Die Bedeutung Österreichs Für Die Deutsche Rüstung Während Des Zweiten Weltkrieges
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Norbert Sdiausberger Die Bedeutung Österreichs für die deutsche Rüstung während des Zweiten Weltkrieges In der letzten Zeit haben wissensdiaftlidie Untersuchungen über die Wediselwir- kungen zwischen Wirtschaft und Kriegführung vor und während des Zweiten Weltkrieges erfreulicherweise an Tiefgang und Perspektive gewonnen sowie eine Fülle an aussagekräftigen Quellen zugänglich gemacht Dadurch wird es möglich, die entscheidende Bedeutung der Wirtschaft und des Wirtsdiaftspotentials für Politik und Kriegführung zu erkennen und einen bisher vemaciilässigten Gesichts- punkt bei der Beurteilung des Zweiten Weltkrieges, seines Ausbruches, seines Ver- laufes und seiner Folgen besser in den Griff zu bekommen. Die vorliegende Studie versucht, am Beispiel der zwar bescheidenen, aber gerade dadurch gut überblickbaren Rüstungsindustrie in Österreich die cliarakteristisdien Phasen der deutschen Rüstungswirtsdiaft und ihre Problematik sowie ganz allge- mein die Bedeutung Österreichs für die deutsche Rüstung herauszuarbeiten. Sie stützt sich in erster Linie auf die geheimen Kriegstagebüdier der Rüstungsinspek- tionen und Rüstungskommandos der beiden Wehrkreise XVII und XVIII sowie auf Aktenbestände des Reidiswirtsdiaftsministeriums, des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion, des Reichsluftfahrtministeriums, des Oberkom- mandos der Wehrmad« sowie der Reichswerke AG Hermann Göring. Als ver- läßlichste Quellen können dabei die Kriegstagebücher der Rüstungsinspektionen angesehen werden, während bei den anderen Quellen und der verwendeten Sekun- därliteratur die Zuverlässigkeit der Angaben nicht ohne weiteres unterstellt wer- den kann. Eine quellenkritische Arbeit über das komplizierte Gebiet der Rüstungs- daten des Zweiten Weltkrieges steht leider nodi aus. Ansätze zu einer kritischen Überprüfung der Kriegswirtschaftsstatistik zeigt im wesentlidien nur W. A. Boelcke^. Anstelle einer mit zahlreichen Detailangaben versehenen chronologisdien Darstel- lung, die zu unübersichtlich wäre, wurde eine Gliederung nach leitenden Aspekten gewählt: in den beiden ersten Abschnitten wird die rüstungswirtsdiaftlidie Rele- vanz sowohl der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich als audi seiner Rolle im Krieg selbst dargelegt; im dritten Teil wird die Entwicklung der wich- tigsten Produktionszweige separat behandelt und in der Schlußbetrachtung die ' Deutsdilands Rüstung im Zweiten Weltkrieg. Hitlers Konferenzen mit Albert Speer 1942—1945. Hrsg. u. eingel. von W. A. Boelcke, Frankfurt/M. 1969 (zit. Speer-Protokolle); D. Eidiholtz: Gesdiidite der deutsdien Kriegswirtsdiaft 1939—1945, Bd I, Berlin 1969; D. Irving: Die Tra- gödie der Deutsdien Luftwaffe. Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Mildi, Frankfurt/M. 1970 (zit. Mildi); G. Janssen: Das Ministerium Speer. Deutsdilands Rüstung im Krieg, Berlin, Frankfurt/M., Wien 1968 (zit. Janssen); A. Milward: Die deutsdie Kriegswirt- sdiaft 1939—1945, Stuttgart 1966 (= Sdiriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgesdiidite ([VJZG], 12) (zit. Milward); N. Sdiausberger: Rüstung in österreidi 1938—1945, Bd 8, Wien 1970 (= Publikationen d. österreidiisdien Inst. f. Zeitgesdiidite u. d. Instituts f. Zeitgesdiidite d. Univ. Wien) (zit. Sdiausberger: Rüstung); vgl. die Annotation in: MGM 2/1971, S. 254 f. 2 Speer-Protokolle, passim. Die Unterlagen der Wehrkreise sowie der Reidisministerien, der Reidiswerke Hermann Göring u. des OKW sind im Inst. f. Zeitgesdiidite d. Univ. Wien auf 57 MGM 1/72 Mikrofilm (zit. MF) vorhanden. österreidiisdie Kriegserzeugung mit der gesamtdeutsdien in Beziehung gesetzt, um ihre Bedeutung erkennbar zu machen. I Der Anschluß und seine Bedeutung Es ist heute bekannt, wie sidi die NSDAP und Kreise der deutsdien Großindustrie während der Weltwirtschaftskrise die Wiederherstellung eines starken Deutschen Reiches und die weitere Entwicklung zur »Neuordnung Europas« vorstellten. Als ein probates Mittel, um diese Ziele zu erreichen, betrachtete man die Blitzkriegs- konzeption, die zugleich als Versuch anzusehen ist, wirtschaftliche Schwächen Deutschlands durch militärische Aktionen zu beheben. Es war nicht zu übersehen, daß das deutsche Wirtschaftspotential zu den weitreichenden Herrschaftsplänen der Führung in unlösbarem Widersprudi stand; daher sollte es durch schrittweise wirtschaftliche Expansion beziehungsweise — wenn diese nicht mehr möglidi sein würde — durch rasche militärische Eroberung gestärkt werden. Andererseits war man sich darüber im klaren, »daß Deutschland auf eigener Rohstoffgrundlage keinen Krieg führen konnte, sondern daß es wichtig war, auch für den Krieg zu- mindest in dem gesicherten Mitteleuropa die fremden Rohstofflieferanten zu er- halten« Die Blitzkriegsstrategie basierte