Österreicher Im Exil Mexiko 1938–1947
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FOLGE 158 SEPTEMBER 2002 ÖSTERREICHER IM EXIL MEXIKO 1938–1947 Der formelle Protest der mexikanischen Regierung vor dem Völkerbund vom 19. März 1938 gegen die deutsche Okkupation Öster- reichs leitete eine aktive und großzügige Solidaritätspolitik Mexikos, insbesondere der Präsidenten Cárdenas und Camacho, gegen- über den Flüchtlingen aus dem „Dritten Reich“ und anderen europäischen Ländern ein. Noch diesen Herbst erscheint die DÖW-Dokumentation „Österreicher im Exil. Mexiko 1938–1947“ und damit nach der Veröffentlichung von Quelleneditionen zum österreichischen Exil in Frankreich (1984), Belgien (1987), Großbritannien (1992), den USA (1995) und der Sowjetunion (1999) eine Sammlung von wissenschaftlich edierten Dokumenten zum Wirken und Schicksal jener Österreicherinnen und Österreicher, die zwischen 1938 und 1945 Zuflucht in Mexiko fanden. Art und Charakter der über 400 hier ab- gedruckten Dokumente sind sehr vielfältig: Erinnerungsberichte, Artikel aus Exilzeitschriften, Akten aus mexikanischen, österreichi- schen, deutschen und amerikanischen Archiven, Briefe, Memoranden und Flugblätter von Einzelpersonen oder Organisationen, Interviews mit ZeitzeugInnen, umfangreiche Nachlässe sowie literarische Zeugnisse u. v. m. Ausführliche und sachkundige Einleitungen begleiten die jeweiligen Kapitel, eine chronikähnliche Zusammenstellung der kulturellen und politischen Veranstaltungen diverser österreichischer Exil-Organisationen in Mexiko bezeugt den nicht unbedeutenden Beitrag zum kulturellen und intellektuellen Leben Mexikos. Im Folgenden analysieren die Bearbeiter der Mexiko-Dokumentation Christian Kloyber und Marcus G. Patka die Grundzüge der me- xikanischen Exilpolitik (Auszug aus dem Vorwort). denreform und eine effektive Sozialpolitik wirtschaftlichen Erfolge der mexikani- Mexikanische für die Arbeiter des Landes. Ihr Ergebnis schen Modernisierung von Porfirio Díaz. Exilpolitik sollte vor allem den Mexikanern zugute Mit dem Regierungsantritt von Präsident kommen. Cárdenas wurden diese nationalistischen Zwischen 1920 und 1930 wanderten etwa Vor diesem sozialen Hintergrund etablier- Bewegungen zurückgedrängt und be- 10.000 osteuropäische Juden in Mexiko ten sich um 1930 erste nationalistische Or- kämpft, die Einwanderungsbeschränkun- ein, womit die Anzahl jüdischer Mitbür- ganisationen, wie die Liga Anti-China, die gen für asiatische und osteuropäische Ein- gerInnen in den Jahrzehnten vor dem Liga Anti-Judía und Vereinigungen wie wanderer wurden gelockert. Dennoch be- Zweiten Weltkrieg auf etwa 20.000 an- das Comité Pro-Raza und die Acción trieb Mexiko weiter eine restriktive Ein- wuchs. Andererseits kam es zu einer mas- Revolucionaria Mexicanista. Ihr Anliegen wanderungspolitik und kontingentierte die siven legalen und illegalen chinesischen war der Schutz der mexikanischen Identi- Wirtschaftsmigration bis 1938 auf etwa Einwanderung im pazifischen Raum Me- tät der Mestizen und die Sicherung der 1.000 Familien pro Jahr. xikos. Diese europäischen und asiatischen Einwanderungswellen wurden im postre- volutionären Mexiko als Bedrohung der Revolution gesehen. 1929 und 1930 wur- Österreicher Dokumentationsarchiv des den Arbeitsgesetze erlassen, die den Ar- österreichischen Widerstandes (Hrsg.) beitgeber verpflichteten, mindestens 50 im Exil Prozent Mexikaner anzustellen. Eine rest- Einleitung, Auswahl und Bearbeitung: riktive Einwanderungspolitik und eine Christian Kloyber, Marcus G. Patka konsequente Verstaatlichungspolitik wa- ren die politische Reaktion der revolutio- Mit einem Geleitwort von nären Regierung. Mexiko war, verglichen Mexiko Friedrich Katz mit Brasilien und Argentinien, wo akuter Mangel an Arbeitskräften und Landbevöl- 1938–1947 Verlag Deuticke kerung herrschte, kein klassisches Ein- Wien 2002 wanderungsland. Im Gegensatz zu diesen 704 S., 16 S. Bildteil südamerikanischen Staaten war die india- nische Bevölkerung in Mexiko nicht aus- Sonderpreis Karton EUR 19,– gerottet worden. Vorrangige Forderungen Eine Dokumentation Leinen EUR 23,– der Revolution waren eine gerechte Bo- 2 Mitteilungen 158 Davon war besonders die jüdische Ein- wanderung in Mexiko betroffen. Sie sah Unserer Familie hat die sich mit einem innermexikanischen Di- mexikanische Politik das Leben gerettet lemma konfrontiert: Das Innenministe- rium (Gobernación) agierte sehr restriktiv Als das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Christian und oft im Widerspruch zu den Entschei- Kloyber mich um ein Vorwort für „ÖsterreicherInnen im Exil in Mexiko“ baten, war dungen des Präsidenten, während die Prä- ich überglücklich. Überglücklich aus zwei Gründen. Der erste ist ein professioneller. sidentschaftskanzlei und das Außenminis- Als Historiker, dessen Fachgebiet die mexikanisch-europäischen