abb. 3: O/1062, O/1070, O/1071) ist in der Die große Gruppe der Löffelbohrer sei hier mit Literatur heftig umstritten. Neben einer Ver- dem Exemplar O/422 vorgestellt. Es handelt sich wendung als Ledermesser wird häufig auch ein um ein eher zierliches Exemplar, mit dem in Gebrauch als Töpferspatel (Gefäßglättung und Feinarbeit Holz oder auch Knochen gebohrt -Verzierung) erwogen.25 Die Nutzung bei der werden konnte. Löffelbohrer sind seit der Verarbeitung von Leder oder auch Stoff scheint Latènezeit in Mitteleuropa bekannt. Die Form mir jedoch derzeit am wahrscheinlichsten zu von O/422 mit dem „Pyramidenstumpf“-Griff- sein. Ledermesser des hier vorgestellten Typs einsatz hingegen kennt man erst ab der frühen beschränken sich auf die frühe römische Kai- Kaiserzeit; die bei unserem Stück vorliegende serzeit und finden sich mehrheitlich in militä- schmale Schneide scheint auf die frühe Kaiser - rischen Anlagen.26 zeit beschränkt gewesen zu sein. 21 Unter den zahlreichen Ahlen bzw. Pfriemen Auch die Hobel, die zur Feinarbeit am Holz ge- aus Augsburg-Oberhausen findet sich eine nutzt wurden und die hier mit dem Blatteinsatz Gruppe mit bikonischem Arbeitsteil und ei- O/789 vorgestellt werden, kamen erst mit der nem kleinen Griffdorn (Abb. 3: O/1129, O/1146,

16 Gr undsätzlich zu dieser Kategorie und deren Gliederung vgl. 20 We ller 2014, Kap. 4.2.1; Duvauchelle 2005, 36 forme 2A+B; z. B. Deschler-Erb/Wyprächtiger 2010, 22 (dort unter „Klein- Dolenz 1998, 149–150 Taf. 45,F12; Harnecker 1997, 6–7 gerät“). Taf. 2,5.6. 17 E inen Überblick zum Gerätebestand für Holzverarbeitung ge- 21 M ölders 2010, 54–55; Duvauchelle 2005, 54–55; Harnecker ben z. B. Mölders 2010, 50–61 (Funde aus Bibracte) oder 1997, 8–9 Taf. 11 bes. 83. Duvauchelle 2005, 33–58 (Funde aus Avenches/Aventicum). 22 T isserand 2011, 892; Mölders 2010, 60; Duvauchelle 2005, 52–54. 18 D efinition von Beil (ohne Schaftloch) und Axt (mit Schaft- 23 D olenz 1998, 207–210 Taf. 74,W293–W299; Jacobi 1974, loch) nach Weller 2014. 45–47 Taf. 24,402–405. 19 We ller 2014, Kap. 4.5.8; Mölders 2010, 56 Taf. 60,86–89; 24 Amrein u. a. 2012, 135 (Beitrag S. Deschler-Erb). Hanemann 2006, 132 Abb. 150 (Hortfund Neupotz 3. Jh.); 25 Harnecker 1997, 12–13 Taf. 21–22,245–259 (Auswahl). Jacobi 1974, 28–32. 26 D olenz 1998, 213–217 Taf. 77–78,W324–W362 (Auswahl). 14 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 4: Augsburg-Oberhausen. Eine Auswahl von Handwerksgerät für die Metallverarbeitung sowie Nägeln. M. 1:4, O/1b-B M. 2:3. ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 15

O/1140). Geräte dieser Art, die auch gestempelt sung zum frühkaiserzeitlichen Gerätbestand sein können, sind ebenfalls überwiegend auf benötigt es noch weitere Forschungen; vorerst frühkaiserzeitliche Fundorte beschränkt. 27 wird sie aber zum augusteischen Gerätbestand von Augsburg-Oberhausen gezählt. METALLVERARBEITUNG Auch die Metallverarbeitung ist in einem mili- BAUGERÄT tärischen Umfeld von enormer Bedeutung. Die Unter dem Baugerät sind alle die Objekte ver- insgesamt 152 Objekte dieser Unterkategorie sammelt (siehe Tab. 3), die in irgendeiner Weise umfassen neben Ambossen, Blechscheren, im konstruktiven Bereich zum Einsatz kamen Schmiede- und Treibhämmern sowie verschie- (z. B. Häuserbau). Die größte Unterkategorie um- denartigen Meißeln und Zangen auch zahlrei- fasst dabei die Nägel (n = 742), die überwiegend che Halbfabrikate, die neben normalen Arbei- aus Eisen (n = 715) sind.32 Unter den Eisennägeln ten zum Unterhalt eines Militärlagers auch die sind alle die Formen vertreten, die auch sonst Produktion militärischer Ausrüstung in Augs- im eisenzeitlichen und provinzialrömischen burg-Oberhausen belegen (Auswahl auf Abb. 4). Mitteleuropa vorkommen (Auswahl siehe Abb. 4). Mit O/30 (Abb. 4) wird ein Schmiedehammer mit Auffallend ist dabei einzig, dass der größte Teil geraden Seiten und ovalem Schaftloch für feine- der Eisennägel aus Augsburg-Oberhausen un- re Metallarbeiten vorgestellt. Das hier vorlie- gebraucht erscheint, so als ob sie in einem De- gende Exemplar gehört einer Form an, die pot für einen späteren Gebrauch gelagert wor- mehrheitlich in die Latènezeit zu datieren ist den wären. und höchstens noch bis in die frühe Kaiserzeit hinein genutzt wurde.28 MILITARIA Steckambosse wie O/1049 (Abb. 4) waren mit ih- Mit 1288 Objekten bildet die Militärausrüstung rem Stiel in große Holzklötze eingelassen (Ein- eine der umfangreichsten Fundkategorien in steckfäustel) und dienten als Unterlage für Augsburg-Oberhausen. Sie ist aufgeteilt in fünf Fein- und Grobschmiede. Zur vorliegenden Aus- Unterkategorien (Tab. 4).33 prägung gibt es nur wenige Parallelen, die eine frühkaiserzeitliche Datierung nahelegen.29 Tabelle 4: Augsburg-Oberhausen. Überblick zur Die Flachzange O/1218 weist ein ovales Maul mit Gliederung der Militärausrüstung (n = 1288). flach aufeinanderliegenden Enden auf. Mit Zan- gen dieser Art war es möglich, einen Gusstiegel Kategorie Militärausrüstung n zu führen oder Schmiedegut im Feuer zu halten. Angriffswaffen 370 Es handelt sich um eine eher zeitlose Form, die Verteidigungswaffen 52 ab der Latènezeit genutzt wurde und wohl im gesamten Imperium verbreitet war.30 Gürtel und Riemenschurz 57 Einen sicheren Beleg für die Produktion von Mi- Pferdegeschirr 242 litärausrüstung bietet das Halbfabrikat O/1b-B. Bei diesem Beschlagblech für den Militärgürtel Weitere Ausrüstung 567 sind die noch nicht abgearbeiteten Gussgrate Total 1288 im Bereich der Dornstifte sehr gut zu erkennen. Eher ungewöhnlich ist zuletzt die Blech- oder Bei den Angriffswaffen (n = 370) dominieren die auch Stoffschere O/1241, zu der nur wenige Par- Waffenteile für den Fernkampf. Insbesondere allelen zu finden sind.31 Für eine sichere Zuwei - sind dabei Lanzen-/Speerspitzen, Pfeilspitzen

27 D uvauchelle 2005, 83–85 type 2; Dolenz 1998, 219–220 Taf. chelle 2005, 22–25 Taf. 4,18; Gaitzsch 1993, 86–87 Taf. 79,W367 (gestempelt)–W368; Harnecker 1997, 11 Taf. 21,224. 69, Ger 21; Ohlhaver 1939, 55–67. 28 M ölders 2010, 36–37 Taf. 50,1–2; Gaitzsch 1993, 86–87 31 E ntfernte Parallele aus Neupotz (3. Jh.): Hanemann 2006, Taf. 69, Ger79; Jacobi 1974, 5–6 Taf. 1,1–2; Ohlhaver 131 Abb. 149. 1939, 41–55 (bes. 42–44). 32 B ei den Nägeln aus anderem Metall handelt es sich um 29 M ölders 2010, 41 Taf. 51,16; Dolenz 1998, Taf. 50,W6 (im Ziernägel. Davon sind 24 aus Buntmetall, zwei aus Blei und Text S. 160 irrtümlicherweise als Schlaggerät interpretiert); einer aus Silber. Harnecker 1997, 9 Taf. 14,108–109. 33 Z ur Kategorisierung von Militärausrüstung vgl. z. B. 30 T isserand 2011, 888–889; Mölders 2010, 42–43; Duvau- Deschler-Erb 2012, 21; Deschler-Erb 1999, 14. 16 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 5: Augsburg-Oberhausen. Eine Auswahl von Angriffswaffen. M. 1:4.

und Geschossbolzen zu nennen. Pilumteile, die Schienenpanzer. Herausragendes Objekt dieser mehrheitlich als typisch für die Legionärsaus- Unterkategorie ist ein sehr gut erhaltener Helm rüstung gelten,34 erscheinen eher selten. Als vom Typ Weisenau (Abb. 6). Dieser Helm fand Beispiele für Lanzen-/Speerspitzen, die generell sich bereits vor der Grabung von 1913 im Schot- mit Auxiliartruppen in Verbindung gebracht ter der Wertach38 und wurde lange Zeit aus typo- werden,35 sind hier die beiden Exemplare O/300 logischen Gründen als nicht zugehörig zum und O/264, als Beispiele für Pfeilspitzen die bei- Fund ensemble angesehen. Da mittlerweile aber den Stücke O/397 und O/210 abgebildet (Abb. 5). sehr gut vergleichbare Helme aus gesichertem Letztere Pfeilspitze ist durchbrochen gearbeitet augusteischem Zusammenhang bekannt sind, und könnte als Brandpfeil genutzt worden sein.36 spricht nichts gegen eine Zuweisung unseres Unter den eher wenigen Waffen für den Nah- Helms zum Militärplatz Augsburg-Oberhau- kampf gibt es Schwerttteile von gladii Typ sen.39 Helme vom Typ Weisenau sind typische und einige Dolchfragmente. Bei dem ab- Helme der Infanterie, die gleichermaßen von Le- gebildeten Dolch O/445 handelt es sich um einen gionären wie Auxiliaren getragen werden konn- Dolch vom Typ Mainz, der wie die gladii vom ten.40 Typ Mainz in augusteisch-claudische Zeit zu Auch Gürtelteile und Riemenschurz sind mit ge- datieren ist.37 rade 57 Objekten nicht sehr zahlreich in Augs- Zu den wenigen Verteidigungswaffen (n = 52) zäh- burg-Oberhausen vertreten. Das Typenspekt- len Helmteile, Schildteile und Fragmente vom rum entspricht der augusteischen Zeitstellung. ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 17

Interessant ist der oben bereits erwähnte Nach- weis einer Produktion von Militärgürtelteilen vor Ort (Abb. 4, O/1b-B). Das Pferdegeschirr ist mit 242 Objekten wieder- um häufi ger nachweisbar und belegt die Anwe- senheit von Auxiliarkavallerie. Zu nennen sind hier eine große Zahl an Teilen vom Zaumzeug, vor allem Ringtrensen und Trensen mit T-förmi- gen Seitenstücken. Interessant ist auch ein soge- nannter Stangenzaum (Abb. 7), der über die Nase des Pferdes gelegt wurde und im Genick- oder Kehlbereich mithilfe einer mehrgliedrigen Kette fi xiert werden konnte. Stangenzäume dieser Art Abb. 6: Augsburg-Ober- scheinen mediterraner Herkunft zu sein und hausen. Der Eisenhelm VF sind mehrheitlich ins 1. Jahrhundert n. Chr. zu da- 1052. Ohne Maßstab. tieren.41 Außer dem Zaumzeug fanden sich auch zahlreiche Riemenbeschläge und vor allem An- hänger für das Pferdegeschirr. Zu nennen sind hier in größerer Anzahl sogenannte Phallusan- hänger (Abb. 8), die gerade in augusteischer Zeit zahlreich belegt sind und vor allem als Schutz- amulette zu gelten haben.42 Die weitere Ausrüstung (n = 567) umfasst zum ei- nen einfache Schnallen, Nietknöpfe jeglicher Art, einfache Beschläge und Pioniergerät (Pio- nieräxte/dolabra und Zeltheringe43) sowie zum anderen mehr als 400 Schuhnägel. Charakteris- tisch für die Schuhnägel aus Augsburg-Oberhau- sen sind drei bis elf Nuppen auf der Unterseite, während die typischen Kreuzmarkierungen, die aus frühaugusteischen Militärlagern bekannt sind, nahezu völlig fehlen. Zu einer der Pionier- äxte/dolabra ist eine Stempelung zu vermerken, die unter Umständen vom produzierenden Schmied stammen könnte.44

SCHLUSSFOLGERUNGEN Zum Handwerksgerät ist zusammenfassend festzuhalten, dass dieses fast zu umfangreich ist für den „normalen“ Unterhalt eines Militärla- Abb. 7: Augsburg-Ober- gers. Neben Werkzeugen für die Rodung und hausen. Der Stangenzaum Urbarmachung der Umgebung fallen vor allem O/622. Ohne Maßstab.

dem Augsburger Helm recht gut zu vergleichen ist. Vgl. auch 34 Hopkins 2012, 25–26; Fischer 2012, 96–97; Bishop/Couls- Harnecker 1997, 35 Taf. 82,866. ton 2006, 73–76 (frühe Kaiserzeit); Deschler-Erb 1999, 19. 40 Fischer 2012, 148; Deschler-Erb 1999, 29. 35 Hopkins 2012, 26–27; Fischer 2012, 200; Bishop/Coulston 41 Möckli 2012, 68; Simon Ortisi 2003, 65–73. aaa /Z i M t ü ü 63–64; 2006, 76–78 (frühe Kaiserzeit); Deschler-Erb 1999, 20. 42 Caravat 36 Dörschel 2011. 43 Zu Pionieräxten/dolabra siehe Weller 2014, Kap. 4.2.1.1; Bi- 37 Hubmann 2012, 35; Fischer 2012, 195. shop/Coulston 2006, 117–118 (frühe römische Kaiserzeit); 38 H Dolenz 1998, 151–152. – Zu Zeltheringen siehe z. B. Harne- 39 Fischer 2012, 149–150 zum Typ Weisenau, Sonderformen cker 1997, 19–20 Taf. 36–37,406–432. und einem Verweis auf den Helm aus Oberaden, der mit 44 H 18 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

dessen neue Lesung47 die Anwesenheit eines ho- hen Offi ziers der Legio II (augusta) in Augsburg- Oberhausen belegt.48

FAZIT Der Fundplatz Augsburg Oberhausen ist und bleibt Zeugnis der frühesten Präsenz Roms im bayerischen Alpenvorland. Es handelt sich am wahrscheinlichsten wohl um ein Basislager des römischen Militärs,49 das direkt am Zusammen- fl uss von Wertach und Lech in mittelaugustei- scher Zeit eingerichtet wurde und für die Anlan- dung von Schiffen ausgebaut gewesen ist. Als Abb. 8: Besatzung fungierte am ehesten eine gemischte Augsburg-Oberhausen. Einheit aus einigen Legionären (Pioniere?) und Der Phallusanhänger O/17 B. mehrheitlich berittenen Auxiliartruppen ver- Ohne Maßstab. schiedener Provenienz. Hauptaufgabe von Augs- burg-Oberhausen dürfte die Erschließung des zahlreiche Belege für den Hausbau sowie etli- raetischen Alpenvorlands mit dem Ziel des Auf- che Nachweise für die Eigenproduktion von Le- baus einer Infrastruktur (Urbarmachung, Ver- derwaren oder auch militärischer Ausrüstung messung, Verkehrswege usw.) gewesen sein. Der auf. Beim Baugerät sind vor allem die großen Militärplatz scheint wohl nach einer Zerstörung Mengen noch ungenutzter Nägel zu vermerken, durch eine Naturkatastrophe (Überschwem- die auf eine Lagerung in einem Magazin hindeu- mung?) in frühtiberischer Zeit aufgegeben wor- ten. Das Werkzeugspektrum insgesamt ist hete- den zu sein und wurde bald darauf durch ein rogen und umfasst sowohl Stücke eindeutig kel- neues Militärlager im Bereich der heutigen Augs- tischer (einheimischer?) Provenienz als auch burger Altstadt ersetzt.50 Geräte, die aus dem mediterranen Raum kom- men dürften (insbesondere Hobel).45 Die Militärausrüstung ist ebenfalls eher hetero- gen aufgebaut und umfasst neben der überwie- genden Ausrüstung für Auxiliartruppen (insbe- sondere Reiterei) auch einige Militaria, die wohl ausschließlich von Legionssoldaten eingesetzt wurden. Zu einem ähnlichen Schluss kommt übrigens auch die Analyse des Fibelspektrums von Augsburg-Oberhausen, die auf die Anwe- Priv.-Doz. Dr. Eckhard Deschler-Erb senheit von Soldaten aus dem gallischen Raum, Universität Zürich den Rheinlanden, dem germanischen Bereich Fachbereich Prähistorische Archäologie sowie aus Oberitalien hinweist.46 Im Hinblick Karl-Schmid-Straße 4 auf Legionäre ist daneben auch auf einen golde- CH-8006 Zürich nen Fingerring mit Ritzinschrift hinzuweisen, [email protected]

45 Vgl. hierzu besonders die Erörterungen bei Tisserand 2011, skript bereits vor dem Druck einsehen durfte. Zum Ring siehe mit einer vergleichenden Analyse keltischer (einheimischer) vorerst Hübener 1973, 74–75 Taf. 43,1.2. und mediterraner (römischer?) Handwerkstraditionen. 49 Der 2012 vorgebrachten Idee, dass sich zeitlich parallel zu 46 Deschler-Erb 2013, 140. Augsburg-Oberhausen ein größeres Legionslager im Be- 47 Eine erste Lesung von Rudolf Egger [ATE(ius) EPILL/VS Ɔ reich der Augsburger Altstadt (St. Annahof) befände (Stro- DE(cimanorum)] wies den Fingerring einem Offi zier der bel 2012, 481–482), ist zu widersprechen. Bei den dort ge- legio X zu: Hübener 1973, 74. fundenen Militäranlagen handelt es sich um die Reste einer 48 Die neue Lesung durch Markus Scholz lautet: ATEI(us) PELL/ Befestigung des 2. Jhs. n. Chr. (Bakker 2006, 70–73, Marko- VS Ɔ ( oder centurio) LII. Für weitere Details vgl. mannenkriege?). Scholz i. Vorb. Ich danke dem Autor, dass ich sein Manu- 50 Zum Beispiel Bakker 2002, 480. ECKHARD DESCHLER-ERB Augsburg-Oberhausen und der „erste römische Landesausbau“ in Bayern 19

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THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene. Ein Überblick über die Forschungen seit 1999 Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 02 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene 21

THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß- Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene Ein Überblick über die Forschungen seit 1999

Seit 1999 stand das Gebiet im Westen des Groß- Gerauer Stadtteils Wallerstädten im Fokus von systematischen Geländebegehungen der Abtei- lung II des Frankfurter Instituts für Archäologi- sche Wissenschaften.1 Ziel war die Lokalisierung römischer Fundplätze im Umfeld des Landgra- bens, die möglicherweise Hinweise auf die seit den 1930er Jahren vermutete Kanalisierung die- ses Flüsschens in der Römerzeit geben könnten. Dieses Areal war zur Zeit des Beginns der land- schaftsarchäologischen Forschungen bis auf we- nige vorgeschichtliche Fundpunkte ein weißer Fleck in den Fundkarten der Hessen-Archäologie, Außenstelle Darmstadt. Von 1998 bis 2001 konnte südlich des Landgrabens – meist in unmittelbarer Nähe zu dem Gewässer – eine ganze Reihe von rö- mischen Fundplätzen lokalisiert werden, die sich vom Ortsrand Wallerstädtens gut 2 km weiter nach Westen bis an die Gemarkungsgrenze zu che“ untersucht (Abb. 2). Dabei handelt es sich Abb. 1: Situationsplan Trebur erstrecken (Abb. 1).2 Neben römischen um eine unmittelbar südlich an den Landgra- der römischen Lager bei konnten auch vorgeschichtliche – insbesondere ben angrenzende, nach Süden ausgebuchtete, Wallerstädten. bronzezeitliche – sowie frühmittelalterliche Fun- etwa halbkreisförmige Geländesenke, deren de aufgelesen und eingemessen werden. Breite zwischen etwa 5 m und 25 m schwankt Im Rahmen der Begehungen wurde auch die (Abb. 3). Ihre Sohle liegt bis zu 1,80 m unter dem Umgebung der markanten Niederung „Biebelsla- Geländeniveau der umliegenden Äcker.

1 Die Projektleitung lag in den Händen von Prof. Dr. H.-M. von 2001. – Maurer 2012a. Vgl. auch Maurer u. a. 2013. Kaenel. Zusammenfassend zu den Arbeiten: von Kaenel u. a. 2 Maurer 2011a, 33 Abb. 2. 22 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Eine erste Oberflächenprospektion auf der von der Biebelslache eingefassten Ackerparzelle konnte 1999 durchgeführt werden. Seitdem wird die Stelle regelmäßig begangen, teilweise unter Verwendung einer Metallsonde. Bereits die bei der Erstbegehung dokumentierten Funde deute- ten auf eine vorflavische Zeitstellung des Platzes, eine Annahme, die seither durch zahlreiche Neu- funde erhärtet wurde.6 Die für die Region auffälli- ge Frühzeitigkeit, Quantität und Qualität der Funde führten zur vorläufigen Ansprache des Fundplatzes als Militärlager. Das Fundspektrum enthält neben der zahlenmäßig stark vertrete- nen Gefäßkeramik auch Funde aus Metall (Mün- zen, Militaria, Fibeln) und Glas (Gefäßfragmente, Spielsteine) sowie Ziegel, Brandlehm und Wand- Abb. 2: Wallerstädten. Das Zentrum der frühkaiserzeitlichen Fundkonzentration liegt putz. Besonders aussagekräftig ist die Zusam- auf dem Acker in der Bildmitte. mensetzung der Terra sigillata: Es handelt sich dabei fast ausschließlich um Stücke südgallischer Provenienz (La Graufesenque). Die reliefverzier- ten Scherben gehören zu den Gefäßformen Drag. 29 und 30 sowie Déch. 67. Bilderschüsseln der Form Drag. 37 sind nur mit einem ostgallischen Exemplar vertreten. Die Gruppe der glatten Sigil- laten setzt sich aus Fragmenten der Gefäßtypen Drag. 15/17, 18/31, 24/25, 27 sowie Hofheim 9 und 12 zusammen. Töpferstempel lagen aus den Bege- hungen nur wenige vor, darunter einer des in der Regel nur an vorflavischen Standorten anzutref- fenden Herstellers Ardacus. Die Analyse der Sigil- lata – auch im Vergleich zu den als flavische Grün- dungen geltenden Kastellplätzen Groß-Gerau „Auf Esch“, Frankfurt-Heddernheim und Rottweil – ergibt für Wallerstädten eine Gründung in vor- flavischer (claudisch-neronischer) Zeit und ein Auflassen wohl unter Vespasian.7 Die frühkaiserzeitliche Fundstreuung konzent- riert sich auf den von der Biebelslache umschlos- Abb. 3: Wallerstädten. Im Auf der Bodenkarte ist sie als kleine grüne senen Acker (Größe ca. 1,3 ha), dehnt sich aber be- Januar 2011 steht Wasser Schlinge eingezeichnet.3 Sie wirkt auf den sonders nach Norden – jenseits des Landgrabens im westlichen Arm der ersten Blick wie eine Kleinform der im Hessi - auf der Gemarkung Trebur – und Osten noch wei- Biebelslache. Rechts der schen Ried landschaftsprägenden Mäanderbö- ter aus. Im Osten geht sie in eine mittel- bis spät- Acker mit der frühkaiser- gen von Altrhein und Altneckar. Besitzen diese kaiserzeitliche Fundkonzentration über. zeitlichen Fundkonzentra- Durchmesser von bis zu 2,5 k m, so weist der Geomagnetische Prospektionen,8 die bald nach tion; die hohen Bäume im Bogen der Biebelslache eine Ost-West-Ausdeh- den ersten Begehungen des Platzes durchgeführt Hintergrund markieren nung von nur etwa 240 m auf. Historische Kar- wurden und auch Teile der benachbarten Felder den Verlauf des Landgra- ten zeigen die Biebelslache als vollständigen im Norden und Osten mit einbezogen, ergaben bens. Blickrichtung Nord. Halbkreis.4 Heute ist der östliche Abschnitt zahlreiche Anomalien, die sich jedoch nicht zu ei- überackert und nur noch als schwache Vertie - nem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen fung zu erkennen. Der auf der Topographi- ließen. Aufgrund des massenhaften Vorkom- schen Karte von 1899 erscheinende und heute mens römischer Oberflächenfunde erschien es noch im Volksmund verwendete Name „Halber jedoch wahrscheinlich, dass ein großer Teil die- Mond“ bezieht sich vielleicht auf die Form der ser Anomalien in die Zeit des vermuteten Lagers Niederung.5 gehört. THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene 23

GRABUNGEN IM INNENBEREICH DES LAGERS 2011 UND 2012 In den Jahren 2011 und 2012 ergab sich die Mög- lichkeit, mehrere kleine Flächen im Bereich des mutmaßlichen Lagers zu öffnen. Beide Kampa- gnen waren als Lehrgrabungen konzipiert und wurden vom Verfasser geleitet. 2011 konnte zu- nächst eine größere Fläche (480 m 2) auf der öst- lich benachbarten Parzelle angelegt werden. Neben Gruben des 1. und 4. Jahrhunderts sowie einer nicht datierbaren, durch in Reihen ange- ordnete Pfostenlöcher angezeigten Gebäude- fl ucht ist vor allem ein Brunnen zu erwähnen, in dessen Verfüllung sich römische und germani- sche Funde vergesellschaftet fanden.9 Der Fäl- lungszeitraum der Hölzer des noch gut erhalte- nen, in 2 m Tiefe unter heutiger Oberfl äche geborgenen Brunnenkastens konnte auf das Jahr 98 n. Chr. bestimmt werden.10 Eine zweite, wesentlich kleinere Fläche (ca. 5 5 m2) wurde im Innenbereich des mutmaßli- chen Lagers angelegt, und zwar an einer Stelle, an der sich im Magnetogramm eine besonders deutliche Anomalie abzeichnete.11 Nach dem Abhub des etwa 30 cm starken Pfl ughorizontes entpuppte sich die Anomalie als Grubenkom- plex, durchsetzt mit Brandlehmkonzentratio- nen. Später zeigte sich, dass es sich um zwei sich überlagernde Gruben handelt, die, nach den Funden zu urteilen, beide in die Zeit des Lagers Abb. 4: Wallerstädten. gehören. Die keramischen Funde sind charakte- Grabung 2011: Pferd- ristisch für den Hofheim-Horizont. Vereinzelt chenbeschlag aus Bronze. sind germanische Scherben vertreten, die von H. 3,5 cm. Form und Verzierung her als elbgermanisch an- zusprechen sind. Militariafragmente sowie ein Bronzebeschlag in Form einer Pferdeprotome 2012 konnte unmittelbar östlich an die Fläche (Abb. 4) runden das Fundspektrum ab.12 von 2011 anschließend ein größerer Bereich Wichtig für die Frage, ob man im Bereich des La- (16 0 m2) archäologisch untersucht werden, der gers mit fester Bebauung zu rechnen hat, war sich ebenfalls durch das Vorkommen starker ein ca. 35 cm breites Gräbchen, welches unge- geomagnetischer Anomalien auszeichnete. Die- fähr in Nord-Süd-Richtung durch die Fläche ver- se Anomalien erwiesen sich allesamt als mit lief. Es dürfte sich um ein Wand- oder Trauf- Brandschutt durchsetzte Gruben und enthiel- gräbchen handeln. Daraus geborgene Funde ten große Mengen an römischen und germani- gehören ebenfalls dem Hofheim-Horizont an. schen Funden des 1. Jahrhunderts. Was es mit

3 Bodenkarte 1990, Signatur Nr. 65 (Niedermoor). Prospektionen GbR. 4 Höhenschichtenkarte von Hessen 1:25 000, Blatt 6016 Groß- 9 Maurer 2011b. Gerau (1896–1899). – Maurer 2011a, Taf. 105. 10 Untersuchung durch Dr. Th. Westphal, Römisch-Germani- 5 Ramge 2002, 685 s. v. Mond. sche Kommission des DAI. 6 Maurer 2011a, 276–302 s. v. WAL 2. 11 Maurer 2011b. – Hahn/Helfert 2012, 109 Abb. 1. 7 Maurer 2011a, 278–280. Damit ergibt sich eine zeitliche Par- 12 Der Grubenkomplex wurde im Rahmen der Magisterhaus- allele zum „Erdlager“ Hofheim: Ritterling 1912. arbeit von Thomas Hahn am Frankfurter Institut bearbeitet 8 Durchgeführt im Auftrag des Instituts von Posselt & Zickgraf (2012); vgl. auch Hahn/Helfert 2012. 24 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 5: Wallerstädten. Grabung 2012: Ofen mit Brennkammer (rechts) und Bediengrube (links).

diesen Großgruben auf sich hatte, zeigte sich gungen des Tiberius für Divus Augustus Pater beim Erreichen der tiefsten Schichten: Hier fan- (RIC2 81), erwähnenswert sind kaum abgegriffe - den sich Öfen, bestehend aus Bediengrube und ne Münzen des Nero und Vespasian. Die Schluss- Brennkammer (Abb. 5). Insgesamt wurden münze bildet eine Prägung des Vespasian aus sechs Öfen angetroffen (gemessen an der Zahl dem Jahr 71. Außergewöhnlich ist eine wohl in der Brennkammern). Die Brennkammern wa- Arausio (Orange, Frankreich) geprägte südgalli- ren kreisrund bis oval, ihre Ränder verziegelt. sche Kleinbronzemünze, die im frühkaiserzeit- Über einen engen Schürkanal bestand Verbin- lichen Münzumlauf am Rhein sehr selten vor- dung zu den Bediengruben, die eine oval-längli- kommt.15 che oder abgerundet-rechteckige Form besa- In der Fläche von 2012 zeigten sich Spuren von ßen. Sie waren mit schwarzgrauem Erdreich Fachwerkbebauung in Form von Wandgräb- verfüllt, ansonsten aber fundleer.13 chen. Das am längsten erhaltene Wandgräbchen Die Verfüllung der Großgruben enthielt neben verläuft etwa in Nord-Süd-Richtung; an zwei großen Mengen an Fundmaterial auch Bau- Stellen konnten Abzweigungen nach Westen schutt in Form von Brandlehmbrocken, und dokumentiert werden. Es liegt parallel zu dem zwar überwiegend in den oberen Verfüllschich- 2011 in der westlich anschließenden Fläche ent- ten. Das reichhaltige Fundaufkommen gehört deckten Gräbchen, so dass beide möglicherwei- chronologisch in den Hofheim-Horizont. Im Ke - se die Langseiten eines etwa 10 m breiten Ge- ramikspektrum sind wieder germanische bäudes mit Binnenunterteilung bilden. Östlich Scherben vertreten, besonders zahlreich in der dieses Gebäudes wurden in der Fläche keinerlei östlichsten Großgrube (Abb. 6). Unter den Mili- weitere Spuren von Gräbchen beobachtet, wo- tariafragmenten ist besonders eine eiserne drei- nach hier eine bebauungsfreie Zone vorliegen flügelige Pfeilspitze zu erwähnen (Abb. 7,6). dürfte (Hof, Platz, Straße?). Insgesamt elf Fibeln wurden gefunden, darun- Das bei den Grabungen 2011 und 2012 geborgene ter Aucissafibeln, Augenfibeln und einfache Fundmaterial entspricht typologisch recht gut Spiralfibeln. Als Einzelstück ist eine eiserne dem Fundspektrum des bekannten „Erdlagers“ Kragenfibel vertreten.14 Die aus 20 Exemplaren Hofheim und dürfte daher in einen Zeitrahmen bestehende Münzreihe wird dominiert von Prä- einzuordnen sein, der von der spättiberischen THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene 25

Zeit bis in die Regierung Vespasians reicht.16 Nach heutigem Kenntnisstand war das Lager an der Biebelslache das erste „dauerhaft“ angelegte römische Militärlager im Raum zwischen Rhein, Main und Neckar. Seine Funktion bestand ver- mutlich – neben der Bewachung des Mainzer Vorfeldes – in der Kontrolle von Nutzland sowie der in der Nähe siedelnden Germanen. In flavischer Zeit ist der Platz aufgegeben wor- den und wurde auch später offenbar nicht weiter genutzt. Es fällt auf, dass nur eine ver- schwindend geringe Menge des römischen Le- sefundmaterials in die Zeit nach Auflassung des Kastells gehört. Dagegen sind mittel- und spät- kaiserzeitliche Funde auf den benachbarten Parzellen gut vertreten. Das Kastell bei Groß- Gerau „Auf Esch“ ist wohl als Nachfolger des Wallerstädter Stützpunktes zu betrachten. Sei- ne um wenige Meter höhere Lage (ca. 88 m ü. NN gegenüber ca. 85 m bei Wallerstädten) und da- mit verbunden eine größere Sicherheit vor Überschwemmungen bzw. hohem Grundwas- serstand gab vielleicht den Ausschlag für die Wahl des neuen Platzes.

UMWEHRUNG DES LAGERS Biebelslache eine dünne Schicht Niedermoor Abb. 6: Wallerstädten. Probleme bereitet bis heute eine Beurteilung der aufgeschlossen, die sich nur gebildet haben kann, Grabung 2012: Römische Lagerumwehrung. Das Fehlen jeglicher Hinweise wenn über längere Zeit Wasser in der Niederung und germanische Kera- auf Kastellgräben17 in Geophysik-Messbildern stand bzw. floss.18 mikfunde aus einer der und Luftbild sowie die Tatsache, dass die Niede- Da eine natürliche Entstehung der Biebelslache „Großgruben“. Unten in rung der Biebelslache im Westen, Süden und Os- auszuschließen ist, wird als Arbeitshypothese der Mitte das Fragment ten sowie der Landgraben im Norden den Kern- hier vermutet, dass sie letzten Endes auf die eines gerippten, feintoni- bereich der Fundkonzentration begrenzen (siehe Wehrgräben des römischen Lagers zurückzufüh- gen Napfes vom Typ Hof- Abb. 1), deutet meines Erachtens darauf hin, dass ren ist. Denkbar ist etwa, dass nach Aufgabe des heim 22. Biebelslache und Landgraben das Wehrgraben- Kastells Wasser des Landgrabens in die ehemali- system des Kastells überprägt haben müssen. gen Gräben hineingeleitet wurde, welches diese Ein 2011 angelegter Sondageschnitt durch den sukzessive erodierte und so die wie eine kleine schmalsten Bereich der Niederung im Nordwes- Flussschlinge wirkende Biebelslache schuf. Um ten erbrachte lediglich die Erkenntnis, dass die noch ein wenig weiter zu spekulieren, könnte Rinne an dieser Stelle offenbar früher breiter war man bei dieser Maßnahme einen Zusammen- und dass in der dunkel-humosen Verfüllung fast hang mit einer benachbarten mittelalterlichen ausschließlich römisches Fundmaterial enthalten Siedlung sehen.19 war. Schon einige Jahre zuvor hatten bodenkund- Die Ähnlichkeit der Biebelslache mit einem mit- liche Bohrungen unter der heutigen Sohle der telalterlichen Burggraben ist jedenfalls evi-

13 Vgl. die Situation in Dorsten-Holsterhausen: Ebel-Zepezauer 17 Der im östlichen Teil der Parzelle sondierte Spitzgraben wird u. a. 2009, 27–28 und 26 Abb. 8,1.2. – Zu einem Befund in aufgrund seiner geringen Dimensionen als Graben eines Riegel: Aßkamp 1989, 132–133 Abb. 36; 37. temporären Lagers anzusprechen sein. 14 Maurer 2012b, 107 Abb. 3. 18 Bohrungen durch Dipl.-Geogr. U. Kannengiesser (damals Institut 15 Maurer 2012b, 106 Abb. 2. – Feugère/Py 2011, 182–183 für Phys. Geographie der Goethe-Universität). Hinweise werden (Typ ORA-124). Nach freundl. Auskunft von Dr. H. Komnick ihm sowie Dr. A. Röpke (Institut für Arch. Wiss., Abt. III) verdankt. ist ein weiteres Exemplar aus Xanten bekannt. 19 Ortswüstung Prangenheim auf der Gemarkung Trebur: Sem- 16 Maurer 2011a, 278–280 und Taf. 37–39. mel/Sperling 1963. 26 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 7: Wallerstädten. dent.20 Flurnamenkundliche Überlegungen er- sammenzutreffen scheinen, konnte 2005 diese Auswahl an Militaria- weisen ein mindestens bis in das Hochmittelalter Deutung verifiziert werden (Abb. 8; 9).23 Die funden aus dem Bereich zurückreichendes Alter der Niederung.21 Spitzgräben besaßen eine Breite von etwa 1 m des Auxiliarlagers. und reichten maximal 1,25 m unter die heutige 1–4 Bronze, 5–7 Eisen. DIE TEMPORÄREN LAGER WESTLICH DER BIE- Oberfläche. Einer der Gräben enthielt in seinem BELSLACHE oberen Bereich eine südgallische Sigillatascher- Auf im Jahr 2003 erstellten Luftaufnahmen be. Ansonsten war die Verfüllung nahezu steril zeichneten sich im Ackerland südlich des Land- und sehr homogen, was eine Klärung des chro- grabens und westlich der Biebelslache zwei nologischen Verhältnisses der beiden Gräben an lineare, positive Bewuchsmerkmale ab, die ihrem Treffpunkt unmöglich machte. als Gräben angesprochen wurden. Von einem Durch Sondagen gelang es im selben Jahr, den etwa in Nordwest-Südost-Richtung verlaufen- weiteren, in den Luftbildern nicht erkennbaren den Graben (Graben A) zweigt ein weiterer Verlauf der Grabenzüge zu verfolgen (siehe Abb. (Graben B) rechtwinklig nach Nordosten ab und 1). Demnach verläuft der Nordwest-Südost-Gra- vollzieht dabei einen Viertelkreis, wie er ty- ben (Graben A) vom Punkt des Zusammentref- pisch für römische Lagergrabenecken ist. Der fens mit Graben B noch ziemlich genau 500 m Verdacht, es hier mit römischen Lagergräben schnurgerade nach Nordwesten, eher er nach zu tun zu haben, erhärtete sich, als J. Lotter Nordosten umbiegt. Auf Satellitenbildern zeigte (Darmstadt) in dem Gebiet eine auffällige Streu- sich diese Westecke des Lagers im Jahr 2013 als ung römischer Metall funde dokumentierte, da- Bewuchsmerkmal recht deutlich und bestätigte runter Fibeln, Münzen und Militaria der frühen damit die Erkenntnisse der Grabensondagen.24 Kaiserzeit.22 Die Nordwest-Flanke lässt sich von dieser Stelle Durch eine Grabung, die dort angesetzt wurde, aus noch etwa 180 m nach Nordosten verfolgen, wo die beiden mutmaßlichen Lagergräben zu- ehe sie aufgrund wechselnder Vegetation un- THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene 27

kenntlich wird. Etwa 135 m von der Westecke ent- fernt ist eine Grabenunterbrechung zu erkennen; möglicherweise lag hier ein Tor. Die Südecke des Lagers ließ sich bisher nicht fest- stellen. Südöstlich des Zusammentreffens der Gräben A und B wurden keine Sondagen durch- geführt. Hier lässt sich der Verlauf des Nordwest- Südost-Grabens (Graben A) auf den Luftbildern noch knapp 100 m weit verfolgen, ehe er sich in der Nähe des Fahrwegs verliert. Die Gesamtlänge der Grabenflucht – das heißt die Südwest-Flanke des Lagerkomplexes – muss also um 600 m oder mehr betragen haben. Nicht auszuschließen ist, dass dieser Teil des Grabenwerks sogar das Auxi- liarlager an der Biebelslache noch mit ein- schließt. Der dort 2012 sondierte, ungefähr in Nord-Süd-Richtung verlaufende Spitzgraben ist von seinen Dimensionen her mit den Spitzgrä- Abb. 8: Wallerstädten. Grabungssituation 2005 im Bereich der temporären Lager. ben der temporären Lager zu vergleichen. Er Deutlich zeichnen sich im hellen gewachsenen Boden die hier zusammentreffenden könnte die Ostflanke des in diesem Fall sehr aus- dunkel verfüllten Spitzgräben A (links) und B (Mitte rechts) ab. Die Baumreihe hinten gedehnten Lagerkomplexes gebildet haben. rechts markiert den Verlauf des Landgrabens. Blickrichtung Nordwest. Der von dem Nordwest-Südost-Graben nach Nord- osten ziehende Zweig (Graben B) konnte noch auf knapp 300 m Länge verfolgt werden, ehe er kurz vor Erreichen des Landgrabens verschwindet. Der Abstand dieses Grabenabschnitts zur Biebelslache beträgt etwa 150 m. 2008 wurde im mittleren Abschnitt der Südwest- Flanke des Lagers eine weitere Sondage angelegt, die vom Graben A ausgehend nach Nordosten ca. 50 m in das Lagerinnere reichte. Eindeutige Struk- turen einer Innenbebauung konnten dabei nicht aufgedeckt werden. Wenige Meter nördlich des Spitzgrabens fand sich ein (Back-)Ofen, der wohl ur- sprünglich in den Lagerwall eingetieft war. Überra- schend konnte in dieser Fläche eine weitere, unge- fähr nach Norden fluchtende Grabenabzweigung (Graben C) festgestellt werden (siehe Abb. 1). Ihr weiterer Verlauf ist noch ungeklärt. Abb. 9: Wallerstädten. Grabung 2005: Mehrfach ausgebesserter Spitzgraben im Über die Zeitstellung dieses Komplexes von of- Bereich der temporären Lager (Graben A). Blickrichtung Nordwest. fenbar temporär angelegten Lagern informie- ren zurzeit einzig die zahlreichen Metallfunde über den gesamten Bereich des Lagerkomple- aus dem Pflughorizont. Eine Kartierung der xes, so konzentrieren sich flavische Prägungen Münzfunde erbringt eine recht deutliche hori- im Mittelbereich und im Osten/Nordosten.25 zontale Stratigraphie: Streuen Münzen der Re- Dieser Bereich ist auch der einzige, in dem bis- publik, des Augustus, Tiberius und Caligula her römische Keramik aufgesammelt wurde,

20 Vgl. etwa den Graben der Motte „Weilerhügel“ bei Alsbach- 23 Heising/Maurer 2005. – Maurer 2011a, 314–315. Hähnlein: Göldner 1989, o. S. (Plan in Heftmitte). 24 Google Earth, Aufnahme vom 1. 8. 2013: 22 Die bis 2007 entdeckten Objekte sind vom Verf. in seiner Dis- (Zugriff: 11. 4. 2014). sertation aufgenommen worden: Maurer 2011a, 310–318 25 Kartierung J. Lotter, Darmstadt. (Fundplatz WAL 7). 28 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

ze aus dem Auxiliarlager – im rheinischen Münz umlauf sehr selten sind, erscheint sogar möglich, dass hier aus der Narbonensis oder Ober- italien an den Rhein beorderte Legionstruppen, etwa die legiones XV und XXII Primigeniae kurz- zeitig stationiert gewesen sein könnten.29

UMGEBUNG DES AUXILIARLAGERS Die Existenz dieses aus mehreren temporären Lagern und einem „festen“ Kastell bestehenden Militärplatzes zieht einige Überlegungen zu dessen Infrastruktur und verkehrstechnischer Anbindung nach sich. Trotz Mangels an groß- flächigen Grabungen können einige Eckpunkte durch die Erkenntnisse der Surveys benannt werden. Zunächst ist zu fragen, wie der Platz verkehrsmäßig erschlossen wurde. Hier hat die ältere Forschung bereits Vorarbeit geleistet. Schumacher konstruierte – in Unkenntnis der Wallerstädter Lager wie auch der Lager am Kornsand – eine Straßenverbindung des vicus und Kastells Groß-Gerau „Auf Esch“ mit dem Rhein bei Nierstein/Oppenheim.30 Diese Straße soll vom Kornsand am Nordrand des Geinshei- mer Altrheinbogens vorbei nach „Auf Esch“ ge- zogen sein. Der Wallerstädter Militärplatz lässt sich problemlos in diese Linie einpassen, die Abb. 10: Historischer „Mainzer Weg“ auf der Hessischen Generalstabskarte 1:50 000 man aufgrund der neuen Entdeckungen ein (rot gestrichelt). Die roten Quadrate markieren römische Fundplätze des 1. Jhs. n. Chr. paar hundert Meter weiter nach Norden verset- Das Auxiliarlager Wallerstädten an der Biebelslache ist mit „WAL 2“ gekennzeichnet. zen möchte. Gab es auch eine direkte Verbin- dung mit Mainz? Folgende Beobachtungen le- gen dies nahe: Im Raum Trebur existierte ein wenn auch in verschwindend geringer Menge. Altweg („Mainzer Weg“), der über Astheim und Aufgrund dieser horizontalstratigraphischen Ginsheim nach Mainz lief (via Rheinübergang Zweiphasigkeit und der Gliederung des Graben- bei Weisenau oder Mainbrücke Kostheim). Die- systems kann von mindestens zwei Perioden ser Altweg nahm seinen Ausgangspunkt am dieses Platzes ausgegangen werden. Nach den Landgraben bei der Biebelslache, wie histori- Funden zu urteilen, müssen diese wohl ins zwei- sche Karten belegen.31 Heute ist der Weg im Ge- te und dritte Viertel des 1. Jahrhunderts datiert biet zwischen Trebur und der Biebelslache werden. Eine verlockende Möglichkeit wäre, in nicht mehr erhalten. Es fällt auf, dass eine gan - dem Platz ein sogenanntes Bereitstellungslager ze Reihe römischer Fundplätze des 1. Jahrhun- für die geplanten Germanienfeldzüge des Cali- derts n. Chr. den Verlauf dieses Weges säumt gula zu sehen, über die wir aus der antiken Lite- (Abb. 10). An seinem Zielpunkt, dem Rheinufer ratur nur unzureichend und tendenziös infor- gegenüber Mainz-Weisenau, wird aufgrund von miert sind.26 Hält man die Nachrichten Suetons Funden ein Brückenkopfkastell vermutet. 32 So und Dios für authentisch, dass „ungezählte, aus spricht einiges dafür, hier eine direkte Straßen- allen Provinzen zusammengezogene Truppen“, verbindung nach Mainz anzunehmen, wenn angeblich 200 000 bis 250 000 Mann,27 am Rhein, dafür auch einige Altneckarmäander über- wohl im Raum Mainz, konzentriert wurden, er- brückt werden mussten, was aber auch für die scheint diese Zuweisung nicht unwahrschein- als gesichert geltende Römerstraße zwischen lich.28 Da einige außergewöhnliche Münzfunde der Mainspitze und Groß-Gerau „Auf Esch“ zu - – eine Prägung vom Typ „Divos (sic!) Iulius“ (RPC trifft.33 Ein weiteres Indiz für eine von der Bie - 620) und eine aus Arausio (?) (RPC 533), wie auch belslache nach Nordwesten abgehende Straße die oben beschriebene südgallische Kleinbron- ist die Lage von hochgepflügten Grabfunden THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene 29

des späten 1. Jahrhunderts – bisher die einzigen derartigen Funde im Bereich des Militärplatzes – unweit nördlich des Landgrabens, genau in der Flucht der postulierten Straße. 34 Da es sich beim Lager an der Biebelslache um eine „dauerhafte“ Einrichtung gehandelt hat, muss auch ein Lagerdorf existiert haben. Dieses ist nach Ausweis der Oberflächenfundstreuung im Norden und Osten der Biebelslache zu su- chen. Besonders im Osten liegt wie schon er - wähnt eine starke Konzentration geomagneti- scher Anomalien. Die frühkaiserzeitliche Fundstreuung geht hier nahtlos in eine mittel- bis spätkaiserzeitliche über.35 Zu diskutieren ist in diesem Zusammenhang noch die Rolle des vorbeifließenden Landgra- bens (Abb. 11). Seitdem in den 1930er Jahren an mehreren Stellen römische Funde und Pfosten- stellungen (unbekannter Zeitstellung) beim Ausbessern des Grabens geborgen wurden, wird von der Lokalforschung angenommen, Abb. 11: Der Landgraben dass der Landgraben bereits in römischer Zeit GERMANISCHE BESIEDLUNG IM UMFELD auf Höhe der Biebelsla- angelegt worden ist, um die Verbindung des Schon seit langem ist das Hessische Ried in der che. Blick nach Osten in Kastellplatzes „Auf Esch“ mit dem Rhein zu ge - Forschung als Siedlungsraum einer frühkaiser- Richtung Wallerstädten. währleisten.36 Tatsächlich sprechen auch topo- zeitlichen germanischen Population bekannt.38 graphische und historisch-geographische Ge- Von dieser als „Mainsueben“ oder „Groß-Gerau- sichtspunkte für diese Theorie.37 Diese er Gruppe“ bezeichneten Bevölkerung künden Baumaßnahme war bisher am ehesten in fla- die Gräberfelder von Groß-Gerau „Schindkau- visch-traianischer Zeit vorstellbar, als das Kas- te/Sandschließ“ und Nauheim „Seichböhl“, die tell „Auf Esch“ belegt war. Ist es denkbar, dass von augusteisch-tiberischer bis in flavische Zeit ein Zusammenhang zwischen der Entstehung belegt waren.39 Nach den Grabbeigaben zu ur - des Landgrabenkanals und der Gründung des teilen, wurden hier Personen bestattet, die enge Wallerstädter Militärplatzes besteht? Hier ist Kontakte zum linksrheinischen Gebiet pfleg- zunächst darauf hinzuweisen, dass der Graben ten, ihre elbgermanische Herkunft aber nicht in seinem heutigen Verlauf das Wallerstädter verleugneten. Da die Gräber auch Waffen bzw. Auxiliarlager von Teilen des postulierten vicus Ausrüstungsbestandteile enthielten, nahm man und dem Ansatz der Straße nach Mainz trennt. an, dass diese Germanen als Auxiliarsoldaten Gegen einen Zusammenhang könnte auch rekrutiert wurden und dass ihre Einheit einen sprechen, dass der Landgrabenkanal nur Sinn Vorfeldschutz der Rheingrenze im Auftrag der ergibt, wenn er von Anfang an Anschluss an Römer gewährleistete.40 Durch die Entdeckung das Fließgewässer des Altneckars und damit des in Sichtweite zu den Gräberfeldern liegen- seinen Ausgangspunkt bei Groß-Gerau „Auf den Auxiliarlagers bei Wallerstädten, das unge- Esch“ hatte. fähr jenen Zeitraum abdeckt, in dem die ge-

26 Winterling 2003, 103–115. – Barrett 1989, 125–139. 27 Sueton, Galba 6,3. – Cass. Dio 59,22,1. 33 Maurer 2011a, 103–106. – Schumacher 1933, 73–74. 28 Maurer 2009, 1325. 34 Maurer 2011a, 227–228 (Fundplatz TRE 6). 29 Zur Geschichte dieser Truppenkörper vgl. Ritterling 1924/25, 35 Maurer 2011a, 33 Abb. 2. 1758–1760 (Leg. XV); 1797–1820 (Leg. XXII). – Le Bohec 36 Hanel 1995. 2000. – Franke 2000. 37 Maurer 2011a, 320–323. 30 Schumacher 1933. 38 Schumacher 1911. – Nierhaus 1966, 188–194. – Lenz-Bern- 31 Maurer 2011a, Taf. 102 b. hard/Bernhard 1991, 275–300. 32 Maurer 2011a, 144 (Fundplatz GIG 4). – Baatz 1962, 81–82 39 Lenz-Bernhard/Bernhard 1991, 276–283. und Beilage 1. 40 Nierhaus 1966, 231. 30 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

nannten Gräberfelder belegt waren, ist diese schung. Hier bietet sich die nur noch selten ge- Sichtweise insofern zu revidieren, als dass den gebene Chance, ein vorflavisches Kastell samt Germanen militärisch sicher nicht die ihnen seinem Umfeld mit modernen Mitteln zu erfor- vorher zugesprochene große Bedeutung zu- schen.47 Die landwirtschaftliche Nutzung des kam. Als Rekrutierungsreservoir für die auxi- Geländes birgt jedoch auch das Risiko der suk- lia werden sie aber in jedem Fall gedient haben. zessiven Zerstörung der Befunde. Daher sind Durch Neufunde hat sich das Bild der germani- Maßnahmen zum dauerhaften Schutz des Ge- schen Besiedlung im Hessischen Ried während ländes unerlässlich. Vorrangig sollte die Aufga- des 1. Jahrhunderts n. Chr. inzwischen deutlich be der landwirtschaftlichen Nutzung der von gewandelt. Zu den bekannten Gräberfeldern der Biebelslache eingefassten Flurstücke mit von Groß-Gerau und Nauheim sowie vereinzel- dem mutmaßlichen Innenbereich des Auxiliar- ten Gräbern aus Riedstadt-Goddelau und Bür- kastells angestrebt werden.48 stadt gesellen sich jetzt ein neu entdecktes Grä - berfeld bei Biblis, einzelne, wohl aus einem Grabkontext stammende Funde aus Trebur und Riedstadt-Crumstadt sowie eine Siedlungsgru- be aus Rüsselsheim.41 Mit den germanischen Funden aus dem Bereich des Auxiliarlagers Wallerstädten (siehe Abb. 6) ergeben sie das Bild eines ethnisch durchmischten Raums, in dem sich elbgermanische und rhein-weser-germani- sche mit gallorömischen Elementen treffen. Si- cher hat die Strahlkraft der Metropole Mainz dazu beigetragen, germanische Zuwanderer in das Rhein-Main-Gebiet zu locken, mögen sie nun auf Geheiß der römischen Administration hierhergekommen sein oder aus eigenem Ent- schluss.42 Die Ereignisse der Jahre 69/70 n. Chr. bilden of- fenbar auch für die Riedgermanen eine Zäsur.43 Der elbgermanische Einschlag scheint allmäh- lich zu verschwinden, wohingegen als rhein-we- ser-germanisch zu bezeichnende Fundkomple- xe weiterhin fassbar sind, etwa im vicus „Auf Esch“ oder in dem 2011 dokumentierten Brun- nen aus Wallerstädten. Welche Prozesse sich im Einzelnen dahinter verbergen, bedarf noch wei- terer Untersuchungen. Neues zu erwarten ist von einer im Entstehen begriffenen Bearbei- tung der Bibliser Gräber.44 Wichtigstes Deside- rat ist sicher die Behandlung der germanischen Funde von Groß-Gerau „Auf Esch“.45

RESÜMEE Die Forschungen der Abt. II des Instituts für Ar- chäologische Wissenschaften haben in den ver- gangenen Jahren die Existenz eines ausgedehn- ten, aus mehreren temporären und einem festen Lager bestehenden Militärplatzes des 1. Jahr- hunderts n. Chr. bei Wallerstädten erwiesen und Dr. Thomas Maurer dessen Geschichte und Aussehen skizziert.46 Die Goethe-Universität Frankfurt Tatsache, dass praktisch das gesamte Gelände Institut für Archäologische Wissenschaften Abt. II frei von moderner Bebauung ist, eröffnet her- Grüneburgplatz 1, 60629 Frankfurt/Main vorragende Perspektiven für zukünftige For- [email protected] THOMAS MAURER Der frühkaiserzeitliche Militärplatz bei Groß-Gerau–Wallerstädten in der hessischen Rheinebene 31

41 Biblis: Schallmayer 2010. – Fundplätze im Kr. Groß-Gerau: am Wallerstädter Militärplatz seit 1999 wird zzt. vom Verfasser Maurer 2011a, 162–164 (RÜS 15); 375–376 (GOD 4); 383– für die Reihe „Frankfurter Archäologische Schriften“ vorbereitet. 384 (CRU 2). 47 Vgl. etwa die Forschungen zum Militärplatz Oedenburg 42 Ament 1999. (Haut-Rhin, F): Reddé 2009. – Reddé 2011. 43 Lenz-Bernhard/Bernhard 1991, 299. 48 Geglückt ist ein solches Vorhaben am Kastellplatz Arnsburg 44 Geplante Magister-Hausarbeit J. Berndt an der Abt. III des „Alteburg“ am Wetteraulimes, wo die Archäologische Ge- Frankfurter Instituts für Archäologische Wissenschaften. sellschaft in Hessen e. V. große Bereiche des Geländes ge- 45 Wenzel 2009, 191. – Lenz-Bernhard/Bernhard 1991, 299. kauft und aus der landwirtschaftlichen Nutzung genommen 46 Eine Gesamtvorlage der Ergebnisse der Grabungen und Surveys hat; vgl. von Kaenel/Wenzel 2010, 107. 32 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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C. SEBASTIAN SOMMER „… a barbaris occupatae …“ Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 03 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 35

C. SEBASTIAN SOMMER „… a barbaris occupatae …“ Bezahlte Freunde? Zur Rolle der Germanen in Süddeutschland in den Auseinandersetzungen zwischen Gallischem Sonderreich und Rom1

„Bis zum endgültigen Rückzug der militäri- mutlich zugewiesene Rolle im Konflikt zwi- schen Besatzung aus den Kastellen der vorde- schen Postumus und Gallienus sowie deren ren Limeslinie zurück an Rhein und Donau um Nachfolgern. 259/60 hatte anscheinend die zivile Bevölke- Ausgehend von einer Auszählung der zwischen rung das gefährdete Gebiet bereits weitgehend 222 und dem Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. ge- verlassen. Das Land zwischen Rhein und Donau prägten Fundmünzen aus Baden-Württemberg wurde von den germanischen Stämmen über- im Vergleich zu den Münzmengen der westlich nommen und war damit endgültig aus dem rö- angrenzenden Gebiete meinte ich 1988, dass mischen Reichsterritorium herausgelöst.“2 „der offenbar anhaltende Münzfluß den Aufent- So fasste M. Knaut 1988 ein Kapitel zu den frü- halt einer größeren Anzahl von Romanen west- hen Alamannen einleitend zusammen. Etlichen lich und südlich des Limes bis zum Ende des 3., Teilaspekten dieser Aussage wird man heute, vielleicht auch noch im 4. Jahrhundert“ bezeu- nur 25 Jahre später, nicht mehr folgen wollen. ge.4 Grundlage hierfür war, „daß in allen Regie- Gleichwohl beschreibt das Zitat das Spannungs- rungsbezirken Baden-Württembergs einheit- feld, in dem sich Süddeutschland nach der Mitte lich gleich viele oder gar mehr von den in der des 3. Jahrhunderts n. Chr. befand. Zeit von 260 bis 284 geprägten Münzen verloren An dieser Stelle soll es jedoch nicht um die Auf- wurden wie von solchen, die aus der Zeit gabe des Landes in der Fläche, den „Rückzug“ 233–259/60 stammen.“5 Ausschlaggebend für des Militärs aus den Limeskastellen oder das/ diese Feststellung war auch, dass Münzen der ein Datum des sogenannten Limesfalls bzw. da- Zeit zwischen 233 und 284 kaum jenseits des rum gehen, ob es einen solchen überhaupt gege- Obergermanisch-Raetischen Limes gefunden ben hat.3 Vielmehr will ich im Folgenden einige wurden. Aspekte der frühen germanischen Besetzung Ganz in diesem Sinn kam H. U. Nuber etwa bzw. Besiedlung in Süddeutschland hinterfra- gleichzeitig zu dem Schluss, dass auch in der gen. Dabei handelt es sich nicht, wie sich zeigen Auseinandersetzung zwischen Postumus und wird, um von Germanen selbst eingeleitete Vor- Gallienus im rechtsrheinischen Gebiet noch gänge, sondern vielmehr um eine ihnen ver- römische Soldaten beteiligt gewesen seien.

1 Geographi Latini Minores 14 = C. Dirlmeier/G. Gottlieb, auch K. Strobel, Pseudophänomene der römischen Militär- Quellen zur Geschichte der Alamannen II (Heidelberg 1978) und Provinzgeschichte am Beispiel des „Falles“ des oberger- 115; vgl. Reuter 1997, 70. – Ich danke P. Henrich für eine in- manisch-raetischen Limes. Neue Ansätze zu einer Geschichte tensive Diskussion meiner Thesen im Vorfeld des Drucks. der Jahrzehnte nach 253 n. Chr. an Rhein und oberer Donau. 2 M. Knaut, Frühe Alamannen in Baden-Württemberg. In: D. Planck In: N. Gudea (Hrsg.), Roman Frontier Studies. Proceedings of (Hrsg.), Archäologie in Württemberg (Stuttgart 1988) 311. the XVIIth International Congress of Roman Frontier Studies 3 Allgemein hierzu z. B. K. Kortüm, Das Ende rechtsrheinischer (Zalãu 1999) 9–33 und Sommer im Druck; gegen einen Limes- Kastellplätze und ziviler Siedlungen aufgrund der Münzfun- fall 259/260 n. Chr. Steidl 2000, 116–118; 120. de. In: Schallmayer 1996, 38–44; zu Raetien Reuter 2007, 77– 4 Sommer 1988, 306 mit Tabellen 1–3. 149; Sommer 2011, 173; zu Obergermanien Reuter 2012; vgl. 5 Sommer 1988, 306. 36 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Ich meine, dass bei einer erneuten Beschäfti- gung mit den zahlreichen 260 n. Chr. und bald danach geprägten und rechts des Rheins verlo- ren gegangenen Münzen die leider nur wenigen modern untersuchten Plätze im Vordergrund stehen müssen, an denen solche Münzen in zeit- genössischen Befunden entdeckt wurden. Die- sen kommt vor allem deshalb besondere Bedeu- tung zu, weil die Mehrzahl der insgesamt zur Diskussion stehenden Münzen aus Altsammlun- gen, wenig differenziert beobachteten und do- kumentierten älteren Ausgrabungen und zu ei- nem kleinen Teil wohl auch aus jüngeren Kontexten stammt. Als Beispiele für weitere we- niger oder gar nicht bekannte Fundorte mögen hier das Kleinkastell Haselburg etwa in der Mit- te des vorderen Obergermanischen Limes bzw. vor allem die villae rusticae von Wurmlingen und Bietigheim-Weilerlen dienen.10 Das im Zusammenhang mit der Einrichtung des vorderen Obergermanischen Limes errichtete Kleinkastell Haselburg wies insgesamt drei Pha- sen auf. Nach einem die 2. Phase gegen Ende des 2. Jahrhunderts beendenden Brand wurde eine Steinumwehrung errichtet. In einer um die Mitte des 3. Jahrhunderts folgenden Phase 3b scheint die Besatzung verringert worden zu sein, jeden- falls wird der Nachweis von Frauen zugerechne- tem Fundmaterial im Kastell diesbezüglich in- terpretiert. Eine darauf folgende Phase 3c führt zu einem „offensichtlichen Niedergang“11 und wird mit der Regierungszeit des Postumus in Verbindung gebracht. Diskutiert wird zwar auch Abb. 1: Bietigheim „Niederbieber war demnach nicht das letzte, die Möglichkeit einer germanischen Besatzung. „Weilerlen“. Plan des sondern möglicherweise eines der ersten Kas- Unter der umgestürzten Kastellmauer fand sich römischen Gutshofs und telle, das am Limes nicht wieder aufgebaut auf dem mit Abfällen verfüllten Graben eine der frühgermanischen wurde.“6 Münze des Gallienus, geprägt 266/267 n. Chr. We- Siedlung; Verteilung der K. Stribrny ist bald darauf in seiner umfangrei- gen generell fehlenden germanischen Fundmate- germanischen „Aktivitäts- chen numismatischen Studie der Frage des Um- rials sieht der Bearbeiter Ch. Fleer dies allerdings zonen“ (A–C) und der laufs späterer Münzen nachgegangen. Er kommt als ein Indiz einer bis in diese Zeit reichenden rö- Fundmünzen, in Grün die nicht zuletzt wegen der relativ hohen Münzdich- mischen Besatzung.12 stratifizierten Münzen der te nach 260 n. Chr. (ca. 24 Stück/Jahr gegenüber Die kleine villa rustica von Wurmlingen, nahe Zeit 260–274 n. Chr. ca. 7 Stück/Jahr bis 259 n. Chr.) 7 zu dem Schluss, der antiken Straßentrasse zwischen Tuttlingen dass der rechtsrheinische Münzumlauf unter und Rottweil gelegen, bestand in ihrer Blüte um Postumus stabilisiert worden sei8 und dass hin - 200 n. Chr. nach einer anfänglichen Holzbaupha- ter den Münzen romanische Bevölkerungsteile se aus drei Steingebäuden.13 Bald schon jedoch stehen müssten, „die mit oder neben einem ger- wurden die Gebäude aufgegeben bzw. umge- manischen Element existierten.“9Allerdings hat nutzt. In der damit zusammenhängenden sehr er sich mit den Münzen des dritten Viertels des reduziert wirkenden Phase um die Zeit der Gor - 3. Jahrhunderts nicht allzu intensiv auseinander- diane (münzdatiert) bis in die 250er Jahre (bzw. gesetzt, insbesondere unterscheidet er in seinen „bis mindestens um 255“14) hinein diente anschei- Auszählungen und Kartierungen nicht zwi- nend das ehemalige Badegebäude als Wohnhaus. schen Münzen des Gallischen Sonderreichs und Der Ausgräber und Bearbeiter M. Reuter ordnet offiziellen römischen Prägungen. diese Nutzung noch „römischen Bewohnern“ C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 37

zu.15 In deren Hinterlassenschaften eingetieft Teils der Hofmauer zur Anlage mehrerer teilwei- bzw. sie überlagernd fand sich eine Neunutzung, se auch bald wieder verfüllter Gräbchen, ver- die aufgrund des Fundmaterials und der Bauwei- schiedener Holzgebäude, Feuerstellen und Gru- se mit germanischen Siedlern in Verbindung ge- ben sowie vielleicht auch eines weiteren bracht wird. Holzbauten, einer davon in die teil- Grubenhauses (Bereich A). Insgesamt konnte der weise noch stehenden Außenmauern des Bearbeiter G. Balle dort drei sehr kurze Phasen Badegebäudes eingefügt, und ein Grubenhaus unterscheiden, deren letzte in einem Brand en- waren mit germanischer Keramik und Arm- dete.18 Das mit den Befunden assoziierte Fund - brustfibeln, vor allem aber mit Münzen des Pos- material weist neben römischen Objekten als tumus (erste Hälfte 261 n. Chr.) und des Tetricus Altmaterial oder verlagert auch größere Mengen II. (272–274 n. Chr.) verbunden.16 Eine Münze aus germanischer Funde auf – Armbrustfibeln, Na- den Ruinen der Villa, geprägt in der Mitte des deln und Pinzette, Werkzeuge und Spinnwirtel, 4. Jahrhunderts, soll mit einer noch jüngeren Nut- einen eisernen Schildbuckel sowie aus freier zung zusammenhängen. Hand geformte Keramik.19 Vor allem stammen In Bietigheim „Weilerlen“, einer mehrere Hektar von der mittlerweile 42 Münzen umfassenden umfassenden Villenanlage mit großen ummau- Serie der villa rustica insgesamt 16 aus dem Prä - erten Freiflächen, konnten in den großräumigen gezeitraum 257/258 bis 274 n. Chr.20 Mindestens Untersuchungen einerseits Nachnutzungen im sechs davon wurden in den Befunden der oben Bereich einiger ruinöser Gebäude und dazwi- genannten Nachnutzung entdeckt (Abb. 1).21 Bei schen festgestellt werden. Sie konzentrierten immerhin elf der späten Münzen handelt es sich sich im Südosten der Anlage, einem Bereich dich- um reguläre Prägungen des Gallischen Sonder- ter Bebauung, wo in einem Freiraum zwischen reichs. Balle interpretiert, dass „sowohl inner- mehreren Gebäuderesten ein Grubenhaus (Be- halb als auch außerhalb der Anlage […] daher reich B) und in einem schon teilverfüllten ehema- noch mindestens bis zu Beginn des letzten Vier - ligen Keller leichte Steinsetzungen angelegt wur- tels des 3. Jh. mit Siedlungstätigkeiten zu rech- den (Bereich C; vgl. die Holzbausignaturen in nen“ ist.22 Als Träger dieser Besiedlung erkennt Abb. 1).17 Vor der Nordostecke des Komplexes er Elbgermanen.23 Für die Brandkatastrophe, die kam es nach mehrfacher Veränderung eines über einen barbarisierten und minimierten An-

