Wann Schaffen Wir Uns Selber Ab? Das Desaster Lauert Überall
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[ SAMSTAG, 12. JULI 2008 ] Lehmann, ade! Marlene Streeruwitz: Abgesang Spectrum auf eine Institution. Seite III Redaktionelle Leitung: Dr. Karl Woisetschläger Zeichen der Zeit: Wolfgang Freitag Literatur: Dr. Harald Klauhs Neue Texte: Dr. Dietmar Krug Alle: 1030 Wien, Hainburger Straße 33, E-Mail: [email protected], diepresse.com/spectrum, Tel. 51414-Serie, Fax 51414-345 Rauchen verboten. Mit dem Handy telefonieren verboten. Nicht trinken. Nicht lärmen. Nicht im Stehen pinkeln. Und das Ganze selbstredend zucker- frei und fettlos. Wir Einmischer: ein Gesellschaftsporträt. Von Manfred Prisching Wann schaffen wir uns selber ab? Das Desaster lauert überall. Einmischung ist somit geboten. [Foto: Teutopress/Ullstein Bild] ie postmoderne Gesellschaft bockt hat. Die großen Erzählungen − Gott, und der Prekarisierung gleichermaßen; und Aus dem Inhalt kenntsichmitsichselbstnicht Sozialismus, Wissenschaft − haben an Plau- der Staat, seiner (wirtschaftspolitischen) In- mehr aus. Da gibt es Meldungen sibilität eingebüßt. Sinnsuche heißt: in sich strumente beraubt, inszeniert sich als Für- D über Rauch-, Trink- und Handy- hineinhorchen, hineinfühlen. Auf das gute sorgestaat, als gütiger Präventionsstaat. Er Taschner: Das letzte Tabu. Verbote, und jeder fragt: Mischen wir uns zu Gefühl kommt es an. Jeder erhebt den An- sorgt sich um die Fettleibigkeit und um die Was geht nicht alles als Kunst durch. viel in das Leben der anderen ein? Wenige spruch, nach seiner Fa¸conselig zu werden, verrauchten Caf´es. Er verpflichtet die Eltern Nichtsscheinttabuzusein.Nichtsbisauf Tage später gibt es Meldungen über einen und gesteht es allen anderen zu − die ihn zur Kindererziehungsfortbildung. Kameras ein einziges Wort: „schön“. Rudolf Tasch- Kriminalfall, dessen jahrelanger Fortbe- aber im Grunde nicht interessieren, solange auf allen öffentlichen Plätzen und E-Mail- nerüberdieScheuvordemSchönenund stand von den Behörden und Nachbarn sie ihn nicht stören und verfügbar sind. Überwachung in allen privaten Kanälen. den Reiz des Unendlichen. SEITE IV nicht wahrgenommen wurde, und jeder Oder ist es doch anders? Die Botschaft Man meint es ja nur gut. Wer sich nicht fragt: Kümmern wir uns zu wenig um das von der Individualisierung ist die halbe einmischt, der ist hartherzig, ignorant, kri- Bawag-Prozess: War da was? Leben der anderen? Der Gegensatz ist auf- Wahrheit, eine Übertreibung wie so vieles. senresistent, isoliert. Wer den anderen er- Bis über die Rechtsmittel entschieden schlussreich. Denn beides stimmt: Nase hi- Denn es ist auch eine komplexe, vernetzte, zählt, wie sie leben sollen, der ist besorgt, ist, vergehen wohl noch eineinhalb Jahre. neinstecken und Augen schließen. Einer- formalisierte Gesellschaft, und das heißt: empathisch, engagiert, auf der Höhe der Nach dem Bawag-Prozess: Was war – war seits eine gesellschaftliche Szenerie von eine konformistische Gesellschaft. Den Zeit. Ein „Kümmerer“. Ein „Betroffener“, die da was? SEITE V Monaden, die einander kaum noch zuhören Zwang, auf der Schiene zu bleiben, verkauft Sorgenfalten auf der Stirne ehern eingefräst. können; andererseits eine