Beziehungen sind, terium für die Lockerung der Kontingen- ist der Komplex des europäischen Exils für mich natürlich ein sehr wichtiger Bereich. tierung im Falle der jüdischen Einwande- Mexiko hat darin als Zufluchtsland eine einzigartige Rolle gespielt. Der zweite rung eintraten. Grund, weswegen ich dieses Vorwort schreibe, ist völlig anders geartet: Ich bin Nutznießer der großzügigen mexikanischen Asylpolitik. Denn dieses Buch handelt Oft wurde noch im letzten Moment von auch von meinem Vater, dem politischen Flüchtling Leo Katz. Unserer Familie hat die Fall zu Fall durch Lázaro Cárdenas per- mexikanische Politik, die uns Asyl gewährte, das Leben gerettet, denn wir wären von sönlich entschieden, ob und wer nun zu- den Nazis sowohl aus politischen als auch aus „rassischen“ Gründen ausgerottet wor- sätzlich einreisen durfte.1 Nach der den. Flüchtlingskonferenz von Evian, die vom Friedrich Katz amerikanischen Präsidenten Roosevelt Aus dem Geleitwort einberufen worden war,2 legte die mexika- nische Einwanderungsbehörde 1938 eine Quote von 5.000 für Österreicher fest, Es konnte nachgewiesen werden, dass Ös- El Nacional, 7. Juni 1939: Antisemitische während 1939 die Anzahl wieder auf terreicher unter den Staatszugehörigkeiten Kampagne auf Kuba. 1.000 Personen gesenkt und auf „Deut- Ungarisch, Tschechisch, Deutsch, Italie- sche und Österreicher“ erweitert wurde.3 nisch — um nur die häufigsten Fälle zu In dieser Krisensituation dachte Präsident Nur für Asylanten aus Spanien (teilweise nennen — geführt wurden. Cárdenas an die Gründung einer landwirt- auch für Nichtspanier aus Spanien und für schaftlichen Flüchtlingskolonie im tropi- alle Interbrigadisten) gab es bis 1941 kei- schen Grenzgebiet zwischen Veracruz und Als Status kommt nur selten (vor allem, ne zahlenmäßige Beschränkung. Mexika- Tabasco, wo etwa 1.500 europäische Fa- wenn die Einreise über Frankreich erfolgt nische Historiker sprechen in diesem Zu- milien aus Deutschland, Polen, Österreich war) „asilado político“ (politisches Asyl) sammenhang von einer hispanistischen und der Tschechoslowakei hätten angesie- vor, der größte Teil der Flüchtlinge reiste Position der mexikanischen Außenpolitik, delt werden sollen.7 Als der Plan der Pres- als Touristen oder als „Investoren“5 ein. die auch eine indigene Position als Gegen- se bekannt wurde, formierte sich eine Die Tragödie der erfolglosen Flucht pol vertritt: Schutz und Unterstützung ge- Front gegen diese Flüchtlingspolitik. kommt besonders in den mexikanischen bührt, dieser Doktrin folgend, vor allem Tageszeitungen des Jahres 1939 zum Aus- und in erster Linie den mexikanischen Die mexikanische Tageszeitung Excelsior druck. Sie berichten auch über die Abwei- Mestizen, den hispanischen Menschen aus berichtete am 19. November 1939 unter sung von Vertriebenen, die über keine Ein- Europa und Lateinamerika und den indi- der Schlagzeile: „Ernsthafte Opposition reisedokumente verfügten oder falsche genen Völkern in Mexiko.4 gegen die Besiedlung von Tabasco durch oder gefälschte Dokumente besaßen.6 1.500 ausländische Familien!“ Das Pro- Tatsächlich sind die offiziellen Zahlen, jekt war in einer Besprechung des mexika- Statistiken und Datenbruchstücke nur Hier einige Schlagzeilen: nischen Präsidenten mit Frank Aydeloitte schwer nachzuvollziehen, da auf Grund Excelsior, 5. Juni 1939: Der Dampfer (Präsident des Swarthmore College in den der Fluchtwege und der Zwischenstaaten, Flandre verließ den Hafen mit allen jü- USA) und mit Vertretern der Organisation über welche die Ausreise aus Europa er- dischen Vertriebenen an Bord, die ver- der Quäker und Juden beschlossen, aber folgte, der exakte Nachweis der Staatsbür- gebens versuchten an Land zu gehen. auf Grund massiven innenpolitischen gerschaft, der Religion und des Einreise- El Popular, 6. Juni 1939: Empfang der Drucks doch nicht realisiert worden.8 grundes oft nicht möglich ist. Vertriebenen in Veracruz. El Universal, México, 8. Juni 1939: Ges- Berater von Präsident Cárdenas wiesen Im mexikanischen Staatsarchiv konnte tern kamen die spanischen Vertriebe- auch auf die für Europäer unzumutbaren eine ausführliche Statistik aus dem Zeit- nen glücklich an! klimatischen und geografischen Verhält- raum 1938–1940 entdeckt werden, die El Popular, 4., 5., 6., 7. und 8. Juni 1939: nisse im tropischen Grenzgebiet zwischen Rückschlüsse auf die Ursache von Fehl- Furchtbare Odyssee der Opfer Hitlers, den Bundesstaaten Tabasco und Veracruz interpretationen zulässt. Zahlreiche aus 900 Flüchtlinge auf hoher See, Kuba (topografische Ortsbezeichnung Huiman- Österreich stammende Familien reisten erbarmt sich endlich und nimmt die guillo) hin. Auch das war ein wichtiges unter Nennung einer anderen als der öster- Vertriebenen auf, die Odyssee der Is- Argument, dieses Projekt einer Agrar- reichischen Nationalität ein, da vor allem