wirtsdiaftspolitisch zunächst auf dem Vierjahres- plan, der durdi maximale Aussdiöpfung der deutschen Rüstungs- und Wirtschafts- möglichkeiten eine solide Ausgangsbasis und einen ausreichenden Vorsprung zur Führung isolierter Blitzkriege verschaffen sollte. Indem sich das Deutsche Reich dann in Etappen das Wirtschaftspotential ganz Europas einschließlich der Sowjet- union dienstbar machen würde, hoffte man einen blockadefesten und verteidigungs- fähigen Großraum zu gewinnen, reich und groß genug, um auch eine globale Aus- einandersetzung durchstehen zu können. Vierjahresplanpolitik, Aufrüstung und die Interessen der deutschen Großindustrie, vor allem die der Großchemie, standen dabei in engem Zusammenhang, wie das von A. Schweitzer * und D. Petzina' nachgewiesen wurde. Die Rolle, die österreidi in den deutschen Autarkie- und Aufrüstungsplänen spielte, ist lange Zeit durdi die alle anderen Motive überdeckende nationale Pro- paganda nicht deutlich geworden. Inzwischen liegen Untersuchungen vor, die zeigen, daß Österreich sdion sehr frühzeitig als ein Ziel deutscher wirtschaftlicher Ausweitungsbestrebungen betrachtet wurde®. Ende des Jahres 1937, als infolge der überdimensionalen Aufrüstung der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands an seiner natürlichen Grenze angelangt war und die ersten größeren Sdiwierig- keiten auftraten — sie äußerten sich vor allem in der angespannten Devisenlage, in einem Tiefstand der kriegswichtigen Rohstoffvorräte sowie in einem spürbaren Mangel an Arbeitskräften und Industriekapazitäten — entschloß sich Hitler, den Plan zur Ausweitung der deutschen Rohstoffbasis in die Tat umzusetzen. Im benachbarten österreidi gab es manches von dem, was die deutsche Kriegswirt- schaft dringend benötigte, zum Beispiel beachtliche Gold- und Devisenbestände, * G. Thomas: Gesdiidite der deutsdien Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918—1943/45). Hrsg. von W. Birkenfeld, Boppard 1966, S. 88 (= Schriften d. Bundesardiivs, 14) (zit. Thomas). * A. Sdiweitzer: Big Business in the Third Reich, Bloomington, 2. Aufl. 1965. ' D. Petzina: Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vier jahresplan, Stutt- gart 1968 (= Schriftenreihe d. VJZG, 16). " S. dazu N. Schausberger: Wirtschaftliche Motive für den Anschluß, in: Österreich in Geschichte und Literatur 2/1969, S. 57 f.; ders.: Wirtsdiaftlidie Aspekte des Anschlusses Österreichs an das 58 Deutsche Reich. Eine Dokumentation, in: MGM 2/1970, S. 133—165. Rohstoffe wie Eisenerz, Holz, Magnesit und ErdöP sowie ein Arbeitslosenheer von 600 000 Menschen — zum Teil hochqualifizierte Kräfte — und zahlreiche stilliegende Industriebetriebe. Dazu kam die außerordentliche Verbesserung der strategischen Position des Deutschen Reiches im Falle einer Besetzung der Alpen- republik: die Gewinnung einer Basis zur völligen Umklammerung der Tsdiecho- slowakei und einer territorialen Brücke nadi dem Südosten zur wirtschaftlichen und politischen Durchdringung der rohstoffreichen Balkanländer. W. Bernhardt hat darauf hingewiesen, daß die Verbesserung der militärgeographischen Situation eines Landes als wesentlicher Aspekt der Aufrüstung gesehen werden muß und auch L. Jedlicka betont in seiner Untersuchung über die Vorgesdiichte des An- schlusses besonders die Dominanz wirtschaftlicher und strategischer Motive®. Eine Bestätigung der Wichtigkeit der österreichischen Ressourcen für die deutsche Wirtschaft waren die sofort nach dem am 12. März 1938 erfolgten Einmarsch deutscher Truppen in Angriff genommenen Maßnahmen wirtsdiaftlicher und mili- tärischer Art. Das von Göring als Beauftragtem für den Vierjahresplan verkün- dete »Aufbauprogramm für Österreich« " sah vor, die Leistungen auf allen Sek- toren kriegswichtiger Industrieproduktion zu steigern Auf dem Bergbausektor wurde die Aufsdiließungstätigkeit mit der Überführung der Aktienmajorität des größten österreidiisdien Bergbau- und Industriekonzerns, der Alpine Montan- Gesellschaft, in den Besitz der Reichswerke AG Hermann Göring kombiniert. Bereits 1938 wurde die Zahl der Arbeiter auf dem steirischen Erzberg verdop- pelt, mit dem Ziel, die Erzförderung von 1,8 Mill, t auf 4 Mill. t zu steigern Auch die Kupfer-, Blei-, Zink-, Antimon-, Arsen- und Graphitförderung wurde sofort energisch vorangetrieben, während die für Deutschland besonders wichtige Erdölförderung im niederösterreichischen Weinviertel erst nach Einführung des Deutschen Bitumengesetzes in Österreich" bis zum Raubbau gesteigert werden konnte. Das energiehungrige, in seiner stärksten wirtschaftlichen Expansionsphase stek- kende Deutsche Reich begann auch mit der weiteren Erschließung der alpenlän- dischen Wasserkräfte, indem Großprojekte an der Donau (Ybbs-Persenbeug), in ' Daß Österreich auf einigen Rohstoffsektoren ein wertvolles Ergänzungsgebiet f. d. devisen- u. rohstoffarme Deutschland war, zeigt folgende Gegenüberstellung: