HISTORISCHER ATLAS 3, 3

VON BADEN-WÜRTTEMBERG Erläuterungen

Beiwort zur Karte 3,3

Die militärische Besitznahme durch die Römer

von PHILIPP FILTZINGER

I. Historischer Überblick Germaniens bis zur Elbe (Offensive der Rheinarmee 12 v. Chr.). – Unterwerfung der Markomannen in Die römische Reichsgrenze () zwischen Rhein Böhmen. – Köln / oppidum Ubiorum sollte Hauptstadt und Donau war im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. eine der Provincia Germania magna werden. aus Palisade, Graben und Wall, resp. Mauer, 900 Wachttürmen und mehr als 60 Kastellen bestehende Oberschwaben wird römisch 548 km lange Befestigungsanlage. Was veranlaßte die Im Sommer des Jahres 15 v.Chr. besiegten die bei- römische Heeresleitung, mitten im Mainhardter-, den kaiserlichen Adoptivsöhne Drusus und Tiberius 45 Murrhardter-, Welzheimer Wald, im Remstal, an Ko- Alpenstämme, u.a. die in den Alpen und im Alpenvor- cher und Jagst Truppen zum Schutze des – nach den land, in Oberschwaben und Bayern wohnenden Räter Provinzen Obergermanien und Rätien benannten – und Vindeliker. Gleichzeitig besetzten römische Trup- obergermanisch-rätischen Limes (ORL) zu statio- pen das mit Rom befreundete Königreich Noricum nieren? (Österreich) friedlich bis zur Donau. Die Inschrift des Die Linienführung der Reichsgrenze mitten durch im Jahre 7/6 v.Chr. bei La Turbie oberhalb Monaco zu Südwestdeutschland war das Ergebnis langwieriger Ehren des Kaisers Augustus errichteten Siegesdenk- Auseinandersetzungen mit den Germanen. Wohl hatte mals (tropaeum Alpium), dessen Ruine erhalten ist, C. Julius Caesar mit der Eroberung Galliens (58–50 v. nennt die Namen von 45 Alpenstämmen, die ›vom Chr.) die Nordgrenze des Imperiums bis zur Nordsee oberen Meer (Tyrrhenischen Meer) bis zum unteren vorgeschoben – aber damals waren im Norden Italiens Meer (Adria) unter Führung und Planung‹ des Augus- noch nicht einmal die Alpen römisch: Die Regelung tus unterworfen wurden. Die Straßenverbindungen der Nordgrenze des römischen Großstaates wurde zu über den Großen und Kleinen St. Bernhard, über die einem Hauptproblem der Kaiserzeit, so daß Tacitus um Bündnerpässe durch das obere Rheintal an den Boden- 100 n. Chr. im Hinblick auf die ersten Kämpfe des see sowie die Verbindungen über den Brenner und Re- römischen Heeres mit den Germanen, den Cimbern schen-Scheideck bildeten die strategischen Vorausset- und Teutonen 113 bis 101 v.Chr., feststellt: ›Seit 210 zungen für die militärischen Operationen des auguste- Jahren . . . wird nun schon Germanien besiegt‹. ischen Heeres nördlich der Alpen. Römische Funde im Kaiser Augustus (31 v.Chr.–14 n.Chr.) plante die Alpenvorland bezeugen die Anwesenheit römischer Einrichtung einer ›Großgermanischen Provinz‹ (Pro- Truppen während des Räterfeldzuges 15 v.Chr. in vincia Germania magna) mit der Elbe als Nordost- Oberschwaben und Bayern: In Augsburg-Oberhausen grenze und einer Nord-Süd-Verbindung über Böhmen kamen beim Kiesabbau Tausende von Waffen, Werk- und Mähren zur mittleren Donau nach Pannonien (Ge- zeugen und Ausrüstungsgegenstände von Legionssol- biet um den Plattensee mit den Flüssen Drau und daten sowie Pferdegeschirrteile, Keramik und über 400 Save). Die augusteische Konzeption war ein Stufen- Münzen zum Vorschein. In einer Kiesgrube bei Dang- plan: 1. Unterwerfung der Alpenvölker und Sicherung stetten, Kr. Waldshut hat das Landesdenkmalamt ein der Alpenpässe als Voraussetzung der Operationen in Legionslager aus der Zeit des Räterfeldzuges entdeckt Germanien. – Gleichzeitige Besitzergreifung Noricums und ausgegraben – ein Holzerdelager, als dessen Besat- (Österreichs, 15 v. Chr.) und Pannoniens (14–12 v. zung die 19. Legion bezeugt ist Chr.). – 2. Besetzung