Fetzenlandschaft sie bloß unter dem Etikett der Spontaneität. DasBöseaufderWeltkanndurchPräven- Gstättner: Roman vorab. von moralischen Restbeständen, die mit ho- Den Druck, sich zu verkaufen, unter dem tion verhindert werden, deshalb müssen „Bei Klimt stehen die Modelle Schlange her Entrüstungs- und Einmischungsbereit- Etikett der Selbstentfaltung. Das Gebot, dem Kinder demnächst zur genetischen Devi- und reißen sich darum, von ihm porträ- schaft aufgeladen ist. richtigen Modell des Individuell-Seins zu anzgefährdungsanalyse. Und wenn das tiert und penetriert und dann schichten- Das Monadenhafte ist offensichtlich. Am entsprechen, unter dem Etikett der Authen- Böse doch in die Welt getreten ist, dann ist weise mit Blattgold bekleckert zu wer- Individuum hängt, zum Individuum strebt tizität. Dass diese Täuschung so erfolgreich eine therapeutische Betreuung geboten, die den. Die Technik wird sich nicht durch- doch alles. Über weniges sind sich die Sozi- funktionieren könnte, hätte man sich vor alles wieder zurechtbiegt und heil macht. setzen!“ Aus dem neuen Roman von alwissenschaftler so einig: Die „zweite“ oder wenigen Jahrzehnten nicht träumen lassen. In der Perspektive der Einmischer ist keine Egyd Gstättner. SEITE VI „reflexive“ Moderne ist das Zeitalter der In- Angesichts der grassierenden Individuali- Aktivität harmlos. Wer sich beim Autofahren dividualisierung. Jedem wird angesonnen, sierungskonformität kommen die „Einmi- nicht anschnallt, ist beinahe schon ein Ge- Vertlib über Assaf Gavron. ganz er selbst zu werden: sich zu entfalten, scher“ ins Spiel. Was ist das Geschäft der hirntoter. Wer etwas aus dem Keller holt, ist Assaf Gavrons Roman „Ein schönes At- zu entdecken, das Authentische zum Vor- Einmischer? Sie machen den Leuten klar, des Inzests verdächtig. Wer nur den Unter- tentat“: eine tragikomische Abrechnung schein zu bringen. Jeder ein Original, der wie sie zu lesen, denken, träumen, arbeiten arm einer weiblichen Kollegin berührt, spielt mit der israelischen Gesellschaft und de- seine „unique selling proposition“ zu ver- und leben haben. Sie mischen sich in das in Wahrheit schon mit Vergewaltigungsfan- ren Umgang mit der Angst. Rezensiert kaufen hat. Jeder ganz Leben anderer Leute tasien. Wer von „Behinderten“ statt von von Vladimir Vertlib. SEITE VII spontan, ganz unver- ein, nicht so sehr des- „mentally challenged people“ spricht, hat krüppelt, der Entdecker Man meint es ja nur gut. wegen, weil sie sich be- das „lebensunwerte Leben“ im Hinterkopf. Holl: Religion ist Krieg! und Erfinder seiner lästigt fühlen; sondern Das Vakuum, diese Mischung aus äußerer Ist die Misere der Moderne das Resultat selbst; und damit voll Wer sich nicht einmischt, deswegen, weil sie „wis- Verunsicherung und innerer Entmoralisie- ihrer Vergiftung durch „politische Reli- beschäftigt. ist ignorant. Wer den sen“, wie man „richtig“ rung, muss wieder aufgefüllt werden, durch gionen“? Neue Bücher zum Verhältnis Es stimmt schon ir- lebt. Wie man „indivi- demonstrative Obsorge des Staates, durch von Politik und Religion – besprochen gendwie − es gibt viel anderen erzählt, wie sie duell“ lebt. Wie man das die Sentimentalisierung von Einzelfällen, von Adolf Holl. SEITE IX mehr Wahlmöglichkei- leben