6 Nuber 1990, 67. 18 Balle 1997, 27–33. 7 Stribrny 1989, 371–373. 19 Balle 1997, 40–51. 8 Stribrny 1989, 400. 20 Die Liste Abb. 22 in Balle 1997 muss um 13 in nachfolgen- 9 Stribrny 1989, 478. den Grabungen und Begehungen gefundene Münzen er- 10 Echzell „Heinrichswiese“ in der wird hier spezi- gänzt werden. Ich danke G. Balle dafür, dass er mir diese ell angesprochen, da von dort Münzen des hier diskutierten Liste im September 2013 zur Verfügung gestellt hat (die zu- Zeitraums nur als barbarisierte Nachprägungen vorliegen. sätzlichen Münzen sind nicht mehr in meine Liste 1 und mei- Wegen fehlender Prägungen der Tetrici „datiert die Sied- ne Abb. 3, 4, 5 und 6 eingeflossen). Was es mit zwei Schröt- lungsgründung einige Jahre nach Ende des Gallischen Son- lingen und drei „Vorschrötlingen“ auf sich hat, die Balle derreiches“ (Steidl 2000, 24); zuletzt zu dieser Siedlung möglicherweise der 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. zurech- N. Boenke/J. Lindenthal/S. Schade-Lindig, Leben nach der net, muss einstweilen offenbleiben, auch wenn naheliegt, Römerzeit – Siedlungsspuren des 3. bis 7. Jahrhunderts dass auch hier – wie z. B. in der germanischen Siedlung Ech- n. Chr. auf der „Heinrichswiese“ bei Echzell, Wetteraukreis. zell „Heinrichswiese“ (Steidl 1996, 28; Steidl 2000, 25) bar- Hessen-Archäologie 2008, 96–100. barisierte Antoniniane geprägt wurden. – Zu den jüngeren 11 Fleer 2011, 184. Münzfunden vgl. auch U. Klein, Fundmünzen aus Württem- 12 Fleer 2011, 118–123; 184. berg. Archäologische Ausgrabungen 1997, 210 mit Abb. 13 Reuter 1997; ausführlich Reuter 2003, bes. 107–109. 134; U. Klein, Fundmünzen aus Württemberg. Archäologi- 14 Reuter 2003, 108. sche Ausgrabungen 2001, 254 mit Abb. 228. 15 Reuter 1997, 67–68; Reuter 2003, 108. 21 Balle 1997, 51–57. In der mir zur Verfügung stehenden er- 16 Reuter 1997, 68–69; Reuter 2003, 108–109. – Dieser ar- gänzten Liste sind keine Fundorte enthalten, so dass zusätz- chäologische Befund ist meines Wissens übrigens der einzi- liche Stücke aus den betreffenden Bereichen durchaus denk- ge, der es in Deutschland jemals auf eine reguläre Briefmar- bar sind. ke geschafft hat (vgl. Reuter 2003, Frontispiz). 22 Balle 1997, 53. 17 Balle 1997, 33–40; zu den Bereichen s. Abb. 4. 23 Balle 1997, 55. 38 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

allem aber habe ich – soweit ich erkennen kann, zum ersten Mal – sehr viel differenzierter chro- nologisch und nach Herkunft aus dem von Rom regierten Gebiet bzw. dem Gallischen Sonder- reich unterschieden (Liste 1).28 Ich bin mir be - wusst, dass das Raster immer noch einigerma- ßen grob und vor allem für die Jahre mit mehreren Herrschern vielleicht auch die eine oder andere Ungenauigkeit gegeben ist. Aller- dings sehe ich keine Möglichkeit, ohne Zugang zu den originalen Bestimmungen bzw. ohne Kor- rektur mancher heute anders gesehener Zuwei- sung oder Datierung in den früheren Publikatio- nen, vor allem aber ohne einen „nebenher“ nicht leistbaren Aufwand, präziser zu sein. Da es an dieser Stelle jedoch nur um „Trends“ geht und die 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268 Jahr n. Chr. Münzen genau genommen ja nur einen kleinen Ausschnitt der Archäologie bzw. des Fundmate- Abb. 2: Verringerung toninian des Tetricus münzdatiert ist, spekuliert rials des hier interessierenden Zeitraums bilden, des Edelmetallgehalts der Balle einen Zusammenhang mit den „überliefer- also auch nur eine „Idee“ verfolgt werden kann, zwischen 253 und ten Auseinandersetzungen“ zwischen Probus hoffe ich, dass das Vorgehen trotzdem nachvoll- 268 n. Chr. geprägten und den Germanen.24 Allerdings gibt es auch ziehbare Ergebnisse bringt.29 Grundlage der hier Münzen. Hinweise auf noch spätere Aktivitäten. vorgelegten Überlegungen ist die Feststellung, Zusammenfassend schreibt er zu Bietigheim dass – anders als die Münzen früherer Zeiträume „Weilerlen“: „Vergleicht man das Erscheinungs- – die Münzen der Zeit zwischen ca. 250 und 275 bild der vorliegenden Münzreihe mit dem allge- n. Chr. wegen der fast kontinuierlichen Verringe- meinen Münzumlauf im Limeshinterland, so ist rung ihres Edelmetallanteils (Abb. 2)30 in der eine gewisse Parallelität bis zum Ende der Präge- Masse nur jeweils kurz im Umlauf waren, bevor periode 268–275 n. Chr. festzustellen. Dies deutet sie wegen ihrer relativen Höherwertigkeit aus darauf hin, daß das Wirtschaftleben am Fundort dem Verkehr gezogen wurden, ganz gleich, ob mindestens bis zu diesem Zeitpunkt von ähnli- zur Hortung, als Metallquelle für Schmuck oder chen Faktoren beeinflußt wurde, wie das der Ähnliches oder um damit mehr Münzen mit ge- zum Vergleich herangezogenen Orte des Limes- ringerem Edelmetallanteil zu produzieren. So hinterlandes. Die Bewohner des „Weilerlen“ dürf- sind z. B. die kaum umgelaufenen frühen Prägun- ten also mindestens bis zum letzten Drittel des gen des Postumus schon unter den Tetrici kaum 3. Jh. n. Chr. in den Wirtschaftskreislauf des römi- mehr vertreten.31 Dieses Bild deutet sich auch in schen Reiches eingebunden gewesen sein.“25 Dar- verschiedenen Münzhorten im Arbeitsraum an. auf könnte auch das Vorkommen von Knochen Demnach dürfte der Verlust bzw. die (hier nicht großwüchsiger „römischer“ Rinder in den ger- interessierende) Thesaurierung der Münzen des manisch interpretierten Kontexten hinweisen.26 Zeitraums des Gallischen Sonderreichs schon im oder relativ bald nach dem Prägezeitraum er- Doch wie sieht nun dieser Münzumlauf am Li- folgt sein, so dass sie in einem gewissen Rahmen mes und in seinem Hinterland, aber auch jenseits quasi ad quem interpretiert werden können.32 von Rhein, Iller und Donau als den sicher nach Vergleicht man die Kartierung33 dieser Auszäh- dem Ende des Limes weiter römisch besetzten lung nach Kreisen und den (Präge-)Zeiträumen Gebieten aus? Hierzu habe ich erneut die zu- 253–260, 259/60–268, 268–270 sowie 270–274/75 gänglichen Münzlisten für das rechtsrheinische n. Chr. entsprechend der Herrschaft des Valeria- Süddeutschland einschließlich dem östlichen nus und Gallienus, der Alleinherrschaft des Gal- Rheinland-Pfalz, dem mittleren Hessen und Thü- lienus bzw. der Herrschaft des Postumus, der ringen ausgezählt sowie Mainz, sein Umland, Herrschaft des Claudius II. Gothicus bzw. der Worms und Speyer als linksrheinische Referen- von Victorinus, Laelianus und Marius, der Herr- zen hinzugefügt.27 Anders als früher sind dies - schaft des Aurelianus bzw. der Tetrici jeweils mal die Münzen nicht mehr so großräumig, son- im Verhältnis zueinander gesetzt,34 fallen ver- dern jeweils nach Kreisen zusammengefasst. Vor schiedene Punkte auf: C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 39

1. Aus dem Prägezeitraum 253–260 n. Chr. sind vom Limes heranziehen können.35 Die größere Münz- Limes fast keine und aus seinem Hinterland nur menge im nördlichen Bereich des rechtsrheini- sehr wenige Münzen bekannt (Abb. 3). Lediglich schen Gebiets wird man so interpretieren dürfen, im Limesbogen nördlich des Mains (Wiesbaden bis dass hier eine andere, „bessere“ Verbindung zum zur Wetterau) wurden nennenswerte Mengen sicher römischen Gebiet bestand.36 Ohne hier über Münzen gefunden bzw. sind dokumentiert. Da der weiter reichende Referenzen zu verfügen, insbe- linksrheinische Referenzbereich und auch Raetien sondere ohne Kenntnis des Gesamtumlaufs der südlich der Donau und östlich der Iller einschließ- Münzen dieser Zeit, kann man insgesamt speku- lich Mainz, Augsburg und Regensburg ebenfalls lieren, dass das festgestellte Verteilungsbild eine nur recht wenige Münzen aufweisen, wird man geringe Münzzufuhr in den Raum nördlich der diesen Befund nicht als grundsätzlichen Beweis Alpen bedeutet. Gegebenenfalls hängt dieser Be- für das vor kurzem von M. Reuter für 254 n. Chr. fund auch mit dem massiven Truppenabzug von postulierte und von mir aufgegriffene Ende des dort, zuletzt im Rahmen der Machtergreifung des Raetischen und des südlichen Obergermanischen Valerian 253 n. Chr., zusammen.37

24 Balle 1997, 55. gewichtiger, im Stil weniger stark barbarisierter Stücke, wie sie 25 Balle 1997, 54–55. aus Schatzfunden der Jahre 275/76 vorliegen, datiert die Sied- 26 Balle 1997, 56. lungsgründung einige Jahre nach Ende des Gallischen Sonder- 27 Grundlage bildeten die entsprechenden Bände der „Fundmün- reiches.“). – Sehr deutlich wird dies auch in den Untersuchun- zen der römischen Zeit in Deutschland“ (FMRD; Bayern 1960– gen von M. Peter zu den Fundmünzen von Augst und Kaiseraugst. 1978; Baden-Württemberg 1963–1964, Hessen 1989–2003, Demnach sind die offiziellen Prägungen von Gallienus, Postumus, Rheinland-Pfalz 1960–1985; Thüringen 2003), gedruckte Nach- Victorinus und der Tetrici in verschiedenen Bereichen von Augst träge (ausschließlich Baden-Württemberg und Rheinhessen gut, in Kaiseraugst dagegen fast gar nicht vertreten. Dort liegen 1980–2010; ohne NUMIDAT-WEB für Hessen) sowie die zeit- erst die Prägungen des Claudius II. und des Quintillus wie auch weise jährlichen Präsentationen der neu gefundenen Münzen in die Imitationen der Tetrici in einiger Zahl vor, interessanterweise Baden-Württemberg, soweit sie nicht in FMRD-Nachträgen er- häufiger als die des Aurelian. Die Münzen für Divo Claudio wur- fasst sind (Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württem- den dagegen fast nur noch in Kaiseraugst gefunden (Peter 1996, berg). Für den Bereich jenseits des Limes in Unterfranken stell- 136–140; freundlicher Hinweis P. Henrich). te dankenswerterweise B. Steidl seine umfangreichen Listen zur 33 Wenn auch aus anderen Gründen, so meine ich doch mit H. Koe- Verfügung. Außen vor bleiben musste das Problem der barba- the formulieren zu können: „Es liegt nahe zu vermuten, daß diese risierten Münzen der Tetrici. Da sie in den frühen Bänden der Karten deshalb (da sie unterschiedliche Bilder wiedergeben und FMRD nur teilweise erkannt und unterschieden wurden, habe daher nicht mit ‚unterschiedlicher Rührigkeit der Lokalforschung ich dementsprechend alle dem Gallischen Sonderreich „zuge- erklärt werden können‘) – wenigstens in gewissem Grade – den wiesen“. Da dies jedoch für ganzen untersuchten Raum gilt, Gang der geschichtlichen Ereignisse in dem betreffenden Zeit- führt das im Ergebnis allenfalls zu chronologischen Verzer- abschnitt widerspiegeln, daß sie mit anderen Worten Aufschlüs- rungen, nicht aber zu inhaltlich-räumlichen (vgl. hierzu Mi- se über die aus der schriftlichen Überlieferung nur lückenhaft be- ron 2008/09 [freundlicher Hinweis P. Henrich]). Separat erfasst, kannte, bewegte Geschichte Galliens (und Germaniens) im dritten aber nicht kartiert, wurden die nicht genauer datierbaren Mün- Viertel des 3. Jahrhunderts vermitteln“. H. Koethe, Zur Geschich- zen des Gallienus, die vorläufig als 253/268 n. Chr. geführt wer- te Galliens im dritten Viertel des 3. Jahrhunderts. Bericht der Rö- den. – Dankbar bin ich M. Schmid, München, für seine Unter- misch-Germanischen Kommission 32, 1942, 199. stützung bei der Zusammenführung der Listen als Grundlage für 34 Ich danke J. Valenta, ArchIV München, für die Umsetzung der die Kartierung. Kartierung und die Diskussion während der Vorbereitung. 28 Eine ähnliche Unterscheidung haben lediglich Peter 1996, 35 Reuter 2007, bes. 133–137; Sommer 2011, 173; vgl. hierzu 129–140, summarisch für Vergleiche mit Augst und Kaiser- auch Scholz 2009, 469–470. – Die Argumentation dafür er- augst und Steidl 2000, 116–120, für Untersuchungen der folgte auch weitgehend unabhängig von den Münzen. Wetterau vorgenommen. 36 Mit ähnlicher Interpretation Reuter 2009, 224; 226; Steidl 29 Ich will auch nicht ausschließen, dass beim intensiven Nachzäh- 1996, 28 und Abb. 5; Steidl 2000, 116–118; 120. – Entspre- len die eine oder andere Zahl zu korrigieren ist; eine Korrektur- chend schreibt auch schon Steidl 1996, 28, für die Wetterau: zählung zur Absicherung der Zahlen erschien mir zu aufwendig. „Ein ‚Limesfall‘ von 260 n. Chr. ist weder aus dem archäolo- 30 Zwicker 1996. gischen noch aus dem numismatischen Befund abzuleiten.“ 31 Reuter 1997, 68–69. 37 Vgl. zusammenfassend mit Referenzen demnächst Sommer 32 In diesem Sinne auch Steidl 2000, 24, in Bezug auf Echzell „Hein- im Druck. – Mit einer mehr ökonomisch orientierten Inter- richswiese“ („Das Fehlen regulärer Tetricusmünzen und gut- pretation Peter 1996, 129. 40 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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Römisches Reich ORL Länder Arbeitsgebiet

Abb. 3: Kartierung der Münzen des Prägezeit- raums 253–260 n. Chr. in Süddeutschland und Thüringen.

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Römisches Reich Gallisches Sonderreich ORL Länder Arbeitsgebiet

Abb. 4: Kartierung der Münzen des Prägezeit- raums 259/60–268 n. Chr. in Süddeutschland und Thüringen. C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 41

2. Während vom Raetischen Limes und vom west- Das Gesamtbild zeigt m. E. die beiden unter- lichen Raetien jenseits der Iller bis in die östlich s- schiedlichen Einflusssphären der damaligen Zeit ten obergermanischen Bereiche hinein praktisch (Abb. 5). Ganz offensichtlich gelang es Gallienus keine Münzfunde aus dem Zeitraum 259/60–268 schon bald nach 260 n. Chr., als nach dem Text der n. Chr. vorliegen, sind diese aus dem mittleren sogenannten Siegesinschrift von Augsburg40 zu- Rae tien östlich der Iller bis zur Linie der Via Clau- mindest während der zweiten Hälfte dieses Jahres dia und im Regensburger Raum sehr zahlreich Raetien dem Gallischen Sonderreich zugehörig (Abb. 4). Auffällig ist eine relativ gleichmäßige war,41 den für alle Maßnahmen jenseits der Alpen Dichte von Münzen in Obergermanien rechts des so wichtigen Raum wieder zu gewinnen. Dies er- Rheins jenseits des praktisch fundleeren Raums gibt sich nicht zuletzt auch aus den historischen im westlichen Raetien. Deutlich ist wiederum ein Quellen, die nach K. Dietz Hinweise darauf geben, signifikant höheres Münzaufkommen nördlich dass dies nicht ohne Mühen und vermutlich nur in des Mains. Besonders auffallend ist, dass sich die zwei verschiedenen Feldzügen erreicht wurde.42 Münzreihen in ihren Zusammensetzungen räum- Die unterschiedlichen Eradierungen der Augs- lich deutlich unterscheiden. Während in den Ge- burger Inschrift interpretiert er dahingehend, bieten mit zahlreichen Münzfunden in Raetien dass in einem ersten, missglückten Versuch die neben den häufig nachgewiesenen Münzen des ehemaligen raetischen Parteigänger des Postu- Gallienus die des Postumus einen geringen, je- mus den römischen Kaiser Gallienus in seinem doch regelmäßigen Anteil von 5–10 % haben, wei- Unterfangen, über die eigentlich blockierten Al- sen die obergermanischen Reihen regelmäßig ei- penpässe zu gelangen, unterstützten (daher in ei- nen Anteil von Postumusmünzen in Höhe von ner ersten Rasur die Beseitigung des Statthalters 30–50 % auf. Sie unterscheiden sich zumindest M. Simplicinius Genialis und seines Heeres und diesbezüglich nicht von den mit aufgenommenen des Konsuls Honoratianus).43 Erst bei einem späte- linkrheinischen Referenzreihen,38 stehen also mit ren Vorstoß konnte dann tatsächlich Raetien zu- dem gallisch-germanischen Umlauf in unmittel- rückgewonnen werden und es erfolgte die Rasur barem Zusammenhang. Eine Ausnahme bilden des Namens des Postumus,44 wobei denkbar ist, lediglich kleinräumige Bereiche hinter dem süd- dass zur vollständigen Sicherung der Alpenpässe lichsten Abschnitt des Obergermanischen Limes auch deren nordwestliches Vorland im Schweizer (Rems-Murr-Kreis) und im Südschwarzwald. Un- Mittelland übernommen wurde und von dort die klar ist, ob es sich dabei jeweils um ein „Problem“ Münzen des Gallienus in den südlichsten der kleinen Zahl handelt oder ob – vor allem für Schwarzwald gelangten.45 den Südschwarzwald – tatsächlich ein anderer Be- Interessant ist der in den obergermanischen Ge- zug vorliegt. Auffallend ist in diesem Zusammen- bieten im Verhältnis zu den gallischen Münzen re- hang der relativ geringe Anteil an Postumusmün- gelmäßig relativ hohe Anteil der Münzen des Gal- zen auch in Windisch.39 lienus in den Serien einschließlich Mainz.

38 Vgl. jedoch zu innergallischen Unterschieden Peter 1996, te der z. T. recht unorthodox anmutenden genannten ande- 132–135. ren Truppenkörper herauszustellen, nicht anzuführen. Viel 39 Peter 1996, 132–134 bes. Abb. 41. wahrscheinlicher ist, dass sie an den Kämpfen gar nicht oder 40 Zuerst L. Bakker, Raetien unter Postumus – Das Siegesdenk- nur mit wenigen Soldaten beteiligt war, da sich der Verband mal einer Juthungenschlacht im Jahre 260 n. Chr. aus Augs- in dieser Zeit noch im Vorderen Orient befand, wo er als Teil burg. Germania 71, 1993, 369–386. der Truppen des Valerianus gegen Shapur I. kämpfte (und 41 Mit Strobel 1998, bes. 86–88 und Dietz 2012, 58 gehe ich vermutlich große Verluste erlitt). In diesem Zusammenhang einher, dass sich „amissa Raetia“ (Paneg. lat. 8 [5],10,2) hier- müssten die Prägungen des Gallienus für die legio III Italica auf bezieht. Vgl. auch Sommer im Druck. neu diskutiert werden. Vielleicht ist unter diesem Gesichts- 42 Dietz 2012, 33–46. punkt der Hiatus in der Belegung des Legionslagers Regens- 43 Dietz 2012, 46–56; 57. – Die Aufzählung verschiedener auf burg nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. auch anders zu beur- römischer Seite kämpfender bewaffneter Gruppen ohne die teilen (vgl. hierzu Konrad 2005, 92–95). Nennung der prominentesten raetischen Truppe, der 44 Vgl. zu dieser Diskussion Dietz 2012; 46–56; Eck 2012, 67. legio III Italica aus Regensburg, lässt m. E. entgegen der „all- 45 Für diese Möglichkeit ist auch die Bauinschrift von Vindonis- gemeinen Annahme“ (Konrad 2005, 93) vermuten, dass die- sa CIL XIII 5203 zu berücksichtigen, die allerdings noch zu se nicht beteiligt gewesen ist. Unüblich in römischer Zeit Lebzeiten des Saloninus formuliert wurde, also 260 n. Chr. wäre sicher, sie aus „Höflichkeit“ bzw. um die Verdiens- Vgl. diesbezüglich auch Peter 1996, 132–134. 42 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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Römisches Reich Gallisches Sonderreich ORL Länder Arbeitsgebiet Einflusszone

Abb. 5: Kartierung der Münzen des Prägezeitraums 259/60–268 n. Chr. in Süd- deutschland und Thüringen mit den aus der Münzvertei- lung ablesbaren unmittelba- ren Einflusszonen des Galli- enus bzw. des Postumus (schwarze Linien).

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Römisches Reich Gallisches Sonderreich ORL Länder Arbeitsgebiet

Abb. 6: Kartierung der Münzen des Prägezeit- raums 268–270 n. Chr. in Süddeutschland und Thüringen. C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 43

Grundsätzlich würde man wegen der unbestritte- den germanischen Siedlungen jenseits des mittle- nen Zugehörigkeit zum Gallischen Sonderreich ren Mains50 und die aus germanischen Siedlungen zumindest in der Provinzhauptstadt eher ein um- in Thüringen mit dem obergermanischen Münz- gekehrtes Verhältnis zum raetischen Raum er- umlauf in Verbindung. Welche Wege dabei gegan- warten.46 gen wurden, also ob auch Thüringen direkte Kon- Der Befund in Obergermanien belegt einerseits, takte mit dem Limesgebiet hatte, muss jedoch dass die rechtsrheinischen Gebiete weitgehend ei- offenbleiben.51 nen nicht unerheblichen Münzumlauf hatten und 3. Für 268–270 n. Chr. ergibt sich im Grunde ein dass dieser maßgeblich von linksrheinischen Ge- ähnliches Bild wie für den vorherigen Zeitraum bieten, also vom Gallischen Sonderreich, beein- (Abb. 6). Allerdings ist der Anteil der Münzen des flusst war. Andererseits könnten sich im hohen Gallischen Sonderreichs in den obergermani- Anteil der Prägungen des Gallienus generell die schen Gebieten insgesamt einerseits etwas ge- Bemühungen des Kaisers in Rom ausdrücken, ringer, andererseits deutlich variabler. Neben hier mithilfe von Geld eine ihm wohlgesonnene den insgesamt kleineren Zahlen könnte hierbei Stimmung zu schaffen.47 Vielleicht sind die Gallie- auch eine Rolle spielen, dass die Machtfrage im nusmünzen auch ein Beleg für die lange Zeit not- Gallischen Sonderreich in dieser Zeit mit der wendige gegenseitige Akzeptanz der jeweiligen Usurpation des Laelianus und der Ermordung Herrschaftsgebiete. Jedenfalls diskutiert W. Eck, des Postumus und danach den kurzen Herr- inwieweit Postumus Anstalten erkennen ließ, sei- schaften des Marius und des Victorinus keines- nen Machtbereich auf das gesamte Römische wegs eindeutig geklärt war. Reich ausdehnen zu wollen. 4. Auch für den Zeitraum 270–275 n. Chr. liegen Offensichtlich ergab sich unter ihm und seinen für Raetien vom Raum westlich der Iller prak- Nachfolgern die für das Römische Reich einmali- tisch keine Münzen vor (Abb. 7). Dagegen finden ge Situation, dass über einen längeren Zeitraum sich nun einige wenige Münzen am östlichen Li- zwei parallele Herrschaftssysteme einschließlich mes bzw. dahinter. Die Zusammensetzung die- einer parallelen Konsuldatierung existierten.48 ser kleinen Serien schwankt ähnlich stark im (re- Unklar ist, ob in diesem Zusammenhang die Fest- lativ hohen) Anteil der Münzen der Tetrici wie im stellung von M. Reuter, dass „der Zustrom von mittleren Raetien und Regensburg mit Umland. Postumusmünzen nach Südwestdeutschland In der Tendenz scheinen die Anteile der Münzen aber schon mit dem Jahre 264 fast vollständig des Gallischen Sonderreichs im Verhältnis zu de- ab[bricht], während ab diesem Zeitpunkt dort nen des Aurelian an den nördlichen und westli- wieder verstärkt Gallienusmünzen auftreten,“ chen Rändern des Münzen aufweisenden raeti- ebenfalls mit den Bemühungen des Gallienus, schen Gebiets größer zu sein als im „Hinterland“ wieder weiter reichende Kontrolle zu gewinnen, (Augsburg, Bereich um die Via Claudia). von Relevanz ist.49 Jenseits der münzfreien Zone liegen von Ober- Ganz offensichtlich stehen auch die Münzen aus germanien rechts des Rheins insgesamt relativ

46 Nicht weiter verfolgen konnte ich eine Feststellung von jektes sowie ergänzend seine Zusammenstellung auch von B. Steidl zur Wetterau, „dass jene [Münzen] des Postumus, Sammlermünzen aus diesem Raum verantwortlich. Ich bin soweit datierbar, ausschließlich der Anfangszeit seiner Re- sehr dankbar dafür, dass er mir diese zur Auswertung zur gierung bis 262 n. Chr. angehören. Die Münzen des Gallienus Verfügung stellte. dagegen setzen erst 262/263 ein und reichen bis 267/268 51 Die Frage nach den Kontaktwegen stellt sich, seit A. Abegg n. Chr.“ Seiner Interpretation eines Entzugs des betroffenen festgestellt hat, dass die germanischen Siedlungen des Gebiets aus dem Einflussbereich des Gallischen Sonderreichs mittleren Lahntals wegen der Keramikfunde „gute Bezie- kann ich im Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen hungen in das Rheinland“ hatten (allerdings „scheinen die nicht folgen (Steidl 2000, 118). Ein hoher Anteil offizieller Metallfunde provinzialrömischer Provenienz auf Kontakte römischer Prägungen im Inneren des Gallischen Sonderreichs mit dem gesamten Obergermanisch-Rätischen Limes kommt auch bei Peter 1996, Abb. 41 zum Ausdruck. hinzuweisen“): A. Abegg, Überlegungen zu Art und Inten- 47 Vgl. hierzu auch Steidl 2000, 118 und oben Anm. 42. sität der römisch-germanischen Kontakte im Lahntal. 48 Eck 2012, insbes. 69–78. In: A. Abegg/D. Walter/S. Biegert, Die Germanen und der 49 Reuter 1997, 67. Limes. Ausgrabungen im Vorfeld des Wetterau-Limes im 50 Für die relativ große Serie sind die umfangreichen Grabun- Raum Wetzlar – Gießen. Römisch-Germanische Forschun- gen von B. Steidl im Rahmen des sog. Romanisierungspro- gen 67 (Mainz 2011) 359. 44 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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Römisches Reich Gallisches Sonderreich ORL Länder Arbeitsgebiet

Abb. 7: Kartierung der Münzen des Prägezeit- raums 270–275 n. Chr. in Süddeutschland und Thüringen.

viele Münzen vor mit – von wenigen Ausnahmen und zweitens wegen der aufgrund der Quellen- abgesehen – sehr hohen Anteilen der Tetrici bis lage hier nicht möglichen Trennung der Imitati- zum Hochrhein hinunter von regelmäßig mehr onen von den offiziellen Prägungen ein etwas als 50 % und bis zu mehr als 80 % links des Rheins. verzerrtes Bild erscheint.52 Auffällig ist, dass in den germanischen Siedlun- gen außerhalb des Limes jenseits des mittleren Was bedeuten nun diese Befunde für den Oberger- Mains fast keine Münzen des Aurelian vorkom- manisch-Raetischen Limes und sein Hinterland? men und solche auch in Thüringen unterreprä- Auf jeden Fall ist eindeutig, dass verschiedene Regi- sentiert sind. onen sehr unterschiedliche Entwicklungen bzw. Wiederum wird man dieses Bild mit einer star- Münzzuströme aufweisen. Über den gesamten ken direkten Beeinflussung des rechtsrheini- betrachteten Zeitraum bleibt einerseits ein brei- schen und des (untersuchten) germanischen ter Streifen im westlichen Raetien links der Iller Raums durch das Gallische Sonderreich inter- bis in den östlichsten obergermanischen Be- pretieren wollen. Ob die relativ vielen Münzen reich östlich des Schwarzwalds münz- und da- der Tetrici in Raetien mit einem befristeten Ab- mit vermutlich besiedlungsfrei. Gleiches gilt für fall des Gebiets von Aurelian oder mit einer ge- das östliche Raetien, von ganz wenigen Einzel- zielten Geldschwemme des Gallischen Sonder- münzen abgesehen auch für den Donaulimes reichs, oder, wie oben, allerdings in umgekehrter jenseits von Regensburg53 und für den bayeri - Richtung, mit einer gegenseitigen Akzeptanz schen Anteil am westlichen Noricum. Nur teil- der beiden „Teilreiche“ zu erklären sind, muss weise sind dies Regionen, die in der mittleren vorläufig offenbleiben. Wahrscheinlich ist aller- Kaiserzeit dünn oder gar nicht besiedelt wa- dings, dass erstens wegen der vermuteten län- ren.54 Auch der Raetische Limes und sein unmit- geren Laufzeit der barbarisierten bzw. imitier- telbares Hinterland bis zur Donau erfahren kei- ten Tetricusmünzen oder gar deren Produktion nen Zustrom von Münzen, mit partieller erst nach dem Ende des Gallischen Sonder- Ausnahme am östlichen Raetischen Limes nach reichs bis ca. 280 n. Chr. oder sogar noch später 270 n. Chr. Numismatisch „bedient“ wurden da- C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 45

gegen in Raetien nur ein Streifen zwischen der sche“ Münze56 als „Problem der kleinen Zahl“ Iller und der Via Claudia bis an die Donau sowie gelten können, nicht zuletzt, da ja, wie gezeigt, Regensburg und sein Umland. Abgesehen von in den numismatisch zum Gallischen Sonder- der Zeit nach 270 n. Chr. liefen hier jeweils kaum reich gehörigen rechtsrheinischen Gebieten ein Münzen des Gallischen Sonderreichs um, trotz nicht unerheblicher Anteil an „reichsrömi- der kurzfristigen Zugehörigkeit von 260 n. Chr. schen“ Münzen umlief. und vielleicht einige Jahre danach. Bei dem Umfang des Münzumlaufs in den be- Die Münzzufuhr in die Münzen führenden sprochenen rechtsrheinischen Gebieten in ger- rechtsrheinischen Gebiete war bis auf den süd- manischen Zusammenhängen ist schwer vor- lichsten Schwarzwald praktisch identisch mit stellbar, dass diese Germanen „Eindringlinge“ dem linkrheinischen Umlauf. Das Überraschen- darstellen, die die römischen innenpolitischen de daran ist, dass die Münzreihen dort mittler- Schwächen ausnutzten, indem sie sich unge- weile jeweils Umfänge erreicht haben, die z. B. fragt dort niederließen. Unwahrscheinlich ist gegenüber Speyer nur geringfügig kleiner sind. auch, dass es sich dabei um germanische Söld- Auf keinen Fall bestätigt sich damit für diese ner im Sinne von militärisch agierenden Män- rechtsrheinischen Gebiete das frühere Bild ei- nern und deren Familien handelte.57 In beiden ner nach 253/260 n. Chr. fast vollständig entvöl- Fällen müsste man mit Münzfunden im gesam- kerten Landschaft. Der oben beschriebene ar- ten Limesgebiet und seinem Hinterland, also chäologische Befund macht aber auch deutlich, auch in Raetien, sowie mit anderen Münzserien dass es sich bei den die Münzen erhaltenden rechnen. Gegebenenfalls könnte man auch die bzw. verlierenden Menschen bis vielleicht auf eine oder andere Goldmünze im Fundmaterial den Bereich im Vorfeld von Mainz nördlich des erwarten. Der Befund im rechtsrheinischen Mains55 im Wesentlichen nicht um „Römer“ ge - Raum sollte meines Erachtens vielmehr dahinge- handelt haben kann (anders, als ich es, wie ange- hend interpretiert werden, in den Empfängern führt, vor 25 Jahren selbst noch meinte), son- bzw. Verlierern der Münzen um von Postumus dern um Germanen. Sie haben offensichtlich gezielt „angeworbene“ und auf die verlassenen relativ gezielt verlassene römische Plätze aufge- Ländereien eingewiesene germanische Gruppen sucht, sich darin oder in der unmittelbaren Um- zu sehen, offensichtlich von ihm und seinen gebung niedergelassen und vermutlich die noch Nachfolgern in gewisser Weise „bezahlte“ Grup- teilweise erkennbare frühere Infrastruktur wei- pen. Dies ergibt sich einerseits aus dem relativ ter genutzt. Dem widerspricht m. E. auch der Be- hohen Münzaufkommen in nach dem neueren fund des Kleinkastells Haselburg am vorderen archäologischen Befund vorher kurzzeitig weit- Obergermanischen Limes nicht. Die dort der gehend verlassenen Gebieten mit Serien entspre- letzten Phase zugewiesenen Befunde und Fun- chend denen im (östlichen) Gebiet des Gallischen de sind so wenig umfangreich, dass das Fehlen Sonderreichs, andererseits aus der Verbreitung germanischer Keramik und eine einzige „römi- dieser Serien nur in bestimmten, dem Gallischen

52 Hierzu zuletzt Miron 2008/09; Heising 2012, 150–152; 54 C. S. Sommer, Futter für das Heer. Villae rusticae, ländliche Sied- Peter 1996, 138–140. Da alle bayerischen FMRD-Bände lungsstellen und die Versorgung der römischen Soldaten in Rae- und auch verschiedene andere nicht oder nur selten zwi- tien. In: A. Zeeb-Lanz/R. Stupperich (Hrsg.), Palatinus Illustran- schen offiziellen und barbarisierten Prägungen unterschei- dus. Festschrift für Helmut Bernhard zum 65. Geburtstag. Mentor den, kann dieser Frage nicht weiter nachgegangen werden. 5 (Mainz, Ruhpolding 2013) 134–144 bes. Abb. 1 und 2. Vgl. auch Steidl 2000, 22–23. – Könnte man allerdings bei 55 Ähnlich Reuter 2012, 317 und Reuter 2009, 224; aber auch den hier als „Tetricus-Münzen“ verzeichneten Stücken die für die Wetterau z. B. mit Echzell „Heinrichswiese“ germani- barbarisierten Münzen herausrechnen, würde sich das hier sche Siedlungen (Steidl 1996, 28; Steidl 2000, 116–120). gezeigte Bild „relativ wenige Tetricusmünzen in Raetien“ 56 Vgl. Fleer 118–123; 184. vermutlich noch deutlich verstärken und sich die Verhält- 57 Reuter 1997, 67, in Bezug auf Wurmlingen: „Im Zuge die- nisse in Abb. 7 vermutlich noch stärker denen der Abb. 4 ser Auseinandersetzungen kam es auf beiden Seiten, vor al- angleichen. lem wohl aber auf der des Teilreiches, zum Einsatz von germa- 53 Aufgrund der umfangreichen Grabungen in „Nach-FMRD- nischen Söldnern, wie dies nicht nur aus literarischen Quellen Zeiten“ in Straubing und Künzing und etwas geringer in Pas- (z. B. SHA Victorinus 6,2) bekannt ist, sondern auch Funde von sau ist hier heute noch am ehesten mit signifikanten Ände- Aurei der Kaiser Gallienus, Postumus, Victorinus und Tetricus rungen zu rechnen. in ostdeutschen Gräbern zeigen.“ 46 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Sonderreich nahen und vermutlich politisch ist, dass der gezielt von ihm germanisch aufgesie- bzw. strategisch wichtigen Gebieten.58 Der An - delte Raum auch als „Sprungbrett“ dienen sollte. satz von M. Reuter, der für die Niederlassung in Interessant ist, dass die antike Geschichtsschrei- der ehemaligen villa rustica von Wurmlingen bung den „Verlust“ dieser Räume Gallienus anlas- „von einer politischen Initiative des Gallischen tete: „Istae civitates sub Gallieno imperatore a bar- Teilreiches“ ausging, die „kleine germanische baris occupatae sunt“.62 Wie auch der zeitweise Gruppen innerhalb bestimmter Gebiete des ehe- Verlust Raetiens an Postumus 260 n. Chr.63 scheint maligen Limeshinterlandes“ ansiedelte, ist ent- dies als ein größeres Problem angesehen worden sprechend großräumig auszulegen. Ähnlich, al- zu sein als der Verlust des Einflusses auf das Gebiet lerdings noch offen, schrieb M. Scholz vor des eigentlichen Gallischen Sonderreichs. wenigen Jahren: „Möglicherweise wurden diese Dem numismatischen Befund nach zu urteilen, Germanen als Verbündete bereits von Gallienus reichten die Kontakte des Gallischen Sonder- während seines Aufenthalts am Rhein 257–259 reichs auch in Gebiete im Vorfeld des ehemaligen zur Kontrolle wichtiger Verkehrswege [unwahr- Limes und nach Thüringen bzw. Mitteldeutsch- scheinlich; Anmerkung des Verf.] oder spätes- land. Ganz dringend wären Materialstudien zur tens von Postumus als südöstlicher Flanken- Klärung der Frage, ob damit das Herkunftsgebiet schutz seines Machtbereichs im Bürgerkrieg der rechtsrheinischen Germanen gegeben ist dort angesiedelt.“59 Ich denke, dass seitens Postu- oder ob es sich hierbei um verschiedene Grup- mus damit bewusst ein Puffer geschaffen wer- pen handelt. Ersteres ist durchaus wahrschein- den sollte zu den von Gallienus und seinen Nach- lich, ist doch Mitteldeutschland der Raum, wo in folgern bald nach 260 n. Chr. wieder beherrschten reichen Gräbern und auch in anderen, meist un- raetischen Gebieten. Vor allem sollten aber da- klaren Zusammenhängen relativ viele Gold- mit die Einfallswege aus dem Herrschaftsgebiet münzen der Zeit gefunden wurden. Wie in dem des Gallienus an den Rhein entsprechend den hier diskutierten Gebiet überwiegen dabei die althergebrachten unmittelbaren Verbindungen Prägungen des Gallischen Sonderreichs (1973: zwischen Raetien und Obergermanien durch 15 zu 5).64 J. Werner hat relativ überzeugend die Südwestdeutschland hindurch auch in der Tiefe Empfänger dieser und sehr viel mehr zu blockiert werden. Insofern ergibt sich eine Präzi- Schmuck und Rangabzeichen umgearbeiteter sierung zu K. Dietz, der das diskutierte Gebiet Goldmünzen mit den ingentia Germano- seitens Postumus jedoch als aufgegeben ansah: rum des Postumus65 zu identifizieren versucht.66 „Vor diesem Hintergrund [Raetien als Ausgangs- Ob es sich bei den Germanen im rechtsrheini- punkt des zweiten Versuchs des Gallienus, Pos- schen Raum um „friedfertigere“ Teile der glei- tumus zu besiegen] ist nicht auszuschließen, chen Gruppen gehandelt hat? dass das Überleben des Gallischen Sonderrei- Ganz offensichtlich wollten oder konnten Gallie- ches wenigstens partiell mit der Rückkehr nus und seine Nachfolger diesem Vorgehen des gleichsam zur strategischen Situation der Zeit Gallischen Sonderreichs nichts Entsprechendes vor 69/70 n. Chr. erkauft wurde. Durch die weit- entgegensetzen. Darauf deuten das praktisch gehend faktische, nicht rechtliche Preisgabe der münzfundleere Gebiet im westlichen Raetien und Lebensadern des Dekumatlandes, speziell der im Hinterland des Raetischen Limes wie auch der wichtigen Militärstraße von Augsburg nach geringe Anteil an entsprechenden Münzen in Mit- Nordwesten in Richtung Mainz, zu deren Über- teldeutschland. Es könnte allerdings sein, dass wachung ja der sogenannte Alblimes nördlich Gallienus, nachdem er Raetien wiedergewonnen der Donau einst entstanden war und die von hatte, den Ausgangsbereich der Richtung Nord- Rom auch nach 260 prinzipiell beansprucht wur- westen führenden Verkehrsachsen militärisch zu de, könnte Postumus zwischen sich und dem im verstärken bzw. zu sichern versuchte. In diesem zurückeroberten Raetien aufmarschierenden Sinn könnte man die als letzte schriftliche Quelle Gallienus einen Keil geschaffen haben, der sei- im Limesraum berühmte Inschrift von Hausen ob nem Kontrahenten den Zugang von Südosten Lontal (nördlich Günzburg)67 in Bezug auf einen und Osten erschweren musste …“60 Diese Blocka- militärischen Neubau interpretieren, wenn die ge- de hinderte Postumus jedoch nicht am (miss- genüber der konventionellen Sicht (vor 260 n. Chr.) glückten) Versuch über den militärischen Führer veränderte Datierung auf 262 n. Chr. oder später des Gallienus in Raetien, Aureolus, die Alpen- richtig ist.68 Entsprechend wären die in dieser Zeit übergänge nach Norditalien erneut unter seinen ausschlagenden Münzenserien von Plätzen wie Einfluss zu bekommen.61 Im Gegenteil, denkbar Isny, Burghöfe oder dem Bürgle bei Gundremmin- C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 47

gen zu interpretieren.69 Die mittlerweile gelegent- wurden denn als Unterstützung.73 Auf der ande- lich im raetischen Limeshinterland gefundenen ren Seite ist das wohl die Zeit, in der die germani- germanischen Siedlungen, wie z. B. bei Eichstätt schen Siedlungen in der Wetterau beginnen. oder auf der Ostalb, belegen m. E. dagegen Zeug- Auch sie scheinen nicht nur mit dem Münzum- nisse anderer, wahrscheinlich späterer und sehr lauf des jetzt wieder geeinten Römischen Reichs viel länger andauernder Vorgänge. Jedenfalls sind in Verbindung gestanden zu haben, sondern so- diese Siedlungen praktisch frei von römischen gar Kleingeldmangel (?) durch Prägungen der so- Münzen der hier diskutierten Zeit und weisen genannten Barbarisierungen bzw. Imitationen auch kaum römisches Fundmaterial auf.70 vor Ort auszugleichen versucht zu haben. Zu klä- ren wäre dann aber, warum vor allem Münzen Bleibt zu fragen, wie sich das Verhältnis der in der Tetrici zum Vorbild gewählt wurden, wenn Teilen des rechtsrheinischen Obergermaniens diese tatsächlich (teilweise?) erst nach 274 n. Chr. gezielt angesiedelten Germanen zum Römischen hergestellt worden wären.74 Warum griff man da- Reich weiter entwickelt hat. Einerseits besteht bei auf Vorbilder von toten Gegenkaisern zurück der Eindruck, dass zumindest ein Teil der nach- und nur in seltenen Fällen auf Münzen des herr- gewiesenen und postulierten Siedlungen nur re- schenden Probus oder späterer Kaiser?75 Da mit lativ kurz genutzt wurde. Für Bietigheim „Wei- Echzell „Heinrichswiese“ in der Wetterau und lerlen“ ist auch eine Zerstörung dokumentiert, mit Bietigheim „Weilerlen“ im mittleren Neckar- die Balle vorsichtig probuszeitlich datiert.71 An- land zumindest zwei Produktionsstätten in dem dererseits wurde von verschiedenen Autoren auf im Vorangehenden als germanisch besiedelt her- Feldzüge gegen Germanen 275/276 n. Chr., genau- ausgearbeiteten Gebiet vorliegen,76 wenn auch so aber auch auf heftige germanische Einfälle zu etwas unterschiedlichen Zeiten beginnend, hingewiesen.72 Da mit dem Ende der Sonderherr- könnte man meinen, dass damit ausbleibende schaft in Gallien auch die Zufuhr von Goldmün- Zahlungen ausgeglichen werden sollten, was be- zen nach Mitteldeutschland geendet zu haben deuten würde, dass im unmittelbar rechtsrheini- scheint, ist denkbar, dass jetzt nicht nur die Zah- schen Gebiet tatsächlich eine Art „Geldwirt- lungen dorthin eingestellt wurden und dies ver- schaft“ geherrscht hätte.77 stärkt zu gegen das Römische Reich gerichteten Aktionen führte. Auf jeden Fall ging die Intensi- Im Versuch, Fremde bei den inneren Konflikten tät der römisch-germanischen Beziehungen zu- des Römischen Reichs in der zweiten Hälfte des rück und es ist durchaus wahrscheinlich, dass 3. Jahrhundert n. Chr. als Krieger und Siedler ein- unter Probus und seinen Nachfolgern diese zuschalten, sehe ich Analogien zu den kompli- Gruppen eher als eine Bedrohung angesehen zierten Konflikten am Übergang vom 20. zum

58 Reuter 1997, 69, ähnlich Reuter 2009, 224. 69 Zum Beispiel Stribrny 1989 Abb. 26. 59 Scholz 2009, 491. 70 M. Jandejsek, Die germanische Siedlung von Eichstätt, 60 Dietz 2012, 58. „Stadtfeld“. Das archäologische Jahr in Bayern 2004, 111– 61 Dietz 2012, 39–41. 113; Scholz 2009, bes. 492–498 mit der Möglichkeit weni- 62 Geographi Latini Minores 14 = C. Dirlmeier/G. Gottlieb, ger früher Siedlungen jenseits des Albtraufs. Quellen zur Geschichte der Alamannen II (Heidelberg 1978) 71 Balle 1997, 55. 115; hierzu auch Scholz 2009, 491. 72 Vgl. hierzu zuletzt K. Kortüm, Tacitus im römischen Neuen- 63 Strobel 1998. stadt. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 64 Werner 1973, 20–21. – Ich danke A. Heising für den Hinweis 2012, 191–196 bes. 195–196; Heising 2012, 181–182. auf diesen Aufsatz. 73 Hier erweist sich als unglücklich, dass ich meine Auszählung 65 Script. Hist. Aug. tyr. Trig. 6,2 (Vita Victorini), für 265 n. Chr.; der Fundmünzen auf den hier eigentlich interessierenden zitiert nach Werner 1973, 24; vgl. auch Scholz 2009, 491. Zeitraum im engeren Sinn begrenzt habe. 66 Werner 1973, bes. 23–27. 74 Steidl 2000, 22–23; Miron 2008/09. 67 CIL III 5933, IBR 5933. 75 Steidl 2000, 24. 68 Eck 2012, 82–83; W. Kuhoff, Quellen zur Geschichte der Ala- 76 Vgl. Anm. 18. mannen VI. Inschriften und Münzen (Sigmaringen 1984) 36 77 Bei der beobachteten recht hohen Stückzahl der barbarisier- Nr. 45, folgend. – Hierzu auch Scholz 2009, 471–472, mit ten Münzen müsste auch die Herkunft des Rohmaterials un- dem Hinweis auf mögliche Bezüge nach Sontheim a. d. Brenz tersucht werden. Wurde es vielleicht bei der systematischen oder Faimingen. Durchsuchung römischer Ruinen gewonnen? 48 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

21. Jahrhundert, z. B. in Afghanistan oder Syrien. Hier wie dort erkennt man eine Tendenz, den „Teufel mit dem Beelzebub“ austreiben zu wol- len. Hier wie dort versucht man Lösungen aus ei- ner unmittelbar gegebenen Situation heraus ohne die notwendige Nachhaltigkeitsdiskussion zu finden. Hier wie dort ist der Ausgang unge- wiss bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass die geru- fenen und oft bezahlten „Freunde“ sich irgend- wann gegen die Rufenden wenden, groß. Im Fall des Römischen Reichs sind die Versuche, die Ge- rufenen wieder loszuwerden, wie wir wissen, zu- mindest mittelfristig gescheitert.78

Prof. Dr. C. Sebastian Sommer Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege Hofgraben 4 80539 München [email protected]

78 A bschließend sei noch der Hinweis auf ein diesbezüglich ge- bevölkerungsleeren Gebieten an. Vgl. hierzu z. B. C. S. Som- glücktes „Experiment“ gegeben. Mit der hier herausgearbei- mer, Das römische Militär und sein Einfluß auf die Bevölkerung teten Ansiedlung von Germanen rechts des Rheins griff man in Obergermanien und Raetien rechts des Rheins und nördlich vermutlich ein Verständnis des Umgangs mit anderen Völkern/ der Alpen. In: H. Vetters/M. Kandler (Hrsg.), Bericht des 14. In- Gruppen auf, das schon fast 250 Jahre früher in der gleichen ternationalen Limeskongress Carnuntum 1986 (Wien 1990) Region umgesetzt worden war. Damals siedelte man im rech- 121–132; G. Lenz-Bernhard, LOPODVNVM III. Ladenburg-Zie- ten Oberrheingraben „Sueben“, z. B. die auch namentlich be- gelscheuer (Rhein-Neckar-Kreis) – neckarswebische Siedlung kannten Suebi Nicrenses, im Vorfeld der linksrheinischen Kas- und Villa rustica. Forschungen und Berichte zur Vor- und Früh- telle in meiner Meinung nach damals ebenfalls (weitgehend) geschichte in Baden-Württemberg 77 (Stuttgart 2002). C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 49

ANHANG kontrollierten Gebiet (Auszählung FMRD, Liste 1: Fundmünzen der Zeit 253–275 n. C hr. Nachträge, CRFB; Archäologische Ausgrabun- aus Süddeutschland nach Kreisen (Autokenn- gen aus Baden-Württemberg und Ergänzungen zeichen) und Thüringen (Gesamtzahl), aufge- von B. Steidl für den germanischen Raum teilt nach Zeitgruppen und Herkunft aus dem durch C. S. Sommer, zusammengestellt von M. Gallischen Sonderreich bzw. dem von Rom Schmid, München); Grundlage Abb. 3–7.

Liste 1: Münzverteilung Römisches Reich/Gallisches Sonderreich 253–275 n. Chr. in Süddeutschland.

Landkreis 253–259/60 259/60–268 268–270 270–275

Rom Rom Gallien Rom Gallien Rom Gallien A (Landkreis) 1 7 1 3 1 2 A (Stadtkreis) 6 70 7 45 2 42 15 AA 1 2 1 1 AB 5 5 1 8 9 15 AIC 3 2 1 5 AM 1 1 AÖ 1 BA 1 1 BAD 1 BB 3 2 1 BC 1 BL 1 1 CO 1 CW 1 DA (Darmstadt-Dieburg) 1 2 1 DAC 1 DEG 1 1 1 DLG 1 2 1 2 DON 2 8 1 3 7 1 EI 1 1 3 EM 1 3 1 4 1 2 1 EMS (nur Bad Ems) 1 2 4 2 3 3 ES 3 1 1 1 2 F 14 7 7 2 3 11 FB 4 5 5 2 4 5 9 FDS 1 FN 1 FO 1 1 1 FR (Freiburg i. Breisgau) 3 1 FR (Kr. Breisgau-Hochschwarzwald) 1 3 2 3 3 FS 1 1 FÜ 1 GAP 1 GG 1 3 3 5 1 1 11 GI 1 2 GP 1 1 GZ 1 15 1 15 1 7 6 HD (Heidelberg) 1 1 1 1 1 2 1 HD (Rhein-Neckar-Kreis) 6 2 4 50 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Landkreis 253–259/60 259/60–268 268–270 270–275

Rom Rom Gallien Rom Gallien Rom Gallien HDH 1 HG 3 1 HN 8 4 2 3 1 1 3 HP 1 2 3 IN 1 1 KA 2 3 3 2 1 KE 3 4 2 KEH 2 8 54 1 6 6 KF 7 5 6 4 1 KG 1 1 KN 3 5 1 5 1 1 7 KS 1 KT 2 2 4 KÜN 4 2 2 3 1 6 LB 1 3 3 2 1 LL 5 1 LM 1 4 LÖ 1 2 M 1 5 MA 1 1 MB 3 MIL 1 4 MKK 3 MM 6 2 MN 9 15 5 1 MOS 2 3 MR 1 2 1 1 MSP 1 MTK 1 1 1 MÜ 13 ND 2 1 1 NES 2 NM 1 NU 1 1 2 OAL 3 1 1 OF (Landkreis) 2 2 4 1 6 OG 6 7 4 12 10 2 PA 1 4 1 2 1 PAF 1 PF (Pforzheim) 1 3 1 1 1 PF (Enzkreis) 1 1 3 R Stadt 13 65 3 63 2 23 16 R Landkreis 2 1 5 2 1 RA 2 1 3 1 RO 3 2 1 3 1 RT 4 1 1 1 C. Sebastian Sommer „… a barbaris occupatae …“ 51

Landkreis 253–259/60 259/60–268 268–270 270–275

Rom Rom Gallien Rom Gallien Rom Gallien RÜD 2 1 1 1 4 RV 1 1 RW 4 3 5 9 2 2 8 S 1 2 4 2 2 3 SC 1 SHA 1 SIG 2 1 1 SR 1 1 1 1 STA 1 7 1 1 SW 1 1 3 2 3 TBB 1 Thüringen 3 5 5 9 3 3 4 TÖL 1 TS 1 2 TÜ 1 4 4 1 1 11 TUT 1 1 1 1 1 UL (Alb-Donau-Kreis) 1 UL (Ulm) 2 1 1 1 VS 1 7 3 3 1 WI 8 15 7 16 4 36 30 WM 6 39 4 35 2 27 5 WN 8 1 2 1 7 WT 5 1 4 2 3 WÜ 2 9 4 4 3 1 11 WW WUG 4 1 1 3 6 Summe 166 393 103 435 52 271 253

Lkr. Mainz 3 1 3 1 1 6 Mainz 22 27 21 33 10 17 83 Worms 1 6 8 Speyer 5 10 4 23 3 3 26 52 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 04 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis 55

MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis

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Bei den Ausgrabungen des Landesdenkmalam- tes Baden-Württemberg am Limestor bei Rai- nau-Dalkingen, Ostalbkreis, unter der Leitung von D. Planck wurden im Herbst 1973 drei Eisen- blechteile geborgen, bei denen es sich mit größ- ter Wahrscheinlichkeit um Bruchstücke von rö- 1 mischen Gesichtshelmen handelt (Abb. 1,1–3).1 Das größte Fragment (Nr. 1) wurde an der Ost- seite des Torgebäudes im Mauerschutt gefun- den (Fl. 2, Pl. 0–1; Abb. 1,1). Es ist 13,7 cm × 15 , 2 c m groß und durchschnittlich 2 mm dick; sein Ge- wicht beträgt 113,5 Gramm. Herstellungstech- nisch gesehen ist es von eher bescheidener Qua- lität: Die Verzierungen der Oberseite wurden zunächst grob und fl ach aus dem Eisenblech he- rausgetrieben und anschließend wohl fl üchtig ziseliert.2 Das zentrale große Lockenmotiv be- steht aus vier kräftig geschwungenen Spirallo- 3 cken, die jeweils paarweise zueinander liegen. Genau in der Mitte befi ndet sich eine größere Durchlochung (Dm. ca. 0,5 cm), weiter unten liegt eine zweite, kleinere (Dm. 0,2 cm). Abb. 1: Rainau-Dalkingen, Helmfunde aus Eisen.

1 Für freundliche Auskünfte, hilfreiche Diskussionen und die 2–3). Das Fundstück (Nr. 1) wurde bereits im Rahmen ei- Beschaffung von Bildvorlagen danke ich herzlich insbeson- nes Grabungsvorberichts veröffentlicht, dazu Planck 1982, dere Prof. Dr. D. Planck und Dr. St. Bender, Dr. M. Kemkes, 37–38 Abb. 15. – Zur Fundstelle zuletzt zusammenfassend Dr. B. Steidl und Prof. Dr. H. Ubl. Planck 2012. Die Funde werden demnächst ausführlich veröffentlicht in: 2 Zum Herstellungsverfahren allgemein zusammenfassend Planck (im Druck). Verbleib: Landesmuseum Württemberg, Garbsch 1978, 16–17; Willer/Meijers 2007, 38; S. Clerbois, Stuttgart, Inv.-Nr. WLM R 73,815.10 (Nr. 1); R 73,815.88 (Nr. in: Vannesse/Clerbois 2013, 390–393. 56 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 2: Weißenburg, Helmrückteil. Gefunden 1979 als Abb. 3: (Ostfi ldern-)Ruit auf den Fildern, Helmrückteil. Bestandteil eines großen Hortfundes. Gefunden 1880/81 im Keller einer villa rustica.

Es muss offenbleiben, ob es sich dabei um Niet- bekannt.8 Allerdings werden die bekannten löcher, etwa zur Befestigung eines Helmbusch- Exemplare dieses Helmtyps normalerweise halters, handeln könnte.3 Durch einen breiten, deutlich früher, nämlich schon in das 1. Jahr- gekerbten Wulst getrennt, folgen in einer äuße- hundert n. Chr. datiert. Außerdem sind die Hel- ren Zone von einem runden (Diadem?-)Motiv me dieses Typs offenbar in der Regel anders, aus (oben), das höchstwahrscheinlich die Stirn- nämlich zweischalig konstruiert, indem über ei- seite des Helms anzeigt, auf beiden Seiten je- ner glatten Unterkalotte aus Eisen eine reich mit weils vier dreieckige Motive. Den Abschluss aufwendigen Treibarbeiten geschmückte Ober- wiederum, genau gegenüber, bildet ein halb- kalotte aus Kupferlegierung oder Silber gestülpt rundes Motiv, das von kleinen, oval-dreieckigen ist.9 Den beträchtlichen zeitlichen Abstand zum Motiven (Gebinde) umgeben wird. Diese zweite Dalkinger Fundstück scheinen zwei Reiterhelme Bildzone schließt nach außen ein weiterer Ring- zu verringern, von denen der besser datierbare wulst ab. Die nähere Deutung der dreieckigen bei Ausgrabungen im Kastellvicus von Butzbach Motive ist schwierig, mit ziemlicher Sicherheit gefunden wurde und zeitlich in das 2./3. Jahrhun- handelt es sich jedoch um Blattmotive.4 Entspre- dert n. Chr. gehören dürfte.10 chende dreieckige, mit Gravur verzierte Blatt- Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei dem motive weist das applizierte Bronzeblech auf Dalkinger Fundstück (Nr. 1) jedoch um das Rück- dem Nackenschutz des Weißenburger Helm- teil eines sogenannten Gesichtshelms, auch rückteils auf, deren Spitzen allerdings in diesem wenn mit keinem der derzeit bekannten Ver- Fall nach außen gerichtet sind (Abb. 2). 5 Solche gleichsfunde eine völlige Übereinstimmung vor- in ähnlicher Technik angebrachte Dreiecksmo- liegt. Die größte Ähnlichkeit weist noch das tive sind aber auch noch auf weiteren Gesichts- ebenfalls aus Eisen gefertigte Helmrückteil von helmen zu fi nden, z. B. beim Gesichtshelm von (Ostfi ldern-)Ruit auf den Fildern auf,11 auf das Herzogenburg (Abb. 5).6 Im Fall des Dalkinger man 1880/81 im Keller einer villa rustica stieß Fundstücks (Nr. 1) legt die Anordnung der drei- (Abb. 3).12 Auch bei diesem Fundstück lässt sich eckigen Motive eine Interpretation als stark sti- ein zentraler Lockenwirbel feststellen, der aller- lisierte Darstellung eines militärischen Ehren- dings hier als große Spirale gestaltet ist und ei- kranzes nahe.7 Solche radial um die Helmmitte ner umlaufenden Zone spiralförmig geschwun- angeordneten Kranzmotive sind vor allem von gener Locken gleichsam aufgesetzt erscheint, die Reiterhelmen des Typs Weiler/Koblenz-Buben- in Dreier- und Vierergruppen angeordnet sind. heim, aber auch von anderen Reiterhelmen Nach außen folgt dann, durch ein appliziertes, MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis 57

Abb. 4: Aalen, Gesichtshelm. Gefunden bei Ausgrabungen 1978 im Gelände des Reiterkastells.

hinten zusammengeknotetes Bronzeband ge- ordnet sind.14 Diese äußeren Lockenreihen feh- trennt, eine Bildzone mit mehrfach gestufter Lo- len allerdings gerade bei dem hier vorgestellten ckenverzierung. Weitere Bronzebleche waren Dalkinger Helmteil (Nr. 1), wo sie vielmehr durch über der Stirn und auf dem Nackenschutz ange- die erwähnten umlaufenden Dreiecksmotive er- bracht. Gute Vergleichsstücke, die gleichfalls setzt werden. Bei den besser erhaltenen Rücktei- sämtlich aus Eisen gefertigt sind, liegen außer- len sind zusätzlich mithilfe von Bronze- und dem z. B. aus den Hortfunden von Straubing, Wei- Eisennieten Blechstreifen befestigt, die mit Or- ßenburg und dem Hortfund I von Künzing vor. 13 namenten verziert sein können. Beim Rückteil Trotz aller Unterschiede, sowohl in der Anord- aus dem Hortfund I von Künzing sind in entspre- nung der einzelnen Motive als auch in der Quali- chender Weise Nietlöcher vor allem auf dem Na- tät ihrer Ausführung, ist diesen Helmteilen doch ckenschutz nachgewiesen. Am Dalkinger Helm- das zentrale Lockenmotiv gemeinsam, um das rückteil fehlen offenbar derartige Vorrichtungen, herum Haarlocken in mehreren Bildzonen ange- was mit dessen schlechtem Erhaltungszustand

3 Zusammenfassend zu Helmbüschen Robinson 1975, 140– Taf. 19–20; Junkelmann 2011, 248–249; 255 Abb. 54; 143; Fischer 2012, 160–161. Vgl. Manning 2005, 137 Fischer 2012, 208–209 Abb. 303a.b. (mit Literatur); Fischer 2012, 224 Abb. 332 (ohne Fundort). 11 Garbsch 1978, 69, O 34; Taf. 23,4; Junkelmann 1996, 33–34 4 Diese Deutung findet sich bereits in einem Schreiben Abb. 63; Kemkes/Scheuerbrandt/Willburger 2002, 107 Abb. 112. von Dr. H. Klumbach, RGZM Mainz, an Dr. D. Planck vom 12 Pfahl/Reuter 1996, 153 Nr. 59 (mit Literatur). 30. 3. 1976 (Verbleib: Ortsakten Landesamt für Denkmal- 13 Straubing: H. Klumbach in: Keim/Klumbach 1951, 17–18 pflege, Esslingen). Nr. 8; Taf. 12,1.2; Robinson 1975, 114–115 Abb. 320–321; 5 Kellner/Zahlhaas 1993, 84–85 Nr. 43 Taf. 78–80; Junkel- Garbsch 1978, 48, B 8; Junkelmann 1996, 32–35 Abb. 61. mann 1996, 34 Abb. 64; 94, O 97. Vgl. auch Robinson 1975, 115 Abb. 323; Junkelmann 1996, 6 Ubl 1979, 80; Junkelmann 1996, 33 Abb. 57–58. 32–35 Abb. 62. – Weißenburg: Siehe oben Anm. 5. – Kün- 7 Zusammenfassend zum Thema Künzl 2004, bes. 398–402. zing, Hort I: Fischer 1991, 133–135 Nr. 7; Abb. 6,7; Junkel- 8 Zusammenfassend jetzt Fischer 2012, 205–209 (auch zum mann 1996, 94, O 103. – Zusammenfassend Kellner/Zahl- Folgenden). haas 1993, 85; Junkelmann 1996, 32–36; Fischer 2012, 9 Vgl. Junkelmann 1996, 27–28; Junkelmann 2000b, 90; 221–226. Feugère 2011, 118–124; Fischer 2012, 206–207. 14 Vgl. auch die zusammenfassenden Überlegungen von 10 Junkelmann/Thüry 2000, 159–160, AG 461; Abb. 83–86; Manning 2005, 137. 58 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

zusammenhängen mag. Auch wie Rück- und Vorderteil miteinander verbunden waren, lässt sich hier nicht mehr mit Gewissheit angeben. Grundsätzlich konnte diese Verbindung über ein großes, in der Stirnmitte angebrachtes Scharnier und zwei seitlich angenietete kleine Schnallen aus Bronze erfolgen.15 Einen Hinweis auf das Aussehen des dazugehöri- gen Vorderteils gibt ein 1978 geborgener Helm- fund aus dem Kastell Aalen, der im Rahmen eines Grabungs-Vorberichts von D. Planck veröf- fentlicht wurde (Abb. 4).16 Sein Rückteil ist schlecht erhalten, jedoch ist immerhin auch hier der streng zonale Aufbau der Lockenverzierung klar zu erkennen. Das mitgefundene Vorderteil gestattet nun die einwandfreie Bezeichnung als Gesichtshelm vom Typ Herzogenburg, nach den Definitionen von M. Junkelmann und Th. Fischer (Abb. 5).17 Das Hauptmerkmal dieses Helmtyps ist ein nach hellenistischem Vorbild gestaltetes bartloses jugendliches Gesicht, das von gelock- tem Haar umrahmt wird. Über der Stirn weisen die meisten Helmexemplare zwei kräftig ge- schwungene Lockenwirbel auf, was eine ikono- graphische Reminiszenz an das Porträt Alexan- ders des Großen in der Römischen Kaiserzeit darstellen könnte, der damals als jugendlicher Heros besondere Verehrung genoss (Variante Alexandertyp).18 Dass Gesichtshelme vom Typ Herzogenburg häufig über ein Rückteil aus Eisen verfügen, spricht zusätzlich für die hier unter- nommene Einordnung des Dalkinger Helmfrag- ments. Allerdings ist diese Verbindung keineswegs zwingend. Der erst vor kurzem veröffentlichte Helmfund von Crosby Garrett besteht nämlich aus einem Vorderteil ähnlich dem Helmtyp Herzogen- burg sowie einem Rückteil in Form einer phrygi- schen Mütze, mit einem gegossenen Greif mit Kan- tharos als Bekrönung.19 Auf der anderen Seite verfügte der Gesichtshelm vom Typ Re¸sca, der im dakischen Alenkastell Gila˘u gefunden wurde, ge- gen alle Erwartungen offenkundig über ein Rückteil, das aus Eisen gefertigt war.20 Dieser Ge- sichtshelm wurde aus der Verfüllung des Umfas- sungsgrabens des Kastells geborgen. Die strati- graphischen Verhältnisse legen eine Datierung dieses Befundes in die zweite Hälfte des 2. Jahr- hunderts n. Chr. nahe. Zu derartigen Gesichtshelmen sind im Übrigen vermutlich auch die Dalkinger Eisenblechteile Nr. 2 (Abb. 1,2) – mit getriebenen Lockenmotiven – und Nr. 3 (Abb. 1,3) zu rechnen. Beide Fundstü- cke stammen aus der Brandschicht, die das Ende Abb. 5: Herzogenburg, Gesichtshelm. Gefunden 1972 in einer römischen Abfallgrube. des Torgebäudes markiert. MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis 59

Für die Lehrmeinung, dass diese Gesichtshelme stimmte Regionen (Zentral- und Nordostgallien, vorzugsweise von Reitern getragen wurden, bilden Thrakien, Orient) konzentrieren, wird für das 2./3. die gelegentlich auf den Helmen angebrachten Be- Jahrhundert n. Chr. eine Verwendung hauptsäch- sitzerinschriften den sichersten methodischen lich bei prunkvollen Reiterspielen in den Militär- Nachweis.21 Ob die Gesichtshelme von höheren plätzen entlang der Reichsgrenzen in Betracht ge- Dienstgraden zusätzlich geschmückt sein konnten, zogen, beruhend auf dem Reitertraktat des z. B. durch die Anbringung eines Helmbuschs, lässt Arrianos aus Nikomedia, der in späthadrianische sich derzeit nicht näher angeben.22 Weniger stich- Zeit datiert wird (wohl 137 n. Chr.).25 Hinzu kommt, haltig ist dagegen die Argumentation mit den örtli- dass in der mittleren Kaiserzeit die Funde von Ge- chen Kastellgarnisonen angesichts der hohen Mo- sichtshelmen in den nördlichen Grenzprovinzen bilität des römischen Heeres während der stark zunehmen, mit einem besonderen Schwer- mittleren Kaiserzeit, zumal schließlich nach wie punkt in Raetien und Obergermanien, was natür- vor erhebliche Unsicherheiten bei der Datierung lich auch mit der dortigen historischen Ausnah- der Gesichtshelme bestehen.23 mesituation um die Mitte des 3. Jahrhunderts Von der Fachwelt wird eine ganze Vielzahl n. Chr. zusammenhängt, als zahlreiche kostbare von verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten Gegenstände vorsorglich verborgen wurden.26 Be- diskutiert; auch die genaue Herkunft der Ge- sonders umstritten bleibt nach wie vor der Einsatz sichtshelme ist umstritten.24 Grundsätzlich kann im Kampf. In den vergangenen Jahrzehnten haben ein entscheidender Funktionswandel im Laufe der sich besonders die Funde aus dem näheren und Zeit nicht ausgeschlossen werden: Während in weiteren Hinterland beduetend vermehrt, wobei der frühen Kaiserzeit die Grabfunde besonders es sich zumeist um stark fragmentierte Sied- häufig sind und sich die Funde insgesamt auf be- lungsmaterialien handelt (Altmetall?).27

15 Zusammenfassend Willer/Meijers 2007, 31–32. 118–124; 137–140; Bishop/Coulston 2006, 142; 175; Feugère 16 Planck 1982, 32–37 Abb. 13–14. Vgl. auch Junkelmann 1996, 2011, 147–150; Fischer 2012, 221–222; Narloch 2012, 377– 34 Abb. 59; 94, O 98; Kemkes/Scheuerbrandt/Willburger 383; Rost/Wilbers-Rost 2012, 48–49; Vannesse/Clerbois 2013, 2002, 188 Abb. 213; Feugère 2011, 181, Abb. 377–378; 392 (auch zum Folgenden). 17 Grundlegend zum Helmfund: Ubl 1979, 79–80 (mit Literatur). 25 E. Badian, Arrianos von Nikomedeia. In: Der Neue Pauly 2 Die endgültige Publikation steht noch aus. – Junkelmann 1996, (Stuttgart, Weimar 1997) Sp. 28–29, bes. 29. 29–32 Abb. 57–58; Junkelmann 1997, 41–44; Manning 2005, 26 Garbsch 1978, 46–88; Junkelmann 1996, 93–97 (jeweils mit 130–136; Fischer 2012, 225. Allerdings weist der Helmtyp einer systematischen Zusammenstellung). Seither erschienene durchaus Ohrenschutzbleche auf. wichtige Literatur, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Prammer 18 Vgl. die Auflistung bei Manning 2005, 140. Zum Helmfund 1998; Hanel/Willer 2000; Junkelmann/Thüry 2000, 189–190; von Aïn Grimidi jetzt Narloch 2012, 380 Abb. 2. – Zusammen- 194–197; Hanel/Rohnstock/Willer 2001/02; Hanel/Wilbers- fassend zum Alexanderporträt Knauss/Schulze 2013, 177. Rost/Willer 2004; Jurgeit 2004; Manning 2005; Lenz 2006, 17; 19 Fischer 2012, 225–226 Abb. 336–337. Vgl. auch R. Jackson/ van Enckefort 2007; Isac/Bărbulescu 2008; Isac 2009; Feugère S. Worrell/J. Pearce, Britannia 42, 2011, 402–407; Feugère 2011, 135–152 bes. 148, Abb. (Verbreitungskarte); Junkelmann 2011, 151 (dat. Ende 1./2. Jh. n. Chr.?). 2011, 250–251; 258–259 Abb. 59; 61; 62; Fischer 2012, 220– 20 Isac/Bărbulescu 2008, 215–216; Isac 2009, 191–193 226; Rost/Wilbers-Rost 2012, 48–49; Vannesse/Clerbois 2013, (auch zum Folgenden). 378–380, Abb. 3. Die dort genannte Gesamtanzahl von 113 21 Eining: Garbsch 1978, 45–46 A 4; Kellner 1978, 13–15 Exemplaren bleibt mir unverständlich. Vgl. auch Anm. 27. – Zur Nr. 3; Taf. 10–12 bes. 14–15 Taf. 12,4; Kellner 1978, 15–16 histo rischen Situation in Raetien und Obergermanien Mitte des Nr. 4 Taf. 13–16. – Herzogenburg: Ubl 1979, 79. – Newstead: 3. Jh. n. Chr. Reuter 2012 (mit Literatur). Manning 2005, 126–128 Abb. 11–12. – Petronell: Buora/Jobst 27 Einige Beispiele: Bliesbruck: F. Müller/W. Reinhard, Archäologie 2002, 242, Kat.-Nr. IVa.109. – Reca: Garbsch 1978, 69–70, in Deutschland 2003, Heft 1, 5. – Herten: Reuter 1999. – O 40; Isac 2009, 192. – Straubing: Garbsch 1978, 48, B 4.8. Rudna: J. Istenič, Bulletin Instrumentum 13, 2001, 26–28. – – Weißenburg: Kellner/Zahlhaas 1993, 81–83 Nr. 40–41. – Urspring: Kemkes/Scheuerbrandt/Willburger 2002, 98 Abb. 99. – Zur kontrovers geführten Diskussion um die Besitzverhältnis- Vieux: P. Vipard, Bulletin Instrumentum 12, 2000, 20–21. – Vgl. se Garbsch 1978, 33–34; Junkelmann 1996, 50; Franzius 1999, auch Eining: Gschwind 2004, 125; 313–314, C117–C126 Taf. 140; Fischer 2012, 82–83 (mit Literatur). 30,C117–C125. – Rainau-Buch, Kastell: H. Klumbach, Fundbe- 22 Vgl. auch N. Hanel, in: Hanel/Wilbers-Rost/Willer 2004, 88–89. richte aus Schwaben N. F. 16, 1962, 263 Taf. 70,6–22 (mit der 23 Anders M. Vannesse, in: Vannesse/Clerbois 2013, 378–385. dort genannten Einschränkung). – Regensburg: Reuter 2005, 24 Dazu die Übersichten von Junkelmann 1999; Franzius 1999, 246–249, A20–A21 Abb. 14,A20–15,A21. 60 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Bei Angaben zur Zeitstellung der Gesichtshelme wurde nach jüngst erneut geäußerter Meinung vom Typ Herzogenburg begnügte man sich bis- im Jahre 162 n. Chr. aufgegeben, wobei damals her zumeist mit typologischen Erwägungen oder auch der Gesichtshelm in den Boden gekommen argumentierte mithilfe von allgemeinen histori- sein soll.31 Der Gesichtshelm von Echzell wurde schen Überlegungen. Höchst problematisch wirkt in einer Abfallgrube gefunden, deren Verfüllung sich aus, dass viele Gesichtshelme aus unklaren nach D. Baatz in die Jahre um 175/185 n. Chr. da- Fundzusammenhängen stammen, wohingegen tiert werden muss.32 Einen hervorragenden Platz Fundstücke, die bei systematischen modernen nehmen schließlich die zahlreichen Helmfunde Ausgrabungen geborgen wurden, nach wie vor aus den raetischen Hortfunden Eining, Künzing, vergleichsweise selten sind. Straubing und Weißenburg ein, die während der Den ältesten sicheren Beleg für das Auftreten der tumultuarischen Zeitumstände in den Jahrzehn- Gesichtshelme vom Typ Herzogenburg stellt der- ten bis ca. 250/254 n. Chr. verborgen wurden.33 zeit das Exemplar von Newstead dar, das bei Auf- Wohl kurz vor der Mitte des 3. Jahrhunderts gabe des Kastells ca. 105 n. Chr. zusammen mit n. Chr. wurde auch das Limestor von Dalkingen weiteren Gegenständen (u. a. Helmteile) in einer durch eine Brandkatastrophe zerstört.34 Wie be- Grube offenbar absichtlich niedergelegt wurde.28 reits in anderem Zusammenhang erwähnt, Dass der Helm eindeutige Spuren von längerem enthielt die damit zusammenhängende Brand- Gebrauch aufweist, spricht nach Ansicht von schicht unter anderem auch die beiden Helmteile W. Manning sogar für eine deutlich frühere Her- (Abb. 1,2–3), so dass die damaligen Geschehnisse stellungszeit. rund um das Limestor durchaus einen gewissen Für das 2. Jahrhundert n. Chr. vermehren sich Beitrag zur Klärung der Zeitstellung der Ge- dann die Belege. Als Verbergungszeitpunkt des sichtshelme zu leisten vermögen. Gesichtshelms aus der Umgebung von Hebron, der gemeinsam mit einem Helm vom Typ Weise- nau und verschiedenen Teilen der Panzerung aufgefunden worden sein soll, werden Ereignisse Priv.-Doz. Dr. Martin Luik im Zusammenhang mit dem Bar-Kochba-Auf- Ludwig-Maximilians-Universität München stand 132/135 n. Chr. vermutet.29 Den Gesichtshel- Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie men vom Typ Herzogenburg stark verwandt ist und Provinzialrömische Archäologie ein aus Kupfer gefertigter Helm, der bei Ausgra- Geschwister-Scholl-Platz 1 bungen 1995 in den principia des Alenkastells 80539 München Dormagen aufgefunden wurde.30 Dieses Kastell [email protected]

28 Manning 2005, 129 (auch zum Folgenden). 32 Klumbach/Baatz 1970, 75. 29 Weinberg 1979; Junkelmann 1996, 28–29; 32–33 Abb. 55– 33 Zum Folgenden jeweils zusammenfassend Reuter 2007, 56; Fischer 2012, 152–153 Abb. 182,7; 225. 109–111 (Eining); 109–111 (Künzing); 115–116 (Straubing); 30 Junkelmann 1996, 100–101, O 132; Gechter 2000, 265, 95–98 (Weißenburg). Abb.; Hanel/Rohnstock/Willer 2001/02, 9–11. 34 Ausführlich D. Planck, in: Planck (im Druck), auch zum Fol- 31 Zuletzt Bödecker/Gechter 2012, 33–34 (mit Literatur). genden. MARTIN LUIK Gesichtshelmfragmente vom Limestor bei Dalkingen, Gemeinde Rainau, Ostalbkreis 61

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CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 05 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 65

CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen

Fallbeispiele aus den Provinzen Germania inferior, Germania superior und Gallia Belgica sowie der Germania magna

Insbesondere durch die Grabungen der Reichs- Limeskommission ist aus den Kastellen des Obergermanisch-Raetischen Limes eine Vielzahl von bronzenen Statuenfragmenten seit langem bekannt. Einige der Bruchstücke weisen mit Res- ten von subarmalis oder pteryges prägnante Merkmale auf, die eine Ansprache der Figuren als Panzerstatuen ermöglichen. Auch in jüngerer Zeit wurden immer wieder Reste von Bronzesta- Abb. 1: Fundorte von tuen in Kastell- und Legionslagergrabungen ent- Großbronzenfragmenten deckt. Gleichfalls sind aus den zivil geprägten im Untersuchungsgebiet. archäologischen Stätten Überreste von Bronzefi- guren publik geworden. Die bisherigen Betrach- DER UNTERSUCHUNGSRAUM tungen zu den Statuen widmeten sich in der Re- Das gesamte Untersuchungsgebiet verläuft ent- gel entweder einem bestimmten Aspekt und/ lang der Grenze des römischen Imperiums von oder bezogen sich auf einen meist kleinräumigen der niederländischen Küste bis in den voralpinen geographischen Bereich. Ein genereller Über- Raum und erstreckt sich über die Provinzen Ger- blick sowie ein Vergleich zwischen zivilen, religi- mania inferior, Germania superior, Raetia, den ös geprägten und militärischen Kontexten fehl- östlichen Bereich der Gallia Belgica sowie Teile ten bislang. Diese Lücke wird nun durch das von der Germania magna (Abb. 1). der VolkswagenStiftung geförderte Forschungs- Beim Projektstart im Jahr 2010 umfasste nach da- projekt „Römische Großbronzen am UNESCO- maligem Kenntnisstand die geschätzte Anzahl an Welterbe Limes“ geschlossen. Als Projektpartner erhaltenen Statuenfragmenten in diesem Gebiet fungieren dabei das Archäologische Landes- rund 500 Objekte. Durch die systematische Auf- museum Baden-Württemberg, das Institut für nahme von Altfunden, die Identifizierung von bis- Archäologische Wissenschaften der Goethe-Uni- her unbekannten Bronzeobjekten in Depots, die versität Frankfurt am Main und das LVR-Landes- Verbreitung eines „Steckbriefes“ mit Bildern von Museum Bonn. Großbronzenschrott an Museen und Funddepots 66 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Saalburg in Form eines Barbaren, der ein Pferd führt, durch die Verwendung als Logo der Schrif- tenreihe „Saalburg-Jahrbuch“ einen hohen Be- kanntheitsgrad. In diesem Beitrag sollen derarti- ge Objekte weniger im Vordergrund stehen. Vielmehr liegt das Hauptaugenmerk auf den Frag- menten, die nicht so bekannt und zum Teil unpu- bliziert sind und/oder deren Identifizierung Schwierigkeiten bereitet.

