Aufgekratzte Trauerarbeit
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Kultur Annie wirkt auf den ersten Blick, als hät- POP ten übereifrige Plattenfirmen-Talentjäger sie am Computer zurechtgebastelt. Aufgekratzte Sie ist nicht bloß jung, blond und hübsch, sondern beweist auch immer wie- der eindrucksvolles Talent. Hinzu kommt, Trauerarbeit und das ist unbezahlbar: Dank internatio- naler Discjockey-Mundpropaganda gilt sie Die norwegische Sängerin als absolut cool. „Ich finde es selbst merk- würdig, wenn mir Leute sagen, dass sie Annie wird als Entdeckung zwar meine Musik mögen, aber nie Songs gefeiert – dabei gilt sie von Kylie Minogue oder Britney Spears Discjockeys in aller Welt schon anhören würden“, sagt sie. länger als auffälliges Talent. Zum Elektro-Pop kam Annie Ende der Neunziger durch ihre erste große Liebe, ermutlich entwickelt man fast einen jungen Mann, der sich Erot nannte, zwangsläufig merkwürdige Marot- ein paar lässige Underground-Disco-Hits Vten, wenn man im norwegischen produzierte und mit ihr den Song „The Bergen, einer der niederschlagreichsten Greatest Hit“ aufnahm, in dem sie sehr Städte Europas, aufwächst; in einer Stadt, schön zu einem Madonna-Sample schnurr- in der es im Winter manchmal wochenlang te. Dann wurde Erot sehr krank und starb nicht mehr hell wird: mit 23 an einem Herzleiden. Anne Lilia Berge Strand zum Beispiel Um gegen die Trauer anzukämpfen, erzählt mit großer Begeisterung, dass sie machte sich Annie selbst ans Musikbasteln zum Songtexte-Schreiben gern auf Bäu- und erlangte zudem bald den Ruf einer me klettere: „Wenn ich auf einem Ast erstklassigen Plattenauflegerin – auch, weil sitze und von oben auf die Welt sehe, fal- sie die Arbeit ähnlich unkonventionell an- len mir die lustigsten Sachen ein“, be- geht wie das Songtexten: „Ich kombiniere hauptet die Sängerin, die sich schlicht gern Dinge, die eigentlich überhaupt nicht Annie nennt. zusammenpassen.“ Annies Songs heißen „Chewing Gum“ Als DJ mixt sie schon mal den Oldie- oder „Heartbeat“. Letzterer wurde durch Rock der Steve Miller Band mit moder- das euphorische Internet-Gelärme ihrer nen HipHop-Beats; in der renommier- Fans so berühmt – das wichtige Online- ten Reihe „DJ-Kicks“ erscheint Ende Ok- Magazin „Pitchfork“ ernannte „Heart- tober ein von ihr zusammengestelltes Mix- beat“ zur besten Single des Jahres 2004 –, Album. dass Annies Debütalbum „Anniemal“ ein Während sie an einer neuen Solo-Platte knappes Jahr nach dem Erscheinen in werkelt, grübelt sie auch über die Karrie- Skandinavien in diesem Sommer in den ren anderer Künstlerinnen nach: „Madon- USA und in der nächsten Woche auch na hätte wirklich das Zeug, noch mal eine in Deutschland veröffentlicht wird. tolle Platte zu machen – aber dazu brauch- Schon länger gilt die norwegische te sie einen neuen Produzenten. Ich wüss- Großstadt Bergen in der Musikwelt als te auch wen: mich.“ Christoph Dallach Kultstätte, von der aus es in den vergangenen Jahren di- verse Künstler wie die Elek- tropopper von Röyksopp oder die behutsamen Gitar- renzupfer der Band Kings of Convenience zu welt- weiter Beachtung gebracht haben. Annie, 26, bietet auf ihrem Debütwerk selt- sam aufgekratzte Disco- Nummern, in denen die Künstlerin sehr raffiniert Kleinmädchengesang mit enorm eingängigen Melo- dien kreuzt. „Stark von An- fang bis Ende“, jubelte die „New York Times“ über das Album; das deutsche Fachblatt „Spex“ widmete Annie gerade eine Titel- geschichte; zum Auftritt der Sängerin in Los Angeles tanzte sogar die Rocker- Witwe Courtney Love an. Musikerin Annie: Raffinierter Kleinmädchengesang 138 der spiegel 34/2005.