sollen, ist besorgt. Authentische aus sich durch semantischen Terror. Manchmal ist in ten. Was haben sich die herausholt. Wie man der Tat die Oktroyierung neuer Regelsysteme Bleistift-Vergnügen. Leute schon aussuchen korrekt spontan ist. Wie geboten, wo der individuelle Anstand zer- Alternativen zur Sudoku-Manie: wie können vor 100 Jahren? Jetzt können sie man spontan korrekt ist. Es ist deshalb eine bröckelt, gleichsam als Kompensation von man Papier und Bleistift kurzweilig ein- wählen: Wohnort, Ausbildung, Lebenspart- Mischung aus Ignoranz und Einmischung, Externalitäten. In einer aus dem Tritt gerate- setzt, ohne ein Zahlengitter komplettie- ner, Auto, Habitus. Ein Karrieretyp mit Ak- die zur gesellschaftlichen Tugend geworden nen Gesellschaft greift aber Rüpelhaftigkeit ren zu müssen. Teil eins unserer Som- tenkofferl? Ein Vegetarier, nachhaltigkeits- ist. Verdoppelt, widergespiegelt und ver- ebenso um sich wie lächerliche Pingeligkeit; mer-Serie. SEITE X bewusst? Ein Aufreißer, cool, wohlriechend, stärkt wird diese Haltung durch eine Insze- schließlich können die meisten ohnehin Rü- hochdesignt? Einer von der zuverlässigen nierung des Staates, der seine einstmalige pelei von Kreativität und Pingeligkeit von Ronacher, reloaded. Sorte, den die Mädchen zwar verachten, Gemeinwohlorientierung abgestreift hat, Höflichkeit nicht mehr unterscheiden. Das Wiener Ronacher wurde „funktions- aber heiraten? Du hast alle Möglichkeiten, indem er seinen Rückzug gefeiert, sich für Das effizienteste Einmischungsmanage- saniert“. Will heißen: Auf Highlights wur- also nutze sie. Wenn du sie nicht nutzt, bist die frühere Entmündigung der Bürger ent- ment beruft sich auf die Zauberworte Ge- de verzichtet. Schade – vor allem wenn du ein „Loser“. Denn das Schicksal ist abge- schuldigt und emphatisch ihre Selbstver- sundheit und Sicherheit. Man muss „vor- die Architekten Domenig und Wallner schafft: In der Multioptionsgesellschaft ist antwortung ausgerufen hat. Nun sind sie al- beugen“, und wenn ein Verbrechen nicht heißen. SEITE XI jeder selbst schuld, wenn er sein Leben ver- leingelassen, im Zustand der Luxurierung Fortsetzung Seite II II ZEICHEN DER ZEIT Samstag, 12. Juli 2008 / Spectrum lagenfurter Caf´es haben Atmo- Gemütlich sind sie ja, die Fortsetzung von Seite I In dieser Ausgabe sphäre. Hier fühlt man sich be- sonders beheimatet, deshalb ist Klagenfurter Caf´es. Hier fühlt K dieser Tage auch Herr Milivoj Aˇs- man sich noch richtig zu verhindert werden kann, ist dies ein Ver- ner, mutmaßlicher Kriegsverbrecher in sagen der Präventionspflichtigen. Wer Ruhe, bei Kaffee und Kuchen anzutreffen. Er Hause. Auch als mutmaßlicher bei der Perfektionsherstellung versagt, ist sicher unter Freunden. Der Landeshaupt- ist haftbar. Wenn nur genügend Fitness MANFRED mann begrüßt ihn als friedlichen Bürger der Kriegsverbrecher. Der Fall des betrieben wird, dann gibt es keinen PRISCHING Stadt. An die kroatische Justiz wird der ehe- Herzinfarkt. Genügend Schönheitschir- malige Chef der Ustascha-Polizei in Pozega Milivoj Aˇsner ist kein Einzelfall. urgie, und dann ist jede Hässlichkeit aus Geboren 1950 in Bruck an der Mur. Pro- aufgrund psychiatrischer Gutachten nicht der Welt geschafft. Stirbt man, handelt