FUNDSPEKTRUM UND FUNDKONTEXTE Die Statuenfragmente kamen sowohl als Einzel- funde wie auch als Teil größerer Fundgruppen zutage, die aus weit über 100 Einzelobjekten be- stehen können. Die Größe der einzelnen Frag- mente ist nicht einheitlich. Das Spektrum reicht von etwa 2 cm2 großen Objekten bis hin zu ganzen Körperteilen, wie etwa dem Fragment eines menschlichen Rückens in Lebensgröße aus Groß- Gerau.2 Die Fundkontexte mit Statuenresten sind sehr vielfältig (Tab. 1). Neben militärischen Kon- texten, wie Kastell, Legionslager oder Kastell- Abb. 2: Auszug aus einem Fundbuch der Grabungen der Reichs-Limeskommissi- vicus, lassen sich sehr viele zivile oder religiös ge- on auf der Saalburg; SA 47,36 (25. 9. 1901): „Nach Entfernung des Kirschbaumes prägte Stätten, wie urbane Siedlung, vicus, villa, vor der Porta dextra (nördlicher Thurm) kommen mehrere Sandsteinbruchstücke Heiligtum, Bestattung, Depot und Werkstätten zum Vorschein; anscheinend zu Deckelsteinen, Mühlsteinen u. a. gehörend dar- angeben. unter ein Keilstein des inneren? Bogens. Dabei lag auch das nebenan skizzierte Bronzestück; zweifellos ein Theil des Panzers von der großen Statue ...“ Tabelle 1: Fundkontexte und Beispiele zugehöriger Fundplätze. sowie durch Kontakt zu Privatsammlern und Fundkontext Fundplatz nicht zuletzt jüngere Ausgrabungen erhöhte sich die Fundanzahl drastisch. So sind aus dem Ar- Kastell Arnhem-Meinerswijk, Vechten, Saalburg … beitsraum nun rund 5000 Bronzestatuenfragmen- te aus über 130 Fundplätzen verzeichnet. Legionslager Bonn, Nijmegen Aufgrund seiner Größe wurde das Untersu- Flottenstützpunkt Naaldwijk (?) chungsgebiet für die archäologische Auswertung Kastellvicus Leiden-Roomburg in einen Nord- und einen Südbereich aufgeteilt. vicus Hinzerath, Naaldwijk (?) Die Grenze zwischen den beiden Arbeitsräumen (Urbane) Siedlungen Oppidum Batavorum, Forum Hadriani … ist eine künstlich definierte Linie, die weder mit historischen noch aktuellen Verwaltungsgrenzen villa Ewijk, Kasel, Konz korrespondiert. Sie verläuft entlang einer relativ Heiligtum Cuijk, Empel, Nijmegen-Maasplein, fundleeren Zone zwischen Pfälzer Wald und Tawern, Kalkar … Mainlinie und ermöglicht eine Aufteilung des Ge- Sepulkraler Kontext Nijmegen-Terrain Eisengießerei, samtraumes in zwei etwa gleich große Arbeitsbe- Duppach-Weiermühle reiche. Im vorliegenden Beitrag steht das nördli- Depot Nijmegen-Hessenberg, Groß-Gerau … che Arbeitsgebiet im Fokus, das bei derzeitigem Spätantike Handwer- Wijchen-Tienakker, Hambacher Forst Stand 91 Fundplätze mit rund 1300 Statuenfrag- kerplätze menten beinhaltet. Einige der Großbronzenfrag- (Siedlungs-)funde in Leeuwarden, Stiens, Borken … mente sind der Fachwelt und dem breiten der Germania magna Publikum bereits seit den Grabungen der Reichs- Limeskommission bekannt und werden gerne als Ein Großteil der Statuenfragmente sind Altfunde, repräsentative Objekte in Ausstellungen gezeigt viele davon darüber hinaus Lesefunde, so dass ihr und in Publikationen abgebildet.1 So erreichte Fundzusammenhang unbekannt ist. Zu einigen etwa eine Applikation einer Panzerstatue von der Altgrabungen existieren hingegen Fundbücher CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 67

Abb. 3: Verbreitung der in den Fundbüchern verzeichneten Bronze- statuenfragmente auf der Saalburg. wie beispielsweise von den Ausgrabungen der Durch diese Einträge lassen sich partiell Funde Reichs-Limeskommission. Die Einträge sind in ih- kartieren (Abb. 3). Daneben existiert jedoch eine rem Umfang sehr unterschiedlich und nur selten große Anzahl von Objekten aus Altgrabungen, so detailliert wie in einigen Fundbüchern der Saal- die vermutlich als zu unscheinbar angesehen und burg-Grabungen, in denen teilweise einzelne Fun- daher nicht im Fundbuch vermerkt wurden. de und ihre Fundstellen aufgeführt sind (Abb. 2).

1 Stellvertretend dafür beispielsweise: Kemkes/Sarge 2009. 2 Wenzel 2002. – Sarge u. a. 2011, 81 Abb.8. 68 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 4: Fragment mit Haarlocken von der Saal- burg, vermutlich Teil des Schambereiches in ver- 0 5 10 cm 012 345 cm schiedenen Ansichten.

0 10 20 30 cm

Abb. 5: Linke, leicht überlebensgroße Hand aus Leiden-Roomburg in verschiedenen Ansichten.

a b c

0 10 20 30 cm 0 10 20 30 cm 0510 cm

Abb. 7a: Arm einer Knabenfigur aus Naaldwijk. Abb. 6: Weit überlebensgroße Hand einer Abb. 7b: Knabenarm von Naaldwijk mit angepassten Fingern. Statue aus Naaldwijk. Abb. 7c: Rekonstruierte Ausrichtung von Arm und Hand der Knabenfigur aus Naaldwijk. CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 69

FALLBEISPIELE – OBJEKTE IN Finger sind leicht geknickt. Die Krümmung der UNTERSCHIED LICHEN FUNDKONTEXTEN Finger, Reste von Weichlot in Form eines großen Kastell Saalburg Bleiklumpens auf der Handfläche sowie ein Die ikonographische Bestimmung der kleinen Loch in der Wandung auf der Innenseite des Un- Statuenfragmente ist in der Regel nicht einfach. terarmes legen nahe, dass ursprünglich ein Insbesondere ihre Kleinteiligkeit und die da- längliches Attribut in der Hand lag. Ob es sich durch erzwungene detaillierte Ausschnittsbe- dabei um einen stabförmigen Gegenstand oder trachtung lassen die Fragmente teilweise auf ein Schwert handelte, ist schwer zu beantwor- den ersten Blick regelrecht kurios wirken. Bei- ten, da sich für jede Variante Vergleichsbeispie- spielhaft sei an dieser Stelle eines der insgesamt le finden. Die leicht zur Handkante hin positio- 117 Fragmente von der Saalburg herausgegrif- nierten Weichlotreste sowie die Lage des Loches fen (Abb. 4). auf dem Unterarm jedoch sprechen für ein Das Bruchstück besitzt ein L-förmiges Profil Schwert als Attribut, welches auf dem Unter- und läuft zu einer Seite hin spitz zu. Etwa auf arm ruhte und zur Spitze hin zwischen Ober- der Hälfte der Oberfläche zeichnen sich volumi- arm und Torso weiterverlief. nöse Haarsträhnen bzw. Locken ab, die zweite Partie ist glatt. An einem Rand hat sich, wie Statuenreste aus Naaldwijk – vicus und deutlich durch seine glatte Struktur erkennbar, möglicher Flottenstützpunkt an der fossa ein originaler Gussrand erhalten, die übrigen Corbulonis Fragmentränder sind abgebrochen. Die aus Die jüngsten Grabungen im niederländischen mehreren einzelnen Gussteilen bestehenden Naaldwijk5 belegen eine mehrphasige Besied- Statuen brechen bei ihrer Zerstörung, z. B. lung des Areals von der Mitte des 1. Jahrhun- durch stumpfe Gewalt, häufig entlang der Guss- derts n. Chr. bis um 300 n. Chr. Eine Konzentrati- verbindungen. Die recht markante Form dieses on von gestempelten Ziegeln sowie eine Fragmentes von der Saalburg gibt einen Hin- Bronzeinschrift mit der Nennung der römi- weis auf eine denkbare Verortung. Mit dem schen Flotte classis Germanica als Stifter lassen Gussrand, der spitz zulaufenden Grundform die Ausgräber vermuten, dass sich hier neben und der Haardarstellung liegt wahrscheinlich einer Siedlung ein Flottenstützpunkt befand. der Randbereich einer Pubes vor. Bei den meis- Die strategisch günstige Lage zu der in der Nähe ten Statuen wurde der Schambereich entweder befindlichen Maasmündung und der fossa Cor- zusammen mit einem Bein gegossen oder sepa- bulonis unterstützen diese These. rat gefertigt und eingesetzt.3 Bereits bei Grabungen im Jahr 1933 6 fand man die Reste einer mit 26 cm Länge weit überle- Kastellvicus Leiden-Roomburg bensgroßen rechten Hand (Abb. 6). Das hohl ge - Auch bei der Hand aus Leiden-Roomburg in den gossene Statuenfragment fällt durch seine ge- Niederlanden handelt es sich um einen Altfund ringe Wandungsstärke auf. Obwohl sich Adern (Abb. 5). Als Fundstelle wird lediglich der süd- auf dem Handrücken abzeichnen, wirkt die Ge- westliche Randbereich des Kastellvicus angege- samtgestaltung vergleichsweise schlicht. Die ben.4 Ob der ursprüngliche Aufstellungsort der Finger und besonders der Daumen sind sehr Statue im Vicusbereich oder dem Kastell zu su- rund und lediglich die Fingerspitzen detaillier- chen ist, muss leider offenbleiben. Die vorliegen- ter ausgeführt. Die Krümmung der Finger und de linke Hand ist leicht überlebensgroß und bis eine halbrunde Vertiefung in der Handinnenflä- zur Hälfte des Unterarmes erhalten. An der che deuten darauf hin, dass die Hand einst einen Bruchkante zeichnen sich Überreste des ur- stabförmigen Gegenstand umschloss. sprünglichen Gussrandes ab. Auffallend sind In Rahmen von Bauarbeiten fanden unweit des die langen, schmalen Finger, besonders ausge- Fundplatzes in den vergangenen Jahren weitere prägt am Daumen. Der Übergang vom Handrü- Grabungstätigkeiten statt, während derer rund cken zum Unterarm ist annähernd gerade, die 40 Bronzestatuenfragmente entdeckt wurden.7

3 Ein ebenso separat gefertigtes Schamdreieck weist beispiels- Kempen 2005, 88–89. weise der Xantener Knabe auf, vgl. dazu Peltz/Schalles 2011, 5 de Bruin 2014. 40; 46 Abb. 17; 50 Abb. 24. 6 Holwerda 1936. 4 Brandenburgh/Hessing 2005, 38; Polak/van Doesburg/van 7 van der Feijst/de Bruin/Blom 2008. 70 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 8: Vergoldetes Gewandfragment aus Tongeren in Schräg- und Vorderansichten. 0 10 20 30 40 cm

0 10 20 30 cm

Abb. 9: Weit überlebensgroße Hand aus Voorburg in verschiedenen Ansichten.

0 5 10 cm Abb. 10: Kleiner Zeh einer deutlich überlebensgroßen Statue aus Voorburg, L. 6,1 cm. CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 71

Besonders bemerkenswert sind dabei die Funde falte entlang der linken Bruchkante verweisen von drei Fingern und einem Daumen, die an den auf eine gerundete Körperpartie der Statue, wie linken Arm einer Knabenfigur anpassen, der in beispielsweise in Höhe der Hüften oder des Ge- der Nähe der Untersuchungsfläche bei Bauar- säßes. In diesem Fall könnte der von der Vergol- beiten in einem Kanal zutage gekommen ist dung freigelassene bogenförmige Bereich von (Abb. 7). Der Arm ist leicht angewinkelt, der einem Gewandbausch oder dergleichen über- Daumen gestreckt und die Finger sind leicht ge- deckt gewesen sein. bogen. Aufgrund der Größe des Armes lässt sich für die Statue eine Gesamthöhe von rund Voorburg – Forum Hadriani 110 cm rekonstruieren. Armhaltung und Stel- Die älteste Fundmeldung eines Großbronzefrag- lung der Finger finden gute Parallelen in der mentes im Untersuchungsgebiet ist von 1521 und Gruppe der sogenannten Geräte-Skulpturen, zu stammt aus dem niederländischen Voorburg aus denen auch der berühmte Xantener Knabe ge- dem Bereich des antiken Ortes Forum Hadria- hört8. Möglicherweise liegt mit dem Arm aus ni.10 Benannt wird darin ein heute leider nicht Naaldwijk ein weiteres Beispiel für einen „Stum- mehr erhaltenes Fußfragment. 1771 entdeckte men Diener“ vor. man zufällig bei Arbeiten auf einem Landgut ei- nen weiteren Teil einer Bronzestatue in Form ei- Funde aus Tongeren – ner annähernd 30 cm langen Hand, die massive das antike Atuatuca Tungrorum Zerstörungsspuren durch stumpfe und scharfe Als Beispiel für eine urbane Siedlung mit Über- Gewalteinwirkung aufweist (Abb. 9). resten von Bronzestatuen sei an dieser Stelle auf Während der ersten systematischen Ausgra- Tongeren in Belgien verwiesen, das im 2. Jahr- bungen in Forum Hadriani im Jahr 1827 fand hundert n. Chr. zum municipium ernannt wur- man ein weiteres Fragment. Es handelt sich da- de.9 Die wenigen bekannten Funde können auch bei um einen Zeh, der bislang in der Literatur hier in ihrem Befundzusammenhang leider nur als linker großer Zeh einer Statue angespro- grob eingeordnet werden, da sie im Rahmen chen wurde.11 Die Ausführung des 6,1 cm langen von Baumaßnahmen entdeckt wurden. Neben Zehfragmentes spricht jedoch eher für den einem kleinen, massiven unbestimmten Bruck- rechten kleinen Zeh einer deutlich überlebens- stück, zwei Fingern einer Statue und einem großen Statue (Abb. 10). Aufgrund ihrer forma- Fußfragment beeindruckt in erster Linie ein len Merkmale können Zeh und Hand zwei un- über 30 cm breites Gewandfragment (Abb. 8). terschiedlichen Statuen zugeschrieben werden. Aufgrund seiner leicht konvexen Wölbung und Ob der bereits 1521 gefundene Fuß Teil einer des Faltenverlaufes wurde das Bruchstück bis- dieser beiden Figuren war oder zu einer dritten her in der Forschung als zum Brustbereich einer Statue gehörte, muss offenbleiben, da über des- Togastatue gehörig interpretiert. Auffällig an sen Aussehen nichts bekannt ist. diesem Fragment ist, dass die Vergoldung be- reits bei der Herstellung im oberen Teil bogen- Cuijk – Ceuclum förmig ausgespart wurde. Stellenweise ist an Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhun- der Grenze der Vergoldung ein leicht erhabener derts fanden in Cuijk in der Provinz Nordbrabant Rand erkennbar. Die darüberliegende Partie be- in den Niederlanden archäologische Ausgrabun- sitzt eine wesentlich rauere Oberflächenstruk- gen an zwei annähernd quadratischen gallo-rö- tur. Dies deutet darauf hin, dass in diesem Be- mischen Umgangstempeln statt.12 Innerhalb der reich ein anderer Teil der Statue auflag und Mauerreste des westlichen Tempels befanden somit eine feine Ausarbeitung der Oberfläche sich unter den Funden ein großes (Abb. 11) und und eine Vergoldung überflüssig waren, da der fünf kleine aneinanderpassende, sichtlich von Bereich durch den Betrachter nicht einsehbar Feuer beschädigte Fragmente einer Bronzesta- war. Die konvexe Grundform, der teilweise ge- tue. Durch das Feuer und die damit verbundene genläufig bogenförmige Faltenwurf des Gewan- Hitze verformte sich das große, ursprünglich U- des und der Ansatz einer senkrechten Gewand- förmige Statuenfragment und sackte flach in

8 Peltz/Schalles 2011. de Jong/Bazelmans/de Jager 2006; Buijtendorp 2010. 9 Mit weiterführender Literatur: Sarge/Van den Vonder 2014. 11 de Jong/Bazelmans/de Jager 2006, 302. 10 Umfassend zu Forschungsgeschichte und bisherigen Ergebnissen: 12 Bogaers 1966, 126. 72 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 11: Deutlich durch Feuer ge- zeichnetes Statuenfragment aus 0 10 20 cm Cuijk in verschiedenen Ansichten.

0 10 20 cm

Abb. 12: Finger unterschiedlich großer Statuen aus dem Tempelbezirk vom Kalkarberg. CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 73

sich zusammen. Es kam letztendlich zu einer Veränderung der gesamten Gefügestruktur der Bronze. Besonders an den Bruchkanten ist dies durch eine rotbraune Verfärbung des Materials erkennbar. Die Oberfl ächen sind stark verkrus- tet. Stellenweise führte die Hitze zu tropfenför- migen Ausschmelzungen. In Bezug auf die Lo- kalisierung der Fragmente innerhalb der ursprünglichen Statue gibt es mehrere Möglich- keiten. Es könnte sich z. B. um die Schulterpar- tie oder um den Kniebereich einer sitzenden, mindestens lebensgroßen Statue handeln.

Ein Tempelbezirk für Vagdavercustis bei Kalkar Mit der Vorlage seiner über Jahre gesammelten 0 10 20 cm Bunt- und Edelmetallfunde beim LVR-Amt für Bodendenkmalpfl ege im Rheinland gab 1999 ein Abb. 13: Fragment einer leicht überlebensgroßen weiblichen Brust mit Gewandfalten Sondengänger den Startschuss für umfangrei- aus dem Tempelbezirk vom Kalkarberg. Seiten-, Vorder-, Rückansicht und Aufsicht. che Forschungen auf dem Kalkarberg bei Kal- kar, Kreis Kleve. Die Untersuchungen erbrach- ten den Nachweis für einen mehrphasigen Tempelbezirk, der durch die Auffi ndung eines Inschriftenfragmentes mit einer Weihung für Vagdavercustis dieser einheimischen Kriegsgöt- Abb.14: Eine Gruppe von tin zugewiesen werden kann.13 Anhand der Fragmenten aus dem Münz- und Fibelfunde lässt sich die Nutzung des Tempelbezirk vom Kalkar- Heiligtums von der mittelaugusteischen Zeit bis berg zeigt eine Art Netz- in das letzte Drittel des 4. Jahrhunderts belegen. struktur mit eingetieften Der Großteil des Fundmaterials stammt aus Vierecken. Möglicherwei- dem Umfeld des gallo-römischen Umgangstem- se Teil einer Gewanddar- pels. Viele der Funde wie beispielsweise Frag- stellung. mente von Schienenpanzern oder Reiterhelmen 0 10 20 cm besitzen einen militärischen Bezug, was den kriegerischen Charakter der Göttin unter- chen Torsos mit Gewandfalten (Abb. 13). In den streicht. Zu dem vielfältigen Fundspektrum vergangenen Jahren wurde dieses Objekt als zählen auch 110 Großbronzenfragmente mit ei- Schulterfragment gedeutet.14 Aufgrund der all- nem Gesamtgewicht von rund 3,5 kg. Unter den gemeinen Ausformung, der Reste zweier Über- überwiegend blattvergoldeten Statuenteilen gänge zum Brustkorbbereich sowie des Falten- fallen besonders die unterschiedlichen Finger- wurfes des Gewandes ist jedoch eine Ansprache fragmente auf (Abb. 12). Aufgrund ihrer hand- als weibliche Brust vorzuziehen. Möglicherwei- werklichen Charakteristika lassen sich mindes- se liegt damit die erste bekannte Statue der tens drei, wahrscheinlich sogar vier Statuen Vagdavercustis vor. rekonstruieren, die im Tempelbezirk aufge- Bisher singulär im gesamten Arbeitsgebiet ist stellt waren, eine lebensgroße, eine leicht unter- eine Gruppe von Fragmenten mit der Darstel- lebensgroße und eine kleine Figur, die rund lung einer Art Netzstruktur mit eingetieften 80 cm groß war. Ein Daumen und ein Finger Vierecken (Abb. 14). Ihre Form reicht von annä- könnten zu einer vierten, leicht überlebens- hernd quadratisch bis hin zu rhombisch. Man- großen Statue gehören. Möglicherweise stehen che dieser Fragmente wirken in sich leicht ge- diese im Zusammenhang mit dem ebenfalls schwungen. Gegebenenfalls könnte es sich leicht überlebensgroßen Fragment eines weibli- dabei um die Darstellung von Stoff handeln,

13 Obladen-Kauder/Willer 2007; Bödecker 2010; 14 Obladen-Kauder/Willer 2007, 290; Bödecker 2010, 16. Bödecker/Sarge 2014. 74 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

vergleichbar mit dem netzartigen Gewand ei- ner trauernden weiblichen Figur auf der be- kannten Schrankenplatte aus Mainz.15 15 Statuenfragmente aus römischen Villen Seltenheitswert im Untersuchungsgebiet besit- zen Funde von Statuenüberresten aus römi- schen Villen. Umso bedauerlicher ist es, dass es sich bei solchen Objekten nur um Lesefunde handelt, wie beispielsweise dem Stück aus dem Bereich der Villa von Ewijk, ca. 11 km nordwest- lich von Nijmegen gelegen. Der Statuenteil zeigt Reste von Vergoldung, ist schwach U-förmig ge- bogen und relativ dickwandig (Abb. 15). Mut- maßlich handelt sich um ein Körperfragment, 16 eine genauere Ansprache ist nicht möglich.

Gräberfeld von Ulpia Noviomagus in Nijmegen Im zwischen 80 und 100 n. Chr. zu datierenden Grab 16 des Gräberfeldes der Siedlung Ulpia No- viomagus in Nijmegen lag neben einer Vielzahl an Keramik- und Glasbeigaben auch ein bronze- nes Fingerfragment (Abb. 16). Dieses weist eine starke Brandschädigung auf, die eine Stuktur- veränderung der Bronze sowie eine deutliche 17 Aufrauung der Oberfläche zur Folge hatte. In der Literatur wird der Finger auch als linker Daumen angesprochen. Die Gestaltung der Fin- gerkuppe lässt aber auch die Interpretation ei- nes Mittel- oder Ringfingers zu. Die Ausgräbe- rin sieht den Finger als Statuenfragment an, dem eventuell eine Funktion als Amulett zuge- sprochen wurde.16 Der Finger könnte anderer- seits ebenso zu einer Daumenrast eines Kruges z. B. vom Typ Eggers 122/Typ TKF bzw. einer Kanne vom Typ Eggers 123 gehören oder auch zu einer anderen Gerätschaft. Aufgrund seines schlechten Erhaltungszustandes und der ein- maligen Fundsituation ist eine eindeutige Inter- pretation nicht möglich.

0 1 234 5 cm Wijchen-Tinakker – spätantike Metallverarbeitung In Wijchen-Tinakker in der Provinz Gelderland Abb. 15: Vergoldetes Statuenfragment aus der Villa von Ewijk; an in den Niederlanden zeigten sich während einer der unteren Bruchkante befindet sich eine antike Reparaturstelle, archäologischen Ausgrabung in unmittelbarer das einstige Flickplättchen ist ausgefallen. Nachbarschaft zu einer römischen Villa Spuren von Metallverarbeitung aus dem 4. bis 5. Jahr- Abb. 16: Fingerfragment aus Nijmegen. hundert. Hier wurde Bronzeschrott zerkleinert und recycelt. Unter den Funden sind auch ein- Abb. 17: Detailaufnahme eines Statuenfragmentes mit Reparatur- zelne Statuenfragmente und Flickbleche von spuren aus Wijchen-Tinakker (obere Bildkante beschnitten). Großbronzen. Eines dieser Fragmente zeigt Spuren einer Reparaturtechnik, die im Rahmen des Großbronzenprojektes erstmals großflä- CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 75

chig an den provinzialrömischen Statuen beob- achtet werden konnte (Abb. 17). Bei dieser Form der Reparatur wurden die Flickplättchen nicht allein in Vertiefungen eingesetzt, sondern zu- sätzlich mithilfe von Nieten an der Statuenwan- dung befestigt.

Statuenfunde im Bereich der Germania magna Auch außerhalb des römischen Imperiums fi n- den sich gelegentlich Statuenfragmente, wie das Fallbeispiel Leeuwarden zeigt. Vor wenigen Jah- ren wurde in einer Schicht des 3. Jahrhunderts ein Objekt gefunden, bei dem es sich möglicher- weise um den Daumennagelbereich einer Sta- tue handelt. Leider dokumentierte man den Fund nur knapp und bewahrte ihn nicht weiter auf.17 Interessanterweise wurde bereits Jahr- zehnte zuvor nur rund 8 km davon entfernt zu- fällig in einer Wurt bei Stiens die Hand einer Statue geborgen (Abb. 18). An der linken, leicht überlebensgroßen Hand sind allein der Ring- und der kleine Finger erhalten, beide gekrümmt dargestellt. Auf der Oberfl äche zeichnen sich überall Spuren von Hitzeeinwirkung und Ver- tiefungen auf der Bronzeoberfl äche ab. Diese können verschiedene Ursachen haben. Die run- den Vertiefungen an den Fingerspitzen entste- hen gelegentlich bei Gussfehlern, wenn die Form nicht vollständig mit Bronze ausgefüllt ist bzw. sich diese beim Abkühlen leicht zurück- zieht. Sie können aber auch auf einen Brand im Zusammenhang mit der Zerstörung der Statue zurückzuführen sein.

ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN Aufgrund der meist geringen Größe der Frag- mente können nur in Ausnahmefällen stilisti- sche Merkmale zur chronologischen Einord- nung herangezogen werden. Im Gegensatz zu den in den Kastellen des Obergermanisch-Rae- tischen Limes zahlreichen Inschriften auf Statu- ensockeln des 2. und 3. Jahrhunderts18 sind im nördlichen Untersuchungsraum Inschriften im Zusammenhang mit den Bronzefunden sehr rar. Viele kleinteilige Fragmente stammen zu- 0 5 10 cm dem aus einem metallverarbeitenden Zusam- menhang des 3. bis 5. Jahrhunderts oder aus De- Abb. 18: Hand aus einer Wurt bei Stiens in verschiedenen Ansichten. pots und geben damit weder einen Hinweis auf

17 Dijkstra/Nicolay 2008 – freundlicher Hinweis auf den Fund 15 Selzer 1988, 239 Nr. 260. durch St. Hoss. 16 Koster 2010, 50–52 Nr. 18; 255. 18 Kemkes 2008, 144;146; Kemkes 2014. 76 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

die ursprünglichen Aufstellungsorte der Statu- schen Bereich fehlen entsprechende Bronzen en noch auf deren Datierungen. Hinzu kommt hingegen weitgehend. Das anhand von Glied- eine enorme Anzahl von Lese-, Zufalls- und Alt- maßen und anatomisch spezifischen Fragmen- funden, die gleichfalls keine präzisen chronolo- ten bestimmbare Größenspektrum der Statuen gischen Hinweise liefern. Sie stammen teilweise im nördlichen Arbeitsgebiet ist breit gefächert: aus Bereichen archäologischer Stätten, die von 19 % der Statuenfunde sind unterlebensgroß, der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis ins 36 % lebensgroß, 33 % leicht überlebensgroß und 5. Jahrhundert n. Chr. bestanden. Trotz der Da- 12 % mit über 3 m Höhe weit überlebensgroß. tierungsschwierigkeiten im Einzelnen lassen Die trotz des Recyclings überraschend zahl- sich jedoch allgemeine Aussagen treffen. reich erhaltenen Fragmente zeigen die große Das zeitliche Aufkommen von Großbronzen Verbreitung und den hohen Stellenwert der geht mit der römischen Okkupation und dem Bronzestatuen in den untersuchten Gebieten Romanisierungsprozess einher. Mit dem Bau des römischen Imperiums. Sie stellen trotz oder von Städten, vici, Villen, Heiligtümern und Mili- gerade wegen der aktuell noch vielen offenen täranlagen nach römischem Muster begann Fragen ein vielversprechendes Forschungsfeld man auch den öffentlichen und privaten Raum dar. mit Statuen auszustatten. Eindrucksvoll ist dies beispielsweise an den qualitätvollen Bronze- fragmenten des Forums der Zivilsiedlung von Lahnau-Waldgirmes zu sehen, wo bereits um die Zeitenwende mindestens eine, vielleicht so- gar fünf Großbronzen standen.19 In der Folge wurden bis in die spätrömische Zeit Bronzestatuen aufgestellt. Dafür stellt u. a. die Ausstattung der Trierer Kaiserthermen einen anschaulichen Beleg dar. Bei der statistischen Auswertung zeichnet sich ein Zusammenhang zwischen dem Aufstel- lungskontext und der Oberflächenbehandlung der Bronzestatuen ab. Deutlich erkennbar ist Claudia Sarge M.A. dies beispielsweise an dem Vorkommen von Goethe-Universität Frankfurt vergoldeten Statuenfragmenten: etwa ein Vier- Institut für Archäologische Wissenschaften Abt. II tel der Fragmente aus zivilen Siedlungskontex- Grüneburgplatz 1 ten und mindestens ein Drittel der Fragmente 60629 Frankfurt/Main aus Heiligtümern sind vergoldet, im militäri- [email protected]

19 Rasbach 2014. CLAUDIA SARGE Laufende Untersuchungen zu römischen Großbronzen in zivilen und militärischen Zusammenhängen 77

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JENNIFER SCHAMPER Zur Ikonographie verzierter Ausrüstungsgegenstände Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 06 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 JENNIFER SCHAMPER Zur Ikonographie verzierter Ausrüstungsgegenstände 79

JENNIFER SCHAMPER Zur Ikonographie verzierter Ausrüstungsgegenstände

EINLEITUNG den nach Haupt- und Nebenmotiven und nicht Für die Dekorationselemente auf verzierten nach Themen unterteilt. Das bedeutet, dass Büs- Ausrüstungsgegenständen sowie auf den Ob- ten und Ganzkörperdarstellungen gesondert jekten, die der sogenannten „Paraderüstung“ aufgenommen werden, auch werden sitzende zugerechnet werden, erarbeitete E. Künzl be- von stehenden Figuren getrennt. Die Unter- reits 2004 eine Zusammenstellung der Themen scheidung von Haupt- und Nebenmotiven ge- und wertete diese statistisch aus.1 Angesichts schieht anhand der Größe und Position auf den zahlreicher Neufunde sowie weiterer Stücke Objekten, wobei die Position die wichtigere Rolle aus dem Kunsthandel scheint eine Neubearbei- einnimmt. Nach Analyse der in Frage kommen- tung heute nötig. den Ausrüstungsgegenstände sind insgesamt 86 Im Rahmen meines Dissertationsprojektes an Haupt- und 101 Nebenmotive vorhanden. Die der Universität zu Köln2 soll u. a. die Ikonogra- Häufigkeit, in der diese auftreten, ist sehr unter- phie aller verzierten Ausrüstungsgegenstände schiedlich. Bildinhalte der Hauptmotive wieder- erneut betrachtet und ausgewertet werden.3 holen sich natürlich auch bei den Nebenmotiven. Künzl fasste in seiner Untersuchung Bilder des- Nach Entfernen der Doppelungen bleiben 138 selben Inhaltes, d. h. Büsten, Ganzkörperdar- verschiedene Motive auf Helmen, Beinschienen, stellungen, sitzende und stehende Figuren, un- Rossstirnen, Brustschließblechen sowie Medail- ter einem Thema zusammen. So kommt er zu lons bzw. Schildbuckeln. Ob angesichts dessen dem Ergebnis, dass der Kriegsgott Mars als häu- noch von einem beschränkten Bilderrepertoire figstes Thema erscheint, gefolgt von der Kriegs- gesprochen werden kann, wie z. B. L. Borhy es göttin Minerva, der Schlange und dem Adler. Im tut,4 ist zu hinterfragen. Natürlich gibt es einige Gegensatz zu dieser Auswertung werden in der Motive, die, wie später gezeigt wird, bei den Sol- neuen Untersuchung die Bilder auf den insge- daten besonders beliebt waren, doch findet sich samt ca. 300 verzierten Ausrüstungsgegenstän - auch eine Reihe von singulären Darstellungen. 5

1 Künzl 2004, 398–406. Schwert bewaffnung durch C. Miks 2007 und der Gürtel 2 Titel: „Studien zu Paraderüstungsteilen und anderen durch S. Hoss 2014 erfolgt ist. verzierten Waffen der römischen Kaiserzeit“. 4 Borhy 1994, 145. 3 Darstellungen auf Angriffswaffen und Gürtelblechen 5 Auf einer Beinschiene aus Fort Louis (F) ist eine Szene darge- werden hier nur als Vergleichsbeispiele herangezogen, stellt, die Aeneas zeigt, wie er seinen Vater Anchises auf dem da eine ausführliche Gesamtdarstellung der römischen Rücken aus Troja trägt. Vgl. Garbsch 1978, 81 (Q28) Taf. 38,5. 80 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 2

Abb. 1: Stierdarstellung auf dem Panzer- verschlussblech aus Mušov (CZ).

Abb. 2: Nachbildung des Maskenhelmes aus Ribchester (GB).

Abb. 3: Maskenhelm Abb. 3 aus Vize (TR).

HAUPT- UND NEBENMOTIVE stehen aus Eichen- oder Lorbeerblättern. Schil- Bei den Hauptmotiven ist der Adler 45 Mal und de, meist in gekreuzter Form, sind 45 Mal als Ne- somit am häufi gsten nachgewiesen. Er wird als benmotiv nachgewiesen, Köpfchen insgesamt Symbol für Jupiter verstanden. Mit einer Dar- 25 Mal und Seemischwesen kommen 21 Mal vor. stellung des Adlers auf der eigenen Ausrüstung stand man also unter dem Schutz des Gottes. DEUTUNGSVERSUCH Zweithäufi gstes Motiv ist die Büste der Göttin Insgesamt überwiegen die Motive, die einen di- Minerva mit insgesamt 29 Beispielen. Dass es rekten Bezug zu Krieg und Militär aufweisen. sich bei den Büsten um Minerva handelt, ist in Mars und Minerva in verschiedenen Ausfüh- den meisten Fällen an der aegis zu erkennen. 23 rungen, die in ihrer Rolle als Kriegsgötter den Mal ist das Motiv der Schlange zu fi nden, die in Weg auf die Objekte fanden, dominieren inner- der Antike als Glückssymbol galt. An vierter halb der Götterdarstellungen. Dass Mars in al- Stelle der häufi gsten Hauptmotive steht die ge- len Darstellungen, ob als Büste oder in den Vari- panzerte Figur des Mars. Diese ist mit Sicher- ationen der Ganzkörperdarstellungen, bartlos heit 19 Mal nachgewiesen, darauf folgt mit 17 erscheint,6 mag auf den ersten Blick verwun- Darstellungen die Büste des Mars. Die Deutung dern, ist jedoch nicht unüblich. Diese Darstel- in der Funktion als Kriegsgott ist gesichert. lungsweise entspricht dem „gallo-römischen Auch bei den Nebenmotiven kommt der Adler Typus (Typus I)“ nach S. Hobbold,7 entspre- am häufi gsten vor. Er ist insgesamt 72 Mal zu chend der Typeneinteilung römischer Bron- fi nden. Das Kranzmotiv ist 54 Mal dargestellt, zestatuetten. Statuetten des Typus I weisen als wobei 32 Exemplare auf eine Verbindung mit Hauptcharakteristika neben der Bartlosigkeit Adler oder Victoria entfallen. Einige Kränze be- die Nacktheit und den korinthischen Helm auf. 8 JENNIFER SCHAMPER Zur Ikonographie verzierter Ausrüstungsgegenstände 81

Bei den unbärtigen, aber voll gepanzerten Zwei Mal finden sich Motive, die explizit als mi- Marsmotiven handelte es sich um eine provinzi- litärische Auszeichnungen angesprochen wer- elle Modifikation9 des augusteischen Figurenty- den. Der Helm von Ribchester (Abb. 2) besitzt pus des Mars Ultor.10 eine corona muralis,17 der Helm aus Vize (Abb. 3) Die Siegesgöttin Victoria ist, neben Mars und Mi- trägt auf seiner Kalotte einen Eichenkranz, der nerva, das am häufigsten gewählte Götterbild. als corona civica angesprochen wird18 und eben- Der Adler galt nicht nur als Symboltier Jupiters, falls ein Geschenk für eine besondere Leistung sondern auch als Zeichen der Macht, des Feld- darstellte.19 herrn und des Krieges,11 stand also in direkter Es ist nicht möglich, eine Deutung für alle vor- Verbindung mit dem Krieg, was eine Verwen- kommenden Motive zu finden. So ist nicht be- dung des Motivs auf Ausrüstungsgegenständen kannt, wen die weiblichen und männlichen Büs- nur allzu verständlich macht. Diese Darstellun- ten und Figuren darstellen sollten. Ebenso kann gen finden sich ohne besonderen Schwerpunkt nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die klei- auf allen Objekttypen wieder. Die Dioskuren als nen Köpfchen, die häufig als Windgötter inter- Beschützer der Reiterei waren ebenfalls ein be- pretiert werden,20 auch wirklich als solche gese- liebtes Motiv, besonders auf verzierten Reiterhel- hen wurden, oder ob sie eine ganz andere, uns men, Rossstirnen und Brustschließblechen.12 unbekannte Funktion erfüllten. Auch die Staatsreligion sowie die Jenseitsvorstel- lung der römischen Zeit wurden auf den Ausrüs- ÜBERLEGUNGEN ZUR AUSWAHL DER MOTIVE tungsgegenständen thematisiert. Motive wie die Bei den reich verzierten Ausrüstungsgegen- Lupa Romana/Capitolina13 oder Ganymed14 fin- ständen handelte es sich den angebrachten In- den sich in der hier vorgestellten Bilderwelt. Auf schriften nach sicher um Privatbesitz. 21 Es er- dem Brustschließblech aus Mušov (Abb. 1) ist ein scheint daher logisch, dass die Soldaten, die Stier in seiner Funktion als Symboltier einer Le - diese Stücke kauften, die Motive zumindest in gion zu erkennen, der zusammen mit der In- einem gewissen Rahmen selbst auswählten. schrift einer bestimmten Einheit zugewiesen Falls die Objekte mehrere Besitzer hatten, wo- werden kann.15 Weitere Beispiele für die Darstel- rauf Inschriften auf einigen Ausrüstungsgegen- lung von Symboltieren verschiedener Legionen ständen hindeuten,22 hatte der neue Eigentü - sind bekannt.16 mer natürlich keinen Einfluss auf die Motive.

6 Eine mögliche Ausnahme bildet die Darstellung eines sitzen- 15 Vgl. für das Blech aus Mušov: Tejral 1992, 395 Abb. 12,2. den Mars auf einem Schildbuckel aus Kirkham (GB). Hier ist Dargestellt sind ein Stier sowie die Inschrift LEG X, weshalb aufgrund des Erhaltungszustandes nicht erkennbar, ob der davon auszugehen ist, dass das Blech einem Angehörigen Gott bärtig oder bartlos dargestellt ist. Vgl. Nabbefeld 2008, der legio X Gemina gehörte. 212–213 (Kat.-Nr. 453) Taf. 54. 16 Zum Beispiel Brustschließbleche: Orgovány, vgl. Garbsch 7 Hobbold 1995, 49. 1978, 77 (P7) Taf. 34,2, Inschrift GEM, zusammen mit dem 8 Hobbold 1995, 49. Stier als legio X Gemina zu deuten; Ungarisches Nationalmu- 9 Die Manteldrapierung des Mars auf der Rossstirn aus Straubing seum, vgl. Junkelmann 1996 (P32) Abb. 137, Inschrift geht auf das Bildnis des Mars Ultor zurück. LEG XIIII GEM, für das fehlende untere Bildfeld kann ein Vgl. Garbsch 1978, 49 (B15) Taf. 4,1. An dieser Stelle möchte ich Capricorn, das Symboltier dieser Legion, rekonstruiert werden. Prof. Dr. D. Boschung (Köln) für hilfreiche Anmerkungen danken. 17 Diese wurde als Ehrengabe für die Erstürmung einer feind- 10 Boschung 2003, 10. lichen Mauer verliehen. Vgl. Maxfield 1981, 76 (Anm. 36). 11 Alexandrescu 2010, 203. 18 Maxfield 1981, 73–74. 12 Zum Beispiel Brustschließblech aus Lauriacum, vgl. Junkel- 19 Vgl. Maxfield 1981, 70. mann 1996, 98 (P42) Abb. 143; Rossstirn aus Straubing, vgl. 20 Zum Beispiel Stark 1876, 5. Er bezieht sich hier auf die Köpf- Garbsch 1978, 49 (B16) Taf. 4,2; Wangenklappe in Privatbe- chen, die auf dem Medaillon aus Schwarzenacker dargestellt sitz, vgl. Fischer 2012, 214 Abb. 314. sind. Das Hauptmotiv ist die Entführung des Ganymed durch 13 Zum Beispiel Brustschließblech aus Carnuntum, vgl. Garbsch den Adler, die Windgötter sollen symbolhaft für das Empor- 1978, 76 (P1) Taf. 35,1; Brustschließblech aus dem RGZM, heben des Jünglings stehen. vgl. Künzl 2004, 389–394 Abb. 1–2. 21 Fischer 2012, 221. 14 Zum Beispiel Medaillon aus Schwarzenacker, vgl. Garbsch 22 Zum Beispiel auf drei Beinschienen aus dem Schatzfund von 1978, 83 (R1) Taf. 40; Rossstirn aus Straubing, vgl. Garbsch Straubing. Vgl. Keim/Klumbach 1951, 20–22 (Nr. 10–12) Taf. 1978, 49 (B21) Taf. 6,1. 14–15. 82 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

aus Straubing, sondern auch für andere Objekte. Besonders die singulär vorkommenden Bilder wie beispielsweise Aeneas und Anchises auf der Beinschiene aus Fort Louis (Abb. 4) oder die Ka- biren bzw. Donaureiter auf einer Beinschiene, die heute im RGZM aufbewahrt wird, 24 wurden sicher aus einem bestimmten Grund als Motiv gewählt. Womöglich spielte speziell in diesem Zusammenhang die Provenienz oder der ethni- sche und religiöse Hintergrund des Besitzers eine Rolle. Es fi ndet sich jedoch auch die Meinung, dass die Motivwahl nichts mit dem Soldaten zu tun hat, der die Stücke trägt, wie z. B. bei dem reich ver- zierten Helm aus Vize.25 Dies ist m. E. noch ein- mal zu überdenken. Gerade bei diesem einzig- artigen Exemplar erscheint eine solche Einschätzung nicht schlüssig. Manche Motive, wie z. B. die Symboltiere der Le- gionen, waren möglicherweise schon vor dem Kauf des Objektes auf diesem angebracht und wurden als eine Art Massenware produziert. Die Auswahl durch den Käufer, beeinfl usst durch seinen persönlichen Geschmack, erklärt einerseits sowohl die häufi g vorkommenden und deshalb zu jener Zeit sicherlich sehr belieb- ten Motive wie Mars, Minerva, Victoria oder den Abb. 4: Beinschiene mit Adler. Durch die Uniformität der Ausrüstung Bildszene „Aeneas und An- wurde das Gruppengefühl gesteigert. Anderer- chises“ aus Fort Louis (F). seits erklärt sie aber auch die singulären Motive wie Aeneas und Anchises. Der Käufer bzw. Trä- Auswahl und vor allem Anzahl der Motive hin- ger wollte sich aus der Masse abheben oder ver- gen vom Geschmack und der Kaufkraft des band etwas Persönliches mit diesem Motiv. Käufers ab. Auch die Zusammenstellung erfolg- te in den wenigsten Fällen themenbezogen, son- dern wahrscheinlich eher willkürlich. Ein Bei- spiel bietet eine Rossstirn aus dem Schatzfund von Straubing, die mit Motiven fast schon über- laden wirkt.23 Krieg und Sieg werden durch mehrere Darstellungen, sowohl von Mars als auch von Minerva und von Victoria themati- siert. Jupiter wird durch einen kleinen Adler re- präsentiert, die Jenseitsgedanken durch Gany- med und die Seemischwesen. Doch die Füllmotive scheinen völlig willkürlich gewählt Jennifer Schamper M.A. und zusammengestellt worden zu sein. Manche Universität zu Köln besaßen sicherlich eine gewisse Bedeutung für Archäologisches Institut den Käufer. Diese ist heute aber leider nicht Abt. Archäologie der Römischen Provinzen mehr für alle Motive nachvollziehbar. Dies gilt Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln nicht nur für die Füllmotive auf der Rossstirn [email protected]

23 Keim/Klumbach 1951, 24–25 (Nr. 15) Taf. 19; Garbsch 1978, 24 Künzl 2004, 395, Abb. 5. 10, Abb. 5 (B15). 25 Maxfi eld 1981, 74. JENNIFER SCHAMPER Zur Ikonographie verzierter Ausrüstungsgegenstände 83

LITERATURVERZEICHNIS Garbsch 1978 · J. Garbsch, Römische Paraderüs- Miks 2007 · C. Miks, Studien zur römischen tungen. Ausstellungskatalog Nürnberg und München Schwertbewaffnung in der Kaiserzeit. Kölner Studien Alexandrescu 2010 · C.-G. Alexandrescu, Blasmu- 1978/79. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühge- zur Archäologie der Römischen Provinzen 8 siker und Standartenträger im römischen Heer. Unter- schichte 30 (München 1978). (Rahden/Westf. 2007). suchungen zur Benennung, Funktion und Ikonogra- Hobbold 1995 · S. Hobbold, Das Bild des Mars. Nabbefeld 2008 · A. Nabbefeld, Römische Schilde phie (Cluj-Napoca 2010). Untersuchung zum römischen Kriegsgott (Bonn – Studien zu Funden und bildlichen Überlieferungen Borhy 1994 · L. Borhy, Gans oder Adler? Bemerkun- 1995). vom Ende der Republik bis in die späte Kaiserzeit. gen zu den Motiven römischer Paraderüstungen. In: Hoss 2014 · S. Hoss, Cingulum Militare. Studien Kölner Studien zur Archäologie der Römischen C. von Carnap-Bornheim (Hrsg.), Beiträge zu römischer zum römischen Soldatengürtel des 1. bis 3. Jh. n. Chr. Provinzen 10 (Rahden/Westf. 2008). und barbarischer Bewaffnung in den ersten vier nach- Dissertation Universiteit Leiden 2014 (Druck in Vor- Stark 1876 · B. Stark, Drei Metallmedaillons rheini- christlichen Jahrhunderten. Akten des 2. internationa- bereitung). schen Fundorts. Bonner Jahrbücher 58, 1876, 1–56. len Kolloquiums in Marburg a. d. Lahn, 20.–24. Febru- Junkelmann 1996 · M. Junkelmann, Reiter wie Tejral 1992 · J. Tejral, Die Probleme der römisch- ar 1994 (Lublin/Marburg 1994) 145–153 Taf. 6–11. Statuen aus Erz (Mainz 1996). germanischen Beziehungen unter Berücksichtigung der Boschung 2003 · D. Boschung, Die stadtrömischen Keim/Klumbach 1951 · J. Keim/H. Klumbach, neuen Forschungsergebnisse im niederösterreichisch- Monumente des Augustus und ihre Rezeption im Reich. Der römische Schatzfund von Straubing. Münch- südmährischen Thayaflußgebiet. Bericht der Römisch- In: P. Noelke (Hrsg.), Romanisation und Resistenz in ner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 3 (Mün- Germanischen Kommission 73, 1992, 377–468. Plastik, Architektur und Inschriften des Imperium Roma- chen 1951). num. Neue Funde und Forschungen. Akten des VII. In- Künzl 2004 · E. Künzl, Sol, Lupa, Zwillingsgotthei- ternationalen Kolloquiums über Probleme des provinzi- ten und Herkules: Neue Funde und Bemerkungen zur ABBILDUNGSNACHWEIS alrömischen Kunstschaffens in Köln, 2. bis 6. Mai 2001 Ikonographie römischer Paradewaffen. Archäologi- (Mainz 2003) 1–12. sches Korrespondenzblatt 34, 2004, 389–406. Aus: Tejral 1992, 396 Abb. 2: 1. – Aus: Garbsch Fischer 2012 · Th. Fischer, Die Armee der Caesa- Maxfield 1981 · V. A. Maxfield, The military deco- 1978, Taf. 12,1: 2. – Aus: Fischer 2012, Abb. 327: 3. ren. Geschichte und Archäologie (Regensburg 2012). rations of the Roman army (London 1981). – Aus: Garbsch 1978, Taf. 38,5: 4. 84 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

MATTHIAS PAUSCH Von der Lupa bis zum Cornicen. Römische Gemmen aus Ruffenhofen Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 07 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 MATTHIAS PAUSCH Von der Lupa bis zum Cornicen. Römische Gemmen aus Ruffenhofen 85

MATTHIAS PAUSCH Von der Lupa bis zum Cornicen. Römische Gemmen aus Ruffenhofen

Römische Gemmen, die insbesondere zum Sie- geln von Briefen, aber auch von Speisen und Vorratskammern oder zum Beurkunden Ver- wendung fanden, sind vielfach bekannt und überliefert. In Schriftquellen wird wiederholt auf ihre Herstellung und ihre Funktion hinge- wiesen.1 Als kleine, kunstvolle Fundstücke, die von spezialisierten Gemmenschneidern herge- stellt wurden, sind sie insbesondere aus großen römischen Siedlungen sehr gut bekannt und umfangreich publiziert.2 Bisher sind jedoch von den Kastellen am Ober- germanisch-Raetischen Limes in der Regel nur einzelne herausragende Stücke vorgelegt wor- den.3 Bei genauerer Betrachtung der Bestände Bilder oft individuell auf die Person des Besit- Abb. 1: Ruffenhofen. in den Museumsmagazinen und in Privatbesitz zers – im Wortsinn – zugeschnitten worden Gemme mit Figur mit eindeutiger Fundherkunft wird deutlich, sind. Gleichzeitig ist es sehr wahrscheinlich, des Mars Ultor dass eine Vielzahl römischer Gemmen gerade dass Gemmen oft weitervererbt und über viele (1,39 cm × 1,11 cm). entlang des Limes zu fi nden ist.4 Generationen benutzt wurden.5 So geben die In Form, Bearbeitung, Bildthema und Stein liegt Szenen einen Einblick in die Selbstdarstellung hier ein ähnliches Spektrum vor, wie es aus den der jeweiligen Träger einer Familie sogar über großen Siedlungen bekannt ist. Die einzelnen Generationen hinweg. Der sehr persönliche Be- Darstellungen sind kulturgeschichtlich vor al- zug der Gemmenmotive ist vor allem bei Dar- lem deswegen von so großer Bedeutung, da die stellungen römischer Kaiser gut überliefert.6

1 Plin. nat. 36,67; 37,1; 37,10. Ov. am. 2,15–17. 4 Hier sei allen Kollegen gedankt, die mich im Zusammen- 2 Um mit Carnuntum, Bonn, Xanten, Augsburg und Trier nur hang mit dem Vortrag auf dem Aalener Kolloquium der einige Beispiele aus dem deutschen Sprachraum zu nennen: Deutschen Limeskommission auf Gemmen von anderen Dembski 2005; Krug 1995; Platz-Horster 1984; Platz-Horster Kastellen entlang des Obergermanisch-Raetischen Limes 1987; Platz-Horster 1994; Platz-Horster 2012. hingewiesen haben. 3 Ausnahmen bilden dabei die Gemmen von den Kastellen Feldberg 5 Dies hat Platz-Horster 2012, 25 für viele Augsburger Gemmen und Saalburg. Krug 1978, 495–503. Zumindest einzelne Gem- festgestellt. men aus dem bayerischen Limesbereich auch in: Schmidt 1971. 6 Dembski 2005, 21–22. 86 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

2 3

Abb. 2: Ruffenhofen. Gemme mit Darstellung der römischen Wölfin (1,41 cm × 1,05 cm).

Abb. 3: Ruffenhofen. Die 4 5 Gemme zeigt Diomedes, der das Palladium raubt (1,46 cm × 1,10 cm).

Abb. 4: Ruffenhofen. Gemme mit Meeresgöttin Thetis auf einem Triton (1,5 cm × 1,17 cm).

Abb. 5: Ruffenhofen. Gemme mit Darstellung eines nach links springenden Rehs (0,61 cm × 0,46 cm).

Gemmen wurden in allen sozialen Schichten ge- waren mehrere Sammler mit ihrer gesamten nutzt. So weist Plinius darauf hin, dass Sklaven Familie regelmäßig zur Freizeitgestaltung un- nur eiserne Fingerringe tragen durften.7 Unab- terwegs. Dabei wurden teils familienintern hängig davon sind Eisenringe im Zusammen- Preise für den besten Fund des Tages ausge- hang mit Gemmen deutlich häufiger bezeugt setzt, weshalb die Flächen besonders gründlich als solche aus anderen Materialien. Beispiels- abgesucht wurden. Außerdem gab es im Be- weise aus Xanten sind etwa zwei Drittel der Rin- reich der porta principalis sinistra einen Fund ge mit erhaltener Fassung aus Eisen;8 andere von mehreren nahe beieinander liegenden Metalle, insbesondere Bronze, sind hingegen Gemmen, die möglicherweise in einem Beutel seltener überliefert. zusammen verloren gegangen waren. Am Kastellstandort Ruffenhofen bilden Gem- Nur ein sehr kleiner Teil der Gemmen ist tatsäch- men zweifellos die kleinste und am besten über- lich im Ring bzw. mit anhaftenden Metallresten schaubare Fundgattung.9 Gleichzeitig verfügen vom Ring erhalten. Die meisten sind wie oben be- sie über eine Fülle an Darstellungsinhalten, schrieben aus Eisen, mit zwei bekannten Exemp- die vielfach Bezüge zu griechischen und römi- laren ist nur ein kleiner Teil aus Bronze. Die ausge- schen Themen aufweisen. Insgesamt sind über arbeiteten Szenen sind in sehr unterschiedlicher 40 Gemmen von zehn privaten Sammlern Qualität gefertigt. Außerdem wurden mehrere bekannt.10 Teilweise haben die Sammler die Herstellungstechniken angewandt. Ein großer Fundorte kartiert. Für Ruffenhofen ist die Teil der Ruffenhofener Gemmen besteht aus Über lieferung von Gemmen im Verhältnis zur Halbedel- oder Edelsteinen. Darunter sind elf rekonstruierten Einwohnerzahl in der mittle - Gemmen aus Karneol und zehn aus rotem Jas- ren Kaiserzeit mit etwa 500 Reitersoldaten pis. Nicolo, Lagenachat, blaue Glaspasten und und 1000 bis 1500 Zivilisten überraschend einige weitere Steine kommen deutlich seltener gut.11 Dies ist jedoch insbesondere durch die vor. Obwohl die Glaspasten als Massenware Vorgehensweise der Sammler zu erklären. So sehr preisgünstig produziert werden konnten, MATTHIAS PAUSCH Von der Lupa bis zum Cornicen. Römische Gemmen aus Ruffenhofen 87

stammen aus Ruffenhofen nur verhältnismäßig den Alltagsszenen nehmen diejenigen mit mili- wenige dieser einfacheren Gemmen.12 Bei den tärischem Bezug einen hohen Stellenwert ein. Glaspasten wurde das Bildmotiv in einer Guss- Dies steht im Gegensatz zur Überlieferung von form hergestellt oder eingestempelt, so dass es anderen Militärstandorten, wie z. B. aus Vetera teilweise formgleiche Stücke aus dem Römi- oder von der Saalburg.18 Dort sind sehr wenige schen Reich gibt.13 Gemmen mit militärischem Bezug bekannt, je- Herausragend ist ein unbearbeiteter achtecki- doch zahlreiche mit bukolischen Themen. ger Jaspis, der im Ruffenhofener Kastellbereich In Ruffenhofen fallen im militärischen Kontext gefunden wurde. Auf den ersten Blick könnte es auch die zahlreichen Marsdarstellungen auf. Sie sich um einen Rohling handeln. Andererseits ist gehören gleichzeitig zu den Abbildungen, die es sehr unwahrscheinlich, dass in Ruffenhofen bekannte großplastische Werke aus dem grie- Gemmen produziert wurden. Selbst für Xanten chisch-römischen Kulturraum wiedergeben. wurde inzwischen wiederholt diskutiert, ob Mars Ultor, den Kaiser Augustus ganz beson- dort eine lokale Gemmenproduktion bestand.14 ders verehrte und dessen Kultbild in mehreren Für das Rheinland wird zumindest von der Kopien und auch auf zahlreichen Gemmen zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. bis in überliefert ist, wird auf mehreren Ruffenhofe- die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. eine eigen- ner Gemmen dargestellt (Abb. 1). ständige Produktion von Glaspasten angenom- Das prominenteste Motiv unter den Ruffenhofe- men. Das Zentrum wird in Köln vermutet. ner Gemmen ist die Lupa Capitolina (Abb. 2),19 Grundsätzlich sind Gemmenwerkstätten we- deren originales Bild vollständig verloren, je- gen des sehr mobilen Werkzeugs der Stein- doch durch zahlreiche Kopien und Reflexe aus schneider nur schwer fassbar. Ob es auch Gem- dem gesamten Römischen Reich bekannt ist menschneider gab, die von Ort zu Ort zogen und in der mittelalterlichen Bronzeplastik mit und dort ihre Tätigkeit ausübten, ist kaum be- renaissancezeitlichem Romulus und Remus er- legbar, wird aber angenommen.15 Platz-Horster halten ist.20 Eine Gemme mit der Darstellung vermutet, dass Gemmenschneider höchstens der Artemis von Ephesos könnte am ehesten als im Gefolge von Soldaten zu erwarten wären.16 Andenken an eine Reise oder als Geschenk nach Das Spektrum der Gemmen aus Ruffenhofen be- Ruffenhofen gekommen sein. inhaltet sowohl qualitativ hochwertige Gemmen Aus dem mythologischen Bereich stammen als auch sehr einfache, fast schnell oder mit ver- auch viele weitere Motive, die u. a. zum trojani- hältnismäßig wenig Können eingeritzte Bilder. schen Sagenkreis gehören. Aus Ruffenhofen be- Auch die Größe der Steine variiert relativ stark.17 kannt sind Darstellungen von Leda, Achill, Dio- Die Gemmen zeigen mythologische und alltägli- medes, der das Palladium raubt (Abb. 3),21 Thetis che Szenen. Der Übergang ist dabei im Einzelfall auf einem Triton (Abb. 4),22 Minerva, Amor auf sogar fließend. Nicht unbedingt jede Szene lässt einem Hippokamp, Sol auf einer Quadriga oder sich eindeutig dem einen oder anderen Genre den Dioskuren Castor und Pollux. Bonus Even- zuweisen. In diesem Übergangsbereich finden tus erscheint auf Gemmen in zwei unterschied - sich vor allem Allegorien und Symbole. Unter lichen Statuenmotiven, die sich auf zwei ver-

7 Plin. nat. 33,23. hergestellt. Vgl. Platz-Horster 1978, 496–503. 8 Platz-Horster 1987, XXII–XXIII; Platz-Horster 1994, 26–29. 13 Dembski 2005, 31–22. 9 Fundaufnahme und Bearbeitung sind noch nicht vollständig 14 Zusammenfassend Platz-Horster 1987, XXIX–XXXII; abgeschlossen, so dass dieser Beitrag als Vorbericht zu ver- Platz-Horster 1994, 40; 65. stehen ist. Im LIMESEUM Ruffenhofen ist eine Sonderaus- 15 Zum Beispiel Dembski 2005, 27. stellung mit einer umfassenden Begleitpublikation zu den 16 Platz-Horster 1987, XXIX–XXXII. Gemmen geplant. 17 Der größte bisher bekannte Stein ohne Ringfassung misst 10 Hier sei besonders Familie Hosius, Heinz Kornemann, 1,83 cm × 1,40 cm, der kleinste 0,61 cm × 0,46 cm. Peter Lang, Eckehard Roßberg, Klaus Wasmuht und Familie 18 Platz-Horster 1987, XXIV–XXVI; Platz-Horster 1994, Wenzel für die Überlassung einiger Gemmen als Leihgaben, bes. 30; Krug 1978. für Fotomaterial und weitere Informationen gedankt. 19 Pausch 2013b, XXX. 11 Allerdings nennt auch Krug 1978 für die Saalburg insgesamt 20 Parisi Presicce 2000; R.-Alföldi u. a. 2011. 27 Gemmen. 21 Pausch 2013b, XXIX. 12 Im Vergleich dazu sind 19 Gemmen der Saalburg aus Pasten 22 Pausch 2013b, XXIX. 88 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 6: Ruffenhofen. Die Gemme trägt einen Adler mit Sieges- Abb. 7: Ruffenhofen. Gemme mit Darstel- kranz zwischen zwei Feldzeichen (1,50 cm × 1,00 cm). lung eines Cornicen (1,55 cm × 1,12 cm).

schiedene Statuentypen in Rom zurückführen reich. Neben diesen gängigen und teilweise sehr lassen.23 Dieser ländliche Gott wird von Varro häufig verwendeten Bildmotiven sticht die Ab- als einer der zwölf Götter für die Landwirt- bildung eines Cornicen (Abb. 7) völlig heraus. 28 schaft aufgezählt.24 In der Kaiserzeit wird Bonus Diese Darstellung ist aus dem Römischen Reich Eventus aber zunehmend zum Symbol für gutes äußerst selten überliefert.29 Gelingen. Die symbolische Verwendung dafür Die meisten Gemmen aus Ruffenhofen zeigen wird auch in anderen Szenen ausgedrückt. Am schon von anderen Fundorten geläufige und be- vielseitigsten ist eine Gemme mit unterschiedli- kannte Darstellungen. Die wenigsten tragen tat- chen Glückssymbolen, darunter Getreide und sächlich seltene oder außergewöhnliche Sze- ein Füllhorn. nen. Andererseits überrascht es, dass von einem Die thematisch größte Gruppe der Alltagssze- Kastellstandort am Limes mehr Gemmen be- nen wird durch bukolische Motive geprägt. kannt sind als beispielsweise aus der Provinz- Dazu gehört eine sehr kleine Gemme mit einem hauptstadt Augsburg. Wenngleich hier sicher einzelnen Reh (Abb. 5), aber auch ein Jäger mit vieles der Überlieferung, der nachrömischen Beute, eine Ziege mit Baum oder weitere Tier- Überbauung und Zufällen geschuldet ist, so darstellungen, z. B. Hahn oder Rind. Die Szene zeigt der Sachverhalt dennoch, dass es sich eines Wagenrennens im Circus Maximus mit lohnt, die Funde der einzelnen Kastellplätze vier deutlich erkennbaren Quadrigen und An- auch speziell auf Gemmen hin zu überprüfen. deutung der Spina verweist nochmals nach Rom.25 Militärischen Bezug bieten neben den bereits genannten Marsgemmen (Abb. 1)26 auch Ring- Dr. Matthias Pausch steine mit einer Victoria oder einer Venus-Vic- LIMESEUM und Römerpark Ruffenhofen trix-Darstellung. 27 Ebenso verweisen die Gem- Römerpark Ruffenhofen 1 men mit einem Adler mit Feldzeichen (Abb. 6) 91749 Wittelshofen oder nur mit Tropaia in den militärischen Be- [email protected]

23 Plin. nat. 34,77; 36,23. 28 Pausch 2010, 97 mit Abb. 148; Pausch 2013, LX. 24 Varro rust. 1,1,6. 29 Einzige bekannte Darstellung eines Cornicen auf einer 25 Pausch 2013a, 25. Gemme, jedoch im Kontext mit Spielen: Alexandrescu 26 Pausch 2013b, XXIX. 2010, 116–119; 336 Nr. P55; Zwierlein-Diehl 1969, 27 Pausch 2010, 97 mit Abb. 149. 177–178 Nr. 482 Taf. 85. MATTHIAS PAUSCH Von der Lupa bis zum Cornicen. Römische Gemmen aus Ruffenhofen 89

LITERATURVERZEICHNIS fen, Markt Weiltingen, Landkreis Ansbach. R.-Alföldi u. a. 2011 · M. R.-Alföldi/E. Formigli/ Das Archäologische Jahr in Bayern 2010, 95–97. J. Fried, Die römische Wölfin. Ein antikes Monument Alexandrescu 2010 · Cristina-Georgeta Alexan- Pausch 2013a · M. Pausch, Erzählte Geschichte. stürzt von seinem Sockel (Stuttgart 2011). drescu, Blasmusiker und Standartenträger im römi- LIMESEUM Ruffenhofen – lebendige Einblicke in die Schmidt 1971 · E. M. Schmidt, Gemmen und schen Heer. Untersuchungen zu deren Benennung, Limeszeit. Der Limes 7, 2013, Heft 1, 22–27. Glaspasten in der Prähistorischen Staatssammlung, Funktion und Ikonographie. IMAGINES 1 (Cluj- Pausch 2013b · M. Pausch (Hrsg.), LIMESEUM München. Bayerische Vorgeschichtsblätter 36, 1971, Napoca 2010). Ruffenhofen. An den Grenzen des Römischen Reiches. 216–244. Dembski 2005 · G. Dembski, Die antiken Gemmen Ein Museumsführer. Schriften aus dem LIMESEUM Zwierlein-Diehl 1969 · E. Zwierlein-Diehl, Antike und Kameen aus Carnuntum (St. Pölten 2005). Ruffenhofen 1 (Rednitzhembach 2013). Gemmen in deutschen Sammlungen II. Staatliche Krug 1978 · A. Krug, Römische Fundgemmen 3. Platz-Horster 1984 · G. Platz-Horster, Museen Preußischer Kulturbesitz, Antikenabteilung Speyer, Worms, Bad Kreuznach, Mainz und Saalburg. Die antiken Gemmen im Rheinischen Landesmuseum Berlin (München 1969). Germania 56, 1978, 476–503. Bonn (Bonn 1984). Krug 1995 · A. Krug, Römische Gemmen im Rheini- Platz-Horster 1987 · G. Platz-Horster, Die antiken schen Landesmuseum Trier. Schriftenreihe des Rheini- Gemmen aus Xanten (Bonn 1987). schen Landesmuseums Trier 10 (Trier 1995). Platz-Horster 1994 · G. Platz-Horster, Die antiken Parisi Presicce 2000 · C. Parisi Presicce, La lupa Gemmen aus Xanten II (Xanten 1994). ABBILDUNGSNACHWEIS capitolina (Roma 2000). Platz-Horster 2012 · G. Platz-Horster, Kleine Pausch 2010 · M. Pausch, Funde von Kastell und Bilder – große Mythen. Antike Gemmen aus Augs- Oliver Heindl: 1, 3–5. – Gabriela Utz: 2. – Vicus Ruffenhofen. Gde. Gerolfingen und Wittelsho- burg (Friedberg 2012). Klaus Wasmuht: 6, 7. 90 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld – Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 08 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld – Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung 91

VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld

Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung

Die Ergebnisse der Ausgrabungen „Schlesische standorten Künzing und Regensburg bzw. Straße – Spielplatz“ zwischen 2004 und 2007 im Steinkirchen und Pfatter in Ostraetien. Bereich der Südumwehrung des Steinkastells III b Der römische Siedlungskern befand sich auf in Straubing/Sorviodurum stehen im Mittelpunkt dem sogenannten Ostenfeld (Abb. 3), einer Nie- des folgenden Beitrages.1 In drei Grabungsschnit- derterrasse, etwa 2 km östlich des heutigen ten wurden Teile der äußeren drei der vier Kas- Stadtzentrums. In der mittleren Kaiserzeit wur- tellgräben sowie ein Bereich des Kastellvorfeldes de das Areal im Westen durch den Allachbach des mittelkaiserzeitlichen Steinkastells (Abb. 1; 2) begrenzt, im Norden durch den Abfall der Do- erfasst. Die Auswertung lieferte insbesondere Er- nauniederterrasse. gebnisse zu zwei Fragestellungen: Die militärstrategische Bedeutung des Standor- Erstens: War das römische Sorviodurum, wie tes ergab sich aus der Überwachung der Kin- J. Prammer postulierte, von den Markomannen- sachsenke und der Cham-Further-Senke, die als kriegen betroffen, ist also im Fundmaterial der Übergang der Handelsroute vom Gäuboden Markomannenkriegshorizont greifbar? Zweitens: nach Böhmen dienten. Weiter eignete sich der Lassen sich Veränderungen in der Umwehrung er- Standort im sehr fruchtbaren Gäubodengebiet kennen und datieren? sicherlich auch, um über die Donau Getreide- nachschub für andere Militärposten und zivile DIE LAGE DES OSTKASTELLS IM RÖMISCHEN Orte zu gewährleisten. SORVIODURUM Die Ost- und Südbegrenzung des mittelkaiser- Die Stadt Straubing (Niederbayern) liegt südlich zeitlichen vicus auf dem Ostenfeld veränderte der Donau etwa mittig zwischen den Kastell- sich im Laufe der Zeit immer wieder. Die größte

1 Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung der Er- Straubing im Rahmen einer Dissertation an der Albert-Lud- gebnisse meiner Magisterarbeit von April 2011, die an der wigs-Universität Freiburg von der Verf. bearbeitet. Dieser Ludwig-Maximilians-Universität München von Herrn Prof. Beitrag ist eine Kurzfassung meines Vortrages in Aalen, Dr. M. Mackensen und Herrn Prof. Dr. B. Päffgen betreut da die ausführliche Version bereits in der Publikation des wurde. Ich danke Herrn Dr. J. Prammer vom Gäubodenmu- 24. Internationalen Symposions „Grundprobleme der früh- seum Straubing für seine stete Unterstützung meiner Ar- geschichtlichen Entwicklung im mittleren Donauraum“ beit. Aktuell werden sämtliche Ausgrabungen und sonsti- veröffentlicht wird, das am 11.–13. 12. 2012 in Smolenice gen Untersuchungen im Areal des sog. Ostkastells III von (Slowakei) stattfand. 92 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Ausdehnung soll er in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts erreicht haben.2 Auf dem Ostenfeld sind insgesamt vier mittel- kaiserzeitliche Kastelle bekannt (Tab. 1): Das älteste Kastell IV, auch als „Westkastell“ be- zeichnet, wurde nach J. Prammer in frühflavi- scher Zeit erbaut und durch die Markomannen- kriege vollständig zerstört.3 Es bestand demnach wohl zeitweise gleichzeitig mit Kastell III, dem sogenannten Ostkastell. Als Besatzung wird die cohors II Raetorum vermutet. Das wohl spätvespasianisch-frühdomitianische Kastell I und das etwas südöstlicher gelegene Kas- tell II, welches das erste ablöste, waren die Vorgän- ger von Ostkastell III.4

Tabelle 1: Übersicht zu den Kastellen in Strau- bing nach dem aktuellen Forschungsstand (vgl. Prammer 2012, 11–12). Abb. 1: Die Grabungsschnitte der Jahre 2004–2007 im Süden der Umwehrung von Steinkastell III b in Straubing. Westkastell Kastell IV (Holz- frühflavisch cohors II Erde-Bauphase) Raetorum Kastell IV ca. Mitte 2. Jh. cohors II (Steinbauphase) n. Chr. – 170er Raetorum Jahre n. Chr.