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3,3 PH. FILTZINGER / DIE MILITÄRISCHE BESITZNAHME DURCH DIE RÖMER

und das nach den Münzfunden bis 9 v.Chr. besetzt war. Alpenrandstraße nach Rätien und Noricum schützten Verglichen mit dem gleichzeitigen Legionslager Xanten Militärposten (146–150), die dem Legatus legionis in / Vetera Castra am Niederrhein – dem Ausgangspunkt Vindonissa unterstanden. Es dauerte noch drei Jahr- der römischen Expeditionen entlang der Lippe in das zehnte, bis Oberschwaben und Bayern eine zivile Innere Germaniens (Legionslager: Holsterhausen, Hal- römische Verwaltung erhielten. tern, Oberaden u.a.) – hat man auch von Dangstetten aus mit militärischen Operationen nach Norden durch das Donaulimes Wutachtal ins Neckartal zu rechnen. Allerdings erwähnt Sehr wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Pro- kein Schriftsteller diese mutmaßlichen Expeditionen – vinzgründung Rätiens (Raetia et Vindelicia et Vallis wir müssen sie anhand von Funden rekonstruieren. Poenina) ließ in claudischer Zeit der in der Provinz- Das von Drusus und Tiberius im Jahre 15 v.Chr. hauptstadt Augsburg / Augusta Vindelicum residierende unterworfene Rätien und Vindelikien, die Alpen und das Statthalter (procurator) – dem nun die Truppen Rätiens Alpenvorland, unterstand der Militärverwaltung; der unterstanden – an der Nordgrenze seiner Provinz zum Kommandeur der bei Augsburg-Oberhausen lagernden Schutze der zum oberen Heer führenden Donaustraße Legionen war zugleich Statthalter von Oberschwaben Kastelle anlegen (Donaulimes: 62 a. 155–165. 167). und Bayern: legatus Augusti pro praetore in Vindolicis. Von Kastell Hüfingen gab es mit großer Wahrschein- lichkeit eine Straßenverbindung – mag es ein Natur- Der Rhein wird Reichsgrenze weg, ein Saumpfad gewesen sein, der wahrscheinlich Die zweite Phase des augusteischen Planes: die Er- nicht erst seit römischer Zeit existierte – über den oberung Germaniens bis zur Elbe – scheiterte. Tiberius Schwarzwald zu dem gleichzeitigen Kastell Riegel am konnte zwar nach seiner Rückkehr aus der Verbannung Kaiserstuhl; von Kastell Riegel führte eine ausgebaute in Rhodos in den Jahren 4 und 5 n.Chr. die Eroberungen Straße nördlich am Kaiserstuhl vorbei, überquerte den seines 9 v.Chr. verstorbenen Bruders Drusus in Germa- Rhein oberhalb des Kastells Sasbach und mündete in nien festigen; auch hatte die großgermanische Provinz der Gegend von Markolsheim in die römische Rhein- bis zur Elbe (Provincia Germania magna) mit der Ara talstraße. Den Verkehr auf der Rheintalstraße über- Ubiorum (Altar der Ubier) in der Provinzhauptstadt wachten die Besatzungen von Auxiliarkastellen (128. Köln / oppidum Ubiorum einen geistigen Mittelpunkt 130 bis 135. 135. 136. 140. 144): Die Provinzhaupt- erhalten; aber ein brutaler Aufstand in Pannonien stadt Augsburg / Augusta Vindelicum hatte über die vereitelte alle weiteren Pläne für die endgültige Donaustraße und die Rheintalstraße Verbindung zu den Einrichtung der Provincia Germania magna. Tiberius Kommandozentralen des oberen und unteren Heeres: mußte seine Legionen in Eilmärschen von Germanien / Mogontiacum und Köln / Colonia Claudia Ara auf den Balkan führen, wo ihn die Aufständischen in Agrippinensium. Nach dem Verlust des rechtsrheini- Ungarn und Kroatien drei Jahre lang in einen heim- schen Germanien war jedoch eine kürzere Straßenver- tückischen Partisanenkrieg verwickelten. Als er schließ- bindung vom Rhein zur Donau notwendig geworden. lich den Aufstand niedergeschlagen hatte, erreichte ihn Das zeigte sich während des Bataveraufstandes. die Nachricht von der Revolte der germanischen Römische Kastelle am oberen Neckar und auf der Stämme: Arminius hatte im Herbst 9 n.Chr. im Teuto- Schwäbischen Alb burger Wald die gesamte untere Heeresgruppe vernich- tet (3 Legionen, 3 Alen und 6 Kohorten, zusammen Während des Bataveraufstandes 69/70 n.Chr. – als 25000 Soldaten). Das war das Ende der Provincia Ger- Gallien abzufallen drohte und vom rechtzeitigen Ein- mania magna. An dieser Tatsache änderten auch nichts treffen der von Noricum herbeieilenden Verbände der die Feldzüge des Drusus-Sohnes Germanicus in den glückliche Ausgang der Entscheidungsschlacht bei Jahren 14–16 n.Chr. Kaiser Tiberius (14–31 n.Chr.) Trier abhing – in dieser für die Rheinarmee heiklen verzichtete 16 n.Chr. auf alle rechtsrheinischen Erobe- Situation war nachdrücklich deutlich geworden, daß rungen: der Rhein wurde die Nordostgrenze des römi- eine kürzere Straßenverbindung für Truppenverschie- schen Imperiums. Die Rheinarmee – das obere Heer bungen vom Rhein zur Donau unentbehrlich geworden (exercitus superior) und das untere Heer (exercitus war. Kaiser Vespasian (69–79 n.Chr.), der aus seiner inferior) – erhielt den Auftrag, die Rheingrenze zu Straßburger Zeit – er führte als Legionskommandeur schützen. Zur Überwachung der in der Nordschweiz aus die Straßburger Legio II Augusta 43 n.Chr. in den Italien, Gallien und Rätien zusammentreffenden Fern- Britannienfeldzug – das Verkehrsproblem am Ober- verkehrsstraßen stationierte die obere Heeresgruppe 16 rhein bestens kannte, ließ im Jahre 73/74 n.Chr. von n.Chr. eine Legion in Vindonissa, am Zusammenfluß dem Legaten der oberen Heeresgruppe Cn.Pinarius von Aare und Reuß. Der Legionskommandeur von Cornelius Clemens eine Straße ab Argentorate in Vindonissa erhielt seine Weisungen aus Mainz / Raetiam (von Straßburg nach Rätien) bauen und durch Mogontiacum, der Kommandozentrale des oberen Kastelle sichern (Kastelle Nr. 134, 111, 61a, 62, 113, Heeres. Die 114). Zwangsläufig mußte der Procurator Rätiens die Nordgrenze seiner Provinz dem neuen Grenzverlauf östlich des Rheines anpassen 2