Ostkastell Kastell I spätes unbekannte Einheit 1. Jh. n. Chr. Kastell II ca. domitianisch – unbekannte Einheit traianisch Kastell III a (Holz- spätestens cohors I Flavia Erde-Bauphase) hadrianisch Canathenorum milli- aria sagittariorum Kastell III b ca. Mitte 2. Jh. cohors I Flavia (Steinbauphase) n. Chr. – mind. Mitte Canathenorum milli- 3. Jh. n. Chr. aria sagittariorum

DAS OSTKASTELL III B Von der Holzbauphase III a des Ostkastells wur- den die Pfostengruben des Nordtores und ein Ab- schnitt des Grabens bei den Ausgrabungen am Nordtor von 1976 bis 1978 freigelegt.5 Der Ausbau in Stein (Ostkastell III b) hat wahr- scheinlich um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. oder etwas früher stattgefunden.6 Für die hier besprochene Steinbauphase ist die cohors I Flavia Canathenorum milliaria sagittari- Abb. 2: Straubing. Die Umwehrung von Steinkastell III b mit Lage der Grabun- orum, eine teilberittene Kohorte, als Besatzung gen 1976–1978 und 2004–2007. Phase I mit den inneren beiden Gräben und gesichert.7 vicus-Befunden im Vorfeld (rot) und Phase II mit den äußeren beiden Gräben Das Nordtor der Ostkastells III b,8 also die porta de- und der Straße parallel zur Umwehrung (blau). cumana, wies zwei flankierende Tortürme auf, die leicht vor die Mauer des Kastells vorsprangen. VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld – Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung 93

In den Torbereich zogen zwei Vorsprünge von den Türmen weg und die Durchfahrt wurde durch einen Pfeiler in der Mitte zweigeteilt. In den 1970er Jahren wurden die inneren drei von insgesamt vier dem Kastell zugewiesenen Gräben geschnit- ten. In einem Vorbericht zum Grabungsjahr 1976 datierte Prammer das Fundmaterial aus den Grä- ben in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts.9 Von der Umwehrung des Steinkastells sind trapezför- mige, nach innen zurückspringende Ecktürme, je- doch keine Zwischentürme bekannt. Die Innenbebauung wird an dieser Stelle nicht thematisiert, da die besprochenen Grabungs- schnitte nur die Umwehrung und das Kastellvor- feld betreffen.

DIE GRABUNGEN 2004–2007 AN DER SÜDUM- WEHRUNG In den Jahren 2004 bis 2007 wurden drei lang- schmale, leicht zueinander versetzte Schnitte vor dem südlichen Tor (porta praetoria) angelegt (Abb. 1; 2), in denen die äußeren drei Gräben von Kastell III b erfasst wurden. DIE BEFUNDE UND FUNDE IM KASTELLVORFELD Abb. 3: Überblick In Schnitt 1 waren es die Gräben 2–4, in Schnitt 2 Im Vorfeld des Kastells wurden in Schnitt 3 ver- über das Straubinger die Gräben 3 und 4 und in Schnitt 3 nur Graben schiedene Gruben und Gräbchen sowie eine „Ostenfeld“. 4. Weil sie mehrfach angeschnitten wurden, lag maximal 25 cm starke Kiesschüttung erfasst deutlich mehr Fundmaterial aus den Gräben 3 (Abb. 1; 4), welche etwa 12 m vor Graben 4 lag. Sie und 4 als aus Graben 2 vor. kann als Teil einer Straße im Vorfeld des Bei Graben 4 wurde eine Unterbrechung doku- Kastells angesprochen werden.10 Diese fundrei- mentiert, die auf die Lage des Südtores schlie- che Kiesschicht überlagerte einen Großteil der ßen lässt. Über Graben 3 dürfte eine Holzbrücke Grubenbefunde. geführt haben. Der erfasste Ausschnitt von Gra- In dem gesamten vor den Kastellgräben erfass- ben 2 war zu klein, um eine mögliche Unterbre- ten Bereich fand sich eine große Menge an chro- chung feststellen zu können. nologisch sehr homogenen Streufunden, die auf In Schnitt 3 wurden neben dem äußersten Gra- eine flächige Planierung über die Gruben und ben 4 im Kastellvorfeld Gruben, Gräbchen und Gräbchen schließen lassen. Über diese Planie Pfostengruben dokumentiert, die dem vicus zu- wurde die oben genannte Straße angelegt (vgl. zuweisen sind (siehe unten). Profil Abb. 4).

2 Prammer 1989, 6. gilt es durch die ausführliche Aufarbeitung der Grabungen 3 Prammer 1989, 18–21; Prammer 2012, 11. am Nordtor noch zu ermitteln. 4 Die Kastelle I und II wurden bei den Grabungen am Nord- 7 Die Reiterbaracken, insbesondere die Jauchegruben der Stäl- tor von Kastell III 1976–78 entdeckt. Die Befunde und Funde le, zeichnen sich in geophysikalischen Messbildern deutlich sind hier publiziert: J. Prammer, Neue Forschungen zum rö- ab. Zu einer Magnetometermessung von August 2013 ist für mischen Straubing. Die Kastelle I–II. Jahresbericht des Histo- „Das archäologische Jahr in Bayern 2013“ ein Vorbericht von rischen Vereins für Straubing und Umgebung 85, 1983, 35– der Verf., Dr. J. Fassbinder, Dr. R. Linck und L. Kühne in Ar- 123. beit. 5 Prammer 1989, 23–24 mit Abb. 20. – Zur Lage der Ausgra- 8 Vgl. Prammer 1977, Abb. 2 Beil. I. bungen im Kastellareal vgl. Abb. 2. 9 Prammer 1977, 82. 6 Prammer 1989, 23; G. Moosbauer, Die ländliche Besiedlung 10 2011 wurde die Straße in einem kleinen Grabungsschnitt im östlichen Raetien während der römischen Kaiserzeit. Pas- weiter im Westen erneut nachgewiesen und ihr Verlauf par- sauer Universitätsschriften zur Archäologie 4 (Passau 1997) allel zum Kastell bestätigt. Anm. 61. – Eine genauere Datierung für den Ausbau in Stein 94 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 4: Straubing. Das Nordostprofil von Grabungsschnitt 3 mit den vicus-Gruben im Kastellvorfeld und dem darüberliegenden Straßenkörper (grau).

findet sich der beste Vergleich im Fundhorizont aus dem Kastell von Regensburg-Kumpfmühl.11 So sind in Kumpfmühl bei den Reliefsigillaten mittelgallische Erzeugnisse am stärksten vertreten, vor allem Produkte des Töpfers Cinnamus, neben Rheinzaberner Ware der Gruppe Bernhard I a und Erzeugnissen aus Heiligenberg.12 Dies trifft auch auf das Material aus dem Kastellvorfeld in Straubing zu (Abb. 5), mit der Ausnahme, dass hier kein Gefäß aus Heiligenberg sicher zu identifizieren war. Bei der glatten Terra sigillata ist die Tellerform Drag. 32 noch nicht vertreten. Näpfe der Form Drag. 27 kommen noch in einer gewissen Menge vor. Auch Abb. 5: Straubing. Das Spektrum der reliefverzierten Terra sigillata aus den dies gleicht dem Fundspektrum von Kumpfmühl.13 Gruben, der Planierschicht und dem Straßenkörper im Kastellvorfeld. Das Münzspektrum (Abb. 6) aus diesem Bereich des Kastellvorfeldes spricht eine ebenso deutliche Sprache: Die Münzreihe endet mit zwei aus Gru- benverfüllungen geborgenen Prägungen des Marc Aurel aus den Jahren 172/173 n. Chr. Von den im- merhin 21 bestimmbaren Münzen waren zwölf Stück verbrannt.

DAS FUNDMATERIAL AUS DEN KASTELLGRÄBEN Wie bereits erwähnt, wurden vor allem die äuße- ren Gräben 3 und 4 in den hier besprochenen Gra- bungen erfasst, weiter ein kleinerer Ausschnitt von Graben 2, Graben 1 überhaupt nicht. Aus Graben 2 liegt nur sehr wenig Material vor. Es handelt sich dabei um drei Reliefsigillata-Frag- mente, von denen sich zwei sicher Lezoux, eines wahrscheinlich mittelgallischer Produktion zu- weisen lassen. Weiter ist das Fragment eines Tel- lers Drag. 18/31 vorhanden. Die beiden Münzen Abb. 6: Straubing. Das Münzspektrum aus dem Kastellvorfeld. aus der Grabenverfüllung sind ein As der ersten Altarserie aus Lugdunum (15–10 v. Chr.) und ein stark abgegriffener As des Hadrian. Die sonstige Sowohl die Einplanierung der Gruben und Gräb- Keramik ist feinchronologisch nicht einzugren- chen als auch die Kiesschüttung der Straße las- zen. Durch den Vergleich dieser Funde mit dem sen sich zeitlich nicht differenzieren. Für all dies publizierten Material aus Graben 1 und 2 aus den wurde offensichtlich Schutt der Zerstörung Nordtorgrabungen der 1970er Jahre14 und nach durch einen Markomanneneinfall kurz nach erster Aufnahme des gesamten Materials dieser 172/173 n. Chr. verwendet, denn für das Material Grabungen lässt sich sagen, dass die inneren Grä- VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld – Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung 95

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Abb. 7: Straubing. Eine 2 3 4 Auswahl von Funden aus den Kastellgräben 3 (1, 2) und 4 (3, 4). M. 1:2.

ben 1 und 2 wohl bereits in der zweiten Hälfte des aus diesem Graben ist ein sogenanntes Limes- 2. Jahrhunderts n. Chr. verfüllt wurden. falsum, also eine Gussfälschung, wie sie am Ober- Vermutlich geschah die Verfüllung recht bald im germanisch-Raetischen Limes ab Ende des Anschluss an den Markomanneneinfall, zeitgleich 2. Jahrhunderts n. Chr. häufiger kursierten. Der mit dem Einplanieren des direkt beim Kastell lie- gefälschte As des Antoninus Pius liefert einen genden vicus-Bereiches und dem Anlegen der Terminus post quem von 161 n. Chr. neuen, parallel zur Südumwehrung verlaufenden Auch in Graben 4 kamen zwei späte Formen von Straße. Terra sigillata vor: zum einen ein kleines Wand- Aus den äußeren Gräben 3 und 4 konnte mehr fragment eines Bechers Drag. 41 (Abb. 7,4), zum Material geborgen werden. Datierungsrelevant anderen sieben Wandscherben eines Bechers für die Verfüllung der Gräben 3 und 4 sind die fol- Niederbieber 24 (Abb. 7,3). Beide sind um die Mit- genden Funde: Aus Graben 3 stammt das Rand- te des 3. Jahrhunderts n. Chr. zu datieren. Im obe- stück eines Tellers Niederbieber 6 (Abb. 7,1), der ren Teil von Graben 4 lagen zwei kaum abgegrif- typisch für das zweite und dritte Viertel des fene Denare des Severus Alexander. Die jüngere 3. Jahrhunderts n. Chr. ist und sogar noch bis zur Prägung aus dem Jahr 229 n. Chr. war verbrannt. Mitte des 4. Jahrhunderts vorkommen kann. Der Zeitpunkt der Verfüllung dieser Gräben – Auch der Fuß eines Bechers der Form Drag. 52/ und damit die Aufgabe des Kastells – ist um die Niederbieber 25 (Abb. 7,2) aus dem unteren Gra- Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. anzusetzen. Die benbereich kann nicht vor das zweite Viertel des Verfüllung erfolgte, der Verteilung der spätesten 3. Jahrhunderts datiert werden. Die einzige Münze Funde nach, innerhalb eines kurzen Zeitraums.

11 Faber 1994. 13 Faber 1994; Fischer 1994, 344. 12 Vgl. Faber 1994; Fischer 1994, 344. 14 Prammer 1977, 87 Kat.-Nr. 4–13. 96 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

ZUSAMMENFASSUNG und die Gräben 3 und 4 angelegt. Dass diese erst Anhand der in Schnitt 3 im Vorfeld von Ostkas- neu ausgehoben wurden, erschließt sich daraus, tell III b erfassten Funde und Befunde lässt sich dass der vicus sonst bis auf nur 4 m an das Kas- bestätigen, was Prammer schon länger für tell herangereicht hätte. Insbesondere bei einer Straubing postulierte: Der Ort wurde nach Kastellbesatzung von Bogenschützen ist ein ge- 172/173 n. Chr. von einem Einfall der Markoman- wisser Abstand zum vicus als freies Schussfeld nen heimgesucht, das entsprechende Fundma- zu erwarten. Womöglich ging die Vorverlegung terial fügt sich eindeutig in den Zerstörungs- der Gräben mit einer Erhöhung der Kastellmau- horizont von Regensburg-Kumpfmühl ein. ern einher. Die Funde aus dem vicus-Bereich im Kastellvor- Eine Gleichzeitigkeit der Vorverlegung der Grä- feld beweisen, dass zumindest die Siedlung be- ben mit der Anlage der parallel zum Kastell ver- troffen war. Die Gruben dort wurden nach dem laufenden Straße ist sehr wahrscheinlich. Einfall verfüllt und der Bereich planiert, an- Den Funden aus den Gräben 3 und 4 nach wur- schließend eine Straße gebaut, von deren Stra- den diese um die Mitte des 3. Jahrhunderts ßenkörper die Kiesschüttung stammt. Für all n. Chr. verfüllt und das Kastell III b somit aufge- diese Prozesse fand der Schutt der Zerstörun- lassen. gen Verwendung, die Funde weisen teils deutli- che Brandspuren auf. Ob das Kastell III b von den Zerstörungen direkt betroffen war, lässt sich erst nach der vollständigen Aufarbeitung weiterer Grabungen im Kastellareal sagen. Je- doch ist sehr zeitnah von Modifikationen in der Veronika Fischer M.A. Umwehrung auszugehen (vgl. Abb. 2): Die inne- Taubenbergerstraße 1 ren beiden Gräben 1 und 2 wurden in der zwei- 85221 Dachau ten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. verfüllt fi[email protected] VERONIKA FISCHER Das Straubinger Ostkastell III b und sein Vorfeld – Ergebnisse der Ausgrabungen 2004–2007 an der Südumwehrung 97

LITERATURVERZEICHNIS Symposium „Grundprobleme der frühgeschichtlichen ABBILDUNGSNACHWEIS Entwicklung im nördlichen Mitteldonaugebiet“, Wien Faber 1994 · A. Faber, Das Auxiliarkastell 23.–26. November 1993 (Brno 1994) 341–354. Verfasserin: 1, 2, 4–7. – Aus: W. Czysz/K. Dietz/ und der Vicus von Regensburg-Kumpfmühl. Prammer 1977 · J. Prammer, Das Steinkastell von Th. Fischer/H.-J. Kellner (Hrsg.), Die Römer in Bayern Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 49 Sorviodurum. Jahresbericht des Historischen Vereins (Stuttgart 1995) Abb. 220: 3. (München 1994). für Straubing und Umgebung 79, 1976, 77–111. Fischer 1994 · Th. Fischer, Archäologische Prammer 1989 · J. Prammer: Das römische Zeugnisse der Markomannenkriege (166–180 n. Chr.) Straubing. Ausgrabungen – Schatzfund – in Raetien und Obergermanien. In: H. Friesinger/ Gäubodenmuseum (München, Zürich 1989). J. Tejral/A. Stuppner (Hrsg.), Markomannenkriege. Prammer 2012 · J. Prammer, Museumsführer Ursachen und Wirkungen. VI. Internationales Gäubodenmuseum Straubing4 (Straubing 2012). 98 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 09 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 99

VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde

Am nördlichsten Ausläufer des raetischen Limes, zwischen den Kastellen Ruffenhofen im Süd- westen und Unterschwaningen im Südosten, in Abb. 1: Die Hammer- der ungewöhnlichen Lage einer bereits in der schmiede bei Dambach mit Antike in weiten Teilen vollständig durchfeuch- umgebenden Teichen von teten Talmulde ohne Fernsicht, befi ndet sich Nordosten. Im unteren das römische Auxiliarkastell von Dambach Bildfeld der Kreutweiher. (Abb. 1). Etwa 2 km außerhalb des modernen Hinter der Hammerschmie- Dorfes Dambach, beim Weiler Hammerschmie- de der Hammer weiher, der de, entstanden nacheinander zwei Kastelle, um kleine Winterweiher und die sich im Westen, Süden und Osten ein vicus der größere Moosweiher. entwickelte (sog. Vicuskern I), an dessen Aus- fallstraßen Spuren von drei Gräberfeldern nachgewiesen werden konnten. Ein zweiter Siedlungskern konnte ca. 900 m östlich des Kas- tells im angrenzenden Forst Hammerschmied- schlag (sog. Vicuskern II) festgestellt werden. Über das Verhältnis zum Vicuskern I und zur Frage einer möglichen Eigenständigkeit lässt sich nur bedingt eine Aussage treffen (Abb. 2). Ebenfalls im Wald, bei der durch den Kreutwei- her verlaufenden raetischen Mauer, liegt die el- liptische Schanze Wolfsgrube, die vor allem auf- grund der Maßgleichheit mit dem Amphitheater von Künzing als Arena angesprochen wurde. Zahlreiche neue Erkenntnisse zum römischen Dambach erbrachten vor allem die im Sommer 2008 durch das Bayerische Landesamt für Denk- malpfl ege unter Leitung von W. Czysz (örtliche Leitung A. Müller, Freiburg) durchgeführten Aus- grabungen im Moosweiher, einem 1975 direkt öst- lich des antiken Kastells angelegten Karpfenteich, und die zeitgleich stattfi ndenden Untersuchungen Abb. 2: Überblick über die Fundareale. 100 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

an dem aus 2000 Eichenstämmen bestehenden beiden Kastelle, während der Vicusbereich Pfahlrost, der im Bereich des Kreutweihers den weitgehend ausgespart blieb. Der Pfahlrost im Unterbau für die Limesmauer bildete. Grund des Kreutweihers, der den Unterbau für Durch eine Kette von Bohrungen, die quer die raetische Mauer bildet, wurde ebenfalls be- durch das Tal gelegt wurde, konnten erstmals reits erfasst. Nur wenige der damals geborge- der Aufbau des Bodens sowie der aufgrund des nen Funde sind heute noch vorhanden. ständig nachlaufenden Grundwassers auf ei- Die mit Abstand umfangreichste Materialmen- nem ca. 70 m breiten Streifen östlich des Kastells ge stammt aus dem Bereich der drei zwischen nötige, gut 2 m starke Unterbau für die Streifen- den 50er und 80er Jahren des vorigen Jahrhun- häuser erfasst werden. Dieser bestand aus derts östlich des Lagers angelegten bzw. erwei - Pfahlrosten, kompakten horizontalen Balkenla- terten Karpfenteiche (sog. Fischweihergrabun- gen, Verfüllungen mit Holz- und Schlagabfällen gen). Leider wurde in allen Fällen das Bayerische und starken Sandschichten.1 In vier Flächen, die Landesamt für Denkmalpflege erst verspätet am Ostufer und in der Mitte des Moosweihers über die fortgeschrittenen Arbeiten informiert; geöffnet wurden, befanden sich u. a. ein Schmie- die Befunde waren bereits weitgehend zerstört. deofen in situ,2 eine Schusterwerkstatt3 und in Insgesamt wiederholte sich dieser Vorgang vier der Südostecke ein Quellheiligtum mit Depo- Mal: bei der Anlage des kleinsten der Teiche, nierungen hölzerner Körpervotive.4 des Winterweihers, im Jahr 1957, 9 beim Ham - Die ausgezeichnete Holzerhaltung hat die Be- merweiher 1960,10 bei der Anlage des größten probung zahlreicher Bauhölzer ermöglicht, so Teiches, des Moosweihers, 197511 und bei dessen dass inzwischen aus den verschiedenen Ausgra- Erweiterung im Jahr 1986.12 Die spärlichen Reste bungen im Bereich der Karpfenteiche insge- der eigentlich sehr gut erhaltenen Holzbebau- samt 47 datierte Hölzer vorliegen, die eine Be- ung mussten in jeweils nur wenige Tage dauern- siedlung dieses Bereichs erst um die Wende den Notbergungen – dazu bei Frost und Kälte – zum 3. Jahrhundert n. Chr. belegen.5 Darüber hi- eilig dokumentiert und das umfangreiche naus ließen sich drei Eichenpfähle aus dem Fundmaterial summarisch geborgen werden. Pfahlrost im Kreutweiher anhand der bayeri- Zwei kleine Sondagegrabungen auf den Feldern schen Jahrringkurve auf das Winterhalbjahr an der südlichen Ausfallstraße des Kastells er- 206/207 n. Chr. datieren und bieten somit erst- fassten 198313 und 1994 14 nur die obersten Sied- mals ein gesichertes Datum für den Bau der rae- lungsschichten, lieferten aber bemerkenswertes tischen Mauer.6 Material. Von besonderem Interesse war dabei eine Ladung Terra-sigillata-Gefäße – darunter DIE HERKUNFT DER FUNDE zahlreiche stempelgleiche Teller Drag. 32 des Diese neuen Untersuchungen legen nahe, dass Rheinzaberner Töpfers Iunius –, die offenbar bei es sich bei Dambach um einen unter den Kastel- einem Brand in noch unbenutztem Zustand in len des raetischen Limes auffallend späten Platz den Boden geraten war. Einen Terminus post handelt, dessen zeitlicher Siedlungsschwer- quem liefert ein mitgefundener verbrannter De- punkt erst in die erste Hälfte des 3. Jahrhun- nar des Macrinus von 217/218 n. Chr. derts n. Chr. fällt. Zwischen August und Oktober 1993 fand unter Bereits vor den Ausgrabungen des Jahres 2008 Leitung von U. Schultz eine mehrwöchige Ausgra- lagen aus Dambach in großer Zahl Metallklein- bung im Hammerschmiedschlag, ca. 900 m östlich funde, Keramik und andere Objekte vor, die des Kastells, statt,15 die Reste zweier Gebäude in Thema der Dissertation der Verf. am Institut für Steinbauweise erbrachte. Unter den dabei doku- Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und mentierten Funden befindet sich nur wenig chro- Provinzialrömische Archäologie der Ludwig- nologisch empfindliches Material. Aussagen zum Maximilians-Universität München waren.7 Be- Verhältnis von Vicuskern I zu Vicuskern II sind so- handelt wurden alle Funde bis zum Jahr 2007. mit kaum zu treffen. Da aber – besonders nach Ausgewählte Fragestellungen und Fundgrup- Windwürfen – im gesamten Bereich des Hammer- pen werden im Folgenden vorgestellt. schmiedschlags immer wieder römische Lesefun- Erste wissenschaftliche Ausgrabungen unter- de zutage traten, wird es sich nicht um einen sepa- nahm zwischen den Jahren 1892 und 1896 die raten zweiten Siedlungskern handeln. Reichs-Limeskommission unter Streckenkom- Drainagegräben, die während Erdarbeiten der missar W. Kohl.8 Untersucht wurden Teile der Fernwasserversorgung Franken in den 1970er Umwehrung, Torbauten und Innenfläche der Jahren weite Teile der Felder südlich und west- VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 101

lich der Kastelle durchzogen, durchschnitten stammt, gleichzeitig aber ein erheblicher Man- über 30 Brandgräber (Gräberfeld I und II). Auch gel an gut dokumentierten Grabungen besteht. sie wurden nur in einer wenige Tage dauernden Mit Ausnahme der Gräberfelder und der Unter- Notgrabung kurz dokumentiert.16 Gräberfeld III suchungen im Vicuskern II – die Sondagen be- wurde dagegen im Frühjahr 1990 ca. 600–700 m rührten nur jeweils die obersten Bodenschich- ostsüdöstlich der Hammerschmiede aufge- ten – handelt es sich bei den Funden aus deckt, als ein heftiger Orkan zahlreiche Bäume Dambach um dekontextualisiertes, also quasi im angrenzenden Wald umstürzen ließ und in wie Lesefunde zu behandelndes Material. Darü- den Wurzelballen insgesamt 18 Brandgräber ber hinaus verteilen sich die Objekte innerhalb und ein halbkreisförmiges, steinernes Grabmo- des ehemaligen römischen Siedlungsgebietes nument freigelegt wurden.17 ganz unterschiedlich: Die Funde aus dem Be- Darüber hinaus sind zahlreiche Fundmeldun- reich der Fischweiher machen fast 60 % der Ge- gen aus allen Bereichen des römischen Dam- samtmenge aus, die Sondagen dagegen zusam- bach bekannt. Ein besonders großer Komplex – men nur 2,2 %. Die Untersuchungen im Vicuskern darunter mehrere hundert Metallkleinfunde II erbrachten lediglich 4,3 %, die Gräberfelder zu- und über 400 Münzen – konnte im Jahr 1984 von sammen immerhin 14,7 % und Lesefunde, die sich der Archäologischen Staatssammlung München innerhalb Dambachs nicht genauer verorten las- erworben werden. Ein großer Teil dieser Funde sen, 19,5 % der gesamten Fundmasse. Charakter dürfte bereits bei Anlage des Moosweihers ge- und Verteilung der Funde setzen den Aussage- borgen worden sein, denn es ist auffällig, dass möglichkeiten somit von vornherein gewisse sich bei den damaligen Notgrabungen zwar gro- Grenzen. ße Mengen Keramik, aber fast keine Metallob- jekte fanden. Der Finder, gleichzeitig der dama- DIE MÜNZEN lige Pächter der Teiche, legte über den gesamten Mit einer Anzahl von über 680 Stücken ist die Platz ein Koordinatennetz, womit sich seine Ob- Dambacher Münzreihe gegenüber den 68 im jekte relativ genau kartieren lassen. entsprechenden FMRD-Band18 veröffentlichten Die vorstehende Auflistung zeigt, dass von die- Münzen inzwischen stark angewachsen und sem Platz zwar ein reichhaltiges Fundmaterial bietet auch im Vergleich zu den meisten ande-

1 Czysz u. a. 2008a; Czysz 2010. 10 Es existiert lediglich ein Luftbild. Dunkle Verfärbungen im 2 Czysz 2010, Abb. 2. Teichgrund mögen auf einstige Befunde hindeuten, jedoch 3 Czysz 2009, 6 mit Abb.; Czysz 2010, 78–79 Abb. 10. – konnten bei Nachuntersuchungen in den Jahren 2002 und Bereits während der früheren Grabungen im Bereich der 2006 – wie auch im Winterweiher – keine römischen Reste Weiher waren mehrere Schuhsohlen in diesem Bereich mehr festgestellt werden (Czysz 2008, 176). zutage gekommen. 11 17.–21. Februar 1975, Leitung L. Wamser und W. Auer: 4 Czysz 2009, 6; Czysz 2010, 82–85 mit Abb. 15a–c; 17. Schwarz 1974/1975, 242–243. 5 Czysz 2010, 77; 80; Czysz u. a. 2008a, 81. Untersuchung der 12 Leitung W. Huber und F. Leja: Koschik 1986; eine kurze Hölzer durch F. Herzig. – Kastell und vicus waren darüber Erwähnung der nur sieben Tage dauernden Kampagne auch hinaus in den letzten Jahren Gegenstand geophysikalischer in: Fundchronik für das Jahr 1986. Bayerische Vorgeschichts- Prospektionen (Faßbinder 2010, 91; Mischka u. a. 2013). blätter Beiheft 2 (München 1988) 132. 6 Czysz u. a. 2008b; Czysz/Herzig 2008. 13 Garbsch 1983, 108–109. 7 Referent: Prof. Dr. M. Mackensen; Koreferent: 14 Kurze Erwähnung der Maßnahme in: Fundchronik für das Prof. Dr. W.-R. Teegen. V. Selke, Römische Funde aus Jahr 1994. Bayerische Vorgeschichtsblätter Beiheft 10 Dambach am Limes (1892–2007). Materialhefte zur Bayeri- (München 1997) 158. Die Funde verblieben in Privatbesitz. schen Archäologie A 100 (Kallmünz/Opf. 2014). 15 Kurze Notiz in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfran- 8 ORL B 6, Nr. 69 Dambach (1901). – Bereits Mitte des ken 97, 1994/1995, 449; Fundchronik für das Jahr 1993. Bayeri- 19. Jahrhunderts wurde ein Hortfund von sieben Bronze- sche Vorgeschichtsblätter Beiheft 9 (München 1996) 166. gefäßen gefunden, der sich heute im Markgrafenmuseum 16 Die Grabung fand keinen Eingang in die Fachliteratur. in Ansbach befindet. Die vier groben Schankkrüge 17 Leja/Thoma 1990. erhielten nach dem Fundort den Namen „Typ Dambach“ 18 FMRD I 5 5005. – Dazu zwei Schatzfunde aus der Umgebung (Petrov szky 2000). (FMRD I 5 5006–5007) und ein kleiner Börsenfund, der 1982 9 26./27. März und 1.–4. Mai 1957, Leitung Ch. Pescheck: an der nach Süden aus dem Kastell herausführenden Straße Hertlein 1959; Pescheck 1960/61. gemacht wurde (Fischer 1985). 102 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

die Reihe langsam an. Ein erstes Maximum ist mit Beginn der Regierungszeit des Septimius Severus zu verzeichnen. Auch Münzen des Elagabal und des Severus Alexander sind häu- fi g, während der Fundanfall mit Prägungen des Maximinus Thrax und Gordians III. merklich zurückgeht, wie es einem üblichen Phänomen besonders in Raetien entspricht.20 Die letzten Prägungen aus Dambach sind vier Antoniniane des Philippus I. Arabs von 244/249 n. Chr. 21 Während es sich bei den Münzen des 1. und des 2. Jahrhunderts n. Chr. vorwiegend um Aesno- minalien handelt, steigt der Anteil der Silber- prägungen mit dem Bürgerkriegsjahr 193 n. Chr. auf über 90 % (Abb. 4). Bei den Bronzemünzen des 2. Jahrhunderts nehmen die größeren Nomi- nalien einen beträchtlichen Anteil ein. Allge- mein wurden im Verlauf des 2. Jahrhunderts n. Chr. verstärkt größere Bronzemünzen, vor al- lem Sesterze ausgeprägt. Weiterhin sind die Stü- Abb. 3: Verteilung der Fundmünzen aus Dambach (ohne die bereits in cke fast ausnahmslos stark bis fast vollständig FMRD I.5 5005 veröffentlichten Stücke). abgegriffen, was bedeutet, dass sie erst lange nach ihrer Ausprägung in den Boden gelangten. Gerade die umfangreichen Aesemissionen des 2. Jahrhunderts n. Chr. bis hin zu Marc Aurel hatten einen wesentlichen Anteil am Bronze- geldumlauf und bestimmten diesen noch bis in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts hinein.22 Für den starken Anstieg der Silberprägungen ab 193 n. Chr. sind verschiedene Gründe anzu- führen: Er ist zum einen durch den sinkenden Feingehalt der severischen Denare zu Beginn der Regierungszeit des Septimius Severus be- dingt,23 in dessen Folge vermehrt höherwertige Nominalien in den Geldumlauf gerieten und dieser insgesamt beschleunigt wurde. 24 Mit der erhöhten Emission von Denaren und später den Antoninianen geht eine reduzierte Aesausprä- gung einher. Zum anderen hatten die wieder- Abb. 4: Nominalienverteilung. holten Erhöhungen des Stipendiums einen er- heblichen Einfl uss auf die Zusammensetzung des Geldes: Unter Septimius Severus wurde das ren Kastellen des mittelraetischen Limesgebiets Stipendium verdoppelt, unter Caracalla noch- eine umfangreiche Materialbasis19 (Abb. 3). mals um 50 % erhöht und unter Maximinus Mit Ausnahme eines einzelnen republikani- Thrax erneut verdoppelt.25 Mit der großen An- schen Denars beginnt die Reihe mit einer An- zahl der in den Nordwestprovinzen stationier- zahl Legionsdenare des Marc Anton, die auf- ten Einheiten erklärt sich auch der vermehrte grund ihres im Vergleich zu gleichzeitigen Münzzustrom an der Grenze bei gleichzeitigem Prägungen geringeren Silbergehaltes noch bis Rückgang im Hinterland, während in anderen ins erste Drittel des 3. Jahrhunderts n. Chr. in Provinzen die Silberprägungen nicht derart nicht geringen Stückzahlen zu fi nden sind. überwiegen.26 Münzen des 1. und des beginnenden 2. Jahrhun- Die beschriebenen Charakteristika – extrem derts n. Chr. sind dagegen selten; erst mit Prä- abgegriffene Bronzemünzen, starker Anstieg gungen der Adoptivkaiser und Antonine steigt der Gesamtzahl der Münzen und speziell der VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 103

Silberprägungen ab 193 n. Chr. – lassen sich da- bei für das gesamte Material aus Dambach fest- stellen und beschränken sich nicht auf die Fun- de aus dem nach Aussage der Dendrodaten sicher erst ab ca. 200 n. Chr. besiedelten Bereich östlich des Kastells. Die hohe Anzahl an Denaren lässt zudem die Fra- ge aufkommen, ob sich unter den Fundmünzen ein nicht erkannter Hortfund verbergen könnte. Eine Kartierung aller mit genauem Fundort ver- sehenen Silberprägungen zeigt eine Konzentrati- on im südlichen Bereich des Moosweihers und auf dem angrenzenden Acker (Abb. 5). Allerdings wurde bei Anlage des Teichs das ausgebaggerte Erdreich nach Süden und Osten verschoben, so dass eine entsprechende Häufung zu erwarten ist. Der hohe prozentuale Anteil von Silberprä- gungen in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. kann auch an anderen Kastellplätzen des Obergermanisch-Raetischen Limes beobachtet anhand von überwiegend dekontextualisiertem Abb. 5: Verteilung werden.27 Deutlichster Hinweis für einen weite- Material einen Zeitpunkt für die Erbauung des der Gold- und Silber- ren Münzschatzfund in Dambach ist der gerin- ersten kleinen Militärlagers und den Beginn des prägungen in Dambach. ge Abnutzungsgrad fast aller Denare des Sever- vicus – der sich vermutlich zuerst im trockenen us Alexander. Da sie kaum Umlaufspuren Bereich im Süden und Westen des Kastells entwi- aufweisen, müssen sie nur kurze Zeit nach der ckelte – anzugeben. Es kann nur versucht werden, Ausprägung in den Boden gelangt sein. sich mit dem zur Verfügung stehenden Material so weit wie möglich einer Datierung anzunähern. ZUR ANFANGSDATIERUNG DES PLATZES Die Münzreihe spricht für eine Datierung des Plat- Bisherige Datierungsvorschläge sehen den Be- zes in die Zeit zwischen 190 und ca. 250 n. Chr. ginn des Kastells von Dambach in einem Zeit- Auch bei anderen chronologisch empfi ndlichen raum zwischen der traianischen Zeit und der Re- Fundgattungen wie Fibeln, Terra sigillata (hier v. a. gierungszeit des Antoninus Pius.28 Erst W. Czysz die glatten Formen) und Gläsern dominieren For- hat sich aufgrund neuerer Funde zwischenzeit- men der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. lich für eine sehr späte Anfangsdatierung um Objekte, die zwingend ins 2. Jahrhundert n. Chr. 190/200 n. Chr. ausgesprochen.29 datiert werden müssen, sind selten. Dennoch lie- Da es vor allem an neueren Grabungen aus dem gen eine Reihe für das Gesamtspektrum auffal- Bereich des Kastells fehlt, fällt es schwer, allein lend alter Funde vor (Abb. 6).

19 Ruffenhofen: FMRD I 5 5017: 29 Stück; Unterschwaningen: 24 Peter 2001, 124; zur Umlaufzeit severischer Denare vgl. auch FMRD I 5 5019: 7 Stück; Böhming: FMRD I 5 5026: 9 Stück; Heising 2008, 79 mit Tab. 2. Pfünz: FMRD I 5 5040–5042: 328 Stück; Gnotzheim: FMRD I 5 25 Speidel 1992, 87–106; für das 3. Jh. n. Chr. bes. Anm. 8–10; 5054.5055: 70 Stück; Gunzenhausen: FMRD I 5 5056.5057: 98–105; Tab. 7 auf S. 106; Jahn 1984, 55–74 bes. 58–70 und 4 Stück, dazu 310 Münzen des Schatzfundes; Theilenhofen: 66–68 bzw. 70. FMRD I 5 5066: 8 Stück; Ellingen FMRD I 5 5087: 4 Stück, 26 Peter 2001, 124. Weißenburg i. Bay: FMRD I 5 5099.5100: 219 Stück. 27 Hier besonders solche mit ausreichend großer Fundmünzen- 20 Fischer 1990, 29–30; Zanier 1992, 109; Kortüm 1998, 40–48 anzahl, z. B. Saalburg (FMRD V.1,1 1161.1162.1172 und Zug- mit Abb. 84. mantel (FRMD V.1,2 1217.1218.1222). 21 Ein Antoninian des Trebonianus Gallus ist verschollen (FMRD 28 Kellner 1953/1954, 60 mit Abb. 27; Kellner in: FMRD I 5 I 5 5005 Nr. 65); ein Sesterz des Aemilian (FRMD I.5 5005 5005, S. 26; Kellner 1965, 166; Ulbert/Fischer 1983, 64; Nr. 66) nicht sicher bestimmbar. Daher sollten die Prägungen Schönberger 1985, 471–472; Kortüm 1998, 40; Grönke des Philippus I. Arabs als Schlussmünzen angesehen werden. 2008, 182 mit Anm. 79; Baatz 2000, 276. 22 Peter 2001, 96–98. 29 Czysz u. a. 2008a, 80; Czysz 2008c 180; Czysz 2009, 4 („nach der 23 Gitler/Ponting 2003, 26; 49–52. Mitte des 2. Jahrhunderts“). – Vgl. auch Sommer 2011, 151; 167. 104 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

a

d

b e

c 6 cm

Abb. 6: a zwei anpassende Fragmente eines Militärdiploms von 112 n. Chr.; b kräftig profilierte Fibel Jobst 4F; c Wandscherbe eines Facetteschliffbechers; d Wandscherbe eines südgallischen, reliefverzierten Terra-sigillata- Gefäßes; e Bodenscherbe mit Stempel des Suarad.

Hierzu zählt ein im Jahr 112 n. Chr. in der Provinz Die zum Trinkgeschirr zählenden Facetteschliff- Moesia inferior ausgestelltes Militärdiplom.30 Die becher aus Glas treten in einer hohen und einer beiden anpassenden Fragmente sind verbrannt niedrigen Variante auf. Besonders häufig finden und verbogen, dürften also aus zur Wiederverwen- sie sich im Zeitraum vom letzten Drittel des 1. dung gesammeltem Altmetall stammen. Dort lan- Jahrhunderts n. Chr. bis zur trajanisch-hadriani- dete das Diplom vermutlich erst, als der dokumen- schen Zeit.32 tierte Erhalt des römischen Bürgerrechts nicht Völlig aus dem Rahmen fällt auch eine vereinzel- mehr von Bedeutung war – also nach Erlass der te Wandscherbe südgallischer Reliefsigillata. constitutio Antoniniana 212 n. Chr. Während die glatten Formen ein relativ eindeuti- Die frühesten datierten Belege für kräftig profilier- ges Spektrum der ersten Hälfte des 3. Jahrhun- te Fibeln mit trapezförmigem Fuß Jobst 4F stam- derts n. Chr. widerspiegeln, stellen die reliefver- men aus Kontexten der Wende vom 1. zum 2. Jahr- zierten Formen den Bearbeiter vor ein größeres hundert n. Chr., die meisten Vertreter finden sich Problem. Zum einen dominieren Produkte aus im 2. Jahrhundert n. Chr., die jüngsten Exemplare in Rheinzabern das Spektrum. Die ansonsten für Kontexten der 70er Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr; die Region typischen Erzeugnisse wie die des so im nur kurzzeitig während der Markomannen- Cinnamus fehlen fast ganz. Dagegen sind neben kriege besetzten Kastell von Eining-Unterfeld und der südgallischen Scherbe einige andere Bruch- aus dem 168/70 gegründeten Legionslager von Po- stücke aus mittelgallischer Produktion vorhan- taissa/Turda in Dakien.31 den; Ware aus Heiligenberg beschränkt sich auf die VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 105

späte Produktion. Die Stücke verteilen sich aber nun sowohl auf die allgemeinen Lesefunde wie auch auf das Material aus den Fischweihergrabun- gen. Dort fi ndet sich auch noch ein – im Vergleich zu den sonstigen Lesefunden etwas geringerer – Anteil der Rheinzaberner Gruppe Bernhard Ia (überwiegend Ianu I und Reginus I). Im Vergleich zu anderen Plätzen am raetischen Limes ist der Anteil allerdings wesentlich geringer.33 Offenbar spiegeln sich in der Zusammensetzung der reliefverzierten Ware in erster Linie die Exportverhältnisse wider. Ein ähnliches Bild bieten die Sigillatastempel, unter denen einer des Suarad aus Banassac, dessen Pro- duktion und Export in einem Zeitraum zwischen ca. 100 und 140 n. Chr. angesetzt wird,34 das älteste Kastellachse gedreht, so dass sich die porta praeto- Abb. 7: Replik einer In- Exemplar darstellt; verschiedene mittelgallische ria nun an der Ostseite befand. Nachdem schrift für Caracalla im Stempel aus Lezoux sind darüber hinaus vertreten. Th. Mommsen die heute verschollene Inschrift IBR Römermuseum Weißen- Insgesamt machen diese frühen Funde aber nicht 306 (Abb. 7) Kaiser Commodus zugewiesen hatte,37 burg (IBR 306). Das Origi- mehr als 0,2 % des gesamten Fundmaterials aus, wurde der Ausbau verschiedentlich in die Zeit nal wurde Mitte des 19. daher ist ihnen bei der Datierung des Platzes kein zwischen 180 und 192 n. Chr. datiert38 und eine Ver- Jhs. auf den Feldern süd- entscheidendes Gewicht zugemessen. Auch auf- legung der bis zu den Markomannenkriegen im lich des Kastells Dambach grund allgemeiner Überlegungen zur Entwick- Kastell Regensburg-Kumpfmühl stationierten gefunden. lung des Platzes (siehe unten) soll daher mit aller cohors II Aquitanorum equitata in Erwägung gezo- gebotenen Vorsicht ein Besiedlungsbeginn in gen.39 Dambach um 180/90 n. Chr. angenommen werden. Betrachtet man jedoch vor allem die Titulatur und Sicherheit könnten hier aber nur neue Untersu- die Filiation, so ist eine Zuweisung dieses Frag- chungen im Bereich des Kastells bringen.35 ments zu einer Ehreninschrift für Caracalla in Zu- sammenhang mit dessen Alamannenfeldzug von DAS KASTELL UND SEINE BESATZUNG 213 n. Chr. wesentlich wahrscheinlicher;40 eine Ver- Für das erste, kleinere Kastell von 0,97 ha Größe ist legung der Einheit aus Regensburg bleibt daher von einer Besatzung in Numerusgröße auszuge- Spekulation. hen. Verschiedentlich wurde angenommen, das Möglicherweise ist die Erweiterung des Kastells in Dambacher Kastell habe die Einheit des um die Zusammenhang mit den anderen in Dambach Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. aufgelassenen Un- nachgewiesenen Baumaßnahmen zu sehen. Hier- terschwaningen aufgenommen.36 Akzeptiert man zu zählen die Ausdehnung des vicus in das schwer allerdings die hier vertretene späte Anfangsdatie- zu bebauende östlich anschließende Gelände nach rung des Platzes, ist dies auszuschließen. Die erste 197/98 n. Chr. sowie die Errichtung der raetischen Besatzung des Kastells muss daher unbekannt Mauer 206/07 n. Chr. Sicherlich wich man für die bleiben. Bebauung nicht ohne triftigen Grund auf das Zu einem späteren Zeitpunkt wurde das Lager Feuchtbodengelände des Moosgrabentals aus, das durch Verlängerung der Schmalseiten zu einem – wie oben beschrieben – erst durch eine kompli- Kastell von 2,2 ha Größe erweitert und dabei die zierte Auffüllung mit Balkenlagen, Hölzern und

30 Vorgelegt von Kellner 1985, 239–243 mit Taf. 23,1a.b. liefern könnte (ORL B 6, Nr. 69 Dambach [1901] 4). 31 Zum Typ zuletzt: Leitner/Färber 2013, bes. 217 für die 36 Garbsch u. a. 1992, 37; Hüssen 1990, 9. spätesten Fundkontexte. 37 CIL III 11921. 32 Rütti 1988, 54–57 mit Abb. 34 u. Taf. 11,863–864 38 ORL B 6, Nr. 69 Dambach (1901) 19; Reinecke 1925, 90; (in Vitudurum Phase III und jünger). Kellner 1965, 166; Fischer 1994, 346; Ulbert/Fischer 1983, 64. 33 Vgl. Greiner 2008, 126 Abb. 156–165. 39 Kellner 1965, 166 Anm. 73; Kellner 1971, 213; Ulbert/Fischer 34 Faber 1994, 209 (Vicus 19/1, Nr. 28, Beil. 5,88). 1983, 64; Schönberger 1985, 471– 472; Garbsch u. a. 1992, 35 Besonders interessant der hier von Kohl angeblich unter Tei- 37; Baatz 2000, 276. len der Ostumwehrung beobachtete Pfahlrost, der vielleicht 40 Freundliche Mitteilung K. Dietz, Universität Würzburg eine dendrochronologische Datierung des Kohortenkastells (E-Mail vom 13. 8. 2011). 106 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 8: Besitzermarke mit Inschrift: Abb. 9: Zwei Fragmente einer verbrannten Inschrift für Severus Alexander vom T(urma)/CC[.]S[---]/LVCI[---]. Südtor des Kastells Dambach.

Sand trockengelegt werden musste, um die Wohn- sind Varianten von Scharnierarmfi beln; Schmuck- häuser tragen zu können. Denkbar ist, dass die fi beln kommen dagegen selten vor. Vergrößerung der Besatzung einen Aufschwung Charakteristisch für die Fibeln aus Dambach ist, mit sich brachte, der für eine steigende Wirt- dass viele Stücke spezifi sche Merkmale aufweisen, schaftskraft an der Grenze sorgte und damit auch die sie von den üblichen Vertretern ihres Typs un- die Ansiedlung von mehr Zivilisten ermöglichte. terscheiden. Verfolgt man diese einzelnen Details, Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch fi ndet man sie häufi g bei Fibeln aus Provinzen an auf zeitgleiche Baumaßnahmen an den principia mittlerer und unterer Donau wieder (Abb. 10). in Aalen41 und den bereits ab 195 n. Chr. durch Sep- Vier Beispiele seien hier kurz vorgestellt: Eine Spi- timius Severus veranlassten Ausbau des raeti- ralfi bel mit gegabeltem Bügel (Abb. 10a) weist statt schen Straßennetzes.42 Möglicherweise sind also der beim Typ Böhme 27 gebräuchlichen dreiecki- die Erweiterungen in Dambach in einem größeren gen Kopfplatte einen vollplastischen Bügelknopf Kontext zu sehen. auf. Häufi ger fi ndet sich dieses Gestaltungsele- Als Besatzung lässt sich eine gemischte Einheit (co- ment an Fibeln aus dem Gebiet des heutigen Serbi- hors equitata) vermuten. Neben dem Gesamtspek- en, die in ihrer Grundform den Typen Böhme 26 trum der militärischen Ausrüstungsgegenstände und 27 entsprechen.44 weist in diese Richtung besonders eine aufwendig Zu einer Spiralfi bel mit dreieckiger Kopfplatte gestaltete Besitzermarke, deren dreizeilige In- und zweimal gelochtem Achshalter (Abb. 10b) schrift T(urma)/CC[.]S[---]/LVCI[---] auf die Statio- liegt bisher nur eine Parallele aus Eining vor. nierung von Reitern schließen lässt (Abb. 8). Die beiden Exemplare sind nahezu identisch, Eine weitere Aus- oder Umbaumaßnahme ist können aber nicht näher datiert werden.45 Ein durch eine Inschrift des Severus Alexander be- zweimal durchlochter Spiralhalter erscheint bei legt43 (Abb. 9). Da das Fragment aus Solnhofener Fibeln anderer Typen in Theilenhofen, Wett- Plattenkalk brandgerötet und mit der Rückseite stetten (Lkr. Eichstätt) und einigen weiteren nach unten in Versturzlage vor dem Südtor des Fibeln aus Raetien, was E. Grönke und W. Zanier Kastells gefunden wurde, weist sie gleichzeitig auf veranlasste, hier eine technische Eigenheit rae- eine (partielle?) Zerstörung in diesem Bereich hin. tischer Fibelproduktion zu sehen.46 Gleichzeitig lässt sich diese Eigenheit aber auch an einer Rei- DIE FIBELN he von Fibeln verschiedenen Typs aus Dakien Insgesamt liegen aus Dambach 126 Fibeln und Fi- beobachten,47 die dort etwa zur Zeit der Marko- belfragmente vor. Diese zeigen ein der zweiten mannenkriege erscheinen. S. Coci vermutet Hälfte des 2. und vor allem der ersten Hälfte des daher, dass die Technik aus den entsprechenden 3. Jahrhunderts n. Chr. angehörendes, deutlich mili- Gebieten jenseits des dakischen Limes über- tärisch geprägtes Spektrum. Besonders zahlreich nommen wurde. VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 107

Sechs Fragmente von Scharnierarmfibeln wei- sen eine etwa halbrunde bis rechteckige Kopf- platte auf (Abb. 10c). Der Bügel besitzt einen rechteckigen bis leicht trapezförmigen Quer- schnitt, der Fuß ist in keinem Fall erhalten. Paral- lelen mit identischer Kopfplattenausprägung fanden sich nur in Eining,48 Theilenhofen49 und Ruffenhofen50. Üblicherweise werden Kopfplat- ten an Scharnierarmfibeln als Kennzeichen für eine Herkunft aus Provinzen an mittlerer und/ oder unterer Donau, wohl vorwiegend aus dem pannonischen Raum, gesehen.51 a Bemerkenswerterweise finden sich auf dem Ge- biet des heutigen Serbien in größerer Anzahl Knie- c fibeln mit Scharnierarmen und etwa halbrunder Kopfplatte.52 Sie waren vor allem in den Provinzen Pannonia inferior und Moesia superior verbreitet. Möglicherweise ist hier das Vorbild für die in Raeti- en gefundenen Scharnierarmfibeln zu suchen. Abschließend sei noch eine Spiralfibel mit halb- runder Kopfplatte angeführt (Abb. 10d). Die dün- nen „Scharnierarme“ mit rechteckigem Quer- schnitt und kleinen Scharnierknöpfen dienen hier nicht mehr dazu, die Achse der Nadel aufzuneh- men, sondern sind zum reinen Zierelement ge- worden. Die wenigen vergleichbaren Stücke zu dieser Fibel stammen alle aus Noricum: eines aus 53 dem Auxiliarkastell Carnuntum, drei weitere aus b 3 cm d der römischen Straßenstation von Windischgars- ten und der villa rustica von Wilhering in Oberös- Abb. 10: a Fibel Böhme 27 mit vollplastischem Bügelknopf; b Fibel mit zweimal ge- terreich.54 Gemeinsam sind allen Exemplaren die lochtem Achshalter; c zwei Fragmente von Scharnierarmfibeln mit halbrunder bis Kopfplatte und die nur noch als Ornament dienen- rechteckiger Kopfplatte; d Spiralfibeln mit Kopfplatte und zum reinen Zierelement den „Scharnierarme“. Ein Stück aus Wilhering war gewordenen Scharnierarmen. offenbar ein Halbfabrikat,55 so dass von einer Her- stellung in dieser Region auszugehen ist. le Bewohner in Dambach niederließen, wurde VICUS UND HANDWERK der schwer zu bebauende Bereich östlich des Der vicus dürfte sich zuerst südlich und west - Kastells ebenfalls aufgesiedelt. Unklar ist, lich des Kastells entwickelt haben, in einem Be - wann der sogenannte Vicuskern II entstand. reich der noch im trockenen Gelände lag. Um Da aber auch aus dem heute bewaldeten Hang 200 n. Chr., als sich mit der Stationierung einer immer wieder römische Funde – besonders größeren militärischen Einheit auch mehr zivi- nach Windwürfen – zutage kamen, ist nicht

41 Alföldy 1989, 301–319 Abb. 4–9. – Vgl. auch: Sommer nähere Datierung); das Stück Taf. 19,287 stammt möglicher- 2011, 170. weise aus Eining. 42 Czysz u. a. 1995, 311. 49 Grönke 2005, 112 Abb. 7,81. 43 Dietz 1988, 116–118. 50 Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 93, 44 Petković 2010, Taf. 52,1–5 (hier Typ 33A.B). 1986/1987, Abb. 144,4. 45 Volpert 1993, 32 Taf. 13,174.175. 51 Böhme 1972, 27; Jobst 1975, 91; Grönke 2005, 112. 46 Grönke 2005, 108 Abb. 3,21.22; Abb. 4,23.24; Zanier 1992, 52 Petković 2010, Typ 19 (bes. Taf. 27,2) u. S. 433 Karte 7. 114 Taf. 15 B15. 53 Stiglitz 1986, 209 Taf. 8,1. 47 Cociş 2002, 73–77, bes. 73 (mit weiteren Nachweisen). 54 Schwanzar 2001, Taf. 1,1–3. 48 Volpert 1993, 27–28 Taf. 9,130–132 (Lesefunde ohne 55 Schwanzar 2001, 208 (Fehlguss). 108 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

davon auszugehen, dass es sich um zwei sepa- rate Siedlungsbereiche handelte. Der vicus von Dambach könnte somit eine Größe von bis zu 15 ha erreicht haben. 56 Handwerk und Gewerbe sind durch verschiedene Funde, besonders aus dem Bereich des Mooswei- hers, belegt. So weisen zahlreiche, bereits wäh- rend der ersten Ausschachtung des Teiches, be- sonders aber während der Kampagne 2008 in Fläche 7 in der Teichmitte gefundene Schuhsohlen und Lederreste auf eine Schusterwerkstatt. Am Ostufer des Teiches fand sich ein Schmiedeofen in situ, der südwestliche Bereich beim Bach konnte durch den Fund einer Mühlenhaue als Standort ei- ner Wassermühle wahrscheinlich gemacht wer- den.57 Gussreste, Halbfabrikate von Kästchenbe- schlägen oder -henkeln, ein Bleimodel eines Gefäßgriffes und viele zur Wiederverwertung ge- sammelte und teilweise bereits zerschnittene Me- tallgegenstände zeigen zudem die Anwesenheit buntmetallverarbeitender Betriebe an (Abb. 11; 12). Zwei Stückchen grüner und ultramarinblauer Glasschlacke sowie möglicherweise das Bruch- stück eines Glashafens könnten auf die sekundäre Verarbeitung von Glas im vicus von Dambach hin- weisen. Es deutet sich an, dass der kleine vicus von Dam- bach in severischer Zeit kurzfristig einen beträcht- lichen wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr. Hin- weis darauf sind auch Funde aus kostbaren Materialien wie Gold, Silber und Elfenbein oder sel- 6,5 cm tene Fundgattungen wie das Fragment eines Email- legefäßes oder ein im Durchmesser ca. 30 cm gro- ßer Kandelaberfuß mit Weinrankenverzierung. Abb. 11 (oben): a Halbfa- Ihr Ende dürften Kastell und vicus von Dambach brikat eines Delfi nhen- wie auch die meisten anderen raetischen Kastelle kels; b Bleimodel eines in der Zerstörung des Jahres 254 n. Chr. gefunden Gefäßgriffes; c abgebro- haben, als mit Ausnahme von Schirenhof sämtli- chenes Statuettenköpf- che raetischen Kastelle in einer Brandkatastrophe chen; d Fragment einer untergingen.58 Bronzestatue; e Fragment einer Bronzeplatte, zer- schnitten. Dr. Valeria Selke Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und Provinzialrömische Archäologie Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München Abb. 12: Gussreste, Bronze. [email protected]

56 Hüssen 1990, 15. 57 Czysz u. a. 2008a, 81; Czysz 2008, 178–180. 58 Reuter 2007. VALERIA SELKE Zum Kastell und vicus von Dambach – der Beitrag der Funde 109

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STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 10 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 113

STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen

ZENTRALE BAUSTEINE DES LIMES geführt haben. Germanen sollten sich auf keinen In der Regel werden mit dem Begriff Limes zual- Fall der Kontrolle an den Übergangsstellen ent- lererst Wälle, Gräben, Mauern, Palisaden sowie ziehen können. Wachttürme und Kastelle assoziiert. Dagegen Es versteht sich natürlich von selbst, dass die römi- sind die Durchgänge, die architektonisch viel- sche Verwaltung auch daran Interesse hatte, mit- leicht nicht das spektakulärste, aber angesichts tels Durchgängen umgekehrt den Zugang in das der Funktion des Limes das zentrale Element die- Gebiet jenseits des Limes zu ermöglichen. Schon al- ses Bauwerks bildeten, im allgemeinen Bewusst- lein die am Limes stationierten Truppen, an erster sein, selbst in Fachkreisen, kaum vorhanden. Stelle die Alen, operierten im Vorfeld des Limes Es ist heute in der Limesforschung opinio com- und mussten die Sperranlangen unproblematisch munis, dass der Limes die Voraussetzung für die passieren können.3 Roms Aktionsradius und Herr- uneingeschränkte Kontrolle des Personen- und schaftsanspruch machten am Limes nicht Halt. Warenverkehrs schaffen sollte.1 Dazu ist ein Ge - Nichts in unserem schriftlichen Quellenbestand ländestreifen festgelegt worden, der von Türmen könnte die zentrale Bedeutung der Limesdurch- aus überwacht wurde. Germanen auf dem Weg gänge besser dokumentieren als die Charakte- in das Innere der Provinzen Obergermanien und risierung der Befestigungswerke am Rande des Raetien sollten diesen Geländestreifen nur an Römischen Reiches durch Aelius Aristides. In pan- den Übergängen, an denen eine Kontrolle statt- egyrischem Überschwang heißt es in seiner be- fand, passieren können. Ansonsten war es, wie rühmten, in der Mitte des 2. Jahrhunderts verfass- Tertullian die Bedeutung des Limes unmissver- ten Romrede: „Aber die Ringanlage, bei weitem ständlich darlegte, den Germanen verboten, den größer und eindrucksvoller, ist überall völlig un- Limes zu überschreiten.2 Der Verstoß gegen die - einnehmbar und unzerstörbar, und sie überstrahlt ses Gebot dürfte unter Strafe gestanden haben. bei weitem alle Befestigungen und niemals vorher Das Wachtpersonal am Limes wird dann die Ein- waren Mauern so stabil gebaut. So eng sind der dringlinge aufgegriffen und einer Bestrafung zu- Befestigungsring der Durchgänge und Mauern

1 Exemplarisch Baatz 2000, 54; Baatz 2004, 58; Schallmayer vgl. Bender 2014b. 2007, 9–10; 31; 57. 3 Zum Auftrag der Alen im Vorland des Limes vgl. Scheuer- 2 Tert. adv. Iudaeos 7,8. Zu der Textstelle und ihrer Deutung brandt 1999, 20. 114 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

GÄNGIGE VORSTELLUNGEN VON LIMESDURCH- GÄNGEN Eine eingehende Beschäftigung mit der Gestal- tung von Limesdurchgängen hat noch nicht statt- gefunden. Abgesehen von zusammenfassenden Betrachtungen, die im allgemeinen Teil am An- fang der meisten Streckenbände der Reichs- Limeskommission enthalten sind,5 bleiben die seitdem erschienenen, auf unzureichender Mate- rialzusammenstellung beruhenden, oberflächli- chen und resümierenden Ausführungen überaus fragmentarisch.6 Unsere gängigen Vorstellungen von Limesdurch- gängen beruhen deshalb auf Modellen in Ausstel- lungen und Grafiken in Publikationen, deren Pla- nung zwar wissenschaftlich betreut war, aber nicht auf intensive Beschäftigung mit der Thema- tik zurückzuführen ist. Kurzum wurden zur Dar - Abb. 1: Holzmodell im Limesmuseum Aalen mit Palisade und Durchgang (1999). stellung von Limesdurchgängen in den Sperranla- gen, ob in Mauern7 oder Palisaden8, einfach Lücken gelassen (Abb. 1; 2). Bei Graben und Wall wurde natürlich ebenfalls eine Unterbrechung dargestellt, was sich jedoch im Zusammenhang mit der Rekonstruktion von Durchgängen als un- problematisch erweist. Wie zu Zeiten, als die Limesforschung noch in den Kinderschuhen steckte, erscheint ohne jegliche archäologische Grundlage immer wieder ein Schlagbaum,9 was freilich der Deutung des Limes als Grenze ge- schuldet ist.10 Erst in jüngerer Zeit wird auch an die Verschließbarkeit der Durchgänge gedacht.11 Natürlich müssen Lücken in den Sperranlagen vorhanden gewesen sein. Dennoch bin ich der Auffassung, dass man von der Gestaltung der Durchgänge ein anderes Bild gewinnen kann.

AUSGEWÄHLTE BEFUNDE Abb. 2: Zinnfigurendiorama im Limesmuseum Aalen mit Durchgang am Raetischen Im Folgenden sollen exemplarisch einige recht Limes (1964). gut dokumentierte archäologische Befunde dargestellt werden, die es erlauben, vom Ausse- und der Ring der Menschen verbunden, welche hen der Limesdurchgänge eine genauere Vor- den ganzen Erdkreis schützen.“ 4 stellung entwickeln zu können. Trefflich reduzierte er die Beschreibung dieser Aufgrund der Sonderstellung des Durchgangs Bauwerke auf die wesentlichen Elemente: den von WP 12/81 (Rainau-Dalkingen, Ostalbkreis), „Ring der Menschen“, der sich bestimmt aus den des sogenannten Limestores Dalkingen, und Besatzungen der Kastelle und Türme zusam- der bereits zahlreich erschienenen Literatur zu mensetzte, vielleicht aber auch die Siedlungen diesem Befund wird der Platz hier nicht berück- am Rande der römischen Welt als zivilisatori- sichtigt.12 sche Vorposten miteinschloss, die „Mauern“, mit Am Anfang der Darstellung stehen zwei Durch- denen zweifellos die Sperranlagen gemeint wa- gänge am Obergermanischen Limes. Im Vorfeld ren, und eben die Durchgänge. von WP 1/65 (Vallendar, Landkreis Mayen-Kob- Trotz der großen Bedeutung von Limesdurch- lenz)13 befindet sich eine Unterbrechung im gängen sind unsere Kenntnisse über ihre Gestal- oberirdisch gut erkennbaren Graben-Wall-Sys- tung und ihre Verteilung im Raum gering. tem. Bei den Grabungen der Reichs-Limeskom- STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 115

Abb. 3: Durchgang bei WP 1/65. Abb. 4: Durchgang bei WP 4/61.

mission wurde dort überdies eine Lücke in der cher Durchgänge wurden an den Strecken 1 und Palisade festgestellt. Der Dokumentation zufol- 2 dokumentiert,15 allerdings nur bei WP 1/26 mit ge endete die Palisade in mächtigen Pfosten, die vergleichbaren Einzelbeobachtungen im Be- einen etwa 2,2 m breiten Durchgang flankier- reich der Palisade wie bei WP 1/65.16 ten.14 Die Lücke in der Palisade befand sich mit - Bei WP 4/61 (Lich-Birklar, Landkreis Gießen) tig vor der rund 14 m großen Unterbrechung konnte ein ähnlicher, aufgrund der Doppelpali- von Graben und Wall, hinter der die Turmstelle sade aber etwas anders gestalteter Limesdurch- mit Holz- und Steinbauphase lag (Abb. 3). Eine gang anhand von Bewuchsmerkmalen aus der Vielzahl hinsichtlich Struktur und Größe ähnli- Luft gut dokumentiert werden (Abb. 4).17

4 Aristeid. or. 26,84; Übersetzung nach Klein 1983. widerspricht der zeichnerischen Wiedergabe des Befundes. 5 Exemplarisch sei auf einige dieser Passagen hingewiesen. 15 WP 1/8: ORL A 1, Strecke 1 (1915) 66 mit Taf. 4,2. – WP 1/13a: Strecke 1: ORL A 1, Strecke 1 (1915) 40–41. – Strecke 2: ORL ORL A 1, Strecke 1 (1915) 70–71 mit Taf. 5,1; 2a. – WP 1/18: A 1, Strecke 2 (1916) 13. – Strecke 13: ORL A 6, Strecke 13 ORL A 1, Strecke 1 (1915) 75–76 mit Taf. 6,3. – WP 1/23: ORL (1930) 18. – Strecke 14: ORL A 6, Strecke 14 (1930) 39. A 1, Strecke 1 (1915) 79 mit Taf. 7,2a. – WP 1/52: ORL A 1, Stre- 6 RGA II, 430–431 s. v. Limes (E. Schallmayer/M. Becker); cke 1 (1915) 104–105 mit Taf. 15,2a. – WP 1/59: ORL A 1, Planck 2009; Kemkes 2014, 21–23. Strecke 1 (1915) 114 mit Taf. 17. – WP 2/8: ORL A 1, Strecke 7 Mauer: Filtzinger 1991, 141 mit Taf. 7 unten (Limesmuseum 2 (1916) 36–37 mit Taf. 3,1a. – WP 2/10: ORL A 1, Strecke 2 Aalen, Zinnfigurendiorama). (1916) 38 mit Taf. 3,2a. – WP 2/11: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 8 Palisade: Kemkes 2006, Abb. 181 (Limesmuseum Aalen, 39 mit Taf. 3. – WP 2/12: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 39 mit Taf. Holzmodell); Jost 2006, 121 Abb. 3,4. – WP 2/13: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 40–41. – WP 2/14: 9 Das Aquarell „Pfahlgraben an der Saalburg“ von Peter Wolt- ORL A 1, Strecke 2 (1916) 41–42 mit Taf. 4,1a. – WP 2/17: ORL ze (1860–1925) gehört zu den frühen Illustrationen eines Li- A 1, Strecke 2 (1916) 45 mit Taf. 4,2a. – WP 2/20: ORL A 1, mesdurchgangs. Wiedergabe des Aquarells als Titelbild und Strecke 2 (1916) 49 mit Taf. 5,1. – WP 2/21: ORL A 1, Strecke Frontispizabbildung bei Moschek 2010. – Grafik, die für eine In- 2 (1916) 51–52 mit Taf. 5,2a. – WP 2/25: ORL A 1, Strecke 2 formationstafel angefertigt wurde, mit Darstellung eines Schlag- (1916) 57 mit Taf. 6,1a. – WP 2/26: ORL A 1, Strecke 2 (1916) baums bei Birley/Rupp 2008, 17. 58 mit Taf. 7,1. – WP 2/27: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 60 mit Taf. 10 Zur Abhängigkeit der verbalen und bildlichen Darstellungen 7,2a; d. – WP 2/28: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 62–63 mit Taf. des Limes und seiner Durchgänge vom politischen Klima ih- 8,2a; 3a. – WP 2/29: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 66 mit Taf. 9,2a. rer Entstehungszeit vgl. Sénécheau 2006, 558–575; 785– – WP 2/52: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 83. – Zwei Übergänge 787. ohne Türme in unmittelbarer Nachbarschaft des Durchlasses im 11 Scheuerbrandt 2009, Abb. 7. Vorfeld des Kastells Holzhausen: ORL A 1, Strecke 2 (1916) 68; 12 Zuletzt Planck 2012. Umfangreiche Sammlung von Publikationen 71; ORL B 1, Nr. 6 Holzhausen (1904) 26–27 Nr. 4 mit Taf. 1,1. aus der Feder des Ausgräbers Dieter Planck bei Bender 2012, 122. 16 ORL A 1, Strecke 1 (1915) 81–82. 13 ORL A 1, Strecke 1 (1915) 121 mit Taf. 18,3; Baatz 2000, 103; 17 Bender 2004, 47–48 mit Abb. 2–4; Klee 2009, 138 mit Abb. Jost 2006, 113 mit Abb. 110; Becker 2012, 197–198 mit Abb. 44; Kemkes 2014, 23 mit 14 Die Angabe von 1,4 m im Text (ORL A 1, Strecke 1 [1915] 121) Abb. 13. 116 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 5: Durchgang bei WP 13/43.

Abb. 6: Durchgang bei WP 13/22.

Abb. 7: Durchgang bei WP 13/50.

Die beiden Palisadengräben, die in einem Ab- Sperranlagen verbunden waren. In der Lücke stand von fünf Metern parallel zueinander ver- des inneren Palisadengrabens scheint sich eine liefen, und der große Graben des Walles wiesen weitere Grube befunden zu haben. Ob der gro- an einer Stelle fünf Meter weite Unterbrechun- ße Graben ganz aussetzte oder sich hier nur zu gen auf. Auf jeder Seite endeten die Palisaden- einem schmalen Gräbchen verengte, ist eben- gräben in großen Gruben, die untereinander falls nicht ganz klar. Hinter dem Durchgang er- durch einen Graben rechtwinklig zur Flucht der hob sich einst der Holzturm, wie der Luftbildbe- STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 117

fund deutlich zeigt. Eventuell lassen sich Spuren trennt. Wie in der Publikation der Reichs-Limes- des Steinturms erkennen, der auch hier wie üb- kommission betont wird, setzten Fundament lich die Nachfolge des Holzturms angetreten ha- und Fundamentgraben im Bereich der Mauerlü- ben dürfte.18 cken aus, so dass kein Zweifel an diesem größe- Am Raetischen Limes beginnt der Überblick ren Limesübergang mit zwei Durchgängen be- mit dem Durchgang bei WP 13/43 (Gunzenhau- steht. Spuren der Holzbauphase des Limes, die sen, Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen).19 Hinweise auf ältere Durchgänge hätten geben Die einfache Unterbrechung der Mauer von können, wurden nicht dokumentiert. 2,85 m Breite befand sich direkt im Anschluss an Wie die Situation bei WP 13/22, so ist auch der den Turm (Abb. 5). „In dem Durchgang lagen 31 m östlich des Steinturms von WP 13/50 (Gun- viele Balken, wahrscheinlich vom Tor, und dar- zenhausen, Landkreis Weißenburg-Gunzen- unter einige ganz kleine Bruchstücke von ver- hausen) gelegene Befund bislang ohne Parallele goldeten Buchstaben aus Bronzeblech, wohl (Abb. 7).25 Eine ausgesprochen große Mauerun- von einer am Tor angebrachten Inschrift“ (ORL). terbrechung von 8,5 m Breite bildete die Durch- Die beiden Fragmente stammen von zwei unter- fahrt für eine Straße, deren geschotterte und schiedlichen Buchstaben,20 wie wir sie von mo - gewölbte Fahrbahn ebenfalls bei den Grabun- numentalen Ehreninschriften kennen, die über gen der Reichs-Limeskommission erfasst wur- Kastelltoren montiert waren und in Verbindung de. Der Größe des Durchgangs entsprachen mit Caracalla und seinem Sieg über die Germa- 0,9 m × 1,5 m große Mauerköpfe, die Torwangen nen 213 n. Chr. gebracht werden.21 Auch zwei zu beiden Seiten der Durchfahrt bildeten. Die- lange Streifen aus dünnem Bronzeblech, die im ses Tor hatte vielleicht ein etwas größeres Pen- Bereich des Durchgangs gefunden wurden, ver- dant als Vorgänger, das unmittelbar vor der dienen in diesem Zusammenhang erwähnt zu Mauerunterbrechung lag und zu einer älteren werden.22 Wie die Grabungen der Reichs-Limes- Sperranlage aus Holzpfählen gehörte, dessen kommission zeigten, befand sich hier – etwas Verhältnis zur weiter nördlich verlaufenden Pa- versetzt von der späteren Passage durch die lisade aber nicht geklärt ist.26 Die große Unter- raetische Mauer – eine 2,30 m große Lücke im brechung teilte ein aus zwei Pfählen gebildeter Palisadengraben.23 Ein 1,70 m breiter und maxi- Mittelpfeiler in eine 5,6 m und eine 6,5 m breite mal 1,40 m tiefer Spitzgraben, der in der Flucht Durchfahrt. Auch hier sind „Holzbalken oder des Palisadengrabens verlief, sperrte den dergleichen und Eisenteile wie von Beschlägen“ Durchlass. „Auf seinem Grunde lagen […] ver- (ORL) zum Vorschein gekommen. Leider ist die kohlte Balken mit Nägeln, […] alles zusammen Situation im Hinblick auf die Fortsetzung der wohl Reste von einem Tor und einer Überbrü- Pfahlreihe unmittelbar östlich dieses Befundes, ckung des Grabens“ (ORL). wo nur noch vereinzelt Pfähle beobachtet wor- Im Anschluss an die Beschreibung eines den sind, unklar. einfachen Durchgangs kommen wir zu dem Be - Die Beispiele zeigen, dass ganz unterschiedliche fund bei WP 13/22 (Wittelshofen-Dühren, Land- Anlagen existierten. Das überrascht keinesfalls. kreis Ansbach), wo der Limes während der Mau- Weder bei den Türmen noch bei den Sperranla- erphase über zwei unmittelbar benachbarte gen herrschte Uniformität.27 Unabhängig von Durchgänge unterschiedlicher Breite verfügte Raum, Zeit und Personal der militärischen Ad- (Abb. 6).24 Die kleinere Lücke von 1,7 m Breite im ministration, das für die zahlreichen Strecken- Anschluss an den Turm war durch einen 5,3 m abschnitte des Limes zuständig war und zur di - langen Mauerabschnitt von einer breiteren, versen Gestaltung der Limesbauten beigetragen 2,3 m weiten Unterbrechung der Mauer ge- haben könnte, mögen lokale verkehrsspezifi-

23 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 47 mit Taf. 6,4b; Fischer/Riedmei- 18 Becker 2012, Abb. 44; Kemkes 2014, Abb. 13. er-Fischer 2008, 94 Abb. 52. 19 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 47 mit Taf. 6,4a; b; Baatz 2000, 24 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 35 mit Taf. 3,6; Baatz 2000, 274; 278; Fischer/Riedmeier-Fischer 2008, 93 mit Abb. 52; Becker Fischer/Riedmeier-Fischer 2008, 86 mit Abb. 47. 2008, 49; Bender 2013, 119–120. 25 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 52 mit Taf. 7,2a; b; d; Baatz 20 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 73. 2000, 279; Fischer/Riedmeier-Fischer 2008, 95 mit Abb. 55. 21 Zu dieser Inschriftengattung zuletzt Pfahl 2012, 57–58. 26 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 13. 22 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 73. 27 Bender 2004, 52–53; Becker 2012, bes. 206–208. 118 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 8: Rom, Markussäule. Gebäude am Beginn von Szene I (Reliefdarstellung im Bereich des vierten Ge- bäudes stark beschädigt und nicht im Bild).

sche Kriterien beim Bau der Limesdurchgänge se Darstellungen zu beziehen. Die Einfriedun- maßgeblich gewesen sein. Deshalb gehört zur gen der Gebäude stellen genauso wie die Limes- ernsthaften Beschäftigung mit den Limes- palisade Sperranlagen dar. Ernst Fabricius, der durchgängen die Altstraßenforschung, die die Palisadenlücke bei WP 1/65 mit einer „Pfor- schon seit geraumer Zeit ins Abseits geraten ist. te“ in Verbindung brachte und fragte, ob diese Mit Forschungsfortschritten auf diesem Gebiet vielleicht sogar über eine Holzschwelle verfügt könnte zudem das Phänomen der Verteilung haben könnte, verwies bereits auf die Darstel- der Limesdurchgänge im Raum besser verstan- lungen der Markussäule.30 Angesichts der den und auf dieser Grundlage immer wieder Relief details meinte er, diese Frage bejahen zu einmal auf solche Einrichtungen geschlossen können. Zwingend ist dieser Rückschluss in un- werden. So mag die Massierung der Durchgän- serem Fall aber keineswegs. ge im Bereich der Strecke 2 zwischen den Kas- Angesichts der Vergleichbarkeit der Architek- tellen Ems und Holzhausen auf Straßenverbin- turen der Limespalisade und der Holzeinfrie- dungen zwischen dem Rhein und der Lahn, dung von Gebäuden am Donaulimes wurde zwei wichtigen Wasserwegen, zurückzuführen eine Rekonstruktion des Limesdurchgangs von sein.28 WP 1/65 analog den Toren im Palisadenzaun der beiden Gebäude in Szene I der Markussäule vor- REKONSTRUKTIONSVERSUCHE genommen. Bei einer Durchgangsweite von Der Befund von WP 1/65 überliefert mit den 2,2 m habe ich mich für zwei Torflügel entschie- Pfosten auf beiden Seiten der Lücke ein wichti- den (Abb. 9). ges Detail. Es liegt auf der Hand, die Pfosten als Bei WP 4/61 ist die Rekonstruktion wegen der Teil eines wuchtigen Türrahmens zu deuten. Doppelpalisade etwas schwieriger. Beide Palisa- Darstellungen der Reliefs der Markussäule stüt- denreihen endeten in starken Pfosten, so dass zen diese Interpretation. In Szene I sind bei drei hier von entsprechenden Holzrahmen ausge- Gebäuden Holzeinfriedungen – in zwei Fällen gangen werden kann. Die Öffnung der inneren Palisaden – erkennbar, die über Durchgänge in Palisadenreihe muss über zwei Torflügel ver- Gestalt eines Tores verfügen, das nach oben ge - fügt haben. Angesichts der Torweite von 5 m ist schlossen und mit einer Tür versehen ist und das zwingend, ganz unabhängig von dem Mit- auf gleicher Höhe wie die Einfriedung endet telpfosten, dessen Standspur sich im Luftbild (Abb. 8).29 Es spricht nichts dagegen, sich bei der wohl zu erkennen gibt und vom Anschlag der Rekonstruktion von Limesdurchgängen auf die- beiden Torflügel herrühren dürfte. Der Befund STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 119

Abb. 9: Rekonstruktion des Durchgangs bei WP 1/65 (Palisade weiß ge- strichen mit roter Sockel- zone). ermöglicht die Rekonstruktion einer 5 m tiefen von WP 13/43 von einer Montage über dem Torgasse, die auf beiden Seiten – wie der Graben Durchgang stammen. Dort mag sich nur der zwischen den Gruben am Ende der Palisaden obere horizontale Balken des Türrahmens be- zeigt – abgeschlossen war. Sehr wahrscheinlich funden haben. Ebenso könnte aber die obere war die Torgasse auch oben durch eine Holz- Partie der Mauer, was wahrscheinlicher ist, über konstruktion geschlossen. Ein Aufbau in Ge- die Öffnung hinweggeführt haben. stalt eines Holzturms auf vier Pfosten – analog Legen wir das Baudatum der Mauer um zu der Situation bei Kastelltoren31 – dürfte ange- 206/20732 und die Entstehung der Inschrift im sichts des nachgewiesenen Holzturmes hinter Jahre 21333 zugrunde, existierte die Mauer be- dem Durchgang ausscheiden. reits, als die Inschrift angebracht werden sollte. Legen wir die Prinzipien zugrunde, die wir am Entweder war der Platz für die Inschrift vor - Obergermanischen Limes – nach oben geschlos- handen, was angesichts der vorauszusetzenden senes Tor und Verschließbarkeit der Öffnung –, Höhe der raetischen Mauer von 3 m eher un- beobachten zu können glauben, kommen wir wahrscheinlich ist, oder es musste die Mauer auch am Raetischen Limes zu plausiblen Rekon- im Bereich von WP 13/43 auf etwa 4,50 m erhöht struktionen. Und nicht nur das: Mit den Buchsta- oder über dem Tordurchlass eine spezielle benresten vom WP 13/43 verfügen wir über ein Holzkonstruktion geschaffen werden. Eine Er- Indiz dafür, dass Durchlässe in der raetischen höhung der Mauer scheint mir wahrscheinli- Mauer wie bei Durchgängen am Obergermani- cher zu sein. Diese Prämisse führt zu einer ent- schen Limes nach oben geschlossen waren. sprechenden Rekonstruktion, bei der die Da solche Inschriften über Toröffnungen ange- Mauer nicht über eine lokale Aufmauerung im bracht zu werden pflegten, dürften die Lettern Bereich des Tordurchlasses verfügt, sondern

28 Zu den Straßen im Gebiet östlich des Rheins und südlich der 30 ORL A 1, Strecke 1 (1915) 121. Lahn, die vom Rhein auf die Höhen des westlichen Hinter- 31 Johnson 1987, 94 mit Abb. 51 oben; exemplarisch in der taunus ziehen, über welche Strecke 2 verläuft: ORL A 1, Stre- Wetterau: Reuter 2004, 99 mit Abb. 2 (Mittelbuchen, Klein- cke 2 (1916) 92–97 mit Kartenbeil. 4; 5. kastell 1). 29 Petersen 1896, 51 mit Taf. 5–7. Eine zeichnerische Darstellung 32 Czysz/Herzig 2008, 224–225. der stark beschädigten Reliefszene von Friedrich Leonhard fin- 33 Pfahl 2012, 58. det sich in ORL A 1, Strecke 1 (1915) Abb. 4,2 u. 3. 120 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 10: Rekonstruktion des Durchgangs bei WP 13/43 (Mauer verputzt und weiß gestrichen mit rotem Fugenstrich und roter Sockelzone).

über eine größere Strecke zu beiden Seiten des Winkelmann in der Publikation der Reichs-Li- Turmes erhöht wurde (Abb. 10). meskommission und verbindet damit die Öff- Unabhängig von dieser Diskussion, muss aus nungen mit gesonderten Nutzungen getrennt statischen Gründen ein Türsturz in Gestalt ei- nach Fuhrwerken und Personen zu Fuß. nes Holz- oder Steinbalkens existiert haben, ge- Am großen Limesdurchgang bei WP 13/50 fas- nauso wie ein Türrahmen und ein zwei- oder sen wir ein bedeutendes konstruktives Ele- einflügliges Tor erst zu einer adäquaten Gestal- ment. In den beiden Torwangen müssen wir sta- tung des Durchgangs geführt hätten. „Viele Bal- bile Vorrichtungen zur Anbringung großer ken“ (ORL), die dort bei den Grabungen zum Torflügel sehen. Analog zum Befund der Toröff- Vorschein kamen, werden von der technischen nung der älteren Holzbauphase muss die große Konstruktion des Durchgangs stammen. Die In- Lücke in der Mauer ebenfalls über einen Mittel- schrift muss nicht an dem Holz gehaftet haben, pfeiler verfügt haben. Er diente als Anschlag für nur weil sich die Buchstabenreste bei den Bal- beide Torflügel und könnte die Torstürze getra- ken fanden.34 Auch die Holzreste vom Durchlass gen haben, welche die Mauer über die große in der Palisade zeugen von aufwendiger Gestal- Durchfahrt hinwegführten. tung, zu der tatsächlich eine Holzbrücke zu ge- hören schien. HÖHE DER DURCHGÄNGE UND RELIEFS DER Es muss offenbleiben, warum der Durchgang in TRAJANSSÄULE der raetischen Mauer bei WP 13/43 mit einer sol- Im Zusammenhang mit den Versuchen, die Tor- chen Inschrift aufgewertet wurde. Ein Zusam- größen zu rekonstruieren, gibt es weiteren Dis- menhang mit militärischen Aktivitäten in die- kussionsbedarf. Grundsätzlich stellt sich die sem Raum während des Germanenfeldzuges Frage, ob die Höhen der hier rekonstruierten von Caracalla im Jahr 213 n. Chr. ist nicht auszu- Durchgänge, die prinzipiell den bereits ange- schließen.35 sprochenen Darstellungen der Markussäule fol - Bei den Durchgängen am WP 13/22 konnte die gen, in jedem Fall reichten. Gewöhnlich setzt Mauer sicher problemlos – falls sich hier nicht man für die Palisade wie für die Mauer eine auch Inschriften befanden – mit einem Sturz Höhe von 3 m voraus, was bei einem Durchgang aus Stein oder Holz über die Öffnung geführt mit einem Balken als oberem Abschluss eine werden. Leider fehlen Befunde zur Ausgestal- lichte Höhe von etwa 2,80 m bedeuten würde. tung der beiden Mauerdurchlässe. „Hier hat also Bei schmäleren Durchgängen reichte diese ein Durchgang und eine gesonderte breite Höhe für Personen zu Fuß oder abgesessen mit Durchfahrt bestanden“,36 urteilte Friedrich dem Pferd. Reichte das aber für Reiter und Fuhr- STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 121

werke? An breiteren Durchgängen mussten die römischen Baumeister gestalterische Mittel Fuhrwerke passieren, aber auch größere römi- eingesetzt haben, um beim germanischen Be- sche Reiterkontingente – ohne absitzen zu müs- trachter eine besondere Wirkung zu erzielen. 39 sen – die Sperranlagen des Limes durchqueren Für viele Germanen bedeutete die Begegnung können. mit dem Limes den ersten Kontakt mit der rö- Gebäudedarstellungen des Reliefs der Trajans- mischen Welt. Hier konnte Respekt eingeflößt säule bieten die Möglichkeit, unser Bild von den und deutlich gemacht werden, welche Autorität Limesdurchgängen dahingehend zu erweitern. die Macht beanspruchte, auf die man hier traf. Dort werden immer wieder Sperranlagen ge- Die Architektur des Limes sollte die uneinge- zeigt, die an die nordafrikanischen clausurae er- schränkte Macht, die Erhabenheit Roms (maies- innern37 und von Dakern errichtet worden sein tas imperii) demonstrieren. sollen. Ob tatsächlich die Daker in allen Fällen Im Gegensatz zu den am Anfang angesproche- die Bauherren waren, bleibt noch zu überlegen. nen althergebrachten Gestaltungsmodellen Zumindest erscheinen die dakischen Architek- passt die aufwendige und monumentale Erschei- turen in römischer Gestaltungsweise. Deshalb nung der Durchgänge ganz in dieses Bild. Der sollten die einschlägigen Darstellungen der Tra- psychologischen Komponente der Gestaltung janssäule einmal systematisch zusammenge- der anderen Limesbauten entsprach die spezielle stellt und im Hinblick auf die Rekonstruktion architektonische Situation der Übergänge, bei von Limesdurchgängen ausgewertet werden. der Passage des Limes unter etwas hindurchge- Eine erste Durchsicht zeigt, dass wir auch mit hen zu müssen. Die Symbolik eines solchen Vor- Durchgängen zu rechnen hätten, deren Tore gangs veranschaulicht eine berühmte Episode über die Sperranlagen hinausragten und eine des Zweiten Samnitenkrieges (326–304 v. Chr.): lichte Höhe von weit mehr als 3 m besaßen.38 Da- Nach der Schlacht bei Caudium im Jahr 321 mit hätten Fuhrwerke und Reiter problemlos die v. Chr., die für die Samniten siegreich verlief, Sperranlagen des Limes passieren können. wurde das gesamte römische Heer unter das Joch gezwungen.40 Dieser Akt der Demütigung PSYCHOLOGISCHE DIMENSION DER ARCHITEKTUR bestand darin, sich nach Abgabe der Waffen Die Architektur des Limes auf reine Funktiona- durch eine Pforte („Kaudinisches Joch“) zu bege- lität zu reduzieren, wird dem Charakter des ben, die aus drei samnitischen Speeren konst- Bauwerks nicht gerecht. Die Schaffung einer ruiert worden war.41 Im Zuge der Samnitenkrie- den Germanen zugewandten Fassade, die durch ge lernten die Römer von den Samniten auf dem eine entsprechende Ausrichtung der Sperranla- Gebiet der Waffentechnik und militärischen gen erreicht worden war, sowie die Hinweise für Taktik, was in entsprechenden Aneignungen eine repräsentative Ausgestaltung der Anlagen Ausdruck fand.42 Sofort scheint auch das Ver - belegen das Gegenteil. Die Polychromie der Li- fahren, ein solches Joch zu passieren, Aufnahme mesarchitektur im Rahmen der hier vorgenom- in das Repertoire römischer Herrschaftsaus- menen Rekonstruktionsversuche ist diesem übung gefunden zu haben,43 was später archi - Deutungsansatz geschuldet. Bewusst dürften tektonisch in den Triumphbögen Gestalt ange-

34 Für eine Anbringung der Inschrift an diesem Holz Becker 2008, 49. 42 Bleicken 2004, 33. 35 Vgl. zu dem möglichen historischen Kontext Bender 2013, 43 Liv. 10,36. Im Jahr 320 v. Chr. sollen nach der erfolgreichen römi- 119–120. schen Belagerung von Luceria, die im Anschluss an die für die Rö- 36 ORL A 6, Strecke 13 (1930) 35. mer siegreiche Schlacht vor den Toren der Stadt erfolgte, samni- 37 Klee 2006, 143–144 mit 131 Abb. (Kartierungen). tische Soldaten durch die Pforte aus Speeren geschickt worden 38 Szene LXV: Cichorius 1896, 297–302 mit Abb. 55; Taf. 45; sein. Diese Vorgänge wurden als Konstruktionen der römischen 46; Lehmann-Hartleben 1926, Taf. 31. – Szene LXVII: Cicho- Historiographie entlarvt, welche versuchte, die römische Niederla- rius 1896, 315–319 mit Abb. 58; Taf. 48; Lehmann-Hartleben ge bei Caudium zu relativieren. Vgl. dazu Grossmann 2009, 79– 1926, Taf. 31. – Szene LXXII: Cichorius 1896, 335–342 mit 81. – Auch wenn diese Ereignisse fingiert worden waren, wird Abb. 60; Taf. 51; 52; Lehmann-Hartleben 1926, Taf. 34. man wohl von der römischen Übernahme des Brauchs, Gegner 39 Hierzu Bender 2104. unter das Joch zu schicken, ausgehen dürfen. Leider dürfte der 40 Liv. 9,4–6; Heuss 1964, 48–49; Bleicken 2004, 33. Quellenwert von Liv. 3,28 zu gering sein, um den Römern zwei- 41 Zur Konstruktion Liv. 3,28. felsfrei die Urheberschaft des Ritus zu bescheinigen. 122 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

nommen haben dürfte. Die Gefangenen der weise verfügen, die zu einem konkreten Bild Triumphzüge mussten unter diesen Bögen hin- solcher Anlagen führen. Nach oben geschlosse- durchgehen. Bei der Passage von Toren und Tü- ne Durchgänge bilden eine wichtige Aussage ren unter etwas hindurchzuschreiten, vermit- der Architektursprache. Wie die Vielzahl ange- telt auf symbolische Weise unmittelbar, sich in rissener Themen zeigt, wäre eine umfassende einen anderen Raum und unter Aufsicht und Studie zu den Durchgängen am Limes wün- Macht eines Anderen zu begeben. Diese Konno- schenswert. Zur weiteren Beschäftigung mit tation entspricht der Bedeutung des Limes, an diesem wichtigen Kapitel der Limesforschung dessen Durchgängen Germanen der Kontrolle will dieser Beitrag anregen. und Aufsicht unterzogen worden waren und – bestenfalls demütig – von einer Welt in die an- dere gelangten. Tacitus gibt eine Vorstellung davon, was an die- sen Plätzen am Limes passiert sein könnte.44 Er überliefert für das 1. Jahrhundert, dass Tenkte- rern, die nach dem Übersetzen über den Rhein das links des Flusses gelegene Gebiet betreten wollten, Auflagen gemacht wurden. Nur unbe- waffnet und nach Entrichtung einer Geldzah- lung konnten sie unter Aufsicht den Weg fort- setzen. Überträgt man eine solche Praxis auf den Limes, bedeutet dies, dass neben dem Wachtdienst weiteres spezielles Personal an den Durchgängen erforderlich war. Es war dort viel- leicht ohnehin präsent oder konnte bei Bedarf angefordert werden.

WICHTIGE FORSCHUNGSAUFGABE Die Beschäftigung mit den Limesübergängen ist lange vernachlässigt worden. Hier gibt es Nach- holbedarf. Nur kurz wurden im Rahmen dieses Beitrags die räumliche Verteilung der Limes- Dr. Stephan Bender durchgänge und die Kontrollaufgaben, die an Regierungspräsidium Stuttgart diesen zentralen Limeseinrichtungen anstan- Landesamt für Denkmalpflege den, angesprochen. Es ist wichtig gewesen auf- Berliner Straße 12 zuzeigen, dass es verschiedene Kategorien von 73728 Esslingen am Neckar Durchgängen gegeben hatte und wir über Hin- [email protected]

44 Tac. hist. 4,64. Vgl. dazu auch Baatz 2004, 56. STEPHAN BENDER Überlegungen zur Gestaltung von Limesdurchgängen 123

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LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 11 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 125

LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück?

Im Jahr 2000 wurde im äußeren Spitzgraben des Kohortenkastells von Mainhardt ein 36 cm ho- hes Sandsteinrelief mit Beschädigungen auf der Schau- und Unterseite geborgen.1 Es handelt sich um einen hausförmigen recht- eckigen Votivaltar,2 bestehend aus einem Giebel und einem Bildregister (Abb. 1). Zwischen dem Giebel3 und dem unteren Bildfeld befi ndet sich ein 6 cm hoher, glatter Bereich. Die Bildfl äche des Giebels, umgeben von einem 2,5 cm breiten Rahmen, zeigt eine dem Betrachter frontal zu- gewandte Büste. Sie ist leicht nach links ver- setzt, wobei der Platz vom Betrachter aus rechts neben der Figur frei bleibt. Die erhobene rechte Hand, an der noch drei Finger erkennbar sind, hält einen leicht gebogenen Gegenstand. Das langärmelige Gewand setzt etwas tiefer unter dem Handgelenk an. Der linke, zur Brust erhobe- ne Arm ist teilweise, die Hand stark abgewittert. Das untere Bildfeld ist von einem fl achen Rah- men4 umgeben (Abb. 2). Auf der für den Betrach- ter linken Seite befi ndet sich eine weibliche Abb. 1: Votivaltar mit dreihörnigem Stier aus Mainhardt.

1 Stork 2000, 84–87. 4 Rahmen: 2 cm Breite auf den Seiten und 3,5–4 cm Breite auf 2 Das Bildregister ist 24 cm × 15 cm, der Giebelbereich der Unterseite. Diese weist eine 3 cm × 2 cm große Absplit- 22 cm × 14 cm groß. terung auf der linken und eine 13 cm × 4,5 cm große auf der 3 Der Giebel selbst hat Seitenlängen von 11,5 cm × 9,5 cm × unteren Seite auf. Auf der rechten Seite ist die Rahmung auf 10 cm und ist leicht asymmetrisch. einer Länge von 12 cm verloren. 126 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

LITERARISCHE QUELLEN UND BIOLOGISCHE VORBILDER Dreihörnige Stiere sind in der antiken Literatur un- bekannt. Zwar erwähnt Caesar in De bello Gallico, dass es in Germanien ein Rind gäbe, das einem Hir- schen ähnele und auf der Stirn mittig zwischen den Ohren ein Horn trage.8 Dieses Wesen mit nur einem Horn kann jedoch nicht als Referenz für die dreihör- nigen Stierdarstellungen herangezogen werden. Im Gegensatz zu vier- oder sechshörnigen Schafen9 kommen in der Natur nur Stiere mit zwei Hörnern vor. Allerdings kann es vereinzelt zu Genmutatio- nen kommen, die zur Ausprägung eines dritten Horns führen.10 O. Putelat führt mit dem Hinweis auf das Vorkommen der Lungenseuche bei Rindern in Gallien11 eine traditionelle „Impfungsmethode“ an, die auf dem Nasenrücken bzw. der Stirn der Rinder durchgeführt wird und eine an ein Horn erinnernde knorpelartige Verwachsung vom mehreren Zenti- metern zur Folge haben kann.12 Solche Verwach- sungen wurden noch im 19. Jahrhundert irrtümlich für ein drittes Horn gehalten.13 Nach Putelat könnte Abb. 2: Detailaufnahme Figur5 in knöchellangem Gewand, die mit bei- diese Impfmethode auch in der Antike schon be- des unteren Bildfeldes des den Händen mittig auf Gürtelhöhe einen Korb kannt gewesen und angewendet worden sein. Mainhardter Steins. hält. Es handelt sich möglicherweise um eine Adorantin. Sie wird von dem Stier auf der rech- DARSTELLUNGEN UND IKONOGRAPHIE DREI- ten Seite des Bildfeldes durch ein Architektur- HÖRNIGER STIERE element – eine Säule – getrennt.6 Die Darstellung von dreihörnigen Stieren im Der kräftige junge Stier7 schreitet, das rechte Gebiet der Nordwest-Provinzen ist, wie in der Vorderbein erhoben, nach links, den Kopf dem Tabelle 114 im Anhang dieses Beitrags ersicht - Betrachter zugewandt. Die Gesichtszüge des lich, keine Seltenheit (Abb. 3). Erste Zusammen- Tieres sind verwittert. Deutlich hervor stehen stellungen erfolgten durch S. Reinach,15 Abbé nur noch das linke Ohr sowie die drei Hörner. Morillot,16 F. Heichelheim17 und W. Deonna.18 Die Das linke Horn ist am Ansatz abgeschlagen, das erste Gesamtvorlage dreihörniger Stiere er- rechte bestoßen und das dritte, mittig auf dem schien 1953 von A. Colombet und P. Lebel,19 die Kopf sitzende stark abgewittert. Das Ende der auch die erste, im Folgenden erweiterte Typolo- Schnauze und der Nasenrücken sind ebenfalls gie vorlegten:20 bestoßen. Die Wamme zeichnet sich deutlich auf der Brust des stolzen Tieres ab. Die Muskula- Typ 1a: Stolzer, gehender Stier mit einem erho- tur im Nackenbereich sowie die des Vor der- und benen Vorderbein und über den Rü- des Hinterbeines sind summarisch modelliert. cken kringelndem Schwanz Die Schulter, die Hüfte sowie das Hinterbein Typ 1b: Stolzer, gehender Stier mit einem erhobe- weisen Abplatzungen auf. Das rechte Hinter- nen Vorderbein und zwischen den Hin- bein ist teilweise verloren, das linke auf Kniehö- terbeinen herunterhängendem Schwanz he abgeschlagen. Dies gilt auch für das vordere Typ 2a: Stehender Stier mit herunterhängen- linke Bein. Die vier Hufe sind nur noch zu erah- dem Schwanz nen. Der Schwanz des Tieres, mit ebenfalls ab- Typ 2b: Stehender Stier mit über den Rücken geschlagener Spitze, hängt zwischen den Hin- kringelndem Schwanz terbeinen herab. Typ 3: Stier mit zum Angriff gesenktem Kopf21 Der Votivaltar war ursprünglich farbig gefasst. Typ 4: Stier mit drei Büsten auf dem Rücken Die Reste der Farbgrundierung haben sich in Typ 5: Triumphierender Stier mit dem Kopf ei- der Rahmung oberhalb des Stierkopfes und in nes Menschen oder einem mythologi- der Kehlung, die die Unterseite des Stierbau- schen Wesen zwischen den Beinen22 ches vom Hintergrund abhebt, erhalten. Typ 6: Dreihörnige Stierkopfprotome LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 127

Abb. 3: Fundortkartie- rung der Darstellungen dreihörniger Stiere.

Die Mainhardter Darstellung entspricht dem Typ 1b, Bei der detaillierten Betrachtung der dreihörni- dem stolz schreitenden Stier mit erhobenem Vor- gen Stiere fällt auf, dass einige Exemplare unab- derbein und mit gerade zwischen den Hinterbeinen hängig vom Typ eine Bauchbinde tragen. herabhängendem Schwanz (Abb. 2). Diese Darstel- Bauchbinden kommen meist in Verbindung mit lung ist auch in Auxy, Bayonne, Beire-le-Châtel, Opfertieren vor. Verstünde man sie generell als -Heddernheim, Baden, Frankfurt-Schwan- Symbol für das zu opfernde Tier, würde dies be- heim, Waiblingen, Güglingen, Oberwinterthur und deuteten, dass der göttliche, dreihörnige Stier Guberevac belegt und als Typ häufig vertreten. selbst als für eine Opferung bereit dargestellt

5 Die Figur ist 12 cm hoch und 3,8 cm breit. Das Gesicht ist 11 Colum. 6,5,10; 6,8,1 und Verg. Georg. 3,470–494. ausgelöscht, die Frisur beschlagen, aber noch eindeutig als 12 Putelat 2005, 293–301. weiblich zu erkennen. Eine weitere Abplatzung ist im Brust- 13 De Rochbrune 1880; Cornevin 1891. bereich zu vermerken. Die Oberfläche der Hände und des 14 In die Tabelle wurden nur Stiere aufgenommen, die in der Li- Korbes ist weitestgehend verloren. teratur als dreihörnig beschrieben sind oder bei denen eine 6 Dieses ist 13,5 cm lang und 5 cm breit. Die obere rechte Ecke bildliche Darstellung die Dreihörnigkeit belegt. Sie umfasst des Elements ist auf einer Fläche von 4,6 cm × 1 cm verloren. 77 Exemplare. Des Weiteren ist das Architekturelement auf seiner gesam- 15 Reinach 1894, 278, Anm. 1. ten Länge bestoßen. 16 Siehe Mowat 1890, 188–190. 7 Der Stier ist 12,3 cm × 11,6 cm groß. 17 Heichelheim 1932, 2453–2457 . 8 Caes. Gall. 6,26: Est bos cervi figura, cuius a media fronte in- 18 Deonna 1941, 120–186. ter aures unum cornu existit excelsius magisque derectum his, 19 Colombet/Lebel 1953, 120. quae nobis nota sunt, cornibus; ab eius summo sicut palmae 20 Ergänzt wurde die Typologie um die Unterpunkte 1b, 2b und ramique late diffunduntur. den Typ 6. 9 Putelat 2005, 295. 21 Die einzige Darstellung dieses Typs (Colombet/Lebel 1953, 10 Wie dies im indischen Zirkus Chitradurgg zu beobachten ist: 116 Nr. 24) scheint nicht gallorömisch zu sein und wurde F. Rozindar, One of a kind and a saviour too. The Hindu. On- nicht in die Tabelle aufgenommen. line edition. URL: (Zugriff: 13. 3. 2014). 128 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 4: Verbreitungskarte der Darstellungen drei- hörniger Stiere nach Materialgruppen.

werden würde. Diesen Widerspruch erkannten durch einen Steg verbunden. Die kleinen Forma- bereits Colombet/Lebel23 und Renard24 und ver- te von unter 10 cm Höhe wurden vor allem als wiesen darauf, dass auch andere Götterdarstel- Bronzestatuetten (Nr. 49) und in den seltensten lungen mit Bauchbinden dargestellt sind. So Fällen aus Ton, von 5–6 cm Höhe (Cutry, Colches- trägt zum Beispiel der Gott von Saint-Vulbas ter) angefertigt (Abb. 4). Mit Ausnahme der eine Bauchbinde mit Kreisverzierung.25 Somit Relief darstellungen aus Güglingen und Main- sind verzierte oder unverzierte Binden nicht hardt handelt es sich um vollplastische Darstel- nur als ein Symbol für eine Opferhandlung zu lungen (Abb. 5 ). sehen, sondern auch allgemein als Zierelement. Man versah den göttlichen dreihörnigen Stier VERBREITUNG DER DREIHÖRNIGEN STIERDAR- also mit einem schmückenden Element.26 STELLUNGEN Eine Kartierung der Funde zeigt, dass dreihör- FORMAT UND MATERIALIEN nige Stiere entgegen der Aussage von L. Closuit Die dreihörnigen Stiere lassen sich drei verschie- auch außerhalb Galliens nachgewiesen werden denen Größenkategorien zuordnen. Lebensgro- können.28 Immer noch am stärksten vertreten ße bzw. leicht unterlebensgroße Darstellungen sind sie in der Franche-Comté, der östlichen (Martigny, Avrigney) sind überwiegend aus Bron- Bourgogne und der südlichen Champagne-Ar- zelegierung hergestellt. Eine Ausnahme scheint denne sowie der östlichen Schweiz. Man kann hier die Kalksteinskulptur aus Trier mit noch eine verstärkte Häufung in den Stammesgebie- 92 cm Höhe zu sein.27 Die deutlich unterlebens- ten der Sequaner, Mandubier und Helvetier er- großen Darstellungen mit einer Höhe von ca. 20– kennen (Abb. 6). Aber auch im südlichen Groß- 60 cm sind meist aus Stein (Vertault, Beire-le-Châ- britannien häufen sich die Funde mit zehn tel, Seltz, Villiers-le-Duc, Frankfurt-Schwanheim, Fundstellen. Bei genauerer Betrachtung zeigt Seltz, Bad Cannstatt, Waiblingen, Köngen, Mainz- sich eine dritte Konzentration im rechtsrheini- Kastel, Nürtingen, Obertraubling, Güglingen) schen Obergermanien: Zu nennen sind hier und nur selten aus Bronze (Nr. 43, 44) hergestellt. Waiblingen, Nürtingen, Güglingen, Stuttgart- Aus statischen Gründen ist bei den Steindarstel- Bad Cannstatt und Köngen oder auch Frankfurt lungen oft der Raum zwischen Bauch und Sockel am Main-Schwanheim und Stockstadt. Im Ver- LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 129

gleich dazu sind nur wenige Funde aus den Nie- derlanden, Italien, Österreich und Ungarn be- kannt (siehe Abb. 3). Die Kartierung zeigt zudem regionale Vorlie- ben bei der Materialwahl (siehe Abb. 4). Darstel- lungen in Bronze dominieren eindeutig in Frankreich, der Schweiz sowie in Britannien. Steindarstellungen aus diesen Gebieten liegen nur aus Antigny-Gué de Sciaux, Vertault, Beire- le-Châtel, Seltz und Villiers-le-Duc vor. Völlig anders sieht es hingegen in der Germania supe- rior und den unmittelbar westlich und nördlich angrenzenden Gebieten aus. Hier werden drei- hörnige Stiere nahezu ausschließlich in Stein dargestellt. Als Ausnahmen sind zu nennen: Beilen, Vechten, Xanten und Wels. Für die bei- den Terrakotten aus Colchester und Cutry sind bislang keine Parallelen bekannt. Vergleicht man nun die Darstellungstypen des schreitenden und des stehenden Stiers, fallen keine regionalen Unterschiede auf. Hier schei- nen der statische und der dynamische Stier glei- chermaßen vertreten gewesen zu sein (Abb. 7). Bei plastischen Darstellungen in Stein bietet die ruhende Haltung einen statischen Vorteil ge- genüber der gehenden mit Spielbein. So domi- niert die stehende Darstellung bei den Stein- plastiken mittlerer Größe (11 : 3). Die Stiere des Typs 5 mit Kopf zwischen den Beinen (Trier, Bad Cannstatt und Nürtingen) kommen nur in der Gallia Belgica und der Germania superior vor. Abb. 5: Votivaltar aus Güglingen (Tab. 1, Nr. 70).

FUNDKONTEXTE stammen aus Gräbern, die Funde aus Glanum Viele der dreihörnigen Stiere sind Altfunde und Wels aus einem Gräberfeld. Die Stierdar- und die Fundumstände und -kontexte sind nur stellung von Southbroom gehört den Ausgrä- unzureichend dokumentiert. Nur 24 Objekte bern zufolge zu einem Larariumsdepot. 29 Der lassen sich näher zuordnen, von denen sicher Fund aus Frankfurt und einer der Funde aus nicht alle an ihrem ursprünglichen Aufstel- Güglingen wurden in einem Brunnen, der aus lungsort geborgen wurden. Mainhardt in der Grabenverfüllung des Kas- Die Funde von Martigny und Leicester waren tells gefunden und das Stück aus Willingham vermutlich im Forumsbereich aufgestellt. Die Fen war Teil eines Hortfundes. Sie sind sekun- Statuetten aus Avrigney, Auxy, Beire-le-Châtel, där verlagert und liefern demnach nur bedingt Saint-Révérien, Villiers-le-Duc, Maiden Castle, Informationen über ihren ursprünglichen Auf- Bad Cannstatt und Trier werden mit einem stellungsort. Bislang nicht zu deuten ist der Tempel oder Heiligtum in Verbindung ge- Fund aus Seltz, der in einem Werkstattbereich bracht. Die Funde aus Cuty und Colchester gefunden wurde.30

23 Colombet/Lebel 1953, 128. 28 „Dans la fi guration à trois cornes, largement mais exclusive- 24 Renart 1989, 7. ment répondue en Gaule […].“ Closuit 1978, 16. 25 Colombet/Lebel 1953, 128. 29 Boon 1973, 265–269. 26 Unterberger 2013, 275. 30 Schaeffer 1926, 22. Das Steinartefakt wurde in einer 27 Binsfeld/Goethert-Polaschek/Schwinden 1988, 209 Nr. 420. Schreiner- und Kupferwerkstatt gefunden. 130 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 6: Konzentration der Darstellungen dreihörniger Stiere im Gebiet der Sequaner, Mandubier und Helvetier.

Abb. 7: Verbreitungskarte der Darstellungen dreihörniger Stiere nach Typen. Der Vertreter des Typs 3 ist ein Altfund ohne Fundortangabe, der mögliche Vertreter des Typs 4 ist nicht eindeutig in seiner Darstellung. LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 131

Größere Stierdarstellungen scheinen sich auf chen Qualität der Plastiken ist eine absolutchro- den Forumsfund von Martigny und die Tempel- nologische Einordnung kritisch zu hinterfragen. funde von Avrigney und Trier zu beschränken. Über den Befund, meist mit einem Terminus Herausragendster Fund ist dabei der der lebens- ante quem, sind hingegen die Funde aus große Bronzestier aus Martigny. Dieser belegt, L’Albenc (1. Jh. v.–1. Jh. n. Chr.),42 Cutry (claudisch- wie schon Closuit erkannte, „que cette divinité domitianisch),43 Leicester (trajanisch),44 Auxy ait continué d’être vénérée à côté des dieux ro- (Ende 2. Jh.–3. Jh.),45 Villiers-le-Duc (2.–4. Jh. mains, même après la romanisation, prouve n. Chr.),46 Seltz (Ende 3. Jh.),47 Mainhardt (Mitte combien étaient profondément enracinées les 2. Jh.–Mitte 3. Jh.), Güglingen (hadrianisch–Mitte pratiques religieuses celtiques de la population 3. Jh. n. Chr.),48 Frankfurt-Schwanheim (Ende indigène de la vallée du Rhône.“31 Der Stierkult 1. Jh. n. Chr.–222/228 n. Chr.),49 Vertault (1.–3. Jh.),50 war zumindest in Martigny im Kontext der Xanten (2.–3. Jh.),51 Augst (erstes bis letztes Vier - Staatsreligion akzeptiert. Green geht davon aus, tel 3. Jh. n. Chr. )52 und Maiden Castle (367–5. Jh.) 53 dass das Stück aus Auxy dem Kaiser geweiht zeitlich einzuordnen. war.32 Jedoch liefert hierfür weder die Fundlage Unter ausschließlicher Berücksichtigung der noch die Inschrift, die besagt, dass der Stifter Funde, die aus dem Fundkontext heraus datiert das Stück von seinem eigenen Geld finanziert werden können, sind dreihörnige Stiere in Galli- hat, eindeutige Belege. en sicher seit dem 1. Jahrhundert n. Chr., in Bri- Aus diesen wenigen lokalisierten Funden er- tannien und in der Germania superior seit dem schließt sich, dass der dreihörnige Stier sowohl 2. Jahrhundert n. Chr. belegt. im staatlichen, öffentlichen (ex voto) als auch im Dies spricht dafür, dass der Kult des dreihörni- privaten Kult (lararium) seinen Platz hatte33 und gen Stieres in Gallien, vor allem im Gebiet der in einigen Fällen in Form von Terrakotten den Sequaner seinen Ursprung hat und sich von Toten ins Grab mitgegeben wurde. dort aus nach Britannien und in die Germaniae sowie Noricum und Raetien ausbreitete. DATIERUNG Anhand der derzeit wenigen datierbaren Stü- Die Datierung der dreihörnigen Stierdarstellun- cke zeichnet sich keine typlogische Entwick- gen erfolgte zum einen über stilistische Merkma- lung ab. le, zum anderen über den Fundkontext und ge- staltet sich äußerst schwierig.34 So lassen sich HERKUNFT DER IKONOGRAPHISCHEN derzeit nur 22 Exemplare datieren. DARSTELLUNG Die Exemplare aus Beyonne (1. Jh. v. Chr.),35 Mar- Colombet/Lebel gehen wie schon Furtwängler54 tigny (1. Jh.),36 Avrigney (1. Jh.), 37 Colchester davon aus, dass die ältesten Darstellungen in (1. Jh.),38 Trier (nach der Mitte des 2. Jhs.), 39 Mainz- Gallien von eingewanderten italischen Hand- Kastel (3. Drittel 2. Jh.)40 und Waiblingen (2. Hälfte werkern hergestellt wurden, die auf Apisdar- 2. Jh.–3. Jh.)41 werden stilistisch datiert. Angesichts stellungen zurückgriffen und die ihnen bekann- des Erhaltungszustandes und der unterschiedli- ten Attribute Mondsichel und Vogel durch das

31 Closuit 1978, 14. 41 Luik/Schach-Dörges 1993, 361. 32 Green 1992,53. 42 Carrara 2002, 30. 33 Siehe hierzu: Luik/Schach-Dörges 1993, 359; Deyts 1992, 33. 43 Rouvier-Jeanlin 1986, 139. 34 Leider ist die in der Literatur angegebene Datierung der Fun- 44 Kenyon 1948,12. de aus Beire-le-Châtel (1.–2. Jh.) und Willingham Fen (Ende 2. 45 Colombet/Lebel 1953, 124. Jh.) nicht mehr nachvollbar. Siehe Colombet/Lebel 1953, 124. 46 Renard 1999, 79. 35 Unterberger 2013, 281. 47 Colombet 1953, 110. 36 Furtwängler 1906, 202. 48 Kortüm 2002, 118. 37 Colombet/Lebel 1953, 124. 49 Kohlert-Nemeth 2000, 72. 38 Eckhardt 1999, 66. Trotz der deutlich jüngeren Begleitfunde 50 Renard 1989, 6–10. datiert Eckhardt die Terrakotte ins 1. Jh. n. Chr. „Clay figuri- 51 Bogaers 1962/63, 579–581. nes of standing or collapsing bulls with girth-belts are cha- 52 Kaufmann-Heinimann 1994, 55 Nr. 49 Taf. 51. racteristic of the first century A. D.“ 53 Wheeler 1943, 75; vgl. Adrien 1939, 311. Sie geht von einem 39 Binsfeld/Goethert-Polaschek/ Schwinden 1988, 209 Nr. 420. Datum nach 379 n. Chr. aus. 40 Frenz 1992, 151. 54 Furtwängler 1901, 44. 132 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

lokale keltische dritte Horn ersetzt haben. 55 Zusammenfassung der Interpretationen bis 1953 Auch P. M. Duval56 und Charrière57 sind der An- findet sich im Anhang des Artikels von Colombet/ sicht, die Dreihörnigkeit des Stieres in Gallien Lebel,64 weshalb hier nur die verschiedenen Hypo- würde von einer stilisierten und missinterpre- thesen zusammengefasst werden sollen. tierten Darstellung des Stieres mit Vögeln oder Das dritte Horn wird demnach als eine Art einem Mond im Nacken herrühren. Auch S. Bou- Fruchtbarkeits-,65 Kraft-66 oder Glückshorn67 in- cher vermutet den künstlerischen Ursprung des terpretiert und der dreihörnige Stier wird somit dreihörnigen Stieres im Stier des Typs Pompei- zum Glücks-, Segens- und/oder Fruchtbarkeits- anisch-Herculaneum mit Vogeldarstellung zwi- tier und -symbol. Für Green ist der dreihörnige schen den Hörnern.58 Wheeler geht davon aus, dass Stier auch eine Verkörperung der Unbesiegbar- es sich ursprünglich um eine Tarvos-Trigaranos- keit,68 der Regeneration und des Wohlergehens.69 Darstellung handelte, die fehlinterpretiert und zum Der Reichtum, so Colombet/Lebel und Closuit, re- Stier mit drei Hörnern ummodelliert wurde.59 sultiert vor allem in dem Besitz von Vieh,70 den Auch E. Renard deutet das dritte Horn als eine der Stier als Pars-pro-toto repräsentiert. Dieser In- Übernahme und Adaption ägyptischer, griechi- terpretationslinie folgend, haben Colombet und scher und italischer Stierdarstellungen mit Lebel die pantheistische Konzeption des dreihör- Mondsichel und Raubvogelköpfen an die loka- nigen Stiers nie ganz aufgegeben.71 In der neusten len Vorstellungen. Er spezifiziert jedoch, dass es Untersuchung schließt sich G. Unterberger der sich nicht um Unvermögen, sondern um eine Meinung von H. Chew an, dass das dritte Horn als klare Entscheidung der Umgestaltung und An- Symbol für Fruchtbarkeit, Kraft und Glück steht.72 passung an die lokalen Glaubensvorstellungen Die Frage der Verbindung des dreihörnigen handelt. So ist in der keltischen Mythologie das Stieres mit anderen Göttern sollte vor allem an- Horn das Symbol der Stärke und Fruchtbarkeit hand der Fundkontexte und der Fundstücke des Stieres, die mit der Verdreifachung ver- selbst diskutiert werden. Zu berücksichtigen stärkt werden.60 Dieser Auffassung, es könnte bleibt hierbei, dass es sich, soweit aus der Litera- sich bei dem dreihörnigen Stier um eine dezi- tur ersichtlich, ausschließlich um Zerstörungs- dierte Anpassung an die keltischen Vorstellun- horizonte oder um Hortfunde handelt. Somit gen handeln, schließt sich auch Green an. 61 müssen die in diesen Kontexten ebenfalls nachge- Eine stilistische Ähnlichkeit bei den Stierdar- wiesenen Götterdarstellungen nicht zwangsläu- stellungen in Gallien und im italischen Raum fig mit dem Stiergott im Zusammenhang stehen. durch eine motivische Anlehnung oder gar In Beire-le-Châtel wurde der dreihörnige Stier Übernahme ist anzunehmen, da bei einer natu - zusammen mit einer Inschrift für die Deae Ja- ralistischen Darstellung kaum Variationsmög- nuariae, Apollo sowie einem Stier mit zwei Hör- lichkeiten gegeben sind. nern gefunden.73 In Saint-Révérien lag die Statu- Dagegen stammt die Dreihörnigkeit der Stiere ette zusammen mit der eines dreihörnigen mit großer Sicherheit nicht aus dem italischen Ebers in den Ruinen eines Tempels.74 Raum, sondern ist im südfranzösischen Bereich In Bad Cannstatt stammt die Stierdarstellung aus bereits seit dem 5./4. Jahrhundert v. Chr. nachge- dem Schutt des Tempels der Magna Mater.75 Bei al- wiesen.62 Außerdem finden die für die römische len drei Beispielen müssen Fragen zum ehemali- Kaiserzeit in all ihren Varianten typischen drei- gen Aufstellungskontext offenbleiben. hörnigen Stiere ihre Vorbilder in der Adaption Deutlich mehr Informationen liefern hingegen die und Imitation von Darstellungen anderer mit Darstellungen von dreihörnigen Stieren gemein- drei Hörnern versehener Tiere im genuin gal- sam mit anderen Göttern auf demselben Objekt. lisch-keltischen Raum. Auf eine mögliche bron- So sind auf der ungewöhnlichen Bronzestatuet - zezeitliche, sardische oder allgemein ostmediter- te von Maiden Castle auf dem Rücken bzw. Kopf ran-vorderasiatische Herkunft der Dreihörnigkeit des dreihörnigen Stieres mit S-förmigem in der vorrömischen Zeit im Allgemeinen soll Schwanz drei Frauenbüsten angebracht, die in hier nicht weiter eingegangen werden.63 unterschiedliche Richtungen schauen.76 Diese Darstellung wurde zusammen mit Fragmenten SYMBOLKRAFT DES DREIHÖRNIGEN STIERES einer Minervastatue gefunden.77 Die Thesen zur Herkunft und Bedeutung des drei- In Willingham Fen ist der Stier auf einem Zepter hörnigen Stieres sind fast so zahlreich wie die Fun- mit der Büste des Commodus zusammen mit Ta- de selbst. Einigkeit herrscht nur über den symbo- ranis dargestellt, der in seiner rechten Hand ei- lischen und sakralen Charakter dieses Tieres. Eine nen Blitz, in seiner Linken eine Lanze hält und LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 133

seinen linken Fuß auf einen bärtigen, aus der dreihörnigen Stieren mehrfach nachgewiesen. Erde kommenden Mann stellt. Auf dem Zepter Geographisch und stilistisch am nächsten ist befinden sich zudem ein Adler auf einem Erdball, dem Mainhardter Stück das Relief aus Güglin- der von einem Rad mit sieben Speichen getragen gen. Auch hier steht eine weibliche Person, ei- wird, und ein Delphin. Der Gott mit Rad und Ad- nen runden Gegenstand, vermutlich eine ler entspricht dem keltischen Himmelsgott.78 Frucht, als Opfergabe in Händen haltend, ge- Die in Moulins gefundene Bronze besteht aus trennt durch eine Säule, neben dem Stier. der doppelten Protome eines dreihörnigen Auch neben der Stierdarstellung aus dem Trie- Stiers mit einer weiblichen Gottheit. Diese hält rer Altbachtal stand ursprünglich eine weibli- in ihrem dem Stier abgewandten Arm ein Füll- che Figur. Von dieser haben sich nur noch Fuß- horn.79 Auch hier taucht erneut das Symbol der und Gewandreste erhalten. Die Fundorte dieser Fülle und Fruchtbarkeit auf. Figurengruppen liegen nicht im Kerngebiet (Se- Beleg für die Verbindung zwischen Mars und quaner, Helvetier), sondern in den Randberei- dem dreihörnigen Stier ist eine Statuette des chen der Verbreitung. Möglicherweise zeigt „Mars Tricornis des Pyrénées“, auf deren Brust- sich in diesen Darstellungen, bei denen es sich panzer ein dreihörniger Stier abgebildet ist. 80 definitiv nicht um Suovetaurelia handelt, eine F. Simón geht davon aus, dass diese Statuette die Anpassung des dreihörnigen Stierkultes an die autochtonen Elemente des beschützenden Got- lokalen Glaubensvorstellungen und deren Visu- tes mit der Ikonographie des Prinzipats, dem rä- alisierung. chenden Mars, verbindet.81 Wenn dem so ist, lie- Festzuhalten bleibt, dass der ursprünglich galli- fert diese Statuette einen ersten unzweifelhaften sche dreihörnige Stier vermutlich eine eigenstän- Hinweis auf den Wirkungsbreich des dreihörni- dige Gottheit war, die sowohl im Privaten als auch gen Stieres. durch monumentale Statuen im öffentlichen Be- Dies zeigt, dass der dreihörnige Stier nicht an reich und in Tempeln als Symbol der Fruchtbar- eine bestimmte griechisch-römische oder gal- keit, der Kraft und des Glücks verehrt wurde. lisch-keltische Gottheit gebunden ist.82 Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Gottheit, SCHLUSSFOLGERUNG: INTERPRETATION DES die je nach der religiösen Vorstellung gemeinsam MAINHARDTER STEINS mit anderen Gottheiten verehrt wurde. Die Mainhardter Reliefdarstellung des Stieres zeigt keine „klassische“ Darstellung, auch wenn DREIHÖRNIGE STIERE IN VERBINDUNG MIT es in Güglingen eine Parallele gibt. Die Ausfüh- WEIBLICHEN FIGUREN. rung in Stein und nicht in Bronze scheint den re- Das Mainhardter Relief zeigt neben dem Stier gionalen Materialvorlieben zu entsprechen. Es eine als Adorantin interpretierte weibliche Fi- konnte gezeigt werden, dass sich die Darstellun- gur. Weibliche Figuren sind in Verbindung mit gen von Stieren mit Frauenfiguren auf die Fun-

67 Courcelle-Seneuil 1910, 9; 101; 150; Colombet/Lebel 1953, 135. 55 Colombet/Lebel 1953, 121; siehe Boucher 1976, 172–173. 68 Green 1986, 192; Green 1991,103. 56 Duval 1957, 43. 69 Green 1991, 103. 57 Charrière 1966, 155. 70 Colombet/Lebel 1953, 130; Closuit 1978, 16. 58 Boucher 1976, 172–173. 71 Colomet/Lebel 1953, 134. 59 Wheeler 1943, 75. 72 Unterberger 2013, 278; Chew 2010, 21. 60 Renard 1989, 7; Thevenot 1968, 154; Deys 1976, Nr. 44–48. 73 Green 1992, 53; vgl. Deonna 1941, 158. 61 Green 1992, 54; Green 1991, 103. 74 Colombet/Lebel 1953, 115. 62 Aldhouse-Green 2004, 152, Fig. 6.1. 75 Goessler 1910, 73. 63 Unterberger 2013, 282–283. 76 Wheeler 1943, 76. 64 Lebel 1953, 130–135. 77 Green 1976, 200. 65 De Witte 1875, 387; Reinach 1894, 277–278; Vendryes 78 Rostovtzeff/Taylor 1923, 91 Abb. 4 Taf. III–IV. 1907, 123; Courcelle-Seneuil 1910, 93; 101; 150; Czarnowski 79 Deonna 1941, 126. 1925, 1–2; Drioux 1934, 72; Grenier 1945, 90–93; Deonna 80 Simón 2006, 97–104. Für den Literaturhinweis möchte ich 1941, 160; Renard 1989, 8. mich herzlich bei Prof. P. Noelke bedanken. 66 Deonna 1943, 150; Lambrecht 1942, 41; Read/Henig/Cram 81 Simón 2006, 101. 1986, 346. 82 Vgl. hierzu auch: Unterberger 2013, 278. 134 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

de aus Trier, Güglingen und Mainhardt be- auch im öffentlichen Raum denkbar. Auch Fra- schränken und eine anscheinend nur im gen zur Kultpraxis sind anhand des Mainhard- östlichen Verbreitungsgebiet vorkommende ter Fundes nicht zu beantworten. Kombination sind. Eine eindeutige Interpretati- Festzuhalten bleibt noch, dass zusammen mit on als Adorantin ist jedoch nur für die Frauen- dem Stück aus Güglingen der Forschungsstand, darstellungen auf den Reliefs von Güglingen „il est frappant de constater que l’on ne connaît und Mainhardt83 möglich (vgl. Abb. 1 und 2). pas un seul taureau à trois cornes sculpté en Etwas problematischer im Gegensatz zu den be- bas-relief (sur une stèles ou un autel),“88 revidiert reits ausführlich erläuterten Elementen ist die werden muss. Deutung der Person im Giebel. Aufgrund feh- lender Parallelen in den Monumenten des Kul- tes für den Dreihörnigen Stier soll auf den Wei- hestein aus Altdorf84 verwiesen werden. Das Stück zeigt in einem Medaillon die beschädigte Büste einer männlichen Figur. Weder die Por- trätzüge noch die Frisur lassen sich noch erken- nen. Die Büste ähnelt dem jugendlichen Gesicht mit langem gesträhntem Haar einer imago cli- peata mit geschultertem Attribut, wohl einem Füllhorn, aus einem Komplex von Matronenvo- tiven aus Wachtberg-Berkum.85 P. Noelke86 deu- tet die der Mainhardter sehr ähnliche Darstel- lung als „göttliches Wesen, vielleicht als Genius […]“.87 Demnach ist auch die Figur im Giebel des Mainhardter Stücks allgemein als eine Götter- oder Geniusdarstellung anzusprechen. Die Auflistung der Vergesellschaftung des drei- hörnigen Stieres mit anderen Göttern hat ge- zeigt, dass es keine festen Konstellationen gibt, die für die Deutung der Figur im Giebelbereich des Mainhardter Stücks herangezogen werden könnten. Deren genaue Bedeutung und Funkti- on müssen demnach bei der derzeitigen For- schungslage offenbleiben. Das Mainhardter Relief selbst liefert keine wei- Lynn Stoffel M.A. tergehenden Hinweise zur recht allgemein zu Albert-Ludwigs-Universität Freiburg formulierenden Funktion als Glücks-, Segens- Institut für Archäologische Wissenschaften Abteilung für und/oder Fruchtbarkeitstier. Provinzialrömische Archäologie Aufgrund der Größe und Ausführung ist eine Glacisweg 7 Aufstellung des Reliefs sowohl im privaten als D-79085 Freiburg im Breisgau

83 Vgl. die Darstellung von opfernden Frauen: Dieburg (CSIR C. Julius Quartus aus Altdorf (Oelmann 1934, 187–188 Taf. 17,2). Deutschland II, 13, 168 Nr. 307 Taf. 110); Altar für Aufani- 85 Klein 1879, 51, Taf. 3,3–4; Lehner 1918, 129 Nr. 273; 274. sche Matronen aus Bonn (Esp. XI 92–94 Nr. 7777 oder auch 86 Bei Herrn Prof. P. Noelke möchte ich mich herzlich für seine Noelke 2012, 476); Altar für Deus Mercurius Gebrinnius des Unterstützung und die Literaturhinweise bedanken. M. Ulpius Gratus in Bonn (Esp. XI 91 Nr. 7773). 87 Noelke 2011, 545. 84 Altar für die Matronae Hamavehae des C. Julius Primus und des 88 Bogaers 1962/63, 580. LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 135

ANHANG

Tabelle 1: Zusammenstellung der Darstellungen dreihörniger Stiere in den Nordwestprovinzen nach der Literatur.

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

1 Martigny-en-Valais Forumsbasilika Les Bronze Der Kopf des dreihörnigen Stiers ist ein wenig über- – 1. Jh. n. Chr; augusteisch nach Reinach 1894, Nr. 21. – CH Morasses, 1883 lebensgroß und besteht aus dunkelgrün patinierter dem Stil Espérandieu 1918, Nr. 5389. – Bronze. Das Stirnhorn und das linke Ohr fehlen, die Deonna 1941, 120–186; 133. seitlichen Hörner waren an der Basis abgebrochen. Basilika des forums von Der vordere rechte Fuß wurde gefunden, der Rest fehlt. Octodurum Fondation Pierre Gianadda – Dem Kopf nach gehört das Tier zu den brachyzephalen Musée Gallo-Romain, Martigny Rindern. Das Fell auf der Stirn ist kurz und regelmäßig, Nr. 92, Nr. 93 die Augen groß und stilisiert. Die großen Ohren sind nach vorne gerichtet. Kopf H. 61,6 cm, H. Bein 75 cm

2 Augst CH Insula 41/42, 1972 Bronze Der gehende Stier hat das rechte Bein erhoben, den 1a Mitfunde erstes bis drittes Kaufmann-Heinimann 1994, Nr. 49. Schwanz nach oben über die rechte Flanke gekringelt. Viertel 3. Jh. n. Chr. Der erhobene Kopf ist leicht nach rechts gewandt. Die Römermuseum Augst Schnauze ist breit, die Ohren klein und die Augen breit Inv.-Nr. 72.4703 umrandet mit eingebohrten Pupillen. Die Hörner haben abgebrochene Enden. Das wollartige Stirnfell ist durch Ziselierung in einzelne Büschel gegliedert. Die Hinterläufe und das rechte Vorderbein sind teilweise abgebrochen. H. 9,5 cm, B. 11,5 cm

3 Vidy-Lausanne CH La Maladière, Bronze Der Stier ist gehend mit erhobenem rechten Bein und 1a – Deyts 1992, 30. 1934/7 über die linke Flanke gekringeltem Schwanz dargestellt. Um den Bauch zieht sich eine Binde mit Punktmuster. Musée romain de Lausanne-Vidi, Ein kleiner Teil des Schwanzes sowie der rechte vordere Cat. Gruaz Nr. 2543 Fuß sind abgebrochen. H. 5 cm, B. 6,3 cm

4 Baden CH Römerstraße, Areal Bronze Der Stier ist gehend mit erhobenem rechtem Bein und 1a – Deonna 1941, 120–186 Abb. 89. – Kornhaus, 1872 über die linke Flanke gekringeltem Schwanz dargestellt. Lambrechts 1942, 40 Anm. 4 Abb. 19. Der Kopf ist leicht nach rechts gewandt, Augen und – Staehelin 1948, 546, Abb. 159. – Schnauze sind gut ausgearbeitet. Um den Hals trägt Hartmann/Weber 1985, Taf. 148. das Tier ein offenes Band aus Silber. Der abgebrochene – Clair/Odile 2001, 253 Nr. A 37 Schwanz ist über den Rücken geschlagen und fällt über die rechte Flanke hinab. Die Wamme ist eingegraben Historisches Museum Baden, und halbplastisch ausgeführt. Der Kopf ist mit Augen Landvogteischloss Inv.-Nr. 1450 und Maul gut ausgearbeitet. H. 5,6 cm, L. 5,6 cm, B. 1,5 cm

5 Baden CH Kornhaus, 1872 Bronze Der Stier ist schreitend mit erhobenem linkem Vorder- 1b – Clair/Odile 2001, 254 Nr. A 38. – und rechtem Hinterbein dargestellt. Die Beine sind Closuit 1978, 10 Nr. 5; 28–29. insgesamt zu kurz und stark eingebogen. Der Schwanz hängt zwischen den Hinterläufen herunter, der Kopf ist Historisches Museum Baden, nach vorne gerichtet und sehr einfach ausmodelliert. Landvogteischloss Inv.-Nr. 1449 Augen und Nüstern bestehen aus einfachen Bohrun- gen; die Schnauze ist durch einen quer verlaufenden Schlitz stilisiert. Das Fell ist bis auf Andeutungen am Schwanz nicht weiter ausgeführt. H. 5,1 cm, L. 8,5 cm, B. 2,6 cm

6 Oberwinterthur CH – Bronze Der Stier schreitet mit erhobenem rechtem Huf nach 1b – Benndorf 1872, 130 Nr. 33. – Keller rechts. Der Kopf ist nach rechts gewandt, recht klein 1864, 63–158; 119 Taf. 5,7. – Ulrich/ und mit einfach eingeformten Augen. Auf der Stirn Heizmann 1890,14 Nr. 1981 (freundl. findet sich zwischen dem Gekräusel ein drittes Horn. Hinweis E. Deschler-Erb). Der Schwanz hängt einfach herunter. Die Wamme ist nur wenig ausgeführt. Landesmuseum Zürich H. 6,5 cm, L. 6,7 cm, B. 1,5 cm Inv.-Nr. 3418.

7 Avrigney F 1756 Bronze Der stehende Stier ist mit kräftig ausgeprägter Wamme 2 1. Jh. n. Chr. Colombet/Lebel 1953, 114 Nr. 14. – dargestellt. Das mittlere Horn ist beschädigt und die Espérandieu 1918, Nr. 5380. – Lebel Vorderbeine, das hintere linke Bein und der Schwanz Tempel 1961, 47; 48 Nr. 132, Taf. 54–55. – fehlen. Reinach 1897, 730 Nr. 5. H. 45 cm, B. 75 cm Musée des beaux-arts et d’archéologie de Besançon, Musée archéologique Inv.-Nr. 873.2.1. 136 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

8 Maizières F – Bronze Der ruhende Stier steht auf einer dicken Platte. 2– Lebel 1961, 48, Nr. 133, Taf. LVI,1. – Die Wamme ist deutlich hervorgehoben. Einkerbungen Lebel 1962, 217–219. mit dem Meißel geben stilisiert das Fell auf der Stirn wieder. Die Augen sind nur angedeutet. Der Schwanz Musée des beaux-arts et fehlt. Die Hörner und die Ohren sind geglättet. d‘archéologie de Besançon, Musée H. 4,8 cm, B. 6,3 cm archéologique Inv.-Nr. 900.1.1

9 Seveux F In der Saône Bronze Der stehende Stier hat stark nach innen gebogene 2a – Morel 1974, 423 Abb. 37. – Walter gefunden, 1972 Beine. Der Schwanz hängt zwischen den Hinterläufen 1974, 235–238 Abb. 1–3. herunter, die Hörner sind stark korrodiert, die Schnauze zu lang. Die Ohren sind unterschiedlich gestaltet, die Musée des beaux-arts et Augen sind kugelig ausgestaltet, während die Wamme d’archéologie de Besançon, Musée nicht dargestellt wurde. Die Statuette ist allgemein archéologique Inv.-Nr. 972.11.1 schlecht proportioniert und stark korrodiert. H. 5,9 cm, L. 11,8 cm, B. 3,5 cm

10 Mandeure F Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953, 111 Nr. 10. und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Die – Lebel 1962, Nr. 29 Taf. 32. – Wamme ist recht gut ausgeprägt. Reinach 1910a, 487 Nr. 4; 486 Nr. 7. H. 5,4 cm, B. 6,1 cm Musée du château des ducs de Wurtemberg, Monbéliard Inv.-Nr. 906.6.1.