PH. FILTZINGER / DIE MILITÄRISCHE BESITZNAHME DURCH DIE RÖMER 3,3

und die Donaukastelle – spätestens um 80 n.Chr. – auf (46 bis 46–51); Kleinkastelle dienten Wachkommandos die Schwäbische Alb vorverlegen (115–117, 66a–c). für ihre verschiedenen Aufgaben als Unterkunft. Die Rottweil / Arae Flaviae wurde Mittelpunkt des neu hin- Numerus- und Kleinkastelle im Odenwald waren durch zugewonnenen Gebietes und zentraler Verkehrsknoten- einen Postenweg, an dem Holzwachttürme (Besatzung punkt am oberen Neckar. Hier kreuzte die West-Ost- vier bis fünf Mann) aufgestellt waren, untereinander Straße: Straßburg / Argentorate – Rottweil / Arae Fla- verbunden. Zur Zeit des Kaisers Hadrian (117–138 viae – Tuttlingen – Augsburg / Augusta Vindelicorum n.Chr.) wurde der Postenweg durch einen davorliegen- die Süd-Nord-Straße: Vindonissa/Windisch – Rottweil den Palisadenzaun geschützt und in den Jahren 145 und – Sulz. Es ist die in der Tabula Peutingeriana erwähnte 146 n.Chr. ersetzten die Soldaten die Holztürme durch Reiseroute Arae Flaviae/Rottweil – Sumelocenna/Rot- Steintürme. Die Kohortenkastelle Oberscheidental und tenburg – Grinario/Köngen – Clarenna/Donnstetten? – Neckarburken schützten den von Schlossau bis zum Ad Lunam/Urspring? – Aquileia/Heidenheim? – Opia / Neckar bei Bad Friedrichshall 35 km schnurgerade Oberdorf am Ipf nach Reginum/Regensburg. Aber wie durch das Gelände verlaufenden südlichen Odenwald- einst die Varuskatastrophe den Ausbau der Pro- Limes, einen Postenweg mit Palisaden, Wachttürmen, vinzhauptstadt Köln/ Oppidum Ubiorum verhinderte, so Numerus- und Kleinkastellen. unterbrach der Chattenkrieg Domitians im Jahre 83 n.Chr. den Ausbau von Rottweil/Arae Flaviae; die Neckarlimes Planung der Stadt blieb in den Anfängen stecken. Der Neckarlimes (54. 56–60) ist im Gegensatz zum -, -, Main- und Odenwald-Limes als Odenwald und mittlerer Neckar werden römisch offene Grenze zu bezeichnen; bis jetzt fehlen jedenfalls Durch den Chattenkrieg Domitians war eine neue am Neckar sowohl Wachttürme als auch Palisaden; die Lage entstanden: Im Jahre 83 n.Chr. besiegte Kaiser römische Straße verläuft bald links, bald rechts des von dem Militärstützpunkt Mainz aus die Flusses und verbindet als Grenzstraße die auf der rechtsrheinischen Chatten und ließ den erweiterten linken Seite des Neckars liegenden Kastelle von Mainzer Brückenkopf mit Kastellen im Taunus und in Wimpfen bis Köngen. Der Neckarlimes hatte von der Wetterau absichern (Taunus-Wetterau-Limes). Kastell Köngen über Kirchheim nach Kastell Donn- Kastelle am Main, im Odenwald und am mittleren stetten und über Weilheim-Wiesensteig nach Kastell Neckar (Main-, Odenwald-, Neckar-Limes) stellten die Urspring Anschluß an den Alblimes (siehe Köngen Verbindung zu dem süddeutschen Alblimes her. Die Nr. 60). Militärdistrikte des oberen und unteren Heeres erhielten Alblimes um 85 n.Chr. den Status von Provinzen: Provincia Germania superior (Obergermanien) und Provincia Auch der Alblimes hatte weder Wachttürme noch Germania inferior (Niedergermanien). Damit wurden Palisaden. Die Verbindungsstraße der Kastelle von die Kommandozentralen der beiden Heeresgruppen – Burladingen über Urspring – Weißenburg – Pförring Mainz/Mogontiacum und Köln/Colonia Claudia Ara bis Eining zur Donau markierte die Nordgrenze der Agrippinensium – Provinzhauptstädte; vom linksrhei- Provinz Rätien (115–117. 66a. b. 67b. 68a. 119. 120. nischen Mainz aus verwaltete der Statthalter (legatus 70. 72–75. 166). Augusti pro praetore) der obergermanischen Provinz Bau einer Verbindungsstraße vom Rhein zur Donau und oberster Befehlshaber der in der Provinz stationier- ten Streitkräfte das neu hinzugewonnene rechtsrheini- Im Schutze der befestigten Reichsgrenze konnte nun sche Gebiet. Militärische Einheiten sicherten die römi- mit dem Bau einer direkten Verbindungsstraße von der Provinzhauptstadt Mainz/Mogontiacum zur Provinz- sche Reichsgrenze östlich des Rheines: den Taunus-, hauptstadt Augsburg/Augusta Vindelicum begonnen Wetterau-, Main-, Odenwald-, Neckar- und Alb-Limes. werden. Diese Hauptverkehrsader des Limesgebietes Limes bedeutet einen Weg, eine Bahn, die etwas führte von Mainz über Groß-Gerau – Gernsheim – durchquert. Im Militärischen Bereich bedeuten limites Ladenburg – Heidelberg – Stettfeld – Cannstatt – Ur- Wege, Bahnen, die vom römischen Gebiet aus in das spring, resp. Heidenheim – Günzburg nach Augsburg; Feindesland, besonders in Wälder und Gebirgsge- fast die gleiche Route wählt die heutige Autobahn genden vorgetrieben werden. An diesen Begriff knüpft Frankfurt – München. In ähnlicher Weise liegen die die seit dem letzten Viertel des 1. Jahrhunderts n.Chr. Schweizer Nationalstraßen N 1 und N 12 vom Genfer verwendete Bezeichnung ›Limes‹ für die Benennung See nach Norden auf der römischen Straßenlinie. der Reichsgrenze an. Wo Flüsse fehlen, werden Bei Straßenheim, Stadtkr. Mannheim, südlich der künstliche Grenzbahnen als Begrenzung des Reichs- Landesgrenze mündete eine von Worms/Borbetomagus gebietes angelegt. kommende Zuleitung in die Rhein-Donau-Straße; bald Odenwaldlimes darauf passierte die Fernstraße Ladenburg/Lopodunum, den Vorort der Civitas Sueborum Nicretum, wo fünf Im Odenwald haben in Britannien ausgehobene auf dem Marktplatz aufgestellte Leugensteine auf die numeri Brittonum (s.u.) nach 90 n.Chr. Kastelle be- Bedeutung des Vorortes der Civitas als Verkehrs- zogen zentrum 3

3,3 PH. FILTZINGER / DIE MILITÄRISCHE BESITZNAHME DURCH DIE RÖMER

aufmerksam machten. Von Ladenburg strebte die Straße übergang der Rhein-Donau-Straße entwickelte sich aus – wie auch die von Norden kommende Gebirgsrand- der römischen Siedlung das mittelalterliche Cannstatt, straße (Bergstraße) – der römischen Neckarbrücke in das auch weiterhin seine Bedeutung als wichtiger Stra- Heidelberg-Neuenheim zu: In Verlängerung des ßenknotenpunkt für den Nord-Süd- und den Ost-West- Decumanus maximus (= Hauptlagerachse Nord-Süd) des Handel und Verkehr behielt. Vom Anfang des 17.Jahr- Neuenheimer Ostkastells überquerte anfänglich eine hunderts bis 1806 war Cannstatt Sitz der Taxisschen Holzbrücke, später eine steinerne Pfeilerbrücke von Reichspostmeister, denen die Postämter von Schaff- 260m Länge den Neckar. Die Brücke hatte sieben re- hausen bis Frankfurt und von Nürnberg bis Kehl konstruierbare Steinpfeiler (L 15,80 m, B 7,20 m), die unterstanden. Erst mit dem Bau der Eisenbahnen ver- auf Eichenpfahlrosten (L 8,90 m, B 9,00 m) ruhten; der lagerte sich im 19. Jahrhundert die Verkehrszentrale Brückenoberbau bestand aus weiten hölzernen Spreng- von Cannstatt nach Stuttgart. bögen (B 34,50 m). Eine im Museum Heidelberg aufbe- Die rechts des Rheines und nördlich der Donau sta- wahrte Inschrift nennt Valerius Paternus als den Archi- tionierten Hilfstruppen () hatten insbesondere tekten, der um 170 n.Chr. die Steinbrücke erbaute; die Rhein-Donau-Straße zu schützen. Dem Durch- Valerius Paternus hatte auf dem mittleren Brücken- gangsverkehr von den Rhein- zu den Donauprovinzen pfeiler dem Gotte Neptun, dem Schutzpatron der Nek- verdankt das Limesgebiet seine strategische Bedeutung karbrücke, ein Heiligtum (aedicula) mit der Statue des und letztenendes seine wirtschaftliche Blüte. Gottes aufstellen lassen. Am jenseitigen Ufer bewachte in Bergheim die Besatzung einer Beneficiarierstation der Straßen-, Post-, Relaisstationen, Herbergen Straßburger Legio VIII Augusta die Brücke und sorgte Für den Straßenbau und den Unterhalt der Straßen für einen reibungslosen Ablauf des Brückenverkehrs. war der Statthalter in seiner Provinz zuständig. Er be- Von der Neckarbrücke zog die Straße zunächst etwa 500 auftragte Abteilungen des Heeres mit dem Neubau der m weit nach Südwesten, vorbei an einer Verkehrsinsel Hauptstraßen. Die anwohnende Provinzbevölkerung mit sieben Leugensteinen – aus den Jahren 220-251 der Dörfer (vici), Städte (municipia, coloniae) und n.Chr. mit Entfernungsangaben: a Lopoduno Leugae IIII Gaue (civitates) hatte die Last des Straßenbaues zu (= 8,88 km) – zu einem Straßenverteiler vor der heu- tragen; vermutlich mußten sie Baumaterial, Steine, tigen Krehl-Klinik: 1. Ein Straßenzug strebte nach Sand und Fuhren zur Verfügung stellen. Straßburg/Argentorate. – 2. Die Rhein-Donau-Straße Die von Augustus eingerichtete kaiserliche Post deckte sich von Heidelberg bis Stettfeld mit der (cursus publicus) hatte entlang allen Reichsstraßen Sta- Gebirgsrandstraße, die dem Vorort der Civitas Aurelia, tionen (stationes, mansiones, mutationes, stabula, vgl. Baden/Aquae, zustrebte. In Stettfeld zweigte die Rhein- CIL 5, 8987. 6, 1774. 10, 7200), die den Amtspersonen Donau-Straße von der Gebirgsrandstraße ab, um über als Unterkunft dienten. Der Kaiser, die kaiserliche Cannstatt – Urspring die rätische Provinzhauptstadt Familie und die Provinzstatthalter stiegen in praetoria Augsburg/Augusta Vindelicum zu erreichen. – 3. Von und palatia ab. Nach Prokopius schafften die schnellen dem ›Verteiler Heidelberg‹ führte eine dritte Straße nach Kuriere des Kaisers an einem Tag – mit Pferdewechsel Neckargemünd und Neckarburken. an fünf bis acht mutationes – 71–88 km von mansio zu Entlang dieser Verkehrslinien kam die Romanisie- mansio, von Raststation zu Raststation. Bis jetzt ist es rung in das rechtsrheinische Gebiet. Auf die Rhein- archäologisch noch nicht möglich, eine mansio von Donau-Straße Mainz-Augsburg dürfte Aurelius Victor einer mutatio zu unterscheiden. Zu einer normalen anspielen, wenn er sagt: Traian habe nach der Vollen- mansio, statio gehörten nach Prokopius als Personal dung des Durchbruchs am Eisernen Tor im Jahre 100 etwa 16 bis 18 Personen: 1–2 Tierärzte (mulomedici), n.Chr. den Weg gebahnt, auf dem man jetzt leichter vom 13 Pferdeknechte (hippocomi) und Maultiertreiber Schwarzen Meer nach Gallien gelange. (muliones), Stellmacher (carpentarii) und Polizisten Der Schwerpunkt des Verkehrs verlagerte sich im (milites stationarii). In den Ställen standen bis zu 40 2.Jahrhundert n.Chr. vom oberen Neckar auf die Ostalb, Tiere (animalia publica): Reittiere (veredi), Begleit- wo das Verkehrsviereck Urspring – Heidenheim – und Lasttiere (parhippi und avertarii) und Zugtiere Faimingen – Günzburg die in ähnlicher Weise durch (Ochsen: boves). Auf der Station gab es Scheunen für Straßen untereinander verbundenen Kastelle Wald- das Futter der Tiere und Wagenschuppen für Last- mössingen – Sulz – Geislingen – Rottweil ablöste. Am wagen, Reisekutschen und Schnellreisewagen. Der mittleren Neckar entwickelte sich Cannstatt mit zwei Vorsteher der Mansio (manceps oder praepositus Beneficiarierstationen zum Verkehrsmittelpunkt, ge- mansionis) war für das Funktionieren der Mansio ver- wissermaßen zur ›Drehscheibe am Neckar‹ des Fern- antwortlich; er hatte die zulässigen Höchstgewichte bei verkehrs vom Rhein zur Donau. In Cannstatt trafen – Lasttieren und Wagen zu kontrollieren, für die not- ähnlich wie in Heidelberg-Bergheim – die Fernstraßen wendigen Futtermittel zu sorgen und die Reiseerlaub- von Mainz, Straßburg und Wimpfen zusammen und nisscheine (diploma, evectio, tractoria) des Cursus verließen Cannstatt wieder in Richtung Regensburg, publicus zu kontrollieren. Das im Auftrag des Kaisers Augsburg und Rottenburg – Vindonissa. Am Neckar- vom praefectus praetorio (der rechten Hand des Kaisers), seltener von einem Provinzstatthalter ausge- 4