11 Mathay 60 m vom Doubs Bronze Der stehende Stier ruht. Sein massiver Kopf mit dem 2a – Colombet/Lebel 1953, 111 Nr. 9. – (Mandeure) F entfernt in einem grob angedeuteten Fell auf der Stirn wird im Maulbe- Lebel 1962, Nr. 28 Taf. 31. – Reinach antiken Brückenbe- reich von einem beweglichen Ring von 27 mm Dm. 1897, 730 Nr. 2. – Reinach 1894, 278 reich, 1889 durchbrochen. Der Silberring errinnert an einen Torques, Anm. 1, Nr. 7. – De Villefosse 1889, dessen Enden aufgerollt zu sein scheinen. Die Wamme 216. – De Villefosse 1890, 188; 232. ist sehr stark ausgeprägt und der Schwanz hängt bis an die Hufe herunter. Musée du château des ducs de H. 4,7 cm, B. 6,2 cm Wurtemberg, Monbéliard Inv.-Nr. 906.8.1.

12 Auxy (bei Autun) F Champ Rouchau, Bronze Der gehende Stier ist auf einem Sockel mit Weihung auf 1b Ende 2.–3. Jh. n. Chr. Colombet/Lebel 1953, 115 Nr. 19, 1832 der Frontseite fixiert. Weihung: AVG SACRVM/BOIIORIX/ 124. – Reinach 1897, 734 Nr. 2; CIL DAESVAPE/CVNIA. Das vordere linke Bein ist angeho- Tempel; zusammen mit einem XIII, 2656. ben, der Stier schaut leicht nach rechts, der Schwanz Bronzebock in einer durch ein hängt bis auf die Hufe. Das mittlere Horn ist fast Gitter geschützten Nische in der Musée Rolin, Autun Inv.-Nr. 71.134 senkrecht. Die Mähne ist lang und zieht über den Spitze eines cippus gefunden. Hornansatz. Die Wamme ist sehr ausgeprägt, die Nüstern geweitet und die Augen tief herausgearbeitet. Die pavillonartigen Ohren sind nach unten geöffnet. H. 6 cm, Sockel 7,5 cm

13 Saint-Rémy-de- 1885 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a Gräberfeld Duval 1957, 43 Abb.11. – De Villefosse Provence F und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. 1890, 187. – Reinach 1904, 214 Der anmutige Kopf sitzt auf einem dicken Hals. Nr. 2. – Rolland 1960, Taf. 67, Nr. 21. Der Stier trägt eine mit Rosetten geschmückte Binde – Reinach 1894, 278. – Colombet/ um den Bauch. Die Vorderläufe sind abgebrochen. Lebel 1953, 110 Nr. 4. H. 5,8 cm, B. 6,1 cm Musée des Alpilles de Saint-Rémy-de- Provence Inv.-Nr. M340.

14 Plassac F Villa, 1972 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Plassac, Gallia 31, 1973, II, 456. und der abgebrochene Schwanz kringelt sich über die – Colombet 1977, Fasz. 3/4, 379. linke Flanke. Das hintere linke Bein ist abgebrochen. Das Maul ist kräftig profiliert und die Wamme durch Musée gallo-romain de Plassac. fünf Meißelschläge symbolisiert. Die Hörner und die Hufe sind klar dargestellt. H. 5,5 cm, L. 6,2 cm

15 Mâcon F Vor 1872 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf 1a – Colombet/Lebel 1953, 115 Nr. 21. erhoben und das linke Hinterbein. Der Schwanz kringelt – Reinach 1894, 282 sich über die linke Flanke. Die Wamme ist ausgeprägt. Nr. 293. Der Rumpf wird von einer mit Kreisen verzierten Bauchbinde umschlungen. Musée des Antiquités Nationales H. 6,1 cm Saint-Germain-en-Laye Inv.-Nr. 17639 (Collection Febvre) LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 137

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16 Besançon F Im Doubs, 1867 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 8. – und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Reinach 1894, 277 Nr. 285. Der Kopf ist mit einer Felllocke verziert. Die Ohren sind aufgestellt. Musée des Antiquités Nationales H. 9,3 cm Saint-Germain-en-Laye Inv.-Nr. 26386

17 Franche-Comté F Vor 1885 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953, 114 Nr. 11. und der abgebrochene Schwanz kringelt sich über die – Reinach 1894, 280 Nr. 288. – linke Flanke. Die Wamme ist stark ausgeprägt. Ein Loch Reinach 1910, 486 Nr. 1. wurde vertikal durch den Körper der Figur gestochen. H. 7,5 cm Musée des Antiquités Nationales Saint-Germain-en-Laye Inv.-Nr. 29548

18 Péronville F Beim Abbruch der Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf und das 1a – Colombet/Lebel 1953, 114 Nr. 13. Kirche gefunden, linke Hinterbein erhoben. Der Schwanz kringelt sich – Reinach 1894, 283 Nr. 294. – De vor 1889 über die linke Flanke. Um den Bauch zieht sich ein mit Villefosse 1890,188. einem Kreuz verziertes Band. Der linke untere Teil des Vorderlaufes ist abgebrochen. Musée des Antiquités Nationales H. 5,6 cm Saint-Germain-en-Laye Inv.-Nr. 31759 (Moulage Collection Maronnier)

19 Louhans F Château-Renaud, Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953, 1757 und der Schwanz kringelt sich über die rechte Flanke. 115 Nr. 20. – De Caylus 1762, 305. – Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht, die Wamme ist De Villefosse 1890, 216. ausgeprägt. Die Ohren sind aufgestellt und die Nüstern geweitet. Die hinteren Hufe sind abgebrochen. Collection de Mailly H. 6,5 cm, L. 7 cm

20 Pontailler-sur- – Bronze Der stehende Stier lässt den Schwanz nach unten 2a – Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 7. Saône F versilbert hängen, der Kopf ist erhoben. Nur der linke Hinterlauf ist abgebrochen. Collection du Dr. Durand, Langres H. 6 cm, B. 6,8 cm

21 Rouen F 1867 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel, 1953, 115 Nr. 22. – und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Reinach 1910, 489 Nr. 4. – Bulletin de Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht, die Wamme ist la Commission archéologique de la ausgeprägt. Die Hörner sind abgebrochen und die Seine-Inférieure, 1908, 215. – Espé- Ohren aufgestellt. Die Vorder- und Hinterläufe sowie randieu/Rolland 1959, 64 Nr. 131. der Schwanz sind abgebrochen. H. 7 cm, B. 8,5 cm

22 Auxonne F – Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 5. – und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Reinach 1897, 824 Nr. 3. Die Wamme ist ausgeprägt.

23 Vertault F – Kalkstein Der stehende Stier mit drei eingesetzten, heute verlore- 2a – Lebel 1964, 237–242. nen Hörnern – vermutlich aus Metall – ist stark abge- griffen. Der rechte Vorderlauf sowie die unteren Partien Musée du Pays Châtillonnais, der Hinterbeine sind abgebrochen. Châtillon-sur-Seine H. 7 cm, L. 10 cm

24 Vertault F 1981 Muschel- Der stehende Stier steht auf einem rechteckigen Sockel. 2a 1.–3. Jh. n. Chr. Renard 1989, 6–10. kalk Der Rücken ist ziemlich rechteckig, der Bauch sehr rund gewölbt. Der Schwanz ist sehr schlank und hängt gerade bis zu den Hufen herab. Ein Großteil des Kopfes fehlt, nur das mittlere Horn ist noch gut erkennbar. Die Ohren sind nach hinten gelegt, die Augen sind voluminös mit runden Pupillen. Auf der Stirn sind die Locken durch Ritzungen angedeutet. Der Stier hat eine Binde um den Bauch, die ursprünglich ockerrot war. Das Geschlecht ist deutlich zu erkennen. H. 27,5 cm, L. 43,5 cm, B. 10,5 cm 138 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

25 Beire-le-Châtel F La Chaume Tupin, Kalkstein Der stehende Stier stand ursprünglich auf einer Stein- 2a 1.–2. Jh. n. Chr. Espérandieu 1911, 3632 Nr. 3. – 1881 platte. Der Bauch war mit der Platte verbunden, um die Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 6a. – Statuette stabiler zu machen. Der Kopf war leicht In den Ruinen eines Tempels Green 1992, 53. – Lebel 1953, 320. erhoben, die Ohren nach vorne gerichtet und die für Deae Ianuariae Sacrovirus Wamme stark ausgeprägt. Auf der kurzen Stirn befand gefunden. Musée archéologique Dijon, sich mittig das dritte Horn. Die Augen waren nicht ehem. Collection Morillot, Nr. 44 ausgearbeitet, die Nüstern hingegen sehr sorgfältig. Der In den Ruinen wurden neben Schwanz hing zwischen den Beinen bis auf den Sockel dem dreihörnigen Stier auch herab. Auch die Hufe wurden sehr detailliert dargestellt. Köpfe männlicher Steinstatu- Der Sockel hingegen war uneben gearbeitet und wenig etten, der Ianuaria, Köpfe von standfest. Die Vermutung liegt nahe, dass er in einem Apollo mit drei resp. vier größeren Sockel eingelassen war. Hörnern sowie Stierfiguren mit H. 19 cm, L. 23,9 cm, B. 5,3 cm zwei Hörnern gefunden.

26 Beire-le-Châtel F La Chaume Tupin, Kalkstein Der stehende Stier gehörte zu einer Gruppe, wie die 2a 1.–2 Jh. n. Chr. Espérandieu 1911, 3632 Nr. 2. – 1881 Reste des Steges auf der rechten Seite seines Bauches Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 6 belegen. Das linke Vorderbein war ausgestellt. Der In den Ruinen eines Tempels Schwanz hing mittig zwischen den Hinterbeinen herab. für Deae Ianuariae Sacrovirus Musée Archéologique Dijon, Die Läufe und die Platte, auf der der Stier vermutlich gefunden. ehem. Collection Morillot Nr. 45 stand, sind verloren. Der Kopf ist schematisch darge- stellt, der Mund nicht angedeutet. Die Wamme ist stark In den Ruinen wurden neben ausgeprägt. dem dreihörnigen Stier auch H. 6,4 cm, L. 17,2 cm, B. 5,5–5,7 cm Köpfe männlicher Steinstatu- etten, der Ianuaria, Köpfe von Apollo mit drei resp. vier Hörnern sowie Stierfiguren mit zwei Hörnern gefunden.

27 Beire-le-Châtel F La Chaume Tupin, Kalkstein Sehr schmale Schnauze im Verhältnis zum Kopf, die – In den Ruinen eines Tempels Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 6. – 1881 seitlichen Hörner ragen über den Kopf hinaus und für Deae Ianuaria Sacrovirus Green 1992, 53. – Lebel 1953, 322. stehen nicht seitlich ab. Die Augen und der Unterkiefer gefunden. sind angedeutet. Das mittlere Horn ist bedeutend Musée archéologique Dijon, kleiner als das linke erhaltene Horn. Der Körper des In den Ruinen wurden neben ehem. Collection Morillot Nr. 46 Stieres ist nicht erhalten. dem dreihörnigen Stier auch L. 7,5cm Köpfe männlicher Steinstatu- etten, der Ianuaria, Köpfe von Apollo mit drei resp. vier Hörnern sowie Stierfiguren mit zwei Hörnern gefunden.

28 Domblans/Voiteur Zwischen Seille Bronze Die gehende Stier hat das linke hintere Bein erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953, 114 Nr. 16. – F und Bois du und der Schwanz kringelt sich über die rechte Flanke. Reinach 1894, Nr. 12. Vernois Musée des Antiquités Nationales Saint-Germain-en-Laye

29 Moulins F – Bronze Die kleine Bronzefigur besteht aus zwei Stierkopfproto- 6– Colombet/Lebel 1953, 109 Nr. 1. men mit drei Hörnern, der Büste einer weiblichen Gottheit, die vielleicht ein Füllhorn hält, und unter ihr Musée du Breuil Saint-Germain, zwei Widderköpfe. Das Stück hat eine Tülle. Langres H. 5 cm, L. 6 cm, B. 1 cm

30 Troyes F 1906 Bronze Der Rücken des Stieres ist mit einem Band mit Schraffie- –– Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 2. rungen bedeckt. H. 6,2 cm Col. Camille Honnet, Musée d’Art, d’Archéologie et des Sciences Natu- relles Troyes

31 Montbéliard F – Bronze Der gehende Stier hat das rechte Vorderbein erhoben, 1a – Colombet/Lebel 1953, 111 Nr. 10. – der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Die Reinach 1910a, 486 Nr. 7; 487 Nr. 4. Ohren, Augen und die Schnauze sind angedeutet und die drei Hörner erhalten. Die Wamme ist deutlich ausgeprägt. Das Geschlecht ist deutlich herausgearbei- tet.

32 Saint-Révérien F – Bronze Dreihörniger Stier, keine weitere Beschreibung. – In den Ruinen eines Tempels Colombet/Lebel 1953, 115 Nr. 18. gefunden zusammen mit einer – Reinach 1894, 278 Nr. 15. Eberbronze Musée de Saint-Germain-en-Laye LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 139

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

33 L’Albenc F – Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben. 1 1. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr. Carrara 2002, 30. Der Schwanz ist abgebrochen. Der Kopf ist gereckt, die Ohren sind aufgestellt. Die äußeren Hörner weisen jeweils vier Streifen auf. Die ovalen, kugeligen Augen sind eingeritzt, wie auch die Nüstern und das Fell auf der Stirn des Stieres. Die Wamme ist durch einen Wulst um den Hals angedeutet und unterstreichen noch die Disproportion zwischen übergroßem Kopf und Körper. Die Hufe sind erkennbar. H. 5,3 cm, L. 6 cm

34 Villiers-le-Duc F Tremblois, 1953 Kalkstein Der Kopf des Stieres ist gesenkt, die Augen und der –T. a. q. Anfang 2. – Anfang 4. Jh. Rolley 1972, 445–446. – Renard Mund sind nur stilisiert dargestellt. Die Wamme ist sehr n. Chr. 1989, 6–10. ausgeprägt. Das Stück ist stark verwittert, die drei Hörner abgebrochen. Erhalten ist nur die Kopfpartie. In den „Chapelles“ am Weges- L. noch 17 cm; H. 20 cm, B. 8,5 cm rand zu der Tempelanlage

35 Seltz F 1846 Gelber Ruhender Stier, auf der linken Seite sind die Rippen 2 Ende 3. Jh. n. Chr. Colombet/Lebel 1953, 110 Nr. 3. – Sandstein deutlich zu sehen. Der Schwanz und die Beine sind Espérandieu 1918, 5559. – abgebrochen, auf dem Kopf ist das dritte Horn etwas In der Werkstatt eines Kupfer- Schaeffer 1926, 23. weiter vorgelagert als die beiden seitlichen. Das schmiedes und Schreiners Geschlecht ist deutlich herausgearbeitet. Musée historique de Haguenau L. 60 cm

36 Cutry F Salmon Terrakotta Der Kopf des dreihörnigen stehenden Stieres ist gesenkt 2a claudisch bis domitianisch Cutry, Gallia 34/2, 1976, 353 Abb. 2c. und die drei Hörner nehmen die gesamte Kopfbreite bis zu – Rouvier-Jeanlin 1986, 139. den abstehenden Ohren ein. Die mandelförmigen Augen Grab haben deutlich hervorstehende Pupillen. Die Wamme ist Musée Archéologique Dijon stark ausgeprägt, auch hat das Tier einen massigen Hals. Inv.-Nr. 341, 139 Ein breites gesäumtes Band umschließt den Bauch des Tieres. Der lange Schwanz reicht bis zum Boden. H. 8,5 cm, L. 10 cm

37 Antigny-Gué de – Stein Dreihörniger Stier, keine weitere Beschreibung. –– Deyt 1992, 33. Sciaux F Musée de Chauvigny, Vienne

38 Arlay F Auf dem Mont de Bronze Der kleine Stier ist unten am Bauch durchbohrt. –– Reinach 1894, 278 Nr. 13. – Chazé De Villefosse 1890, 188 Nr. 4.

Coll. Dr. Daille

39 Reims F Um 1890 Bronze Dreihörniger Stier, keine weitere Beschreibung. –– Reinach 1894, 278 Anm. 1 Nr. 14. – De Villefosse 1890, 1891. – Colombet/Lebel 1953, 114 Nr. 17.

Musée de Saint-Germain-en-Laye

40 Sens F – Bronze Dreihörniger Stier, keine weitere Beschreibung. –– Reinach 1894, 278 Anm. 1 Nr. 20

Musée de Saint-Germain-en-Laye

41 Collection Ledoux – Bronze Der Stier ist auf einem ovalen Sockel fixiert. Es handelt 1a – Lebel 1959 Nr. 302. F sich um einen gehenden Stier mit erhobenem linken Vorderbein und über die linke Flanke gekringeltem Musée des Beaux-Arts et Schwanz. Die Wamme zeichnet sich klar ab. Der linke d’archéologie de Besançon Vorderlauf ist abgebrochen. Inv.-Nr. 934.5.90. H. 8,3 cm

42 F 1850 Bronze Der gehende Stier hat den linken Vorderlauf erhoben 1a – Boucher 1973 Nr. 308. – und der abgebrochene Schwanz kringelt sich über die Reinach 1894, 283. linke Flanke. Der Stier steht auf einer durch zwei Längsrillen gegliederten Platte. Der Kopf ist leicht nach Musée gallo-romain de Fourière, rechts gedreht, die Wamme ist ausgeprägt. Die Hörner Lyon Inv.-Nr. L70. sind sehr klein und das mittlere in einer Felllocke fast völlig verborgen. Die Ohren sind aufgestellt und die Nüstern geweitet. Der linke Vorderlauf ist abgebrochen. H. 8,4 cm 140 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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43 F 1868 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1b Espérandieu/Rolland 1959, 65 Nr.132. und der Schwanz hängt mittig zwischen den Hinterbei- nen herunter. Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht, die Musée départemental des antiquités Wamme ist ausgeprägt. Die Hörner sind sehr klein und Rouen das mittlere in einer Felllocke fast völlig verborgen. Die Augen sind länglich mit herausgearbeiteten Pupillen. H. 23 cm, B. 28 cm

44 F Vor 1885 Bronze Der dreihörnige Stier, archaischen Stils, ruht mit gesenk- 3 La Tène III Colombet/Lebel 1953,116 Nr. 24. tem Kopf auf den vier abgebrochenen Hufen stehend. Die – Reinach 1894, 282 Nr. 292. – Hörner sind sehr lang und nach vorne gerichtet. Das Reinach 1910a, 492 Nr. 1. mittlere Horn ist länger als die seitlichen und mit drei Verdickungen versehen. Auf den Vorderläufen, den Musée des Antiquités Nationales Schulterpartien und dem Hals weist das Tier dekorative Saint-Germain-en-Laye Inv.-Nr. 29547 Verzierungen auf. Ein Bronzenagel durchsticht den (Collection Gréau) Körper. H. 26 cm

45 Grand F 1887 Bronze Der schreitende Stier hat das rechte Vorderbein erho- 1a – Reinach 1894, 276 Nr. 284. versilbert ben. Dieses und das hintere linke sind abgebrochen. Der Schwanz kringelt sich über die rechte Flanke des Stieres. Musée des Antiquités Nationales Das linke und das mittlere Horn sind abgebrochen. Die Saint-Germain-en-Laye Inv.-Nr. 31200 kurze Schnauze, die Nüstern, die Augen und die Ohren sind sorgfältig dargestellt. Auf der Stirn ist das Fell gelockt. Die Wamme ist deutlich ausgeprägt. H. 9 cm

46 Moirans F – Bronze Stier mit drei Hörnern. Beschrieben als „wie das Stück 1a 1.–2. Jh. n. Chr. Carrara 2002, 30. aus Glanum (St-Rémy de Provence)“.

47 Stoke Abbot GB – Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a – Colombet/Lebel 1953,117 Nr. 31. und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Der – Reinach 1910b, 214 Nr. 3. – Stier trägt eine mit diagonalen Kreuzen verzierte Wheeler 1943, 75. Bauchbinde. Der rechte Vorderlauf ist abgebrochen. Collection J. Ralli

48 Maiden Castle GB – Bronze Der ruhende Stier zeigt einen sich über den Rücken 4 367 n. Chr.–5. Jh. n. Chr.; Green 1976, 200, 32. – kringelnden Schwanz. Auf dem Rücken befinden sich oder Haartracht verweist auf das Wheeler 1943, 75; 133; Taf. XXXI. drei Büsten (zwei weibliche und eine nicht bestimm- 2b Ende des 3. Jhs. n. Chr. (Colom- bare, da abgebrochene). bet 1953, 118). Nach 379 H. 9,5 cm n. Chr. (Adrien 1939, 311)

In den Fundamenten eines Tempels

Mit Minerva-Fragmenten im Tempel gefunden

49 Leicester GB 1936 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a trajanisch Journal of Roman Studies, 27 1937, und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Die 223–250; 234–235. – Kenyon 1948, Hufe sind ausgearbeitet. Die Hörner und Ohren sind Aus dem Forumsbereich 272 Abb. 96. – Wheeler 1943, 75. stark abgegriffen. Die Gesichtszüge – Augen und Mund – sind nicht mehr gut zu erkennen. Das rechte Vorder- und Hinterbein sind abgebrochen. Das Geschlecht des Stieres ist deutlich dargestellt. L. 5,6 cm; H. 5 cm

50 Willingham Fen 1857 Bronze Das keulenförmige Zepter ist bekrönt von einer Büste 6 Ende 2. Jh. n. Chr. Rostovtzeff/Taylor 1923, GB des Commodus. Etwas weiter unten ist eine keltische 91 Abb. 4 Taf. III–IV. Mythologieszene dargestellt: der Gott Taranis mit Blitz Das Stück stammt aus in einem in der rechten und Lanze in der linken Hand stellt den Hortfund. Fuß auf einen bärtigen Mann, der aus der Erde ragt. Zu seiner Rechten befindet sich ein auf einem Globus sitzender Adler, der von einem Rad mit sieben Speichen getragen wird. Zu seiner Linken befinden sich ein Stierkopf mit drei Hörnern sowie ein Delphin.

51 Cookham GB – Bronze Der dreihörnige Stierkopf zierte eine Bronzeattasche, 6– Read/Henig/Cram 1986, die vermutlich zum Pferdegeschirr gehörte. 346–347 Abb. 5. H. 3,5 cm, B. 3,5 cm Reading Museum, Berkshire LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 141

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52 Southbroom bei – Bronze Der stehende Stier lässt den Schwanz zwischen den 2a Mit weiteren 18 Figuren, Boon 1973, 265–269, Taf. 59. Devizes GB Hinterbeinen herabhängen. Der Kopf ist erhoben. darunter Venus, Mars(?), Jupiter, Die Augen sind als mandelförmige Vertiefungen wieder- ein keltischer Gott, Vulcan, Verschwunden gegeben. Die Wamme ist durch Einkerbungen dargestellt. Merkur, eine keltische Göttin, Die Nüstern sind aufgebläht, die Schnauze überlang Minerva, ein Genius familiaris, dargestellt. Die Hufe erinnern eher an Pfoten. Mars, Anubis, Bacchus sowie L. 10 cm, H. 9 cm Figuren eines Hundes und eines Pferdes. Vermutlich handelt es sich um ein Depot von Larari- umsfiguren.

53 Weaverham GB 1. Sept. 2007 Bronze, Der gehende Stier hat das rechte Vorderbein erhoben. 1a – Portable Antiquities Scheme LVPL- versilbert Die Füße sind nicht erhalten. Das rechte Hinterbein ist CB6114 eckig, die Schnauze eher zylindrisch mit einem abgerun- (Zugriff: 10. 7. 2014) deten Ende. Die Augen bestehen aus zwei Vertiefungen, die möglicherweise mit schwarzen Steinen oder Glaspas- LVPL-CB6114 te aufgefüllt waren. Auf der Schulter und dem Rücken des Bullen stellen kleine wellenförmige Linien die Mähne dar. Der Schwanz kringelt über die rechte Flanke des Tieres. Das Geschlecht ist deutlich sichtbar. Das mittlere Horn ist erhalten, die seitlichen Hörner sind abgebrochen. L. 7,1 cm, B. 19,5 cm

54 Watlington GB 17. April 2006 Bronze Bei dem Stier scheint es sich um einen Fehlguss zu 2a – Portable Antiquities Scheme BUC- handeln, denn die Beine sind abgeflacht und scheinen 668F82 ist nahezu rechteckig und ein kräftiger Hals verbindet (Zugriff: 10. 7. 2014). ihn mit dem dreieckigen stilisierten Kopf. Der Schwanz hängt gerade herunter. Das mittlere dritte Horn ist an BUC-668F82 der Spitze abgebrochen, die seitlichen Hörner sind vollständig erhalten. Ohren wurden nicht ausgebildet. L. 5,07 cm, H. 1,56 cm, B. 1,77 cm

55 Holbrook GB Les Bond, Bronze Da es sich um einen Fehlguss handelt, fehlen die Beine –– Portable Antiquities Scheme SF- 1. Okt. 2005 des Stieres. Von der restlichen Ausformung her kann DCB627 war. Die Ohren des Stieres stehen seitlich ab. Über (Zugriff: 10. 7. 2014). ihnen sind die abgebrochenen seitlichen Hörner gut erkennbar. Das dritte Horn liegt mittig zwischen diesen SF-DCB627 und ist ebenfalls abgebrochen. Die Schnauze ist recht flach und kurz. Die Nüstern und die Schnauze sind nur schematisch dargestellt. Die Augen bestehen aus Ritzungen, die von einem Kreis umgeben sind. Der Nacken des Stiers ist kräftig, die Wamme stark ausgeprägt. Um den Bauch trägt der Stier eine mit Punkten und Kreuzen verzierte, 5,6 mm breite Binde. Der abgebrochene Schwanz kringelte sich über die linke Flanke des Tieres. Das Geschlecht ist schematisch dargestellt. H. 2,25 cm, L. 6,06 cm, B. 1,5 cm

56 Colchester GB – Ton Der stehende Stier lässt den Schwanz zwischen den 2a 1. Jh. n. Chr. (Eckardt, 1999, 66) Green 1976, 46; 217 Taf. XIX a,b. – Hinterbeinen herabhängen. Der Kopf ist erhoben, die Eckardt 1999, 57–90. Ohren aufgestellt. Die Augen sind als mandelförmige Die Statuette wurde in einem Kreise mit einer Eintiefung als Pupille wiedergegeben. Kindergrab in der Nähe eines Die Nüstern sind aufgebläht. Die Wamme ist durch Tempels (Verehrung des Einkerbungen dargestellt. Der Stier trägt eine Binde Silvanus) mit Apsis Richtung um den Bauch. Osten gefunden. Das Grab H. 12,5 cm, L. 10,4 cm enthielt neben den menschli- chen Knochen einen silbernen Armring, einen Topf und Münzen hauptsächlich aus dem 4. Jh. n. Chr

57 Mainz-Kastel D Wiesbadener Tor Sandstein Rundbild eines ruhig stehenden Stieres. Die Ohren, 2a letztes Drittel 2. Jh. n. Chr. Frenz 1992, 4 Nr. 168. – Furtwängler zwischen Roon- Hörner und Läufe sind abgebrochen. Die Wamme ist 1901, 44. – Green 1976, 216 straße und Schwar- deutlich ausgeprägt. Der Kopf ist gerade nach vorne zenbergstraße, gerichtet. Der Schwanz hängt zwischen den Hinter- Landesmuseum Mainz, Inv.-Nr. S 1074 2. Juni 1897 läufen herab. L. 64 cm, H. 44 cm, B. 24 cm 142 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

58 Frankfurt- Heftgewann, Sandstein Die Beine des gehenden Stieres sind abgebrochen. 1b T. a. q. 222/228 n. Chr. Müller/Lange 1975, 315–326. – Schwanheim/Nida 1. Mai 1973 Die seitlichen wie auch das mittlere Horn und die Ohren Kohlert-Nemeth 2000, 71–78. Heddernheim D sind abgebrochen. Die Schnauze ist noch erkennbar, Im Brunnen einer Villa verlocht die Augen sind durch Kreise stilisiert dargestellt. Auf der Stirn sind die Locken noch zu erkennen. Auf dem starken Nacken zeichnen sich drei Fettpölsterchen ab. Die Wamme ist stark ausgeprägt. Der Stier hatte eine Bauchbinde. Die Figur zeigt in der Mitte eine glatte Bruchfläche. H. 23,4 cm, L. 30 cm, B. 10,8 cm

59 Stuttgart-Bad Hallschlagweg, Mai Letten- Der ruhende Stier mit gekrümmten Rist steht auf einer 5 Tempel der Mater deum Heichelheim 1932, 2453 Nr. 5. – Cannstatt D 1909 kohlen- dicken Platte. Die Wamme ist deutlich hervorgehoben. Haug/Sixt 1914, 388 Nr. 538. – sandstein Die Schnauze und die Augen sind stilisiert dargestellt. Goessler 1910, 73–74. Die seitlichen Hörner und das mittige Horn auf der Stirn sind abgebrochen. Ohren sind nicht dargestellt. Der Landesmuseum Württemberg Schwanz hängt zwischen den Hinterbeinen herunter. Stuttgart Zwischen den Vorder- und Hinterbeinen befindet sich ein menschlicher Kopf. Die Vorderbeine sind abgebrochen. H. 23 cm, L. 27 cm, B. 8 cm

60 Trier D Altbachtal, 1925 Kalkstein Der schreitende Stier hat das linke Vorderbein nach 5 nach der Mitte 2. Jh.s n. Chr. Binsfeld/Goethert-Polaschek/S vorne ausgestreckt. Um den Bauch und den Rücken chwinden 1988, 209 Nr. 420 Taf. 108. zieht eine breite Binde mit Perlenreihe. Der verlorene Stierkapelle, Bau 23 Kopf war leicht nach links gewandt. Das Geschlecht war Rheinisches Landesmuseum Trier deutlich dargestellt.Der abgebrochenen Schwanz hing zwischen den Hinterbeinen herab. Unter der Vorderläu- fen liegt eine menschliche Gestalt. Zur linken Seite des Stieres befand sich ursprünglich eine schreitende weibliche Figur, von der nur noch die Füße und Reste des Untergewandes und des Mantels erhalten sind. Sie legte den Arm um den Hals des Stieres. H. 91 cm, L. 92 cm, B. 44 cm

61 Xanten D Acker Mölders Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a 2.–3. Jh. n. Chr. Colombet/Lebel 1953, 117 Nr. 28. – und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Der Furtwängler 1901, 44. – Bogaers Kopf ist leicht nach links gedreht, die Wamme ist 1962/63, 579–581. – Steiner 1911, ausgeprägt. Die Hörner sind sehr klein. Die Ohren sind 41 Nr. 1700. aufgestellt. Der hintere linke Huf ist abgebrochen. H. 5,6 cm, B. 1,5 cm LVR-RömerMuseum, Xanten

62 Waiblingen D Domhainle Stein Der Kopf des Stieres ist stark beschädigt. Die unteren 1b T. a. q. zweite Hälfte Luik/Schach-Dörges 1993, 356–356 Partien der vier Beine sind abgebrochen. Der Stier ist 2.–3. Jh. n. Chr. Abb. 6. gehend mit erhobenem rechtem Vorderbein und gesenktem Kopf dargestellt. Der Schwanz hängt gerade zwischen den Hinterbeinen herunter. H. 14 cm, L. 28,5 cm, B. 6 cm

63 Köngen D 1972/73 Stein Der Stier ist stehend dargestellt. Die Hörner und Ohren 2a – Planck 1980, 181 Abb. 127. – Luik/ sind abgebrochen wie auch die Beine. Der Schwanz Schach-Dörges 1993, 358 Abb. 7. hing gerade herunter. Der Stein ist stark abgegriffen. H.17 cm, L. 34 cm, B. 11 cm

64 Nürtingen D Bahnhofstation, Stuben- Der stehende Stier mit erhobenem Haupt steht auf einer 2a – Haug/Sixt 1914, 298 Nr. 496a. – Sept. 1899 sandstein Steinplatte. Der Zwischenraum zwischen dem Bauch Fraas 1900, 37–40 Abb. 2 und den Beinen ist nicht frei, er dient als Steg. Der Schwanz hängt mittig zwischen den Hinterbeinen Landesmuseum Württemberg herunter. Die Wamme ist ausgeprägt, die Hörner Stuttgart abgebrochen. H. 26 cm, L. 38 cm, B. 11 cm LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 143

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

65 Nürtingen D Bahnhofstation, Stuben- Der stehende Stier mit erhobenem Haupt steht auf einer 2a – Haug/Sixt 1914, 298 Nr. 496b. – Sept. 1899 sandstein Steinplatte. Der Zwischenraum zwischen dem Bauch Fraas 1900, 37–40 Abb. 2 und den Beinen ist nicht frei, er dient als Steg. Der Schwanz hängt mittig zwischen den Hinterbeinen Landesmuseum Württemberg herunter. Die Wamme ist ausgeprägt, die Hörner Stuttgart abgebrochen. L. 38 cm, H. 26 cm, B. 11 cm

66 Nürtingen D Oberensingen, Stuben- Der stehende Stier mit erhobenem Haupt steht auf einer 5– Fraas 1900, 37–40. – Privatwald, 1854 sandstein Steinplatte. Der Zwischenraum zwischen dem Bauch und Haug/Sixt 1914, 297 Nr. 183. den Beinen ist nicht frei, er dient als Steg. Unter dem Bauch des Stieres befindet sich ein Kopf, der auf beiden Landesmuseum Württemberg Seiten ein Gesicht aufweist. Der Schwanz hängt mittig Stuttgart zwischen den Hinterbeinen herunter. Die Wamme ist leicht ausgeprägt, die Hörner und Ohren abgebrochen. L. 30 cm, H. 26 cm, B. 10 cm

67 Obertraubling D 1858 Stein Dreihörniger Stier, keine weitere Beschreibung. –– Verhandlungen des historischen L. 30 cm, H. 26 cm Vereins für Oberpfalz und Regensburg 19, 1860, 303; 392, 22. – Wieseler 1888, 2 Taf. Nr. 1.

Historisches Museum Regensburg

68 Güglingen D Steinäcker Stein Der Stier ist stehend auf einem Sockel dargestellt. Der 2a hadrianisch–Mitte 3. Jh. n. Chr. Kortüm/Neth 2004, 165–168. – De 1999–2005 Raum zwischen Bauch und Sockel ist nicht herausgearbei- Gennaro 2010, 199. tet und weist Pickspuren auf. Die Vorderbeine sind länger Brunnen im Vicusbereich als die Hinterbeine, so dass die Haltung an einen Bison Römermuseum Güglingen erinnert. Der Schwanz hängt zwischen den Hinterbeinen gerade zu Boden. Die Hörner sind so groß wie die aufge- richteten Ohren. Die Augen sind mandelförmig dargestellt, die Schnauze und die Nüstern nur angedeutet. Die Wamme ist stark ausgeprägt. Die Hufe sind nur angedeu- tet. Die Statuette weist Beschädigungen auf: Der Kopf, die Spitze des linken und die Spitze des rechten Hornes sind beschlagen. Das rechte Horn ist vollständig abgebrochen. Die Wamme ist beschlagen, hervorgerufen durch den Abbruch des Kopfes. Das linke Vorderbein ist über dem Huf leicht beschlagen und alle vier Seiten des Sockels sind bestoßen. Sockel: L. 22 cm, B. 8 cm, H. 3,4–4 cm Stier: L. 22 cm, B. 7,7 cm, H. Kopf 19 cm, Gesäß 11 cm

69 Güglingen D Steinäcker Stein Der Stier ist stehend auf einem Sockel dargestellt. Der 2a hadrianisch–Mitte 3. Jh. n. Chr. Kortüm/Neth 2004, 165–168. – 1999–2005 Zwischenraum zwischen Bauch und Sockel weist Pickspu- De Gennaro 2010, 199. ren auf. Die Vorderbeine sind länger als die Hinterbeine, so vicus dass die Haltung an einen Bison erinnert. Der Schwanz Römermuseum Güglingen hängt zwischen den Hinterbeinen gerade zu Boden. Die Hörner sind so groß wie die aufgerichteten Ohren. Die Augen sind mandelförmig dargestellt, die Schnauze und die Nüstern sind nicht hervorgehoben. Die Wamme ist stark ausgeprägt, die Hufe klar ausgearbeitet. Die Statuette weist Beschädigungen auf: wieder angepasster Bruch vom linken Ohr zur Schnauze hin. Das linke Horn und das linke Ohr sind leicht beschlagen. Sockel: L. 22 cm, B. 8 cm, H. 3,5 cm Stier: L. 26 cm, B. 7,4 cm, H. Kopf 19,3 cm, Gesäß 11 cm 144 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

70 Güglingen D Steinäcker Das ursprünglich rechteckige Tiefenrelief mit Rahmen ist in 1b hadrianisch–Mitte 3. Jh. n. Chr. De Gennaro 2010, 199. 1999–2005 zwei Stücke gebrochen. Das Relief liegt ca. 1,5 cm tiefer als der Rand. Nur Ober- und Unterkannte sind erhalten, die vicus Römermuseum Güglingen Seiten sind abgebrochen. Die erhaltenen Ränder wie auch die Rückseite weisen längliche Meißelspuren von 2,5 cm × 0,3 cm auf. Die einzige diagonale Kerbe scheint aus nachrömischer Zeit zu stammen. Auf der für den Betrachter linken Seite ist eine Figur zu erkennen. Die Figur in langem Gewand hält in der linken Hand auf Gürtelhöhe einen runden Gegenstand, der beschlagen ist. Das Gesicht ist ausgelöscht, die Frisur beschlagen, aber noch eindeutig als weiblich zu erkennen. Der Bereich der Füße und der Unterschenkel ist abgebro- chen. Die Figur wird von dem Stier auf der rechten Seite des Bildfeldes durch eine Säule mit zweifach gegeliederter Basis und Kapitell mit stilisierten Akanthusblättern ge- trennt. Das Architekturelement ist auf seiner gesamten Länge bestoßen. Der kräftige junge Stier schreitet, das rechte Vorderbein erhoben, nach links, der Kopf ist dem Betrachter zuge- wandt. Die Gesichtszüge des Tieres sind verwittert und durch den Bruch verloren. Deutlich erkennbar ist noch das rechte Auge. Die Wamme zeichnet sich deutlich auf der Brust des stolzen Tieres ab. Die Muskulatur im Nacken- bereich, die des Vorder- und des Hinterbeines sind summa- risch modelliert. Der Rumpf ist mehrfach leicht bestoßen. Die Hinterbeine sind abgebrochen. Auch das vordere rechte Bein ist knapp über dem Huf abgebrochen. Die Hufe sind klar zu erkennen. Die Schwanzpartie ist nicht erhalten. H. ca. 20 cm, B. ca. 4 cm

71 Mainhardt D Alter Sportplatz Stein Hausförmiger rechteckiger Stein. Der Giebel selbst hat 1b T. a. q. 260/270 n. Chr. Stork 2000, 84–87. 2000 Seitenlängen von 11,5 cm, 9,5 cm und 10cm und ist Verfüllung des südlichen leicht asymmetrisch. Im Giebel ist die Büste einer Figur äußeren Kastellgrabens Archäologisches Landesmuseum mit erhobenem rechtem Arm zu erkennen. Im unteren Baden-Württemberg Bildfeld steht auf der für den Betrachter linken Seite Zentrales Fundarchiv eine Figur in knöchellangem Gewand. Sie hält mit 2000-135-9000-1. beiden Händen mittig auf Gürtelhöhe einen Korb fest. Es handelt sich womöglich um eine Adorantin. Auf der rechten Seite dieses unteren Bildfeldes, von der weibli- chen Figur durch eine Säule getrennt, befindet sich der Stier. Der kräftige junge Stier von 12,3 cm x 11,6 cm schreitet, das rechte Vorderbein erhoben, nach links, der Kopf ist dem Betrachter zugewandt. Deutlich hervor stehen nur noch das linke Ohr des Stieres sowie die drei Hörner. Das linke Horn ist am Ansatz abgeschlagen, das rechte ist bestoßen und das dritte, mittig auf dem Kopf sitzende ist stark abgewittert. Das Schnauzenende ist verloren, der Nasenrücken ebenfalls bestoßen. Die Wamme zeichnet sich deutlich auf der Brust des stolzen Tieres ab. Die Muskulatur im Nackenbereich, die des Vorder- und des Hinterbeines ist summarisch modeliert, wobei die Schulter bestoßen ist und die Hüfte sowie das Hinterbein Abplatzungen aufweisen. Das rechte Hinterbein ist teilweise ausgelöscht, das linke auf Kniehöhe abgeschlagen. Auch das vordere linke Bein ist auf der gleichen Höhe abgeschlagen. Die vier Hufe sind nur noch summarisch zu erkennen. Der Schwanz des Tieres hängt zwischen den Hinterbeinen herab und ist an der Spitze abgeschlagen. Oberhalb des Stierkopfes in der Rahmung haben sich Reste der Farbgrundierung erhalten, wie auch in der Kehle, die die Bauchunterseite des Tieres vom Hinter- grund abhebt. L. 36 cm, H. 24 cm, B.15 cm LYNN STOFFEL Der dreihörnige Stier aus Mainhardt. Ein Einzelstück? 145

Nr. Ort Fundstelle/Jahr Material Beschreibung Typ Datierung und Literatur und Fundkontext Aufbewahrungsort

72 Vechten NL Vor 1859 Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben. 1– Zadoks-Josephus Jitta/Peters/Van Es Der Schwanz, die Hinterbeine und die Hufe der Vorder- 1969, 152–153 Nr. 65. beine sind abgebrochen. Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht, die Wamme ist leicht ausgeprägt. Die Hörner Coll. Visscher. Ab 1859 Provinciaal sind nur im Ansatz erhalten. Die Ohren wie der restliche Oudheidkundig Museum Utrecht Kopf sind nur summarisch dargestellt. Inv.-Nr. 3421. L. 4,6 cm, H. 3,9 cm

73 Beilen NL 1940–1945 Bronze Der stehende Stier lässt den Schwanz zwischen den 2a – Zadoks-Josephus Jitta/Peters/Van Es Hinterbeinen herabhängen. Der Kopf ist erhoben, die 1967, 112 Nr. 46; Bogaers 1962/63, Ohren aufgestellt. Die Augen sind als Kreise wiederge- 579–581. geben. Die Wamme ist durch Einkerbungen dargestellt. Die Hörnerenden und Teile des rechten Ohres fehlen. Rijksmuseum van Oudheden, Leiden, H. 4,3 cm, L. 7 cm, B. 0,2 cm C 1963/9.1.

74 Wels A Salvatorstr., heute Bronze Der gehende Stier hat den rechten Vorderlauf erhoben 1a Gräberfeld Lebel 1966, 107–109. – Eisenhowerstr. 18, und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Der Fleischer 1967, 182 Nr. 256 Taf. 126. 1903/04 Kopf ist leicht nach links gedreht, die Wamme ist ausgeprägt. Die Hörner sind kräftig. Die Ohren sind Stadtmuseum Wels aufgestellt und die Nüstern geweitet. H. 5,7 cm, L. 6 cm

75 Savona I – Bronze Der gehende Stier hat den linken Vorderlauf erhoben 1a – Comstock/Vermeule 1971, Nr. 169. und der Schwanz kringelt sich über die linke Flanke. Die – Reinach 1910, 485 Nr. 6. Hufe sind deutlich ausgearbeitet. Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht, die Wamme ist deutlich ausge- Museum of Fine Arts Boston prägt. Die Hörner sind erhalten und in der Mitte zwischen ihnen befindet sich ein Loch zur Befestigung eines dritten Horns. Die Ohren sind aufgestellt und die Nüstern geweitet. H. 7,6 cm, L. 9 cm

76 Guberevac SRB Castrum Bronze Der gehende Stier lässt den Schwanz mittig zwischen 1b – Popovic/Manu-Zisi/Velickovic/Jelicic den Hinterbeinen herunterhängen. Der Kopf ist gereckt, 1969, 108 Nr. 157. die Ohren sind aufgestellt.Die Muskulatur des Tieres ist plastisch dargestellt. Die ovalen, kugeligen Augen sind Narodni muzej Beograd, eingeritzt, wie auch die Nüstern und das Fell auf der Inv.-Nr. 2767/III Stirn des Stieres. Die Wamme ist durch Wulste um den Hals angedeutet. Die Hufe sind erkennbar und scheinen unter dem Gewicht der Statuette eingeknickt zu sein. Das Genital ist übergroß dargestellt. H. 5,1 cm, L. 9,2 cm

77 Bayonne F – Bronze Es handelt sich um eine Marsstatuette mit korinthi- 1b 1. Jh. v. Chr. Simon 2006, 97–105. – Unterberger schem Helm mit doppeltem Helmschmuck und drei 2013, 281. gewundenen Hörnern, davon zwei seitlich und ein Horn mittig. Die Figur trägt einen Panzer mit Gorgonenhaupt Museo Arqueológico Nacional de und darunter einem riesigen, nach rechts gewandtem España, Madrid Inv.-Nr. 2932. Stier im Hochrelief, über dem zwei Sterne mit vier Zacken abgebildet sind. Der Stier hat drei Hörner. Mars entspricht dem Typus des Mars militaris. L. 13,5 cm 146 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 12 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 149

THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg

Abb. 1: Großkrotzenburg. Lage des Kastells im mo- dernen Ortsbild. Blick von Süden.

TOPOGRAPHISCHE LAGE Mains.1 Diese hochwasserfreie Lage zeigt sich Das Kastell Großkrotzenburg liegt an der Kante deutlich an der maximalen Ausdehnung der der Niederterrasse zum Auenbereich des Mains. Hochwasserereignisse des 20. Jahrhunderts bis Der mittelalterliche und moderne Ortskern, der zum Bereich der Hanauer Landstraße bzw. Ne- sich aus dem römischen Kastell entwickelt hat benstraße. So ist von einer ähnlich gelagerten und in dem sich die Grundform des Kastells im- hochwasserfreien Situation für die Position des mer noch ablesen lässt (Abb. 1), befindet sich da- Kastells vor der Mainbegradigung und Kanali- bei heute ca. 9,5 m über dem mittleren Pegel des sierung auszugehen.2 Der mittlere Pegel inner-

1 Der Pegelnullpunkt (PNP) des Mains am Pegel Krotzenburg (Pe- stand/pegel_wasserstand.php?pgnr=24080000> (Zugriff: gel-Nr. 24700335) liegt bei 98,13 m ü. NN. URL: 19. und 20. Jahrhunderts war sicherlich das eisbedingte Hoch- (Zugriff: 1. 4. 2014). wasser von 1920, bei dem man auf der Hanauer Landstraße 2 Zu den Pegelangaben der Hochwasserereignisse seit 1992 mit Booten verkehren konnte. Zur Mainbegradigung bzw. dem siehe URL:

Abb. 2: Großkrotzen- halb des Jahres liegt am Krotzenburger Pegel auch an anderen Kastellplätzen beobachten burg. Geländemodell des flussabwärts der Schleuse Großkrotzenburg bei lässt,4 erklärt sich wahrscheinlich durch Planie- Ortskerns in verschiede- 138 cm (MW), während der in den letzten zwan- rungen innerhalb des Kastellareals und eine da- nen Farbskalen. Deutlich zig Jahren erhobene Hochwassermaximalstand durch entstandene künstliche Erhöhung des kommt die Lage des Kas- an diesem Pegel bei 610 cm (2003) lag. Übertra- Kastellbereichs gegenüber dem umgebenden tells als erhöhter Bereich gen auf den Flusspegel auf Höhe des Kastells Gelände. Inwieweit diese Erhöhung bereits in in der Ortslage heraus. würde dieser knapp 4,70 m höhere Wasserstand römischer Zeit intentionell angelegt und damit bei der heutigen Geländesituation zu einer eine visuelle Hervorhebung aus dem Baube- Überschwemmung der Hanauer Landstraße stand des umgebenden vicus künstlich erzeugt bzw. der Nebenstraße führen. Die hochwasser- wurde oder ob sich darin eine nachrömische Er- freie Lage des Kastells zeigt sich auch an ent- höhung des Kastellareals durch die darin kon- sprechenden Sedimenten, die im Bereich der zentrierte Besiedlung im Mittelalter manifes- Hanauer Landstraße und in den südlichen Tei- tiert, wird im Folgenden zu klären sein. len der Mainstraße und der Haingasse sichtbar sind und die auf einen feuchten Auenbereich in FORSCHUNGSSITUATION römischer Zeit hindeuten können.3 Das Fehlen ZUR KASTELLUMWEHRUNG dieser Sedimente im weiteren Verlauf der Profi- Die Feststellung der Ausdehnung des Großkrot- le in Mainstraße und Haingasse unterstreicht zenburger Kastells und erste Forschungsansät- diese Annahme. ze zu seinen Bestandteilen sind durch die Ar- In der modernen Ortslage fällt eine schwache beit der Reichs-Limeskommission vorgelegt Geländeerhöhung im Bereich des Kastells und worden.5 Diese basieren auf den eigenen Unter- bei den ins Kastellareal führenden Straßen auf. suchungen des Streckenkommissars Georg Diese Beobachtung lässt sich visuell aber nur im Wolff mit dem Hanauer Geschichtsverein, aber Bereich der Kirch- bzw. Bahnhofstraße gut bele- auch auf älteren Beobachtungen vor Ort. Damit gen, während in den übrigen Straßenführungen waren der Verlauf der Kastellmauer bekannt und vor allem im bebauten Bereich dieser Um- und einzelne Elemente (porta decumana, porta stand nicht so augenfällig erscheint. Eine Über- praetoria, südwestlicher Eckturm, westlicher prüfung der entsprechenden Airborne-Laser- Zwischenturm an der Nordmauer) in ihrer Exis- scan-Daten für die Ortslage von Großkrotzenburg tenz und ihrem Aussehen beschrieben (Abb. 3). zeigt, dass sich der Bereich des römischen Kas- Die gut erhaltene Südfront des Kastells wurde tells als schwaches Plateau gegenüber der Umge- zu dieser Zeit bereits in ihrer Bedeutung er- bung abhebt (Abb. 2). Dieser Umstand, der sich kannt und führte zu Überlegungen Gustav von THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 151

Roesslers zur Rekonstruktion der Kastellmau- ern.6 Die nächste Phase intensiver Erforschung der Kastellumwehrung, vor allem der Tore, fand im Zuge der Erschließung des Ortes mit Kanali- sation und Versorgungsleitungen in den 1950er und 1960er Jahren statt, in deren Rahmen der damalige Museumsleiter Karl Hofmann Funda- mente des Nord- (porta principalis sinistra) und Abb. 3: Plan des Kastells Osttores (porta praetoria) baubegleitend doku- Großkrotzenburg mit mentieren konnte.7 Vergleichbare Eingriffe Eintragungen der Unter- führten zu Untersuchungen am Westtor (porta suchungen nach Ab- decumana) im Jahr 19848 und am Nordtor 2009 9. schluss der Arbeiten der Archäologische Untersuchungen schlossen sich Reichs-Limeskommission. im Zusammenhang von Straßenneugestaltun- gen der Bahnhofstraße und der Breiten Straße in den 1980er und 1990er Jahren an. Die umfang- reichsten Maßnahmen an der Umwehrung fan- den in den letzten Jahren am Osttor 2011 im Vor- feld einer Grundstücksumgestaltung10 und bei der Substanzdokumentation der Südfront des Kastells im Rahmen der Substanzsicherung im Abb. 4: Großkrotzen- Jahr 2012 und 2013 statt, gefördert im Rahmen burg. Freilegung des des Investitionsprogramms Nationale UNESCO- westlichen Torturms der Welterbestätten durch das Bundesministerium porta principalis dextra (1) für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- und der Apsis des Vor- cherheit.11 gängerbaus zur St.-Lau- Auch am Südtor des Kastells wurde eine um- rentius-Kirche (2) im Be- fangreiche Freilegung des westlichen Torturms reich des Kirchhofs an der durchgeführt. Dieser liegt im östlichen Kirchhof- Kirchgasse zu Beginn des bereich der 1824 erbauten St.-Laurentius-Kirche. 20. Jhs. An der Kirchhof- Im Archiv des Heimat- und Geschichtsvereins mauer findet sich noch Großkrotzenburg finden sich Fotos der Freile- heute sichtbar ein Rest gung des Turmes (Abb. 4), ohne dass Angaben der Turmmauer oder des zum Zeitpunkt oder eine weitere Dokumentati- in die Durchfahrt hinein- on vorhanden wären. Die Maßnahme fand weder reichenden Toranschlages durch Wolff noch durch Hofmann Erwähnung (3). und ist auch nicht im jeweiligen Gesamtplan der beiden Autoren aufgenommen worden12, so dass ten Vorlage Hofmanns 1975 datiert. Da die Foto- es sich entweder um eine Untersuchung vor den qualität gegen eine Aufnahme des 19. Jahrhun- Arbeiten der Reichs-Limeskommission handelt, derts spricht und eine unbekannte Untersuchung sie nach Manuskriptabschluss und Publikation nach 1975 unwahrscheinlich erscheint, ist am des ORL-Bandes 1903 und vor dem Beginn der ehesten von einem Zeitpunkt zwischen 1903 Arbeiten Hofmanns stattfand oder nach der letz- und ungefähr 1920 auszugehen.

3 Becker u. a. 2012, 74. 11 URL: (Zugriff: 22. 2. 2014). 6 Das Manuskript von Gustav von Roessler ist abgedruckt in: 12 Wolff 1903, Taf. II. – Von Hofmann (1963 und Großkrotzen- Flügel/Obmann 2013, 151–159. burg 1975, 16–22) wurde kein Gesamtplan publiziert. In den 7 Hofmann 1963, 10–12. Gesamtplänen bei Jüngling (1988) und Bergmann (1989) ist 8 Ommert/Perzl 1985. das Mauerstück verzeichnet. Bei Bergmann (1994) ist keine 9 Becker u. a. 2012, 72. Markierung der nachgewiesenen Teile der Umwehrung vor- 10 Becker/Jae 2012. genommen worden. 152 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

DOKUMENTATION 2010–2012 Vor allem die jüngeren Untersuchungen erweiter- ten die Erkenntnisse zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg und ermöglichten eine Einord- nung der Ergebnisse älterer Untersuchungen. Bei der Dokumentation des Osttores 2011 konnten der Nordturm, Teile der spina und der Unterbau der Torschwelle der nördlichen Durchfahrt des Dop- peltores untersucht werden (Abb. 5, Nr. 7–10, 4, 6). Kaiserzeitliche Laufniveaus haben im Bereich der Untersuchung nicht überdauert, was sehr gut zu dem erhaltenen Niveau der Fundamente der Tor- anlage passt. Zwar liegen bislang aufgrund der schlechten Erhaltung, aber auch bedingt durch eine unzureichende Publikationslage für Schwel- lensteine römischer Kastellanlagen kaum Anga- ben zu deren Stärken vor, doch legt eine Durch- fahrtbreite von 5,20 m eine Stärke von mindestens 20 cm nahe, um bei starker Gewichtsbelastung, beispielsweise durch Wagen, ein Durchbrechen des Steins zu vermeiden. Nimmt man diese Stärke zu der nivellierten Höhe des Unterbaus und be- rücksichtigt eine leichte Erhöhung der Schwelle gegenüber den anschließenden Straßenberei- chen, um ein ungehindertes Aufschwenken der Torpflügel zu garantieren, so ist eine Laufniveau- höhe von ca. 109,50 m ü. NN erreicht. Unsichere Daten liegen für das Nord- und das Westtor vor, da hier die Untersuchungen weniger detailreich erfolgen konnten. Am Nordtor fand sich im untersuchten Ausschnitt 2009 als oberste erhaltene Steinlage eine möglicherweise gesetzte Lage aus Basalten und Buntsandsteinen, deren Funktion im Fundament des Torturms oder be- reits als aufgehendes Mauerwerk unklar bleibt. Die Oberkante dieser Lage liegt im Bezug auf die moderne Geländeoberfläche bei ca. 108,50 m ü. NN, wobei aus den genannten Gründen nicht ge- klärt werden kann, wie exakt das Verhältnis zur römischen Oberfläche war. Die Informationen zu den anderen beiden Toren sind aufgrund der älteren Forschungssituation schwierig zu ermitteln. Im Vergleich zum moder- nen Gehwegniveau lässt sich der Fundamentrest Abb. 5: Großkrotzenburg. des 1983 im Profil dokumentierten Torturms des Umzeichnung der Unter- Westtors im Tiefenbereich zwischen 108,00 m und suchungsergebnisse am 109,30 m ü. NN nachweisen (Abb. 6). Da hier durch Osttor des Kastells 2011. den Mauerausbruch kein Übergangshorizont zwi- 1 Blaubasalt; 2 roter Sand- schen Fundament und gesetztem Mauerwerk stein; 3 Ziegel; 4 andere nachgewiesen werden konnte, ist eine Rekonst- Gesteinsarten; ruktion des antiken Laufniveaus schwierig. Aller- 5 Mörtel (modern/rö- dings fand sich auf Höhe von ca. 108,00 m ü. NN misch); 6 Störung; 7 Gra- eine Mörtelschicht, die zwar scheinbar innerhalb bungsgrenze. einer modernen Störung liegt, jedoch im Ver- THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 153

Osten Torturm Lagergraben Westen

Bürgersteig Portalmauern Mörtelschicht Grube unbekannter Portalinnenraum Zeitstellung Wasserrohrgraben Bürgersteiguntergrund rezent gestört Gewachsener Boden Lehmschicht Römische Kulturschicht

Abb. 6: Großkrotzenburg. Profil des Kanalgrabens durch das Westtor des Kastells 1983.

gleich mit den nach Westen hin anschließenden a römischen Schichten und dem erhaltenen Gra- benrest möglicherweise auch als Rest des Bauho- rizonts für das Torfundament gedeutet werden könnte. Dieses läge dann in der Höhe des Über- gangshorizonts zwischen der trocken gesetzten Fundamentstickung und den mörtelgebundenen, gesetzten Lagen des aufgehenden Mauerwerks, wo beim gängigen Aufbau römischen Mauer- werks eine gegossene Mörtelausgleichsschicht zu finden ist.13 Diese Überlegung wird erhärtet durch die Erhaltung des Kastellgrabens, der hier noch eine Breite von 2,7 m besitzt. Da der Graben an an- derer Stelle bei den Untersuchungen der Reichs- Limeskommission mit einer Breite von bis zu 6,20 m belegt ist und keine Umbiegung der Gra- benwandungen am oberen Ende nachgewiesen b werden konnte, scheint hier zur römischen Ober- fläche mindestens 1 m zu fehlen. Bei der Substanzdokumentation der südlichen Kastellmauer wurden im Jahr 2012 die sichtbar erhaltenen Abschnitte photogrammetrisch auf- genommen, vermessen sowie bauhistorisch un- tersucht.14 An der südwestlichen Kastellecke war anhand eines heute noch vorhandenen randstän- digen Basaltsteines zu erkennen, dass sich der Er- haltungszustand seit der Zeit der Reichs-Limes- kommission nicht verschlechtert hat (Abb. 7). Bei dem Stein handelt es sich um einen gesetzten Stein der Innenschale der Kastellmauer. Die mitt- lerweile im anschließenden Bereich zu sehenden weiteren Fundamentabschnitte gehören nicht zum Kastellmauerverlauf, sondern sind ausge- brochene Teile des Nordtores, die 1959 nach der Abb. 7: Großkrotzenburg. Ansatz der südwestlichen Ecke des Kastells zu Zeiten der Untersuchung dorthin transferiert wurden.15 Für Reichs-Limeskommission (a) und während der Substanzdokumentation 2012 (b).

13 Lamprecht 1987, 151–152. tersuchung wird bei der hessenArchäologie unter der Num- 14 Die Maßnahme führte vor Ort die archäologische Fachfirma mer EV 2011/0037 geführt. FIAK unter der Leitung von Dr. E. I. Faulstich durch. Die Un- 15 Hofmann 1963, 10–11. 154 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

mit ergibt sich eine Höhe des aufgehenden Mau- erwerks im Bereich des Turmes bis zu 112,50 m ü. NN und damit eine Gesamthöhe von ca. 3,80 m. Im weiteren Verlauf konnte auf Höhe der St.-Lau- rentius-Kirche die Außenseite eines gut erhalte- nen Abschnitts der Kastellmauer dokumentiert werden. Deren römische Datierung war schon zu Zeiten der Reichs-Limeskommission bekannt und hat zu den oben bereits angesprochenen Annahmen zur Rekonstruktion von Kastell- mauern durch Gustav von Roessler geführt. Der Mauerabschnitt bildet in diesem Bereich den südlichen Abschluss des Kirchhofs und fungiert als Hangstützmauer wohl spätestens seit dem Hochmittelalter zur Sicherung des Höhenni- veaus von ca. 110,40 m ü. NN im Kirchhofbereich gegenüber ca. 108,40 m ü. NN im Bereich der Grundstücke nördlich der Hanauer Landstraße. Hier findet sich auf einer Länge von ca. 5,80 m die erhaltene Außenschale des römischen Mauer- Abb. 8: Großkrotzen- werks, das – in Lagen gesetzt – aus Blaubasalt- burg. Ansicht der Außen- bruchsteinen und roten Sandsteinen besteht schale der Südmauer (Abb. 8). Vereinzelt findet sich darunter auch westlich des Südtores. beige grauer Sandstein. Nachgewiesen werden konnten insgesamt 18 Lagen unterschiedlicher eine weitere Betrachtung kommt hier daher nur Stärke, wobei offensichtlich immer wieder La- die erhaltene Kastellecke mit anschließendem gen kleinerer Steine als Ausgleichsschichten Turm und dem direkt anschließenden Mauer- eingezogen wurden, da sich die Basaltsteine fundament des weiteren Mauerverlaufs in Frage, nicht zu gleichmäßigen Handquadern abarbei- das auffälligerweise einen nicht näher erklärba- ten lassen. Das gesetzte Mauerwerk endet offen- ren Riss im Fundamentverlauf aufweist. Die sichtlich am unteren Ende nicht im sichtbaren Analyse des Mauerwerks und der historischen Bereich, so dass der Übergang zum Fundament Situation legt nahe, dass mit großer Wahrschein- und damit auch die römische Oberfläche auf der lichkeit die erhaltene Oberfläche des Funda- Außenseite der Mauer nicht erreicht sind. Der mentverlaufs als Ausgleichsschicht zwischen erhaltene Abschnitt hat eine Höhe von 2,77 m Fundament und aufgehendem Mauerwerk an- und reicht von 108,39 m bis 111,16 m ü. NN (Abb. zusprechen ist. Die Höhe dieser Schicht liegt am 9). Der darüberliegende Mauerbereich ist kein tiefsten erhaltenen Punkt bei 108,77 m ü. NN. Da- gesetztes Schalenmauerwerk mehr und weist THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 155

Abb. 9: Großkrotzen- burg. Photogrammetri- sche Dokumentation der Außenschale der Süd- mauer des Kastells. eine leicht schräg nach innen ziehende Wan- dung auf. Er unterscheidet sich hinsichtlich der Mauertechnik wie auch in der Zusammenset- zung des verwendeten Mörtels deutlich vom da- runterliegenden Mauerteil und ist wohl als mit- telalterlich-neuzeitliche Ausbesserung bzw. Ergänzung anzusehen. Dieselbe Mauertechnik findet sich auch im westlichen Anschluss an das römische Mauerwerk. Bei beiden Bereichen scheint aber noch ein römischer Mauerkern da- hinterzuliegen, der zu einem späteren Zeit- punkt verkleidet bzw. ausgebessert wurde. Die Abb. 10: Großkrotzen- erhaltene Höhe des Mauerwerks scheint damit burg. „Südturm“ noch höher zu sein als das sichtbare Schalen- am westlichen Teil der mauerwerk, ohne dass eine Gesamthöhe dafür Kastellmauer nach angegeben werden kann. Nimmt man das Scha- Aufnahme der Reichs- lenmauerwerk und den später ausgebesserten Limeskommission. Bereich zusammen, kann hier auf einer Länge von maximal 13,40 m der Verlauf der Kastell- Die zweite Stelle geht auf die Untersuchungen mauer nachgewiesen werden. der Reichs-Limeskommission aus dem Jahr 1893 Im weiteren Verlauf nach Westen bis zum An- zurück, die der Streckenkommissar im Bereich satz der Kastellecke ist an zwei Stellen die Um- der ehemaligen Zehntscheuer des Petersstiftes wehrung belegt. An der Außenseite der Kirch- durchführte.16 Hier konnte an die Kastellmauer hofsmauer konnte im Abstand von ca. 3 m anschließend in einer Tiefe von 3,40 m unter westlich von der gesetzten Außenschale ein ein- dem damaligen Oberflächenniveau ein 7,30 m zelner Mauerblock dokumentiert werden, der in breiter und inklusive der Kastellmauer 10,20 m Aufbau und Mörtel als römisch anzusprechen tiefer Bau mit ca. 0,9 m starken Außenmauern und in der Struktur als Kern eines Mauerab- nachgewiesen werden (Abb. 10). Auch wenn dies schnitts zu werten ist (Abb. 8). Da dieses Stück nicht explizit erwähnt wird, scheint der Bau mit mit ca. 2 m deutlich hinter der Flucht der Außen- der Kastellmauer verzahnt und damit gleichzei- schale zurück liegt, kann es kaum als Mauer- tig zu sein, da der in der Mittelachse des Gebäu- kernrest der Kastellmauer angesprochen, son- des freigelegte Kanal mit einem gesetzten Ge- dern muss als Mauerkern einer der Seitenwände wölbedurchlass durch die Kastellmauer nach des an dieser Stelle zu rekonstruierenden Zwi- außen geführt wird, wo keine Hinweise auf eine schenturms gesehen werden. nachträgliche Einbringung zu finden sind.

16 Wolf 1903, 7–9 Taf. III,4. 156 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

hat, sonst wäre eine Verfüllung lediglich mit rö- merzeitlichem Fundmaterial ungewöhnlich. Es lässt sich allerdings nicht mehr feststellen, ob es sich um eine intentionelle kastellzeitliche Ver- füllung oder einen Einsturz des Gebäudes nach dessen Aufgabe durch das römische Militär han- delt. Bemerkenswert erscheint auch, dass der Bau bei der nachgewiesenen Länge über den Wall hinter der Kastellmauer hinaus in den Ver- lauf der via sagularis hineinreicht. Der im Ge- bäudeinneren aufgedeckte Kanal lässt sich au- ßerhalb des Kastells in einer Länge von bis zu 15 m bei annähernd gleich bleibender Kanalsoh- le belegen. Ein vergleichbarer Kanal mit größe- ren Ausmaßen17 findet sich übrigens in ähnli - cher Ausrichtung an der Südostecke des Kastells (Abb. 11).

ERKENNTNISSE ZUR MAINFRONT DES KASTELLS Die aktuellen Untersuchungen an der Umweh- rung des Kastells, aber auch die Ergebnisse älte- rer Beobachtungen erlauben Aussagen zu deren ursprünglichem Aussehen. Dabei stellt sich vor Abb. 11: Großkrotzenburg. Überarbeiteter Gesamtplan des Kastells mit allen einge- allem die Frage, ob sich am gut erhaltenen Mau - tragenen Baubefunden im Innenbereich. erabschnitt an der Südfront des Kastells Hinwei- se zur ursprünglichen Höhe der Umwehrung ab- lesen lassen. Grundsätzlich sei zunächst der Versuch unter- nommen, das ursprüngliche Niveau in römi- scher Zeit zu rekonstruieren. Vor allem aus den Untersuchungen an den Kastelltoren sind Hin- weise für die Niveausituation im Kastellinneren und in dessen direktem Vorfeld zu erwarten (Abb. 12). Für den Bereich des Osttores liegt das Niveau wie dargestellt bei ca. 109,50 m ü. NN. Am Nordtor ist eine Rekonstruktion der römischen Oberfläche nur eingeschränkt möglich, da die Identifikation von gesetztem Mauerwerk inner- halb des untersuchten kleinen Ausschnitts nicht völlig gesichert ist. Wenn die Zuweisung korrekt ist, ergäbe sich ein Niveau bei ca. 108,50 m ü. NN. Abb. 12: Großkrotzenburg. Niveaus der römischen Oberfläche, von erhaltenem auf- Am Westtor bleibt eine Ansprache ebenso un- gehendem Mauerwerk (geschlossene Balken) und nachgewiesenen Fundamentberei- klar, da hier keine gesetzten Mauersteine beob- chen (offene Balken) an der Kastellumwehrung und im Bereich des Kastellinneren. achtet wurden. Wenn die Ansprache der Mörtel- schicht als römisches Bauniveau korrekt ist, Die Tiefe gegenüber dem Kastellmauerfunda- müsste das eigentliche Laufniveau darüber lie- ment erstaunt, verläuft die Kanalsohle doch gen. Die Mörtelschicht liegt bei etwa 108,00 m deutlich unter dem untersten Niveau des Kas- ü. NN, so dass das Laufniveau bei ungefähr tellmauerfundaments. Nach der Beschreibung 109,00 m ü. NN zu rekonstruieren wäre. Dies kor- des Streckenkommissars ist das Gebäudeinnere respondiert gut mit dem bei den Gräben anzu- ausschließlich mit römischem Bauschutt und nehmenden Oberflächenniveau. Dieses ergibt entsprechendem Kulturschutt (Keramik, Kno- sich aufgrund der durch die Reichs-Limeskom- chen) verfüllt. Damit ergibt sich, dass dieser Be - mission nachgewiesenen Grabenbreite, wenn reich in römischer Zeit wohl offen gestanden man sie mit der Breite im Profil in der Breiten THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 157

Straße vergleicht. Auch fällt bei dem jüngst im dass die Übergangsschicht zum Fundament er- Rahmen einer Leitungstrasse angeschnittenen reicht ist. Auch am Südtor ist in der Altgrabung Badegebäude vor dem Westtor auf, dass hier die nur gesetztes Mauerwerk freigelegt, das aller- erhaltenen, ursprünglich hypokaustierten Räu- dings in der absoluten Höhe nur schwer zu be- me keine Ansätze des Fußbodenniveaus aufwei- rechnen ist, so dass aufgrund der modernen sen, so dass auch hier das eigentliche Laufniveau Oberflächenerhaltung eine grobe Schätzung im Bad über 109,00 m ü. NN liegen muss.18 Die we- zwischen 109,00 m und 110,00 m ü. NN liegen nigen Aufschlüsse im Kastellinneren sind in ih- muss. rer Beurteilung als indifferent anzusehen. Bei In der Gesamtschau zeigt sich damit, dass die der Ausgrabung 1984 in der praetentura fand Südfront des Kastells auf einem deutlich tieferen sich kein gesichert römisches Laufniveau. Hier Geländeniveau ansetzt, als sich dies für die übri- konnten nur verschiedene Gräben und Abfall- gen Bereiche der Kastellumwehrung nachwei- gruben als römisch angesprochen werden, ohne sen lässt. Der Wert liegt – ausgehend von einem dass hieraus eine ursprüngliche Höhe des anti- Laufniveau im Kastellinneren und den Tor- ken Niveaus ableitbar wäre.19 Auch wenn der un- durchfahrten von ungefähr 109,50 m ü. NN – bei tersuchte Ausschnitt der Baugrube nur einge- mindestens einem Meter. Nimmt man den Hö- schränkte Einblicke erlaubt, fällt doch das henunterschied zwischen der Aue und der Nie- Fehlen von Baubefunden auf, was möglicherwei- derterrasse bei der modernen Geländesituation se nicht mit einem bebauungsfreien Bereich, in diesem Bereich als Grundlage, so ist mit einer sondern mit der fehlenden Erhaltung von nicht Differenz von ca. 2 m zu rechnen, die in römi- so tief in den Boden reichenden Befunden wie scher Zeit durch den tieferen Ansatz der Kastell- Pfostenlöchern oder Balkengräbchen zu erklä- mauer auf der Südseite ausgeglichen wurde. ren ist. Damit müsste die ursprüngliche römi- Dieser Eindruck wird unterstützt durch die sche Oberfläche deutlich höher als die ermittelte Beobachtungen an dem Kanal, der aus dem Ge- obere Befundgrenze der römischen Befunde bei bäude an der Südfront des Kastells nach außen 108,00 m ü. NN liegen. Andere Untersuchungen geführt ist. Bei einer gleichen Tiefe der Gebäu- im Kastellinneren20 sind nicht so weit vorgelegt, defundamente, deren Unterkante nach Ausweis dass Daten für eine Oberflächenrekonstruktion der Profile auf gleicher Höhe wie die der Kastell- abgenommen werden können. mauer liegt, ist die Kanalsohle um ca. 0,5 m tie- Dagegen zeigen die Untersuchungen an der Süd- fer als die Unterkante des Kastellmauerfunda- front im Vergleich zu den übrigen Seiten ein ments. deutlich anderes Bild. So liegt an der Südwest- Daraus ergibt sich die grundsätzliche Frage ecke der Beginn des aufgehenden Mauerwerks nach der Notwendigkeit dieser Bauausführung, schon deutlich unter 109,00 m ü. NN und scheint da topographische Gründe auf den ersten Blick hier auch weiter abzusinken. Der Übergangs- nicht gegeben sind. Die annähernd ebene Aus- horizont im Bereich des Kanaldurchlasses ver- prägung der Niederterrasse oberhalb des Main- läuft schon deutlich unter dem des Eckbereiches verlaufes ermöglicht eine freie Platzauswahl für (Abb. 10), ohne dass aus der Dokumentation der das Kastell, die lediglich nach Osten durch die Reichs-Limeskommission eine absolute Höhe Einmündung des Mühlbaches und nach Süden abzulesen wäre. Nimmt man allerdings für die durch den Abbruch zur Mainaue beschränkt ist moderne Geländehöhe im Kastellinneren in die- (vgl. Abb. 2). Eine Verschiebung nach Norden sem Bereich denselben Wert an wie zu Zeiten von der Kante der Niederterrasse weg wäre folg- Georg Wolffs und rechnet aus der Tiefenangabe lich unproblematisch umzusetzen gewesen. Für von 3,40 m als Erhaltungsbereich des Gebäudes die vorgefundene Positionierung müssen daher zurück, ergibt sich aus den maßhaltigen Profilen andere Gründe gesprochen haben. ein ungefährer Höhenwert der Übergangs- Zum einen kann dies der Wunsch nach einer schicht am Fundament von gut 107,00 m ü. NN. größtmöglichen Nähe zum Fluss sein, um einen Im Bereich der erhaltenen Außenschale der Kas- kurzen Weg von der porta prinicpalis sinistra zu tellmauer reicht das sichtbare Mauerwerk bis einem im Bereich der Flussaue zu postulieren- auf eine Tiefe von 108,39 m ü. NN herunter, ohne den Hafen bzw. Anlegesteg zu haben.