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stellte Diplom berechtigte zu einer Beherbergung in der der Straße veranlaßt, so wurde das ebenfalls in der In- Statio und die auf der Statio bereitgestellten Tiere und schrift erwähnt (vias et pontes restituit = er hat die Wagen zu benutzen. Die Tiere der Statio durften nur Straßen und Brücken wieder herstellen lassen. Meilen- auf der Strecke bis zur nächsten Statio eingesetzt stein 22 bei Isny). Die Gemeinde, die den Meilenstein werden und waren im Gegenverkehr an ihren Standort aufstellen ließ, widmete diesen gelegentlich dem regie- zurückzubringen. renden Kaiser. Als die Gemeinden im 3.Jahrhundert Im 1. Jahrhundert n.Chr. war das Büro a vehiculis n.Chr. bei dem raschen Thronwechsel jedem neuen mit dem Vorsteher der kaiserlichen Post am Hof in Herrscher eine Loyalitätserklärung in Form eines Mei- Rom. Seit trajanischer Zeit ist inschriftlich ein praefec- lensteines leisteten, kam es zu ganzen Gruppen von tus vehiculorum als Vorsteher der Staatspost nachzu- Meilensteinen an ein und demselben Zählpunkt: so weisen. Neben der Zentrale in Rom gab es am Ende des geben sieben Leugensteine in Heidelberg-Bergheim 2. Jahrhunderts n.Chr. verschiedene Untersprengel, die mit verschiedenen Kaisernamen alle die gleiche mehrere Länder umfassen konnten; so gab es z.B. den Entfernung mit vier Leugen an (a Lopoduno leugae IIII praefectus vehiculorum per Belgicam et duas Germa- = 8,88 km). Unter Septimius Severus (193–211 n.Chr.) nias für Belgien und die beiden germanischen wurde die Leugenrechnung in den drei gallischen und Provinzen (CIL 8, 12020). in den beiden germanischen Provinzen allgemein Septimius Severus (193 211 n.Chr.) teilte den Cur- gültig. sus publicus in die Schnellpost (cursus velox) und die Lasten- und Güterpost ein (cursus clabularius). Antike Karten Für den Verkehr auf den Flüssen bildeten sich Schif- Von den römischen Karten sind leider nur die fergilden (collegia nautarum); eine 1967 im Neckar bei Tabula Peutingeriana und das Itinerarium Antonini Marbach gefundene Inschrift berichtet von einem erhalten. Das Itinerarium Antonini ist eine dem Kaiser Schiffsunglück auf dem Neckar (Fdb. aus Baden-Würt- Caracalla (211–217 n.Chr.) zugeschriebene listenför- temberg 2, 1975, 184 Nr. 2). mige Aufzählung der Routen und Stationen nach Art Bei Antritt der Reise wurden Mercur und Hercules eines modernen Kursbuches ohne Kartenbild. Die zum Schutze angerufen; von Epona erflehte man den Tabula Peutingeriana, eine mittelalterliche Kopie einer Schutz für die Pferde. Ein in Beihingen, Kr. Ludwigs- antiken Routenkarte des römischen Reiches, zeigt das burg gefundenes Relief zeigt die glückliche Rückkehr Kartenbild des Imperiums auf einer 34 cm breiten und von der Reise: Epona ist von Pferden umgeben, darun- 682 cm langen Papyrusrolle zusammengepreßt. Mit ter ist das Eintreffen des von drei Pferden gezogenen dieser Karte konnte sich der Reisende an den Straßen- vierrädrigen Reisewagens (reda) zu sehen, den ein mit routen und den Entfernungsangaben von Station zu keltischem Kapuzenmantel Bekleideter lenkt. Davor Station orientieren. Durch Baden-Württemberg führt spendet ein Mann mit verhülltem Haupte auf einen die Straßenroute von Vindonissa /Windisch – Tenedo/ Altar; ein Schwein wird zum Opfer herbeigeführt Zurzach – Iuliomagus/Schleitheim – Brigobanne/ (HAUG-SIXT 1914, 451 Nr. 320). Hüfingen – Arae Flaviae/Rottweil – Sumelocenna/ Militär und Straßenpolizei überwachten das Straßen- Rottenburg – Grinario/Köngen – Clarenna/ Donnstet- netz. Die bisher im Limesgebiet gefundenen 53 Bene- ten? – Ad Lunam/Urspring? – Aquileia/Heidenheim? – fiziarierinschriften sprechen für mindestens 14 Militär- Opia/Oberdorf am Ipf – Losodica/Munningen – stationen an den Straßen rechts des Rheines; wahr- Biriciana/Weißenburg – Germanicum/Kösching nach scheinlich waren es mehr. Beneficiarii – vom Reginum/Regensburg. Eine andere Route führte von Statthalter als Militärkommandanten oder von einem Mailand nach Bregenz oder von Mailand durch die Truppenkommandanten von den niederen Diensten Nordschweiz nach Straßburg–Mainz. Weiterhin ist eine befreite (beneficia) Unteroffiziere (principales) – Route verzeichnet von Augsburg über Bregenz – Basel waren als Kommandanten der Polizeistationen nach Trier. (stationes) mit einigen ihnen untergebenen Soldaten und kleinem sonstigen Personal an wichtigen Punkten Römische Straßen des Straßennetzes eingesetzt. Hauptmerkmal der römischen Straßen ist der gerad- linige Verlauf: mehr oder weniger lange geradlinige Meilensteine und Leugensteine Strecken, die im stumpfen Winkel aneinanderstoßen, Den Reisenden oder Kurier informierten an den wie z.B. die Teilstrecken der Donaustraße bei Mengen, Straßen aufgestellte Meilen- oder Leugensteine als Ertingen, Emerkingen, Rißtissen etc. Der bis zu 6 m Wegeschilder mit Entfernungsangaben [1 römische breite Straßendamm hatte einen Unterbau aus dem in Meile = 1,48 km; 1 Leuga (keltisches Entfernungsmaß) der Gegend anstehenden Gestein. Die Straße war ge- = 2,22 km], wie weit er noch bis zur nächsten Siedlung wöhnlich 4 bis 5 m breit, hatte eine Steinpackung als oder Station hatte. Die Inschriften der Meilen- und Vorlage, darauf einen schotterartigen Belag (Kies) und Leugensteine nennen außerdem auch Namen und Titu- beiderseits einen Straßengraben. Beim Rathaus in Ben- latur des regierenden Kaisers. Hatte der Kaiser den ningen, Kr. Ludwigsburg hat das Landesdenkmalamt Neubau die römische Straße Benningen – Cannstatt ausgegra- ben und restauriert. 5