17 Wolf 1903, 7. 19 Jüngling 1988. 18 Becker/Faulstich 2013. 20 Zum Beispiel Bergmann 1989. 158 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

hausen in Obergermanien und Eining in Raetien dahingehend auf, dass ebenfalls eine Positionie- rung der Wasserfront am Übergang zwischen Niederterrasse und Aue gewählt wurde.24 Auch in der Legionslagerarchitektur lässt sich dies bei einigen Lagern beobachten. So sind die dem Fluss zugewandten Seiten der Legionslager von Bonna/Bonn und Castra Regina/Regensburg ebenfalls an einer Geländekante zu finden. 25 Ähnliches findet sich in der zivilen öffentlichen Architektur. So kann mit gutem Grund von ei- ner entsprechenden Wirkung der Rheinfront der Colonia Claudia Ara Agrippinensium/Köln ausgegangen werden, wobei hier der militäri- sche Architekturaspekt mit der Integration der Front des Statthalterpalastes zusammen- kommt.26 Aber auch rein zivile Architektur Abb. 13: Großkrotzen- Diese Anlegemöglichkeit ist nicht nur aufgrund scheint auf eine Wirkung in diese Richtung be- burg. Rekonstruierte der Positionierung des Kastells am Fluss zu for- dacht gewesen zu sein, wie das Beispiel einer Ansicht der südwestli- dern, sondern ergibt sich auch aus der in severi- dem Rhein zugewandten Frontgestaltung eines chen Kastellecke mit scher Zeit produzierenden Ziegelei,21 deren Pro- Baus ohne belegbare Funktionszuweisung, aber Übergang im Bereich des dukte sicherlich vor allem auf dem Wasserweg mit einer gewissen Monumentalität und Ni- Geländeabfalls zur Main- zu den jeweiligen Baustellen transportiert wur- schen für Statuen im Süden des Bonner vicus aue und Anbau an die den.22 Diese bewusste Anbindung an den Fluss vermuten lässt.27 südliche Kastellmauer. als Verkehrsweg lässt sich auch für andere Zie- Schließlich existieren aber auch Hinweise, dass Ansicht von Südwesten. geleien beobachten.23 Da die Ziegelei in Groß- dem Übergang zwischen Land- und Flussgrenze krotzenburg aber erst im Laufe der Besetzungs- eine besondere Bedeutung bei der römischen zeit des Kastells entstanden ist, kann sie keinen Militärarchitektur zukommt. Entsprechende direkten Einfluss auf die Positionierung des Stellen finden sich beim Übergang der raeti- Kastells gehabt haben. Es stellt sich die Frage, schen Mauer an die Donau bei Hienheim mit ei- ob die Produkte durch das Kastell oder auf ei- ner Mauerverbreiterung, ähnlich dem östlichen nem Weg zwischen Kastell und Limes zum Fluss Ende des Hadrianswalls bei Wallsend, wo eine transportiert wurden, zumal mit der Anlage aufwendige Gestaltung der Mauer samt Kaiser - des Grabens in severischer Zeit und einem da- statue aufgrund eines verlagerten Inschriften- hinterliegenden Wall der äußere, frühere Kas- fundes vermutet werden.28 tellgraben möglicherweise außer Funktion ge- Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage kommen ist (Abb. 11) und vielleicht verfüllt nach dem Aussehen der Mainfront des Kastells wurde. Großkrotzenburg, da dieser möglicherweise Zum anderen wurde die Front möglicherweise auch eine besondere Funktion an der Über- aber auch bewusst im Hinblick auf den visuel- gangsstelle zwischen Land- und Flussgrenze zu- len Effekt auf die Geländekante gesetzt. kommt. Es wurde bereits festgestellt, dass die Dadurch konnte die optische Wirkung des Kas- Kastellmauer an der Südfront durch den Gelän- tells auf die auf dem Fluss reisenden oder den deabfall auf einem mindestens einen Meter tie- Main von Süden über die westlich gelegene Brü- feren Niveau ansetzt und damit möglicherweise cke querenden Personen mit einer ausgepräg- eine größere Außenfläche als die anschließen- ten Front gesteigert werden. Eine entsprechen- de West- und Ostfront aufweist. Aus dieser Flä- de fortifikatorische Gestaltung in Bezug auf che ragten sicherlich die Eck- und an dieser einen Fluss und den Blick von dort lässt sich bei Front nachgewiesenen Zwischentürme sowie verschiedenen Arten römischer Architektur die porta principalis sinistra heraus, wobei we- beobachten. Beginnend mit der gleich gelager- gen fehlender Untersuchungen der Fundamente ten Architektur bei Auxiliarkastellen fällt bei- eine Höhendifferenz nicht abgeschätzt werden spielsweise die Positionierung der Kastelle Bur- kann. Dagegen scheint der Bau am westlichen ginatium/Altkalkar und Rigomagus/Remagen in Abschnitt der Kastellmauer nicht über diese hi- Niedergermanien, Hungen-Inheiden und Jagst- nausgeragt zu haben, wie die annähernd glei- THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 159

che Fundamenttiefe und die deutlich geringere Mauerstärke vermuten lassen. Eine mindestens bis zum Wehrgangniveau reichende Höhe die- ses Gebäudes kann aufgrund des bis zum Ka- nalniveau offenen Innenraums des Baus – rück - geschlossen aus der römischen Verfüllung des Abb. 14: Großkrotzen- Inneren (siehe oben) – und der notwendigen Ab- burg. Schnitt durch die grenzung zum anschließenden Wall hinter der Kastellmauer und den Mauer erschlossen werden. Damit stellt sich anschließenden Bau mit noch die Frage, ob das abfallende Niveau an der Rekonstruktionsversuch Südfront sich auch als abfallende Höhe des des aufgehenden Mauer- Wehrganges und der Brustwehr auswirkte oder werks. 1 nachgewiesene ob der Höhenunterschied tatsächlich durch eine Fundamentreste; 2 erhal- höhere Kastellmauer ausgeglichen wurde. Die- tene Höhe der Kanalwan- ser Unterschied scheint dabei nicht so groß, dungen; 3 Kanalsohle. dass ein abgetreppter oder schräger Verlauf, wie er aufgrund eines starken Gefälles oder bäude die Interpretationsmöglichkeiten ein, deutlichen Höhenunterschieds bei einigen Anla- doch deutet die Lage am tiefsten Bereich des gen nachgewiesen oder zu vermuten ist, not- Kastells zusammen mit dem archäologischen wendig wäre.29 Aus diesen Überlegungen heraus Nachweis des Kanals auf einen Sammelpunkt ergibt sich die Möglichkeit eines Rekonstrukti- des nach außen abzuführenden Oberflächen- onsvorschlages des untersuchten Bereiches wassers aus dem Kastellareal. Prinzipiell scheint (Abb. 13). Dabei wird das Gebäude an der Kas- die Umbauung eines solchen Sammlers nicht tellmauer mit einem flachen, möglicherweise notwendig zu sein, da sich bislang keine Paralle- begehbaren Dach rekonstruiert, das gegebenen- len für ein solches Gebäude nachweisen lassen. falls zur Aufstellung von Geschützen gedient ha- Möglicherweise ist diese Einrichtung hier der to- ben könnte, wie bereits durch die Reichs-Limes- pographischen Positionierung des Kastells ge- kommission aufgrund der Lage und des Fundes schuldet, die ein Abführen des Wassers in Rich- einer Geschützkugel in der Gebäudefüllung ver- tung des Flusses notwendig machte und damit mutet wurde.30 zur Vermeidung von Gebäudeschäden eine bau- Die primäre Funktion dieses Baus ist aber si- liche Fassung erforderte. cherlich nicht in dieser Verstärkung der Vertei- Fasst man die dargelegten Beobachtungen zu- digung der Kastellmauer zu suchen, zumal der sammen und geht von einer gleich bleibenden Einsatz eines Geschützes von dieser Position aus Höhe der Kastellmauer um das gesamte Kastell vornehmlich gegen Angreifer vom Fluss geeig- aus, kann aufgrund der erhaltenen Bereiche der net wäre, was sicherlich kaum eine primäre An- Mauer im Bereich des südwestlichen Eckturms griffsrichtung sein kann. Die Zweckbestim- der Versuch zur Rekonstruktion der erhaltenen mung des Gebäudes muss im Zusammenhang Gesamthöhe der Kastellmauer unternommen mit der Oberflächenwasserentsorgung aus dem werden. Der Anschlussbereich der Kastellmauer Kastellbereich zu suchen sein. Zwar schränkt zum Turm ist bislang noch nicht bauhistorisch der Stand der Grabungsdokumentation zum Ge- untersucht worden, so dass die absolute Höhe

21 Jüngling 1983. 28 ORL A Strecke 15 (1932) 49–50. Herrn Dr. Jürgen Obmann, 22 Wolff 1903, 15–16; Steidl 2008, 122. München, danke ich ganz herzlich für seine Hinweise zu die- 23 Frankfurt-Nied: Hampel 2013; Hampel 2014. – Xanten: sem Abschluss und der Situation am Hadrianswall. Luley/Obladen-Kauder 1994; Obladen-Kauder 1998. – 29 Eine solche Abtreppung ist aufgrund des ausgeprägten Ge- Rheinzabern: Reutti 1983. fälles möglicherweise für das Annexkastell in Osterburken 24 Altkalkar: Bödecker u. a. 2007. – Remagen: Friedrich 2010. – zu vermuten (ORL B 40 [1895]). Nachgewiesen werden konn- Hungen-Inheiden: Becker 2014. – Jagsthausen: Thiel 2005. – te aufgrund der guten Erhaltung eine schräge Mauerführung Eining: Gschwind 2004. mit Abtreppung und damit Schaffung einer waagrechten 25 Bonn: Gechter 2001. – Regensburg: Aumüller 2002, 302–304. Standfläche im Bereich der Türme bei der Stadtmauer von 26 Hellenkemper 1975, 808. Halabiya-Zenobia/Syrien (Lauffray 1983). 27 Ulbert 2008, 21–22. 30 Wolff 1903, 7. 160 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

des hier erhaltenen Mauerwerks noch nicht be- Großkrotzenburg wird heute als Jahresdurch- stimmt werden kann, zumal durch die nachrömi- schnitt ein Niederschlag von 634 mm angegeben, sche Nutzung des Eckturms zum Teil eine Überar- was 634 l/m2 entspricht.32 Damit würde, wenn beitung und Ergänzung stattgefunden hat. Damit man diesen Wert des ausgehenden 20. und frü- kann die zu ergänzende Mindesthöhe über dem er- hen 21. Jahrhunderts auf die römische Zeit über- haltenen Stück an der Südmauer nicht berechnet trägt, für die versiegelten Flächen eine jährliche werden. Mit der Unsicherheit einiger unbekannter Wassermenge von 11 777 184 l (= 11 7771,84 hl) an- Faktoren kann bei einer Wehrgangbreite von 1,2 m, fallen. Diese Wassermenge wird für die meisten einem Böschungswinkel des Walls von 45 Grad und Kastelle mindestens genauso hoch anzusetzen einer römischen Oberfläche im Kastellinneren bei sein – bei den im Mittelgebirgsbereich liegenden ca. 109,50 m ü. NN eine Mauerhöhe bis zur Wehr- Kastellen können diese Werte durchaus noch hö- gangshöhe von ca. 8 m rekonstruiert werden (Abb. her liegen. Eindrücklich lässt sich die Notwendig- 14), wobei davon ausgegangen wird, dass das Ge- keit einer Sammlung des Regenwassers von den bäude des Wassersammlers nicht oder nur knapp Dächern an den Ausgrabungsergebnissen zu den über die Wallbreite hinausreicht. principia des Alenlagers Aalen ablesen.33 Baulich reagierte das römische Militär auf diesen WASSERHAUSHALT DER LIMESKASTELLE Umstand mit der Anlage von Kanälen, die das an- Die Notwendigkeit der baulichen Einrichtung ei- fallende Wasser innerhalb des Kastells sammel- nes Wassersammlers erscheint vor allem vor ten und aus dem Kastell herausführten. In den dem Hintergrund fehlender Parallelen als eine wenigsten Fällen sind solche Kanalsysteme, die Besonderheit, für die in anderen Kastellen kein von straßenbegleitenden Gräben ergänzt wur- Bedarf bestand. Diese Maßnahme deutet aber den, komplett erfasst, doch lassen sich grund- die Notwendigkeit an, das innerhalb eines Kas- sätzlich zwei Gruppen feststellen, die sich an- tells bei Niederschlägen anfallende Oberflächen- hand der Art, wie die Kanäle die Umwehrung wasser nach außen abzuleiten, um die Bauten querten, unterscheiden. Bei der einen Gruppe vor der Feuchtigkeit zu schützen und die Nut- werden die Kanäle durch die Kastellmauer selbst zung nach Regenfällen nicht einzuschränken. geführt und entwässern nach der Durchführung Grundsätzlich kann die Fläche eines Kastells als in den umgebenden Graben. Dabei finden sich weitgehend versiegelt betrachtet werden, was die unterschiedlichsten Stellen für die Querun- ein Versickern von Oberflächenwasser zum gro- gen der Umwehrung, soweit solche Führungen ßen Teil verhindert haben wird. Als vollständig bei den Ausgrabungen der Reichs-Limeskommis- versiegelt müssen die überbauten Bereiche ange- sion gefunden bzw. überhaupt erkannt wurden.34 sehen werden, während je nach Kastell bei den Auch bei neueren Untersuchungen, vor allem Straßen, Lagergassen und den Freiflächen zu ei- auch bei geophysikalischen Prospektionen, fin- nem geringen Umfang die Möglichkeit der Versi- den sich Hinweise zu dieser Art der Leitungsfüh- ckerung bestanden haben muss. Gerade die Stra- rung.35 Dass auf diesem Wege nicht nur das Ober- ßen und in den meisten Fällen auch die zwischen flächenwasser aus dem Kastellareal herausgeleitet den Gebäuden bestehenden Lagergassen waren wurde, zeigt das Beispiel des Kastells Niederbie- häufig durch eine Kiesdecke oder mit anderem ber, wo die Führung des Abwasserkanals aus dem Material befestigt, so dass die größere Menge des Kastellbad ebenfalls die Kastellmauer knapp auftretenden Wassers zur Seite abgeführt wurde westlich des Nordtores quert.36 Ein Muster ist bei und nicht in diesem Bereich versickert ist. der Positionierung des Auslasses hinsichtlich be- Nimmt man das Kastell Großkrotzenburg als stimmter Seiten nicht ablesbar, außer dass die Grundlage, so liegt die zu betrachtende Innenflä- Eck- und Zwischentürme sowie die Türme der che bei ca. 2,15 ha. Der Anteil der versiegelten Kastelltore als Querungsbereich gemieden wur- Fläche wird – ohne dass bislang eine exakte Re- den. Dies erklärt sich durch die tiefere Funda- konstruktion der Innenbebauung des Kastells mentierung der über die Kastellmauer herausra- möglich war – mit guten Gründen mit mindes- genden Türme, so dass eine Querung in diesem tens 90 % anzunehmen sein, da neben den Gebäu- Bereich nur zusätzlichen Bauaufwand bzw. auch den die befestigten Straßen31 und der Wallbe- bauliche Probleme verursacht hätte. Diese Beob- reich der Befestigung dazuzurechnen sind. Damit achtung unterstützt aber auch die funktionale ergibt sich eine Fläche von 2,06 ha, also 20 640 m2 Ansprache des vorgestellten Baus im Großkrot- für die Berechnung der pro Jahr innerhalb des zenburger Kastell, da bei einer ausschließlichen Kastells anfallenden Niederschlagsmenge. Für Nutzung zu fortifikatorischen Zwecken der Kanal THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 161

neben dem Gebäude vorbeigeführt worden wäre. Bei der zweiten Gruppe ist eine Kanalführung durch eine der Tordurchfahrten zu beobachten, was sich für die Kastelle Heddesdorf (Gräbchen- verlauf, gemauert, aus dem Nordosttor), Holz- hausen (Gräbchenverlauf aus dem Nordwesttor), Zugmantel (Gräbchenverlauf aus dem Nordtor), Gnotzheim (Gräbchenverlauf aus dem Nordwest- tor) und Theilenhofen (Gräbchenverlauf aus dem Westtor) belegen lässt.37 Diese Variante benötigt grundsätzlich keine bauliche Vorplanung im Sin- ne einer Berücksichtigung einer Durchleitung durch die Kastellmauer, sondern kann prinzipiell auch nach dem Bau der Tore noch durch die Durchfahrt angelegt werden. Einen Sonderfall bildet das Ostkastell von Welz- heim, wo sich bei der Untersuchung der Südum- wehrung eine Reihe von Gräbchen direkt an der Kastellmauer fanden, die offensichtlich gesam- für die Verwendung und Abführung des anfallen- Abb. 15: Birdoswald (GB). meltes Oberflächenwasser durch sechs gemauer- den Oberflächenwassers. In den Kleinkastellen Gemauerte Wasserdurch- te Durchlässe in der Mauer in den vorgelagerten „Haselburg“ bei Walldürn-Reinhardsachsen und führung durch die Mauer Graben leiteten.38 Bemerkenswert dabei sind die der mittleren Anlage am Kastell „Alteburg“ bei Id- des Hadrianswalls östlich Anzahl und Dichte der Gräbchen und damit ver- stein-Heftrich befindet sich in der Mitte der durch- des Kastells. bunden die fehlende Notwendigkeit einer Samm- führenden Straße eine Zisterne, die offensichtlich lung des Oberflächenwassers durch ein Kanalsys- zur Sammlung von Oberflächenwasser diente.39 In tem und einer zentralen Ausleitung aus dem Heftrich führt von dieser Zisterne hangabwärts Kastellareal. Dieser Befund erklärt sich dabei ein Gräbchen durch das Tor aus dem Kastell, über kaum mit einem erhöhten Wasseraufkommen in das wahrscheinlich über einen Überlauf über- diesem Kastell, sondern eher durch den baulichen schüssiges Wasser abgeleitet wurde. In der Hasel- Umstand des fehlenden Walls und den auf Stützen burg sind neben der zentralen Zisterne auch klei- ruhenden Wehrgang, was die Möglichkeit einer nere Anlagen an den Gebäudeecken zwischen einfachen Wasserableitung ermöglichte. Solche Baracke und Umwehrung dokumentiert. Lösungen sind an römischen Bauten auch in ande- Da sich bei der Ableitung keinerlei Regelhaftig- rem Zusammenhang bekannt (Abb. 15). keit in der Position der Umwehrungsquerung Auch für kleinere Anlagen finden sich Lösungen feststellen lässt, ist davon auszugehen, dass die

31 Wolff 1903, 9. hofen: zwei Kanalverläufe quer durch die retentura zur west- 32 URL: lichen Kastellmauer und dort kurz vor dem südwestlichen (Zugriff: 5. 3. 2014). Eckturm durch die Kastellmauer gehend (Faßbinder 2010, 33 Scholz 2007. 97 Abb. 9). Auf die Situation der Wassersammlung um die 34 Kastell Zugmantel: Abwassergräbchen von den princi- principia des Kastells Aalen wurde bereits hingewiesen pia zur Nordostseite der Mauer des 1. Steinkastells (ORL (s. Anm. 33). B 8 [1909] Taf. 2,1). – Kastell Kapersburg: Abwassergräb- 36 ORL B 1a (1936) Taf. 1. chen mit Durchlass durch die Mauer des 1. Steinkastells (ORL 37 Heddesdorf: ORL B 1 (1903) Taf. 2. – Holzhausen: ORL B 6 B 12 [1906] Taf. 2,1). – Kastell Stockstadt: Abwasserkanal (1904) Taf. 2. – Zugmantel: ORL B 8 (1909) Taf. 2,1. – Gnotz- aus dem Kastellinneren durch die nordöstliche Kastellmauer heim: Faßbinder 2010, 93 Abb. 4. – Theilenhofen: Faßbin- nördlich des Nordosttores (ORL B 33 [1910] Taf. 2,1). – Kas- der 2010, 97 Abb. 9. – Für das Kastell von Ellingen kann auf- tell Mainhardt: Kanalrest (?) am östlichen Zwischenturm der grund der von den principia ausgehenden Grabenführung südlichen Kastellmauer (ORL B 43 [1909] Taf. 1,C). nach Norden ein Austritt durch das Nordtor angenommen 35 Kastell Gnotzheim: Abwassergräbchen von der Rückseite der werden (Zanier 1992, 102–103 Beilage 1). principia durch die via decumana Richtung porta decumana 38 Planck 1983, 11 Beilage 1. (Südosttor) und dort östlich des östlichen Torturms durch die 39 Haselburg: Fleer 2012, 71–72; 18 Abb. 5. – Heftrich: Becker/ Kastellmauer (Faßbinder 2010, 93 Abb. 4). – Kastell Theilen- Buthmann 2014. 162 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Kanalführung jeweils an die lokalen Gegebenhei- ZUSAMMENFASSUNG ten angepasst wurde. Dabei wird es sich vor allem In den letzten Jahren konnten verschiedene denk- um die kleinräumige Topographie handeln, die malpflegerische Maßnahmen zur Sicherung und die Fließrichtung des Wassers außerhalb und Dokumentation der Umwehrung des Kastells möglicherweise auch innerhalb des Kastells vor- Großkrotzenburg durchgeführt werden. Die Un- gab. Für die Wahl des Durchführungsbereiches tersuchungen haben Detailergebnisse erbracht, durch die Kastellmauer scheint der Zeitpunkt die es ermöglichen, die älteren Untersuchungen der Anlage des Entwässerungssystems aus- an diesem Teil des Kastells neu zu bewerten und schlaggebend zu sein. Da bei einer Durchlei- Aussagen zu dessen ursprünglichem Aussehen zu tung durch die Umwehrung die Voraussetzun- treffen. Dies gilt vor allem für die dem Main zuge- gen bei deren Anlage bereits geschaffen werden wandte Südfront, die aufgrund der Lage auf dem mussten, ist von einer gleichzeitigen Anlage Geländeabbruch zwischen Niederterrasse und auszugehen. Dagegen besteht bei der Führung Mainaue auf einem deutlich tieferen Geländeni- durch eine der Tordurchfahrten die Möglich- veau ansetzt als die übrige Umwehrung. Im Kas- keit, die Kanalführung erst nach der Anlage der tellinneren kann dabei von einem gleich bleiben- Umwehrung zu bauen. Hier kann zum Abgleich den Niveau ausgegangen werden, so dass die dem des Bauzeitpunkts eine Betrachtung des Bau- Fluss zugewandte Front bei gleicher Wehrgangs- verhältnisses zwischen Kanalführung und In- höhe eine größere Höhe aufgewiesen hat. Der nenbebauung Hinweise geben. Möglicherweise Grund für die gewählte Positionierung des Kas- mag die Beobachtung am augusteischen Kastell tells und den damit verbundenen baulichen Mehr- Delbrück-Anreppen, wo die Grabenführungen aufwand scheint die Sichtwirkung der Anlage auf auf der Innen- und Außenseite des Südtores be- Flussreisende und auf Personen, die vom anderen ginnend angelegt sind, als Hinweis auf die durch Mainufer über die westlich liegende Brücke zum die taktische Situation vorgegebene vordringli- Kastellplatz kamen. che Entstehung der Umwehrung vor der Lösung Gleichzeitig kann auch die bislang unklare der Abwasserführung gelten.40 Funktion eines an der Südfront des Kastells po- Der große Querschnitt der beiden für das Kastell sitionierten langrechteckigen Baus mit einem in Großkrotzenburg belegten Kanäle aus dem Kas- der Achse liegenden gemauerten Kanal gedeu- tellinneren und vor allem des westlichen Durch- tet werden. Es handelt sich wahrscheinlich um lasses aus dem Innenbereich zeigt, dass diesen einen Wassersammler für die Kanäle, die das eine zentrale Funktion für den Wasserhaushalt Oberflächenwasser aus dem Kastellareal sam- der Kastellanlage zukam. Die in anderen Kastel- meln und abführen sollten. Aufgrund des Hö- len nachgewiesenen Kanäle sind zum Teil deut- henunterschieds war eine Ausleitung aus dem lich kleiner und nur zum Teil in Stein gesetzt, Kastellareal über eine solche bauliche Einrich- wobei aufgrund der meist ausschnitthaften Er- tung notwendig, um das unterschiedliche Ge- forschung der Kastelle in den seltensten Fällen ländeniveau zum Außenbereich auszugleichen die ursprüngliche Anzahl der Durchlässe durch und das Wasser in einem – archäologisch beleg- die Kastellmauer abgeschätzt werden kann. Ob ten – Kanal Richtung Mainverlauf zu führen. bei den nicht an Flüssen gelegenen Kastellen eine Die Ausführung dieses Gebäudes liefert weitere Ableitung des Wassers in die Kastellgräben den Hinweise zum ursprünglichen Aussehen der generellen Endpunkt der Kanalführung darstellt, südlichen Kastellfront, so dass auf den daraus mag aufgrund der Kanalführungen durch die entwickelten Grundlagen eine Rekonstruktion Kastelltore und vor allem eines Befundes am Kas- dieses Kastellbereichs versucht wurde. tell Theilenhofen zu diskutieren sein, wo das Messbild der geomagnetischen Prospektion einen Verlauf des Kanals über die Kastellgräben hinaus erkennen lässt, ohne dass klar ist, wie dieser Be- Thomas Becker M.A. fund baulich zu deuten wäre. Diese Frage lässt hessenArchäologie sich für das Kastell Großkrotzenburg durch die am Landesamt für Denkmalpflege Hessen eindeutige Führung in Richtung des Flussverlau- Schloss Biebrich/Ostflügel, 65203 Wiebaden fes klar beantworten. [email protected]

40 Kühlborn 1995, 134–136 Abb. 3; 4. THOMAS BECKER Neue Forschungen zur Umwehrung des Kastells Großkrotzenburg 163

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JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 13 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn 165

JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn

Die Außenstelle Overath des LVR-Amtes für Bo- Als früheste, jedoch nicht flächendeckend nach- dendenkmalpflege hat seit 2005 in mehreren gewiesene Bauphase sind mehrere Pfosten und Kampagnen in und um das Legionslager Bonn kleinere Gräben anzusprechen, die vermutlich verschiedene großflächige Grabungen durchge- zu einer ersten Holzbebauung der Lagergrün- führt.1 Entlang der heutigen Römerstraße, die dungszeit gehören. Ebenso stammen aus dieser in ihrem Verlauf der antiken via principalis ent- Zeit einige Gruben, deren Fundmaterial jedoch spricht, konnten insgesamt drei Grundstücke noch nicht ausgewertet ist. mit einer Gesamtfläche von etwa 4000 m2 unter- Im gesamten Areal, allerdings durch einen gro - sucht werden. Dabei handelte es sich um Teile ßen Bombentrichter des Zweiten Weltkriegs ge- der principia, des praetorium und einer Ther- stört, fanden sich die Mauerzüge der Steinbau- menanlage im Bereich der Unterkünfte der ers- phase. Im Bereich des Innenhofs verliefen zwei ten Kohorte.2 Darüber hinaus sollen im Folgen - Kanäle, die das Oberflächenwasser von den Dä- den eine Grabung in der Nordwestecke des chern abführten. An der Straßenseite konnte Lagers sowie eine weitere in den canabae legio- ein 11,70 m × 6,90 m großer Raum vollständig un- nis kurz vorgestellt werden. tersucht werden. Die mit nur 5,30 m Breite und maximal 10,90 m Länge deutlich kleineren Räu- PRINCIPIA me an der dem praetorium zugewandten Seite Bereits im Jahr 2005 untersuchte M. Gechter wurden dagegen nur angeschnitten. Teilweise 1100 m2 der principia.3 Dabei handelte es sich um deuteten Hypokaustpfeiler auf eine Beheizung die straßenseitig zugewandte Südostecke des der Räume hin. Im Vergleich zu den weiteren Innenhofes mit porticus sowie die angrenzende Grabungen im Lager ist auffällig, dass in der ei- Raumreihe (Abb. 1). gentlichen Nutzungszeit keine grundlegenden

1 Alle Untersuchungen wurden im Vorfeld von Bauarbeiten not- 2 Gechter 2001. wendig und standen unter hohem zeitlichem Druck. Sie konnten 3 Grundlage des folgenden Abschnitts ist der technische Gra- bislang noch nicht abschließend aufgearbeitet werden, so dass es bungsbericht des ausführenden Grabungstechnikers M. Gran sich im Folgenden um zusammenfassende Vorberichte handelt. sowie die dazugehörende Dokumentation (OV 2005/0332). 166 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 1: Bonn, Legionsla- ger. Übersichtsplan der aktuellen Grabungen in principia und praetorium.

baulichen Umstrukturierungen vorgenommen zeitlichen Steinraubs reichten Störungen z. T. bis in wurden und der ursprüngliche Grundriss wäh- die untersten Fundamentlagen, stellenweise wa- rend der gesamten Belegungszeit fast unverän- ren jedoch auch Wandmalereien bis zu einer Höhe dert erhalten blieb. Erst in der Spätantike lassen von 30 cm sowie Laufhorizonte in situ erhalten. sich Einbauten in der porticus feststellen, die Die Funktion der aufgedeckten Gebäudeteile ist vermutlich zu einer nachlagerzeitlichen zivilen vor der eigentlichen Grabungsauswertung noch Nutzung gehören. In diese Phase oder wenig nicht im Einzelnen erkennbar. Jedoch verlaufen später ist ein Muffelofen zu datieren, in dem Me- eine größere Anzahl Kanäle besonders konzent- tall geschmolzen wurde. riert im östlichen Teil der Untersuchungsfl äche, die unter der Außenmauer hindurch in den Stra- PRAETORIUM ßengraben entwässern. Zu diesem Raumensemble Im Jahr 2010 ergab sich im Vorfeld von Bauarbeiten gehören ebenfalls zwei kleine Apsiden. Da dort die Möglichkeit, das angrenzende Grundstück zu fast fl ächendeckend Hypokaustanlagen römischer untersuchen.4 Durch die Böschung der beiden Gra- Fußbodenheizungen nachgewiesen sind, könnte bungsgrenzen konnten die in den principia ange- es sich um eine Badeanlage handeln. Badeinbau- schnittenen Räume nicht komplett ausgegraben, ten wie Becken oder Wannen sind allerdings nicht sondern in Sondagen nur die südliche Außenmau- überliefert. er erfasst werden. An diese schloss eine 5,50 m brei- Architekturfragmente von Kapitellen, Architra- te Straße an, die an der dem praetorium zugewand- ven, Gesimsen und Säulen geben Zeugnis von der ten Seite von einer auf massive Tufffundamente Monumentalität des Baus. Ausgehend von den er- gestützten porticus begleitet wurde. Davor verlief haltenen Bruchstücken lässt sich sicher eine Zwei- ein mit Ziegeln ausgelegter Kanal (Nebensammler). geschossigkeit rekonstruieren. Gut erhalten ist Insgesamt konnten ca. 2200 m2 (Abb. 1) untersucht eine Halbsäule mit Schuppendekor (Abb. 2). werden. Aufgrund mittelalterlichen und frühneu- Unter dem reichhaltigen Fundmaterial sind 101 JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn 167

Fragmente verschiedener Bronzestatuen her- vorzuheben.5 Darunter befi nden sich Reste mo- numentaler Großplastik, u. a. Teile eines Pferde- schweifs, ein Daumen und ein Zeh. Eine Verlagerung der Bruchstücke aus den principia oder dem praetorium ist ebenso möglich wie aus dem Bereich der das Lager durchquerenden Hauptstraße. Im Gegensatz zu den principia ist das praetori- um vielfältig umgebaut und auch grundlegend umgestaltet worden. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich im südlichen Bereich der Unter- suchungsfl äche der nahezu vollständige Grund- riss einer in Holz erbauten Baracke erhalten hat. Vermutlich handelt es sich dabei um eine tem- poräre Bebauung in der Errichtungszeit des La- gers, gegebenenfalls zur Unterbringung der Bautruppe für das benachbarte Stabsgebäude. Darüber hinaus ist die Nachnutzung des bereits zum Teil abgebrochenen Gemäuers mit nach- träglich eingezogenen Fachwerkwänden belegt.

THERMEN Bereits 2012 ergab sich im Vorfeld von Bauarbei- ten die Möglichkeit zur Untersuchung des Hin- terhofareals von zwei Grundstücken mit einer Gesamtfl äche von etwa 600 m 2.6 Nach den Über- legungen Gechters lagen hier im Bereich nahe Abb. 2: Bonn, Legionsla- der Straße tabernae und im Anschluss daran ger. Halbsäule aus dem die Unterkünfte der ersten Kohorte.7 Im Befund praetorium. zeigte sich eine mehrphasige Badeanlage, die die gesamte Grabungsfl äche einnahm. Neben daran angrenzende Bereich war großfl ächig mehreren Räumen unbekannter Funktion, die modern gestört. Dahinter schloss sich ein weite- sich an einen Hof reihen, dem eine Säulenstel- rer hypokaustierter Raum an. Den Boden bilde- lung vorgelagert ist, konnte eine Raumfolge mit te hier ein wiederum ziegelsplitthaltiger Est- mehreren Becken und unterschiedlichen Hei- rich, unter dem eine mehrphasige Kanalheizung zungssystemen untersucht werden. Hervorzu- zum Vorschein kam (Abb. 3). heben ist dabei ein Raum mit 26 Hypokaustsäu- Zur absolutchronologischen Einordnung lässt len, die bis zu 60 cm hoch erhalten waren. sich bei dem derzeitigen Bearbeitungsstand Unterschiedlich große quadratische und runde noch nichts sagen. Hypokaustziegel sowie Gewölbekeilsteine, die gegeneinander versetzt aufgetürmt waren, be- NORDWESTECKE legen die Zweitverwendung des Baumaterials. Zwischen September 2013 und Februar 2014 Der Bodenbelag bestand aus in Lehm gesetzten konnten zwei Teilfl ächen mit fast 3000 m 2 au- tegulae, bei denen die Leisten abgeschlagen ßerhalb des Lagerzentrums in der Nordwest- worden waren. Die Anlage wurde aus dem be- ecke untersucht werden.8 Zwischen den Flächen nachbarten Becken, das mit ziegelsplitthalti- lagen untersuchte Bereiche der Jahre 1903 und gem Mörtel und einem Viertelrundstab abge- 1905, bei denen ein Weihestein der 8. Kohorte dichtet war, in einer späteren Phase beheizt. Der entdeckt worden war. Anhand dieser Ergebnis-

4 Morscheiser 2010. 7 Gechter 2001. 5 Morscheiser/Sarge 2014. 8 Morscheiser 2014. 6 Baumgarten 2012. 168 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 3: Bonn, Legions lager. Aufsicht der Kanalheizung des Badegebäudes.

Abb. 4: Bonn, Legionsla- ger. Fundament eines Wirtschaftsgebäudes.

se erstellte Gechter die Rekonstruktion der La- der spätantike Einbau einer turmartigen Struktur, gerbelegung.9 vermutlich mit einem Treppenhaus, und einer klei- In der ersten Teilfläche befand sich eine Straßen- nen Darre. In der nordöstlichen Ecke wurde der kreuzung mit angrenzender Bebauung. Die Ge- Teilbereich eines Wirtschaftsgebäudes freigelegt, bäudefundamente im westlichen Teil lassen sich dessen Fundamente mit zwei Lagen aufgehendem mit den bereits zu Anfang des letzten Jahrhunderts doppelschaligem Tuffmauerwerk mit opus cae- gefundenen Barackenresten in Verbindung brin- mentitium-Kern noch über 1,70 m hoch erhalten gen. Bemerkenswert ist in diesem Bereich jedoch waren (Abb. 4). Unter der Straße verlief ein eben- JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn 169

falls sehr gut erhaltener Abwasserkanal, auf dessen mit zwei parallelen Reihen tegulae ausgelegter Soh- le die Reste der antiken Sedimentierung erhalten waren. Die Wände aus Gussmauerwerk waren mit sorgfältig behauenen Tuffquadern verblendet. Unter dem reichen Fundmaterial befinden sich zwei beinerne Nadeln mit der Büste eines Toga- tus bzw. einem stilisierten Kopf sowie die aus Bronze gefertigte Applikation eines Kästchens oder Möbelstücks. Die Figur mit phrygischer Mütze stellt vermutlich Mithras oder Attis dar und stammt aus einer stark verkohlten spätanti- ken Zerstörungschicht. Im gesamten Untersuchungsareal konnten im- mer wieder Reste der hölzernen Vorgängerbe- bauung des Lagers nachgewiesen werden. Dabei handelte es sich vorwiegend um Teile der in Holz ausgebauten Kanalisation.

BRAUEREI Im Vorfeld von Bauarbeiten an der Adenaueral- Abb. 5: Bonn, Lagerdorf. lee im südlichen Teil der canabae legionis konn- Lichtnische im Keller te 2011 ein etwa 1000 m 2 großes Grundstück ge - eines Streifenhauses. genüber dem modernen Palais Schaumburg untersucht werden.10 Das Nachbargrundstück Bemerkenswert gut erhalten zeigte sich der Keller wurde bereits 2008 ergraben.11 Die antike Stra - mit einem Zugang von Osten, der direkt an der Gra- ße verlief unter der heutigen Bundesstraße 9. bungsgrenze lag. Auf dem erhaltenen Wandputz Insgesamt befinden sich Teile von vier Parzellen fanden sich Reste von Bemalungsspuren. in dem etwa 30 m breiten Untersuchungsareal. Im Hofbereich dieses Gebäudes liegt eine kleine In dem schmalen freigelegten Streifen des nörd- Darre mit einem an der westlichen Grabungs- lichsten Hauses wurden fünf kleine Räume in grenze gelegenen Befeuerungsraum. Die Darre Teilen dokumentiert, deren Nutzung bisher un- mit einer Grundfläche von 2,5 m × 3 m entspricht klar ist. Teilweise gehörte ein Estrichboden zur in Größe und Form dem Typ der (nahezu) quadra- Ausstattung. tischen Darren ohne Einbauten nach Dreisbusch.12 Die Inneneinteilung des 0,80 m südlicher liegen- Auf dem Gelände befand sich eine Vielzahl mitun- den zweiten Gebäudes wies dagegen nur einen ter sehr tiefer Gruben, die zum Teil als Arbeitsgru- großen Raum mit den Resten eines Herdes oder ben oder Becken, zum anderen aber auch als einer Heizungsanlage auf. Bemerkenswert ist Brunnen gedeutet werden. ein mehrfach umgebauter, sehr gut erhaltener Bei der Untersuchung kam eine Vielzahl archäolo- Steinkeller. Zunächst erfolgte der Zugang zu gischer Funde zutage, vor allem des 2. und 3. Jahr- dem mit zwei Fenstern und einer Wandnische hunderts n. Chr. Unter dem typischen Spektrum (Abb. 5) ausgestatteten, 6 m × 2,5 m großen Kel- des gewöhnlichen Hausmülls fällt eine hohe An- ler über eine Steintreppe im Norden. In einer zahl an Amphorenscherben und Mortarien auf. zweiten Phase wurde die östliche Mauer durch- Auffällig sind ebenso Fragmente von mindestens brochen und ein um 2 m erweiterter Zugang ge- 15 verschiedenen Mühlsteinen unterschiedlicher schaffen. Gegenüber der mit Ziegelplatten ein- Größen. gefassten Nische befanden sich in der Nordwand Das Ensemble aus einer Darre, in der man Ge- noch Einlasslöcher für ein Wandregal. treide mälzen konnte, einer guten Versorgung Das dritte Gebäude war zumindest partiell durch mehrere Brunnen mit Frischwasser, ei- durch eine Hypokaustanlage beheizbar. ner hohen Anzahl von Mühlsteinen zum Schro -

9 Gechter 2001. 11 Schenk 2008. 10 Morscheiser 2012. 12 Dreisbusch 1994. 170 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

ten und überdurchschnittlich vielen Ampho- Es gehört zu den großen Herausforderungen der renfragmenten, die nicht in das gewöhnliche Bodendenkmalpflege in den nächsten Jahren, Fundspektrum eines herkömmlichen Haushalts mehr Bewusstsein dafür zu schaffen und die ar - passen, legen die Interpretation als Bierbrauerei chäologischen Strukturen stärker in die städte- nahe.13 planerischen Entwicklungen einzubinden. Viel- versprechende Chancen stellten dabei die FAZIT Vorbereitungen zur Aufnahme des Niederger- Festzuhalten ist nach dem vorläufigen Ab- manischen Limes in die UNESCO-Welterbe-Lis- schluss der Geländeaktivitäten, dass auch nach te als Teil des transnationalen seriellen Welter- einer fast zweihundertjährigen Grabungs- und bes „Grenzen des Römischen Reiches“ dar. Forschungsgeschichte in jeder Untersuchung Unerwartetes auftrat und bekannt Geglaubtes umgeschrieben und ergänzt werden musste. Die Praxis zeigte, dass auch bei einer militäri- schen Anlage regelmäßig Abweichungen vom Idealplan vorkommen. Bei den verschiedenen Grabungen in und um das Bonner Legionslager hat sich in den letzten Jahren wiederholt erwiesen, dass der Erhal- tungszustand der Befunde in zunächst flächen- deckend überbaut scheinendem Stadtgebiet ganz erstaunlich gut ist. Mauern und Funda- mente können bis zu zwei Meter hoch angetrof- fen werden, und zugleich ist das Fundmaterial reichhaltig und von durchweg hoher Qualität. Setzt man diese Ergebnisse nun in Bezug zu der von St. Bödecker durchgeführten Bodeneingriffs- kartierung der Befunde im Legionslager, zeigt sich, dass in rund 80 % der ehemaligen Lagerfläche Dr. Jennifer Morscheiser-Niebergall noch mit vergleichbar gut erhaltenen Befunden LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland zu rechnen ist.14 Im eigentlichen Stadtbild sowie Außenstelle Overath im Bewusstsein der Bevölkerung spielt dieses je- Gut Eichthal, 51491 Overath doch bislang nur eine geringe Rolle. [email protected]

13 Ein vergleichbarerer Befund ist auch aus Regensburg 14 Bödecker 2009. bekannt: Boos 2010. JENNIFER MORSCHEISER-NIEBERGALL Im Lager und vor den Toren: Neue Grabungen in Bonn 171

LITERATURVERZEICHNIS Gechter 2001 · M. Gechter, Das Legionslager. In: Valkhof Nijmegen (Hrsg.), Gebrochener Glanz. M. van Rey (Hrsg.), Bonn von der Vorgeschichte bis Römische Großbronzen am UNESCO-Welterbe Baumgarten 2012 · St. Baumgarten, Neu entdeck- zum Ende der Römerzeit. Geschichte der Stadt Bonn Limes. Ausstellungskatalog Bonn, Aalen, Nijmegen te Thermen im Legionslager Bonn? Archäologie im 1 (Bonn 2001) 144–146. 2014/2015 (Mainz 2014) 125–127. Rheinland 2012, 136–137. Morscheiser 2010 · J. Morscheiser, Im Haus des Schenk 2008 · A. Schenk, Ein neues Streifenhaus Bödecker 2009 · St. Bödecker, Projekt zur Inven- Kommandanten – Das praetorium des Legionslagers aus dem vicus von Bonn. Archäologie im Rheinland tarisierung des Niedergermanischen Limes. Das Legi- Bonn. Archäologie im Rheinland 2010, 108–110. 2008, 98–101. onslager Bonn. Der Limes 3, 2009, Heft 2, 23–25. Morscheiser 2012 · J. Morscheiser, Bierbrauen in Boos 2010 · A. Boos, Eine Brauerei aus der Römi- Bonn – Einblicke in römisches Handwerkerleben. schen Kaiserzeit in Regensburg-Großprüfening. Jahr- Archäologie im Rheinland 2012, 123–125. buch der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens Morscheiser 2014 · J. Morscheiser, Figürliches aus 2010, 30–51. dem Legionslager Bonn. Archäologie in Deutschland ABBILDUNGSNACHWEIS Dreisbusch 1994 · G. Dreisbusch, Darre oder Räu- 2014, Heft 1, 50. cherkammer? Zu römischen Heizanlagen in West- Morscheiser/Sarge 2014 · J. Morscheiser/C. Sarge: LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland: 1 deutschland. Fundberichte aus Baden-Württemberg Monumentale Statuen aus Bonn. In: LVR-Landes- (C. Tassane), 2 (J. Morscheiser), 3 (C. Maass), 4 19/1, 1994, 181–205. museum Bonn/Limesmuseum Aalen/Museum Het (A. Beck), 5 (M. Thuns). 172 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 14 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 173

MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen

EINLEITUNG Bereits in Band 6 der Beiträge zum Welterbe Li- mes sind erste Ergebnisse zu dem vor einigen Jahren entdeckten Auxiliarkastell (Till-)Stein- cheshof erschienen.1 An dieser Stelle seien nun die zwischenzeitlich neu gewonnenen Erkennt- nisse vorgestellt. Der römische Militärstandort Steincheshof ist ei- nes von sieben bisher bekannten Kastellen zwi- schen Xanten und Nijmegen (Abb. 1). Auf dem bereits 1864 als römische Trümmerstelle publi- zierten Fundplatz2 erfolgten schon vor 1937 Bo- deneingriffe.3 Fundmeldungen ehrenamtlicher Mitarbeiter gab es bis in die jüngste Zeit.4 Im Jahr 2009 wurde der Ort als Standort zweier römi- Abb. 1: Topographie des niedergermanischen Limes zwischen Xanten und Nijmegen. scher Auxiliarkastelle erkannt.5 Etwa zeitgleich Blautöne: Höhen von 10–20 m ü. NN, Gelbtöne: 20–60 m ü. NN, Grüntöne: 60–100 m gelang die ungefähre zeitliche Einordnung des ü. NN, schwarze Linie: Flüsse; weiße Linie: deutsch-niederländische Grenze. Platzes durch einen systematischen Oberflächen- Survey.6 In den beiden folgenden Jahren wurde Im Anschluss wurden alle bisherigen Funde im eine Grabung mit drei Sondagen durchgeführt. Rahmen einer jetzt abgeschlossenen Magister- Diese diente der Kontrolle der Prospektionser- arbeit an der Universität zu Köln bearbeitet. 8 gebnisse, der Überprüfung der Befunderhaltung, Eine vollständige, die Funde und Befunde glei- der Erfassung der Nordbegrenzung der Kastelle chermaßen umfassende Gesamtvorlage ist der- und deren chronologischer Einordnung.7 zeit in Vorbereitung.9

6 Brüggler u. a. 2010. 1 Brüggler/Drechsler 2012, 28–37. 7 Brüggler/Drechsler 2012. 2 Schneider 1866, 166–167. 8 M. Drechsler, Studien zum römischen Kastell Steincheshof 3 Rehm 1937, 339. (Magisterarbeit Universität Köln 2013). 4 Bridger-Kraus 1999, 438. 9 M. Drechsler, Das römische Auxiliarkastell Steincheshof, 5 Brüggler u. a. 2011, 106–110. Bonner Jahrbücher (in Vorbereitung). 174 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Nordost

15,00 müNN

14,00 müNN

13,00 müNN

Abb. 2: Steincheshof. Profil im Nordschnitt gegen Südosten. Von Nordost nach Südwest sind die ansteigende Gelände- kante, der Graben von Kastell I (blau) und Kastell II (rot) und die Befunde der Innenbauten (grün) zu erkennen.

Planierschicht Planierschicht Anschüttung / Grube / Struktur Anschüttung / Grube / Struktur Fluviales Sediment Fluviales Sediment Ziegel Graben Lager I Graben Lager I Graben Lager II Graben Lager II Störung

0 5 m N 0 10 m N

Abb. 3: Steincheshof. Ausschnitt von Planum I im Nord- Abb. 4: Steincheshof. Ausschnitt von Planum I im Südschnitt. schnitt. Im Norden sind die tiefer liegenden, vom Gewässer Im Norden sind Strukturen des Lagers wie Brunnen, Gruben beeinflussten Sedimente zu erkennen (grau), in der Mitte und Gebäudeteile (grün) zu erkennen, in der Mitte die Lager- die beiden Lagergräben (rot und blau) und im Süden die gräben (rot/blau) und im Süden verschiedene weitere Befunde höher liegenden Sedimente aus dem Inneren des Lagerbe- (grau/braun/grün). reichs (braun/grün). MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 175

Südwest

17,00 müNN

16,00 müNN

15,00 müNN

14,00 müNN

Planierschicht Fluviales Sediment Graben Lager II 012345 m Anschüttung / Grube / Struktur Graben Lager I Störung

BEFUNDE etwa 2 m breite, unregelmäßige Kiesstickung. Da- Der Plan der geomagnetischen Messung zeigt auf- hinter schließt sich ein rechteckiger Ofen an. Ver- grund der partiellen modernen Überbauung nur schiedene rechtwinklig und parallel zueinander die südliche Hälfte (retentura) von zwei römischen orientierte Ziegelstickungen bilden Elemente ei- Auxiliarkastellen. Im Osten sind außerdem Befun- nes Barackenbaus (Abb. 3). de des Kastellvicus zu erkennen.10 Beide Anlagen Im südlichen Schnitt (80 m Länge) ist zuerst eine sind durch ihre unterschiedliche Größe gut vonein- weitere Ziegelstickung zu erkennen. Danach sind ander unterscheidbar. Sie liegen fast am selben verschiedene langrechteckige, parallel und ortho- Platz übereinander und sind beide um 25 Grad aus gonal zueinander verlaufende Balkengräbchen der Nord-Süd-Achse heraus nach Osten gedreht. von 18 cm und 25 cm Breite erkennbar. Sie bilden Die erkennbare Innenbebauung scheint nur dem zwei sich überlagernde Barackenbauten in Fach- inneren, kleineren Kastell anzugehören. Sie besteht werktechnik ab. Dabei zeigen die breiten Balken- aus parallel angeordneten, langrechteckigen Ge- gräben die jüngere Phase. Die Ziegelstickung nörd- bäuden. Unter Einbeziehung der Grabungsergeb- lich davon gehört wahrscheinlich zu einer dieser nisse ergibt sich das nachfolgend skizzierte Bild: Baracken. Weiter südlich folgt zunächst der Gra- Das Kastell I erstreckt sich langrechteckig mit ab- ben von Kastell II, dann der von Kastell I (Abb. 4). gerundeten Ecken über 3,3 ha und liegt parallel Der dritte kleine Schnitt im Osten galt einem geo- zur nördlichen Geländekante. Der Umwehrungs- magnetisch besonders auffälligen rechteckigen graben ist auf der nördlichen Seite noch auf 2,0 m Bau. Erhalten war die letzte Lage einer Kiessti- Breite und mit einer Tiefe von 1,1 m erhalten. ckung, die wohl als leichtes Mauerfundament Eine Innenbebauung ist dem ersten Kastell nicht diente. Stratigraphisch ist der Bau wesentlich jün- sicher zuweisbar. ger als das Kastell. Eine genauere Datierung war Das Kastell II besitzt dieselbe Grundform und be- nicht möglich. deckt eine Fläche von 2,4 ha. Während Kastell II an drei Seiten innerhalb des Kastells I liegt, greift es FUNDE an der Nordseite einige Meter darüber hinaus und Das hier behandelte Fundmaterial stammt fast endet mit dem Graben erst unmittelbar an der ausnahmslos aus der Grabung 2010/2011. Hinzu Hangkante (Abb. 2). Der Graben von Anlage II ist kommen ausgewählte Funde des Oberflächen- knapp 8 m breit und noch mindestens 2,4 m tief. Surveys von 2009 und einige wenige von ehren- Die Grabensohle wurde während der Grabung amtlichen Sammlern abgelieferte Objekte. Mate- nicht erreicht. Stratigraphisch gehören zu Kastell rial aus früheren Maßnahmen am Kastell II verschiedene Baustrukturen. Von Nord nach Steincheshof konnte nicht mehr ausfindig ge- Süd ist das im nördlichen Schnitt (47 m Länge) eine macht werden. Die Funde und die Befunddoku-

10 Brüggler/Drechsler 2012, 31 Abb. 2; 3. 176 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Tabelle 1: Münzfunde aus dem Auxiliarlager Steincheshof.

Münze Inventarnr. Kontext Anzahl Nominal Kaiser Typ Datierung Bemerkung Nr. LVR LMB 1- Lesefund 12 ? ? ?? - 2 2011.503,1-1 stratifiziert 1 Semis(?) ? ? ca. 0–150 n. Chr.- 3 2011.492,0-1 stratifiziert 1 Denar Marc Aurel RIC 248 171–172 n. Chr. - 4 2011.558,0-1 stratifiziert 1 Denar Traian RIC 173 103–117 n. Chr. - 5- Lesefund 1 Dupondius Traian? ? 98–117 n. Chr. - 6- Lesefund 1 ? Nerva ? 96–98 n. Chr. „Silbermünze“ 7 2011.503,2-1 stratifiziert 1 As Nerva RIC 60? 96–98 n. Chr. - 8- Lesefund 1 As Domitian RIC 92 87 n. Chr. - 9- Lesefund 1 Denar Domitian ? 81–96 n. Chr. - 10 2011.559,0-1 stratifiziert 1 Denar Titus RIC 56 79–81 n. Chr. - 11 - Lesefund 1 Denar Vespasian ? 69–79 n. Chr. - 12 2011.560,0-1 stratifiziert 1 As Vespasian ? 69–79 n. Chr. - 13 - Lesefund 1 Denar Vespasian RIC 15 69–71 n. Chr. - 14 - Lesefund 1 ? Nero ? 54–68 n. Chr. „Goldmünze“ 15 - Lesefund 1 As Claudius RIC 100 41–50 n. Chr. - 16 - Lesefund 1 Denar Tiberius RIC 26 36–37 n. Chr. - 17 2011.505,0-1 stratifiziert 1 As Augustus RIC 230 ca. 15 v.–10 Gegenstempel n. Chr. „CAES“ 18 - Lesefund 1 Denar - RRC 89 v. Chr. Späte Republik 344/2c

mentation der Grabung Rehm gelangten in das Manica Heimatmuseum Kleve. Dort wurde das Material Die manica (Armschutz) aus Messing ist mitt - sehr wahrscheinlich im letzten Kriegsjahr durch lerweile im Detail vorgelegt. 12 Bemerkt sei an Bombenangriffe zerstört.11 In den letzten Jahr - dieser Stelle nur, dass es sich bei dem Stein- zehnten sind auch immer wieder Aktivitäten cheshofer Exemplar mit seiner flavischen bis deutscher und niederländischer Sammler gemel- traianisch-hadrianischen Datierung um den det worden. Leider blieben auch die Bemühungen bisher ältesten Bodenfund dieser seltenen um diese bisher nicht bekannten Funde bislang Fundgruppe handelt. Es befindet sich heute ohne Ergebnis, so dass sie für die wissenschaftli- als Dauerleihgabe im LVR-RömerMuseum che Auswertung als verloren gelten müssen. Das Xanten. Fundspektrum zeigt einen großen Anteil stark fragmentierter Gefäßkeramik (ca. 75 %). Dem fol- Fibeln gen mit je 5 % die Materialgattungen Stein, Eisen Unter den Fibeln sind sich vier einfache Draht - und Bronze sowie 10 % sonstige Funde. fibeln vom Typ Almgren 15 (Riha 1.6) bzw. dessen Varianten und ein Fragment einer sol - Münzen chen, weiterhin eine Aucissafibel (Riha 5.2.1b), Vom Steincheshof sind 29 Münzen bekannt, von eine Augenfibel vom Typ Hofheim II (Riha denen noch zehn zu bestimmen waren (Tab. 1). 2.3.3) und eine Nertomarusfibel des Typs Dazu gehören ein augusteischer As mit einem Feugère 14b2 (Riha 4.3.1). Letztere wird wegen Gegenstempel CAESAR in Ligatur (Münze Nr. 17) ihrer eng begrenzten räumlichen Verteilung und eine aus dem 19. Jahrhundert bekannte ne- oft mit den Treverern in Verbindung ge - ronische Goldmünze (Nr. 14). Die Schlussmünze bracht.13 Die chronologische Bandbreite der der Reihe bildet ein aus der Grabung stammen- Steincheshofer Fibeln reicht von der augustei - der, kaum abgegriffener Denar des Marc Aurel, schen Zeit bis in die zweite Hälfte des 2. Jahr - Typ RIC 248 von 171/172 n. Chr. (Nr. 3). hunderts (Abb. 5). MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 177

Abb. 5: Steincheshof. Fibeln: vier Varianten einfacher Drahtfibeln (1–4) und ein Fragment einer solchen (5), Aucissa- fibel (6), Nertomarusfibel (7) und Augenfibel (7).

Sonstiges Buntmetall lassen sich La Graufesenque zuordnen, drei La Als sonstige Buntmetallfunde sind das Schulter- Madeleine/Lavoye bzw. Lezoux. Das Punzen- und scharnier einer vom Typ Cor- Formenspektrum ist in den Zeitraum zwischen bridge (Scharnier-Subtyp Chester, Typ F IV–VI)14 den ersten Jahrzehnten des 1. und der zweiten und ein versilberter Schmuckkettenverschluss15 Hälfte des 2. Jahrhunderts zu datieren.16 Über zu nennen. Beide werden dem ersten und zwei- Stempel sind die Töpfernamen Rufinus, Vit(alis), ten Jahrhundert n. Chr. zugeordnet. Severus, Iucundus(?) und Virthus identifizierbar. Diese Töpfer haben im letzten dritten Drittel des Terra sigillata 1. Jahrhunderts n. Chr. in La Graufesenque produ- Unter den über 200 Gefäßfragmenten der Terra si- ziert. Ein sechster Stempel stammt von Saciro, der gillata tritt das Schälchen vom Typ Drag. 27 mit 27 in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts in Lezoux/ Stücken am häufigsten auf. Nur zwei Mal belegt ist Blickweiler tätig war (Abb. 6). der Teller Drag. 15/17, unter den weiteren Tellern ist Drag. 18/31 (18 Mal) öfter vertreten als Drag. Lichthäuschen 35/36 (10 Mal). Fragmente der Schalen Drag. 29 (11 Ein scheibengedrehtes sogenanntes „Lichthäus- Mal) und Drag. 37 (10 Mal) sind etwa gleich häufig. chen“ liegt in zwei Teilen vor. Erhalten sind die Dreißig Punzen der reliefverzierten Terra sigillata obere Kuppe (ohne Spitze) und der untere Basis-

11 De Werd 2000, 342–345. 15 Bisher nur aus Gräbern bekannt; Hensen 2009, 377, Grab 12 Zuletzt: Brüggler u. a. 2012. 65/125, Fund 1 (Taf. 231; 554,22); 196, Grab 60/210, Fund 1 (Taf. 13 Riha 1979, 97; Feugère 1985, 265. 57); die Form tritt leicht abgewandelt noch im frühen Mittelalter 14 Bishop/Coulston 2006, 99 Abb. 56,4; Thomas 2003, 62; auf (Burzler u. a. 2002, Bd. 1, 477; 492 Abb. 297; Bd. 2, 142–143 65–79 Abb. 48–52. Taf. 43 [Grab 455, Nr. 3–4]). 16 Brulet/Vilvorder/Delage 2010. 178 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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Abb. 6: Steincheshof. Stempel auf Terra sigillata, jeweils links Foto (Nr. 7: Foto Gipsabguss) und Abb. 7: Steincheshof. „Lichthäuschen“ oder Schornstein (?). Erhalten sind rechts Umzeichnung. Die Stempel Nr. 1 bis 11 der obere Teil (Kuppe ohne Spitze) und der untere Abschluss (Standring). stammen aus der Grabung 2010/2011, Stempel Dazwischen ist die Draufsicht auf den unteren Teil dargestellt, auf dem sich Nr. 12 aus dem Ober flächen-Survey 2009. die Ansätze des nächsten Geschosses erkennen lassen (gepunktete Linie). MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 179

ring. Den Vergleichsfunden nach zu urteilen, chermaßen für die Schmelze und den Guss blei- besaß es ehemals drei bis vier weitere durch - haltiger Messinglegierungen23 (Abb. 9a, b). brochene Stockwerke von je etwa 10 cm Höhe. Daraus ergibt sich eine ursprüngliche Gesamt- Ziegelstempel höhe von 60–70 cm.17 Ein Stempel auf einer tegula lässt sich als LEG * Die Interpretation dieser Fundgattung bleibt VI * VIC * P * F / A * VALEES * F lesen, was zu umstritten.18 Lichthäuschen werden als Schorn- leg(io) VI vic(trix) p(ia) f(idelis) / A(…) Vale(rius?) steine oder als dekorativer Schutz für Räucher- E(s?…) f(ecit) aufzulösen ist. 24 Der Ziegel wurde gefäße oder Lampen gedeutet. Bei dem Stein- zwischen 89 und 122 n. Chr. in der Nähe von Xan- cheshofer Exemplar sprechen die grobe ten hergestellt25 (Abb. 10a, b). Machart und die relativ großen Öffnungen für eine Verwendung als Schornstein. Allerdings Glas sind keine Ruß-, Hitze-, Farb- oder Mörtelspu- An Glasfunden sind zwei kleine Fragmente von ren festgestellt worden. Daher ist nicht zwin- zwei verschiedenen naturfarbenen Rippenscha- gend von einer Verwendung in einem Baukon- len (Isings Form 3a) wichtig.26 Solche Rippenscha- text auszugehen. Für eine sichere Interpretation len dienten als Trinkgefäße und sind im 1. Jahr- als Schutzgefäß fehlen Indizien wie Farbreste hundert eine verbreitete Form. Danach kommen oder Hebemöglichkeiten durch Henkel oder ei- sie nur noch in Brandgräbern vor.27 nen Knauf an der Spitze (Abb. 7). Mühlsteine Tonkugeln Unter den Funden sind zahlreiche Mühlstein- Dreizehn gebrannte und ein ungebranntes Ob- fragmente aus Mayener Basalt vorhanden. Von jekt aus Ton besitzen eine grob runde Form diesen ist eines zu groß, um Teil einer Hand- und haben durchschnittlich einen Durchmes- drehmühle gewesen zu sein. Das über 12 kg ser von 3,7 cm und ein Gewicht von 33 g. Sie schwere Stück lässt noch die ursprüngliche sind ihrer Form nach als Schleudergeschosse Form eines großen Trichters mit einer durch anzusprechen.19 Vergleichsfunde sind be- Schärfrillen profilierten Wandung erahnen. kannt.20 Kugelförmige tönerne Schleuderge- Demzufolge handelt es sich um das Bruchstück schosse sind für das römische Militär überwie - einer Kraftmühle.28 Außerdem weist es eine gend von flavischer bis in die antoninische Zeit Vertiefung von mindestens 5 cm Tiefe mit ebe- belegt21 (Abb. 8). nem Grund auf, die eine quadratische Form mit abgerundeten Ecken und Maße von 10 cm Tiegel auf mindestens 5 cm besitzt. Diese Vertiefung Von zwei Tiegeln weist der größere die Grund- steht in keiner nachvollziehbaren Orientie- form eines scheibengedrehten Topfes Typ Höp- rung zu den übrigen bearbeiteten Flächen. ken R18 auf. Er wurde mit einem zusätzlichen äu- Es könnte sich um eine Balkenfassung han- ßeren Lehmauftrag versehen und ein zweites deln, wie sie auch ein Mühlstein aus Ander - Mal gebrannt. Der kleine Tiegel ist handgeformt nach aufweist.29 und besitzt eine einfache Griffplatte. Für beide Die chronologische Analyse der Fundgruppen Tiegelformen existieren zahlreiche Vergleichs- ergibt eine Belegung des Kastells ab tiberisch- funde.22 Nach der archäometrischen Analyse des claudischer Zeit. Die Aufgabe des Standortes Tonaufbaus und der Schmelzrückstände dienten erfolgte nicht vor 171 n. Chr., wohl aber noch in beide Tiegel trotz ihrer ungleichen Form glei- der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. C hr.

17 Houben/Fiedler 1839, 55–56 Taf. XXXVI = Brunsting 1963, 17–20; Ulbert 2010, 120 Abb. 1; Lowther 1976, 42 Abb. 11. 23 Ergebnis der archäometrischen Analyse von E. Pernicka 18 Höpken/Fiedler 2011, 143–154. (Mannheim). 19 Baatz 1990, 59–67; Maier 1979, 166; Völling 1990, 33–41. 24 Steiner 1903, 93. 20 Höpken 2005, 525; Lenz 2006, 192 Nr. 661; Cichy/Wien- 25 Fleer 2003, 30. kämper 2010; Hunold 2011, 183. 26 Isings 1957, 17–19. 21 Völling 1990, 38. 27 Saldern 2004, 191. 22 Baumeister 2004, 245, Abb. 25; Kraus/Rehren 1995, 239; 28 Hörter 1994, 32–33; Hörter 2000, 59. Nielen 2006. 29 Mangartz 1998, 278, Nr. 3-b, Taf. 16b. 180 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

012345 cm Abb. 8: Steincheshof. Tonkugeln/Schleuderge- schosse (a–m = unge- brannt, n = gebrannt).

Abb. 9a, b: Steincheshof. Scheibengedrehter Tiegel ähnlich Typ Höpken R18 mit sekundärem äußerem Lehmauftrag (a) und einfacher hand- gemachter Tiegel mit 0 5 cm Fingergriffplatte (b).