3,3 PH. FILTZINGER / DIE MILITÄRISCHE BESITZNAHME DURCH DIE RÖMER

Auxiliarkastelle werden selbständige Garnisonen Reichsgrenze gegen die Germanen. Zu einer Grenz- korrektur kam es dann noch einmal um die Mitte des Während die Auxilia bis um die Mitte des 1. Jahrhun- 2.Jahrhunderts n.Chr. Offenbar hatte sich der Grenz- derts n.Chr. taktisch zu den am Rhein stationierten verlauf im Odenwald und am mittleren Neckar für die Legionen gehörten und in den Legionslagern oder deren Kontrollfunktion des Grenzschutzes als zu unüber- nächster Nähe konzentriert waren, lockerte sich gegen sichtlich erwiesen. Andererseits muß die Überwachung Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. ihre Verbindung zu den der 35 km langen Limesstrecke von Schlossau bis Bad Legionen. Jede Reitereinheit (ala) und jede Infanterie- Friedrichshall gut funktioniert haben. Jedenfalls einheit (Kohorte) erhielt einen zu überwachenden Li- ordnete der Statthalter (legatus Augusti pro praetore) mesabschnitt. Ihre Kastelle entwickelten sich als Mittel- in Mainz/Mogontiacum um die Mitte des 2.Jahr- punkte der jeweiligen Limesstrecke zu selbständigen hunderts n.Chr. an, die Garnisonen des Odenwald- Garnisonen, die auf die Zusammenarbeit untereinander Neckarlimes um etwa 30 km nach Osten vorzuverlegen angewiesen waren. Anfangs waren es durch Annähe- in die Linie: Miltenberg am Main – Walldürn – Oster- rungshindernisse, Graben, Wall und Holzerdemauer ge- burken – Jagsthausen – Öhringen – Mainhardt – Murr- schützte Holz-Erde-Lager. Später brachte es die Kon- hardt – Welzheim – Lorch. Der geradlinige Grenzver- solidierung der Reichsgrenze mit sich, daß die Lager- lauf erleichterte das Überwachen der Grenze und ge- mauern in Stein ausgebaut und die Holzbaracken durch stattete eine bessere Kontrolle des Waren- und Grenz- Fachwerk- und Steinbauten ersetzt wurden. verkehrs an den Grenzübergängen. Die Limeslinie vom Die Kastelle für Infanterieeinheiten von 480 Soldaten Main bis ins Remstal überwachten die Besatzungen (cohortes quingenariae) waren 1,4–2,5 ha groß; die von 8 Kohortenkastellen, 9 Kleinkastellen und 267 Kastelle der Kavallerieeinheiten von 480 Reitern (alae Wachttürmen. Vor den Kastellen errichteten Pionier- quingenariae) 3,1–4,2 ha und die für 1000 Reiter (alae abteilungen eine Palisade, die ohne Rücksicht auf das milliariae) 5,6–6 ha. Kastell Aalen war mit 6,07 ha das Gelände von Walldürn bis zum Haghof bei Welzheim größte römische Reiterkastell nördlich der Alpen. Es gab 80 km schnurgerade mit absoluter Genauigkeit über auch gemischte Verbände aus Infanterie und Kavallerie Berge und Täler verlief. mit 6 Hundertschaften (centuriae) und 6 Schwadronen Die Nordgrenze Rätiens war etwa gleichzeitig (zur (turmae): Kastellgröße etwa 2,1–3,3 ha (cohors Zeit des Antoninus Pius, 138–161 n.Chr.) dem ober- quingenaria equitata) sowie Einheiten mit 800 Infante- germanischen Limes angepaßt und auf den Nordhang risten und 240 Reitern (cohors milliaria equitata). Spe- des Remstales vorgeschoben worden (64–67a). Ganz zialeinheiten von etwa 150 Mann (Kastellgröße: 0,6 bis allgemein kann gesagt werden, daß die Bauphasen des 0,8 ha) kontrollierten als Wach- und Beobachtungsabtei- rätischen Limes – abgesehen von lokalen, geländebe- lungen (numeri, exploratores) die Grenze in unüber- dingten Variationen – im großen und ganzen die glei- sichtlichem Waldgelände, so z.B. im Odenwald. chen sind wie die des obergermanischen Limes: 1. Po- In den Lagerdörfern (vici) siedelten Handwerksbe- stenweg mit Holztürmen am Ende des 1. Jahrhunderts triebe (Töpfer, Ziegler, Schmiede, Metallgießer, Glas- n.Chr. – 2. Bau einer Palisade entlang des Postenweges macher, Sattler, Bauhandwerker, Steinmetzen), Händler, in hadrianischer Zeit (um 120 n.Chr.). – 3. Ersatz der Krämer, Wirte mit ihren Familien. Hauptaufgabe der Holztürme durch Steintürme, in der 2. Hälfte des 2. Bewohner des Lagerdorfes war die Versorgung der Jahrhunderts n.Chr. – 4. Bau einer Mauer anstelle der Truppe unter der Aufsicht des Militärs. Palisade als Verbindung der Wachttürme, am Ende des Die Götter verehrte man in gemeinsamen Heilig- 2. oder am Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. tümern. Am Rande des Lagerdorfes wurde gemeinsam bestattet. Wie zum Legionslager eine Lagervorstadt Verstärkung der Reichsgrenze (canabae) und ein Territorium legionis gehörte, so wird Die Bedrohung der Reichsgrenze durch die Marko- man als Versorgungsbasis der Auxiliarlager neben dem mannen und Alamannen war sehr wahrscheinlich die Lagerdorf auch ein Territorium alae oder cohortis anzu- Ursache für eine Verstärkung der Grenzbefestigung am nehmen haben, dessen Gutshöfe (villae rusticae) das Ende des 2. oder zu Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr.: Lager mit landwirtschaftlichen Produkten belieferten. Hinter der Palisade wurde am obergermanischen Li- Von den Militärlagern und den sie umgebenden bürger- mes ein paralleler, etwa 2 m tiefer und oben etwa 7 m lichen Siedlungen – Kristallisationspunkten römischer breiter Graben ausgehoben und mit der dabei anfal- Kultur und Zivilisation – erfolgte die Romanisierung des lenden Erde ein Wall hinter dem Graben aufge- neu hinzugewonnenen Gebietes. schüttet, so daß ein Angreifer – wie bei der Lagerum- Letzte Grenzkorrektur um 150 n. Chr. wehrung – Palisade, Graben und Wall zu überwinden hatte. In Rätien ersetzten Arbeitskommandos die Pali- Die rechtsrheinische Okkupation war im wesentlichen sade durch eine 2–3 m hohe, 1,20 m breite und 166 km zur Zeit des Kaisers Domitian (81–96 n.Chr.) abge- lange Mauer. Für die Wachttürme am Limes wurden schlossen. Während der traianisch-hadrianischen Epoche Höhen und Talränder bevorzugt, so daß die Turmbe- (98–138 n.Chr.) erfolgte der Ausbau der römischen satzungen (4–5 Mann) Sichtverbindung untereinander hatten, um Meldungen mit Rauch-, Feuer- oder Horn- signalen von Turm 6

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zu Turm bis zum nächsten Auxiliarkastell weitergeben Schmuck, Silber-, Bronzegeschirr, Bronze- und Eisen- zu können – eine Art der Nachrichtenübermittlung, wie gerät. Die allenthalben in der Nähe der römischen sie die Reliefs der Marcussäule in Rom zeigen. Straßen gehobenen Schatzfunde spiegeln gewisser- maßen den Vormarschweg der Alamannen in die Markomannenkriege römische Provinz wider. Die Alamannen zerstörten u.a. Völkerbewegungen in Skandinavien und Dänemark die Kastelle Butzbach, Echzell, Altenstadt, Dambach, übertrugen sich in den sechziger Jahren des 2. Jahrhun- Pfünz, Straubing, die Feldwache bei Dalkingen und derts n.Chr. wellenförmig auf die germanischen Stäm- wahrscheinlich die erst 231 n.Chr. fertiggestellte, nach me: Chatten fielen 162 n.Chr. in Obergermanien und Severus Alexander benannte Wasserleitung Aqua Rätien ein – sie wurden wieder vertrieben. Markoman- Alexandriana bei Kastell Öhringen; sie bedrängten das nen, Quaden, Naristen und Jazygen überrannten 167 Legionslager Regensburg/Castra Regina. Den Schatz- n.Chr. das Grenzheer in Noricum und Pannonien und funden zufolge traf die Wucht des Angriffes das stießen sengend und brennend bis Oberitalien vor. Im westliche Rätien, vor allem das Allgäu. gleichen Jahr (169 n.Chr.), in dem die erneut an- Als die Nachricht von der Alamanneninvasion die stürmenden Chatten am Main- und Rheinlimes zurück- Persienarmee erreichte, zwangen die an Rhein und gewiesen werden konnten, eröffnete Kaiser Marc Aurel Donau und im Limesgebiet beheimateten Soldaten den mit dem römischen Heer von Italien aus die Gegen- Kaiser, den Persienfeldzug abzubrechen und Abteilun- offensive; er überschritt die Donau (172 n.Chr.) und gen der Persienarmee zur Befreiung des Limesgebietes unterwarf Markomannen, Quaden und Jazygen. Marc an den Rhein zu schicken. Severus Alexander mußte Aurel beabsichtigte, Böhmen und Mähren als nachgeben: er versammelte anfangs 235 n.Chr. eine Provincia Marcomannia und das Gebiet zwischen Do- große Angriffsarmee bei Mainz/Mogontiacum; gleich- nau und Theiss als Provincia Sarmatia zu gewinnen. zeitig verhandelte er mit den Alamannen. Das löste Aber der Kaiser starb an der Pest im Feldlager eine Soldatenrevolte aus. Die empörten Soldaten Vindobona/Wien (179 n.Chr.), ohne dieses Ziel erreicht verlangten die sofortige Befreiung ihrer Heimat, des zu haben. Die Donau wurde wieder römische Reichs- Limesgebietes, und ermordeten den Kaiser bei Mainz grenze. Die Markomannenkriege haben auch im Li- (März 235 n.Chr.); sie riefen den General Maximinus mesgebiet ihre Spuren hinterlassen: zerstörte Kastelle Thrax (235 bis 238 n.Chr.), einen in Thrakien und niedergebrannte Siedlungen zeugen von den geborenen Bauernsohn, zum Kaiser aus. Im Frühling Kampfhandlungen. 236 n.Chr. eröffnete Maximinus Thrax von Mainz aus die Gegenoffensive über den Rhein; er vertrieb die Franken- und Alamanneneinfalle Alamannen aus dem Limesgebiet und ließ die Folgenschwerer für die Rhein- und Donauprovinzen zerstörten Limesanlagen wieder aufbauen. war die Auseinandersetzung mit den Franken und Ala- mannen. Als die römischen Grenzwachen 213 n.Chr. Alamannen besetzen das Limesgebiet das Auftauchen alamannischer Reitergeschwader am Die Alamannengefahr war damit aber nicht besei- Limes meldeten, erkannte man in Rom die Invasions- tigt: vermutlich um 242 n.Chr. durchbrachen die Ala- gefahr für das Limesgebiet, den verwundbarsten Ab- mannen erneut den rätischen Limes im Osten Bayerns schnitt der römischen Reichsgrenze im Norden. Kaiser und zerstörten die Kastelle Gunzenhausen, Kösching Caracalla kam von Rom nach Rätien, um die Alaman- und Künzing. Es muß sich um einen örtlich begrenzten nen in der Vorwärtsverteidigung außerhalb der römi- Einbruch gehandelt haben, denn in Ladenburg, Heidel- schen Reichsgrenze zu stellen und zu vernichten: Am berg, Friolzheim, Friedberg und Wiesbaden gefundene 11.August 213 n.Chr. überschritt Caracalla mit dem Meilensteine bezeugen den Ausbau des Straßennetzes römischen Heer den rätischen Limes sehr wahrschein- im Limesgebiet zur Zeit der Kaiser Philippus Arabs lich nördlich des Kastells Aalen bei Dalkingen; er (244–249 n.Chr.) und Decius (249–251 n.Chr.); selbst führte die römischen Truppen nach Norden und noch zur Zeit des Kaisers Valerian (253–260 n.Chr.) besiegte die Alamannen in der Nähe des Mains. sind Straßenbauarbeiten rechts des Rheines inschrift- Trotzdem kam es 20 Jahre später zur befürchteten lich nachzuweisen. Invasion, als Severus Alexander (222–235 n.Chr.) 231 Ernsterer Natur war ein Alamannenvorstoß n.Chr. Grenzschutzverbände des Limesgebietes zur (vermutlich im Frühjahr 254 n. Chr.) in das nordwest- Verstärkung der in Persien kämpfenden römischen Ar- liche Rätien und in die Nordschweiz, so daß Kaiser mee in den Orient schicken mußte. Die nur schwach Valerian (253 bis 259 n.Chr.) sich gezwungen sah, besetzten Grenzschutzanlagen reizten die Alamannen, seinen Sohn Gallienus (253–268 n.Chr.) mit der die blühenden römischen Provinzen zu überfallen: Im Verteidigung des Westens zu beauftragen. Den Jahre 233 n.Chr. überrannten die Alamannen auf breiter Münzumschriften zufolge hat Gallienus bis 260 n.Chr. Front den obergermanisch-rätischen Limes und stießen mindestens fünfmal die angreifenden Germanen nach Westen bis zur Saar und Mosel und nach Süden zurückgeschlagen. bis zum Alpenrand vor. Die schockierte Bevölkerung In den Zeiten der Bedrängnis von außen nahmen die versteckte vor den anstürmenden Alamannen ihr Hab Usurpationen im Innern des Reiches kein Ende. Immer und Gut: Geld, 7