Abb. 10a, b: Stein- cheshof. Stempel auf tegula. Umzeichnung des erhaltenen Restes (a) und 01 2345 cm Rekonstruktion nach Steiner 1903 (b). MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 181

Einheit sicher datierbar.36 Die genauesten noch zu Für das Kastell I ist aufgrund seiner Fläche von ermittelnden Fundortangaben sind „auf der An- 3,3 ha wahrscheinlich die Stationierung einer höhe bei Bedburg, unweit Cleve […]“37 und „[…] ala quingenaria anzunehmen.30 Entsprechend auf dem Bensberge bei Bedburg unweit Cleve“38. wäre dann das Kastell II (2,4 ha) von einer cohors Damit ist wahrscheinlich der heutige Bersberg quingenaria equitata belegt gewesen.31 Eine teil- bei Schneppenbaum gemeint. Er liegt in unmit- berittene Kohorte widerspricht nicht dem Be- telbarer Nähe der heutigen Bundesstraße 57, fund der unterschiedlich dimensionierten deren Verlauf weitgehend dem der römischen Innenbauten des Kastells II. Das System einer an Rheinfernstraße entspricht. Ein verkehrsgüns- die Topographie angepassten Einheitenvertei- tig gelegener Platz ist für ein römisches Grab- lung mit überproportional vielen (teil-)beritte- mal nicht ungewöhnlich. nen Einheiten an der unteren Rheinniederung Ein enger räumlicher Zusammenhang zwi- ist bekannt.32 schen dem Fundort der Inschrift und der in die- Die Funde lassen keine nähere Interpretation ser genannten Einheit ist naheliegend. Das am etwa zur Herkunft oder der Ethnie der Einheit nächsten gelegene römische Auxiliarkastell ist zu.33 der Steincheshof, wo der Inschrift zufolge eine Historische Quellen wie die Tabula Peutingeriana cohors II stationiert war.39 Für Niedergermanien oder das Itinerarium Antonini bieten keine In- sind sieben Kohorten mit diesem Namens- formationen zum Steincheshof, da das Kastell bestandteil bekannt.40 Fünf davon sind equitatae zum Entstehungszeitpunkt dieser beiden spät- quingenariae. Wegen der nur wenig voneinan- antiken Quellen bereits aufgegeben war. Zudem der abweichenden Bauphasen der Baracke ist muss das Kastell nicht unbedingt an einer der für das Kastell II eine langfristige Belegung Hauptstraßen gelegen haben oder eine Station durch dieselbe Einheit wahrscheinlich. Über auf den Routen gewesen sein.34 die traianische Zeit hinaus sind an c o h o r t e s Von den epigraphischen Quellen ist besonders secundae nur noch die Varcianorum equitata die Inschrift CIL XIII, 8699 von Interesse. Sie Civium Romanorum und die Civium Romano- nennt einen Präfekten einer cohors secunda und rum equitata pia fidelis in Niedergermanien sta- scheint eine Grabinschrift zu sein:35 tioniert.41 An der Anwesenheit dieser Einheiten in Niedergermanien in flavischer Zeit bestehen […]N[…]] / […]ELI[…] / prae(fectus) coh(ortis) II / Zweifel.42 Die Kürze des Formulars der Bedbur- quem genuit / terra Mauretania[e] / P[…] obruit ger Inschrift mag im Vergleich zu den sieben be- / terra / […] kannten Inschriften der Varcianer-Kohorte eher für die cohors II Civium Romanorum equitata pia Der ursprüngliche Fundkontext der Inschrift ist fidelis sprechen. Letztlich ist diese Frage aber nicht mehr bekannt und sie ist daher nicht nicht sicher zu beantworten.43

30 Vgl. Burginatium. Zu dem durch seine räumliche Nähe ebenfalls in Frage kom- 31 Fischer 2012, 285–291. menden zweiten in Bedburg vorhandenen Militärplatz 32 Bechert/Willems 1995, 11–12; Becker/Bödecker/Wagner Qualburg (-Kirchhügel) vgl. Bogaers/Rüger 1974, 96–98; 2010, 122–123. Horn 1987, 347–348; Bridger-Kraus 1990, 399–400; 33 Deschler-Erb 2007, 24; 45; der Fund der Nertomarusfibel sollte Kunow 2006, 143–144. in diesem Zusammenhang nicht überstrapaziert werden. 40 Alföldy 1968, 42–76; Eck/Paunov 1997, 336; Haalebos 34 Becker 2009, 932–938; Becker/Bödecker/Wagner 2010, 2000, 38. 122–126. 41 Dagegen Eck/Paunov 1997, 348; gegen deren Argumentation 35 Lesung nach Lehner 1918, 274 Nr. 673; vgl. Alföldy 1968, vgl. die kurzfristige Reokkupation des Nijmegener Legionsla- 198 Nr. 108. gers (Enckefort 2004, 117); Indizien verweisen auf eine Statio- 36 Alföldy 1968, 198–199. nierung der cohors II Thracum in Maurik (Haalebos 2000, 56). 37 Lersch 1839–1842, 41. 42 Haalebos 2000, 53; 65; die bisher bekannten Indizien, die 38 Overbeck 1851, 52 Nr. 109. für eine Zuordnung der cohors II Varcianorum zu Krefeld- 39 Das Argument von Alföldy für die Zuordnung der Inschrift Gellep sprechen, sind dünn (Haalebos 2000, 54; Bogaers Nr. 108 von Bedburg nach Herwen ist unzweifelhaft wider- 1978, 608–609). legt, da mit dem Steincheshof ein Kastellplatz in Bedburg 43 Vgl. Alföldy 1968, 198–199; Nesselhauf 1959, 213; identifiziert ist (Alföldy 1968, 54); vgl. Haalebos 2000, 51. Haalebos 2000, 51. 182 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 11a, b: Steincheshof. Schematischer Plan der Kastell- phasen mit Grabungsflächen. Rekonstruktion des Kastells I (a) und Rekonstruktion des Kastells II (b). Magnetogramm und Interpre- tation siehe Brüggler/Drechsler 2012, 31 Abb. 2; 3. MICHAEL DRECHSLER Neue Forschungen zum Kastell Steincheshof und der Rheingrenze zwischen Xanten und Nijmegen 183

GESCHICHTE DES KASTELLPLATZES bauung mehrere, nur wenig voneinander abwei- Das Kastell I wurde entsprechend der Fundana- chende Phasen zeigt. Es ist anzunehmen, dass die lyse in (tiberisch-)claudischer Zeit durch eine hier stationierte Einheit im Jahr 89 n. Chr. auf- bisher unbekannte ala errichtet (Abb. 11a). Der grund ihrer Verdienste bei der Niederschlagung Platz war gut gewählt. Das Gelände auf einem des Aufstandes des obergermanischen Statthal- hochwasserfreien Plateau fällt Richtung Rhein ters Saturninus gegen Kaiser Domitian wie alle um zwei bis drei Meter ab, nach Süden hin ver - Einheiten des niedergermanischen Heeres den liert es nur gering an Höhe. Der in wenigen hun - ehrenhaften Beinamen pia fidelis Domitiana46 er- dert Metern Entfernung vorbeifließende Rhein hielt. Diesen führte sie nach dem Ende Domitians dürfte zugleich Schutz und Versorgungsmög- und dessen damnatio memoriae als Rudiment lichkeiten geboten haben. Ein größerer (Innen-) pia fidelis weiter. Ausbau der ersten Anlage hat soweit bisher be- Etwa in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts kannt nicht stattgefunden, da die Gebäude dem wurde für den Präfekten der Einheit wohl ein geomagnetischen Plan zufolge eher am Graben Grabmal in der Nähe des Steincheshofs an der des kleineren Kastells orientiert sind. Nach der- Rheinfernstraße errichtet, das die oben behan- zeitigem Arbeitsstand sind auch keine Gra- delte Inschrift trug. Um 175 n. Chr. war vermut- bungsbefunde der ersten Anlage zuzuweisen. lich Marcus Valerius Chalcidicus Kommandant Möglicherweise wurde die Einheit nach weni- der Einheit.47 In diesem Fall wäre sie etwa im sel- gen Jahren verlegt (etwa nach Burginatium?) ben Zeitraum (nach 170/171 n. Chr.) vom Stein- und der Platz war einige Zeit nicht besetzt. cheshof abberufen worden.48 Vielleicht geschah Das Kastell II wurde nach den oben angeführ- dies im Kontext der schweren Konflikte mit den ten Argumenten erst in den 70er Jahren nach Markomannen an der Donau unter Kaiser Marc Ende des Bataveraufstandes von einer cohors se- Aurel.49 Im Zusammenhang mit der Versetzung cunda errichtet (Abb. 11b). Man nahm dabei be- der Einheit könnte der Kommandant dem Iuppi- wusst die Orientierung der alten Anlage auf, ter Optimus Maximus eine im Kastell Herwen vielleicht um alte Strukturen wie beispielswei- überlieferte Weihung gestiftet haben.50 se den Graben an manchen Seiten als zusätzli- Gegen Ende des 2. Jahrhunderts ist das Kastell ches Befestigungselement zu nutzen. aufgegeben worden. Etwa zeitgleich muss auch Einen indirekten Hinweis auf die Einheit gibt der Kastellvicus verlassen worden sein, da unter die manica. Diese Art der soldatischen Ausrüs- den bisherigen Lesefunden keine eindeutig in tung wird in der Forschung meistens den Legio- das 3. bis 5. Jahrhundert zu datierenden Funde nären zugeordnet. Der Fund eines solchen mehr auftreten. Die Entwicklung am Stein- Objektes in einem Auxiliarkastell könnte be- cheshof ist so Teil des bekannten Prozesses der deuten, dass die Einheit aus ehemaligen Legio- kontinuierlichen Truppenreduktion in Nieder- nären gebildet worden war. Dieser Fall wird für germanien.51 die cohors II Civium Romanorum equitata pia fidelis mit guten Argumenten angenommen. 44 Diese Einheit hätte dann mit dem in ihrem Na- Michael Drechsler M. A. men überlieferten Rechtsstatus auch ihre Aus- Universität zu Köln rüstung behalten.45 Archäologisches Institut, Ab der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts ist Abteilung für Provinzialrömische Archäologie eine längerfristige Nutzung des Kastells durch Albertus-Magnus-Platz dieselbe Einheit wahrscheinlich, da die Innenbe- 50923 Köln

44 Alföldy 1968, 53–55. – Die Provinzarmee hatte sich im 47 Alföldy 1968, 198 Nr. 106; Pflaum 1956, 276. Bürgerkrieg 69/70 n. Chr. gegen Vespasian gewandt, der 48 Ein Präfekt der Einheit ist nach seinem Kommando für das sich jedoch als Kaiser durchsetzte. Als Bestrafung wurde das Jahr 196 n. Chr. als procurator der Baetica überliefert; Alföldy Heer in Niedergermanien reorganisiert, das heißt die Solda- 1968, 198 Nr. 106. ten wurden teils degradiert, teils eine Zeitlang emeritiert. 49 Die Schlussmünze (Tab. 1, Münze Nr. 3) lässt diese Möglich- Dadurch wurden Einbußen der militärischen Schlagkraft wie keit durchaus zu, da die genaue Chronologie der Markoman- bei einer Dezimierung vermieden. nenkriege ungeklärt ist (Kehne 2009, 102–105). 45 Fischer 2012, 172. 50 Alföldy 1968, 198 Nr. 106. 46 Eck/Paunov 1997, 340–341. 51 Kunow 1987, 54–55. 184 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

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STEVE BÖDECKER Airborne Laserscanning am Niedergermanischen Limes Der Limes in Raetien, Ober- und Nieder germanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 15 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 STEVE BÖDECKER Airborne Laserscanning am Niedergermanischen Limes 187

STEVE BÖDECKER Airborne Laserscanning am Niedergermanischen Limes

Ein Übungslagerareal im Hochwald bei Xanten

Nachdem 2011 mehrere obertägig erhaltene Burginatium Übungslager im Kottenforst bei Bonn durch Airborne Laserscanning ausgemacht werden konnten, gelang im Jahr 2012 auch für den Raum

Xanten die Entdeckung zahlreicher obertägig Hochwald erhaltener römischer Übungslager. Die neu ent- deckten Lager ermöglichen einen Einblick in Colonia Ulpia Traiana ein intensiv genutztes Trainingsgelände der Xantener Legionstruppen.

Vetera II (?) MANÖVERGEBIETE IM RAUM XANTEN Der Raum Xanten weist seit den Pionierleistun- Vetera I gen Irwin Scollars auf dem Gebiet der Luft- bildarchäologie die höchste Dichte bekannter römischer Übungslager im Römischen Reich auf. In einem Umkreis von ca. 10 km um den Le- gionsstandort Vetera sind seit 1961 die Gräben Alpen-Veen von ca. 130 Übungslagern im Luftbild erfasst worden.1 Dass hier noch längst nicht alle Denk - mäler entdeckt sind, zeigen die zielgerichteten Luftbildprospektionen der letzten Jahre durch Baoquan Song von der Ruhr-Universität Bo- chum, die auch abseits bekannter Konzentratio- wälle erbringen. Hermann Hinz ging nach der Abb. 1: Römische Übungs- nen neue Übungslager erbrachten und das Ver- Ausgrabung zweier Lager bei Alpen-Veen, ca. lager im Raum Xanten. breitungsbild erweitert haben (Abb. 1). Allen 4 km südlich des Fürstenberges bei Xanten gele- Luftbildbefunden gemeinsam ist die Erkenn- gen, im Jahr 1961 davon aus, dass man „mit dem barkeit der Lagergräben als positive Bewuchs- Veener Sand nie einen echten Wall aufschütten merkmale, während von Wällen oder Innenbau- könnte“. Während H. Hinz die Lagergräben von ten bislang jede Spur fehlte. Auch einzelne Lager 2 auf nahezu der gesamten Länge verfol- Grabungen konnten keine Nachweise für Lager- gen konnte, gelang dies bei Lager 1 nur für den

1 Scollar/Andrikopoulou-Strack 1984, 381; Song 2008, 29–32 mit einem Vorbericht zu Neufunden. 188 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Erhaltener Lagerwall

0 10 20 30 40 50 m N

Abb. 2: Alpen-Veen. in einer Ackerparzelle gelegenen Teil, während noch obertägig erhaltener Wallreste eines Digitales Geländemodell die genaue Lage der westlichen Lagerbegren- Übungslagers für den Raum Xanten. Die seiner- mit den Grabungsfl ächen zung im Bereich einer baumbestandenen mit- zeit nicht festgestellte Westseite des Lagers gibt von H. Hinz (1961). telalterlichen Landwehr im Unbekannten blieb. sich nun deutlich im digitalen Geländemodell Im Planum zeigten sich deutlich die bis zu 1,80 m zu erkennen (Abb. 2). Der Wall weist hier noch breiten und bis zu 1,70 m tiefen Spitzgräben mit eine Breite zwischen ca. 7,5 m und 10 m auf, und einer ca. 7 m breiten Grabenunterbrechung im Reste der claviculae haben sich im Bereich der zentralen Bereich der Schmalseite als Nachweis porta praetoria sowie der porta principalis sinistra für einen Durchlass.2 Die Gräben waren also noch schwach erhalten. Ebenfalls nur schwach nicht im System einer clavicula ausgeführt.3 Ob erkennbar ist der Lagergraben vor der Südost- der einfachen Grabenunterbrechung ein titu- ecke, der eine Berme von ca. 1 m erkennen lässt. lum/titulus vorgelagert war, wurde nicht durch Bemerkenswert ist ein noch ca. 1 m hoch erhal- einen entsprechenden Schnitt im Vorfeld des tener Grabhügel innerhalb des Lagers, der von Tores verfolgt. der römischen Truppe offenbar nicht eingeeb- net worden war. In der Südwestecke hatte ÜBUNGSLAGER IM AIRBORNE LASERSCAN H. Hinz einen im Durchmesser 24 m großen Die fl ächendeckende Aufnahme Nordrhein- Kreisgraben dokumentiert, der im zu rekonst- Westfalens mit Airborne Laserscans (ALS) ruierenden Wallbereich lag. Womöglich war durch das Landesvermessungsamt („Geobasis- dieser ebenfalls nicht einplaniert worden und NRW“) lieferte bei dem von H. Hinz ergrabenen könnte analog zu einem Befund am Marsch- Lager 1 bei Alpen-Veen den ersten Nachweis lager von Bromfi eld/Shropshire in den Lager- STEVE BÖDECKER Airborne Laserscanning am Niedergermanischen Limes 189

Hügelgräberfeld

Detail: Übungslager XII N

Hügelgräberfeld

wall integriert gewesen sein.4 Bei der Anlage Die daraufhin vorgenommene systematische Abb. 3: Römische des Lagergrabens hatten die römischen Solda- Durchsicht von Laserscandaten in Waldgebie- Übungslager im ten zwar einheimische Gräber gestört, deren ten im Raum Xanten führte Anfang Oktober Hochwald nördlich von Grabinventare aber offenbar bei Verfüllung des 2012 zur Entdeckung eines ausgedehnten Vetera castra I. Lagergrabens wieder in die Erde eingebracht, Übungslagerareals im Hochwald (Gemeinde wie H. Hinz dokumentieren konnte.5 Das Lager Uedem, Kreis Kleve), ca. 9 km nördlich des Legi- bietet also Hinweise auf eine Rücksichtnahme onslagers Vetera I, sowie einer Gruppe von vier der römischen Armee auf die einheimisch ge- Lagern im rechtsrheinischen Vorfeld bei Flüren, prägte Siedlungslandschaft. Die Ausdehnung Kreis Wesel.7 Am nördlichen Rand des Hochwal- des Lagers (Außenkante des Lagerwalls) kann des, einer über die Rheinaue ragenden eiszeitli- nun recht genau auf 280 × 600 römische Fuß pes chen Moräne, liegen dreizehn zum Teil sehr gut monetalis (11,666 actus quadratus) bzw. 250 × 535 erhaltene Übungslager (Abb. 3). Einzelne Wälle pes Drusianus bestimmt werden.6 waren bereits 1994/95 in einem internen Bericht

2 Hinz 1984, 372–375. nicht immer ausgeschlossen werden: Davies/Jones 2006, 3 Vgl. Gilliver 1993, 77–78; Jones 2011, 49–50. 81–83; zum pes Drusianus bei frühen Holzbauten unter der 4 Welfare/Swan 1995, 150–153. Colonia Ulpia Traiana vgl. Bridger 1986, 85–98. 5 Hinz 1984, 375. 7 Die Anlagen bei Flüren zeigen ebenfalls das bekannte Grund- 6 Zum pes monetalis als Vermessungseinheit im römischen Mi- riss-Schema mit abgerundeten Ecken und inneren claviculae. litär vgl. Baatz 1984, 315; aber auch der pes Drusianus kann Eine Vorlage durch den Verf. ist in Vorbereitung. 190 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

durch A. Dickhof vom Geologischen Dienst Der Begriff „Übungslager“ sollte daher hier im Nordrhein-Westfalen als mögliche Lager mit weiteren Sinne verstanden werden. Über das ei- claviculae korrekt angesprochen worden,8 wur- gentliche Üben von Schanzarbeiten hinausge- den in einer Veröffentlichung jedoch mit unbe- hend sind die Lager im Hochwald ganz sicher im kannter Zeitstellung vorgelegt9 und kamen so Rahmen von Marsch- und Gefechtsübungen zu bislang nicht ins Blickfeld weiterer Forschun- sehen. gen. Dank der modernen Laserscan-Technik Da sich hier keine Überschneidungen von La- sind die Wallanlagen in ihrem typischen spiel- gern abzeichnen, wie sie südlich von Vetera im kartenförmigen Grundriss zweifelsfrei zu er- Raum Alpen üblich sind,15 dürften die Lager in - kennen und nun auch vor Ort leichter wahr- nerhalb einer nicht allzu ausgedehnten Zeit- nehmbar. In den lichteren Waldflächen sind die spanne angelegt worden sein. Auch die gleich- bis zu 0,5 m hohen Lagerwälle auf weiten Stre- zeitige Anlage mehrerer oder sogar aller cken noch deutlich zu erkennen. Insbesondere dreizehn Lager im Hochwald im Rahmen eines die speziellen Torformen der claviculae sind an größeren Manövers (ambulatio) ist nicht auszu- allen Lagern zu beobachten und im Gelände an schließen.16 vielen Stellen sehr gut nachzuvollziehen. Damit Dank einer vorbildhaften Mitwirkung des sind an allen bislang im Rheinland festgestell- Staatsforstes Nordrhein-Westfalen konnten für ten Lagern mit erhaltenen Wallresten innere die Übungslager im Hochwald schon wenige claviculae nachgewiesen. Folgt man der gängi - Tage nach deren Entdeckung erste Erhaltungs- gen Datierung von claviculae in das 1. und in die strategien im Rahmen der Forstwirtschaft um- erste Hälfte des 2. Jahrhunderts,10 so würden gesetzt werden. Dabei wurden die Wallverläufe obertägig erhaltene Lager für nachfolgende durch farbliche Markierungen an Pflöcken und Zeiträume im Bereich der Legionsstandorte von Bäumen gekennzeichnet und die Rückegassen Bonn und Xanten bislang fehlen. Vielleicht soll- mit Rücksicht auf den Verlauf der Lagerwälle te man daher eine Weiterbenutzung der clavicu- verlegt, um Beschädigungen durch Erntema- lae zumindest bis ins 3. Jahrhundert nicht gene- schinen auch in Zukunft zu vermeiden. Für die rell ausschließen. geplante Erweiterung der UNESCO-Welterbe- Die Lagergrößen (gemessen an der Außenkante stätte „Grenzen des Römischen Reiches“ stellen des Walles) von 0,5 ha bis 2,5 ha dürften nach den die Übungslager im idyllisch gelegenen Hoch- Berechnungen A. Richardsons zu Belegungska- wald mit ihrer obertägig erfahrbaren Original- pazitäten von Marschlagern für Truppen in der substanz Bodendenkmäler von herausragen- Stärke zwischen einer und sieben Kohorten an- dem Wert, auch weit über das Rheinland hinaus, gelegt worden sein.11 In dieser Größenordnung dar. bewegen sich auch die Lager im Kottenforst bei Bonn.12 Die Lager boten damit Platz für größere taktische Einheiten, wie Legionskohorten oder Hilfstruppenkontingente unterschiedlicher Art. Man wird also eher von Manövern ausgehen können, die sich hier im archäologischen Be- fund niedergeschlagen haben, als von bloßen Schanzübungen von Rekruten, wie sie Vegetius Steve Bödecker M.A. zur Ausbildung vorschlägt13 und wie sie vor al - LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland lem in Wales als „practice camps“ im direkten Endenicher Str. 133, 53115 Bonn Umfeld von Auxiliarlagern erkannt wurden.14 [email protected]

11 Richardson 2000, 425–437; Richardson 2002, 94. 8 Den Hinweis verdanke ich Harald Berkel, LVR-Amt für Boden- 12 Bödecker 2012, 132 Abb. 2. denkmalpflege im Rheinland. 13 Veg. mil. 1,21. 9 Von Detten 1995, 157. 14 Davies 1968, 125–139; Davies/Jones 2006, 5–7; Jones 2012, 10 Jones 2011, 51–52; das Marschlager von Ermelo (NL) aus 18–31. dem späten 2. Jahrhundert besitzt ebenfalls keine claviculae; 15 Vgl. Scollar/Andrikopoulou-Strack 1984, 385 Abb. 3. vgl. Hulst 2007, 14 Abb. 5. 16 Veg. mil. 1,28. STEVE BÖDECKER Airborne Laserscanning am Niedergermanischen Limes 191

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CLIVE BRIDGER · MIT EINEM TOPONOMASTISCHEN BEITRAG VON HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert · Beiträge zum Welterbe Limes 8 16 Hrsg. P. Henrich · Darmstadt 2014 CLIVE BRIDGER · HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 193

CLIVE BRIDGER MIT EINEM TOPONOMASTISCHEN BEITRAG VON HEIKE HAWICKS

Eine neue konstantinisch- valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht

ZUSAMMENFASSUNG stammen von Franz Fiedler aus dem 19. Jahr- Im Bereich einer Geländekante an einem Alt- hundert:2 1823 wurden bei Straßenreparaturen rheinarm in der Gemeinde Alpen am linken nach einer Überflutung „op gen Hülmpt“ in der Niederrhein wurden seit Jahrzehnten zahlrei- Nähe der hier vorgelegten Fundstelle mehrere che Funde einerseits bei hauptamtlichen Bege- Ziegelstempel der 30. Legion gefunden, die hungen, andererseits durch sowohl legale als dann in späteren Berichten zur Freilegung von auch illegale Sondengänger aufgelesen. Erst in Ziegelöfen mit Tausenden von Ziegeln „erwuch- den letzten Jahren wurde deutlich, dass hier sen“.3 Damals gehörte auch das hier besproche- eine große Konzentration spätrömischer Funde ne Areal zur Flur „op gen Hülmpt“ bzw. „das vorliegt, welche die höchste Anzahl von be- Helmt“, wobei die Bezeichnung sich heute eher kannten Münzen des 4. Jahrhunderts von einer auf ein Gebiet weiter südwestlich bezieht, von Einzelfundstelle am Niederrhein darstellt. Erst welchem auch römische, vorwiegend mittel-, unlängst fanden geophysikalische Prospektio- aber auch vereinzelte spätkaiserzeitliche Funde nen statt, deren Messbilder vermutlich eine Be- bekannt sind. Auch gegen Ende des 19. Jahrhun- festigungsanlage zeigen. Frühmerowingerzeit- derts wurde immer wieder von römischen Fun- liche Funde deuten auf eine Platzkontinuität bis den von unserem Fundort berichtet, was da- in das 6. Jahrhundert hinein. durch begünstigt wurde, dass Richard Pick,4 fleißiger Sammler von archäologischen Nach- FORSCHUNGSGESCHICHTE richten, als Friedensrichter im nur 6 km entfern- Bereits aus dem 17. Jahrhundert gibt es Hinweise ten Rheinberg beruflich tätig war.5 auf römische Altertümer im Ortsteil Drüpt.1 Die Im August 1954 las H. von Petrikovits vom da- ersten zuverlässigen Informationen hierüber maligen Rheinischen Landesmuseum Bonn rö-

1 Teschenmacher 1638, 25. jetzt ausgegraben werden.“ Vgl. auch Fiedler 1854b. 2 Fiedler 1854a, 39: „Zwischen Birten und Asberg liegt nicht weit 3 LVR-ABR, NI 1860/0001; NGP 2006/0011; nach Fiedler, vgl. Bon- von Grünthal (Commesman heisst der Besitzer dieses Gutes), wo ner Jahrbücher 31, 1861, 98; 102 (E. Schmidt); Clemen 1892, 259. die von Wesel nach Geldern und die von Cleve nach Cöln führen- 4 Vgl. Sweetsir 1997. den Strassen sich kreuzen, nicht weit von Alpen und nahe an der 5 Zum Beispiel Pick 1877; Bösken 1899, 117: „Grössere Funde sind alten, zum Theil noch erhaltenen Römerstrasse die Bauerschaft auf dem ‚Helmt‘ seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr gemacht Drüpt und ein Hof Drüptstein, auf deren Fluren, op gen Hulmt, auf worden, wohl aber sind wiederholt einzelne römische Münzen zu dem Helm, in der Volkssprache genannt, in älterer Zeit viele römi- Tage gekommen. 1892 wurde eine Kupfermünze des Magnentius schen Anticaglien und Münzen gefunden worden sind, und noch gefunden“; vgl. jetzt Backendorf 2011, 366–367 mit Anm. 13. 194 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 1: Alpen-Drüpt. Die Hauptfundstelle wäh- rend der geophysikali- schen Aufnahme im No- vember 2013. Blick nach Nordosten.

mische Scherben und Ziegel am Westteil der zunächst erstanden und später, im Jahr 2002, Hauptfundstelle auf, darunter ein Randbruch- dem LVR-Amt vorgelegt.12 Seit jener Zeit begeht stück eines Topfes Alzey 27.6 Im Jahr der Be - dieser Anwohner das Gelände nun regelmäßig kanntmachung dieser Funde, 1959, erschien ein als registrierter Sondengänger. Dadurch hat kurzer Aufsatz zur Fundstelle,7 in dem Martin sich in der Zwischenzeit die Anzahl der vorhan- Friedenthal auch unterstrich, dass die oben er- denen Funde von der Fundstelle auf über 1200 wähnten Ziegelöfen nicht wirklich gefunden, Fundstücke aus den letzten zwei Jahrtausenden sondern damals anhand von Ziegelstempeln erhöht, wobei die überwiegende Mehrheit aus der 30. Legion nur vermutet worden waren. 8 Metall besteht.13 Mittlerweile sind annähernd Tatsächlich gibt es keinerlei Aufzeichnungen zu zwei Drittel dieser Objekte bestimmt worden, solchen Befunden, obschon großflächige Sand- die restlichen werden nach und nach bearbei- und Tonabgrabungen westlich der damaligen tet. Trotz der Unvollständigkeit der Fundauf- Chaussee (heute Bundesstraße 57) stattfanden. nahme wird Folgendes deutlich: Neben vielen Der Abtrag einer kleinen Anhöhe in der Nähe, neuzeitlichen und einigen hoch- bis spätmittel- des sogenannten Kaninenbergs, brachte auch alterlichen Funden sind die meisten Funde rö- keine archäologischen Funde zum Vorschein, merzeitlich zu datieren. Wie erwähnt, lieferte auch wenn sich in der lokalen Überlieferung die Fundstelle die größte Anzahl von spätanti- eine Verbindung mit einem römischen oder gar ken Fibeln und Münzen, die bislang von der vorgeschichtlichen Grabhügel lange Zeit gehal- Oberfläche eines einzigen Fundplatzes am Nie- ten hat.9 In Wirklichkeit handelte es sich um derrhein dokumentiert wurde.14 Allein dies ist eine natürliche Anhöhe.10 Grund genug, diese Stelle näher zu betrachten. Im Jahr 1991 führten zwei Mitarbeiter der Au- In der modernen Fachliteratur wird die Fund- ßenstelle Xanten des LVR-Amts für Bodendenk- stelle nur gelegentlich erwähnt. Anfang der malpflege im Rheinland eine Begehung der Flä- 1990er Jahre deutete Detlef von Detten sie als che durch und sammelten weitere Funde auf.11 Siedlung.15 In zwei Überblicksarbeiten zur römi- Etwa zwischen 1980 und 2000 suchte ein Son- schen Zeit am Niederrhein sprach der Verfasser dengänger die Fundstelle ohne Genehmigung sie als Trümmerstelle mit einem Siedlungs- regelmäßig auf. Die dabei gemachten Funde schwerpunkt in der Spätantike an.16 Eine wei - wurden von einem interessierten Anwohner tergehende Deutung war damals nicht möglich, CLIVE BRIDGER · HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 195

auch wenn der Verfasser 2006 die Fundstelle be- gefähr des zweiten Jahrtausends v. Chr., dar. reits mit mittelkaiserzeitlichem und spätanti- Dieser wurde etwa zum Beginn der Eisenzeit kem Militär in Verbindung brachte.17 Allerdings weiter nördlich durch einen jüngeren Mäander vermuteten 1974 bereits zwei Lokalhistoriker: getrennt, aber nicht abgeschnitten, so dass er si- „Es ist nicht ausgeschlossen, daß in Drüptstein cherlich weiterhin von Wasser durchfl ossen ein Auxiliarkastell stand“.18 wurde. Auch die Entwicklung eines neuen Hauptstromes während der Spätlatène- bzw. DIE FUNDSTELLE frühen Kaiserzeit legte den Mäander nicht tro- Das vorgestellte Areal liegt am Nordostrand ei- cken, dies geschah erst im frühen bis hohen Mit- nes 1,65 km langen und im Norden bis 770 m telalter. Direkt an der Kante zum alten Rheinarm breiten Rückens der oberpleistozänen bis holo- verlief im späten Mittelalter die Heerstraße.20 zänen Niederterrasse, die von niedrigeren holo- Die nördliche Rinne scheint jünger zu sein, wo- zänen Auenfl ächen umfasst wird (Abb. 1). 19 Der bei der heutige „Schwarze Graben“ von Westen Boden dieser stets hochwasserfreien Anhöhe entwässert und nicht mit einem Rheinarm in (am Niederrhein „Donk“ genannt) besteht aus Verbindung zu bringen ist. Das Gewässer wird Hochfl utsand. Der Rücken liegt auf ungefähr erstmals 1347 urkundlich erwähnt.21 23–23,50 m ü. NN; im Norden und im Osten gren- zen zwei Rinnen mit steilen Geländekanten bis DIE FUNDE auf etwa 19,80 m ü. NN an. Die östliche Rinne ist Seit Anfang dieses Jahrhunderts werden regel- rund 130 m breit. Dabei handelt es sich um einen mäßig Funde von der Fundstelle und der unmit- Abb. 2: Alpen-Drüpt. ehemaligen Rheinarm, in dessen Trockenbett telbaren Umgebung in die Außenstelle Xanten Gehenkelter Solidus heute die Borthsche Ley nach Norden fl ießt. des LVR-Amts für Bodendenkmalpfl ege im des Kaisers Konstantin I. Diese Rinne stellt einen Abschnitt eines Rhein- Rheinland zur Dokumentation eingeliefert.22 (Neufund 2012). mäanders des späteren Mittelholozäns, also un- Von dem großen Fundaufkommen bestehen Dm. 21 mm.

6 LVR-ABR, NI 1954/0002; LMB Inv.-Nr. 1954.0710; vgl. Bon- 15 Von Detten 1994, 23. ner Jahrbücher 159, 1959, 390 ([M.] Friedenthal). 16 Bridger 2001, 205–206; Bridger/Kraus 2006, 113; 116. 7 Friedenthal 1959. 17 Bridger 2006, 137 mit Anm. 3; 138 Abb. 1. 8 Friedenthal 1959, 189 mit Anm. 4. 18 Hofmann/Dietrich 1974, 18. 9 Der Drüpter Kaninenberg, in: Drüpt 2008, 22–24. 19 Detailliert hierzu von Detten 1994, 9–14. 10 Von Detten 1994, 26. 20 Im Erbenbuch der Wallacher Deichschau von 1580 als „ge- 11 LVR-ABR, NI 1991/0056; LMB E 1995/073 (unbearbeitet). meene Heerestrait na Rinberck“ bzw. als „Die Cölschestrait“ 12 LVR-ABR, NI 2002/0138. Vorgelegt wurden neben einem genannt: vgl. Aymans 1994, Beilage. Einhenkeltopf bzw. einer -kanne mit außen verdicktem Rand, 21 Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 39 bauchigem Körper und dicker Standfl äche (rauwandig, ton- (Köln 1883) 75: „2. Accusationes Curiae Coloniensis Incipi- grundig, Ton hellgrau, H. 13,5 cm, Mayener Ware, zweite unt Essemerstein Vaigtgedinge. […] van der Waelacken auer Hälfte 4./1. Hälfte 5. Jh.) die folgenden Bronzefunde: Schar- dat Velt bey Lohe in dat water, alle dat Water neder to Dript- nierfi bel mit schmalem, dickem Bügel, breiter Bügelplatte stein, van Dryptstein in den alten Rhyn, alle den alden Rhyn und waagrechter Hülsenscheide, vermutlich Zwiebelknopf- neder in den anderen Rhyn, alle den Rhyn weder up an Esse- fi bel, Scharnier fehlt, erh. L. 5,7 cm; Schlossriegel mit durch- merstein […].“ Als Fußnote: „In einer Copie bei den Rhein- brochener Bartzone, Bruchstück, erh. L. 3,1 cm. – Insgesamt berger Sammelakten im Kölner Stadtarchiv ist beigefügt ‚de wurden 64 Münzen gefunden: 3 Prägungen des 3. Jhs., 37 anno 1347‘“. Ich verdanke diesen Hinweis Herrn J. Hunke, Prägungen der ersten Hälfte des 4. Jhs. und 22 Prägungen Alpen-Drüpt. aus der zweiten Hälfte des 4. Jhs. (jüngste Prägung: Follis 22 Alle Aktivitäten: NI 1954/0002; 1991/0056; 1999/0441; des Eugenius); 2 unbestimmbare Münzen. 2000/0010; 2000/0498-0551; 2001/0304; 2001/0331-0336; 13 Bis auf einen Feuersteinabschlag liegen hier keine vorrömi- 2002/0138; 2002/0327-0332; 2003/0239-0242; 2004/0054- schen Funde vor. 0055; 2004/0095-0099; 2004/0224; 2005/0312; 2009/0084; 14 Vgl. Backendorf 2011, 107–125, Nr. 3079: Der Schatzfund 2009/0126; 2010/0098; 2010/0168; 2011/0137; 2011/0218; von Weeze (1880) mit 1225 Münzen wurde um das Jahr 340 2011/0267; 2011/0337; 2011/0340; 2011/0346-0348; vergraben; da die Aufnahme von Backendorf nur Münzen 2012/0063-0064; 2012/0143; 2013/0056-0057. – Während bis 1990 berücksichtigt, kennt er nur etwa 20 Münzen bzw. der Verf. alle sonstigen Funde bearbeitet, werden die Münzen Münzgruppen aus Alpen insgesamt (365–366) und keine der dankenswerterweise von Frau Dr. C. Klages, LVR-LMB, und neuen Fundstücke. Winfried Knickrehm, Trier, bestimmt. 196 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Tabelle 1: Alpen-Drüpt. Zusammenstellung aller Funde nach Fundzeitraum und -bearbeitungsstand.

Begehungs zeitraum alle davon davon römische davon merowing. Funde Metall Münzen Funde spätantik Funde

vor 1980 (non vidi) 12 +? 3 +? 3 +? 11 +? 5 +? 1

1980–1999 > 70 ≥ 66 ≥ 64 ≥ 66 ≥ 64 1

seit 2000, bearbeitet 833 556 351 548 372 5

seit 2000, unbearbeitet 297 273 177 ? ≥ [191] 1

Fundaufkommen

Funde insgesamt > 1212 > 898

Münzen insgesamt – – > 593 > 474 370 –

Fibeln insgesamt – – 35 28 24 3

über 874 Funde aus Metall, wovon wiederum 509 (Abb. 2), wurde bereits im Frühjahr 2013 kurz Münzen sind. Lässt man die neuzeitlichen und vorgestellt.23 Die Vorderseite zeigt die Büste des sehr wenigen spätmittelalterlichen Münzen au- Kaisers Konstantin I. im Panzer, Feldherrnman- ßen vor, bleiben 449 römische Münzen übrig, tel und mit Diadem, umgeben von der Um- von denen mindestens 352 ins 4. Jahrhundert da- schrift CONSTANTINVS MAX(imus) AVG(ustus), tieren. Allein von den bis 1999 eingelieferten 64 die Rückseite den Kriegsgott Mars mit erhobe- römischen Münzen stammen 60 aus dem 4. Jahr- nem Speer und geschulterter Trophäe, unter hundert. Erst im Sommer 2013 wurden zahlrei- ihm besiegte Gegner, darunter die Buchstaben che Metallfunde aus den Jahren 1999 bis 2006 so- TR. Die bei Konstantin selten vorkommende wie 2013 gemeldet, die bislang noch nicht Umschrift VIRTVS EXERCITVS GALL(iarum) ausgewertet werden konnten. Ein erster kurso- lobt die Tapferkeit des römischen Westheeres in rischer Überblick ergab nahezu 200 Funde Gallien. Dieser Solidus wurde um 335 n. Chr. in (Münzen, Fibeln) aus der Spätantike. Trier geprägt, dem Jahr der Tricennalienfeier Alle weiteren Funde wurden zur absolutchro- Konstantins, also seines 30. Thronjubiläums. Es nologischen Auswertung in eine Datenbank könnte sich um eine Festprägung aus diesem eingegeben. Zwar sind auch einige neuzeitliche Anlass handeln. In der römischen Numismatik und spätmittelalterliche Funde zu verzeichnen, war dieser Münztyp bislang unbekannt. Erst jedoch ist die überwiegende Mehrheit der Fun- kürzlich erschien ein typgleiches Stück im de ins 4. Jahrhundert zu datieren (Tab. 1). Schweizer Münzhandel, allerdings ohne eine Die Funde stammen überwiegend aus drei größe- Fundortangabe. Unsere neue Münze ist also die ren Arealen: Die Hauptfundstelle, von der die lediglich zweite ihrer Art und die bislang einzi- meisten Fundstücke aufgesammelt worden sind ge mit gesichertem Fundort. (siehe unten Abb. 5), findet sich auf dem flachen Neben den Münzen sind mehrere Fibeln bzw. Plateau im Norden. Etwa 100–500 m westlich hier- Fibelfragmente gefunden worden. Zahlenmä- von und getrennt durch die heutige Bundesstraße ßig dominieren Zwiebelknopffibeln des späten stammen von einem zweiten, nicht häufig pro- 3. und 4. Jahrhunderts mit mehr als 20 Exempla- spektierten Areal nur wenige Funde. Ungefähr ren. Hinzu kommen allerdings im niederrheini - 300–800 m weiter südlich bzw. südöstlich wurden schen Typenspektrum extrem seltene, wenn auf einem dritten Areal (heute „Auf der Helmt“) ei- nicht gar einzigartige Formen. Erst 2013 wurde nige Funde aufgelesen, die größtenteils eher mit- auf der „Helmt“ eine Zikadenfibel aufgesam- telkaiserzeitlich zu datieren sind. Eine Ausnahme melt: Die Kupferlegierung weist einen nur teil- stellt die unten besprochene Stützarmfibel dar. weise erhaltenen Weißmetallüberzug auf, Na- Das wohl spektakulärste Fundstück, ein sehr delhalter und -sehnenhaken sind abgebrochen, gut erhaltenes spätrömisches Goldmedaillon die Spirale mit Nadel fehlt. Der halbkugelige CLIVE BRIDGER · HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 197

Abb. 3: Alpen-Drüpt. Histogramm der Münz- vorkommen nach den Münzperioden von Wigg 1991 (n = 320).

Kopf und der schmale „Hals“ sind durch Rillen zwischen 330 und 395 hin (siehe Histogramm abgesetzt, die geraden Flügelkanten enden Abb. 3). Prägungen des 5. Jahrhunderts fehlen schwalbenschwanzförmig, was selten vor- bislang. Demnach wäre es verlockend, eine mi- kommt. Zurzeit kann die Fibel nur grob in das litärische Belegung dieses Platzes in diesem 2. bis 4. Jahrhundert datiert werden. 24 Genauer Zeitraum zu konstatieren. Allerdings muss hier datierbar ist eine unlängst vom selben Areal auf den Umstand hingewiesen werden, dass aufgelesene Stützarmfi bel mit stabförmigem dieser Münzverlauf der numismatischen Nor- Bügel, Achsenträger und Röhrenfuß. Die aus ei- malität auf spätrömischen Fundstellen am Nie- ner Kupferlegierung massiv gegossene Fibel ist derrhein entspricht, ähnlich vertreten in Xan- bis auf die Nadel vollständig und sehr gut erhal- ten, Krefeld-Gellep und Köln, Domgrabung. 27 ten, der Bügel und die Stützarme außen sind mit Demzufolge könnte man durchaus mit einem Kreisaugen, Kreisen und Halbkreisen verziert. Beginn der Belegung noch deutlich vor 330 Eine 2001 publizierte Verbreitungskarte zeigt n. Chr. rechnen. Auch der vermeintliche Hiatus keine entsprechenden Funde am linken Nieder- zwischen 353 und 363 entspricht dem normalen rhein.25 Neufunde sind dem Autor seitdem nicht Münzverlauf und kann nicht per se als Beleg bekannt geworden. Die Fibel ist an das Ende des für eine Unterbrechung in der Besiedlung her- 4. bzw. den Anfang des 5. Jahrhunderts zu datieren. angezogen werden. Einige Reichsprägungen Wenig verbreitet am Niederrhein sind zwei Sie- und Barbarisierungen der Gallischen Kaiser so- gelkapseln, die früher im Kontext von Schreibtä- wie wohl lokale Prägungen konstantinischer felchen gesehen wurden, nun aber entsprechend Vorbilder sind ebenfalls vorhanden. In einem neueren Forschungen mit dem Transport von Fall wurde ein Rohling für eine lokale Prägung Münzen in Zusammenhang gebracht werden.26 gefunden.28 Die mehreren hundert Münzen der konstanti- Unter den keramischen Funden liegen mehrere nischen und valentinianischen Epoche deuten Bruchstücke von Gefäßen der Mayener Ware auf eine Hauptbesiedlungszeit der Stelle etwa und von mindestens drei Spruchgefäßen vor.

26 Andrews 2012. Zur Deutung als Briefsiegel z. B. Derks/Roy- 23 Klages/Bridger-Kraus 2013: Konstantin I., gehenkelter Soli- mans 2003, bes. 257–260. Auf die Funde aus Drüpt hatte dus, TR, in RIC nicht verzeichnet, Gewicht 4,68 g, Dm. ohne ich bereits an anderer Stelle hingewiesen: Bridger 2007, 330 Henkel 21 mm. sowie oben Anm. 17. 24 Vgl. Fitz 1985, bes. 36; 41 Nr. 3.12; Kysela 2002, 22 Abb. 2 27 Freundl. Mitteilung P. Ilisch, 16. 11. 2013. Generell hierzu: oben links. Schulzki 1989, 64–106; Wigg 1991, 45–51; 237. 25 Brieske 2001, 45 Abb. 2. Vgl. auch Böhme 1974, 51–52. 28 NI 2012/0174, Bestimmung durch F. Knickrehm, Trier. 198 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

Abb. 4: Alpen-Drüpt. Ergebnisse der geophysikalischen Untersuchungen (Stand 2013).

GEOPHYSIKALISCHE PROSPEKTION deutlich ab. Etwa südöstlich-nordwestlich ver- Aufgrund der durch die Menge und Qualität der lief auf mindestens 120 m ein etwa 2,5 m breites Funde gegebenen wissenschaftlichen Bedeu- Gebilde, das dann in fast nördliche Richtung tung wurde beschlossen, den Fundplatz auch etwa parallel zum ehemaligen Altrheinarm um geophysikalisch zu untersuchen. Wegen der 140 Grad abknickte und mindestens noch 45 m Nähe zu bekannten römischen Übungs- oder weiterzog. Mit einem Abstand von rund 5 m Temporärlagern liegen mehrere ältere Luftbil- fand sich in Richtung des Flusses eine etwa der des Gebiets vor.29 In mehreren Etappen folg- 4–5 m breite Anomalie, die parallel zu der west- ten geomagnetische und geoelektrische Mes- licher gelegenen verlief. Es wäre möglich, diese sungen durch das Archäologische Institut der Befunde als Graben, Zwischenberme und einen Universität zu Köln.30 In den ersten Begehungen zweiten Graben bzw. breiten Mauerausbruch zu wurde der Westteil des Geländes erkundet und deuten. Innerhalb der inneren linearen Anoma- dabei zwei ehemalige Wege lokalisiert (Abb. 4). lie wurde eine Fläche von rund 7000 m2 auf einer Während der südlichere bereits aus Karten des Breite von bis zu 97 m geophysikalisch unter- 19. Jahrhunderts bekannt war, war der nördli- sucht. Bis auf eine nicht parallel zu den als Grä- chere Weg bisher unbekannt; für diesen gibt es ben interpretierten Befunden ausgerichtete einen Terminus ante quem von 1717. 31 Struktur zeigten sich keine deutlichen Anoma- Erst im Jahr 2013 wurde der Ostteil des Haupt- lien. Die linearen Strukturen sind auch im Rand- areals begangen. Dabei zeichneten sich zwei bereich einiger Luftbilder der 1960/1970er Jahre parallel zueinander verlaufende Strukturen zu sehen. CLIVE BRIDGER · HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 199

BEFUNDINTERPRETATION Mauerausbruch und Graben bzw. zwei Gräben Der beschriebene Befund liegt in der Nähe des allgemein auf einen militärischen Kontext bzw. sogenannten Drüptsteins, eines ehemaligen im vorliegenden Fall auf eine Befestigungsanla- Hauses bzw. Hofes, der 1953 abgerissen wurde. ge hin. Angenommen, dass der oben erwähnte Im Magnetogramm sind noch signifikante Reste nördliche Weg eine Verbindung zwischen der von Bauschutt in diesem Bereich zu erkennen etwa 700 m westlich verlaufenden Limesstraße (Abb. 4 oben rechts). 1260 wird ein Euerwinus de und dieser Anlage darstellt und der Weg mittig Dripte erwähnt.32 Vom Hof Drüptstein selbst be- an der Westseite auf die Grabenstruktur trifft, richtet erstmalig 1347 das Rheinberger Grenz- wäre diese mit einer Länge von etwa 60 m zu re- protokoll.33 Hier wurden demnach u. a. Gerichts- konstruieren. Bei einer nachgewiesenen Fort- verhandlungen abgehalten. Zumindest ab 1579 setzung von 40 m nach Süden hin ergäbe sich war er auch Zollstelle für Alpen und besaß das bei einer vermuteten regelmäßig angelegten Ausschankrecht. Die Borth-Wallacher Deich- Form eine östliche, zum Rhein hin ausgerichte- schau von 1580 zeigt eine Anlage zwischen der te Uferfront von mindestens 140 m Länge. Die Heerstraße an der Westseite und der Borth- nachgewiesene Tiefe der Anlage beläuft sich schen Ley an der Ostseite. Der Hof bestand aus zurzeit lediglich auf 75 m, was bei einer rekonst- einem Haupthaus mit Anbau, einem turmähnli- ruierten Ergänzung nach Norden hin, wo die chen Bau (Spieker?) sowie einem größeren Anlage durch den späteren „Schwarzen Gra- Nebengebäude (Scheune?). Hervorzuheben ist ben“ zerstört wurde, eine Mindestinnenfläche die Darstellung einer Holzpalisade an der Süd- von bislang 9700 m2 ergeben würde. seite. Dass wichtige Adelssitze und Gutshäuser Das auffälligste Merkmal der bisher bekannten des Spätmittelalters mit eigenen kleinen Land- Anlage ist der stumpfe Winkel der möglichen wehren versehen waren, ist am Niederrhein üb- Außenmauer. Dies verleitet zu einem Vergleich lich. Diese bestehen aber meist aus einem Wall mit der bekannten spätantiken Flussuferanlage mit zwei schmalen Seitengräben und unter- von Altrip im Neckarmündungsgebiet.35 Dort scheiden sich somit deutlich von den im Magne- beträgt die Länge der Feldfront 55 m und die der togramm erkennbaren Befunden. Direkt süd- Uferfront 118 m bei einer Innenfläche von rund lich der heutigen Ost–West verlaufenden Straße 0,5 ha, sie ist also kleiner als der hier vorgestellte zwischen Drüpt und Borth zeigten sich auch Befund. Als Bauzeit der Altriper Anlage werden zwei in etwa parallel zueinander verlaufende die 360er Jahre angenommen. Ob die Anlage in Längsstrukturen, die auf Gräben hindeuten. Drüpt erst später so angelegt wurde und even- Eine gesicherte Datierung in die römische Kai- tuell einen konstantinischen Vorgängerbau er- serzeit ist bislang nicht möglich, zumal eine setzte, lässt sich zurzeit nicht entscheiden. Zeitzeugin berichtete, dass auf diesem Feld rus- Allerdings sprechen einige Tatsachen gegen sische Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg eine solche Interpretation. Zum einen ist nur ein Gräben ausgehoben hätten.34 Teil der Befestigungsanlage im Magnetogramm Die Verbreitung der spätantiken Funde im Um- zu erkennen, Ausgrabungen wurden bislang feld der beiden in der Geomagnetik festgestell- nicht durchgeführt. Würde man den inneren li- ten parallelen Strukturen lässt darauf schlie- nearen Befund als Mauerausbruch deuten, wäre ßen, dass die Funde und die Befunde in einem die Berme im Vergleich zu anderen spätantiken funktionalen Zusammenhang stehen. Am Nie - Anlagen äußerst schmal. Des Weiteren zeichnet derrhein deuten Funde zahlreicher Münzen sich zurzeit keine deutliche Innenbebauung ab. und Fibeln zusammen mit einem möglichen Zwar ist am östlichen Plateaurand und im Rand-

29 Scollar/Andrikopoulou-Strack 1984, 381–390. Vgl. den Bei- sammenarbeit zwischen unseren beiden Institutionen trag von St. Bödecker in diesem Band. sorgte. Die Untersuchungen laufen unter der Aktivität NI 30 Die Leitung vor Ort hatte Frau Stefanie Steidle M.A. bzw. 2011/0267. Matthias Nieberle M.A., die meist im Rahmen von prak- 31 In einer Liegenschaftskarte der Webers Kath aus dem Jahr tischen Übungen für Studierende die Feldarbeiten am 1717 ist kein Weg eingezeichnet; vgl. Drüpt 2008, 17–18. 10. 12. 2011, 14. 3. 2012 und 14. 2. bzw. 2.–3. 11. 2013 32 Friedenthal 1959, 191 Anm. 16. durchführten. Unser Dank gilt nicht nur diesen Mitarbei- 33 Hierzu: Drüptstein, die Wiege Drüpts. In: Drüpt 2008, 31–33. tenden, sondern auch Herrn Prof. Dr. Michael Heinzel- 34 Information durch Herrn J. Hunke, Drüpt, am 10. 11. 2013. mann, der für eine reibungslose und unbürokratische Zu- 35 Vgl. von Schnurbein/Köhler 1989, 516 mit Plan 571 Abb. 6. 200 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

bereich des Magnetogramms der Rest eines Be- 2000 kam eine sehr stark korrodierte Almandin- fundes erkennbar, dessen Datierung und ehe- scheibenfibel zutage, die allerdings erst 2012 als malige Funktion sind jedoch völlig unklar. Auch solche erkannt wurde. Vergleichbare Scheibenfi- ist nicht bekannt, inwiefern dieser Befund über- beln kommen im Rheinland vorwiegend in der haupt im Zusammenhang mit den Graben- Niederrhein-Phase 3, d. h. in der Zeit um 480 bis strukturen steht. Schließlich wäre eine mit Alt- 530 vor.41 Vereinzelt treten sie später, bis in die rip vergleichbare Befestigung singulär in der zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts auf.42 Etwa Germania secunda und die Drüpter Anlage gleichzeitig zu datieren ist eine flache Bügelfibel wäre zudem noch erheblich größer als der Be- in Form eines Vogels, von der nur die Bügelplatte fund in Altrip. vorhanden ist. Diese kleinen Vogelfibeln ohne Al- Vielleicht handelt es sich lediglich um einen be- mandineinlage datieren ebenfalls in die Nieder- festigten Wachtturm oder burgus an einem Alt- rhein-Phase 3.43 Hinzu kommt eine weitere flache rheinufer, der landwärts von einem Doppelgra- Bügelfibel in Form einer doppelköpfigen, S-förmig ben geschützt wurde. Ob dieser dann auch eine gewundenen Schlange mit großen runden Augen zusätzliche Funktion als Schiffslände besessen vom Typ Merdingen 1. Die wohl ehemals aus Al- hat, darüber lässt sich beim jetzigen Stand der mandin gefertigten Einlagen sowie die Scharnie- Erkenntnisse ebenfalls nur spekulieren. re fehlen.44 Paare von S-Fibeln gehörten zur Trachtausstattung germanischer Frauen und wa- DIE UMGEBUNG IN DER SPÄTANTIKE BZW. ren besonders bei den Langobarden beliebt. F. Sieg- MEROWINGERZEIT mund notiert nur drei solcher Fibeln vom Nieder- Weitere Fundstellen der Spätantike in der un- rhein und datiert sie allgemein in die Phasen 3–5, mittelbaren Umgegend sind selten, kommen je- d. h. 485–570.45 Das hiesige Stück dürfte eher der ers- doch vor.36 Etwa 6,5 km südöstlich von Drüpt- ten Hälfte des 6. Jahrhunderts zugeordnet werden. stein und südwestlich des mittelalterlichen Somit scheint sich in Drüpt zumindest ein fränki- Stadtkerns von Rheinberg fand sich an der Li- scher Siedlungspunkt abzuzeichnen, deutlich be- messtraße eine römische Straßenstation, von vor das Gräberfeld von Rill belegt wurde. der u. a. insgesamt 30 Münzen, davon 26 aus dem Zeitraum 317–383 n. Chr., bekannt sind,37 TOPONYMIE was zusammen mit der gefundenen Mayener Der Ortsname Drüpt ist im deutschsprachigen Ware für eine Hauptnutzungszeit im 4. Jahrhun- Raum singulär und wurde öfters mit dem latei - dert sprechen würde. Weiter im Süden befinden nischen Ortsnamen Trepitia des Kosmographen sich der burgus in Asciburgium (Moers-Asberg) von Ravenna in Verbindung gebracht.46 Dort lis- sowie das Kastell von Krefeld-Gellep. Ungefähr tet der unbekannte Geograph eine Reihe spät- 3 km nordwestlich der vermuteten Befestigung römisch-fränkischer Stätten auf, die in der rich- fand Isabella Wolters 1754 bei der Feldarbeit auf tigen geographischen Abfolge rheinabwärts der Menzelner Heide ein Keramikgefäß mit 208 von Süden nach Norden aufgezählt sein sollen, römischen Goldmünzen.38 Der Schatzfund mit ei- d. h. für den Niederrhein Colonia Agripina nem Terminus post quem von 411–413 n. Chr. lie- (Köln), Rungon (Dormagen), Serima (Duisburg- fert keine Hinweise auf Siedlungen im Umfeld. Serm?), Novesio (Neuss), Trepitia (?), Ascibugio Weiter nach Norden hin liegt mit Xanten der (Moers-Asberg), Beurtina (Xanten-Bertuna) und nächste spätantike Militärstandort. Troia (Xanten-Traiana). Während die ersten Weiterhin interessant für unsere Überlegungen zwei und letzten drei Stätten in der Auflistung ist die Situation in der frühen Völkerwanderungs- richtig sind, wäre Serima, falls dies mit Duis- zeit. Etwa 1,6 km nordwestlich der Fundstelle liegt burg-Serm gleichzusetzen ist und von wo tat- das merowingerzeitliche Reihengräberfeld von sächlich viele spätantike bis merowingerzeitli- Alpen-Rill mit einer Hauptbelegungzeit zwischen che Funde stammen, an dieser Stelle falsch, etwa 570 und 670 n. Chr.39 Vom direkten Umfeld denn Serima müsste nach Neuss kommen. Es der hier besprochenen Fundstelle sind jedoch aus- läge also eine Verwechslung in der Reihenfolge schließlich ältere fränkische Funde dokumen- vor. Beim Kosmographen steht Trepitia zwi- tiert. Bereits in den 1950er Jahren wurde bei Aus - schen Neuss (Novesio) und Moers-Asberg (Asci- schachtungsarbeiten in etwa 250 m Entfernung bugio), was Christoph Reichmann bewog, eine ein Wölbwandtopf des 6. Jahrhunderts gefunden.40 kühne Ableitung dieses Namens aus (legio) ter- Durch die jüngeren Begehungen sind nun einige tia Diocletiana Thebaid(i)a für das Kastell Kre- fränkische Metallfunde hinzugekommen. Im Jahr feld-Gellep vorzunehmen47 (im Übrigen liegt CLIVE BRIDGER · HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 201

Serm nicht nur rheinabwärts von Neuss, son- dern, obschon nur wenig, auch von Krefeld-Gel- lep48). Jedoch nahmen frühere Bearbeiter auch hier eine Verwechslung in der Reihenfolge an, um eine toponymische Gleichsetzung zwischen Trepitia und Drüpt zu erlauben.49 M. Friedenthal kam zu keiner schlüssigen Deu- tung der Etymologie,50 erwähnte aber eine Stu - die,51 bei der Trepitia mit den Triputienses („die drei Brunnen“) in Verbindung gebracht wurde. Der numerus der Brittones Triputienses war Mit- te des 2. Jahrhunderts für den Bau einiger Bau- ten am Odenwaldlimes verantwortlich, wurde aber später in Miltenberg in Exploratores Tripu- Abb. 5: Mundhöhle mit tienses umbenannt.52 Resümierend sah Frie- Vokal-V (Vokal-Dreieck). denthal eine Gleichsetzung von Drüpt mit Tre- pitia als „gerechtfertigt“ an. 53 Angesichts der tung von lateinisch tres (drei), über tris zu Triputi- Datierung der oben aufgeführten Anlage wäre enses, „die drei Brunnen“ (siehe oben). Dazu sei ge- dies aus archäologischer Sicht immerhin mög- sagt, dass man den Ortsnamen Trimborn lich, obschon die befestigte Anlage in Drüpt gleichfalls aus „zu den drei Brunnen“ herleitet.56 deutlich kleiner als das spätantike Lager von Christoph Reichmann brachte 1989 eine weitere Krefeld-Gellep war, das dann beim Geographen These ins Spiel und meinte, Trepitia sei aus (legio) unerwähnt bliebe. tertia Diocletiana Thebaid(i)a abgeleitet (siehe Vor diesem Hintergrund erscheint eine einge- oben). hende Beschäftigung aus sprachwissenschaftli- Von diesen Fragen unabhängig und daher zu cher Sicht mit den beiden Ortsnamen Trepitia scheiden ist diejenige, ob das heutige Drüpt sich und Drüpt sinnvoll. aus rein sprachlichen Gesetzmäßigkeiten aus Tre- pitia entwickelt haben kann. Es ist zu beachten, TOPONOMASTISCHER BEITRAG dass es sich bei dem Trepitia des Kosmographen VON HEIKE HAWICKS um ein hapax legomenon handelt, es also keine Diskutiert wurde in der Vergangenheit vor allem weiteren Belege dieses Namens gibt. Frühe schrift- die Frage, woraus sich der Name Trepitia des Geo- liche Formen, die auf Drüpt hinweisen, finden sich graphen von Ravenna ableiten könne. Thesen, die erst ab 1260: Drippe, Dripte, Drippede, Dript, bis heute im Raum stehen, sind zum einen die Drypt, Drijpt, Dryppte.57 Wurzel *Ad-trebatia,54 des Weiteren eine Herlei- Gibt es also einen Weg von Trep-itia zu Drüpt? tung von lateinisch trepere, wenden, also im Sinne Zunächst bleibt festzuhalten, dass das Suffix von Wendestelle,55 und nicht zuletzt eine Ablei- -itia58 wie bei allen aus lateinischen Vorläufern

36 Vgl. Bridger 2001, 205 mit 196 Abb. 4. 48 Es wäre zu konstatieren, ob hier eine Orts- bzw. Namensver- 37 Backendorf 2011, 584–587; vgl. Binding 1968. wechslung zwischen Serm und Gellep vorliegt. 38 Backendorf 2011, 385–401 mit älterer Literatur. 49 Friedenthal 1959, 189 mit Anm. 5; 6. 39 Siegmund 1998, 360–385. 50 Friedenthal 1959, 189–190. 40 NI 1985/0066; Bonner Jahrbücher 187, 1987, 610–611; 51 Friedenthal 1959, 191 mit Anm. 17; Whatmough 1950, Siegmund 1998, 285. 588. 41 NI 2000/0495; vgl. Siegmund 1998, 45 Typ Fib1.1. 52 Southern 1989, 108. 42 Müssemeier u. a. 2003, 26 S-Fib1.1. 53 Friedenthal 1959, 191. Hingegen Reichmann 1989, 222: 43 NI 2012/0174. Vgl. Siegmund 1998, 50–51. „Zwar gibt es dort einzelne spätrömische Funde, doch deu- 44 Vgl. zuletzt Brather-Walter 2009. tet nichts auf einen bedeutenden Ort.“ 45 NI 2012/0174. Vgl. Siegmund 1998, 51. 54 Cramer 1901, 34; Holder 1904, 1911. 46 Pinder/Parthey 1860, IV, 24 (227); Cosmographia 60 Nr. 18; 55 Rasch 2005, 151. Bonner Jahrbücher 159, 1959, 390 ([M.] Friedenthal) mit äl- 56 Kaufmann 1977, 21. terer Literatur. 57 Friedenthal 1959, 191. 47 Reichmann 1989, 224. 58 Wie -itja?; vgl. Bach 1953, E. Ableitung 182 ff. 202 Der Limes in Raetien, Ober- und Niedergermanien vom 1. bis 4. Jahrhundert

gebildeten deutschen Ortsnamen (vgl. Tolbiacum Zusammenfassend ist damit aus sprachwissen- > Zülpich, Juliacum > Jülich) abgefallen ist, wobei schaftlicher Sicht der Weg einer Entwicklung das i des Suffixes zu einer Anhebung des Vokals von Trepitia zu Drüpt nachvollziehbar. Es spricht im vorderen Teil des Namens geführt hat.59 Eine lautgesetzlich jedenfalls nichts dagegen. Auch Hebung des e aus Trepitia zu i/ü wäre also völlig die rezenten Varianten sprechen eher dafür. regulär (siehe Abb. 5). Überdies hätte sich das -t- Überdies mag man sich im Laufe der Geschichte aus dem Suffix -itia im Auslaut des verkürzten einer möglichen Ableitung des Ortsnamens aus Ortnamens erhalten. Es ist jedoch festzuhalten, Trepitia bewusst geworden sein, was antikisie- dass das Suffix -itia eine seltene Suffixvariante bei rende Schreibungen begünstigt haben wird. Toponymen ist und womöglich einer Vorliebe des Kosmographen von Ravenna zuzuschreiben ist.60 AUSBLICK Die angeführten mittelalterlichen Belege für Die vorangegangene Fund- und Befundvorlage Drüpt weisen auf genau jene Vokalhebung hin, versteht sich als ein Vorbericht, eine Bearbei- stehen Schreibungen mit i, y und ij doch für die er- tung vieler Lesefunde sowie weitergehende Ge- wähnte Hebung von e > i/ü. ländearbeiten stehen noch aus. In einer Zeit Wäre damit die Frage des Suffixes und die da- knapper werdender Mittel in den Haushalten mit verbundene Entwicklung der Vokalqualität der staatlichen Denkmalämter wird es schwie- zu klären, richtet sich die Aufmerksamkeit nun riger werden, nicht dringend notwendige bo- auf den Anlaut, die Entwicklung von Tr- zu Dr-. dendenkmalpflegerisch relevante Maßnahmen Zu erwähnen ist allerdings, dass an der Wende durchzuführen. Im Rahmen der Vorbereitun- vom Mittelalter zur frühen Neuzeit – z. B. auf ei- gen, auch den Niedergermanischen Limes als ner Medaille Dietrichs van Drypt bzw. Trypt UNESCO-Welterbe zu nominieren, müssten aus dem 16. Jahrhundert61 oder im 17. Jahrhun - aber auch solche Fundstellen näher beleuchtet dert für Drüptstein – die Variante mit Tr (Trypt werden, auch um unter anderem Planungssi- bzw. Triptstein) vorkommt. Auch Cramer führt cherheit zu erzielen. Der großflächige Einsatz den heutigen Ortsnamen Drüpt ausschließlich von geophysikalischen Begehungen gekoppelt unter Trüpt.62 Dies spricht für ein paralleles Be- mit Fernerkundung mittels LiDAR-Scans wird stehen beider Anlaut-Varianten vor allem in der uns in Zukunft erlauben, oberirdisch nicht mündlichen Überlieferung. Die im Mittelalter sichtbare Bodendenkmäler wesentlich schnel- ausschließlich zu findenden Schreibvarianten ler und mit geringerem ökonomischem Einsatz mit Dr- lassen sich recht unspektakulär aus der zu erfassen. Neben der harten Prospektion von ersten Lautverschiebung heraus erklären, die Oberflächenfunden könnten dann gezielte, klei- viele lateinische Wörter entsprechend verän- nere Suchschnitte dazu beitragen, solche Fund - dert hat. Dabei wurde das indogermanische (as- stellen stratifikatorisch genauer zu dokumen- pirierte) t zunächst zum Reibelaut th spiranti- tieren und chronologisch besser einzuordnen. siert, der sich dann später zu einem d weiterentwickelt hat, wie z. B. in lateinisch tres > altsächsisch thria (vgl. englisch three) > mittel- Dr. Clive Bridger niederdeutsch drie, neuhochdeutsch drei.63 In LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland diese Kategorie fällt auch die Konsonantenver- Außenstelle Xanten änderung des Anlauts bei altsächsisch thiudisc Augustusring 3, 46509 Xanten. (lat. theodisca lingua) > deutsch, welches aus ei- [email protected] ner indogermanischen Wurzel *teuta (Volk) ab- zuleiten ist.64 In der Tat ist in Drumpt (Gelder- Dr. Heike Hawicks land, NL) aus Thrunniti, Thrinniti, Thrumiti eine Historisches Seminar der Universität Heidelberg Parallele zu sehen, wie Friedenthal treffend be- Grabengasse 3–5, 69117 Heidelberg merkte.65 [email protected]

59 Hawicks 1996, 45; vgl. zu den -iacum-Namen Buchmüller- 62 Cramer 1901, 34; Register 172. Pfaff 1990. 63 Kluge 1989, 154. 60 Vgl. Friedenthal 1959, 190 Anm. 13 mit weitergehender Literatur. 64 Kluge 1989, 138. 61 Zum Beispiel von 1539 im Stadtmuseum Köln Inv.-Nr. 1917/293. 65 Friedenthal 1959, 190. CLIVE BRIDGER · HEIKE HAWICKS Eine neue konstantinisch-valentinianische Befestigung im Kreis Wesel? Ein Vorbericht 203

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A. Thiel (Hrsg.), A. Thiel (Hrsg.), A. Thiel (Hrsg.), Der Limes als UNESCO-Welterbe. Forschungen zur Funktion des Limes. Neue Forschungen am Limes. Beiträge zum Welterbe Limes 1 3. Fachkolloquium der 4. Fachkolloquium der (Stuttgart 2008) Deutschen Limeskommission, Deutschen Limeskommission, 17./18. Februar 2005 in 27./28. Februar 2007 in Osterburken. Weißenburg i. Bay. Beiträge zum Welterbe Limes 3 Beiträge zum Welterbe Limes 2 (Stuttgart 2008) (Stuttgart 2007)

Bereits lange vor der Aufnahme des Limes in die UNESCO-Liste der Welterbestätten im Jahr 2005 7 gab es Ideen, den Verlauf von Wall bzw. Mauer, Palisade und Graben, den Standort von Wachttürmen, Kastellen oder einzelner Gebäude zu markieren und somit für den Besucher zu visualisieren. Im vorliegenden Band werden die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, die die Möglichkeiten einer den Befund nicht gefährdenden Visualisierung aufzeigt.

Andere Beiträge thematisieren die Gefahren, die durch eine unsachgemäße Durchführung der Maßnahmen oder aber durch die Visualisierung selbst entstehen können. Hierzu zählen neben Visualisierung eigentlichen Zerstörungen durch Baumaßnahmen, Wurzeln von Bäumen auch Beeinträchtigungen bei der Anwendung von neuen Forschungsmethoden wie beispielsweise der Geophysik oder dem Airborne Laserscanning. Auch positive Beispiele für erfolgreiche Visualisierungen werden angeführt von Bodendenkmälern und diskutiert. Vorschläge und Diskussionen am Beispiel des Obergermanisch-Raetischen Limes Die in diesem Band der Beiträge zum Welterbe Limes präsentierten Ergebnisse sind über den Limes hinaus auch für andere Bodendenkmäler unterschiedlicher Zeitstellung und Größe relevant. Sie stellen damit eine Ideensammlung, aber auch einen mahnenden Hinweis zur denkmalschonen-

den Umsetzung für zukünftige Projekte dar. von Bodendenkmälern Visualisierung

BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES 7 BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES

130503_Kolloquium Band7_01_Cover.indd 1 03.05.13 12:45 P. Henrich (Hrsg.), P. Henrich (Hrsg.), P. Henrich (Hrsg.), Perspektiven der Limesforschung. Der Limes vom Niederrhein Visualisierung 5. Kolloquium der Deutschen bis an die Donau. von Bodendenkmälern. Limeskommission, 19./20. Mai 2009 6. Kolloquium der Deutschen Vorschläge und Diskussionen am im Römisch-Germanischen Museum Limeskommission, 15./16. März 2011 Beispiel des Obergermanisch- der Stadt Köln. in Mainz. Raetischen Limes Beiträge zum Welterbe Limes 5 Beiträge zum Welterbe Limes 6 Beiträge zum Welterbe Limes 7 (Stuttgart 2010) (Stuttgart 2012) (Stuttgart 2013) BISHER ERSCHIENENE SONDERBÄNDE DER REIHE BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES

Deutsche Limeskommission (Hrsg.), Deutsche Limeskommission (Hrsg.), Obergermanisch-Raetischer Limes. Regenerative Energien und Management-Plan 2010–2015. Welterbestätten. Workshop der Beiträge zum Welterbe Limes Deutschen Limeskommission am Sonderband 1 23. November 2011 in Düsseldorf. (Bad Homburg v. d. H. 2010) Beiträge zum Welterbe Limes Sonderband 2 (Bad Homburg v. d. H. 2013)

ZULETZT ERSCHIENENE AUSGABEN DES NACHRICHTENBLATTES DER LIMES

8. JAHRGANG · 2014 · HEFT 1

NACHRICHTENBLATT DER DEUTSCHEN LIMESKOMMISSION

Geomagnetische Prospektion am Wachtposten 2/15 im westlichen Taunus · Neue Nachbauten im Limes- park Osterburken · Hatte der Limes eine Fassade? · Das römische Nordtor von Köln · Neues zur Großküche im Legionslager von Vindonissa/Windisch · Die römische Legionsziegelei in Frankfurt am Main-Nied

140424_Der Limes 01_2014_RZ.indd 41 24.04.14 15:14 Deutsche Limeskommission (Hrsg.), Deutsche Limeskommission (Hrsg.), Deutsche Limeskommission (Hrsg.), Der Limes, 7. Jahrgang, 2013, Heft 1 Der Limes, 7. Jahrgang, 2013, Heft 2 Der Limes, 8. Jahrgang, 2014, Heft 1 Nachrichtenblatt der Nachrichtenblatt der Nachrichtenblatt der Deutschen Limeskommission Deutschen Limeskommission Deutschen Limeskommission (Bad Homburg v. d. H. 2013) (Bad Homburg v. d. H. 2013) (Bad Homburg v. d. H. 2014) 8

Zum 7. Limeskolloquium der Deutschen Limeskommission im September 2013 in Aalen trafen sich wieder mehr als 100 Archäologinnen und Archäologen zum fachlichen Austausch über die römische Reichsgrenze vom Niederrhein bis an die Donau.

In den Kongressakten fi nden sich Forschungsbeiträge zur Geschichte und Archäologie der rechts- rheinischen Gebiete neben Studien zu verschiedenen Kleinfundgruppen, von denen einige Der Limes in Raetien, hier erstmals vorgelegt werden, und Einblicken in aktuelle Forschungsprojekte wie etwa zu den römischen Großbronzen am Limes. Den Limesabschnitten vom Donau- über den Obergermanisch-Raetischen bis zum Niedergerma- Ober- und Nieder germanien nischen Limes widmen sich Berichte zu Grabungen und Funden einzelner Kastellplätze ebenso wie übergeordnete Analysen, zum Beispiel zur Gestaltung von Limesdurchgängen oder zu Aspekten des Kultes. vom 1. bis 4. Jahrhundert Die Beiträge zeigen eindrucksvoll die aktuellen Forschungen am Limes mit Funden und Befunden

vom 1. bis zum 4. Jahrhundert von der deutsch-niederländischen Grenze bis an die Donau. und Niedergermanien Der Limes in Raetien, Ober- vom 1. bis 4. Jahrhundert 7. KOLLOQUIUM DER DEUTSCHEN LIMESKOMMISSION

BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES 8 BEITRÄGE ZUM WELTERBE LIMES

9 783806 230598