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wieder erhoben die Fronttruppen ihre Kommandeure auf Donau als neue römische Reichsgrenze gegen die Ala- den Schild, so 258 n.Chr. die pannonischen Legionen mannen. den Ingenuus. Gallienus mußte gegen Ingenuus Truppen vom Rhein in Marsch setzen, denen er später nachfolgte, Donau, Iller und Rhein werden römische Reichsgrenze seinen Sohn Saloninus in Köln und Postumus als Kaiser Diocletian (284–305 n.Chr.) konnte auf der Abschnittskommandanten am Rhein zurücklassend. von Aurelian und Probus wiederhergestellten Ordnung Postumus nutzte die Gelegenheit und machte sich selb- aufbauen und die Verwaltung des römischen Reiches ständig: er ließ sich zum Kaiser ausrufen (Herbst 259 bis neu organisieren. Auf der Kaiserkonferenz 288/289 268 n.Chr.), eroberte Köln, beseitigte Saloninus und n.Chr. an unbekanntem Ort oder 290/291 n.Chr. in gründete ein gallisches Sonderreich (258–273 n.Chr.). Mailand/Mediolanum wurde beschlossen: die Rhein- Für die Alamannen war der Abmarsch der römischen und Donaugrenze wieder zu befestigen. Von Baden- Truppen vom Rhein nach Pannonien das Signal zum Württemberg gehörten jetzt nur noch das Gebiet um Aufbruch: 259/260 n.Chr. fegten Franken und Alaman- das Kastell Isny/Vemania und Kastell Breisach/Brisia- nen die römischen Grenzwachen hinweg und stießen cum zum römischen Reich. Die Landesgrenze von über den Rhein und die Donau weit nach Westen und Baden-Württemberg deckt sich im großen und ganzen Süden vor. Postumus, der von seiner Residenz Köln den im Westen, Süden und Südosten mit der spätrömischen gesamten ›gallischen‹ Westen: Hispania, Gallia und Reichsgrenze. Britannia beherrschte, konnte zwar mit seinen Truppen Der Donau-Iller-Rhein-Limes war bis zum Jahre die Rheingrenze gegen die Franken halten – der 401 n.Chr. von regulären Einheiten des römischen obergermanisch-rätische Grenzschutz brach zusammen, Heeres besetzt. Als im November 401 n.Chr. Alarich, das Limesgebiet ging verloren. Zerstörungen und von Fürst der Westgoten und Heermeister von Illyricum, der erschreckten Bevölkerung versteckte Münzschätze seine Westgoten über Aquileia durch Venetien in markieren auch diesmal wieder den Vormarschweg der Richtung Mailand führte, um Kaiser Honorius in seine Alamannen. Das Ziel der Invasoren war nun der Süden: Gewalt zu bekommen, eilte damals Stilicho, magister Italien. Den Vorstoß der Goten, Quaden und Sarmaten utriussque militiae, mitten im Winter noch vor Ende über die Donau durch Pannonien nach Oberitalien 401 n.Chr. über die Alpen (von Como über den Julier) spiegeln Münzschätze wider, die im Jahre 259 n.Chr. nach Rätien, um die Besatzungen der Grenzkastelle an etwa in der Linie Budapest – Triest vergraben wurden. Rhein, Bodensee, Argen, Iller und Donau zu Wohl besiegte Kaiser Gallienus mit den rheinischen und mobilisieren und gegen Alarich nach Oberitalien zu rätischen Truppen die Alamannen 260/61 n.Chr. bei holen. Mailand – aber die in Jahrhunderten aufgebaute Grenz- Solange die Einheit von Kaiser und Heermeister be- schutzorganisation zwischen Rhein und Donau war zer- stand, blieben Rhein und Donau römische Reichs- schlagen. Alle Hilfstruppen (auxilia) des Limesgebietes grenze. Als diese Einheit zerbrach – Kaiser Valenti- verschwinden nach 260 n.Chr. aus der Überlieferung, nian III. stieß 454 n.Chr. seinen Heermeister Aetius mit Ausnahme der auf dem rechten Donauufer statio- während einer Audienz auf dem Palatin in Rom nieder nierten Einheiten. – war die kaiserliche Macht verspielt – die Grenze an Die Grenzschutzorganisation (Stützpunkte, Befesti- Rhein und Donau war nicht mehr zu halten: Seit der gungen, Verbindungsstraßen) der Jahre nach 260 n.Chr. Mitte des 5.Jahrhunderts n.Chr. überschritten die Ala- muß noch durch Ausgrabungen erforscht werden; lite- mannen Rhein und Donau und siedelten in der Pfalz, rarische Quellen fehlen. Münzfunde des 3./4.Jahrhun- im Elsaß, in der nordwestlichen Schweiz und in derts n.Chr. sprechen dafür, daß auch nach 260 n.Chr. Bayrisch Schwaben westlich des Lech. das Leben im Limesgebiet weiterging. Wohl gelang es Kaiser Aurelian (270–275 n.Chr.), II. Listen der auf der Karte eingezeichneten Kastelle, die in Italien eingefallenen Juthungen und Alamannen Straßenstationen und Meilensteine 271 n.Chr. zu besiegen – um vor Eventualitäten dieser Die Kreiszugehörigkeit bei den Ortsangaben entspricht Art künftig gesichert zu sein, bauten die Römer damals innerhalb des Landes Baden-Württemberg dem heutigen Ge- um ihre Hauptstadt Rom eine 16 m hohe und 4 m dicke bietsstand. Abweichungen gegenüber dem Gebietsstand 1957 (= Mauer (Aurelianische Mauer) – und das 258 n.Chr. Grundkarte II, 2) sind in Klammern gegebenenfalls angefügt. abgetrennte gallische Sonderreich zurückzuerhalten (273 Die Kastellnumerierung 1–75 ist die gleiche wie in: E.Fa- n.Chr.), aber erst Kaiser Probus (276–282 n.Chr.) konnte bricius, F.Hettner und O. von Sarwey, Der obergermanisch- 277 n.Chr. Franken und Alamannen aus Gallien rätische Limes des Römerreiches (ORL) Abt. A Strecken 1–15 vertreiben und 278 n.Chr. Burgunder, Goten und Van- vom Rhein bis zur Donau (1915–1936). – Abt. B Kastelle 1–75 Niederbieber-Pförring (1894–1937). dalen aus Rätien hinauswerfen. Probus, den eine Augs- Die Kastellnummern 101–176 bezeichnen die seitdem neu burger Inschrift als ›weitblickenden Erneuerer der Pro- hinzugekommenen Kastelle. vinzen und Festungswerke sowie als tapfersten Feld- Die Liste der Kastelle ist entsprechend der auf der Karte herrn alle früheren Kaiser übertreffend‹ bezeichnet – durch Farben unterschiedenen Zeitabschnitte gegliedert. Inner- Probus sicherte Rhein, Bodensee, Argen, Iller und halb dieser Abschnitte richtet sich die Reihenfolge im wesent-

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= Corpus Inscriptionum Latinarum. 1893ff. lichen nach den Straßenzügen, d.h. von Norden nach Süden und CIL dann von Westen nach Osten. = Christ, K.: Die Fundmünzen der römischen FMRD Die Listen der Straßenstationen und der Meilensteine folgen Zeit in Deutschland. Abt.II Baden-Würt- der Numerierung ohne Rücksicht auf die Zeitstellung. Ihre temberg 1–4. 1963–1964. Zählung erfolgt von Norden nach Süden jeweils zeilenartig von = Der obergermanisch-rätische Limes . . . Westen nach Osten. ORL vgl. in Lit.verz. unter Fabricius. G.Fingerlin verdanke ich wertvolle Hinweise für den Verlauf der römischen Straßen in Baden. D. Planck und A.Rüsch habe ich für = Howald, E. und E. Meyer: Die römische Howald–Meyer zahlreiche Anregungen zu danken. K. Natter verdanke ich die Schweiz. Texte und Inschriften mit Über- Farbzusammenstellung. setzung (Zürich 1940). – bzw. + vor Jahreszahlen = vor bzw. nach = Fundstelle. ± = vor und nach. Fst. = Wachtposten. WP. Abkürzungen: = Die Römer in Baden-Württemberg . . . vgl. RiBW im Lit.verz. unter Filtzinger. BRGK = Bericht der Römisch - Germanischen Kom- mission.

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Historischer Atlas von Baden-Württemberg: Erläuterungen Herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 7. Lieferung 1979 Druck der Erläuterungen: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart

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